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ADOLESZENZ – MAGERSUCHT

Ein trifokaler systemischer Ansatz für die Therapie im stationären Setting

Dr. Kurt Ludewig © Münster

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Herbst 2015 Dr. K. Ludewig 2

Adoleszenz-Magersucht:„Hungern aus Liebe“

• Einleitung • Teil I Ein nützliches Verständnis• Teil II Ein „trifokales“ Programm

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Dr. K. Ludewig 3Herbst 2015

Spezielle Literatur zum Thema

Systemische Therapie mit JugendlichenRotthaus, W. (Hrsg.)(2001): Systemische Kinder- und

Jugendlichenpsychotherapie. Heidelberg (Auer-Systeme).

ExternalisierungWhite, M., D. Epston (1990): Die Zähmung des Monsters.

Heidelberg: Auer.

Trifokales Konzept zur stationären Magersuchtstherapie

Ludewig, K. (1999): Der Kampf der Giganten. In: Vogt-Hillmann & W. Burr (Hrsg). Kinderleichte Lösungen. Dortmund (Borgmann).

Ders. (2004): „Plan schlägt Geist“. In: Psychotherapie im Dialog 5: 24-31

Ders. (2005): „Plan schlägt Geist“. In: Schindler, H. & A.v.Schlippe (Hrsg.): Anwendungsfelder systemischer Praxis. Dortmund (Borgmann).

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Ausgangslage

Übliche Probleme stationärer Therapie verstärkt durch starkes Anwachsen der Inanspruchsnahme:

a.Gefahr der Kontextreplizierung Notwendigkeit, einen für alle akzeptablenKontext herzustellen

b. Belastung und Uneinigkeit der Mitarbeiter Notwendigkeit, eine für alle erleichternde

Standard-Prozedur einzusetzen

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Adoleszenz - Magersucht

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Adoleszenz-Magersucht

Vorkommen der Magersucht (1999)

• Beginn: meistens im Alter zwischen 14 und 18 Jahren.

• Prävalenz: 1-3% aller Frauen zwischen 12-20 J.; dabei 95-5% weiblich/männlich.

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Diagnostische Leitlinien ICD 101. Körpergewicht

15% Mindergewicht bzw. BMI 17,5 (bei Jugendlichen je nach Alter niedriger)

2. Selbst induzierter GewichtsverlustVermeidung hochkalorischer Speisen, Erbrechen, Abführen, übertriebene körperliche Aktivität, Appetitzügler, Diuretiker...

3. Psychische AuffälligkeitenUnrealistisches Körperbild, phobische Angst vor Dicksein, niedriges Gewichtsziel, Niedergeschlagenheit...

4. Somatische Störungen v.a. endokrine Störungen5. Verzögerung/Hemmung der pubertären Entwicklung

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Aus der Forschung - Prognose I

Prognose nach einer Therapie: < nach Längstschnitterhebungen aus den 1990er Jahren>• 30 % bis 35% vollständige/partielle Besserung

ca. 19-25% chronische Verläufe bis zu 10% tödliche Verläufe (meistens an den Folgen) ca. 50% dauerhaftes gestörtes Eßverhalten• Ca. 50% bleibende unklare Komorbidität (v.a.

affektive undAngststörungen, Alkoholabhängigkeit usw.) (Unter Ausschluß von Komorbidität nur ca. 21% "gesunde" Frauen nach einer anorektischen Phase).• Nach 33 Jahren noch bei 5% die spezifische

Kernsymptomatik; eine Besserung nach 12 Jahren wird immer unwahrscheinlicher.

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Teil I

Elemente für ein pragmatisch nützliches Verständnis

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• Bindungen: unüblich stark; man fühlt die Gefühle des anderen, denkt dessen Gedanken usw. oft sozial isolierte Familien

• Individualität ist wenig ausgeprägt, das Wir-Erlebnis global, diffus.

• Konflikte und Versöhnung sind selten; Harmonie dominiert• Ablösung bevorstehende oder vollzogene Trennungen lösen

Beunruhigung und Schuldgefühle aus• Nahrungsverweigerung bündelt die Aufmerksamkeit und

Kommu- nikation der Familie, alles andere gerät in den Hintergrund.

• Dialoge, die alternative Lösungen erarbeiten könnten, sind ungeübt oder blockiert.

Die Familien - Beobachtungen

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Eine oft zufällig entstandene oder durch Diätreduktion herbeigeführte Abmagerung ruft in der Familie heftige Emotionen hervor und bindet alle um ein unkontrollierbares Thema.

Dies verstärkt zunächst die Bindungen und mildert so die mit denTrennungsversuchen einhergehenden

Schuldgefühle. Die alarmierten Eltern greifen kontrollierend ein und

konsolidieren dabei die thematische Einengung unwillkürlich mit.

Konstanz: Gegenseitige Entwertungen und Anklagen, Wutausbrüche, Geschwisterstreitigkeiten und versuchte Abwendungen klingen meistens ohne anhaltende Veränderungen wieder ab.

Die eheliche Beziehung der Eltern kann verfestigend wirken, wenn z.B. die Mutter-Kind-Dyade ohne Alternative bleibt.

Auf dem Wege zur Magersucht

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Magersucht wird hier verstanden als Folge...

- eines missglückten Versuchs der Ablösung (Lebensbewältigungsaspekt),

- vor dem Hintergrund eines erschwerten Übergangs vom Kind zum Erwachsenen

- und der Entwicklung eines immer biologi-scher werdenden Suchtverhaltens.

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Magersüchtiges Verhalten bei Adoleszenten:

• ist wie jedes Verhalten ein Versuch, eine Lebenslage zu meistern Lebensproblem

• folgt nicht zwangsläufig auf spezifische biographische oder sonstige Vorerfahrungen Eigenartigkeit

• entsteht meistens bei Übergängen im Lebenszyklus und setzt gewisse “Begabungen” (= Vulnerabilität) beim Kind und seinen Eltern voraus Problemsystem

Bausteine für ein pragmatisch nützliches Verständnis der Magersucht I

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Unterhaltende Aspekte u.a.: Sucht. Unmittelbare Spannungsreduktion sowie

biologischer Kreislauf von Nahrungsverweigerung und Unterernährung.

Selbstwert-Gewinn. Enorme Leistung mit bedeutsamen Folgen, auf die nur schwer verzichtet werden kann

Konstanz. Emotionale und thematische Einschränkung des Familienlebens; Kind und Eltern können den Kreislauf von Sorge, Ärger und Schuld von selbst nicht verlassen

Ressourcen. Fähigkeit zur Überwindung hängt einzeln und familiär mit der prämorbiden Anpassung zusammen.

Ausnahme: Als zielgerichtet (sich durchsetzen, Abwehr von Miss-handlung usw.) folgt Hungern zumeist einer anderen Dynamik.

Bausteine für ein pragmatisch nützliches Verständnis der Magersucht II - Stützende Aspekte

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Die Adoleszenz-Magersucht – ein multifaktorielles Geschehen

Somatische AspekteInteraktionelle Aspekte

Psychische Aspekte

Magersucht = für die Betroffene ist

ein komplexes Lebens-problem im Kontext familiärer Bezüge

Für die Familie ist es ein regelrechtes Problemsystem

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Da die Magersucht somatische, psychische und familiäre Aspekte bündelt, sollte die Therapie trifokal sein:

Unterernährung unter Kontrolle bringen,

Kind helfen, Ressourcen zu aktivieren und Selbstwert zu bessern,

Familie helfen, ihre Lebenssituation auf weniger leidvolle Weise zu bewältigen.

Bausteine für ein pragmatisch nützliches Verständnis der Magersucht III - Fazit

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Teil II

Bausteine der Therapie:

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i. Theoretische/methodische Exkurse a) Konzeptionell: Leitdifferenz von Lieben und Liebe

b) Methodisch:

Die Externalisierungs-Technik

ii. Das „trifokale“ Behandlungsprogramm

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Elemente

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Konzeptioneller Exkurs: Lieben und Liebe

Wichtiger Aspekt der Sozialisation:

Die Leitdifferenz von Lieben und Liebe

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Konzeptioneller Exkurs: Lieben / Liebe - These 1

These 1. Lieben ist eine primäre Emotion© Lieben ist eine im Menschen angelegte

Emotion, d.h. eine Bereitschaft, auf andere gerichtet zu empfinden und zu handeln.

© Lieben ist ein spontanes, grundloses und unerlern- bares Ausgerichtetsein auf andere Menschen.

© Lieben liegt also an der Basis von Sozialisation und ist somit ein konstitutives Merkmal menschlicher Lebens- und Seinsweise.

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Konzeptioneller Exkurs: Lieben / Liebe - These 2

These 2. Liebe ist sozialisiertes Lieben© Liebe ist ein interaktionelles Phänomen,

das im Respekt vor der Individualität und Autonomie des anderen entsteht.

© Liebe setzt die Synthetisierung aufeinander bezogener „Konzepte“ von ICH und DU, also ein differenziertes WIR voraus.

© Liebe resultiert als soziales Phänomen aus der Koordination des Liebens zwischen autonomen Menschen.

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Konzeptioneller Exkurs: Lieben / Liebe - Fazit -

• Lieben geht in Liebe über, wenn es an die Autonomie des Anderen stößt

und sich, um die Bindung zu erhalten, koordinieren muss.

• Erst wenn beide Beteiligte sich als eigenständig erleben, findet Individuierung statt, und es entsteht ein Verhältnis von Ich und Du.

• Die Ungewissheit über die Autonomie des ge- liebten Anderen kann aber spätestens ab der Pubertät die weitere Individuierung erschweren.

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„Hungern aus Liebe“oder:

die Vermeidung von Individuierung, um den geliebten Anderen nicht zu gefährden.

Adoleszenz-Magersucht

Ein Familiendrama in 3 Akten

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Vorspann

Die Magersucht tritt in Familien auf, in denen bekanntlich Harmonie herrscht.

Distanzierende und versöhnliche Erfahrungen, anhand derer Kind und Eltern lernen können, Nähe und Distanz zu regulieren, finden selten statt.

Hungern aus Liebe - (1)Ein Drama in wenigen Akten

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1. AktDie in Zeiten des Übergangs mit Individuation einhergehenden Trennungen werden, da bislang wenig erprobt, als destruktiv erlebt; dies impliziert existenziellen Stress. Magersüchtiges Verhalten ist ein Versuch, das Dilemma von Bindung und Ablösung zu „vertagen“, ohne dafür Verantwortung zu übernehmen, zumal es an der Krankheit liegt.

Hungern aus Liebe - (2)Ein Drama in wenigen Akten (Forts.)

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2. Akt:• Die Essensverweigerung erweist sich als

potentes Mittel, die bedrohten Bindungen in der Familie zu verstärken und so die Gefahren der Krise zu bannen; sie wird funktionalisiert.

• Nebenher etabliert sich ein biologischer Kreislauf von Unterernährung und Nahrungsverweigerung mit eigener selbst erhaltender Dynamik.

• Die Magersucht lenkt von der Sorge um den Anderen, ver- hindert die Fortentwicklung und vermindert so die Angst und das Schuldgefühl; sie läßt sich als „Hungern aus Liebe“ auffassen.

Hungern aus Liebe - (3)Ein Drama in wenigen Akten (Forts.)

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3. Akt:• Um sich vertrauenvoll ablösen zu können,

brauchen die Magersüchtige und ihre Eltern Gewissheit (eigentlich = Vertrauen) darüber, dass sie ihre Individualität dem jeweils Anderen zumuten dürfen.

• Eine Therapie wird begonnen, welche Folgendes leisten soll:

a. Funktionalisierung psychotherapeutisch zu relativieren,b. Ernährungs- und Gewichtskontrolle zu externalisieren,c. Mut zum Risiko zu erwecken, d.h., zu erleben, wie es dem Anderen „ohne mich“ wirklich ergeht.

Hungern aus Liebe - (4)Ein Drama in wenigen Akten (Forts.)

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Finale

Langsame Ablösung und Individuierung aller Beteiligten

(oft mit mehrjähriger therapeutischer Begleitung in langen Abständen).

Hungern aus Liebe - (5)Ein Drama in wenigen Akten (Ende)

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Das trifokale Behandlungsprogramm

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Trifokaler Therapie - die Elemente

- Ernährungs- und Gewichtsregulation durch diätetische Kontrolle

- UmdeutungenLebenskrise aus Liebe... in der Familie

- Externalisierungen „Magersucht“ versus „Plan“

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Trifokale stationäre Therapie, oder: Der Kampf der Giganten: Plan vs. Magersucht

Polysystemischer Ansatz in 3 Phasen:1. Vorbereitungen

Diagnostische Beobachtung und Einleitung der Behandlung.

2. BehandlungSomatischer - Psychischer - Sozio-familiärer Fokus

3. KonsolidierungStabilisierung, Vorbereitung und Durchführung der Entlassung sowie ambulante Nachbehandlung.

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Methodischer Exkurs. Externalisierung[frei nach Michael White, Adelaide Australien]

Externalisieren heißt, Ein Probleme zu „verdinglichen“ bzw. zu „personalisieren“, dem Problem Eigenständigkeit zuzuschreiben, so dass es für die Person bzw. das soziale System „extern“ wird.Beispiel:Die „Magersucht“ wird zu einem Flaschengeist (s. Aladins Lampe) umdefiniert, den frau aus einer Not heraus gerufen, später aber darüber die Kontrolle verloren hat.Alle Beteiligten können gemeinsam versuchen, den Geist wieder in die Flasche zurückzudrängen. Er bleibt zwar für den Notfall verfügbar, ist dann aber ungefährlich.

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Reframing: Hungern aus Liebe

EXTERNALISIEREN

Die Magersucht – der Geist aus der Lampe – wird beschworen, zur Erfüllung der Wünsche.

Enge Bindung, keine Angst vor Veränderung und Ablösung, starker Zusammenhalt…

Herbst 2015 34Dr. K. Ludewig

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Der Lampengeist übernimmt die Macht

Herbst 2015 35Dr. K. Ludewig

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Fokus I: Somatischer Aspekt • Definition der Unterernährung als medizinisches

Problem und vorübergehende Übernahme der Verantwortung

Fokus II: Psychischer Aspekt• Umdeutung der Magersucht als Liebesproblem,

vertragliche Verpflichtung aller, zusammenzuarbeiten, und gemeinsame Suche nach alternativen Bewältigungsmöglichkeiten

• Externalisierungen: Die „Magersucht“ als störrischer

Flaschengeist Der „Plan“ als kalter, emotionsloser, unerbittlicher

GegnerFokus III: Sozio-familiärer Aspekt

• Familientherapie – Erfahrung von unschädlicher Trennung und Überwindung der Ambivalenz von Bindung und Ablösung

Trifokale stationäre Therapie, oder: Der Kampf der Giganten: Plan vs. Magersucht

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UNIVERSITÄT MÜNSTER Klinik für Psychiatrie und Psychotherapiedes Kindes- und Jugendalters

MERKBLATT für PATIENT/INNEN MIT BEHANDLUNGSBEDÜRFTIGEM MINDERGEWICHT

Liebe Patientin,lieber Patient, liebe Eltern,

die medizinische Forschung zeigt, daß ernste Zustände von Unterernährung dieAusbildung einer regelrechten körperlichen Sucht begünstigen. Außerdem ist dabei imKindes- und Jugendlichenalter mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen der körperli-chen, psychischen und sozialen Weiterentwicklung zu rechnen. Die klinische Erfahrungzeigt zudem, daß magersüchtige Menschen nur selten in der Lage sind, den Kreislauf vonUnterernährung und Nahrungsverweigerung aus eigener Kraft zu durchbrechen.Deshalb sind wir aufgefordert, zu helfen und zeitweilig die Verantwortung für den körperli-chen Zustand des/der Patient/in zu übernehmen.

Für Kinder und Jugendliche mit einem behandlungsbedürftigen Mindergewicht vonmehr als 10% des Durchschnittsgewichts ihrer Altersgruppe haben wir einen medizinischbegründeten, abgestuften Plan, der hilft, diesen Zustand möglichst rasch zu beheben.

Neben der medizinischen Sorgepflicht für die möglichst rasche Überwindung der Unter-ernährung werden wir psychotherapeutische und familientherapeutische Behandlungs-maßnahmen durchführen. Da diese Maßnahmen erst wirken, wenn der körperliche Zu-stand ein bestimmtes Mindestgewicht erreicht hat, beginnen sie ab der Stufe III (Aufbau-stufe) des Plans.

Die Einzelheiten des Behandlungsablaufs können dem Plan entnommen werden. Je nachStufe des Plans wird eine bestimmte wöchentliche Gewichtszunahme erwartet. DerenHöhe kann an der Gewichtskurve abgelesen werden, die beim Einsatz des Plans für dieDauer der gesamten Behandlung errechnet wird. Gelingt es dem Patienten/der Patientinnicht, den Plan einzuhalten, tritt höchstens zweimal ein verschärfter Zusatzplan in Kraft.Reicht auch diese Verschärfung nicht aus, muß an andere Maßnahmen und eventuell andie Verlegung oder Entlassung gedacht werden.

Mit der Unterschrift auf diesem Merkblatt bestätigen der/die Patient/in und seine/ihre Elternbzw. Sorgeberechtigte verbindlich, den Behandlungsplan gelesen und verstanden zuhaben, in die Durchführung der dort vorgesehenen Hilfen einzuwilligen und diese auch zujeder Zeit zu unterstützen und einzuhalten.

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Dr. K. Ludewig 38September 2008

Trifokale stationäre Therapie - der Plan

Der „PLAN“: ein reglementierter Diätplan.Vorausgeplante Gewichtskurve mit stetiger, je nach aktuellem Gewicht abgestufter Gewichtszunahme.5 Gewichtsstufen mit zunehmender Autonomie (= Belohnung)

Diätstufen: • Sondennahrung und Bettruhe• Ausgleich mit flüssiger Nahrung• portioniert serviertes Essen• selbstgewähltes normales Essen

Ausruhen nach den Mahlzeiten Sportliche Aktivitäten Ausgangsregelung Besuche, Anrufe Wochenendbeurlaubung nach Hause

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Dr. K. Ludewig 39September 2008

Fallbeispiel Maria (3)P atie n t/in ......M AR IA ....... ...... ....... ... A l te r ..16 ,6 .. G r öß e /m ..1 68 .. . S t ation . ..II ... B e g in n am ... ...... ..N o rm /B M I5050 .5 7,3 K g E rw /B M I2525 .5 3,1 K g Z ie l/B M I1 01 0 .5 0,2 K g K rit .Ge w . .40,1 K g B e g inn 4 0,5 K g G ewichts - Wiegen Med. Diät A usruhen S port/ Ausg ang B esuch Urlaub stufen K ontrol. n.M ahlzeit Ak tivitä ten/ Anrufe zu H a use

Schule S tufe V 1 x wöch. laut me d. norm ales no rmal norm al/ norm al norm al no rmal S t a b i li s ie r u n g Anordnung Es sen norm al/Zie l 50,2 Kg norm al<m ind. 3 W o.>Ø A bnahm e S tufe IV 2 x wöch. s.oben eigenes no rmal wenig / norm al norm al no rmal A u t o n o m ie frei-Do Es sen; norm al/4 7 ,8- 50 ,1Kg sonst norm al norm al3 00 -60 0g r/W o

S tufe III 2 xwöch. s.oben extra Tisch, ½ S t n.H pt . nein/ nur in norm al tagsü ber A u fb a u frei-Do portioniert ¼ S t.n.Z w. ruhig e/ B eg le itung 1 x W o4 6 ,4- 47 ,7Kg in Schüsseln T urm bis 1S t/Tg4 00 -70 0 gr /W o

S tufe II 3 x wöch. s.oben extra Tisch 1 St n.H pt nein/ nur mit nur nein A u s g le ic h Di-Do-S a + RR/Puls ang erichtet ½ S t n.Z w. i.d.K linik/ Betreuer u Fam ilie4 3 ,3- 46 ,3Kg + event. Klinik Familie5 00 -10 00 gr/W Ausgleich ½ St/Tag

S tufe I täg lich wie S t. II Sonde un ter B e t t r u h e nur Fam . nein S o n d e Sticht ag : Aufsicht; M o bilisierung n.m ed. A nord. B esuch4 0 ,2- 43 ,2Kg Do + ½ S t 1 x W oche1 -20 00 g r/W o Anrufe 2 xW o S tufe 0 K r i t. G ew i ch t täg lich Je nach ä rztlicher B eurteilung Eins atz weiterer gezie lter M a ßnah men zur G ewichtsregu- 40 ,1 K g lierung bzw. Verleg ung a uf eine som atische oder geschlossene ps ychiatrische Statio n 2 -3 00 0 g r/W o

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… ist stärker als der Geist!

DER PLAN

Herbst 2015 40Dr. K. Ludewig

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Herbst 2015 Dr. K. Ludewig 41

Fallbeispiel Maria (4)

Behandlungswochen0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20

40

42

44

46

48

50

52

Gewichtskurve (Maria, 16 J.)Erwartet MaximumGewicht

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Zwei in Einer oder:

Essen - Familie -Leben

Fallbeispiel Maria (8)

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Der unendlicheSchlund

(Originalgröße über 2 m hoch)

Fallbeispiel Kathy (3)

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Magersucht, noch einmal - Gebrochenes Herz: Anna 16 Jahre

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Herbst 2015 Dr. K. Ludewig 45

FazitThese 1. MAGERSUCHT = MAGERSUCHT

bzgl. somatischer und Verhaltensgleichförmigkeiten jedochThese 2. MAGERSÜCHTIGE … MAGERSÜCHTIGEbzgl. Familien, Lebensumstände,Vorerfahrungen, RessourcenalsoThese 3. THERAPIE = THERAPIE bzgl. Körperpflege und Gewichtszunahmeaber

THERAPIE … THERAPIE bzgl. Psycho- u. Familientherapie sowie Begleitaspekteund

BEWÄLTIGUNG … BEWÄLTIGUNGbzgl. Therapiedauer, Besserung und Prognose.

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Herbst 2015 Dr. K. Ludewig 46

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Materialien (gesperrt) Magersucht

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