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Christsein Heute 12/2013 41 FeG Forum E s gibt Themen, die gehören unter den Schutz „bedrohter Arten“. Man hört manchmal noch von ihnen, nur am Rande, verschämt manchmal. Advent gehört dazu. „Wie bitte? Advent?“, werden Sie er- staunt ausrufen. „Seit September bekommen wir Pfeffernüsse, seit Oktober Nikoläuse, seit November Adventskalender! Und du sagst, Advent sei eine bedrohte Art?“ Nicht der Advent, den man allgemein da- für hält. Ich meine die Zeit des Advents, wäh- rend der man sich darauf einstellt, dass Jesus wiederkommen wird, für alle sichtbar, „zu richten die Lebenden und die Toten“, wie wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis sagen. Denn das ist zumindest ein theologischer As- pekt und geistlicher Sinn der Adventszeit. Kennen Sie diese Situationen? Ein Gruppe von Christen versucht einen Ter- min zu finden. Der nächste, an dem alle kön- nen, ist erst in Monaten. Man trägt es in sei- ne Terminkalender ein. Einer – ich könnte es selbst sein – sagt schmunzelnd und wissend: „Wenn der Herr bis dahin nicht wiedergekom- men ist.“ Das Schmunzeln sagt: „Es soll ein Witz sein!“, und es verrät: „So richtig rechnen wir nicht damit!“ In einer Ansammlung von Christen (Tref- fen, Gemeinde, Kongress, was auch immer) werden ein paar Leute vermisst. Wieder ein Witz: „Vielleicht war ja die Entrückung!“, dann der nächste: „Und wir waren nicht da- bei!“ Gespieltes Entsetzen. Auch das könnte von mir selbst kommen. Der Witz ist alt und wird doch immer wieder gerne zum Besten gegeben. Advent, das heißt Ankunft. Ankunft Jesu. Ich habe gelesen, es selbst aber nie erlebt, dass die Adventszeit einmal eine Fastenzeit war. Mit diesem Fasten wollte man sich auf das Kommen Jesu einstellen. Gibt es einen größeren Kontrast zwischen Fastenzeit und unseren Sitten während der Adventszeit? Und ich gebe es zu: Die Plätzchen meiner Frau sind wirklich fantastisch. Ich kann mir einen Dezember ohne Plätzchen, Schokoladenniko- läuse und Printen kaum mehr vorstellen. Und keine Sorge: Ich bin nicht der Mensch, der Ihnen das madig machen will. Und dennoch überkommt mich manchmal ein Unwohlsein. Ich schaue mich um: Weihnachtsfeiern sind keine besinnlichen Stunden, sondern Gelage. Weihnachtsmärkte sind vor allem Essensbu- den und Glühweinstände. Ich bin hin- und hergeworfen. Einerseits bin ich nicht der Typ, der anderen solche und andere Sitten schlecht machen will. Es muss ja jeder selbst wissen, was er macht und wie er seine Zeit verbringt. Aber andererseits denke ich, dass all das Ausdruck einer Haltung ist, die tiefer reicht. Und damit meine ich uns Jesusnachfolger. Rechnen wir wirklich damit, dass Jesus wie- derkommt? Allgemein ist das ein rein theo- retischer Satz, ohne irgendwelche Konse- quenzen. Das mag gute Gründe haben. Denn zu häufig trieb dieser Glaube auch seltsame Blüten. Manche kenne das noch: „Wenn Je- sus wiederkommt und er dich auf der Kirmes oder im Kino (hier können Sie das einsetzen, was sie ablehnen) antrifft, wird ihm das ge- fallen? Wird er dort überhaupt hinkommen?“ Berechnungen der Wiederkunft Jesu ha- ben immer wieder Verwirrung oder Verfüh- rung hervorgebracht. „Wenn Jesus bald wie- derkommt, warum sollten wir diese Welt gestalten und uns darin einmischen, das lohnt ja nicht!“, war eine verbreitete Haltung. Und ist es bis heute. All diese Blüten haben meines Erachtens dazu geführt, dass eine Generation heran- wächst, zu der ich selbst gehöre, die mit der Wiederkunft Jesu wenig anzufangen weiß. Und deswegen feiern wir Advent: satt, mit- tendrin, schokoladenüberzogen, üppig. Ich wünsche mir eine echte Bereitschaft dafür, dass Jesus wiederkommt. Das bedeutet für mich: Ich bin wirklich frei. Ich schaue mir mein Leben und diese Welt „von ihrem Ende“ her an. Es bedeutet: Als freier Mensch mit- ten in dieser Welt zu leben, sie zu lieben, wie Christus sie liebt. Es bedeutet, Niederlagen, Krankheiten und politische Umwälzungen mit Gelassenheit zu tragen. Es bedeutet, in allem zu erkennen, dass Gott souverän bleibt. Und das bedeutet: locker bleiben, sich enga- gieren, sich auf Jesus freuen, demütig meinen Weg mit ihm weitergehen. Ich stelle mal eine steile These auf: Wirk- lich frei bin ich nur, wenn ich erkenne: Jesus kommt wieder, zu richten die Lebenden und die Toten! Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden Advent – eine bedrohte Art?

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Christsein Heute 12/2013 41

FeG Forum

Es gibt Themen, die gehören unter den Schutz „bedrohter Arten“. Man hört manchmal noch von ihnen, nur am

Rande, verschämt manchmal. Advent gehört dazu. „Wie bitte? Advent?“, werden Sie er-staunt ausrufen. „Seit September bekommen wir Pfeffernüsse, seit Oktober Nikoläuse, seit November Adventskalender! Und du sagst, Advent sei eine bedrohte Art?“

Nicht der Advent, den man allgemein da-für hält. Ich meine die Zeit des Advents, wäh-rend der man sich darauf einstellt, dass Jesus wiederkommen wird, für alle sichtbar, „zu richten die Lebenden und die Toten“, wie wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis sagen. Denn das ist zumindest ein theologischer As-pekt und geistlicher Sinn der Adventszeit.

Kennen Sie diese Situationen? Ein Gruppe von Christen versucht einen Ter-min zu finden. Der nächste, an dem alle kön-nen, ist erst in Monaten. Man trägt es in sei-ne Terminkalender ein. Einer – ich könnte es selbst sein – sagt schmunzelnd und wissend: „Wenn der Herr bis dahin nicht wiedergekom-men ist.“ Das Schmunzeln sagt: „Es soll ein Witz sein!“, und es verrät: „So richtig rechnen wir nicht damit!“

In einer Ansammlung von Christen (Tref-fen, Gemeinde, Kongress, was auch immer) werden ein paar Leute vermisst. Wieder ein Witz: „Vielleicht war ja die Entrückung!“, dann der nächste: „Und wir waren nicht da-bei!“ Gespieltes Entsetzen. Auch das könnte von mir selbst kommen. Der Witz ist alt und wird doch immer wieder gerne zum Besten gegeben.

Advent, das heißt Ankunft. Ankunft Jesu.

Ich habe gelesen, es selbst aber nie erlebt, dass die Adventszeit einmal eine Fastenzeit war. Mit diesem Fasten wollte man sich auf das Kommen Jesu einstellen. Gibt es einen größeren Kontrast zwischen Fastenzeit und unseren Sitten während der Adventszeit? Und ich gebe es zu: Die Plätzchen meiner Frau sind wirklich fantastisch. Ich kann mir einen Dezember ohne Plätzchen, Schokoladenniko-läuse und Printen kaum mehr vorstellen. Und keine Sorge: Ich bin nicht der Mensch, der Ihnen das madig machen will. Und dennoch überkommt mich manchmal ein Unwohlsein. Ich schaue mich um: Weihnachtsfeiern sind keine besinnlichen Stunden, sondern Gelage. Weihnachtsmärkte sind vor allem Essensbu-den und Glühweinstände.

Ich bin hin- und hergeworfen. Einerseits bin ich nicht der Typ, der anderen solche und andere Sitten schlecht machen will. Es muss ja jeder selbst wissen, was er macht und wie er seine Zeit verbringt. Aber andererseits denke ich, dass all das Ausdruck einer Haltung ist, die tiefer reicht.

Und damit meine ich uns Jesusnachfolger. Rechnen wir wirklich damit, dass Jesus wie-derkommt? Allgemein ist das ein rein theo-retischer Satz, ohne irgendwelche Konse-quenzen. Das mag gute Gründe haben. Denn zu häufig trieb dieser Glaube auch seltsame Blüten. Manche kenne das noch: „Wenn Je-sus wiederkommt und er dich auf der Kirmes oder im Kino (hier können Sie das einsetzen, was sie ablehnen) antrifft, wird ihm das ge-

fallen? Wird er dort überhaupt hinkommen?“ Berechnungen der Wiederkunft Jesu ha-

ben immer wieder Verwirrung oder Verfüh-rung hervorgebracht. „Wenn Jesus bald wie-derkommt, warum sollten wir diese Welt gestalten und uns darin einmischen, das lohnt ja nicht!“, war eine verbreitete Haltung. Und ist es bis heute.

All diese Blüten haben meines Erachtens dazu geführt, dass eine Generation heran-wächst, zu der ich selbst gehöre, die mit der Wiederkunft Jesu wenig anzufangen weiß.

Und deswegen feiern wir Advent: satt, mit-tendrin, schokoladenüberzogen, üppig.

Ich wünsche mir eine echte Bereitschaft dafür, dass Jesus wiederkommt. Das bedeutet für mich: Ich bin wirklich frei. Ich schaue mir mein Leben und diese Welt „von ihrem Ende“ her an. Es bedeutet: Als freier Mensch mit-ten in dieser Welt zu leben, sie zu lieben, wie Christus sie liebt. Es bedeutet, Niederlagen, Krankheiten und politische Umwälzungen mit Gelassenheit zu tragen. Es bedeutet, in allem zu erkennen, dass Gott souverän bleibt. Und das bedeutet: locker bleiben, sich enga-gieren, sich auf Jesus freuen, demütig meinen Weg mit ihm weitergehen.

Ich stelle mal eine steile These auf: Wirk-lich frei bin ich nur, wenn ich erkenne: Jesus kommt wieder, zu richten die Lebenden und die Toten!

Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden

Advent – eine bedrohte Art?