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Ästhetik und Kunst von Pythagoras bis Freud Bearbeitet von Elmar Waibl 1. Auflage 2009. Taschenbuch. 261 S. Paperback ISBN 978 3 8252 3304 4 Format (B x L): 12 x 18,5 cm Weitere Fachgebiete > Philosophie, Wissenschaftstheorie, Informationswissenschaft > Metaphysik, Ontologie > Ethik, Moralphilosophie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

Ästhetik und Kunst von Pythagoras bis Freud - …€¦ · Problem der Lesbarkeit und Verständlichkeit bei Adorno ein grund-legendes ist. Was für Adorno gilt, trifft etwas anders

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Ästhetik und Kunst von Pythagoras bis Freud

Bearbeitet vonElmar Waibl

1. Auflage 2009. Taschenbuch. 261 S. PaperbackISBN 978 3 8252 3304 4

Format (B x L): 12 x 18,5 cm

Weitere Fachgebiete > Philosophie, Wissenschaftstheorie, Informationswissenschaft >Metaphysik, Ontologie > Ethik, Moralphilosophie

Zu Inhaltsverzeichnis

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UTB

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ÄSTHETIK und KUNST

von PYTHAGORAS bis FREUD

Elmar Waibl

facultas.wuv

Elmar Waibl, ao.Univ.-Prof. Dr., lehrt am Institut für Philo sophie der Universität Innsbruck.

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://d-nb.de abrufbar.

© 2009 Facultas Verlags- und Buchhandels AGfacultas.wuv, Berggasse 5, 1090 WienAlle Rechte vorbehalten

Einband: Atelier Reichert, StuttgartSatz: Atelier ›rät wieder umsonst‹ Tiefenthaler, WienDruck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN 978-3-8252-3304-4

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INHALT

VorwortEinleitung: ästhetik und philosophie der kunstpythagoras und der pythagoreismussophistikdemokritsokratesxenophonplatonaristotelesplotinaugustinusthomas von aquinjean-jacques rousseauimmanuel kantfriedrich schillergeorg wilhelm friedrich hegelkarl rosenkranzsören kierkegaardkarl marx und friedrich engelsarthur schopenhauerfriedrich nietzschesigmund freudPersonen- und Sachregister

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VORWORT

Die vorliegende Darstellung geht auf Vorlesungen zurück, die ich fürdie Studierenden der Philosophie sowie für jene der diversen kunst-und literaturwissenschaftlichen Fächer (Kunstgeschichte, Musikwis-senschaft, Germanistik, Romanistik, Anglistik und Komparatistik)gehalten habe.

Gegenstand dieser Vorlesungen war eine Überblicksdarstellungder Ideengeschichte der Ästhetik und der Philosophie der Kunst inihren wichtigsten Etappen. Aus diesen Vorlesungen ist das Vorhabenentstanden, diese Inhalte – über das studentische Auditorium hin-aus – einem breiteren Kreis ästhetisch und kunstphilosophisch Inter-essierter zugänglich zu machen.

Eine Überblicksdarstellung, die sich an einen breiteren Interes-sentenkreis wendet, muß zuvorderst das Problem der Verständlich-keit im Auge haben. Welche Inhalte stehen zur Auswahl und wiemüssen diese Inhalte aufbereitet und dargestellt werden, damit siezugänglich und nachvollziehbar sind? Die Orientierung an diesenunumgänglichen Fragen hat letztendlich die Auswahl an Namenund Positionen nahegelegt, wie sie in dieser Überblicksdarstellunggetroffen wurde.

Alle ästhetischen und kunstphilosophischen Überlegungen, wiesie von den Pythagoreern bis hin zu Sigmund Freud entwickelt wurden, haben eines gemeinsam: Sie sind auch für diejenigen, diekein einschlägiges Vorwissen mitbringen, gut faßbar. Selbst Hegel,

dessen eigenwillige philosophische Sprache ansonsten gefürchtetwird, macht diesbezüglich keine Ausnahme, und zwar deswegen,weil uns seine Ästhetik und Philosophie der Kunst nur in Form einer – klaren und lesbaren – studentischen Vorlesungsmitschrifterhalten ist. Nach Freud aber tut sich eine Zäsur auf. Konnte diesernoch als der Meister einer vorbildlichen, leserfreundlichen Wissen-schaftsprosa gelten, so haben wir bereits mit Theodor W. Adorno einen Autor vor uns, der den Leser mit seinen Spracheskapaden vorden Kopf stößt. Diese hermetische Sprache, die sich beharrlich ge-gen Verständlichkeit sperrt, wurde zwar eine kurze Zeit von einge-fleischten Adorno-Adepten goutiert. Nachdem diese intellektuelleMode aber abgeklungen ist, ist es um Adorno auffallend ruhig ge-worden, was nicht zuletzt auch mit einer Diktionsform zu tun hat,die es dem Leser nicht leicht, sondern schwer macht und die Zu-sammenhänge oft mehr vernebelt als klärt. Natürlich wird man inRechnung stellen müssen, daß Adornos Ästhetische Theorie (1970)ein nachgelassenes Werk ist. Aber ein Vergleich mit den anderenWerken, die sich zu ästhetischen Themen äußern, zeigt, daß dasProblem der Lesbarkeit und Verständlichkeit bei Adorno ein grund-legendes ist. Was für Adorno gilt, trifft – etwas anders gelagert, aberim Resultat nicht unwesentlich anders – auch auf Martin Heidegger(Der Ursprung des Kunstwerks, 1935) zu.

Eine große Anzahl derjenigen Theoretiker, die sich in der jünge-ren Vergangenheit mit Problemen der Ästhetik befaßt haben, hatdies aus dem Blickwinkel der Zeichentheorie getan. Das gilt etwa fürRoland Barthes (L’Aventure sémiologique, 1985) oder Umberto Eco(Theory of Semiotics, 1976). Diese Arbeiten sind aufschlußreich undverdienstvoll, aber gegen eine Aufnahme dieser Positionen in dievorliegende Arbeit sprach wiederum das Kriterium der Zugänglich-keit. Das Problem ist nämlich: Wer nicht einschlägig mit den Grund-lagen der Semiotik vertraut ist, steht – was die Verständnismöglich-keit anlangt – angesichts dieser Theoriebildungen auf verlorenemPosten. Das Problem der Zugänglichkeit gilt erst recht für die Ästhe-tik der Postmoderne, etwa bei Gilles Deleuze und Jacques Derrida,und zwar auf Grund der abgehobenen Sprache, die sich sehr oft insKryptische verliert. Eine in Aussicht genommene Fortführung des

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vorliegenden Buches, die sich den ästhetischen Theoriebildungenund Positionen nach Freud widmet, wäre deshalb im besonderenmit der Frage konfrontiert, wie diese Positionen mit ihren genanntenSchwierigkeiten auch einem Kreis von Nicht-Spezialisten zugäng-lich gemacht werden können.

Wenn die vorliegende Überblicksdarstellung aus den geschildertenGründen auch nicht bis an die unmittelbare Gegenwart heranführt,so kann sie doch zweierlei für sich in Anspruch nehmen: Die hier inihren wichtigsten Etappen vorgestellte zweieinhalbtausendjährigeIdeengeschichte von Pythagoras bis Freud beinhaltet das Wesentlichezum Verständnis der Ästhetik und Philosophie der Kunst. Und siekann diese Inhalte vermitteln, ohne je in Gefahr zu geraten, die Leser -innen und Leser im Stich zu lassen.

Meiner Frau Gerti danke ich für ihre Hilfe bei der Durchsicht desManuskripts, meinem Sohn Marian für die Anfertigung der Konter-feis, die den ideengeschichtlichen Kapiteln beigegeben wurden.

EINLEITUNG :

ÄSTHETIK und PHILOSOPHIE der KUNST

Unterscheidung und Reichweite der Begriffe

Wenn sich der Leser fragt, warum in der Kapitelüberschrift von Ästhetik und Philosophie der Kunst die Rede ist und nicht nur voneinem der beiden, so hat die Antwort zu lauten: Weil Ästhetik undPhilosophie der Kunst nicht dasselbe sind! Das verbreitete Mißver-ständnis, daß beide Bezeichnungen deckungsgleich und somit aus-tauschbar seien, ist gleich zu Beginn auszuräumen.

Die Ästhetik umfasst die sinnliche Aneignung der gesamten Wirk-lichkeit: Kunst und Natur. Die Philosophie der Kunst beschäftigtsich nur mit der Kunst, d. h. mit bestimmten menschlichen Artefak-ten; sie ist somit ein Teilbereich der Ästhetik. »Mengentheoretisch«gesprochen ist die Philosophie der Kunst also eine Untermenge derÄsthetik. Oder anders gesagt: Ästhetik (A) ist dem Begriffsumfangnach der weitere, Philosophie der Kunst (B) der engere Begriff.

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A

B

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Da die Ästhetik mehr umfaßt als die Philosophie der Kunst, gibtes eine Ästhetik, in der Kunst überhaupt nicht vorkommt, zum Bei-spiel eine Ästhetik der Landschaft oder eine Ästhetik des mensch -lichen Körpers, wie sie uns beispielsweise bei Xenophon begegnenwird.

Weil die Philosophie der Kunst ein Teilbereich der Ästhetik ist,ist das Interesse, mit dem die Philosophie der Kunst ihrem Gegen-stand begegnet, immer ein ästhetisches. Dies gilt es zu erwähnen, weiles auch nicht-ästhetische Möglichkeiten gibt, sich mit Kunst ausein-anderzusetzen, zum Beispiel mit Kunst als Anlage- und Spekulati-onsobjekt. Die Instrumentalisierung der Kunst für außer-künstleri-sche Zwecke fällt aber in den Bereich der Ökonomie und gehörtnicht mehr zum Aufgabengebiet der Philosophie der Kunst.

Handwerklich-technische Kunst und »schöne Kunst«

Um die Kunst im ästhetischen Sinn von Kunst im außer-ästheti-schen Sinn zu unterscheiden, hat es sich in verschiedenen Spracheneingebürgert, erstere mit dem Prädikat »schön« zu versehen (engl.fine arts; ital. belle arti; fr. beaux-arts). Die »schöne Kunst« ist somitder ästhetische Teilbereich der Kunst im allgemeinen Wortsinn vonhandwerklich-technischem Können (ars mechanica). Die Bezeich-nung »schöne Kunst« für ästhetische Kunst ist allerdings etwas frag-würdig, weil schöne Kunst nicht nur Schönes gestaltet, sondern dieganze Palette ästhetischer Ausdrucksweisen nutzt. Alles, auch dasHäßliche, kann paradoxerweise Gegenstand der »schönen Künste«sein.

Kunst im äußer-ästhetischen (d. h. im handwerklich-technischen)Wortsinn ist ein Können, das auf einen instrumentellen Nutzen be-zogen ist, so wie es beispielsweise bei der »ärztlichen Kunst« der Fallist: Die ärztliche Kunst dient dem Zweck, Menschen zu heilen.Wenn wir bei einem Krankheits- oder Unglücksfall mit tödlichemAusgang sagen: »Alle ärztliche Kunst hat sie/ihn nicht zu retten ver-mocht«, dann ist Kunst natürlich im außer-ästhetischen Sinn ge-meint.

Ein Grenzfall im Zwischenbereich von ästhetischer und nicht-ästhetischer Kunst ist freilich die Schönheitschirurgie. Die Kunst desSchönheitschirurgen besteht darin, einem Unfallopfer sein Aussehenwiederzugeben oder menschliche Körper einem bestimmten Schön-heitsideal anzunähern. Weil im Fall des Schönheitschirurgen zurärztlichen Kunst (im Sinn des technischen Könnens) eine ästhetischeDimension hinzutritt, stellt die Schönheitschirurgie eine Mischungbeider Bedeutungsebenen dar.

Ein Wortspiel, das sehr schön den Doppelsinn von Kunst zumAusdruck bringt, ist der bekannte Werbespruch: »Kunst verkaufenist keine Kunst.« Die erste Kunst steht für die (schöne) Kunst im äs-thetischen Wortsinn, mit der es Kunsthändler zu tun haben; diezweite ist das geschäftliche Know-how im außer-ästhetischen Wort-sinn, wirtschaftlich erfolgreich mit Kunst zu handeln.

Die handwerklich-technische Kunst ist im instrumentellen Sinnzweckgebunden. Der Sinn handwerklicher oder technischer Gegen-stände liegt in ihrem Gebrauch für etwas anderes. So dient derHammer dazu, einen Nagel in die Wand zu schlagen. Der Sinn derästhetischen Kunst (von Bildern, Skulpturen, Musik- oder Theater-stücken) ist hingegen ein anderer. Er erschöpft sich in der Betrach-tung bzw. im Nachvollzug des Dargebotenen und in der daraus bezogenen Lust und geistigen Bereicherung. Eine Mittelstellungzwischen handwerklicher und ästhetischer Kunst nimmt dabei dassogenannte Kunsthandwerk ein. Trinkgefäße aus Zinn, Glas oderKeramik; kostbares Mobiliar wie beispielsweise bemalte Truhenoder intarsierte Schränke; besondere Kleidung wie zum BeispielTrachten oder Haute Couture-Kreationen; aufwendig gestalteteÖfen, Uhren oder Waffen – all das sind Gegenstände des Nutzensund Gebrauchs, aber versehen mit einem »ästhetischen Mehrwert«und somit eine Mischung aus Kunst im handwerklich-technischenund Kunst im ästhetischen Wortsinn.

Kunst – und zwar die Kunst im Sinn von Handwerk und Tech-nik ebenso wie die Kunst im Sinn von »schöner Kunst« – kommtvon Können. Darüber gibt jedes etymologische Wörterbuch eindeu-tig Auskunft. Deshalb bezeichnete das Wort »Kunst« zunächst jedesKönnen und jede Kunstfertigkeit bzw. das daraus hervor gehende

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Produkt. Wie Wladyslaw Tatarkiewicz, der polnische Altmeister derÄsthetik, in seinem Buch Geschichte der sechs Begriffe Kunst Schön-heit Form Kreativität Mimesis Ästhetisches Erlebnis zeigt, kam es erstspät zur Ausdifferenzierung des Begriffs Kunst im Sinn unserer»schönen Kunst«. Ursprünglich war alles, was könnerhaft und nachKenntnis der Regeln ausgeübt wurde, Kunst: die Kunst des Bild -hauers ebenso wie die Kunst des Schneiders oder die des Feldherrn.In der Antike und im Mittelalter umfaßte Kunst die »schöne Kunst«und das Handwerk, aber auch Teile der Wissenschaft (zum BeispielGrammatik und Logik). Als artes liberales (freie Künste) galten diejenigen Künste, die nur geistiger Anstrengung bedürfen: Gram-matik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie undMusik(wissenschaft); gelehrt wurden diese Disziplinen an der facul-tas artium. Als artes vulgares (gemeine Künste, dann im Mittelalterauch mechanische genannt) galten hingegen diejenigen Künste, dieauch körperliche Anstrengung erfordern (weshalb Malerei undBildhauerei dazugerechnet wurden). Das Mittelalter kannte (immernach Tatarkiewicz) sieben mechanische Künste: 1. Kunst, die der Ernährung dient (ars victuaria), 2. die der Bekleidung dient (lani -ficaria), 3. die Obdach bietet (architectura), 4. die Transportmittelbietet (suffragotaria), 5. die der Gesundheit dient (medicinaria), 6. diedem Gütertausch dient (negotiatoria), 7. die der Verteidigung dient(militaria).

Erst in der beginnenden Neuzeit wurden Versuche unternom-men, die Künste im ästhetischen Wortsinn von den handwerklich-technischen zu trennen. Die erste Bezeichnung für die ästhetischeKunst im Bereich der Malerei war arti del disegno. Weitere Vorschlägezur Benennung der ästhetischen Kunst waren: geistige Künste, mu-sische, edle, gedenkende, bildhafte oder poetische. (James Harrismachte 1744 den Vorschlag elegant arts.) Im 16. Jahrhundert begeg-net uns erstmals die Bezeichnung »schöne Kunst/Künste«, die sichdann – vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – all-mählich durchsetzen sollte. So erschien 1747 von Charles Batteuxein Buch mit dem Titel Les beaux-arts réduits à un même principe.1

Was ist Ästhetik?

Der Begriff Ästhetik leitet sich vom altgriechischen Stammwort aís-thesis ab, was soviel wie »Empfindung« und »sinnliche Wahrneh-mung« bedeutet. Die altgriechische aisthetiké epistéme bezeichnetedie Wissenschaft der sinnlichen Erfahrung oder die Wissenschaftvom sinnlich Wahrnehmbaren. Unser Begriff Ästhetik, der sich zurKennzeichnung eines bestimmten philosophischen Fachbereichseingebürgert hat, meint infolgedessen die Lehre von der sinnlichenAneignung der Wirklichkeit.

Wichtig ist dabei zu betonen, daß es in der Ästhetik um die sinn-liche Aneignung der Wirklichkeit in all ihren Qualitäten – den posi-tiven wie den negativen – geht. Ästhetik ist nicht die »Lehre vomSchönen«, wie so oft (auch von Lexika) fälschlich behauptet wird.Nahegelegt wird diese irrtümliche Auffassung durch die Alltagsbe-deutung des Wortes »unästhetisch« im Sinn von »abstoßend« oder»ungustiös«. Aber bei der Ästhetik im philosophischen Wortsinngeht es um die Beschäftigung und wertende Auseinandersetzungmit der ganzen Palette sinnlicher Qualitäten. All die folgenden Be-stimmungswörter können deshalb Prädikate des ästhetischen Ur-teils sein: schön und häßlich, gefällig und abstoßend, anmutig undplump, erhebend und deprimierend, witzig und geistlos, farbig undblaß, gehaltvoll und banal, aufregend und lähmend, spannend undlangweilig; grotesk, obszön, schockierend, ekelerregend usw. Weil esdie Ästhetik also nicht nur mit dem Schönen zu tun hat, sondernmit allen sinnlichen Erfahrungsqualitäten, ist die Lehre vom Schö-nen, die Kallistik (gr. kalós = schön, angenehm), bloß ein Teilbe-reich der Ästhetik.

Die deutsche Wortprägung »Ästhetik« geht auf Alexander GottliebBaumgarten (1714–1762) zurück, den Verfasser der Aesthetica undBegründer der Ästhetik als eigenständiger philosophischer Disziplin.Baumgarten ging es wesentlich um die Rehabilitierung der sinn -lichen Welterfahrung: Der felix aestheticus (so der Baumgarten-Schüler G. F. Meier, 1718–1777) betrachtet die Welt nicht unter demGesichtspunkt dessen, was er über sie wissen kann; auch nicht da-nach, wie sie für ihn (technisch-kommerziell) nutzbar ist, sondern

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unter dem Wertgesichtspunkt ihrer sinnlichen Erscheinungsquali-tät. Es geht somit um eine bestimmte Weise, sich zur Wirklichkeitins Verhältnis zu setzen, die wir als »ästhetische Einstellung« be-zeichnen können.

Ästhetische Einstellung meint ein bestimmtes Weltverhalten, dasnicht auf begriffliche Erkenntnis abzielt, sondern auf Verfeinerungund Erweiterung des sinnlichen Erlebens. Ästhetische Einstellungwill die sinnlichen Erscheinungen (seien sie optisch, akustisch oderan den Tast- oder Geruchssinn gerichtet) in ihrer größtmöglichenReichhaltigkeit erfahrbar machen. Da die ästhetische Einstellungsich nicht nur auf Kunstwerke beziehen kann, sondern auch auf all-tägliche Gegenstände, sprach man von einer »Verklärung des Ge-wöhnlichen«. Gemeint ist damit, daß gewöhnliche Gegenstände auf-hören, gewöhnlich zu sein (d. h. gewissermaßen nobilitiert werden),wenn sie im ästhetischen Reichtum ihrer Erscheinung wahrgenom-men werden. Martin Seel hat in seinem Buch Ästhetik des Erscheinensdiesen Sachverhalt treffend beschrieben:

»Wir können zum Himmel schauen, um zu sehen, ob es regnenwird, oder auf das Erscheinen des Himmels achten. Wir könnennach der Regenpfütze sehen, um uns keine nassen Füße zu holenoder um die Spiegelung der Gebäude in ihr zu betrachten. Wirkönnen am Fenster stehen und hören, ob die Gäste kommen,oder uns in das Geräusch der Stadt vertiefen. Wir können einenMenschen anschauen, um zu sehen, wie er heute drauf ist, oderin der Betrachtung seines Aussehens verweilen. Wir könnenbeim Zuschlagen der Autotür hören, ob sich die Tür geschlossenhat oder den ›satten‹ Klang der Tür genießen. Wir können beieinem Vortrag auf das Vorgetragene achten oder aber aufSprachklang, Gestik und Mimik des Vortragenden. Wir könneneinen Text als Ansammlung von Informationen lesen oder alsein Arrangement von sprachlichen und anderen Zeichen. (…)Wir können eine Bagatelle von Webern als Hupsignal benutzenoder als ein hochdramatisches Musikstück hören. Wir könnenin einer Beuysschen Badewanne ein Reinigungsproblem sehenoder eine plastische Arbeit. (…)

Es ist alles da. Wir können auf alles und jedes, das irgendwiesinnlich gegenwärtig ist, ästhetisch reagieren – oder auchnicht.«2

In der ästhetischen Erfahrung wird dem Objekt, dem die ästheti-sche Aufmerksamkeit gilt, eine ganz besondere Zuwendung zuteil.Es wird in intensivierter Wahrnehmungskonzentration aus dem Zu-sammenhang mit anderen Objekten herausgehoben (gewisserma-ßen auf ein Podest gestellt oder unter Anführungszeichen gesetzt)und als reines Wahrnehmungsphänomen – frei von jedem Interessean begrifflicher Erkenntnis oder praktischer Nutzbar machung –aufgefaßt. Dieses »interesselose Wohlgefallen« (Kant) bewirkt einebestimmte Form von sinnlich-geistiger Lust.

Wie so oft, ist auch im Fall der Ästhetik der Umweg über denGegenbegriff ein guter Weg, um die Wortbedeutung besser ver-ständlich zu machen. Die Ästhesie (die dem Begriff der Ästhetik zugrunde liegt) bezeichnet das Empfindungsvermögen. Die Anästhe-sie in der Medizin (etwa beim Zahnarzt oder während eines chirur-gischen Eingriffs) hat die Aufgabe, die Sinnesempfindung außerKraft zu setzen. Die Ästhetik hingegen macht empfindlich. Sie willdie Sinne schärfen und das Empfindungsvermögen kultivieren, umeine gesteigerte, subtilere und reichhaltigere Wahrnehmungsfähig-keit zu erzielen.

Ein Grenzfall der Ästhetik mit der genannten Funktion wärefreilich die anästhetische Kunst,3 d.h. eine Kunst, die nicht dazudient, unsere Sinne zu schärfen, sondern zu betäuben. Kunst, die inKitsch abgleitet, offeriert Bilder einer heilen Welt, mit der Zielsetzung,der Realität zu entfliehen. Kunst als Betäubungsmittel ereignet sichdabei (um ein Beispiel aus dem Bereich der Musik zu geben) nichtnur auf der Ebene der »volksdümmlichen« Musik. Auch in der soge-nannten Hochkunst kann ein anästhetisches Moment ins Spielkommen, etwa bei gefälligen Opernarien, die aus ihrem Kontext ge-rissen und kulinarisch konsumiert werden.

Doch damit zurück zu unserem Bestreben, den Begriff der Äs-thetik durch Einbeziehung seines semantischen Umfelds besser zufassen. Verwandte Begriffe, die zum Verständnis der Ästhetik eben-

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Abb.1: Dynamische Zuspitzung – gestapelte Zaunpfähle als ästhetischesWahrnehmungsobjekt. Quelle: Elmar Waibl.

Abb. 2: Ein Gebrauchsgegenstand (Ziehbrunnen) als bestechend ausbalanciertes formales Gebilde. Quelle: Elmar Waibl.