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Schulfernsehen Absolutismus 1. Die Stände im barocken Bayern Ein Film von Andreas Poteschil Beitrag: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer Inhalt Bayern und Barock - nicht nur für Tourismusma- nager ist diese Paarung das weißblaue Dream- team schlechthin. Auch Kunsthistoriker feiern das 17. und 18. Jahrhundert gerne als Bayerns gol- denes Zeitalter. Nicht ohne Grund. In den knapp hundert Jahren nach dem Ende des Dreißigjähri- gen Krieges schwingen sich Architektur, Malerei und Plastik zu Gipfelleistungen auf, die das Bild Bayerns bis heute prägen. Politisch und ökonomisch geht es ebenfalls berg- auf: 1623 erlangen die bayerischen Herzöge die Kurfürstenwürde, Maximilian I., der Große Kur- fürst, saniert die durch Schulden und das Kriegs- geschehen zerrütteten Staatsfinanzen. Sein Sohn Maria Ferdinand erbt ein Vermögen, das ihm erlaubt, sich an Reichtum und Prunkentfal- tung mit allen europäischen Höfen zu messen. Absolutismus und frühmoderner Staat Die Zeit der kulturellen Blüte des Barock fällt auch in Bayern mit einer Entwicklung einer Staats- und Regierungsform zusammen, die als Absolutismus bezeichnet wird. Gestützt auf die gestärkte Eigenständigkeit ihrer Territorien, wei- ten die Landesherrn ihre Machtfülle kontinuierlich aus. Im Streben nach absoluter Souveränität ver- © Bayerischer Rundfunk 1

Absolutismus 1. Die Stände im barocken Bayern · Ein wesentliches Kennzeichen ist der Versuch ... Bündnisse einzugehen und selbständig Kriege zu führen. ... So, wie er sich selbst

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Absolutismus1. Die Stände im barocken Bayern

Ein Film von Andreas PoteschilBeitrag: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer

Inhalt

Bayern und Barock - nicht nur für Tourismusma-nager ist diese Paarung das weißblaue Dream-team schlechthin. Auch Kunsthistoriker feiern das 17. und 18. Jahrhundert gerne als Bayerns gol-

denes Zeitalter. Nicht ohne Grund. In den knapp hundert Jahren nach dem Ende des Dreißigjähri-gen Krieges schwingen sich Architektur, Malerei und Plastik zu Gipfelleistungen auf, die das Bild Bayerns bis heute prägen.

Politisch und ökonomisch geht es ebenfalls berg-auf: 1623 erlangen die bayerischen Herzöge die Kurfürstenwürde, Maximilian I., der Große Kur-

fürst, saniert die durch Schulden und das Kriegs-geschehen zerrütteten Staatsfinanzen. Sein Sohn Maria Ferdinand erbt ein Vermögen, das ihm erlaubt, sich an Reichtum und Prunkentfal-tung mit allen europäischen Höfen zu messen.

Absolutismus und frühmoderner Staat

Die Zeit der kulturellen Blüte des Barock fällt auch in Bayern mit einer Entwicklung einer Staats- und Regierungsform zusammen, die als Absolutismus bezeichnet wird. Gestützt auf die

gestärkte Eigenständigkeit ihrer Territorien, wei-ten die Landesherrn ihre Machtfülle kontinuierlich aus. Im Streben nach absoluter Souveränität ver-

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schieben sie dabei nach und nach die traditionel-len Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten und lei-ten strukturelle Veränderungen ein, die an die Schwelle des modernen Staates führen: Sie ent-machten die bislang mitregierenden Landstände, in denen sich der Adel, die Prälaten und das Bür-gertum als Körperschaft die Möglichkeit der politi-schen Teilhabe geschaffen haben. Zugleich re-formieren sie die Verwaltung, vereinheitlichen die Rechtssprechung, greifen in die Wirtschaft ihrer Länder ein und schaffen die Ansätze einer nicht mehr auf persönlichen Treueverhältnissen, son-dern auf Recht, Gesetz und effizienter Bürokratie gegründeten, territorial fest umrissenen Staatlich-keit.

Die Kehrseite der Prunkmedaille

Allem Aufbruch, aller Modernisierung und aller Prachtentfaltung zum Trotz hat jedoch auch das goldene Zeitalter seine Schattenseiten. Während die Bürger in den Städten allmählich zu einem moderaten Wohlstand gelangen und einige rei-che Kaufleute sogar die Lebensweise des Adels imitieren können, fristet die überwiegende Mehr-heit der Bevölkerung ein eher karges Dasein in weitgehender Unmündigkeit: 96 Prozent aller Bauern sind materiell und rechtlich von einem Grundherrn abhängig. Sie unterliegen seiner Ge-

richtsbarkeit, entrichten horrende Abgaben und leisten unbezahlte Arbeitsdienste. Ein großer Prozentsatz lebt in Leibhörigkeit. Da Bayern erst 1771 eine allgemeine Schulpflicht erlässt, steht es um die Bildung der Bauern denkbar schlecht. Die wenigsten können lesen und schreiben, Dä-monen- und Hexenfurcht sowie abergläubische Praktiken sind weit verbreitet. Der von vielen Geistlichen zusätzlich geschürte Hexenwahn ist ein Ausfluss dieses eklatanten Bildungsmangels.

Bürger und Bauern: Die ungeschriebene Ge-schichte Bayerns

Während die Künstler- und Herrscherbiografien des absolutistischen Bayerns meist gut doku-

mentiert und breit beschrieben sind, bleiben die Lebensumstände des „einfachen Volks“ weitge-hend im Dunkeln. Erst in den letzten Jahren be-müht sich die Forschung vermehrt darum, neben dem Glanz des Barock auch die Kehrseite zu würdigen. Damit kommt sie einer Forderung des großen bayerischen Kunsthistorikers Herbert Schindler nach, der wiederholt angemahnt hatte: „Was wir heute brauchen, ist weniger Verklärung als Aufklärung und Erhellung des Barock.“

Fakten

1. Das Zeitalter des Absolutismus Begriff und Erscheinungsformen

Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts und ver-stärkt nach dem Ende des Dreißigjährigen Krie-ges lässt sich in Europa die Entwicklung einer Staats- und Regierungsform beobachten, die als Absolutismus bezeichnet wird.

Aufgrund räumlich sowie zeitlich sehr unter-schiedlicher Abläufe und Erscheinungsformen ist der Begriff unter Historikern umstritten. Unbe-schadet der offenen Forschungsdebatte lassen sich dennoch einige Grundzüge des absolutisti-schen Fürstenstaates skizzieren.

Die Auflösung der landständischen Verfas-sung

Ein wesentliches Kennzeichen ist der Versuch des Landesherrn, das traditionelle Kräfteverhältnis des spätmittelalterlichen und frühneuzeitli-chen Ständestaates zu überwinden. Die-ses gesamteuropäi-sche, feudale Ord-

nungsgefüge, das sich seit dem 13. Jahrhundert herausgebildet hat, kennt zwei Hauptakteure: Einen Pol bildet der Landesherr, der aufgrund seines Geburtsrechtes und zugesicherter Ho-heitsrechte die Landeshoheit besitzt. Ihm stehen zum anderen die Landstände gegenüber, die in einem langwierigen historischen Prozess weitge-hende Freiheitsrechte errungen haben und an der Regierung mehr oder minder stark beteiligt sind.

Die Ständegesellschaft des 17. Jahrhunderts

Die Landstände setzen sich zusammen aus dem Adel, der grundbesitzenden hohen Geistlichkeit

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(Prälaten) sowie den Städten und Märkten. Die Standeszugehörigkeit wird durch die Geburt be-stimmt, weshalb ein sozialer Aufstieg nahezu ausgeschlossen ist. Die Bauern, obwohl sie den überwiegenden Großteil der Bevölkerung stellen, sind in diesem Ständesystem nicht repräsentiert und von der Mitwirkung am politischen Gesche-hen ausgeschlossen.

Das Ringen um politische Teilhabe

Seit dem 15. Jahrhundert treten die auch als „Landschaft“ bezeichneten Landstände in so ge-nannten Landtagen zusammen, die allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern ausschließlich vom Landesherren einberufen werden. Zu den wesentlichen und politisch wirksamen „Freihei-ten“ der Landschaften zählen das Recht der Steuerbewilligung, die selbständige städtische Steuerverwaltung sowie das Recht, Beschwer-den vorzutragen (Gravimana) und Lösungen ein-zufordern. Vor allem im Recht der Steuerbewilli-gung verfügen die Stände über ein äußerst wirk-sames Druckmittel, das ihnen erlaubt, den Lan-desherren zu kontrollieren und ihre politische Be-teiligung zu sichern. In vielen Fällen versuchen sie zudem, Einfluss auf die Besetzung der fürstli-chen Behörden, auf die Gesetzgebung und die Bündnispolitik des Landesherrn zu nehmen.

Frühformen absolutistischer Herrschaft

Aus dieser Konstellation ergibt sich ein ständiges Ringen um die Macht, das die Landesherren seit

Beginn des 17. Jahrhunderts zu-nehmend, wenn auch nie vollstän-dig, zu ihren Gunsten entschei-den. Als probates Werkzeug erweist sich dabei unter

anderem die Möglichkeit, nicht mehr den Ge-samtlandtag, sondern lediglich leichter lenkbare Ausschüsse einzuberufen. Diese allmähliche Verschiebung des Kräfteverhältnisses, die immer mehr staatliche Kompetenzen und Zuständigkei-ten in der Hand des Fürsten bündelt, ist ein cha-rakteristisches Merkmal der absolutistischen Epoche zwischen 1648 und 1789.

Aufstieg der Landesherren

Das Streben nach einer Ausweitung der landes-herrlichen Freiheiten erfährt nicht zuletzt durch die Bestimmungen des Westfälischen Friedens einen erheblichen Auftrieb. Die Regelungen der

Friedensordnung begünstigen zwei Entwicklun-gen: Zum einen wird die Souveränität der fürstli-chen Landeshoheit bestätigt und erweitert. Die Landesherren haben nun das Recht, selbständig Bündnisse einzugehen und selbständig Kriege zu führen. Zudem zwingt ein 1654 verabschiede-ter Reichstagsbeschluss die Landstände, alle notwendigen Summen für die Reichs- und Kreis-auflagen automatisch zu bewilligen.

Der Aufbau des frühmodernen Beamtenstaates

Zugleich mit der schrittweisen Entmachtung der Stände baut der Landesherr ein auf seine Be-dürfnisse zugeschnittenes, unmittelbar ihm un-terstelltes und von ihm kontrolliertes Verwal-tungssystem auf. Um die zahlreichen neuen Staatsaufgaben vor allem in Verwaltung und Jus-tiz zu bewältigen, braucht der Fürstenstaat bes-tens ausgebildete, motivierte und loyale Beamte. Als Amtsträger der fürstlichen Behörden fungie-ren dabei vorwiegend bürgerliche Juristen, deren Zahl seit Beginn des 17. Jahrhunderts stetig zu-nimmt. Wer sich im Dienst für den Herrscher be-währt, kann in den Adelsstand erhoben werden und so eine der extrem seltenen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs über die Standesgrenzen hinaus nutzen. In diesen - vom Altadel allerdings nicht anerkannten - neuen Briefadel steigen seit dem Dreißigjährigen Krieg auch mehr und mehr verdiente bürgerliche Offiziere auf. Anzumerken ist allerdings, dass nobilitierte Bürgerliche einen Adel zweiter Klasse darstellen, dem wesentliche „Edelmannsfreiheiten“ wie etwa die niedere Ge-richtsbarkeit versagt bleiben.

Die Wirtschaftspolitik des Fürstenstaates

Die Einkünfte des Landesherrn beschränken sich im Wesentlichen auf die Erträge seines eigenen Grundbesitzes und die Abschöpfung der Regali-en. Zu diesen gewinnträchtigen Hoheitsrechten zählen insbesondere Münz-, Zoll- und Marktrech-te oder Gerichtsgelder. Da die Eigenmittel der Fürsten zur Finanzierung von Kriegen, größeren Baumaßnahmen oder Infrastrukturerneuerungen nicht ausreichen, sind viele Landesherren chro-nisch überschuldet und auf teuer erkaufte, zu-sätzliche Steuerbewilligungen durch die Landta-ge angewiesen.

Um das Geld für den Aufbau stehender Heere, des Beamtenapparates und die gesteigerten Re-präsentationskosten ohne weitere Zugeständnis-se an die Landschaften aufzubringen, versuchen viele Landesherren, neue Einkommensquellen zu erschließen, die sie von der ständischen Be-willigung unabhängig machen.

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Ökonomische Steuerungsinstrumente

Zur Erhöhung ihrer Staatseinkünfte greifen sie erstmals lenkend in die Wirtschaft ihrer Territori-en ein (Merkantilismus). Ein probates Instrument ist dabei die strategische Förderung des Handels und der gewerblichen Produktion. Dies geschieht zum einen durch eine gezielte Zollpolitik, die Ein-fuhren verteuert, Ausfuhren verbilligt (Schutzzoll-politik) und binnenstaatliche Zollschranken ab-baut. Ein zweites Mittel besteht in der Errichtung von Manufakturen, die durch gesonderte Privile-gien und staatlich garantierte Monopole begüns-tigt werden, außerhalb der Zunftordnung stehen und die Produktion durch arbeitsteilige Verfahren rationalisieren. So entstehen unter anderem Go-belin-, Glas-, Leder- oder Woll- und Baumwoll-manufakturen, die im – freilich nicht immer reali-sierten - Idealfall reichliche Steuergelder in die Staatskassen spülen.

Repräsentation und inszenierte Herrschaft

Ein bezeichnender Zug des absolutistischen Zeit-alters ist der Hang zu einer gesteigerten architek-

tonischen und zeremoniellen Prachtentfal -tung. Der Herr-scherhof wird zum Gesamt-kunstwerk ei-ner durch alle Künste zu-

gleich gestützten, sinnfälligen Darstellung fürstli-cher Macht. Prunkvolle Bauten, weitläufige Gar-tenanlagen, triumphale Einzüge, rauschende Feste, Theater-, Oper- und Ballettaufführungen haben neben ihrem ästhetischen Wert vor allem eine Funktion: Sie setzen das Gottesgnadentum, die Heiligung, Bedeutung und Machtfülle des Herrschers in Szene. So sind Statuen, Decken-bilder und Gemälde, die bevorzugt Götter und Heroen des antiken Mythos abbilden, weit mehr als schmückendes Beiwerk. Für eine Kultur, die wie keine andere darin geübt ist, das Sichtbare als Repräsentation, als wiederholte Darstellung unsichtbarer Wirklichkeiten und Gesetze zu le-sen, ist die gebaute, gemalte, gemeißelte Bot-schaft überdeutlich: In den Taten, im Ruhm und Glanz der antiken Helden- und Götterwelt entwirft der Fürst ein Bild seines Selbstverständnisses, seines Ranges, seiner Tugenden und Vorrangstellung.

Der appolinische Fürst

So, wie er sich selbst als ein neuer Apoll, neuer Herkules, neuer Zeus/Jupiter sieht und begreift,

will er auch von seinem Hofstaat und seinen Un-tertanen gesehen und begriffen werden. Dieser Zweck einer programmatischen Repräsentation des Fürstenideals prägt auch viele der gewalti-gen Schlossbauten des absolutistischen Zeital-ters: Sie sind körperhaft mit allen Sinnen erleb- und begehbare Vergegenwärtigungen der abso-lutistischen Herrschaftskonzeption. Ihr Aufriss, der über außen gelegene Stallungen, Gesinde-trakte, Adelsappartements, Privatkabinette, Staatsräume und wuchtige Treppenhäuser kon-zentrisch auf den zentralen Thronsaal zu-läuft, spiegelt den idealtypi-schen Aufbau einer Gesell-schaft, die sich konzentrisch um den im Mittelpunkt stehenden Fürsten gruppiert.

Das Hofzeremoniell: Die Pantomime der Macht

Ähnliche Funktionen erfüllt das höfische Zeremo-niell. Durch exakt beschriebene, niemals beliebi-ge und immer gleich ausgeführte Handlungen fungiert das Zeremoniell als gestisch-program-matische Repräsentation der Herrschaftsidee und des sozialen Gefüges der Zeit. Im Grunde, so schreibt der Kunsthistoriker Hermann Bauer, entsteht im Zeremoniell ein System „geregelter Kulthandlungen, das den Herrscher fortwährend

als irdischen Stellvertreter Gottes“ inszeniert. Die Ritualisierung seines Tagesablaufes ist an liturgi-sche Vorbilder angelehnt und spiegelt so „das immerwährende Schauspiel von der Herrschaft des Vertreters Gottes“.

Eine wichtige Funktion der zeremoniellen Statu-ten besteht darin, die Nähe bzw. Distanz zum Herrscher zu regeln und alle Glieder des Hofes auf den ihnen zukommenden Rang zu stellen. Damit erlaubt das Zeremoniell eine dramatur-gisch genau durchdachte, gleichsam szenische und unaufhörlich wiederholte Einübung in die ge-sellschaftliche und politische Realität des Fürs-tenstaates.

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Hermann Bauer fasst die wichtigsten Elemente des Herrscherzeremoniells so zusammen:• Der hierarchisch eingeteilte Hofstaat ist auf die

zentrale Person des Herrschers ausgerichtet. Dieser Hofstaat aber unterstützt nicht den Herrscher in seinen Regierungsgeschäften, sondern dient allein seinen persönlichen Be-dürfnissen.

• Der Tagesablauf des Herrschers ist so bedeut-sam geworden, da durch ihn eine höhere Wirklichkeit repräsentiert wird. Weil jede Per-son auf diese Weise in einem Rollenspiel, bes-ser in einer Repräsentation, befindlich ist, also nicht sich selbst, sondern etwas anderes ver-tretend darstellt, konnte auch die geringste Kleinigkeit gewichtig sein.

• Das Bild einer hierarchischen Pyramide mit dem Herrscher an der Spitze beinhaltet eine Distanzierung dieses Herrschers. Die Audienz muss somit zwangsläufig zu einem Weg wer-den, so wie umgekehrt ein Wunsch des Herr-schers nur über Distanzen erfüllt werden kann.

• „Diensteifer“ (Servilität) und „Herablassung“ haben theatralische Züge angenommen, sie werden jeden Tag neu eingespielt, um den ei-gentlichen Charakter, nämlich ihren metapho-rischen, zu erweisen.“

Hermann Bauer: Zeremoniell und Repräsentation. In: Barock – Kunst einer Epoche. Berlin [Reimer] 1992. S. 147-181, hier S. 154.

Potestas absoluta – Grundzüge absolutisti-scher Machtentfaltung

Idealtypisch, so die Historikerin Dagmar Feist „lässt sich der Absolutismus als eine Herrschafts-form bezeichnen, die gekennzeichnet ist von der absoluten Souveränität - potestas absoluta - des

Herrschers. [...] Die Kennzeichen absoluter Herr-schaft sind die Zentralisierung von Herrschaft, Bürokratisierung, Merkantilismus, Staatskirchen-tum, Verrechtlichung und Vereinheitlichung des Rechts, Arrondierung des Staatsgebiets durch eine expansive Außenpolitik, der Aufbau eines stehenden Heeres und schließlich eine aufwendi-

ge Hofführung. Die Grundlage derartiger Verall-gemeinerungen sind detaillierte Untersuchungen zu strukturellen Veränderungen seit dem ausge-henden 16. Jahrhundert, die die historische For-schung für eine Reihe europäischer Staaten und Territorien nachgewiesen hat. Konkret beziehen sich diese strukturellen Veränderungen auf admi-nistrative Neuerungen durch den Ausbau eines kronabhängigen Verwaltungsapparats, die diri-gistische Ankurbelung der Staatswirtschaft mit der intendierten Steigerung der Exporte, die Un-terordnung der Kirche unter den Staat, die Schaffung eines einheitlichen Rechtsraumes und die Zentrierung der Legislative auf den Herr-scher, Kriegsführung zur Vergrößerung und Ab-sicherung des Staatsgebietes und der Aufbau ei-nes stehenden Heeres verbunden mit der Ein-führung neuer Kriegstechniken, der Uniformie-rung sowie der Institutionalisierung von Ausbil-dung, Besoldung und Versorgung der Soldaten.

Diese strukturellen Veränderungen führten all-mählich zu einer Zurückdrängung traditioneller Herrschaftsträger, insbesondere des Adels und zum Aufstieg eines neuen Typus von Amtmann, dem frühmodernen Beamten, der in der Regel aus dem aufstrebenden Bürgertum stammte und eine universitäre Ausbildung genossen hatte. Be-gleitet wurden diese Veränderungen von teilwei-se heftigen Auseinandersetzungen zwischen Krone und Ständen, die bürgerkriegsähnliche Ausmaße annehmen konnten. [...] Der absolute Herrschaftsanspruch des Fürsten zeigte sich schließlich im Bau prunkvoller Schlösser, einer Streng am Zeremoniell orientierten Hofhaltung, der Förderung von Kultur und Wissenschaft im Dienste des Fürsten und der Entwicklung einer Herrschafts-lkonographie. [...]Dagmar Feist: Absolutismus. Darmstadt [Wissen-schaftliche Buchgesellschaft] 2008. S. 24f.

2. Von Gottes Gnaden Herzog in Obern und Nidern Bayern

In Bayern leitet Kurfürst Maximilian I. (1573-1651) den Übergang zum Absolutismus ein. Als „Fürst der Zeitenwende“ ist er beständig be-strebt, seine Befugnisse auszuweiten und die Mitherrschaft der Landstände auszuschalten.

Mit der Einführung des Landrechts für Ober- und Niederbayern (1609) treibt der Kurfürst die Schaffung eines einheitlichen und geschlosse-nen Rechtsgebietes voran. Er schränkt das Mit-wirkungsrecht der Landstände bei der Gesetzge-bung ein, beschneidet das ständische Steuerbe-willigungsrecht, vergrößert das Heer, beruft bür-

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gerliche, bestens ausgebildete Beamte in die re-formierte und gestraffte Landesverwaltung und saniert die zerrütteten Staatsfinanzen durch Sparsamkeit und den geschickten Ausbau der Salz- und Braumonopole (Salinen- und Weißbier-monopol).

Oculus domini saginat equum

Als Herrscher von Gottes Gnaden übt der Fürst ein rigoros gehandhabtes Aufsichtsrecht über die Kirche aus, verankert den Katholizismus als „Staatsreligion“ und kontrolliert darüber hinaus je-des Detail des unter seiner Ägide angewachse-nen Landeshaushalts persönlich. Die Mehrung der Staatseinkünfte, die durch die Schulden sei-nes Vorgängers und die Verwüstungen des Drei-ßigjährigen Krieges aufgebraucht sind, ist ein vordringliches Ziel seiner Finanzverwaltung. Da-bei geht es ihm nicht um die persönliche Berei-cherung, sondern um den Erhalt der fürstlichen Autorität und Handlungsfähigkeit, die allein das Gemeinwohl sichern kann. Denn „ein fürst, so nit bei diser itzigen bösen welt reich ist, der het khein auhtoritet noch reputation und wo dise zwey nit sein, da muss das publicum bruchen leyden“. Maximilians Kurs einer strikten Haus-haltsdisziplin, einer effektiven Finanzaufsicht und gezielten Einkommenssteigerung bewährt sich glänzend. Der Kurfürst trägt nicht nur den im-mensen Schuldenberg seines Vaters ab, son-dern häuft einen in ganz Europa neidisch bewun-derten Staatsschatz an. Das Erfolgsrezept fasst Maximilian in einem eigenhändigen Brief an die spanische Königin knapp zusammen: „Mich hat mörkhlich geholffen ein steiffes propositum, alle unnotwendikheiten abzustellen, item dass ich selbs zu meinen sachen gesehen, die rechnun-gen selbs gelesen, und was ich für mengl dabei gefunden, geandet, bericht genommen, der sa-chen remediert, auch den mittlen, das einkhom-men debito modo [in geschuldeter Weise] zu ver-bössern, selbst nahgedacht; und ist in hac mate-ria das sprichwort ganz wahr: oculus domini sa-ginat equum [Das Auge des Herrn lässt ein Pferd gedeihen].“

Die Stände schaffen sich ab

Maximilians Nachfolger setzen diesen Weg, wenn auch nicht durchwegs erfolgreich, aber ebenso konsequent fort. 1669 findet die Befrei-ung des Fürsten von der ständischen Mitregent-schaft ihren Abschluss. In diesem Jahr wird die Landschaft das letzte Mal zu einem Gesamtland-tag einberufen. Da nur knapp die Hälfte der ins-gesamt 567 stimmberechtigten Angehörigen des Adels, der Prälaten und der Bürgerschaft er-

scheint und die Versammelten obendrein heillos zerstritten sind, vertagt sich der Landtag, ohne Beschlüsse zu fassen. Bevor die Stände ausein-andergehen, setzen sie einen ständigen Land-schaftsausschuss, die so genannte Landschafts-verordnung, ein. Dieser Ausschuss wird ermäch-tigt, bis zur nächsten Vollversammlung des Landtags eigenständig über die Steuerbewilli-gung zu entscheiden und dem Fürsten alljährlich bis zu 200.000 Gulden zu gewähren. Da das Gremium praktisch unabhängig agiert, sich als leicht lenkbar erweist und der Fürst obendrein die Einberufung eines neuen Landtags nach Be-lieben hinausschieben kann, hat sich die Stände-körperschaft letztlich selbst abgeschafft. Denn obwohl er de iure weiterbesteht, ist der Landtag durch die organisatorische Neuordnung de facto bedeutungslos geworden. Mit diesem Erlöschen der Stände als Einfluss nehmender Kraft hat der Fürst nun erstmals die plenitudo potestatis, also die alleinige Verfügungsgewalt über Gesetzge-bung, Verwaltung und Politik, in seiner Hand ver-einigt.

Ein zweites Versailles vor den Toren Mün-chens

Die Epoche des Absolutismus führt auch in Bay-ern zu einer gesteigerten fürstlichen Prachtent-faltung durch repräsentative Bauten. Das bewun-derte Vorbild, dem nicht nur die bayerischen Re-genten nacheifern, ist Ludwig XIV. von Frank-reich. Die Hof-haltung des Sonnenkönigs, seine Staats-auffassung und schließlich sei-ne Selbstdar-stellung sind das moderne Muster, an dem alle europäischen Fürstenhöfe Maß nehmen.

Versailles: Die Matrix der Machtenentfaltung

Vor allem das seit 1678 kontinuierlich zur größ-ten und glanzvollsten Schlossanlage Europas

ausgebaute Versailles wurde zur Kopiervorla-ge zahlreicher Schlös-ser und Residenzen. Neben Schönbrunn in Wien und der Würzbür-ger Residenz bezieht

sich auch der 1701 unter Kurfürst Maximilan II. Emanuel (1662-1726) begonnene Bau des Neu-

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en Schlosses in Schleissheim ausdrücklich auf die französische Vorgabe. Um ein zweites Ver-sailles vor den Toren Münchens zu schaffen, bot

der Blaue Kur-fürst enorme Summen und die besten Künstler Bayerns auf. Al-lerdings brems-ten politische Wirren und Geld-mangel den Hö-

henflug des Wittelsbachers, der Kaiser werden wollte, empfindlich aus. Von der ursprünglich ge-planten monumentalen Vierflügelanlage konnte bis zum Bauende im Jahr 1719 nur der Hauptflü-gel realisiert werden.

Bayern: Land der Kirchen und Klöster

Zugleich mit der Profanarchitektur erlebt auch der Kirchen- und Klös-terbau einen immen-sen Aufschwung. Zu den wichtigsten, noch heute weit über Bay-ern hinaus bekannten Meistern der Epoche gehören die als Bild-hauer, Stuckateure, Maler und Architekten tätigen Brüder Cosmas Damian Asam (1686–1739) und Egid Quirin Asam (1692–1750), die sich nicht zuletzt mit der von ihnen erbauten und nach ihnen benannten Münchner Asamkirche ein unvergängliches Denkmal geschaffen haben.

3. Adel, Bürger, Bauern, Wilderer Leben im Absolutismus

Heute leben annähernd 12,5 Millionen Menschen in Bayern, das sind mehr als zwölf Mal so viel wie vor 250 Jahren. Um 1650 zählte das Land nicht ganz eine Million Einwohner. Mit etwa 500

Familien machte der Adel den geringsten Bevö lkerungsante i l aus, besaß aber 25 Prozent des bewirt-schafteten Bodens. Wer nicht zum neuen

Briefadel, sondern zu den alteingesessenen, mit allen Rechten der vollen „Edelmannsfreiheit“ aus-gestatteten Familien gehörte, genoss eine Reihe wichtiger Privilegien, darunter das Recht auf die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit und weit-gehende Abgabenfreiheit, da der Adel, zumin-

dest für Erträge aus den unmittelbar bewirtschaf-teten Gütern, keine Steuern entrichten musste.

Unterm Krummstab ist´s gut leben

Der zweite große Herrschaftsträger im Land wa-ren die Prälatenklöster. 1648 besaß der Präla-tenstand (Bischöfe, Äbte) rund 50 Prozent der bayerischen Bauerngüter, 1760 waren es durch den Ankauf überschuldeter Adelsgüter bereits 56 Prozent. Die Klöster waren eigenständige Herr-schaften. Sie übten grundherrliche Rechte aus, verfügten über eine eigene Gerichtsbarkeit und finanzierten sich, wie der Adel, durch die Erträge ihrer vielen Grundherrschaften. Ein wesentlicher Einkommensfaktor waren bäuerliche Pflichtabga-ben wie der an bestimmten Jahrestagen fällige Klosterzehnt. Darüber hatten die Prälaten, auch hierin dem Adel gleichgestellt, Anspruch auf kör-perliche Dienstleistungen (Hand-, Spann- und Schardienste) ihrer abhängigen Bauern und Dör-fer. Die Handdienste verpflichteten den abhängi-gen Bauern dazu, bestimmte manuelle Arbeiten zu verrichten. Im Rahmen seiner Spanndienste musste er Zugtiere einspannen sowie Geschirre und Fuhrwerke stellen, um Transportarbeiten (Baumaterial, Holz) zu erledigen. Die Schar-dienste als weiterer Herren- oder Frondienst be-zogen sich auf Weide- und Ackerarbeiten, die in

genau geregeltem Turnus und Umfang zu erbrin-gen waren.

Stadtluft macht (teilweise) frei

Die städtische Bevölkerung machte je nach Re-gierungsbezirk (Rentamt) zwischen 12 Prozent (Rentamt Burg-hausen) und 24 Prozent (Rent-amt München) der Gesamtbe-völkerung aus. Wer in einer Stadt oder einem Markt lebte, war zwar frei von jeglicher Grundherrschaft, unterlag aber dennoch einer strengen Disziplin. Zum einen waren die Stadt-, Markt- und Zunftordnun-

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gen einzuhalten, zum anderen Steuern und Ab-gaben zu leisten. Dazu kam in vielen Fällen die Verpflichtung, in der Bürgerwehr zu dienen oder bei der Brandbekämpfung zu helfen.

Der Erwerb des vollen Bürgerrechts war vielfach an den Nachweis eines ausreichenden Vermö-gens oder eines Hauses gebunden. Das Gros der Stadtbürger stellen Handwerker und Gewer-betreibende, die der Kontrolle durch das Zunft-system unterlagen. Die Schicht wohlhabender Kaufleute und Händler, die es sich leisten konn-ten, adlige Lebens- und Umgangsformen zu imi-tieren, war auch in reichen Städten verschwin-dend gering. Die städtische Unterschicht bildeten Tagelöhner, Stadtarme und Bettler, die auf frei-willige Hilfsleistungen angewiesen waren und keinerlei politische Mitwirkungsrechte hatten.

Du sehr verachter Bauernstand

Der überwiegende Teil der bayerischen Bevölke-rung waren Bauern. Nur die wenigsten der 115.000 bäuerlichen Familien, etwa 4 Prozent, bewirtschafteten eigenes Land. Das Gros (rund

96 Prozent) war in vielfacher Weise rechtlich, fi-nanziell und existenziell von einem Grundherren (Kurfürst, Adel, Kirche) abhängig.

Drückende Steuerlasten

Wer nicht auf eigener Scholle saß, musste unter-schiedlichste Abgaben an einen Zehnt- oder Grundherrn entrichten, die bis zu vier Fünftel der Arbeitsträge betragen konnten. Zudem waren die Bauern zu regelmäßigen Herrendiensten (Hand- und Spanndienste) verpflichtet. Da die verschie-denen Rechte oftmals auf unterschiedlichste Herrschaften verteilt waren, ergab sich ein äu-ßerst komplexes Geflecht dinglicher sowie leibli-cher Schuldigkeiten und Pflichten. Über diese materielle Abhängigkeit hinaus hatten manche Bauern zudem einen Leibherrn, der weitreichen-de Rechte über ihr Leben, ihren Aufenthaltsort sowie ihre Eheschließung geltend machte und überdies beim Tod eines Leibeigenen einen Teil des Erbes beanspruchte. Dieses System der

Leibhörigkeit bestand bis zur Bauernbefreiung im 19. Jahrhundert.

Auch die unmittelbare Rechtspflege oblag dem Grundherrn. Er übte die niedere Gerichtsbarkeit aus, die geringere Alltagsdelikte durch Geldbu-ßen oder so genannte Leibstrafen wie den Pran-ger oder den Schandpfahl ahndete. Die Verfol-gung schwer wiegender Delikte und insbesonde-re schwere Leibstrafen wie Inhaftierung, Folter oder gar Hinrichtung war jedoch den so genann-ten Hochgerichten vorbehalten.

Herrenwillkür und Bauernelend

Zu den Vorrechten des Grundherrn gehörte au-ßerdem das exklusive Fischerei- und Jagdrecht. Die Bauern durften weder für den eigenen Be-darf jagen oder fi-schen und muss-ten auch die Ver-wüstung ihrer Felder durch grundherr l i che Jagdpartien hin-nehmen. Sie hat-ten noch nicht einmal das Recht, das Wild von ihren Feldern zu vertreiben oder gar abzuschießen, wenn es die Saat vernichtete, die Ernte schädigte oder Schösslinge verbiss. Zuwiderhandlungen galten als Wilderei und wurden schwer, in manchen Fällen auch mit dem Tode, bestraft.

Geisterfurch und Aberglauben

Da in Bayern erst 1771 eine allgemeine Schul-pflicht erlassen wurde, stand es um die Bildung der Bauern denkbar schlecht. Die wenigsten konnten lesen und schreiben, Dämonen- und Hexenfurcht sowie abergläubische Praktiken wa-

ren weit verbreitet. Der von vielen Geistlichen zusätz-lich geschürte Hexenwahn ist ein Ausfluss dieses ekla-tanten Bildungsmangels. Zwischen 1618 bis 1624 und in einer zweiten Woge zwischen 1628 bis 1630 forderte die Hexenverfol-gung auch in Bayern zahl-

reiche Todesopfer. Schätzungen zufolge wurden in Süddeutschland rund 9000 Menschen hinge-richtet. Erst nachdem Kurfürst Maximilian I. im Jahr 1630 auf ein Verbot des Treibens der He-xenverfolger hinwirkte und eine gemäßigte Linie bei den Hexenprozessen einforderte, ebbte der kollektive Spuk allmählich ab.

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4. Der Bairische Hiasl – Volksheld oder ge-meiner Dieb und Mörder?

Hungersnöte, Notwehr gegen überhandnehmen-de Wildschäden wie auch der Drang, gegen grundherrliche Willkür und Gängelung aufzube-gehren, führten vor allem im frühen 18. Jahrhun-dert zu einem starken Anwachsen der Wilderei. Die drakonische Verfolgung und Abstrafung ge-fasster Wilddiebe zeitigte zwei Ergebnisse: Zum einen wurden verfolgte Wilderer in die Illegalität und Kriminalität abgedrängt, zum anderen avan-cierten sie zu bewunderten Volkshelden, die durch eine reiche Legendenbildung, Moritaten und immer mehr ausgeschmückte Geschichten zu Rebellen gegen eine erdrückende Obrigkeit stilisiert wurden.

Ein Outlaw in Lederhosen

Ein Paradebeispiel für diese Entwicklung liefert Matthias Klostermayer, der als „Bairischer Hiasl“ im bairisch-schwäbischen Grenzland jahrelang

Furore mach-te. Am 3. S e p t e m b e r 1736 in Kis-sing geboren, wurde er zu-nächst Jagd-gehilfe und Aufseher bei den Mergent-hauer Jesui-

ten, bevor er diese Stellung aus nichtigen Anlass verlor. Nachdem er sich einige Zeit als Bauern-knecht verdingt hatte, brachte er sich schließlich als Wilderer durch. Einige Bauern sollen ihn so-gar für die Dezimierung des Wildbestandes be-zahlt haben, der beträchtlichen Schaden auf ih-ren Feldern anrichtete. Sein immer dreisteres Vorgehen zwang die Obrigkeit zum Handeln. Klostermayer wurde gefasst und zu neun Mona-ten Zuchthaus verurteilt. Als ihm anschließend eine Stelle als kurfürstlicher Jäger angetragen wurde, schlug Klostermayer das Angebot aus. Er scharte verschiedene Wilderer- und Räuberban-den um sich, die der Legende nach einen Teil ih-rer Beute unter den Armen verteilten. Die Wahr-

heit sah allerdings etwas anders aus. Im Laufe seiner „Karriere“ wurden dem „Hiasl“ und seinen Gefährten zwölf gewaltsame Überfälle, acht Landfriedensbrüche und neun Totschläge zur Last gelegt. Mehrere Jahre konnte der Banden-führer, der stets unmaskiert auftrat und gegen

jede Kugel gefeit schien, sein Unwesen nahezu ungehindert treiben, weil ihn die Bevölkerung mit Nahrung versorgte, vor Strafexpeditionen warnte und versteckte.

Blutiges Ende in Dillingen: Ein warnendes Exemplum wird statuiert

Das unrühmliche Ende kam im Januar 1771, als

rund 300 Soldaten den Unterschlupf der Bande umstellten. Nach vier Stunden heftigster Gegen-wehr konnte das Aufgebot den Bairischen Hiasl und seine Gefährten schließlich überwältigen. Das mehrere Monate tagende Gericht verurteilte ihn zum Tod auf dem Schafott. Am 6. September wurde das Urteil auf der Donaubrücke in Dillin-gen vollstreckt.

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Didaktiktische Hinweise

Die Sendung kann im Kunst-/GSE- und Geschichtsunterricht ab der 7. Jahrgangsstufe eingesetzt werden.

Lehrplanbezüge (Bayern)

Hauptschule

7. JahrgangsstufeGSE7.5 Der Absolutismus7.5.1 Der absolutistische Staat- Ludwig XIV. – ein absoluter Herrscher- Stützen der Macht, z. B. Heer, Beamtenapparat7.5.2 Gesellschaft und Kultur im barocken Bayern im 17. und 18. Jahrhundert- Stellung und Lebensweise unterschiedlicher sozialer Gruppen- regionale barocke Kultur: ausgewählte Beispiele aus Kunst und Brauchtum

Kunst7.3 Von Künstlern der Renaissance und des Barock: Lebensbilder

Realschule

8. JahrgangsstufeGeschichte8.1 Europa und die frühneuzeitliche StaatenbildungDer Absolutismus am Beispiel Frankreichs - Grundlagen der führenden Rolle Frankreichs; die Entwicklung der neuen Staatsauffassung - Hof und Etikette als Herrschaftsinstrumente Ludwigs XIV. - Ausbau einer effektiven Wirtschaft und einer zentralen Verwaltung - Erweiterung und Sicherstellung der französischen Hegemonie in EuropaVielfalt und Einheit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation - Rechts- und Friedensordnung (Reichstag, Reichskreise, Reichsgerichte) - föderale Struktur8.2 Prägung Europas durch Barock und AufklärungKunst im Dienst von Kirche und Staat - Barock als Ausdruck religiösen Empfindens und kirchlicher Macht - Barock als Mittel fürstlicher Selbstdarstellung und HerrschaftDer Alltag des Menschen in der vorindustriellen Gesellschaft - die ständische Ordnung - Leben und Arbeiten

Kunst8.3 Das Gesamtkunstwerk im Barock- das Zusammenwirken von Architektur, Malerei und Plastik als Ausdruck des barocken Gesamtkunstwerks - gesellschaftliche Hintergründe - höfisches Leben als Inszenierung - Architektur: wesentliche Stilmerkmale - Raumillusion: Verbindung von Malerei, Plastik und Licht

Gymnasium

7. Jgst.Geschichte7. Vom Mittelalter bis zum Absolutismus7.4 Die Zeit des Absolutismus

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- Grundzüge des Absolutismus am Beispiel Frankreichs - Absolutismus am landesgeschichtlichen Beispiel, z. B. Kurfürstentum Bayern, Hochstift Würzburg - der Barock und seine repräsentative Funktion, z. B. in Architektur, Malerei, Literatur, Musik

Lernziele

Die Schülerinnen und Schüler sollen• die Grundzüge des absolutistischen Herrschaftssystems sowie die Formen, Mittel und Ziele seiner

Machtkontrolle kennen lernen;• den Absolutismus als Vorform und Wegbereiter des modernen Staates verstehen;• Einblicke in den Aufbau, die Bedeutung und Lebensweisen der ständischen Gesellschaft erhalten;• höfische Prachtentfaltung und Zeremoniell als programmatische Inszenierung des fürstlichen

Selbstverständnisses begreifen;• das Zusammenwirken von Architektur, Malerei und Plastik als Ideal des barocken

Gesamtkunstwerks erkennen;• mit wichtigen Akteuren und Etappen der absolutistischen Entwicklung in Bayern vertraut sein.

Anregungen

Bayern hat ein flächendeckendes Netz von Heimatpflegerin/-innen, die ihr Amt im öffentlichen Auftrag ausüben. In den Bezirken kümmern sich hauptamtliche Bezirksheimatpfleger/-innen bzw. Kulturreferate um die regionale Kultur. Die Landkreise, Kreisfreien Städte und Großen Kreisstädte bestellen – in der Regel ehrenamtlich tätige – Heimatpfleger/-innen (Stadt- und Kreisheimatpfleger), die wiederum vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege und den Bezirksheimatpfleger/-innen unterstützt und beraten werden. Über dieses durch Verordnung festgelegte System hinaus haben viele Gemeinden kulturell aktive Menschen zu Ortsheimatpfleger/-innen bestellt.

Um sich in ihrer unmittelbaren Umgebung auf die Suche nach Spuren des absolutistischen Zeitalters zu machen, können die Lehrkraft oder die Schüler das engmaschige Netzwerk der bayerischen Heimatpflege in Anspruch nehmen. Dazu können Sie einen Heimatpfleger oder eine Heimatpflegerin zu einer Fragestunde oder einem Vortrag in den Unterricht bitten, eine gemeinsame Exkursion durchführen oder zur Vorbereitung bzw. im Rahmen eines Klassenbesuchs direkt mit eventuell verfügbaren Archivalien arbeiten.

Weitere Informationen, Denkanstöße, Kontakte und Ansprechpartner bietet die Homepage des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. unter http://www.heimat-bayern.de/index.php/zeige/startseite

Arbeitsaufträge / Beobachtungsaufgaben

Vor der gemeinsamen Betrachtung des Films können Beobachtungsaufgaben entweder an einzelne Schüler/innen oder an Arbeitsgruppen verteilt werden.

Folgende Arbeitsaufträge und Fragestellungen bieten sich dabei an:

• Zunächst erhalten die Schüler und Schülerinnen den Auftrag, mithilfe eines Wörterbuchs oder Lexikons die Bedeutung des Wortes „absolut“ zu definieren.

• Aufgrund dieser Vorarbeiten überlegen sie gemeinsam, was der Begriff „Absolutismus“ bedeuten könnte. Die Ergebnisse werden auf der Tafel gesichert.

• Die Schüler und Schülerinnen überlegen, welche gesellschaftlichen Gruppen zur Zeit des Barock existieren und werden mit dem Begriff der Ständegesellschaft vertraut gemacht. Nun erhält eine Gruppe den Auftrag, während der Filmbetrachtung festzuhalten, was über den Adel, die Geistlichkeit, die Bürger ausgesagt wird. Eine zweite Gruppe sammelt alle Aussagen über die Situation der Bauern. Eine dritte Gruppe wird angewiesen, Aussagen über die Stellung und Befugnisse des Fürsten festzuhalten. Anschließend werden die Beobachtungen gesammelt und auf der Tafel zu einer ersten Absolutismusdefinition zusammengeführt.

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Die Schüler erhalten den Auftrag, im Internet oder in Büchern nach Bildern absolutistischer Herrscher zu suchen. Die gefundenen Bilder können im Klassenverband anhand folgender Leitfragen interpretiert werden:• Wie wirkt die Darstellung der gezeigten Persönlichkeit(en)?• Wie will (wollen) die gezeigte(n) Persönlichkeit(en) wahrscheinlich selbst auf den Betrachter

wirken?• Welchem Stand gehört die gezeigte(n) Person(en) an?• Welche Anzeichen der Macht sind auf dem Bild zu erkennen und warum werden sie dargestellt?• Wie viele Personen sind auf dem Bild dargestellt, wie sind gruppiert, wer steht im Zentrum?• In welcher Umgebung ist die gezeigte Person (sind die gezeigten Personen) dargestellt?• Welche Rückschlüsse auf das Herrschaftsgefüge und das Staatsverständnis lassen sich aus den

Beobachtungen ziehen?• Wie stimmen die Befunde mit dem Wort „absolut“ und dem Begriff „Absolutismus“ überein?• Welche Funktion soll das Kunstwerk erfüllen?• Warum kann man angesichts dieser Befunde von „Repräsentation“ oder einer „repräsentativer

Kunst“ sprechen?

Nach dieser ersten Analyse könnte die Klasse das Bild eines absolutistischen Herrschers mit dem Bild eines zeitgenössischen Politikers vergleichen und die wesentlichen Unterschiede formulieren. Dabei können folgende Leitfragen helfen:• Worin bestehen die größten Unterschiede?• Wie wollen absolutistische Herrscher und wie wollen zeitgenössische Politiker auf den Betrachter

wirken?• Wie unterscheiden sich die Umgebungen und die umgebenden Menschen?• Welche Aussagen lassen sich aufgrund dieser Beobachtungen über die Unterschiede zwischen

dem absolutistischen Staat und dem modernen Staat der Gegenwart treffen?• Inwiefern sind beide Bilder typische Repräsentationen der jeweiligen Staats- und

Gesellschaftsauffassung?

Literaturhinweise

Hermann Bauer: Barock – Kunst einer Epoche. Berlin [Reimer] 1992. ISBN 3-496-01095-9.

Wolfgang Behringer (Hg.): Hexen und Hexenprozesse in Deutschland. München [dtv] 2000. ISBN 978-3-423-30781-9.

Heinz Duchhardt: Das Zeitalter des Absolutismus. München [Oldenbourg Verlag] 1989. (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd.11. ISBN 3-486-47741-3.

Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. Das Haus und seine Menschen. Dorf und Stadt. Religion, Magie, Aufklärung. 3 Bde. München [Verlag C. H. Beck] 2005. ISBN 3 406-53914-9.

Dagmar Feist: Absolutismus. Darmstadt [Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 2008. (= Kontroversen um die Geschichte. ISBN 978-3-534-14724-3

Andreas Kraus: Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München [Verlag C. H. Beck] 21988. ISBN 3-406-09398-1.

Walter Rummel, Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Darmstadt [Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 2007. (= Wissen kompakt. ISBN 978-3-534-19051-5.

Links

http://www.hdbg.de/polges/pages/kap5a.htmBayern im Zeitalter des Fürstlichen Absolutismus. Kurzer historischer Abriss auf den Seiten des Hauses der Bayerischen Geschichte.

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