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22 | Bauwelt 36 2005 Abbas Shirazi, Christina Thum Streifzüge durch Teheran Das Flugzeug der Iran Air, das in Frankfurt am Main startet, ist bereits iranisches Hoheits- gebiet, die weiblichen Passagiere sind eigent- lich schon zum Tragen „islamischer Kleidung“ verpflichtet, doch die meisten Damen legen erst kurz vor der Landung Kopftuch und lange Jacke an. Was erwartet den Besucher in Tehe- ran? Eine orientalische Stadt oder eine Stadt der Moderne? Ein Moloch, ein Reich des Bö- sen? Wird man den Besucher freundlich emp- fangen, oder wird er auf Ablehnung stoßen? In Teheran, der Hauptstadt der Islamischen Re- publik Iran, leben acht Millionen Menschen, in ihrem Großraum etwa 11,5 Millionen. Die Stadt liegt im Norden des Iran am Fuße des Alborz- Gebirges, das oft bis in den Frühling hinein mit Schnee bedeckt ist, nahe dem höchsten Berg im Land, dem Damavand mit einer Höhe von 5671 Metern. Von einem der letzten Ausläufer der Stadt im Norden auf etwa 1800 Meter Höhe hat man einen guten Blick „hinunter“ – denn Teheran weist nach Süden ein Höhengefälle von ca. 700 Metern auf. Diese Topografie hat Auswirkungen auf die Luftqualität und in der Folge auf die Sozialstruktur der Bevölkerung und die Nutzungsverteilung. Im höher gelege- nen Norden sind die besten Wohngegenden, viele Botschaften und Regierungseinrichtun- gen zu finden. Nur an wenigen Tagen hebt sich die Smog-Glocke, denn es gibt kaum eine Ta- geszeit, zu der man in Teheran nicht im Stau steht. Bis heute sind nur zwei Metrolinien in Betrieb. Und auch die Industrien dieses Wirt- schaftszentrums tragen erheblich zur Luftver- schmutzung bei. Teheran ist das politische und zugleich wirt- schaftliche Zentrum des Landes und zieht wie ein „schwarzes Loch“ immer noch die Men- schen an. Nach der Islamischen Revolution von 1979 explodierten die Geburtenzahlen. Die islamische Gesellschaft ist auf den ersten Blick stark religiös geprägt, doch neben der religiö- sen Welt existiert insbesondere auch in Tehe- ran eine säkulare Parallelgesellschaft. Von Süden nach Norden Ein Taxifahrer würde nach der Aufforderung: „Ins Zentrum“ wohl zum Imam Khomeini Platz fahren, dem Stadtzentrum der quajarischen Zeit. Wirtschaftlich – mit dem Bazar – und po- litisch – mit dem Regierungsviertel – sind in dieser Gegend wichtige Funktionen angesie- delt. Nach Norden schließt ein „modernes“ Zentrum mit Dienstleistungsangeboten und gehobenem Einzelhandel an. Ausgeprägte Nebenzentren gibt es nicht. Die Stadtstruktur Teherans entwickelt sich aber auch nicht konzentrisch von der Mitte aus, mit nach außen abnehmender Dichte und Attrakti- vität. Eher hat man sich Streifen in West-Ost- Richtung vorzustellen, wobei von Norden nach Süden die Gebäude niedriger und älter und die Bewohner ärmer werden. Dieses prägende Element der Stadt, das Nord- Süd-Gefälle, werden wir vom Bahnhof im Sü- den Richtung Norden erkunden. Als Orientie- rungslinie dient uns die Valy-Asr Allee. Sie er- streckt sich vom Bahnhof bis zum Tajrish Platz ganz im Norden und ist mit einer Länge von ca. 17,5 Kilometern die längste durchgehende Straße der Stadt, außerdem die lebendigste und prominenteste, gewissermaßen die Avenue des Champs d’Elysées von Teheran. Beiderseits wachsen mächtige Platanen, die Schatten und Sauerstoff spenden. Die Bahngleise führen von Westen in die Stadt hinein und biegen am Bahnhof nach Süden ab. Einmal die Woche verkehrt von hier ein Zug bis nach Istanbul, Fahrtzeit drei Tage. Das In- terieur des Bahnhofgebäudes, besonders die VIP-Lounge, ein im Stil des frühen 20. Jahrhun- derts üppig eingerichteter Saal, will so gar nicht zu der nüchternen „germanischen“ Fas- sade von 1936 passen. Am Bahnhofsvorplatz beginnt die Valy-Asr Allee. Zunächst laufen wir etwa 800 Meter in nördlicher Richtung, bis wir zur Kreuzung mit der Molawi Straße kommen. Von hier führt uns ein kurzer Abste- cher nach Westen zum Razi Platz. Am Rande des großen, seit Beginn der neunziger Jahre angelegten Park-e Razi stehen die Reste der alten Bebauung – nicht alle Eigentümer waren verkaufswillig. Viele Maßnahmen zur Verbesserung der ver- kehrlichen Infrastruktur und auch viele neue Parks verdanken die Teheraner ihrem charis- matischen Bürgermeister Karbastschi, der in Deutschland als Architekt ausgebildet wurde. Von 1989 bis 1998 realisierte er zahlreiche Pro- jekte zur Verbesserung des öffentlichen Raums der Stadt, bevor er bei der Zentralregierung in Ungnade fiel. Die Molawi Straße bildet östlich der Valy-Asr Allee die südliche Grenze des Bazarbereichs. Man fühlt sich hier wie in einer ganz anderen Haupthalle im Imam Khomeini Air- port im Süden der Stadt, 45 Kilome- ter entfernt vom Zentrum. Am 30. April dieses Jahres landete hier die erste Linienmaschine, über ein Jahr nach der offiziellen Eröffnung. Sowohl ausländische Fluglinien als auch das iranische Militär äußerten Zweifel an der Sicherheit der Start- und Lan- debahn. Die Modarres Stadtautobahn, hier in Blickrichtung Norden auf das Alborz- Gebirge: ein gelungenes Zusammen- spiel von Landschaftsplanung, Garten- kunst und Verkehrsarchitektur. Längs der Niajésh Stadtautobahn, hier der Blick nach Norden, werden große Neubaugebiete erschlossen. Foto oben: Reuters/Morteza Nikoubazl Der Titel über dem sorgfältig recher- chierten und für den Uneingeweihten gar nicht so leicht zu verfolgenden Text ist folgendermaßen zu überset- zen: Streifzüge durch Teheran sind ein schwieriges Unterfangen, sie erfordern mancherlei Vorwissen und sind kein reines Vergnügen für den uneinge- weihten Flaneur. Zu Fuß sind sie kaum zu bewältigen. Nimmt der Fremde aber ein Taxi, steht er wieder und wieder im Stau. Ein grobes Orientierungsras- ter für den Neuankömmling bieten die beiden orthogonalen Achsen der Stadt: die Valy-Asr Allee, die von Sü- den nach Norden, und die Enquelab Straße, die von Westen nach Osten führt. Die beiden Autoren, die an die- ser Stadtbauwelt entscheidenden An- teil haben, gehen die beiden Achsen entlang, und weil sie viel Wissen über Teheran gesammelt haben, wird aus ihrer Beschreibung eine verlässliche Stadtführung. Welt, die mit der Hochglanzarchitektur und den eleganten Großstädtern im Norden kaum etwas gemein hat. In den Werkstätten und Lä- den im Süden der Stadt wird der Wohlstand vieler Menschen erwirtschaftet, die im Nor- den wohnen. Zudem werden auf der Molawi Straße – einem ausgedehnten Güterverteil- zentrum gleich – nahezu alle in die Stadt ein- und ausgeführten Waren umgeschlagen. Nicht nur aus diesem Grund herrscht hier, wie im Übrigen in ganz Teheran, ein unbarmherziger Verkehr, der jede Straßenüberquerung zum Risiko macht. Ansonsten sind bedrohliche Situ- ationen in Teheran ausgesprochen selten. Die Bevölkerung gibt auf „ihre“ Touristen Acht, selten wird gebettelt, gelegentlich wollen alte Frauen aus der Hand lesen und Kinder Kau- gummi verkaufen. Der 200 Hektar große Bazar ist ein mit Ziegel- kuppeln oder Wellblech überdachtes enges Straßengewirr. Die einzelnen Warenangebote sind säuberlich nach Produkten getrennt. Von Haushaltsartikeln über Wasserpfeifen bis hin zu Nüssen, Gewürzen und natürlich Teppichen und Stoffen findet der geduldige Sucher alles. Gegenstände des täglichen Bedarfs werden vor- wiegend an Teheraner Zwischenhändler und Einkäufer aus dem Umland abgegeben. Inner- halb dieser Bazarstruktur versteckt sind im- mer wieder kontemplative Innenhöfe mit Was- serbecken, die Ruhe ausstrahlen und Kühle spenden und wo Männer ihr Gebet verrichten. Zur Mittagspause, ungefähr von 13 bis 16 Uhr, ist der Bazar weitgehend verwaist. Östlich des Bazars, im Mahallee Sirus, dem äl- testen Stadtviertel Teherans, fühlt man sich dann vollständig in die Vergangenheit zurück- versetzt. Die zumeist eingeschossigen Lehm- häuser lassen nur enge Gassen frei, in denen man sich vor Mopedfahrern mit einem schnel- len Sprung in Sicherheit bringen muss und Au- tos nur auf kunstvolle Weise manövrieren kön- nen. Die Bauten verfallen. In winzigen Werk- stätten dengeln alte Männer Samoware wieder zurecht. Fast alle Frauen sind, in Kontrast zum mondänen nördlichen Teheran, traditionell in schwarzen Tschador gekleidet. Bei den „Abmive-Giri“, den „Fruchtsaftpres- sen“, werden aus frischen Karotten, Melonen, Orangen, Maulbeeren oder süßen Limonen wohlschmeckende, dickflüssige Säfte gewon- nen. Unter Jugendlichen gilt es indes als schi- cker, aus der Dose das zuckersüße Fruchtge- StadtBauwelt 167 | 23

Abbas Shirazi, Christina Thum Streifzüge durch TeheranSchnee bedeckt ist, nahe dem höchsten Berg im Land, dem Damavand mit einer Höhe von 5671 Metern. Von einem der letzten Ausläufer

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Page 1: Abbas Shirazi, Christina Thum Streifzüge durch TeheranSchnee bedeckt ist, nahe dem höchsten Berg im Land, dem Damavand mit einer Höhe von 5671 Metern. Von einem der letzten Ausläufer

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Abbas Shirazi, Christina Thum

Streifzüge durch Teheran

Das Flugzeug der Iran Air, das in Frankfurtam Main startet, ist bereits iranisches Hoheits-gebiet, die weiblichen Passagiere sind eigent-lich schon zum Tragen „islamischer Kleidung“verpflichtet, doch die meisten Damen legenerst kurz vor der Landung Kopftuch und langeJacke an. Was erwartet den Besucher in Tehe-ran? Eine orientalische Stadt oder eine Stadtder Moderne? Ein Moloch, ein Reich des Bö-sen? Wird man den Besucher freundlich emp-fangen, oder wird er auf Ablehnung stoßen? In Teheran, der Hauptstadt der Islamischen Re-publik Iran, leben acht Millionen Menschen, inihrem Großraum etwa 11,5 Millionen. Die Stadtliegt im Norden des Iran am Fuße des Alborz-Gebirges, das oft bis in den Frühling hinein mitSchnee bedeckt ist, nahe dem höchsten Bergim Land, dem Damavand mit einer Höhe von5671 Metern. Von einem der letzten Ausläuferder Stadt im Norden auf etwa 1800 Meter Höhehat man einen guten Blick „hinunter“ – dennTeheran weist nach Süden ein Höhengefällevon ca. 700 Metern auf. Diese Topografie hatAuswirkungen auf die Luftqualität und in derFolge auf die Sozialstruktur der Bevölkerungund die Nutzungsverteilung. Im höher gelege-nen Norden sind die besten Wohngegenden,viele Botschaften und Regierungseinrichtun-gen zu finden. Nur an wenigen Tagen hebt sichdie Smog-Glocke, denn es gibt kaum eine Ta-geszeit, zu der man in Teheran nicht im Stausteht. Bis heute sind nur zwei Metrolinien inBetrieb. Und auch die Industrien dieses Wirt-schaftszentrums tragen erheblich zur Luftver-schmutzung bei. Teheran ist das politische und zugleich wirt-schaftliche Zentrum des Landes und zieht wieein „schwarzes Loch“ immer noch die Men-schen an. Nach der Islamischen Revolutionvon 1979 explodierten die Geburtenzahlen. Dieislamische Gesellschaft ist auf den ersten Blickstark religiös geprägt, doch neben der religiö-sen Welt existiert insbesondere auch in Tehe-ran eine säkulare Parallelgesellschaft.

Von Süden nach Norden

Ein Taxifahrer würde nach der Aufforderung:„Ins Zentrum“ wohl zum Imam Khomeini Platzfahren, dem Stadtzentrum der quajarischenZeit. Wirtschaftlich – mit dem Bazar – und po-litisch – mit dem Regierungsviertel – sind indieser Gegend wichtige Funktionen angesie-

delt. Nach Norden schließt ein „modernes“Zentrum mit Dienstleistungsangeboten undgehobenem Einzelhandel an. Ausgeprägte Nebenzentren gibt es nicht. DieStadtstruktur Teherans entwickelt sich aberauch nicht konzentrisch von der Mitte aus, mitnach außen abnehmender Dichte und Attrakti-vität. Eher hat man sich Streifen in West-Ost-Richtung vorzustellen, wobei von Norden nachSüden die Gebäude niedriger und älter unddie Bewohner ärmer werden. Dieses prägende Element der Stadt, das Nord-Süd-Gefälle, werden wir vom Bahnhof im Sü-den Richtung Norden erkunden. Als Orientie-rungslinie dient uns die Valy-Asr Allee. Sie er-streckt sich vom Bahnhof bis zum Tajrish Platzganz im Norden und ist mit einer Länge vonca. 17,5 Kilometern die längste durchgehendeStraße der Stadt, außerdem die lebendigste undprominenteste, gewissermaßen die Avenue desChamps d’Elysées von Teheran. Beiderseitswachsen mächtige Platanen, die Schatten undSauerstoff spenden.Die Bahngleise führen von Westen in die Stadthinein und biegen am Bahnhof nach Süden ab.Einmal die Woche verkehrt von hier ein Zugbis nach Istanbul, Fahrtzeit drei Tage. Das In-terieur des Bahnhofgebäudes, besonders dieVIP-Lounge, ein im Stil des frühen 20. Jahrhun-derts üppig eingerichteter Saal, will so garnicht zu der nüchternen „germanischen“ Fas-sade von 1936 passen. Am Bahnhofsvorplatzbeginnt die Valy-Asr Allee. Zunächst laufenwir etwa 800 Meter in nördlicher Richtung, bis wir zur Kreuzung mit der Molawi Straßekommen. Von hier führt uns ein kurzer Abste-cher nach Westen zum Razi Platz. Am Randedes großen, seit Beginn der neunziger Jahre angelegten Park-e Razi stehen die Reste deralten Bebauung – nicht alle Eigentümer warenverkaufswillig. Viele Maßnahmen zur Verbesserung der ver-kehrlichen Infrastruktur und auch viele neueParks verdanken die Teheraner ihrem charis-matischen Bürgermeister Karbastschi, der inDeutschland als Architekt ausgebildet wurde.Von 1989 bis 1998 realisierte er zahlreiche Pro-jekte zur Verbesserung des öffentlichen Raumsder Stadt, bevor er bei der Zentralregierung inUngnade fiel. Die Molawi Straße bildet östlich der Valy-AsrAllee die südliche Grenze des Bazarbereichs.Man fühlt sich hier wie in einer ganz anderen

Haupthalle im Imam Khomeini Air-port im Süden der Stadt, 45 Kilome-ter entfernt vom Zentrum. Am 30. April dieses Jahres landete hier dieerste Linienmaschine, über ein Jahrnach der offiziellen Eröffnung. Sowohlausländische Fluglinien als auch dasiranische Militär äußerten Zweifel an der Sicherheit der Start- und Lan-debahn. Die Modarres Stadtautobahn, hier inBlickrichtung Norden auf das Alborz-Gebirge: ein gelungenes Zusammen-spiel von Landschaftsplanung, Garten-kunst und Verkehrsarchitektur. Längs der Niajésh Stadtautobahn, hierder Blick nach Norden, werden großeNeubaugebiete erschlossen.

Foto oben: Reuters/Morteza Nikoubazl

Der Titel über dem sorgfältig recher-

chierten und für den Uneingeweihten

gar nicht so leicht zu verfolgenden

Text ist folgendermaßen zu überset-

zen: Streifzüge durch Teheran sind ein

schwieriges Unterfangen, sie erfordern

mancherlei Vorwissen und sind kein

reines Vergnügen für den uneinge-

weihten Flaneur. Zu Fuß sind sie kaum

zu bewältigen. Nimmt der Fremde aber

ein Taxi, steht er wieder und wieder

im Stau. Ein grobes Orientierungsras-

ter für den Neuankömmling bieten

die beiden orthogonalen Achsen der

Stadt: die Valy-Asr Allee, die von Sü-

den nach Norden, und die Enquelab

Straße, die von Westen nach Osten

führt. Die beiden Autoren, die an die-

ser Stadtbauwelt entscheidenden An-

teil haben, gehen die beiden Achsen

entlang, und weil sie viel Wissen über

Teheran gesammelt haben, wird aus

ihrer Beschreibung eine verlässliche

Stadtführung.

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Welt, die mit der Hochglanzarchitektur undden eleganten Großstädtern im Norden kaumetwas gemein hat. In den Werkstätten und Lä-den im Süden der Stadt wird der Wohlstandvieler Menschen erwirtschaftet, die im Nor-den wohnen. Zudem werden auf der MolawiStraße – einem ausgedehnten Güterverteil-zentrum gleich – nahezu alle in die Stadt ein-und ausgeführten Waren umgeschlagen. Nichtnur aus diesem Grund herrscht hier, wie imÜbrigen in ganz Teheran, ein unbarmherzigerVerkehr, der jede Straßenüberquerung zumRisiko macht. Ansonsten sind bedrohliche Situ-ationen in Teheran ausgesprochen selten. DieBevölkerung gibt auf „ihre“ Touristen Acht,selten wird gebettelt, gelegentlich wollen alteFrauen aus der Hand lesen und Kinder Kau-gummi verkaufen. Der 200 Hektar große Bazar ist ein mit Ziegel-kuppeln oder Wellblech überdachtes engesStraßengewirr. Die einzelnen Warenangebotesind säuberlich nach Produkten getrennt. VonHaushaltsartikeln über Wasserpfeifen bis hinzu Nüssen, Gewürzen und natürlich Teppichenund Stoffen findet der geduldige Sucher alles.Gegenstände des täglichen Bedarfs werden vor-wiegend an Teheraner Zwischenhändler undEinkäufer aus dem Umland abgegeben. Inner-halb dieser Bazarstruktur versteckt sind im-mer wieder kontemplative Innenhöfe mit Was-serbecken, die Ruhe ausstrahlen und Kühlespenden und wo Männer ihr Gebet verrichten.Zur Mittagspause, ungefähr von 13 bis 16 Uhr,ist der Bazar weitgehend verwaist. Östlich des Bazars, im Mahallee Sirus, dem äl-testen Stadtviertel Teherans, fühlt man sichdann vollständig in die Vergangenheit zurück-versetzt. Die zumeist eingeschossigen Lehm-häuser lassen nur enge Gassen frei, in denenman sich vor Mopedfahrern mit einem schnel-len Sprung in Sicherheit bringen muss und Au-tos nur auf kunstvolle Weise manövrieren kön-nen. Die Bauten verfallen. In winzigen Werk-stätten dengeln alte Männer Samoware wiederzurecht. Fast alle Frauen sind, in Kontrast zummondänen nördlichen Teheran, traditionell inschwarzen Tschador gekleidet.Bei den „Abmive-Giri“, den „Fruchtsaftpres-sen“, werden aus frischen Karotten, Melonen,Orangen, Maulbeeren oder süßen Limonenwohlschmeckende, dickflüssige Säfte gewon-nen. Unter Jugendlichen gilt es indes als schi-cker, aus der Dose das zuckersüße Fruchtge-

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Am Vorplatz des Bahnhofsgebäudes,erbaut 1936 im Stil des Neoklassizis-mus, nimmt die Valy-Asr Allee ihrenAusgangspunkt. Sie ist die prominen-teste Straße der Stadt und führt über17,5 Kilometer Richtung Norden. Der üppig, fast schwülstig dekorierteWartesaal für die Reisenden in der 1. Klasse mag nicht so recht zur nüch-ternen Fassade passen. Die Gewerbequartiere in Süd-Teheran,hier eine Straße westlich des Bahn-hofs bei Qualeh Morghi, gehören zuden produktivsten in ganz Teheran. Bushaltestelle in Rey, im Süden derStadt. Auch im Bus sitzen Männer undFrauen getrennt. Das Warenangebot im 200 Hektargroßen Bazar, einem mit Ziegelkup-peln oder Wellblech überdachten Gas-sengewirr, ist säuberlich nach Produk-ten und Branchen getrennt. Die Mo-lawi Straße bildet östlich der Valy-AsrAlle die südliche Grenze das Bazarbe-reichs. Hier werden, einem Güterver-kehrszentrum ähnlich, fast alle Waren,die nach Teheran ein- oder ausgeführtwerden, umgeschlagen. Nächste Seiten: Stadtplan von Tehe-ran. Gepunktet hervorgehoben dieSüd-Nord-Achse Valy-Asr Allee und dieWest-Ost-Achse Enquelab Straße.

Foto rechte Seite Mitte: Reuters/Mor-teza Nikoubazl

02. Thum Shirazi-imp_ok 14.09.2005 12:42 Uhr Seite 24

tränk Rani oder Zamzam, die iranische Coca-Cola, zu trinken.Auf dem Weg nach Norden, parallel zur Valy-Asr Allee, kommen wir im Bereich der Zita-delle aus dem 18. Jahrhundert am heutigen Re-gierungsviertel mit dem Museum des GolestanPalastes und dem Shams-ol Emare vorbei. Letz-teres wird als erstes Hochhaus der Stadt auf1867 datiert, es hat Ziegelmauern von bis zufünf Metern Dicke. Das weitläufige grüne Vier-tel beherbergt unter anderem den Präsiden-tenpalast und ist auch sonst architektonischsehenswürdig.Danach gelangen wir zum Imam KhomeiniPlatz, einer riesigen, weitgehend dem Verkehrund einem Busbahnhof gewidmeten Fläche.Man wünscht sich jenes ehemalige quajarischeStadtzentrum mit elegantem Wasserbeckenund prächtigen Gebäuden zurück, das damalsKanonenplatz hieß. Auch heute noch bezeich-net man die Gegend als Stadtzentrum, da derBazar, das Regierungsviertel, wichtige Bot-schaften und Ministerien und der Kreuzungs-punkt der Metrolinien sich in der Nähe befin-den. Charme strahlt der Platz aber nicht aus.Statt des klassizistischen Post- und Telegrafen-amtes begrenzt heute eine 15-geschossige Hoch-hausscheibe den Platz im Süden. Auch dasehemalige Rathaus ist verschwunden, einzigdie Bazargani Bank auf der östlichen Platzseiteist noch erhalten. Ihr diagonal gegenüber fin-det man die unprätentiöse, nur an dem gelbenleuchtenden Würfel zu erkennende Metrosta-tion Imam Khomeini.In unmittelbarer Umgebung des Imam Kho-meini Platzes liegen zahlreiche Museen. DasGlas- und Keramik-Museum, ein Wohnhausaus dem 19. Jahrhundert, wurde 1978 von HansHollein umgebaut. Das iranische Nationalmu-seum, auch Iran Bastan genannt, befindet sichin einem großzügigen Gebäude aus dem Jahr1937 von André Godard. Es werden aber enttäu-schend wenig Exponate der persischen Antikeausgestellt, in Relation zur langen GeschichtePersiens kann man sich den geringen Umfangnur mit undurchsichtigen Verlusten an Museenim Ausland und regem Schwarzhandel erklä-ren. Der soeben dezent neu gestaltete MaschghPlatz, der ehemalige Exerzierplatz, wird einge-fasst vom Außenministerium, einem quajari-schen Tor und Kasernen sowie von dem impo-santen ehemaligen Gebäude der Polizei im neo-achämenidischen Stil der dreißiger Jahre. Das

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Eines der selten gewordenen Beispielequajarischer Architektur in Teheran,in der Nasr Khosio Straße nördlich desBazars und südlich des Imam Kho-meini Platzes, der allgemein als dasZentrum Teherans angesehen wird. Der Platz selbst ist ausgesprochen un-charmant, eine riesige, dem Verkehrgewidmete Fläche. Die Gebäude ausquajarischer Zeit sind vollständig ver-schwunden und auch viele klassizisti-sche oder moderne Gebäude aus dendreißiger Jahren. Der Eingang zur Metrostation ImamKhomeini gehört zu den gelungenenBeispielen urbaner Verkehrsarchitek-tur. Das filigrane Stahl-Glas-Dach wirdnach Betriebsschluss zugeklappt. DieStationen selbst sind eher kühl, stetssauber und gepflegt.

Vor dem Stadttheater im Park-e Da-neshju, dem Studentenpark an derKreuzung der Valy-Asr Allee und derEnquelab Straße, finden häufig impro-visierte Freilichtaufführungen statt,bei denen kleine SchauspielgruppenAlltagssituationen im Iran persiflie-ren und Trauben von Schaulustigenanziehen. Wird es nachts angestrahlt,kommen die sich am vorgewölbtenDach verschränkenden Betonsäulenam besten zur Wirkung. Eine iranische Familie kreuzt auf demWeg zum Neujahrsshopping einenBlumenmarkt. Das neue Jahr beginntim Iran am 21. März. Die neue Nationalbibliothek, der ersteBaustein eines riesigen Kulturparksauf dem Abbas Abad Hügel im NordenTeherans, wurde vor wenigen Mona-ten fertig gestellt. Zur umwegigen Pla-nungsgeschichte gehört auch ein in-ternationaler Architekturwettbewerb,den 1978 Meinhard von Gerkan undVolkwin Marg zwar gewonnen hatten,deren Projekt nach der IslamischenRevolution aber nicht zur Ausführungkam.

Foto rechte Seite Mitte: Reuters/Mor-teza Nikoubazl

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letztgenannte Gebäude wird derzeit renoviertund soll in Zukunft dem Außenministerium fürrepräsentative Zwecke dienen. Ein deutscherAußenminister könnte demnächst einen Trep-penaufgang hinaufsteigen, welcher der Anlagevon Persepolis entlehnt ist.Auf dem Weg zurück zur Valy-Asr Allee, circa2,5 Kilometer auf der Imam Khomeini Straßenach Westen, verleitet uns am Hassan AbadPlatz mit seinen neoklassizistischen Fassa-den die Hafez Straße zu einem Exkurs in dieliterarische Vergangenheit, denn Hafez (ca.1320–1390) ist der iranische Nationaldichterschlechthin. Seine Gedichte, versammelt im„Diwan“, werden noch heute von allen Schich-ten und Altersstufen auswendig zitiert und als Orakel für jede Lebenslage befragt – mehrals 600 Jahre nach seinem Tod. Die Doppeldeu-tigkeit aus Liebes- und Weindurst bzw. mysti-scher Wahrheitssuche hatte Goethe so beein-druckt, dass er 1819 seinen berühmten Gedicht-zyklus „West-Östlicher Diwan“ schrieb. Weiter Richtung Norden auf der Valy-Asr Allee.Am Stadttheater erreichen wir die EnquelabStraße, den Kreuzungspunkt der Nord-Süd-und der West-Ost-Achse der Stadt. Auf der En-quelab Straße verlief ehemals die zweite nörd-liche Stadtmauer, welche 1923 von Reza SchahPahlavi niedergelegt wurde.Etwas weiter auf Höhe des Valy-Asr Platzesmachen wir auf unserem Weg nach Norden ei-nen Abstecher zum Boulevar-e Keshavars, zumBauernboulevard, der früher Boulevard Elisa-beth hieß und wo in den sechziger Jahren dasHochhaus des Ministeriums für Landwirtschaftsowie die „Saman Türme“, die ersten Wohn-hochhäuser der Moderne entstanden. In derMitte des Boulevards, zwischen den Fahrbah-nen, fließt Wasser in einem offenen Kanal, dieFußwege werden von gepflegten Grünflächenbegleitet und von Bäumen beschattet.Drei Hochhäuser bilden die südöstliche Kantedes ausgedehnten Park-e Laleh, des Tulpen-parks. Wir sehen Pärchen auf Parkbänken,manchmal korrekt auf Abstand, oft aber rechtinnig im Gespräch. In den Abendstunden nut-zen die Anwohner den Park intensiv für Pick-nick, Volleyballspiel, Inline-Skaten oder Fla-nieren. Auf einer großen Inline-Fläche zeigenJungs und vor allem Mädchen, begleitet vonsehr lauter Popmusik, wirkliches Können. Al-lein schon diese Musik wäre in einer anderenStadt des Iran undenkbar, denn „westliche“

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und dazu auch noch laute Musik ist offiziellverboten. Die beiden Museen am westlichen Parkrand,das Museum für Moderne Kunst von KamranDiba und das Teppich-Museum, beide aus densiebziger Jahren, sind architektonisch ebensosehenswert wie ihre Sammlungen. Auf der Valy-Asr Allee etwa drei Kilometernach Norden zum Vanak Platz. Abbas Abad,ein hochwertiges und teures Büroviertel, indem alle wichtigen Firmen mit ihrem Haupt-sitz vertreten sind, lassen wir rechts liegen.Das ehemalige Dorf Vanak, das heutige VanakViertel, hat seine verwinkelte Struktur beibe-halten. Es wird wegen seines Klimas als Wohn-lage geschätzt, da noch relativ viele der ur-sprünglichen Grünflächen erhalten gebliebensind. Letzthin wurden in Teheran viele Parkan-lagen im Süden geschaffen, gleichzeitig aberwurde die aufgelockerte Bebauung im Nordenmit ihren großen Gärten stark verdichtet.Östlich vom Park-e Mellat, einem attraktivenVolkspark, erstreckt sich Richtung Osten eineschicke Wohngegend. Im Jaâm-e-Jam Food-court, in dem an kleinen Tresen, wie in eineramerikanischen Food-Mall, sündhaft teuresausländisches Essen angeboten wird, ist foto-grafieren verboten. Das dürfte vor allem daranliegen, dass hier top-modisch gekleidete jungeDamen (und einige Herren) bei Cappuccinound Zigarette ihren Nachmittag mit Müßiggangverbringen. Solch ein top-modisches Outfit – Hose verkürzt bis zur Wadenmitte, Riem-chensandalen, die obligatorischen Mäntelchenknallbunt und eng anliegend, das Kopftuch amHaaransatz und im Nacken sehr knapp – siehtman in Teheran zwar auch andernorts, abernirgendwo so konzentriert wie hier. Übrigensliegen die Bodenpreise um den Vanak Platz bei1500–2000 Euro pro Quadratmeter.Nördlich des Geländes des staatlichen Fernseh-und Radiosenders verlassen wir die Valy-Asrund fahren auf der Chamran Stadtautobahnam Internationalen Kongresszentrum vorbei,das für die Konferenz der islamischen Staaten(dem G8-Gipfel vergleichbar) in nur sechs Mo-naten Bauzeit nach einem Entwurf des Archi-tekten Yahya Fiuzi errichtet wurde.Südlich der Stadtautobahn befindet sich – noch– die Internationale Messe, die gegebenenfallsnach Norden verlagert werden soll. Wir nut-zen die Gelegenheit und besuchen die Tehera-ner Buchmesse 2005. Deutschland ist mit ei-

nem etwa 30 Quadratmeter großen Stand ver-treten – Schwerpunktthema Fußball. An derEinmündung der Evin Straße ragt das HotelAzadi auf, ebenfalls ein architektonisches Groß-projekt des Schah, um ausländische Gäste insLand zu locken, und südlich davon zwei Wohn-anlagen, die von der halbstaatlichen Gesell-schaft „Atisaz“ gebaut wurden. 1974 wurdendie von schwedischen Architekten geplantendreieckigen Hochhausscheiben mit ausgetüf-telten Grundrissen und hohem Wohnkomfortbegonnen, gerade in der Phase der Fertigstel-lung sind sechs strenge weiße Türme.Wir fahren nach Norden und an der ShahidBeheschti Universität vorbei, wo neben Medi-zin auch Architektur und Stadtplanung unter-richtet wird. Westlich blicken wir auf die rie-sige Anlage des Evin-Gefängnisses, welcheswegen der vielen inhaftierten Journalisten undOppositionellen als das intellektuelle Zentrumdes Iran bezeichnet wird. Entlang des FlussesDarakeh, einer der sieben das Stadtgebiet glie-dernden Wasserläufe, gelangen wir auf etwa1800 Meter Höhe zu einem der Naherholungs-gebiete Teherans. Weiter östlich fahren wir von Velenjak mit der Seilbahn noch weiter hin-auf in die Berge. Bereits beim ersten Halt ha-ben wir einen phantastischen Blick über diegesamte Stadt. Beim Abstieg zum Tajrish Platzstoßen wir wieder auf die Valy-Asr Allee, diehier ihren nördlichen Endpunkt hat.

Von Westen nach Osten

Neben der prägenden Nord-Süd-Achse der Valy-Asr Allee mit ihrem topografisch wie gesell-schaftlich unterschiedlichen Charakter gibt eseine West-Ost-Achse, an der wichtige Funktio-nen des modernen Teheran liegen. Sie mar-kiert für die Teheraner die Grenze zwischenNord- und Süd-Teheran und nimmt ihren Aus-gang am Meydane Azadi, dem Platz der Frei-heit. Er bildet mit seinem Freiheits-Monumentsozusagen das Eingangstor zur Stadt, wennman vom westlich gelegenen, alten FlughafenMehrabad darauf zufährt. Dieses Wahrzeichenwird elliptisch von 5000 Quadratmetern Grün-fläche und zwei breiten Straßenringen einge-fasst. Der 50 Meter hohe, skulpturale weißeTurm in einer Mischung aus antik-sassanidi-scher und moderner Formensprache ist beklei-det mit 20.000 Steinplatten in fast eben so vie-len Zuschnitten. Nachts ist er nur spartanisch

Eingang zur Teheran Universität ander Enquelab Straße. Hier studieren32.000 junge Menschen, mehr als 50Prozent von ihnen sind Frauen. Wernicht eingeschrieben ist, braucht einebesondere Genehmigung, um das Ge-lände betreten zu dürfen. Noch findetdas traditionelle Freitagsgebet aufdem Campus statt. Die neue Freitags-moschee, eine gigantische Anlage für vier- bis fünfhunderttausend Gläu-bige, ist in Nord-Teheran im Bau, vonder Stadtautobahn aus dominierendas Stahlgerüst des Rohbaus und diebeiden riesigen Minarette die Stadtsil-houette. Rechts hinter dem Bauplatzliegt der Abbas Abad Hügel, auf demder so genannte Kulturpark angelegtwerden soll. Bereits 1974 begann die halbstaatli-che Gesellschaft Atisaz mit dem Bauzweier Wohnkomplexen in Nord-Tehe-ran. Schwedische Architekten entwar-fen als ersten Bauabschnitt drei abge-schrägte Hochhausscheiben mit aus-getüftelten Grundrissen. Sechs Wohn-türme, die kurz vor der Fertigstellungstehen, werden das Ensemble ganz im Geist moderner Stadtplnung kom-plettieren.

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beleuchtet – 1971 unter dem Schah erbaut, be-deutet er den Machthabern der IslamischenRepublik offensichtlich wenig, denn auch dasunterirdische Museum, das große Auditoriumim Innern und die Aussichtsplattform sind ge-schlossen. Das Bauwerk, entworfen von Hos-sein Amanat, soll die 2500-jährige Geschichtedes Persischen Reiches und die Größe und dieSchönheit des Landes symbolisieren.Der Freiheitsplatz bildet den Auftakt zu derzehn Kilometer langen West-Ost-Achse des zunächst zehnspurigen Azadi Boulevards mit getrennten Fahrbahnen für Langsam- undSchnellfahrer und später der Enquelab Straße(Straße der Revolution). Aufgereiht entlangdieser Achse befinden sich vier Universitäten,viele Kinos, Parks, der Platz der Revolutionund der Ferdowsi Platz. Auf dem Azadi Boule-vard passieren wir zunächst die Sharif Uni-versität, die beste Technische Hochschule desLandes mit 8000 Studenten. Wir kreuzen dieNavab Schnellstraße und gelangen zum Enque-lab Platz, der nicht zuletzt wegen seiner vierKinos der beliebte Treffpunkt der Studentender Teheran Universität ist. Dort studieren32.000 junge Menschen, davon sind mehr als50 Prozent Frauen. Kleine spezialisierte undbis unters Dach vollgestopfte Buchläden bie-ten den Studenten ein schier unerschöpflichesAngebot. Ab hier heißt unsere Achse Enque-lab Straße, etwas weiter östlich findet sich dasehemalige Diana-Kino, jetzt Sepide genannt.Erbaut wurde es in den dreißiger Jahren nacheinem Entwurf des Architekten Vartan Hava-nessian, der in Paris studiert und bei HenrySauvage gearbeitet hat.Der Bereich der Kreuzung mit der Nord-Süd-Achse Valy-Asr Allee bildet einen wichtigenkulturellen Schwerpunkt der Stadt. Hier liegendie Freie Universität Teheran, das Elitegymna-sium Alborz, erbaut von Nikolai Markow, dieTechnische Universität Amir Kabir mit 6400Studenten, das Teheraner Opernhaus Talare-Rudaki von 1977 und der Park-e Daneshju – der „Studenten Park“ mit dem Stadttheater.Insbesondere des Nachts sind die schlankenBetonsäulen des Stadttheaters, die sich amvorgewölbten Dach ineinander verschränken,schön anzuschauen, ein optischer Genuss inSachen zeitgenössischer Architektur, der inTeheran, zugegebenermaßen, selten ist. Häufigfinden hier auch Freiluft-Aufführungen statt,bei denen kleine Schauspielgruppen Alltags-

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Page 6: Abbas Shirazi, Christina Thum Streifzüge durch TeheranSchnee bedeckt ist, nahe dem höchsten Berg im Land, dem Damavand mit einer Höhe von 5671 Metern. Von einem der letzten Ausläufer

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situationen karikieren und sich Trauben vonSchaulustigen bilden.Weiter auf der Enquelab Straße erreichen wirden Ferdowsi Platz, der von stattlichen Gebäu-den im Stil der Moderne umstanden ist. DerPlatz selbst wird, wie eigentlich alle Plätze derStadt, vom Verkehr dominiert. Im Inneren desVerkehrsstroms liegt ein Wasserbecken mit derStatue des Dichters Ferdowsi (940–1020), derals Retter der persischen Sprache, des Farsi,verehrt wird. Die arabische Schrift wurde nachder Eroberung des Perserreiches im Jahre 642zwar übernommen, die arabische Sprache je-doch nicht, anders als in Ägypten. Ferdowsischrieb 35 Jahre lang an den 50.000 persischenVersen des Königsbuches „Schahname“, dasoft mit dem Gilgamesch-Epos verglichen wird.Es ist zugleich Geschichtsbuch und Inkunabeldes Persischen. Bei einem Schlenker nach Süden kann mandas riesige Gelände der Englischen Botschaftabgehen – es sind ungefähr zwei Hektar –,das flächenmäßig bei weitem von der russi-schen Botschaft überboten wird. An der Kreu-zung Ferdowsi und Jomhuri Straße findet dieschlichte Form des Geldhandels statt, mit Dol-larverkäufern und Wechselstuben. Hier wer-den aber auch Antiquitäten, Münzen und Brief-marken gehandelt. Dominiert wird die Kreu-zung vom ersten kommerziellen Hochhaus derStadt, dem „Plasko“, in dessen Einkaufspas-sage seit den sechziger Jahren schicke Klamot-ten verkauft werden.Auf der Südseite liegen die Deutsche und dieTürkische Botschaft friedlich nebeneinander.Als Deutscher schmunzelt man vielleicht ange-sichts der Kutsche-e Berlan (der Berlin-Gasse),was deren Wichtigkeit als Einkaufsgasse abernicht schmälert. Hier zeugen auch die Bank-eMelli und die Bank-e Markazi von der Baukul-tur der dreißiger Jahre. Ein paar Blocks weiterRichtung Osten auf der Jomhuri Straße stoßenwir auf die Metro-Station Saadi. Mit der Metro-linie 1 könnten wir nun nach Norden ca. 6,5Kilometer bis zur derzeitigen Endstation Mir-damad fahren oder gen Süden Richtung Bazarund Bahnhof. Die Gestaltung der Metro-Statio-nen ist von unterschiedlicher Qualität. Manch-mal sind die Eingänge plumpe postmoderneKonstrukte, manchmal filigrane Stahl-Glas-Dä-cher, die nachts einfach zugeklappt werden.Unterirdisch wirken die Stationen meist rechtkühl und sind immer sehr sauber. Weiter öst-

lich, am Baharestan Platz, liegt das älteste undderzeit dritte Parlamentsgebäude. In dem Ge-bäude aus quajarischer Zeit nahm die ersteVolksvertretung 1906 ihre Arbeit auf, nun istes Parlamentsbibliothek. Seit 2004 sind die299 Abgeordneten in einem pyramidenförmi-gen Gebäude untergebracht, das inmitten ei-ner Wasserfläche Reminiszenzen an die Bi-bliothek von Alexandria weckt. Gebaut wurdeder Komplex von mehreren iranischen Archi-tekten, die Außenanlagen von Hadi Mirmiran,die Fassadengestaltung von Behrooz Ahmadiund das Gebäude selbst von Polmir Architek-ten. Vom Dach der angrenzenden Moschee Sepah Salar hat man einen ausgezeichnetenBlick auf dieses Ensemble wie auch auf die im Norden aufsteigenden kargen Flanken desAlborz-Gebirges. Nach 1,5 Kilometern Taxifahrt sind wir wiederauf der Enquelab Straße und dann mit demImam Hussein Platz am Ende der West-Ost-Achse angelangt. Der Platz hat durch seinezweigeschossige homogene Ziegelarchitektureine einheitliche und ruhige Wirkung.Wir fahren nun in einem großen Bogen nörd-lich des Zentrums herum wieder RichtungWesten zurück: Nach fünf Kilometern passie-ren wir das Narmak Viertel, genauer gesagtdas Quartier Chaharsad Dastgah, Teherans ersten sozialen Wohnungsbau. In den sechzi-ger Jahren wurden hier 400 Wohnhäuser aufschmalen Parzellen errichtet, angeordnet incharakteristischen kleinen Blöcken mit je ei-nem Quartiersplatz. Von der Stadtautobahn Resalat sehen wir denRohbau der neuen Freitagsmoschee, eine rie-sige Anlage für vier- bis fünfhunderttausendGläubige. Nördlich dieser Baustelle wird der-zeit auf dem Abbas Abad Hügel ein riesen-großer Kulturpark angelegt, die darin gelegeneNationalbibliothek ist vor wenigen Monateneröffnet worden. Entlang der den Park queren-den Stadtautobahn Modarres hat man einenwunderbaren Blick hinauf und hinunter in die Stadt. Die Modarres ist ein Beispiel dafür,wie man durch das Zusammenspiel von Land-schaftsplanung, Gartenkunst und Verkehrs-architektur, wenn man sie denn einmal so zu-sammendenkt, auch schöne Autobahnen schaf-fen kann. Weiter nach Westen. Nördlich der Stadtauto-bahn, zwischen den Flüsschen Darakeh undPunak, liegt das Viertel Sharak-e Gharb, eine

Am Milad Tower, dem zukünftigenFernsehturm Teherans, wird seit zehnJahren gebaut. Er steht am Rande desPardisan Parks und soll noch diesesJahr fertig gestellt werden, mit Res-taurant und Aussichtsplattform inschwindelerregender Höhe. Am Fußedes Turms liegt das Viertel Amir Abad,dahinter erheben sich die Flanken des Alborz-Gebirges. Am 17. Juni 2005, am Tag der Präsi-dentschaftswahl, wartet ein iranischerMann vor einem Wahllokal der Tehe-ran Universität. In seinem Pass, mitdem er sich bei der Wahl legitimierenmuss, bewahrt er eine Art Heiligen-bild mit zwei Porträts, dem des Revo-lutionsführers und Gründers der Isla-mischen Republik Iran, Ayatollah Kho-meini, und dem des heutigen religiö-sen Führers des Landes, Ayatollah AliKhamenei.

Foto unten: Reuters/Damir Sagolj;Fotos, sofern nicht anders angegeben:Abbas Shirazi, Stuttgart

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Ansiedlung der siebziger Jahre mit hohem Ein-kommensniveau, vielgeschossigen Wohntür-men und Shopping-Malls. Hier gibt es derzeitPläne für ein „Ati-Center“, einen multifunktio-nalen Gebäudekomplex, dem der PotsdamerPlatz in Berlin Pate stehen soll. Gegenüber aufder Südseite wird seit zehn Jahren der Milad-Turm gebaut, der zukünftige Fernsehturm derStadt mit Restaurant und Aussichtsplattformin 315 bzw. 437 Metern Höhe, welcher noch indiesem Jahr fertig gestellt werden soll. Darananschließend liegt der Park-e Pardisan, dender Schah als größten Park Asiens mit Nach-bildungen der fünf Klimazonen der Erde aus-bauen wollte. Die Anlage existiert erst seit eini-gen Jahren, derzeit nur mit einigen Wildtier-Gehegen und savannenartigem Bewuchs, aberin der ursprünglich geplanten Größe.Weiter im Westen können wir exemplarischSiba Shar und Shahran als Wohngegenden dergehobenen Mittelklasse besichtigen, die abden achtziger Jahren entstanden sind. Es sindzumeist drei- bis viergeschossige Mehrfamili-enhäuser, mit hellem Stein verkleidet und zu-gänglich über einen introvertierten Hof.Wir wollen zurück zum Ausgangspunkt derOst-West-Achse, zum Platz der Freiheit, wen-den uns nach Süden und fahren am Azadi Stadion vorbei. Wer im Herbst 2004 das Fuß-ballspiel Deutschland–Iran im Fernsehen ver-folgt hat, konnte sich von den über 100.000 –auch für die deutsche Mannschaft – begeister-ten männlichen Fans beeindrucken lassen.Die riesige Sportanlage wurde anlässlich derAsiatischen Olympischen Spiele 1974 von Ab-dolaziz Farmanfarmaian gebaut. Ab hier er-strecken sich unterhalb der Autobahn Tehe-ran–Karaj riesige Industriegebiete. Iranchodro,der nationale Autoproduzent, baut dort rund450.000 Fahrzeuge im Jahr. Wir fahren weiterRichtung Osten, Richtung Imam Khomeini Air-port. Vor uns liegt das beeindruckende Wohn-bauprojekt „Ekbatan“. Es wurzelt in den sieb-ziger Jahren, derzeit wird sein letzter Bauab-schnitt fertig gestellt. Die bis zu zwölfgeschos-sigen Scheiben sind durch strenge Fenster- undBrüstungsbänder gegliedert, skulptural faszi-nierend und gleichzeitig bedrohlich. Durch dieFrontscheibe des Taxis rückt das Freiheits-denkmal am Meydane Azadi Platz wieder insBlickfeld.

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