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aktuelle analysen 24 Peter M. Huber Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtssetzung der Europäischen Union Zur Sicherung und zum Ausbau der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages Hanns Seidel Stiftung Akademie für Politik und Zeitgeschehen

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aktuelle analysen 24

Peter M. Huber

Die Rolle der nationalen Parlamentebei der Rechtssetzung der

Europäischen UnionZur Sicherung und zum Ausbau

der Mitwirkungsrechte desDeutschen Bundestages

HannsSeidelStiftung Akademie für Politik und Zeitgeschehen

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aktuelle analysen 24

Peter M. Huber

Die Rolle der nationalen Parlamentebei der Rechtssetzung der

Europäischen UnionZur Sicherung und zum Ausbau

der Mitwirkungsrechte desDeutschen Bundestages

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ISBN 3 - 88795 - 228 - 6© 2001 Hanns-Seidel-Stiftung e.V., MünchenAkademie für Politik und ZeitgeschehenVerantwortlich: Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur)

Redaktion:Wolfgang D. Eltrich M.A. (Redaktionsleiter)Barbara Fürbeth M.A. (stv. Redaktionsleiterin)Verena Hausner (Redakteurin)Christa Frankenhauser (Redaktionsassistentin)

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung der Redaktion reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Inhaltsverzeichnis

Teil A: Anlass des Rechtsgutachtens und Gang der Untersuchung ........................................7

Teil B: Die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes ...............................................8I. Wahlen und parlamentarische Demokratie ............................................................................8II. Die Schlüsselrolle des Parlaments.......................................................................................10

Teil C: Die Entparlamentarisierung der nationalen Verfassungsordnung ............................10I. Deutschland.......................................................................................................................10

1. Die Übertragung von Hoheitsrechten und die Auswirkungen aufdas Parlament...........................................................................................................10

2. Die Mehrheitsentscheidungen im Rat .........................................................................11II. Die verfassungsrechtliche Diskussion in anderen Mitgliedsstaaten der EU.............................11

1. Dänemark................................................................................................................112. Frankreich................................................................................................................123. Griechenland ............................................................................................................134. Großbritannien.........................................................................................................135. Österreich................................................................................................................14

III. Fazit ................................................................................................................................15

Teil D: Ansätze zur Gegensteuerung und Kompensation......................................................15I. Unionsebene......................................................................................................................15

1. Normative Regelungen..............................................................................................152. Stimmabgabe ad referendum.....................................................................................17

II. Deutschland.......................................................................................................................171. Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat im

Verfahren der Vertragsänderung (Art. 48 EU)...........................................................17a) Bundestag.......................................................................................................17b) Bundesrat....................................................................................................... 18

2. Die Mitwirkungsrechte des Bundestages bei dersekundärrechtlichen Rechtssetzung der EU................................................................18a) Informationsrecht ............................................................................................19b) Mitwirkungsrechte bei der Rechtssetzung auf Unionsebene...............................20c) Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union...................................21

3. Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates....................................................................21a) Allgemeines.....................................................................................................21b) Die abgestuften Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates ..................................22c) Europakammer ...............................................................................................24

III. Andere Mitgliedsstaaten.....................................................................................................251. Belgien.....................................................................................................................25

a) Die Mitwirkung der Kammern bei der Vertragsänderung..................................25b) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit ....................................................25c) Beratende Europaausschüsse ..........................................................................26

2. Dänemark................................................................................................................26a) Die Mitwirkung des Folketing bei der Vertragsänderung...................................26b) Europaausschuss.............................................................................................26

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c) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit ....................................................27

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3. Finnland ...................................................................................................................28a) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit ....................................................28b) Der Große Ausschuss .....................................................................................28

4. Frankreich................................................................................................................29a) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit ....................................................29b) Europaausschüsse...........................................................................................30

5. Griechenland ............................................................................................................30a) Allgemeines.....................................................................................................30b) Sonderausschuss für europäische Angelegenheiten...........................................31

6. Großbritannien.........................................................................................................31a) Die "parliamentary scrutiny reserve".................................................................31b) Select und Standig Committees im Unterhaus...................................................32c) Oberhaus........................................................................................................33

7. Österreich................................................................................................................33a) Kontrolle der Ratstätigkeit durch den Nationalrat .............................................33b) Kontrolle der Ratstätigkeit durch den Bundesrat...............................................34

IV. Wertung der Kompensationsmaßnahmen............................................................................341. Das Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der EU.....................34

a) Informations- und Beteiligungspflichten.............................................................34b) COSAC .........................................................................................................35

2. Zur Bewährung der innerstaatlichen Mitwirkungsrechte..............................................35a) Deutschland ....................................................................................................35b) Andere Mitgliedsstaaten..................................................................................36

3. Fazit .......................................................................................................................39

Teil E: Die Stärkung des Europäischen Parlaments als nur bedingt tauglicher Ausweg.......................................................................................................39I. Die mangelnde Legitimationsfunktion des unionalen Verfassungsrechts.................................40II. Die Beschränkung des Europäischen Parlaments auf eine "Legitimationsabstützung".............41

1. Der Kompensationsgedanke.....................................................................................422. Grenzen einer demokratischen Legitimationsabstützung..............................................44

a) Der verfassungsrechtliche Ansatz.....................................................................44b) Folgerungen....................................................................................................45

III. Fazit ................................................................................................................................46

Teil F: Sicherung der demokratischen Grundlagen der Europäischen Union durch Einbindung der nationalen Parlamente.............................................................47

I. Reformansätze im nationalen Verfassungsrecht....................................................................471. "Maßgebliche Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundestages ........................48

a) Inhaltliche Reformansätze ................................................................................48b) Verfahren........................................................................................................48

2. Übertragung der Mitgliedschaftsrechte Deutschlands auf einen Vertreterdes Bundestages.......................................................................................................48

3. Öffentlichkeit für die Sitzungen des Ausschusses in Angelegenheiten der EU...............504. Mitwirkung des Bundestages bei Verfahren vor dem EuGH.......................................51

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II. Reformansätze im unionalen Verfassungsrecht.....................................................................511. Primärrechtliche Rechtssetzung .................................................................................51

a) Inhaltliche Reformansätze ................................................................................51b) Verfahren........................................................................................................52

2. Sekundärrechtliche Rechtssetzung.............................................................................52a) Die Ersetzung des Rates durch die Parlamente der Mitgliedsstaaten

bei Grundverordnungen und Rahmenrichtlinien.................................................53b) Die COSAC als Sackgasse.............................................................................53

3. Klagerecht für die nationalen Parlamente...................................................................53

Teil G: Thesen..........................................................................................................................54

Teil H: Literaturverzeichnis.....................................................................................................56

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Teil A:Anlass des Rechtsgutachtens und Gang der Untersuchung

Die europäische Integration und die mit ihr einher gehende Europäisierung des deutschen Verfas-sungsgefüges betreffen den Deutschen Bundestag in zweierlei Weise:

Sie entziehen ihm auf jenen Politikfeldern, die unionsrechtlich geregelt sind, zum einen die Möglichkeitzu einer eigenständigen politischen Gestaltung. Zwar bleibt er1 im Rahmen seines "Kooperationsver-hältnisses" zu den Rechtssetzungsorganen der EU zur Umsetzung von Richtlinien (Art. 249 UAbs. 3EG) und zur Operationalisierung von EG-Verordnungen2 berufen. Diese Aufgabe ist jedoch typi-scherweise mit eher geringen Gestaltungsspielräumen verbunden.3 Zahlenmäßig macht sie wohl be-reits den Schwerpunkt nationaler Legislativtätigkeit aus.4

Die europäische Integration verlagert den Schwerpunkt politischer Gestaltungsaufgaben zum anderenauf die im Rat der Europäischen Union vertretene Bundesregierung (Art. 203 EG) und modifiziertdamit die vom Grundgesetz etablierte Funktionenordnung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG).

Diese zunehmende Entparlamentarisierung des nationalen politischen Systems führt zu einem –rechtfertigungsbedürftigen – Absinken des demokratischen Legitimationsniveaus. Dies lässt sichfestmachen an Transparenzdefiziten für den Bürger, vermehrten Schwierigkeiten einer (politischen)Verantwortungszurechnung, einem legitimationsmindernden Auseinanderfallen von Erwartungen derWähler und Handlungsmöglichkeiten des Parlaments sowie an einem (partiellen) Leerlaufen des poli-tischen Prozesses, der weder durch Wahlen zum Europäischen Parlament noch durch nationaleWahlen steuerbar erscheint.

Vor diesem Hintergrund wendet sich die vorliegende Untersuchung zunächst der (Schlüssel-) Rollezu, die das Grundgesetz den Deutsche Bundestag für die Demokratie zuweist (Teil B). Sodann wirdder mit der Europäisierung einher gehende Prozess der Entparlamentarisierung skizziert, der keines-wegs auf Deutschland beschränkt ist (Teil C). Es wird auf die vor allem im letzten Jahrzehnt unter-nommenen Versuche auf Unionsebene in Deutschland sowie in ausgewählten anderen Mitgliedsstaa-ten eingegangen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken oder ihre Auswirkungen doch zumindest ab-zumildern (Teil D). Im Anschluss daran sollen Abhilfemöglichkeiten diskutiert werden, wobei sowohleine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments in Betracht kommt (Teil E) als auch die intensi-

1 Bzw. nach Maßgabe der Art.70ff GG die Landtage.

2 Siehe etwa die VO/EWG Nr. 1836/93 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einemGemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Betriebsprüfung (ABl. EG Nr.L 168/1), die durchdas UAG und die UAGBV operationalisierbar gemacht wurde, indem die zuständigen Behörden, das Verfah-ren etc. festgelegt wurden.

3 Siehe aber Protokoll zum EGV Nr.21 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhält-nismäßigkeit, Ziff. 6, 7; optimistischer auch C. D. Classen: in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004,Art.23 Rdnr.36.

4 So schon die Prognose von J. Delors: Bull. EG 7/8-1988, S.124; bekräftigend K. M. Meessen: Politische Iden-tität in Europa, EuR 34 (1999), 701/705. Für Frankreich ordnet eine Studie des Conseil d'Etat von 2981 im Jahre1991 in Kraft getretenen Legislativakten 1564 dem Implementationsbereich zu, d.h. 53%, Conseil d'Etat, Rap-port Public 1992, Etudes et documents, n.44; für die Niederlande kommt eine Studie hingegen lediglich auf30%; F. Mancini, Europa: Gründe für einen Gesamtstaat, KritV 81 (1998), 386/401.

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vere An- und Einbindung der nationalen Parlamente in den Rechtssetzungsprozess auf Unionsebene(Teil F). Thesen schließen die Untersuchung ab (Teil G).

Teil B:Die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes

Das Grundgesetz konstituiert die Bundesrepublik Deutschland als parlamentarische Demokratie.Dem Parlament, namentlich dem Deutschen Bundestag, kommt dabei nicht nur die Rolle des zentra-len Organs der Staatsleitung zu; über den Deutschen Bundestag erfährt auch die öffentliche Gewaltdes Bundes im Wesentlichen ihre demokratische Legitimation.

Demokratie und Volkssouveränität sind bindende Grundentscheidungen der Verfassung. Ihr strikterGeltungsanspruch gebietet, dass dem Volk – d.h. dem einzelnen Staatsbürger – ein effektiver undentscheidender Einfluss auf die konkrete politische Gestaltung des Staates und seiner Gesellschaftzukommen muss.5 Der Satz, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 2 Satz 1GG), besagt ferner, dass grundsätzlich jede Äußerungsform öffentlicher Machtausübung in Deutsch-land – wohlgemerkt nicht nur durch deutsche Staatsorgane6 – einer, wenn auch nur mittelbaren, sodoch konkreten demokratischen Legitimation durch das deutsche Volk bedarf. Alle Akte öffentlicherGewalt müssen vor diesem Hintergrund auf eine konkrete und individualisierbare Willensentschei-dung des Volkes zurückzuführen sein.

Aus der Grundentscheidung für eine effektive Demokratie folgt schließlich, dass Legitimation grund-sätzlich nur auf Zeit erteilt werden kann und dass jede in Rechtsform gegossene Entscheidung für dieZukunft grundsätzlich auch eine "rechtliche Umwertung" erfahren können muss.7

I. Wahlen und parlamentarische Demokratie

Das staatsrechtliche Verfahren, in dem diese politisch-konkrete Legitimation erteilt8 und politischeMacht verteilt wird9, ist die in periodischen Abständen wiederkehrende Wahl. Geprägt durch diekonkurrierenden politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) ist den Wahlen insoweit ein starker real-plebiszitärer Zug zu Eigen, erscheinen sie als "Surrogat der unmittelbaren Demokratie im Flächen-staat"10.

5 P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in:

Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60. Geburtstag vonPeter Badura, 1995, S.105/107.

6 BVerfGE 89, 155/175, 186; krit. H. Steinberger: Anmerkung zum Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsge-richts, in: Hommelhoff/Kirchhof (Hrsg.): Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S.25/29f.

7 P. M. Huber: Maastricht – ein Staatsstreich?, 1993, S.21f.; J. P. Müller: Grundrechte in der Demokratie, EuGRZ1983, 337/343, der in der Demokratie eine "sich ständig wiederholende Infragestellung des Status quo" sieht.

8 P. Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art.38 Rdnr.29, spricht in diesem Sinne davon, dass der"Volkswille" "... ein Prozess konkurrierender Gruppen und Interessen um politische, d.h. in der Ausübungvon Herrschaft wirksame, Durchsetzung" sei.

9 H. Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 1987, §37 Rdnr.36.

10 P. Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art.38 Rdnr.26.

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Das Wahlrecht erschöpft sich damit nicht in seiner verfahrensrechtlich-integrativen Funktion für dasrechtlich nur schwer zu fassende "Volk" und seinen Staat11, sondern vermittelt dem einzelnen Wahl-berechtigten ein effektives Recht auf Teilhabe an der Legitimation und Kontrolle der öffentlichenGewalt12.

Mit dem Maastricht-Urteil des BVerfG hat dieser Gedanke eine besondere Pointierung erfahren.13

Denn das Gericht hat dort die bisher eher objektiv-rechtlich verstandenen Verfassungsgrundsätze derDemokratie und der Volkssouveränität mit dem von Art. 38 Abs. 1 GG Gewähr leisteten Wahlrechtverknüpft.14 In dieser Lesart Gewähr leistet Art. 38 GG nicht mehr nur das Recht, durch die Wahl aneiner egalitären Legitimation und Kontrolle der Staatsgewalt teilzuhaben, er verbürgt dem Einzelnenauch ein subjektives öffentliches Recht auf eine bestimmte Kompetenzausstattung des zu wählendenParlaments.15

Zwar betont das BVerfG ausdrücklich, dass diese Deutung nur vor dem Hintergrund der über Art.23 GG auf die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes einwirkenden europäischen Integra-tion erfolge.16 Dennoch offenbart sich in diesen Passagen eine spürbare Akzentverschiebung in derDeutung der Wahlen, die nicht allein auf die europapolitische Dimension beschränkt bleiben kann.Spricht man dem einzelnen Wahlberechtigten nämlich ein effektives Individualrecht auf Mitentschei-dung über die Grundzüge nationaler Politik zu, so ist es vom subjektiven öffentlichen Recht auf einebestimmte Kompetenzausstattung des Parlaments zum subjektiven öffentlichen Recht auf ein be-stimmtes Parlament nurmehr ein kleiner Schritt.17 Dass das Gericht eine "wahlrechtliche Konkurren-tenklage" zumindest für das Kommunalwahlrecht gleichwohl verwirft, ist vor diesem Hintergrundnicht ganz konsequent.18

11 P. Badura: Über Wahlen, AöR 97 (1972), 1ff. mit einer Würdigung der Integrationslehre von R. Smend.

12 P. Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art.38 Rdnr.25ff.; ders., Parlamentarismus und parteien-staatliche Demokratie, in: FS für Michaelis, 1972, S.9/21f.; ders., Über Wahlen, AöR 97 (1972), 1/2; weiter geh-end G. Leibholz: Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20.Jahrhundert,1966³, S.226ff.

13 P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in:Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60. Geburtstag vonPeter Badura, 1995, S.105/109.

14 BVerfGE 89, 155/171ff., 182 – Maastricht; 97, 350/368f. – EURO.

15 P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in:Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60. Geburtstag vonPeter Badura, 1995, S.105/109.

16 BVerfGE 89, 155/172. Diese interessiert hier freilich auch.

17 In der Literatur wurde in diesem Ansatz denn auch zu Recht eine Distanzierung von jenem Verständnis gese-hen, das den 2. Senat angesichts der Auflösung des Bundestages von 1983 noch dazu bewogen hatte, einenAnspruch des einzelnen Wahlberechtigten auf Beibehaltung eines bestimmten Bundestages zu verneinen, H.Steinberger: Anmerkung zum Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Hommelhoff/Kirchhof(Hrsg.): Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S.25/26; Chr. Tomuschat: Die Europäische Unionunter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 1993, 489f.

18 BVerfGE 89, 155/189f.; ferner BVerfG, NVwZ 1998, 52/53; Beschluss vom 8.1.1997, 2 BvR 2862/95; 19.2.1997 –2 BvR 2621/95; krit. M. Brenner/P. M. Huber: Europarecht und Europäisierung im Jahr 1997, DVBl 1999,764/771.

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II. Die Schlüsselrolle des Parlaments

Dem aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Parlament fällt in der parlamentarischen Demo-kratie die Rolle des zentralen Leitungs- und Steuerungsorgans des Staates zu.19 In der Verfassungs-ordnung des Grundgesetzes erfährt dies seine wesentliche Konkretisierung im Parlamentsvorbehaltsowie in den überkommenen rechtsstaatlichen Grundsätzen vom Vorrang und Vorbehalt des Geset-zes. Umfang und Reichweite des Parlamentsvorbehalts sowie der rechtsstaatliche Vorbehalt desGesetzes stellen in der Ausgestaltung, die sie durch die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts erfahren haben20, sicher, dass alle politischen Entscheidungen, die für das Ge-meinwesen oder den Einzelnen von einigem Gewicht sind, durch das Parlament selbst getroffen wer-den. Der Vorrang des Gesetzes eröffnet dem Parlament zudem ein Zugriffsrecht auf alle Gegenstän-de, die nicht in den Kernbereich einer der anderen "Gewalten" verwiesen sind.21

Teil C:Die Entparlamentarisierung der nationalen Verfassungsordnung

I. Deutschland

1. Die Übertragung von Hoheitsrechten und die Auswirkungen auf das Parlament

Während die Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG eines Bundesgesetzes be-darf, dem Bundestag und Bundesrat grundsätzlich mit einer Mehrheit von zwei Dritteln zustimmenmüssen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG), sodass dem primären Unionsrechtdamit eine unmittelbare demokratische Legitimation zuteil wird22, gehört es zu den Funktionsbedin-gungen europäischer Integration, dass die Bundesrepublik Deutschland und ihre Organe, namentlichBundestag und Bundesrat, in dem Maße an Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen verlieren, indem Aufgaben und Befugnisse zur gemeinsamen Erledigung auf die Europäische Union und ihre Ge-meinschaften übertragen werden. Damit verliert – so das BVerfG23 – auch der einzelne Wahlberech-tigte zunächst "an Einfluss auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess". Das de-mokratische Legitimationsniveau sinkt.

Auf das Parlament, den Deutschen Bundestag, bezogen bedeutet dies, dass er in dem Maße ausseiner Rolle als oberstes Leitungsorgan des Staates zu Gunsten der im Rat vertretenen Regierungverdrängt wird, in dem Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen werden.24 Ein Mindest-maß an Gestaltungsmacht kann in diesem Zusammenhang nur noch über die Kontrolle der im Ratvertretenen und parlamentarisch verantwortlichen Bundesregierung erreicht werden. 19 W. Mößle: Die Regierungsfunktion des Parlaments, 1986, S.132ff., 163ff., 200ff.

20 BVerfGE 47, 46/78; 49, 89/129; 53, 30/56; 57, 295/320; 61, 260/275; 76, 1/74; 77, 170/230.

21 BVerfGE 49, 89/124f.; 67, 100/139; 68, 1/86ff.

22 BVerfGE 89, 155/187f. – Maastricht; 92, 203/238f. – Fernsehrichtlinie; 97, 350/369f. – EURO – jeweils mit Beto-nung der Bestimmtheit der übertragenen Ermächtigungen.

23 BVerfGE 89, 155/182.

24 P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in:Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60. Geburtstag vonPeter Badura, 1995, S.105/114.

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2. Die Mehrheitsentscheidungen im Rat

Mit dem Ausbau von Mehrheitsentscheidungen im Rat (Art. 205 EG) wird freilich auch diese Legiti-mationsbrücke brüchig.25 Denn damit kommen in der EU immer mehr Akte öffentlicher Gewalt zurAnwendung, die nicht mehr von der Zustimmung der vom deutschen Volk legitimierten Vertreter imRat getragen sind – und es sind meistens die deutschen Vertreter, die überstimmt werden.26 Dieverfassungsrechtliche Grundentscheidung für die Volkssouveränität kann hier unter Druck geraten.27

II. Die verfassungsrechtliche Diskussion in anderen Mitgliedsstaaten der EU

Dieser Befund ist kein deutsches Spezifikum, auch wenn die gerichtliche und wissenschaftliche Aus-einandersetzung mit diesem Problem hier zu Lande intensiver geführt wird als in anderen Mitglieds-staaten der EU. Dass sich deren Perzeption mit der hier skizzierten Problemsicht jedoch im Wesent-lichen deckt, belegt ein Blick auf die Diskussion in Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbri-tannien und Österreich.

1. Dänemark

Obwohl die dänische Verfassung vom 5. Juni 1953 die Regierungsform noch als "beschränkt-monarchisch" bezeichnet (§ 2 Satz 1 DänVerf.), ist sie der Sache nach doch demokratischer Natur.Die Gesetzgebung liegt nach §§ 41 f. DänVerf. in den Händen des Folketing oder des Volkes. Die-ses Gesetzgebungsrecht tritt freilich in dem Maße zurück, in dem nach § 20 DänVerf. verfassungs-rechtliche Befugnisse auf eine zwischenstaatliche Einrichtung wie die EU/EG übertragen werden.

Dass die damit einher gehende Europäisierung des dänischen Verfassungsgefüges faktisch zu einerschleichenden Entparlamentarisierung führt und sich insoweit als Demokratieproblem darstellen kann,hat der Oberste Gerichtshof Dänemarks in seinem Maastricht-Urteil vom 6. April 1998 ausdrück-lich hervorgehoben. Wörtlich heißt es dort unter Ziff. 9.9: "Im Hinblick auf die Frage, ob die Souve-ränitätsübertragung durch das Beitrittsgesetz einen solchen Charakter hat, dass es gegen den Verfas-sungsgrundsatz einer demokratischen Regierungsform verstößt, ist festzustellen, dass jede Übertra-gung von Teilen der Gesetzgebungskompetenz des Folketing an eine internationale Organisation,einen gewissen Eingriff in die demokratische Regierungsform Dänemarks mit sich bringt. Dies ist beider Gestaltung der strengen Voraussetzungen zur Verabschiedung gemäß § 20 Abs. 2 [der Dän-Verf.] berücksichtigt worden. Was den EG-Vertrag betrifft, ist die Gesetzgebungskompetenz in ers-

25 P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in:

Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60. Geburtstag vonPeter Badura, 1995, S.105/113.

26 M. Seidel: Die Einstimmigkeit im EU-Rat – eine leidige, aber nicht dispensable Regel, EuZW 2000, 65. Dasssich ausgerechnet die deutsche Bundesregierung und deutsche Europaparlamentarier für die Ausweitungvon Mehrheitsentscheidungen stark machen, wirft ein merkwürdiges Licht auf die Rationalität deutscher (Eu-ropa-)Politik.

27 P. Kirchhof: Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Hommelhoff/Kirchhof (Hrsg.): DerStaatenverbund der Europäischen Union, 1994, S.11/19.

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ter Linie dem Rat übertragen worden, in dem die dänische Regierung – in Verantwortung gegenüberdem Folketing – ihren Einfluss geltend machen kann. Es ist als dem Folketing zur Entscheidung ü-berlassen anzusehen, dazu Stellung zu nehmen, ob die Beteiligung der Regierung an der Zusammen-arbeit in der EG mehr demokratische Kontrolle voraussetzen sollte. Der Oberste Gerichtshof kannauch in dieser Hinsicht keine Gründe dafür finden, das Beitrittsgesetz als verfassungswidrig zu er-achten." 28

2. Frankreich

Das französische Parlament – bestehend aus der Nationalversammlung (Assemblée nationale) unddem Senat – hat im Verfassungsgefüge der V. Republik eine verhältnismäßig schwache Positiongegenüber dem Staatspräsidenten und der Regierung. Nach Art. 20 Abs. 1 Satz 1 FrzVerf. be-stimmt und leitet die Regierung die Politik der Nation. Politische Initiativen gehen grundsätzlich vonihr aus. Das Parlament ist neben seiner Gesetzgebungsfunktion (Art. 34 FrzVerf.) vor allem auf eineKontrolle der Regierung verwiesen. Sein Budgetrecht ist begrenzt (Art. 40 FrzVerf.), eine Abände-rung von Gesetzentwürfen der Regierung nur in begrenztem Umfang zulässig (Art. 44 Abs. 3FrzVerf.), das Interpellationsrecht unterentwickelt (Art. 48 Abs. 2 FrzVerf.), die Möglichkeit,schlichte Parlamentsbeschlüsse zu fassen, begrenzt.29 Als ultima ratio bleibt freilich der Misstrauens-antrag gem. Art. 49, 50 FrzVerf.

Die schwache Stellung des Parlaments hat dazu geführt, dass das mit der Europäisierung des natio-nalen Verfassungsgefüges einher gehende Problem schleichender Entparlamentarisierung lange Zeitnicht zur Kenntnis genommen wurde. Bis in die 1970er Jahre hinein ging man davon aus, dass dieMitwirkung am gemeinschaftsrechtlichen Rechtssetzungsverfahren als eine Art "domaine réservé"gleichsam allein Sache der Exekutive war.30 Obwohl das französische Ratifikationsgesetz zumEWGV eine jährliche Berichtspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament vorsah (Art. 2 loi No.57 – 880 vom 2.8.1957), wurde ein solcher Jahresbericht jedoch nie abgegeben. Eine Änderung derStaatspraxis trat erst mit dem Gesetz No. 79-564 vom 6.7.1979 ein.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Sensibilität gegenüber der mit der Europäisierung einher gehendenEntmachtung der nationalen Parlamente in Frankreich heute mit am stärksten ausgeprägt ist. Durch-aus repräsentativ für die französische Doktrin erscheint dabei etwa die ein solches Problembe-wusstsein implizierende Feststellung von J. F. Flauss: "La principalecritique adressée à la procédure de l'article 88 (4) est toutefois d'un autre ordre: elle ne saurait nicontrebalancer, ni compenser le dessaisissement progressif du Parlement de sa fonction législative."31

28 Oberster Gerichtshof, Urteil vom 6.4.1998 – I 361/1997, ZaöRV 58 (1998), 901/906.

29 Cons.Const. DC No.59-2 vom 17./18.6.1959; DC No.59-3 vom 24.6.1959. Der Cons.Const. hat in diesen Ent-scheidungen Parlamentsbeschlüsse, durch die die Regierung zu bestimmten Handlungen angewiesen oderkontrolliert werden sollte, für mit Art.20 FrzVerf. unvereinbar erklärt.

30 C. Bigaut: L'association du parlement français au processus d'élaboration des normes communautaires, RA1994, 29/30.

31 J. F. Flauss: Rapport français , in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.25/93f.

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3. Griechenland

In Griechenland wird die Entparlamentarisierung der nationalen Verfassungsordnung im Zuge derfortschreitenden Integration zwar durchaus gesehen. Sie wird jedoch weniger als Strukturbedingungdes Integrationsprozesses betrachtet, denn als Produkt mangelnden politischen Willens im Parlament,eine effektive Kontrolle über die Ratstätigkeit der griechischen Regierung auszuüben.32

Nur vereinzelt finden sich Stimmen, die mit Blick auf Art. 28 Abs. 3 GriechVerf. die Frage aufwer-fen, ob die Kumulation von fehlender Parlamentarisierung des unionalen Institutionengefüges undmangelnder Kontrolle der im Rat vertretenen Regierung nicht die der Integration Griechenlands ge-zogenen Grenzen der GriechVerf. überschreitet. So schreibt etwa G. Papadimitriou: "Die von derVerfassung gesetzten Grenzen hinsichtlich der Kontrolle des nationalen Defizits ließen sich anhandeiner soliden Anwendung des Art. 28 Abs. 3 Verf. ermitteln. Hieraus könnte man auch Kriterien fürden Ausgleich des gemeinschaftlichen Demokratiedefizits schlussfolgern. Nationales und gemein-schaftliches Demokratiedefizit, als die zwei Seiten einer Medaille, kennzeichnen sich durch ihren dia-lektischen Zusammenhang. Es ist daher erstaunlich, dass kein Versuch unternommen wurde, die vomUnionsvertrag vorgesehenen Institutionen gerade im Hinblick auf das relevante Verfassungsgebot zuüberprüfen, wonach die Grundlagen der demokratischen Staatsordnung nicht berührt werden dür-fen.

Gegen diese Argumentation ließe sich unter anderem vorbringen, dass die genaue Abgrenzung derGrundlagen der demokratischen Rechtsordnung kein leichtes Vorhaben sei. Darüber hinaus erfassedieser Begriff nur das nationale und nicht das gemeinschaftliche Defizit. Das erste Argument ist si-cherlich nicht abwegig; es darf allerdings nicht zur Auszehrung der Substanz der demokratischenRechtsordnung führen. Das zweite hält allerdings der Kritik nicht stand, da die Heranziehung derIntegrationsfunktion des Art. 28 Abs. 2 und 3 Verf. keinesfalls ohne Rücksicht auf das demokrati-sche Prinzip erfolgen darf".33

4. Großbritannien

In Großbritannien steht der mit der Europäisierung einher gehende Funktionsverlust von Westminsteraußer Frage: "The loser in the centralisation of power in Union institutions have been the NPs [i.e.National Parliaments]..."34

Auch dass die Mehrheitsentscheidungen im Rat die Parlamentssouveränität auszuhöhlen drohen, istallgemein anerkannt.35

32 G. Papadimitriou: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Griechenland, in: Bat-

tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.149/168f.

33 G. Papadimitriou: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Griechenland, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.149/171f.

34 P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.205/251.

35 P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.205/250ff.

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Darüber hinaus wird der Gewichtsverlust des Parlaments vornehmlich im Verhältnis zur dritten Ge-walt thematisiert. Das gilt insbesondere für die Factortame-Rechtsprechung des EuGH36, die briti-sche Gerichte dazu zwang, Parlamentsgesetze für unanwendbar ("inapplicable") zu erklären37. Siewird von britischen Autoren als "revolutonary event in UK law" beschrieben38, weil damit nicht nurmir einem zentralen Satz des Common law gebrochen, sondern auch die Stellung der Gerichte ge-genüber Westminster nachhaltig gestärkt wurde. Diagnose und Problembewusstsein liegen in derSache von jener des Kontinents also nicht weit entfernt.

5. Österreich

In Österreich war man sich darüber im Klaren, dass der Beitritt zur EU eine grundlegende Achsen-verschiebung in der nationalen Verfassungsordnung zur Folge haben würde – mit Blick auf die Ge-waltenteilung und den sehr weit reichenden Parlamentsvorbehalt, das (österreichische) Demokratie-prinzip (Art. 1 und 2 ÖstB-VG) u.v.a.m39. Durchaus repräsentativ ist unter dem hier interessierendenGesichtspunkt die nachfolgende Situationsbeschreibung von Heinz Schäffer: "Das Demokratieprin-zip ist [durch den EU- Beitritt Österreichs] insofern betroffen, als durch die Übertragung von quan-titativ erheblichen Rechtssetzungsbefugnissen an die Organe der EG, d.h. insbesondere an den Rat ...das Gesetzgebungsmonopol der nationalen Parlamente (Nationalrat, Bundesrat und Landtag) deut-lich geschmälert worden ist. Hinzu kommt, dass die Rechtssetzung in der EG nicht in einem deröBV vergleichbaren demokratischen Repräsentationszusammenhang erfolgt. Die wichtigsten Rechts-setzungsbefugnisse liegen beim Rat, einem staatenbündischen Organ, welches sich aus den Vertre-tern der Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Der Rat besitzt insofern eine partielle undabgeleitete demokratische Legitimation, als die Ratsmitglieder ihren heimischen nationalen Parlamen-ten einzeln verantwortlich sind. Eine Gesamtverantwortung des Rates kann bei dieser Konstruktionnicht gegeben sein. Das Europäische Parlament hat bei der 'Gemeinschaftsgesetzgebung' zwar gewis-se Mitwirkungsbefugnisse, aber keine Entscheidungskompetenzen, die jenen der nationalen Parla-mente gleichkommen würden. Die Rechtserzeugung in der EU ist also im Wesentlichen durch eineArt 'Regierungsgesetzgebung' gekennzeichnet, die nach bisherigem Demokratieverständnis nicht mitdem Demokratieprinzip zusammengeht, und ist überdies durch die besondere Form der richterli-chen Rechtsfortbildung durch den EuGH gekennzeichnet. Die offene Rechtsfortbildung durch dieGerichtsbarkeit ist nach dem zuvor Gesagten ebenfalls mit dem bisherigen Demokratieverständnisder öBV unvereinbar, was übrigens der VfGH bereits in anderem Zusammenhang erwähnt hat".40

36 EuGHE 1990, I – 2433ff. – The Queen / Secretary of State for Transport.

37 Seit Beginn der 1990er Jahre hat das House of Lords britische Gesetze wegen Unvereinbarkeit mit dem Uni-onsrecht für "inapplicable" erklärt, R v. Secretary of State for Employment ex parte Equal OpportunitiesCommission [1994] 1 All ELR 910; krit. A. W. Bradley: The Sovereignty of Parliament – in Perpetuity?, in: Jo-well/Oliver (ed.): The changing constitution, 1994³, S.79ff.

38 P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.205/241; P. Cullen: Die flexiblen Briten: Rechtsstellung eines Außenseiters in der EU, 1998, S.11,spricht von "Schock".

39 G. Holzinger: Umsetzung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Österreich, in: Magiera/Siedentopf(Hrsg.): Die Zukunft der Europäischen Union, 1997, S.87ff.; H. Schäffer: Österreichischer Landesbericht, in:Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S.339/354.

40 H. Schäffer: Österreichischer Landesbericht, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfas-sungsordnung, 2000, S.339/354f., unter Hinweis auf ÖstVfGH, VfSlg. 11.500/1987.

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Aus diesem Grunde wurde die österreichische Bundesverfassung anlässlich des EU-Beitritts einerGesamtrevision nach Art. 44 Abs. 3 ÖstB-VG unterzogen, d.h. einem Akt verfassungsgebenderGewalt.41

III. Fazit

In fast42 allen Mitgliedsstaaten wird die mit der Europäisierung einher gehende Entmachtung der nati-onalen Parlamente als zentrales Problem der Integration begriffen.43 In der damit verbundenen unzu-reichenden demokratischen Kontrolle des Rates liegt dann auch das "Demokratiedefizit" der EUvornehmlich begründet.44

Teil D:Ansätze zur Gegensteuerung und Kompensation

Vor diesem Hintergrund hat es in den vergangenen Jahren nicht an Versuchen der Gegensteuerunggefehlt, und zwar sowohl auf der Ebene der EU (I.) als auch und vor allem auf der Ebene des natio-nalen Verfassungsrechts (II. – IV.).

I. Unionsebene

1. Normative Regelungen

Auf Unionsebene ist insoweit insbesondere das "Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parla-mente in der Europäischen Union" von 1997 zu nennen, das mit dem Amsterdamer Vertrag Eingangin das unionale Verfassungsrecht gefunden hat. Dieses regelt – nach Abschnitten gegliedert – eineunionsrechtliche Pflicht der Regierungen der Mitgliedsstaaten, ihre nationalen Parlamente über dieAngelegenheiten der Union zu unterrichten und ergänzt insoweit die durchaus heterogenen Regelun-gen auf der Ebene des nationalen Verfassungsrechts (dazu unter 2.).

Darüber hinaus institutionalisiert das Protokoll in Anerkennung der Tatsache, dass die demokratischeLegitimation der EU und ihrer Gemeinschaften in erster Linie über die nationalen Parlamente er-folgt45, die "Konferenz der Europa-Ausschüsse", die sog. COSAC. Es hat folgenden Wortlaut:

41 Th. Öhlinger: Verfassungsrechtliche Aspekte eines Beitritts Österreichs zu den EG, 1988, S.44ff.; H. Schäffer:

Österreichischer Landesbericht, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsord-nung, 2000, S.339/352f., 354ff.

42 Die Einschränkung ist erforderlich, da eine rechtswissenschaftliche Diskussion zu dem hier interessierendenProblembereich nicht in allen Mitgliedsstaaten nachzuweisen ist. Am Befund ändert dies jedoch nichts.

43 P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001).

44 P. M. Huber: Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? – Zur Demokratiefähigkeit der EuropäischenUnion, in: Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.): Europäische Demokratie, Ius Europaeum, Bd.6, 1999,S.27/56; früher schon K. H. Friauf: Zur Problematik rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturelemente inzwischenstaatlichen Gemeinschaften, DVBl 1964, 781/783.

45 M. Pechstein/Chr. Koenig: Die Europäische Union, 2000³, Rdnr.572.

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"I. Unterrichtung der Parlamente der Mitgliedsstaaten1. Alle Konsultationsdokumente der Kommission (Grün- und Weißbücher sowie Mitteilungen) wer-den den Parlamenten der Mitgliedsstaaten unverzüglich zugeleitet.

2. Die Vorschläge der Kommission für Akte der Gesetzgebung, wie sie vom Rat nach Artikel 207Absatz 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgelegt werden, werdenrechtzeitig zur Verfügung gestellt, sodass die Regierung jedes Mitgliedsstaats dafür Sorge tragenkann, dass ihr einzelstaatliches Parlament sie gegebenenfalls erhält.

3. Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem ein Vorschlag für einen Rechtsakt oder ein Vorschlag für eineMaßnahme nach Titel VI des Vertrages über die Europäische Union dem Europäischen Parlamentund dem Rat in allen Sprachen von der Kommission unterbreitet wird, und dem Zeitpunkt, zu dem erzur Beschlussfassung entweder zur Annahme als Rechtsakt oder zur Festlegung eines gemeinsamenStandpunkts nach Artikel 251 oder Artikel 252 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Ge-meinschaft auf die Tagesordnung des Rates gesetzt wird, liegt ein Zeitraum von sechs Wochen, außerin dringenden Fällen, die in dem Rechtsakt oder gemeinsamen Standpunkt zu begründen sind.

II. Konferenz der Europa-Ausschüsse4. Die am 16./17. November 1989 in Paris gegründete Konferenz der Europa-Ausschüsse, im Fol-genden als 'COSAC' bezeichnet, kann jeden ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag für die Organeder Europäischen Union leisten, und zwar insbesondere auf der Grundlage von Entwürfen fürRechtstexte, deren Übermittlung an die COSAC von Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaa-ten in Anbetracht der behandelten Frage gegebenenfalls einvernehmlich beschlossen wird.

5. Die COSAC kann Vorschläge oder Initiativen im Zusammenhang mit der Errichtung eines Raumsder Freiheit, der Sicherheit und des Rechts prüfen, die möglicherweise unmittelbare Auswirkungenauf die Rechte und Freiheiten des Einzelnen nach sich ziehen. Das Europäische Parlament, der Ratund die Kommission werden über die von der COSAC nach dieser Nummer geleisteten Beiträgeunterrichtet.

6. Die COSAC kann dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission jeden ihr zweck-mäßig erscheinenden Beitrag über die Gesetzgebungstätigkeiten der Union, insbesondere hinsichtlichder Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtssowie der Grundrechte betreffenden Fragen vorlegen.

7. Die Beiträge der COSAC binden in keiner Weise die einzelstaatlichen Parlamente und präjudi-zieren in keiner Weise deren Standpunkt."2. Stimmabgabe ad referendum

Über diese primärrechtliche Fixierung einer An- und Einbindung der nationalen Parlamente in dasRechtssetzungssystem der EU hinaus nehmen Frankreich und Großbritannien46 im Bereich der sog.ersten Säule, Dänemark, Deutschland und Österreich auch im Anwendungsbereich der zweiten und

46 V. Bogdanor: Britain and the European Community, in: Jowell/Oliver (ed.): The changing Constitution, 1994³,

S.14.

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dritten eine "Stimmabgabe ad referendum" ("parliamentary scrutiny reserve") in Anspruch.47 Sie ma-chen ihre Stimmabgabe im Rat der EU m.a.W. von der Befassung ihrer nationalen Parlamente ab-hängig.48

Das ist auch unionsrechtlich legitimiert, sieht das Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parla-mente in der EU doch vor, dass zwischen einem Kommissionsvorschlag und der Beschlussfassung imRat grundsätzlich sechs Wochen liegen müssen, um den nationalen Parlamenten Gelegenheit zurStellungnahme zu geben (Ziff. I.3).

II. Deutschland

In Deutschland hat der verfassungsändernde Gesetzgeber den mit der Europäisierung verbundenenEinbruch in die Zuständigkeit von Bundestag und Bundesrat durch die Einführung des neuen Art. 23GG zu mildern versucht.49 Dieser regelt die Beteiligungsrechte des Parlaments sowohl beim Erlassdes Primärrechts, der Vertragsänderung (Art. 48 EU), als auch bei der Mitwirkung der deutschenVertreter im Rat. Er wird konkretisiert und ergänzt durch das ZusBTG50 und das ZusBRG51, diejeweils vom 12. März 1993 datieren.

1. Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat im Verfahren derVertragsänderung (Art. 48 EU)

a) Bundestag

Für formell und materiell verfassungsändernde Integrationsgesetze, d.h. nicht nur für die Änderungder vertraglichen Grundlagen der EU, die sich unmittelbar auf die deutsche Verfassungsordnungauswirken, sondern auch für Regelungen, die eine (materielle) Änderung des Grundgesetzes nur er-möglichen, ordnet Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG die Anwendbarkeit von Art. 79 Abs. 2 GG an.Das bedeutet der Sache nach, dass nicht nur – wie auch schon vor 1993 – ausdrückliche Änderun-gen des Grundgesetzes in dem Verfahren nach Art. 79 GG verabschiedet werden müssen und inso-weit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag bedürfen, sondern dass dies auch für die materiellenVerschiebungen im Verfassungsgefüge gilt, die sich aus seiner Europäisierung ergeben.52 Damit be-

47 W. Fischer/C. D. Koggel: Die Europakammer des Bundesrates, DVBl 2000, 1742/1745, weisen zu Recht auf die

Nachteile dieses Vorgehens hin: verzögerte Beschlussfassung, weitere Konflikte mit anderen Mitgliedsstaa-ten etc.

48 U. Bernitz: Swedish report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.389/438; allgemein zur Stimmabgabe ad referendum: M. Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand2000, Art.205 Rdnr.24; J. Chr. Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 1999, Art.205 Rdnr.10.

49 BT.-Sonderauschuss "Europäische Union", BT.-Drucks.12/3896, S.19f.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG,Stand 1996, Art.23 Rdnr.92.

50 BGBl. I 1993, 311f.

51 BGBl. I 1993, 313f.

52 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §3 Rdnr.11.

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darf praktisch jede inhaltliche Änderung des unionalen Verfassungsrechts (EU, EG, EAG) einesverfassungsändernden Gesetzes.53

b) Bundesrat

Mit Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ist darüber hinaus festgelegt worden, dass die Integrationsgesetze –anders als unter der Geltung von Art. 24 Abs. 1 GG – nicht mehr als bloße Einspruchsgesetze erlas-sen werden dürfen, sondern der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Jede Änderung der Verträ-ge ist deshalb – soweit sie nicht ohnehin schon unter Art. 79 Abs. 2 GG fällt – als zustimmungspflich-tiges Gesetz zu behandeln.54

2. Die Mitwirkungsrechte des Bundestages bei der sekundärrechtlichenRechtssetzung der EU

Der Befund, dass der Deutsche Bundestag in dem Maße aus seiner Funktion als oberstes Organ derStaatsleitung verdrängt wird, in dem Aufgaben und Befugnisse auf die Europäische Union übertragenwerden, und dass dies mit einer innerstaatlichen Gewichtsverlagerung auf die im Rat vertretene Bun-desregierung einher geht, ist erst Ende der 1980er Jahre ins allgemeine Bewusstsein gedrungen.Nach fast 30-jährigem "Dornröschenschlaf" ist auch der Deutsche Bundestag anlässlich der Ratifika-tion des Maastricht-Vertrages ein wenig zu sich gekommen. Mit der Einführung von Art. 23 Abs. 2und 3, Art. 45 GG sowie dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deut-schem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (ZusBTG) hat er einen ersten Versuchunternommen, die Erosion seiner verfassungsrechtlichen Kompetenzen zu bremsen bzw. zu kompen-sieren.

Mit den dort niedergelegten Mitwirkungsmöglichkeiten sind die Kompetenzen der Bundesregierungim Bereich der Integrationsgewalt notgedrungen ein wenig beschränkt worden. Diese abermaligeVerschiebung der grundgesetzlichen Funktionenordnung ist – da durch den verfassungsänderndenGesetzgeber angeordnet – nicht per se problematisch.55 Sie führt, im Gegenteil, dazu, dass die mitder Europäisierung des nationalen Verfassungsgefüges einher gehende Entmachtung des DeutschenBundestages ein Stück weit rückgängig gemacht wird.56

a) Informationsrecht

53 C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Rdnr.21; R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.):

GG, 1999², Art.23 Rdnr.65.

54 C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Rdnr.20; P. M. Huber: Recht der Euro-päischen Integration, 1996, §3 Rdnr.11.

55 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.9.

56 Zur Parallelität von Mitwirkungsrechten und innerstaatlicher Kompetenzverteilung: Gemeinsame Verfas-sungskommission, BT.-Drucks. 12/6000, S.20; R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.92.

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Die "Grundnorm"57 des Art. 23 Abs. 2 GG spricht dem Deutschen Bundestag ein grundsätzlichesMitwirkungsrecht an den Angelegenheiten der Europäischen Union zu und verpflichtet die Bundesre-gierung zu einer umfassenden und frühzeitigen Unterrichtung des Parlaments. Zweck dieser Regelungist es, dem Bundestag ausreichend Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfallswie er sich an der nationalen Willensbildung zu dem betreffenden Vorhaben beteiligen möchte.

In § 1 ZusBTG wird dieses Mitwirkungsrecht als Mitwirkung "an der Willensbildung des Bundes"präzisiert. Die §§ 3 und 4 ZusBTG gestalten die Pflicht der Bundesregierung näher aus, den Bun-destag umfassend und frühzeitig zu unterrichten. Sie erstrecken diese Verpflichtung auf alle Vorhabenin der Europäischen Union, die für die Bundesrepublik Deutschland von Interesse sein könnten (§ 3ZusBTG).

Inhaltlich besteht die Unterrichtung in der Übersendung von Entwürfen, in der Information über In-halte, Zielsetzungen, Verfahren und Zeitpunkte der Unionsvorhaben sowie in der Unterrichtung überdie Willensbildung der Bundesregierung und den Stand der Verhandlungen (§ 4 ZusBTG).

Kritik hat in diesem Zusammenhang die Bestimmung des § 4 Abs. 2 ZusBTG erfahren. Soweit sieanordnet, dass der Bundestag auch über die Willensbildung der Bundesregierung zu unterrichten sei,ist diese Kritik berechtigt58: Denn die regierungsinterne Willensbildung muss schon aus Gründender Funktionsfähigkeit dieses Verfassungsorgans dem "parlamentsfesten" Vorbehalt der Exekutivezugerechnet werden. Insoweit lässt sich übertragen, was das BVerfG zur Reichweite der Aktenvor-lagepflicht von Untersuchungsausschüssen festgestellt hat:59 "Die Verantwortung der Regierung ge-genüber Parlament und Volk … setzt notwendigerweise einen 'Kernbereich exekutiver Eigenverant-wortung' voraus …, der einen … grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- undHandlungsbereich einschließt. Dazu gehört z.B. die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hin-sichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortent-scheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessenvollzieht."

Selbst durch ein verfassungsänderndes Gesetz wäre daher eine Informationsverpflichtung über diesenWillensbildungsprozess nicht zu erreichen. § 4 ZusBTG muss deshalb verfassungskonform so ausge-legt werden, dass er die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag unverzüglich über das Ergeb-nis ihrer Willensbildung zu unterrichten.60

57 R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.93.

58 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.12.

59 BVerfGE 67, 100/139; ferner R. Scholz: Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis,AöR 105 (1980), 598.

60 M. Brenner: Das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in An-gelegenheiten der Europäischen Union, ThürVBl 1993, 196/201.

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b) Mitwirkungsrechte bei der Rechtssetzung auf Unionsebene

Die auf die Rechtssetzungstätigkeit der Europäischen Union bezogenen parlamentarischen Einfluss-und Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich des Verhaltens der Bundesregierung im Rat finden demgegen-über in Art. 23 Abs. 3 GG eine spezifische Regelung. Diese wird entsprechend Art. 23 Abs. 3 Satz3 GG durch § 5 ZusBTG konkretisiert.

Danach muss die Bundesregierung vor ihrer Mitwirkung an Rechtssetzungsakten in der EuropäischenUnion dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG). Der Inhaltdieser Stellungnahme ist bei den Verhandlungen zu berücksichtigen.

Gewisse Auslegungsschwierigkeiten können sich allerdings daraus ergeben, dass § 5 Satz 3 ZusBTGnicht von einer "Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundestages spricht, sondern davon, dassdie Bundesregierung die Stellungnahme in ihren Verhandlungen"zugrundezulegen" habe. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass hier eine Diskrepanz besteht.61

Dennoch hat dies nicht die Verfassungswidrigkeit von § 5 Satz 3 ZusBTG zur Folge. Denn eine dieEntstehungsgeschichte einbeziehende Auslegung der Vorschrift als zulässige (Teil-)Konkretisierungder insgesamt weiteren verfassungsrechtlichen Bestimmung ist durchaus möglich.62 Danach beziehtsich Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG mit der Forderung nach einer "Berücksichtigung" der Stellungnahmedes Bundestages bei den Verhandlungen auf den gesamten Willensbildungsprozess auf europäischerEbene63; durch die zurückhaltende Formulierung einer bloßen Berücksichtigungspflicht will er derBundesregierung bei der endgültigen Entscheidung im Rat einen ausreichenden Gestaltungsspielraumsichern. Dagegen meint § 5 Satz 3 ZusBTG den Anfang des europäischen Willensbildungsprozes-ses.64 Auf seiner Grundlage kann die Bundesregierung im Hinblick auf ein anstehendes Rechtsset-zungsverfahren in der Europäischen Union durchaus dazu verpflichtet werden, das deutsche Ver-handlungsziel entsprechend der Stellungnahme des Deutschen Bundestages festzulegen.65

Eine Bindung an die Stellungnahme des Bundestags wird damit nicht angeordnet. Vielmehr belässtes Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG auch für den Bereich der Europäischen Union letztlich weitgehend beider allgemeinen Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen und der Integrationsgewalt: Siekommt grundsätzlich der Exekutive zu, die bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen lediglich in demvom Grundgesetz ausdrücklich geregelten Umfang an die Mitwirkung des Parlaments gebunden ist.66

Ein grundlegender Dissens zwischen Parlament und Regierung über die Wahrnehmung der deutschenMitgliedschaftsrechte im Rat, insbesondere über das Abweichen von der nach § 5 Satz 3 ZusBTGzugrundezulegenden Verhandlungslinie, wird deshalb nur durch ein konstruktives Misstrauensvotumgegen den Bundeskanzler (Art. 67 GG) im Sinne des Bundestages entschieden werden können.

61 BT.-Drucks. 12/3896, S.24; R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.116.

62 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.15.

63 R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.116.

64 R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.116.

65 BT.-Drucks. 12/3896, S.19.

66 M. Brenner: Das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in An-gelegenheiten der Europäischen Union, ThürVBl 1993, 196/198; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Stand 1996,Art.23 Rdnr.99.

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Grundsätzliche verfassungsrechtliche Einwände aus der Funktionsverteilung zwischen Parlament undRegierung – diese könnten lediglich aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG hergeleitetwerden – bestehen gegen diese Ausgestaltung der parlamentarischen Kontrolle über die exekutivi-sche Integrationsgewalt nicht. Der Bundestag hat sich mit den dargestellten Regelungen lediglich ei-nen Teil jener Kompetenzen zurückgeholt, die in Folge der Vergemeinschaftung von Aufgaben undBefugnissen unter innerstaatlichem Blickwinkel bereits auf die zur Wahrnehmung der deutschen Mit-gliedschaftsrechte berufene Bundesregierung übergegangen waren und die grundgesetzliche Funktio-nenordnung schon modifiziert hatten.67

c) Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union

Art. 23 Abs. 2 und 3 GG werden durch Art. 45 GG ergänzt und abgerundet. Durch die Institutiona-lisierung eines eigens für Angelegenheiten der Europäischen Union eingerichteten Ausschusses unter-streicht die Verfassung die besondere Bedeutung der Europapolitik.

Verfassungsrechtlich stellt Art. 45 GG ein Novum dar, weil er zum ersten Mal die Möglichkeit vor-sieht, dass die dem Bundestag insgesamt zustehenden Kontrollkompetenzen auf eine seiner Unter-gliederungen übertragen werden. Nach Art. 45 Satz 2 GG kann der dort vorgesehene Ausschussnämlich durch die Geschäftsordnung des Bundestages dazu ermächtigt werden, die Rechte des Bun-destags gem. Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Davon hat der Bundestagmit § 93a GeschOBT in der Weise Gebrauch gemacht, dass eine solche Ermächtigung des Aus-schusses auf Antrag einer Fraktion bzw. von 5 v.H. der Mitglieder des Bundestags im Einzelfall er-folgen kann.

Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten kann also invollem Umfang auf den Ausschuss delegiert werden, der damit als eigenständiges Verfassungsorganan die Stelle des Bundestages tritt. Zweck dieser Regelung ist es, eine schnelle und flexible Reaktiondes Parlaments zu ermöglichen, wenn im Rat kurzfristig Entscheidungen anstehen.

3. Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates

a) Allgemeines

Nach Art. 50 GG wirken die Länder durch den Bundesrat auch in den Angelegenheiten der Europäi-schen Union mit. Die näheren Bestimmungen dazu finden sich in den Art. 23 Abs. 2, Abs. 4 bis 6, 53Abs. 3a GG sowie in dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in den Angele-genheiten der Europäischen Union (ZusBRG).

Mit diesen Regelungen wird im Hinblick auf die Mitwirkung des Bundesrates ein System abgestufterBindungen der Bundesregierung bei der Wahrnehmung der deutschen Mitgliedschaftsrechte im Ratetabliert. Dieses orientiert sich an der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes undversucht sie in den Bereich der Integrationsgewalt hinein zu verlängern.68 Nach der Grundnorm des

67 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.18.

68 R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.9, 92.

23

Art. 23 Abs. 4 GG ist der Bundesrat deshalb an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, "so-weit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Län-der innerstaatlich zuständig wären".

b) Die abgestuften Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates

Geht es bei einem Vorhaben in der Europäischen Union um einen in die ausschließliche Gesetzge-bungs- (Art. 73, 105 Abs. 1 GG) oder Verwaltungskompetenz (Art. 87 ff. GG) des Bundes fallen-den Gegenstand oder betrifft das Vorhaben schwerpunktmäßig Gegenstände, die den Gesetzge-bungskompetenzen des Bundes zuzurechnen sind (Art. 73 bis 75, 105 GG), berührt es jedochgleichwohl Interessen der Länder, so berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme desBundesrates, Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG. Auf der innerstaatlichen Ebene steht dem Bundesrat in die-sem Bereich typischerweise lediglich das Recht zu, nach Art. 77 Abs. 3 GG Einspruch gegen Ge-setzentwürfe des Bundestages zu erheben. Dementsprechend gering sind nach dem Grundgedankendes Art. 23 Abs. 4 GG auch seine Beteiligungsrechte in europäischen Angelegenheiten. Deshalbbeinhaltet das Berücksichtigungsgebot hier auch nur die Verpflichtung der Bundesregierung, demBundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und den Inhalt dieser Stellungnahme in die Fest-legung ihrer Verhandlungsposition– also am Anfang des Willensbildungsprozesses auf europäischer Ebene – einfließen zu lassen (§ 5Abs. 1 ZusBRG). Eine Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundesrates bestehthier von Anfang an nicht.

Geht es in der Europäischen Union dagegen um Materien, die im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefug-nisse der Länder, die Einrichtung der Behörden oder das Verwaltungsverfahren betreffen, so bemes-sen sich die Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG i.V.m. § 5 Abs.2 Satz 1 1.Halbs. ZusBRG.

Von dieser Regelung erfasst werden alle Fälle, in denen

− der Bund von seinen Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der konkurrierenden oder derRahmengesetzgebung keinen abschließenden Gebrauch gemacht hat bzw. keinen Gebrauch ma-chen durfte, sodass es insoweit mit der Zuständigkeit der Länder sein Bewenden hat (Art. 72Abs. 1, 2, 74 f. GG);

− der Bund über keine für das Vorhaben zentralen Gesetzgebungskompetenzen verfügt, das Vor-haben also innerstaatlich schwerpunktmäßig in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz derLänder fiele (Art. 70 GG) oder

− Bundesgesetze wegen ihrer Regelungen über die Einrichtung von Behörden bzw. das Verwal-tungsverfahren nach Art. 84 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 1 GG der Zustimmung des Bundesratesbedürfen.

Auch hier wirkt sich das Berücksichtigungsgebot, wie dem Hinweis auf die "Willensbildung des Bun-des" in Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG zu entnehmen ist, bereits am Anfang des Willensbildungsprozessesauf unionaler Ebene aus, d.h. schon bei der Festlegung der deutschen Verhandlungsposition.

Allerdings ist in den hier aufgeführten Fällen eine "maßgebliche Berücksichtigung" der Stellungnahmedes Bundesrates geboten. Dem ist verfahrensrechtlich dadurch Rechnung zu tragen, dass dem Bun-

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desrat frühzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird sowie dadurch, dass die Bundesregie-rung im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Vertreter der Länder in ihre Verhandlungsdelegation auf-zunehmen hat (§ 6 Abs. 1 ZusBRG). In der Sache soll die maßgebliche Berücksichtigung auf dieHerstellung eines Einvernehmens zwischen Bundesrat und Bundesregierung hinauslaufen (§ 5 Abs.2 Satz 2 und 3 ZusBRG). Kann dieses Einvernehmen nicht erzielt werden, so sieht § 5 Abs. 2 Satz 5ZusBRG vor, dass sich die Auffassung des Bundesrates gegen die der Bundesregierung durchsetzt,wenn der Bundesrat einen Beschluss mit Zweidrittel-Mehrheit gefasst hat.

Das Gebot, die in der Stellungnahme des Bundesrates niedergelegte Auffassung "maßgeblich zu be-rücksichtigen", wird allerdings durch das Erfordernis begrenzt, die gesamtstaatliche Verantwortungdes Bundes zu wahren (Art. 23 Abs. 5 Satz 2 2.Halbs. GG, § 5 Abs. 2 Satz 2 ZusBRG). In Über-einstimmung mit dem insoweit nicht näher beschränkten Bundesstaatsprinzip erfordert dies eine ver-fassungskonforme Reduktion von § 5 Abs. 2 Satz 4 ZusBRG.69 Daher muss zumindest in den Fällen,in denen der Bund über eigenständige Kompetenzen verfügt, sichergestellt sein, dass sich die Bun-desregierung als politischer Repräsentant des die Integrationsgewalt innehabenden Gesamtstaatesgegen das verweigerte Einvernehmen des Bundesrates durchsetzen kann. Hier muss es deshalb beider schlichten Berücksichtigungspflicht des Art. 23 Abs. 5 Satz 1 GG verbleiben.70

Ein Letztentscheidungsrecht des Bundesrates ist dagegen nur für den Bereich ausschließlicher Ge-setzgebungsbefugnisse der Länder zu rechtfertigen, wird im Übrigen den gesamtstaatlichen Erforder-nissen jedoch nicht gerecht.

Nach Art. 23 Abs. 6 GG soll, wenn mit einem Vorhaben auf Unionsebene im Schwerpunkt aus-schließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind (Art. 70 GG), die Wahrnehmungder Mitgliedschaftsrechte Deutschlands im Rat auf einen vom Bundesrat zu benennenden Vertreterder Länder im Ministerrang übertragen werden. Eine nähere Ausgestaltung dieser Vorschrift findetsich in § 6 Abs. 2 bis 4 ZusBRG.

Bei Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG handelt es sich allerdings nur um eine Soll-Vorschrift. Auch muss dieWahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte Deutschlands unter Beteiligung und in Abstimmung mit derBundesregierung erfolgen, wobei die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren ist (Art.23 Abs. 6 Satz 2 GG).

Diese Regelung ist sowohl aus verfassungsrechtlichen wie auch aus rechtspolitischen Erwägungenproblematisch.71 Aus verfassungsrechtlicher Sicht bereitet sie unter dem Gesichtspunkt des Demo-kratieprinzips Probleme. Dem Landesminister fehlt es ungeachtet seiner Beauftragung durch denBundesrat nämlich an einer auf das gesamte deutsche Volk zurückführbaren und nur über den Bun-destag zu vermittelnden demokratischen Legitimation. Er unterliegt auch keiner vom Bundestag ein-zufordernden parlamentarischen Verantwortung72 und vermag gleichwohl für den Gesamtstaat ver-bindlich zu handeln. Das eröffnet ein (personelles) Legitimationsdefizit, das nicht allein mit dem Hin-

69 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.25.

70 R. Scholz, in: Maunz/Dürig: GG, Stand 1996, Art.23 Rdnr.126.

71 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.27f.

72 P. Badura: Thesen zur Verfassungsreform in Deutschland, in: Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung undRechtsschutz, FS für Konrad Redeker zum 70. Geburtstag, 1993, S.111/126.

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weis darauf abgetan werden kann, dass Art. 23 Abs. 6 GG durch verfassungsänderndes Gesetz indas Grundgesetz aufgenommen worden ist.Eine Auslegung der Bestimmung im Lichte der "Einheit der Verfassung" wird der Bundesregierungdaher zumindest die Befugnis zuerkennen müssen, in begründeten Fällen von derÜbertragung der Vertretungsbefugnis auf einen Ländervertreter abzusehen bzw. einen bereits be-stellten Vertreter wieder abzuberufen. § 6 Abs. 2 ZusBRG lässt diese Interpretation zu.

Aus rechtspolitischen Erwägungen ist die Regelung von Art. 23 Abs. 6 GG i.V.m. § 6 ZusBRG derKritik ausgesetzt, weil sie eine effektive Verhandlungsführung auf deutscher Seite nachhaltig er-schwert.

So ist es etwa im Hinblick auf die im Rat üblichen "Paketlösungen" sehr unglücklich, dass die Ver-handlungsführung nicht bei allen möglicherweise in ein solches "Paket" einzubeziehenden Gegenstän-den in der Hand der im Regelfall zuständigen Bundesregierung liegt. Denn es kann nicht erwartetwerden, dass die anderen Mitgliedsstaaten in ihrer Verhandlungsführung gerade auf die bundesstaat-liche Kompetenzverteilung Deutschlands Rücksicht nehmen werden. Die Beteiligungs- und Abstim-mungserfordernisse mit der Bundesregierung (Art. 23 Abs. 6 GG, § 6 Abs. 2 Satz 3 ZusBRG) kön-nen dieses Defizit aber mildern.

Dennoch dürfte die Kontinuität der Verhandlungsführung schwierig werden. Da die vom Bundesratzu benennenden Vertreter turnusmäßig wechseln, können auch die von Land zu Land unterschiedli-chen parteipolitischen Konstellationen der jeweiligen Landesregierung in die AußenvertretungDeutschlands einfließen und sich hier als instabiles Moment erweisen.

Schließlich wird eine effektive Verhandlungsführung dadurch erschwert, dass bei dringendem Ent-scheidungsbedarf in der Europäischen Union auf deutscher Seite allein die Standpunkte von 16 Län-dern koordiniert werden müssen. Das gelingt – wie die Erfahrungen zeigen – des Öfteren nicht.73

c) Europakammer

Parallel zum Bundestags-Ausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 45 GG) siehtArt. 52 Abs. 3a GG die Einrichtung einer Europakammer beim Bundesrat vor. Deren Beschlüssegelten als Beschlüsse des Bundesrates. Sie hat seit 1993 jedoch erst drei Mal getagt.74

73 Siehe FAZ vom 28.2.1998: "Manche Länder missbrauchen Mitwirkungsrechte in der EU"; W. Fischer/C. D.

Koggel: Die Europakammer des Bundesrates, DVBl 2000, 1742/1746.

74 W. Fischer/C. D. Koggel: Die Europakammer des Bundesrates, DVBl 2000, 1742ff.

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III. Andere Mitgliedsstaaten

Alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union kennen heute – wenn auch meist nicht auf Verfas-sungsebene geregelt75 – Informations- und Beteiligungsrechte ihrer nationalen Parlamente in Angele-genheiten der Europäischen Union. Auch wenn deren Ausgestaltung im Einzelnen variiert, so über-wiegen im Hinblick auf die zentrale Frage der rechtlichen Bindung der jeweiligen Regierungen letztlichdoch die Gemeinsamkeiten. Das zeigt der nachfolgende Blick auf die Rechtslage in Belgien, Däne-mark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien und Österreich.

1. Belgien

a) Die Mitwirkung der Kammern bei der Vertragsänderung

Die belgische Verfassung vom 17. Februar 1992 i.d.F. vom 7. Mai 1999 statuiert jenseits der übli-chen Öffnungsklausel des Art. 34 BelgVerf. in Art. 168 mit Blick auf Vertragsänderungen gem. Art.48 EU sowie die sog. Evolutivklauseln auch eine Pflicht, die Kammern zu informieren. Sie entstehtmit der Eröffnung der entsprechenden Verhandlungen. Darüber hinaus müssen die Kammern desbelgischen Parlaments vor der Unterzeichnung vom Vertragsentwurf in Kenntnis gesetzt werden.

b) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit

Für die sekundärrechtliche Rechtssetzungstätigkeit des Rates fehlt es zwar an Regelungen in derBelgVerf. Sie finden sich jedoch im Sondergesetz vom 8. August 1980 über die institutionelle Um-gestaltung im Rahmen der belgischen Staatsreform, das – durch ein Sondergesetz vom 5. Mai 1993ergänzt – im Titel IVter Vorschriften über die "Information der Parlamentskammern und der Regio-nalräte über Vorschläge für Gemeinschaftsrechtsakte" enthält. Sein Art. 92quater Abs.1 statuierteine Informationspflicht hinsichtlich aller Kommissionsvorschläge.76

Dessen ungeachtet forderte die Abgeordnetenkammer in einer Entschließung vom 9. Juni 1993 einestärkere Anbindung der belgischen Minister an das Parlament und eine bessere parlamentarischeKontrolle der (belgischen) Ratstätigkeit. Die Regierung wurde aufgefordert, zu den übermitteltenKommissionsentwürfen eine Zusammenfassung zu erarbeiten, die die Begründung des Vorschlagsenthält und in der die sozio-ökonomischen, rechtlichen und politischen Auswirkungen des Vorschlagssowie seine Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip beschrieben werden.77

c) Beratende Europaausschüsse

75 Das gilt z.B. für Italien, wo die Informations- und Mitwirkungsrechte nur in einfachen Gesetzen bzw. den

Geschäftsordnungen der Kammern niedergelegt sind, Legge Nr.183 vom 16.4.1987, GBl. Nr.109 vom 13.5.1987;Legge Nr.400 vom 23.8.1988, GBl. Nr.214 vom 12.9.1988; Legge Nr.89 vom 9.3.1989, GBl. Nr.58 vom 10.3.1989.Näheres bei M. Panebianco: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Italien, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.267/269.

76 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.50.

77 Chambre des Répresentants, Ses.Ord. 1992-1993, Dok. Nr.1032/2, S.1ff.

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Die parlamentarische Kontrolle der Außenvertretung Belgiens im Rat erfolgt durch einen beratendenEuropaausschuss in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Der Europaausschuss der Abgeord-netenkammer besteht gem. Art. 100 Abs. 1 Rég.-Chambre aus 10 Parlamentsmitgliedern und 10belgischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments.78 Der Europaausschuss des Senats findetseine Rechtsgrundlage in Art. 62bis der Geschäftsordnung des Senats. Er besteht aus 22 Mitglie-dern, wobei die belgischen Abgeordneten im Europäischen Parlament ohne Stimmrecht an den Sit-zungen teilnehmen können.

2. Dänemark

a) Die Mitwirkung des Folketing bei der Vertragsänderung

Das dänische Verfassungsrecht errichtet vor einer Vertragsänderung nach Art. 48 EU die höchstenHürden in der EU. Nach § 20 Abs. 1 DänVerf. können Befugnisse der dänischen Verfassungsorga-ne zwar durch Gesetz auf zwischenstaatliche Einrichtungen – und damit auch auf die EU – übertragenwerden. Die dafür erforderliche Mehrheit im Folketing ist mit fünf Sechsteln (§ 20 Abs. 2 Satz 1DänVerf.) jedoch denkbar hoch. Wird sie nicht erreicht – und das ist, wie auch die politische Praxiszeigt typischerweise der Fall – bedarf es einer Volksabstimmung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 42DänVerf.).

b) Europaausschuss

Die Beteiligungsrechte des Parlaments an der sekundärrechtlichen Rechtssetzung der EU sind dage-gen nicht in der DänVerf. niedergelegt, sondern im Gesetz über den Beitritt Dänemarks zur EWGvon 1972. Danach ist der dänische Ratsvertreter nicht nur an die Beschlüsse der Regierung (Staats-rat) gebunden, sondern unterliegt auch einer verhältnismäßig strengen Kontrolle durch den Europa-ausschuss des Folketing.

Dieser wurde schon anlässlich des Beitritts Dänemarks zur EWG im Jahre 1972 eingerichtet undfindet seine rechtliche Grundlage in § 6 Abs. 2 BeitrittsG, wo es heißt: "Die Regierung unterrichteteinen vom Folketing eingesetzten Ausschuss über Vorschläge für Rechtsakte des Rates, die in Dä-nemark unmittelbar anwendbar sind, oder für deren Ausführung die Mitwirkung des Parlamentsnotwendig ist"79.

Es handelt sich bei diesem Europaausschuss um einen ständigen Ausschuss des Parlaments. Er be-steht aus 17 Parlamentariern, die vom Folketing im Wege der Verhältniswahl bestimmt werden.

c) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit

78 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,

1997, S.51.

79 Übersetzung bei H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der EuropäischenGesetzgebung, 1997, S.56.

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Dem Wortlaut des Gesetzes nach statuiert das BeitrittsG lediglich eine Informationspflicht der Re-gierung gegenüber dem Ausschuss. Spätere Beschlüsse des Ausschusses haben seine Mitwirkungs-möglichkeiten jedoch intensiviert. Das gilt insbesondere für den Bericht vom 20. Mai 1994.80

Heute übermittelt die Regierung dem Europaausschuss jede Woche eine Übersicht über EU-Dokumente, die das Außenministerium empfangen hat. Der Europaausschuss kann ferner beschlie-ßen, dass Kommissionsinitiativen im Folketing erörtert werden (Art. 19 Abs. 6 Geschäftsordnungdes Folketing).

Darüber hinaus enthält die Regierung durch den Ausschuss ein "Verhandlungsmandat" des Folke-tings, das als Grundlage für das Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten des dänischen Vertretersim Rat der Europäischen Union dient.81 Dieses Verfahren wird von H. G. Kamann wie folgt be-schrieben: "Das Verfahren im Ausschuss läuft entsprechend der Vorgaben der Entschließung vom 1.Februar 1973 und des Berichts vom 29. März 1973 folgendermaßen ab82: Der jeweilige Fachminis-ter stellt in der Ausschusssitzung vor einer Ratstagung dem Europaausschuss den Standpunkt derRegierung zu den auf der Tagesordnung stehenden Kommissionsvorschlägen mit dem entsprechen-den Verhandlungsmandat der Regierung für den dänischen Unterhändler im Rat – meistens ja erselbst – in mündlicher Form vor. Es schließt sich eine Diskussion an, in der Fragen an den Ministergestellt werden und in der, wenn sich Widerstand gegen die Position der Regierung regt, ein neuesMandat ausgehandelt werden kann. Am Ende der Diskussion findet nicht, wie man vermuten könnte,eine formelle Abstimmung statt, in der eine mehrheitliche Zustimmung für die Verhandlungslinie derRegierung oder die in der Diskussion gefundene Lösung erforderlich wäre. Vielmehr stellt der Aus-schussvorsitzende fest, ob eine Mehrheit der Mitglieder gegen das in der Sitzung gefundene Mandatist. Verneint er dies, kann der Minister in die Brüsseler Verhandlungen gehen. Gelangt der Ausschusszu keiner eigenen Position, hat der Minister somit im Rat freie Hand. Dieses Verfahren lässt der Re-gierung im Ausschuss einen gewissen Verhandlungsspielraum."83

Rechtlich binden kann der Europaausschuss die Regierung jedoch nicht.84 Hier bleibt nur der Rück-griff auf das Misstrauensvotum gem. § 15 Abs. 1 DänVerf., das auch gegen einen einzelnen Ministerausgesprochen werden kann.3. Finnland

80 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,

1997, S.62 Fn.55; H. Zahle, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Dänemark, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.68.

81 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.60ff.

82 Festgeschrieben wurde dieses Verfahren durch eine Entscheidung des Marktausschusses im Jahr 1989, vgl.Ameline, Rapport d'information Nr.1437, S.18.

83 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.60 m.w.N.

84 R. S. Katz: Representation, the Locus of democratic legitimation and the role of the national Parliaments inthe European Union, in: Katz/Wessels (ed.): The European Parliament, the national Parliaments and EuropeanIntegration, 1999, S.21/26: "… the committee's decisions cannot be binding on the ministers"; H. G. Kamann:Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung, 1997, S.60; unklarH. Zahle: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Dänemark, in: Battis/Tsatsos/Stefanou(Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.68.

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a) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit

Das Mitwirkungs- und Kontrollsystem des finnischen Parlaments in Angelegenheiten der Europäi-schen Union lehnt sich stark an das dänische Modell an.

Um gravierende Verschiebungen zwischen den Staatsorganen zu Lasten des Parlaments im Zuge desEU-Beitritts 1995 zu vermeiden, wurde mit dem Gesetz Nr. 1116/93 vom 10. Dezember 1993 zu-nächst ein neuer Art. 33a in das Gesetz über die Regierungsform aufgenommen. Dieser ist mittler-weile durch § 96 des am 1. März 2000 in Kraft getretenen Grundgesetzes Finnlands vom 11. Juni1999 abgelöst worden, der die Mitwirkung des Reichstags wie folgt regelt: "§ 96 Die Mitwirkungdes Reichstags bei der nationalen Vorbereitung von Angelegenheiten, die die EuropäischeUnion betreffen. Der Reichstag beschäftigt sich mit Vorschlägen zu Rechtsakten, Verträgen oderanderen Maßnahmen, die in der Europäischen Union beschlossen werden und die nach Maßgabedes Grundgesetzes in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.Die Staatsregierung legt die in Absatz 1 genannten Vorschläge ohne Verzögerung dem Reichstag inschriftlicher Form vor, sodass dieser dazu Stellung nehmen kann. Der Vorschlag wird im GroßenAusschuss sowie gewöhnlich in einem oder mehreren anderen Ausschüssen, die ein Gutachten anden Großen Ausschuss weitergeben, behandelt. Ein Vorschlag, der die Außen- und Sicherheitspoli-tik betrifft, wird jedoch im Auswärtigen Ausschuss behandelt. Der Große Ausschuss oder der Aus-wärtige Ausschuss können bei Bedarf gegenüber der Staatsregierung in einem Gutachten zu demVorschlag Stellung nehmen. Das Präsidium kann auch beschließen, dass eine derartige Angelegenheitim Plenum diskutiert wird, das aber keinen Beschluss in der Sache fassen kann.Die Staatsregierung unterrichtet den zuständigen Ausschuss über die Behandlung der ihn betreffen-den Angelegenheiten in der Europäischen Union. Zudem werden der Große Ausschuss oder derAuswärtige Ausschuss über die Haltung der Staatsregierung in diesen Angelegenheiten unterrichtet."

Die Einzelheiten der parlamentarischen Kontrollrechte sind dagegen noch im GesetzNr. 1551/94 vom 31. Dezember 1994 geregelt, das das Kapitel 4a in das Organgesetz des Parla-ments (OG) eingefügt hat (Art. 54a ff.).

Eine rechtliche Bindung der finnischen Ratsvertreter kann aber weder das Plenum noch der im fol-genden zu behandelnde Große Ausschuss herbeiführen. § 96 UAbs. 2 FinnGG untersagt es demPlenum sogar ausdrücklich, Beschlüsse zu den Rechtssetzungsvorhaben der EU zu fassen. Auch hierist das Misstrauensvotum gegen die Staatsregierung oder einen einzelnen Minister (§ 64 UAbs. 2FinnGG) also die einzig mögliche Sanktion.

b) Der Große Ausschuss

Im Mittelpunkt des parlamentarischen Kontrollsystems Finnlands steht der sog. "Große Ausschuss".Er besteht aus 25 Mitgliedern des Reichstags, unter ihnen die Vorsitzenden aller anderen Fachaus-schüsse.85 Art. 52 Abs. 2 OG gewährt allen Reichstagsabgeordneten ein Zugangsrecht zu den Sit-zungen, wenn Fragen der unionalen Rechtssetzung behandelt werden.

85 Das sieht das Organgesetz zwar nicht als zwingende Vorgabe vor, hat sich in der Staatspraxis jedoch

etabliert.

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4. Frankreich

a) Parlamentarische Kontrolle der Ratstätigkeit

Auch Frankreich hat die Verabschiedung des Maastrichter EUV zum Anlass genommen, die parla-mentarischen Kontrollmöglichkeiten in Angelegenheiten der EU verfassungsrechtlich zu verankernund (geringfügig) zu stärken. Mit dem Gesetz No. 92-554 vom 25. Juni 1992 wurde Art. 88-4 in dieFrzVerf. eingefügt, der in seiner ursprünglichen Fassung zunächst eine Verpflichtung der Regierungvorsah, der Nationalversammlung und dem Senat diejenigen Vorlagen von Gemeinschaftsrechtsaktenzuzuleiten, die "Bestimmungen mit Gesetzescharakter" enthielten. Gleichzeitig ermächtigte er dasParlament, nach den Bestimmungen seiner Geschäftsordnung Entschließungen im Rahmen diesesArtikels zu fassen.

Da die Vorschrift von der Regierung sehr restriktiv interpretiert wurde, kam es zu Konflikten mit demParlament, aus denen es zunächst nicht gestärkt hervorging. So hat der Conseil Constitutionnel ineiner Entscheidung vom 17. Dezember 1992 festgestellt, dass eine parlamentarische Abstimmungüber einen Beschluss zum Vorschlag für einen Rechtsakt der EG nicht zu einer Einschränkung dervon der Verfassung vorgesehenen Vorrangstellung der Regierung führen dürfe.86 Insbesonderedürften die Regelungen über das Misstrauensvotum (Art. 49 f. FrzVerf.) auf diese Weise damit nichtunterlaufen werden.87

Dieser Streit mündete schließlich jedoch in eine Neufassung des Art. 88-4 FrzVerf. durch die loiconstitutionnelle no 99-49 vom 29. Januar 1999.88 Diese statuiert nun eine Pflicht der Regierung zurunverzüglichen ("unmittelbar nach …") Vorlage von Entwürfen oder Vorschlägen von unionalenRechtsakten mit gesetzlicher Natur und ermächtigt die Regierung darüber hinaus, dem Parlamentauch alle anderen Dokumente vorzulegen. Art. 88-4 FrzVerf. n.F. hat folgenden Wortlaut: "Unmit-telbar nach ihrer Übermittlung an den Rat der Europäischen Union legt die Regierung der National-versammlung und dem Senat die Entwürfe oder Vorschläge von Rechtsakten der Europäischen Ge-meinschaften und der Europäischen Union vor, die Bestimmungen gesetzlicher Natur enthalten. Siekann ihnen auch die anderen Entwürfe oder Vorschläge von Rechtsakten sowie jegliches Dokumenteiner Institution der Europäischen Union vorlegen".

Bindungswirkung für die Regierung entfalten die Beschlüsse des Parlaments nicht ("elles n'ont pas lecaractère d'un mandat de négociation impératif").89 Die Regierung ist damit prinzipiell frei in ihrer

86 Cons.Const., n°92-314 DC vom 17.12.1992.

87 Cons.Const., n°92-314, in: RDP 1993, 319ff.; "Rapport de l'Assemblée nationale n°1436 du 28. Juin 1994, surl'application de l'art. 88 (4) présenté par M. Panderaud".

88 J. F. Flauss: Rapport français , in: Schwarze (Hrsg.). Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.25/93.

89 So J. F. Flauss: Rapport français , in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsord-nung, 2000, S.25/93: "Toujours est-il que le dernier mot quant au déclenchement de la procédure de l'article 88(4) appartient au gouvernement. Et aucune juridiction française ne pourrait naturellement être amenée à cen-surer un acte communautaire, édicté sur méconnaissance de l'obligation d'information imposée par l'article 88(4)."; für die alte Verfassungslage F. Luchaire: L'Union européenne et la Constitution, Cinquième part, RDP1993, 301ff.

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Entscheidung, ob und inwieweit sie Beschlüsse der Nationalversammlung oder des Senats zu Ange-legenheiten der Europäischen Union in ihre Willensbildung im Rat der EU einfließen lässt.90

b) Europaausschüsse

Mit dem Gesetz no 79-564 vom 6. Juli 1979 wurde die Verordnung no 58-1100 vom 17. November1958 über die Arbeitsweise der parlamentarischen Versammlungen abgeändert und ein neuer Art.6bis Abs. 1 eingefügt, der in der Nationalversammlung und im Senat je einen Ausschuss für die Eu-ropäischen Gemeinschaften (Délégation pour l'Union européenne) vorsieht.

Der Ausschuss besteht aus 36 Mitgliedern (Art. 6bis Abs. 1 Satz 2 und 2 VO no 58-1100), wobeidie französischen Mitglieder des Europaparlaments an seinen Sitzungen beratend teilnehmen können.Er kann die französischen Ratsvertreter ebenso anhören wie Vertreter von Institutionen der EU. SeitOktober 1994 werden auch die französischen Mitglieder im jeweiligen Fachausschuss des Europäi-schen Parlaments eingeladen.91

Die eigentliche Aufgabe der Ausschüsse besteht in der systematischen Untersuchung der ihnen zuge-leiteten Dokumente (Art. 6bis Abs. 4 VO no 58-1100).92 Die Ergebnisse dieser Untersuchungenwerden von den Berichterstattern in sog. Informationsberichten publiziert. Sie nehmen insbesondereauch zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 UAbs. 2 EG) Stellung.

5. Griechenland

a) Allgemeines

Im Jahre 1979 wurde das Gesetz 945/1979 verabschiedet, das die Beteiligung des Parlaments anden Beziehungen zwischen Griechenland und den Gemeinschaften fördern soll. Dort ist vorgesehen,dass jeweils am Ende einer ordentlichen Parlamentssynode ein Bericht über den Stand der gemein-schaftsbezogenen Angelegenheiten vorzulegen ist.

Dennoch hat das griechische Parlament bei der Kontrolle der Ratstätigkeit der eigenen Regierung bis1990 keine nennenswerte Rolle gespielt.93 Erst in den Jahren 1991 bis 1993 gab es den Versuch,mittels einer "Stunde des Premierministers" zu einer intensiveren Befassung mit den Angelegenheitender EU zu gelangen. Dieser Versuch ist jedoch gescheitert; die "Stunde des Premierministers" wurdewieder abgeschafft.

90 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,

1997, S.112.

91 Assemblée nationale (ed.): La Délégation de l'Assemblée nationale pour l'Union européenne – Compétenceset Activités, S.8.

92 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.108ff.

93 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.117.

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b) Sonderausschuss für europäische Angelegenheiten

Mit Beschluss Nr. 3076/2008 des Parlamentspräsidenten wurde im griechischen Parlament erst imJuni 1990 ein Sonderausschuss für europäische Angelegenheiten eingerichtet. Dessen nähere Organi-sation regelt der Beschluss 3344/2179.94

Er setzt sich zusammen aus 21 Abgeordneten der Kammer und 10 Mitgliedern des EuropäischenParlaments, die gleichberechtigt zusammenarbeiten. Seit 1993 findet er seine Grundlage in Art. 32ader Geschäftsordnung des Parlaments. Seine Aufgaben sind zum einen die Verfolgung der Europa-politik der Regierung, zum anderen die Abgabe beratender Stellungnahmen gegenüber dem Plenumund der Regierung. Als besondere Informationsmöglichkeit sieht Art. 32a Abs. 3 der Geschäftsord-nung des Parlaments vor, dass der zuständige Minister nach jeder Ratstagung zu einer Sitzung gela-den werden kann, um über anstehende Fragen oder die Ergebnisse von Verhandlungen zu informie-ren.Eine rechtliche Verpflichtung der Regierung, die Stellungnahme des Ausschusses oder des Plenumsbei Ratsbeschlüssen zu berücksichtigen, sieht auch das griechische Recht nicht vor.

6. Großbritannien

Mit die längste Kontinuität einer institutionalisierten parlamentarischen Kontrolle der eigenen Rats-vertreter besitzt Großbritannien.95

a) Die "parliamentary scrutiny reserve"

Schon beim Beitritt zur EWG (1973) hatte die britische Regierung dem Parlament zugesichert, alsaußerordentlich dringlich oder wichtig bezeichnete Debatten in Westminster abzuwarten, bevor imRat eine endgültige Entscheidung getroffen wird. In zwei Resolutionen vom 30. Oktober 1980 undvom 24. Oktober 199096 berief sich das Unterhaus auf diese Selbstverpflichtung der Regierung.

In der letztgenannten regelte es zudem nähere Details. Danach steht die Zustimmung des britischenVertreters zu einem unionalen Rechtsakt im Rat faktisch unter einem parlamentarischen Prüfvorbehalt("parliamentary scrutiny reserve"). Ausnahmen sind dabei grundsätzlich nur in drei Fällen zulässig:

− um ein rechtliches Vakuum zu vermeiden,− um eine für Großbritannien vorteilhafte Maßnahme möglichst schnell in Kraft treten zu lassen

und,

94 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,

1997, S.117 m.w.N.

95 Dazu P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsord-nung, 2000, S.205/245, 251f.

96 Abgedruckt in House of Commons (ed.): Scrutiny after Maastricht, First special report from the Select Com-mittee on European Legislation, Session 1993-94, S.III.

33

− bei sog. Paketlösungen, wenn die betroffene Maßnahme für Großbritannien nur eine geringeBedeutung hat oder vorteilhaft ist.

Die Regierung rechtlich bindende Beschlüsse vermag wegen der "royal prerogative" freilich auch dasParlament nicht zu fassen.97 Die in der Resolution vom 24. Oktober 1990 in Anspruch genommene"parliamentary scrutiny reserve" hat für das Verhalten der britischen Vertreter im Rat keine rechtlicheVerbindlichkeit.98 Ihre praktische Bedeutung ist jedoch nicht zu unterschätzen und prägt das Verhält-nis zwischen Regierung und Parlament.

b) Select und Standig Committees im Unterhaus

Am 7. Mai 1974 wurde das "Select Committee on European Legislation" im Unterhaus eingerichtet.Es hat die Aufgabe, Dokumente der EU nach ihrer politischen Bedeutung zu klassifizieren und demUnterhaus wichtige Fragen zur Debatte vorzuschlagen. Grundlage ist die Standing Order Nr. 127.Aus der dort geregelten Überprüfungsbefugnis wird eine entsprechende Unterrichtungspflicht derRegierung abgeleitet. Das jeweilige Fachressort hat innerhalb von zwei Wochen eine Erläuterungs-mitteilung über jedes Dokument vorzulegen. Sie enthält eine Beschreibung des Inhalts des Vor-schlags, erläuternde Informationen bzgl. der zu erwartenden Auswirkungen auf das britische Rechtund zudem auch eine Beurteilung des Vorschlags hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Subsidia-ritätsprinzip.99

Seit 1980 wird von den Ministern erwartet, dass sie den vom Select Committee zur Debatte emp-fohlenen Vorschlägen im Rat solange nicht zustimmen, bis die betreffende Materie im Unterhaus de-battiert worden ist.100 Dem trägt die Regierung – wie gezeigt101 – grundsätzlich Rechnung. Das SelectCommittee on European Legislation tagt i.d.R. nicht-öffentlich. Politische Bewertungen sind ihm imGegensatz zu sachlichen oder rechtlichen versagt.

Darüber hinaus hat das Unterhaus seit 1991 zwei "Standing Committees" mit je 13 Mitgliedern ein-gerichtet (Standing Order Nr. 102), die die zur Debatte empfohlenen Dokumente (arbeitsteilig) dis-kutieren und das Plenum damit entlasten.102 Die "Standing Committees" haben das Recht, den zu-ständigen Minister bis zu einer Stunde zu befragen. Sie schließen ihre Beratungen mit einem Be-schluss ab, der zusammen mit einer entsprechenden Stellungnahme der Regierung dem Plenum vor-gelegt wird.

97 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,

1997, S.130.

98 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.129.

99 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.124ff.

100 T. Saalfeld: Die zentrale Rolle des Parlaments in London, in: Steffani/Thaysen (Hrsg.): Demokratie in Europa,ZParl, Sonderband, 1995, S.110; H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an derEuropäischen Gesetzgebung, 1997, S.128ff.

101 Siehe Teil D.I.2.

102 T. Saalfeld: Die zentrale Rolle des Parlaments in London, in: Steffani/Thaysen (Hrsg.): Demokratie in Europa,ZParl, Sonderband, 1995, S.110 m.w.N. Fn.51.

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c) Oberhaus

Das "Select Committee on the European Communities" im Oberhaus ist schon am 6. Dezember1973 eingerichtet worden103, und hat sich durch seine detaillierte und systematische Befassung mitunionalen Rechtsvorlagen als außerordentlich hilfreich erwiesen.104

7. Österreich

a) Kontrolle der Ratstätigkeit durch den Nationalrat

Das österreichische Parlamentsbeteiligungsverfahren ist in Art. 23e ÖstB-VG verankert und orien-tiert sich an ausländischen Vorbildern, insbesondere am Vorbild Dänemarks.105 In der Sache geht esjedoch darüber hinaus. Sein Anliegen ist es, einen (zumindest teilweisen) Ausgleich für jene Kompe-tenzverluste zu erreichen, die sich für das Parlament aus der weit reichenden Übertragung vonRechtssetzungsbefugnissen auf die EU ergeben.

So sieht das ÖstB-VG vor, dass das zuständige Mitglied der Bundesregierung den Nationalrat bzw.seinen Hauptausschuss (Art. 23e Abs. 5 ÖstB-VG) und den Bundesrat bzw. dessen Europaaus-schuss (Art. 23e Abs. 6 Satz 4 ÖstB-VG) unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der EU zuunterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat (Art. 23e Abs. 1 ÖstB-VG). DieInformationsverpflichtung ist umfassend und erstreckt sich auf sämtliche Aktivitäten der EU.106 Beinäherer Betrachtung sind damit allerdings auch erhebliche Schwierigkeiten verbunden. Denn die um-fassende Unterrichtungspflicht macht eine politische Auswahl der Gegenstände unabweislich, die dasParlament kapazitätsmäßig leicht überfordern kann.

Darüber hinaus hat der Nationalrat gem. Art. 23e Abs. 2 ÖstB-VG das Recht der Stellungnahme zueinem Vorhaben, wenn dieses durch Bundesgesetz umzusetzen ist oder auf den Erlass eines unmittel-bar anwendbaren Rechtsaktes zielt, den Erlass einer Verordnung etwa (Art. 249 Abs. 2 EG), diebundesgesetzlich zu regelnde Angelegenheiten betrifft.

Seine Stellungnahme ist für die Bundesregierung grundsätzlich bindend (Art. 23e Abs. 2 Satz 1ÖstB-VG). Eine Ausnahme sieht Art. 23e Abs. 2 Satz 2 ÖstB-VG nur aus zwingenden außen- undintegrationspolitischen Interessen vor. Hier bedarf es dann einer erneuten Konsultation mit dem Nati-onalrat (Abs. 3). Über das Abstimmungsverhalten im Rat hat das jeweilige Regierungsmitglied eben-

103 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,

1997, S.132ff.

104 P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.205/251: "The general record … has been good …".

105 H. Schäffer: Österreichischer Landesbericht, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Ve rfas-sungsordnung, 2000, S.339/377.

106 H. Schäffer: Österreichischer Landesbericht, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfas-sungsordnung, 2000, S.339/377.

35

so zu berichten wie es die Gründe für ein Abweichen von der Stellungnahme des Nationalrates die-sem unverzüglich mitzuteilen hat (Art. 23e Abs. 4 ÖstB-VG).

Damit kommt dem österreichischen Nationalrat europaweit das wohl am weitesten gehende Mitwir-kungsrecht in Angelegenheiten der EU zu, das er vor allem im Sinne eines aufschiebenden Vetosnutzen kann. Ein "Ausbrechen" der Bundesregierung im Einzelfall kann er jedoch nicht verhindern.Insoweit bleibt auch dem Nationalrat letztlich nur die Vertrauensfrage nach Art. 74 ÖstB-VG.

b) Kontrolle der Ratstätigkeit durch den Bundesrat

Parallele Beteiligungsrechte für den in Österreich eher schwachen Bundesrat sieht Art. 23 Abs. 6ÖstB-VG für den Fall vor, dass ein Vorhaben auf Unionsebene durch ein Bundesverfassungsgesetzumzusetzen ist. Ein solches bedürfte nämlich nach innerstaatlichen Grundsätzen der Zustimmung desBundesrats.

IV. Wertung der Kompensationsmaßnahmen

An der kontinuierlichen Entparlamentarisierung der nationalen Verfassungsordnungen haben wederdie Einführung innerstaatlicher Informations- und Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente nochdas entsprechende Protokoll zum Amsterdamer Vertrag Entscheidendes geändert.107

1. Das Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der EU

a) Informations- und Beteiligungspflichten

Was die im Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Unionniedergelegte unionsrechtliche Verpflichtung der Regierungen anlangt, ihre nationalen Parlamenterechtzeitig über alle Konsultationsdokumente der Kommission (Ziff. I.1.) und alle Vorschläge fürGesetzgebungsakte (Ziff. I.2.) zu unterrichten, so bereitet eine isolierte Evaluation Schwierigkeiten.Da sie im nationalen (Verfassungs-)Recht aller Mitgliedsstaaten eine Entsprechung findet, wird sie inder politischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion allenfalls am Rande zur Kenntnis genommen.Weil es sich hier zudem um eine Beschränkung der nationalen Verfassungsautonomie handelt, derenAkzeptanz jedenfalls mit psychologischen Schwierigkeiten behaftet ist, konzentriert sich die Diskus-sion in den Mitgliedsstaaten auf die nationalen Regelungen.

Fraglos verstärkt und ergänzt die unionsrechtliche Vorgabe jedoch die Kompensationsanstrengungendes nationalen Verfassungsrechts. Zudem vermittelt sie ihnen eine im Rahmen von Art. 10 EG zuentfaltende unionsrechtliche Legitimität. Die von mehreren Mitgliedsstaaten praktizierte Stimmabgabead referendum im Rat etwa findet hier einen wichtigen primärrechtlichen Anknüpfungspunkt. Dieintensivierte Information der nationalen Parlamente hat andererseits aber auch Kapazitätsprobleme zuTage gefördert, die den erreichten Informationszuwachs wieder zunichte machen (könnten).

107 P. M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001).

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b) COSAC

Wenig bewährt hat sich dagegen die COSAC – und zwar trotz ihres weit gespannten Zuständig-keitsbereichs. Ihre Tagungen sind zu selten, um einen kontinuierlichen Meinungsbildungs- und Ent-scheidungsprozess zu ermöglichen; vor allem aber fehlt es ihr an der notwendigen Infrastruktur.

2. Zur Bewährung der innerstaatlichen Mitwirkungsrechte

Ob und inwieweit die im nationalen (Verfassungs-)Recht der Mitgliedsstaaten vorgesehenen und inden letzten Jahren intensivierten Informations- und Mitwirkungsrechte der Parlamente Substanziellesan der Erosion ihrer verfassungsrechtlichen Befugnisse geändert haben, ist fraglich.

a) Deutschland

Für Deutschland lässt sich insoweit ein insgesamt negatives Fazit ziehen.108 Während bei der Einfüh-rung der neuen Mitwirkungsrechte z.T. die Befürchtung geäußert wurde, dass die damit vorgezeich-nete Parlamentarisierung der Europapolitik mit deren nachhaltiger Schwächung und einem Verlust anBerechenbarkeit erkauft sein könnte109, lässt sich nach siebenjähriger Staatspraxis doch feststellen,dass der Bundestag politisch nicht in der Lage (gewesen) ist, von diesen (wieder-)gewonnenenHandlungsoptionen effektiven Gebrauch zu machen.110 Dafür mag ein Indiz auch sein, dass es bisheute nicht eine einzige gerichtliche Entscheidung aus diesem Bereich gibt.

Die Beschränkung des Bundestages auf Informationsrechte sowie das schlichte Berücksichtigungs-gebot des Art. 23 Abs. 3 GG sind nicht geeignet, die mit der Europäisierung verbundenen Kompe-tenzeinbußen auch nur annähernd auszugleichen.111 Die durch das ZusBTG vorgesehene Abstufungder Beteiligungsrechte des Bundestages nach dem zeitlichen Fortschritt eines unionalen Rechtsset-zungsverfahrens ist zudem unbefriedigend und widersinnig, weil der deutsche Vertreter im Rat da-nach zunächst die Position des Bundestages vertreten muss, dann jedoch frei sein soll, auch einer ggf.entgegengesetzten Auffassung der Bundesregierung zu folgen.112

Im Hinblick auf den Ausschuss in Angelegenheiten der EU erweist sich die Tatsache, dass er i.d.R.nicht öffentlich tagt, angesichts seiner Substitutionsfunktion für das Plenum nicht nur als Systembruch 108 C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Abs.2 Rdnr.83.

109 P. Badura: Die "Kunst der föderalen Form" – Der Bundesstaat in Europa und die europäische Föderation, in:Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, S.369/381; C. D.Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Abs.2 Rdnr.83.

110 S. Hölscheidt: Parlamentarische Mitwirkung bei der europäischen Rechtssetzung, KritV 77 (1994), 405/421; R.Lang: Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der EuropäischenUnion nach Art.23 Abs.2 bis 7 GG, 1997, S.305; I. Pernice, in: Dreier (Hrsg.): GG, Band II, 1998, Art.23Rdnr.106, Art.45 Rdnr.10.

111 U. Di Fabio: Der neue Art.23 des Grundgesetzes, Der Staat 32 (1993), 191/209; C. D. Classen, in: v. Man-goldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Abs.2 Rdnr.83; V. Neßler: Die "neue Ländermitwirkung" nachMaastricht, EuR 29 (1994), 216/229.

112 I. Pernice, in: Dreier (Hrsg.): GG, Band II, 1998, Art.23 Rdnr.106

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(Art. 42 Abs. 1 GG).113 Sie verhindert auch die vom Demokratieprinzip geforderte Transparenz unddamit eine effektivere Kontrolle der Bundesregierung durch die Öffentlichkeit. Dass seine Stellung-nahmen gegenüber der Bundesregierung als Bundestagsdrucksache verteilt werden (§ 93a Abs. 4Satz 1 GeschOBT), kann dieses Defizit nicht kompensieren.

Schließlich stößt der Ausschuss an Kapazitätsgrenzen, was eine politische Gewichtung der zu behan-delnden Vorlagen unionaler Rechtsakte notwendig macht, soll sich seine Beteiligung nicht nur in einerbloßen Kenntnisnahme(-möglichkeit) erschöpfen.114

Für den Bundesrat sieht die Situation nicht wesentlich günstiger aus. Das mag schon die Tatsachebelegen, dass die Europakammer des Bundesrates in den sechs Jahren zwischen 1993 und 1999 nurdrei Mal getagt hat .115 Ursachen dafür gibt es viele. Eine zentrale dürfte im fehlenden Stellenwerteiner kontinuierlichen und konsistenten Europapolitik für die Landesregierungen zu suchen sein.116

b) Andere Mitgliedsstaaten

Das Bild in den anderen Mitgliedsstaaten weicht von diesem Befund nicht grundsätzlich ab.

In Belgien etwa wurde die politische Kontrolle der im Rat handelnden Minister durch das Parlamentin den 1990er Jahren intensiviert.117 Als zufrieden stellend wird sie jedoch (noch) nicht empfunden.Dass etwa der Auftrag des Europaausschusses der belgischen Abgeordnetenkammer als "die Ge-meinschaft nicht bremsend oder blockierend" angesehen wird118, ist ein ambivalentes Lob, stellt esder Effektivität seiner Einflussnahme doch ein eher negatives Zeugnis aus. Über eine weitere Verbes-serung und Intensivierung der parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten wird deshalb nachge-dacht119.

Dänemark wird allgemein als Vorbild für die parlamentarische Kontrolle der im Rat vertretenenRegierung angesehen.120 Dennoch gibt es auch hier Defizite. 113 S. Magiera, in: Sachs (Hrsg.): GG, Art.45 Rdnr.7; I. Pernice, in: Dreier (Hrsg.): GG, Band II, 1998, Art.45

Rdnr.11.

114 R. Kabel: Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: GSfür Grabitz, 1995, S.241/259f.; die Ausführungen beziehen sich zwar auf die Erfahrungen vor der Einrichtungdes Ausschusses, lassen sich jedoch übertragen.

115 Siehe dazu schon unter Teil D.II.3; W. Fischer/C. D. Koggel: Die Europakammer des Bundesrates, DVBl 2000,1742ff.

116 Aus dem Bereich des Umweltrechts siehe E. Böhm-Amtmann: Gestaltung und Umsetzung der EU-Umweltpolitik und Schlussfolgerungen für die Organisation einer Landesverwaltung, in: Haedrich/Schmitt(Hrsg.): Schillerhausgespräche 1999, 2000, S.11/22ff.

117 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der europäischen Gesetzgebung, 1997,S.54.

118 G. Wils: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Belgien, in: Battis/Tsatsos/Stefanou(Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.32.

119 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der europäischen Gesetzgebung, 1997,S.53; G. Wils: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Belgien, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.33.

120 C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 4.Aufl. 2000, Art.23 Abs.2 Rdnr.81.

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So wird kritisiert, dass der Europaausschuss des Folketing ein Sonderausschuss ist und dass aufGrund der Breite der Themen die Anträge i.d.R. nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit behandeltwerden können.

Auch in Dänemark ist der Zugang zu den Ausschusssitzungen nicht öffentlich; seine Entscheidungenwerden, anders als die anderer Ausschüsse, nicht einmal öffentlich bekannt gemacht.121

Mit dem Vertrag von Maastricht (1993) hat es gewisse Verbesserungen gegeben: es wurde eineInformationsgeschäftsstelle im Parlament geschaffen, bei der die Öffentlichkeit Informationen ab-rufen kann. Zur Verstärkung der Debatte über die europäische Integration wurde zudem ein däni-scher Rat ins Leben gerufen, in dem die im Europäischen Parlament repräsentierten Kräfte durchherausragende Einzelpersönlichkeiten vertreten sind.

Mitunter wird das "dänische Modell" wegen seiner (vermeintlichen) "Integrationsfeindlichkeit" kriti-siert. Und in der Tat ist die Beschlussfassung im Rat der EU durch das "Verhandlungsmandat" derdänischen Vertreter wiederholt erschwert und verzögert worden. Dennoch erscheint die Kritik vorei-lig. So dürften die Schwierigkeiten mit dem Verhandlungspartner Dänemark weniger der Bindungder Regierung an das Parlament zuzuschreiben sein, als der typischerweise schwachen Stellung derjeweiligen dänischen Regierung im Parlament. Dies zwingt sie zu besonders intensiven Konsensbe-mühungen.122 Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass die verhältnismäßig intensive Rückkoppelungdes dänischen Ratsvertreters die Akzeptanz des Unionsrechts in Dänemark erhöht und für andereMitgliedsstaaten typische Implementationsdefizite vermeidet.123

In Frankreich gehen die Auffassungen über die Bedeutung des Art. 88-4 FrzVerf. für das Verfas-sungsgefüge z.T. erheblich auseinander.124 Einigkeit besteht jedoch darüber, dass die Informationdes Parlaments und seine Kontrollmöglichkeiten mit dieser (novellierten) Verfassungsnorm verbessertworden sind.125 So hat das Parlament im Anwendungsbereich desArt. 88-4 FrzVerf. z.T. sogar mehr Befugnisse als bei rein innerstaatlichen Sachverhalten.126 Für dasim europäischen Vergleich politisch eher schwache französische Parlament bietet die Europäisierungauf diese Weise sogar die Gelegenheit zur Emanzipation gegenüber der Exekutive.

121 H. Zahle: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Dänemark, in: Battis/Tsatsos/Stefanou

(Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.69.

122 H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.61 Fn. 52 m.w.N.

123 Überzeugend C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: 20004, Art.23 Abs.2 Rdnr.82.

124 Als wichtigster Beitrag zur Parlamentarisierung gewertet bei J. B. C. Albornoz: Die verfassungsrechtlichenAuswirkungen des Vertrages über die Europäische Union in Spanien und Frankreich, DV 28 (1995), 225/246;H. G. Kamann: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten an der Europäischen Gesetzgebung,1997, S.113; als eher unerheblich betrachtet sie M. Fromont: Frankreich und die Europäische Union, DÖV1995, 481/487.

125 M. Fromont: Europäische Integration und nationale Verfassungsrechte in Frankreich, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.141.

126 Das betrifft etwa das Verbot unverbindlicher Parlamentsresolutionen; siehe allgemein Th. de Berranger:Constitutions nationales et construction communautaire, 1995, 400ff.; C. D. Classen, in: v. Man-goldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Abs.2 Rdnr.81.

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Eine Kompensation für den mit der Europäisierung einhergehenden Verlust an klassischen Parla-mentsfunktionen ist dies freilich nicht: "Du point de vue des exigences démocratiques mesurées àl'aune des droits du Parlement, les pouvoirs d'information et de consultation attribués aux assembléesparlementaires ne constitueraient qu'un pis aller, voire même une illusion".127

Obwohl in Griechenland in den 1990er Jahren Ansätze zur Verbesserung der parlamentarischenKontrolle der Ratstätigkeit der Regierung geschaffen worden sind, ist es nach einhelliger Auffassungbislang nicht gelungen, die Tätigkeit der Europäischen Union in den Mittelpunkt des parlamentari-schen Interesses in Athen zu rücken.128 Die dem Parlament verbliebenen Kompetenzen zur Kontrolleder Regierung werden nach Auffassung von Beobachtern bisher nicht genutzt, um eine ernsthafteAuseinandersetzung über die nationale Europapolitik zu führen.129 Darin wird aus griechischer Sichtnicht zu Unrecht das eigentliche "Demokratiedefizit" der EU gesehen.130

Auch in Großbritannien gibt es eine gewisse Unzufriedenheit mit der Staatspraxis der Informations-und Beteiligungsrechte des Parlaments. Sie lässt sich zum einen an seiner Informationsabhängigkeitvon der Regierung festmachen, die wiederholt Anlass zur Klage gegeben hat: "The problem facingthe Commons Committee on European Legislation in its scrutiny role were stated vividly in its reportThe Scrutiny of European Business where the Committee frequently has to scrutinize documents oflegal or political importance without an official text and where its scrutiny is frequently hindered bybreaches of undertakings by the UK Government or of Resolutions of the House of Commons".131

Zum anderen wird vor allem die Fülle unionaler Vorlagen als Problem empfunden. Teilweise hält mandie Kontrollmechanismen in Dänemark und Deutschland sogar für wirkungsvoller als in Großbritan-nien.

Für Österreich, das in der EU die strikteste rechtliche Bindung der Regierung an das Parlamentkennt, zeigt die Erfahrung schließlich, dass dieses theoretisch enge Regime in der Praxis durch eineeher großzügige und weite Gestaltung der Stellungnahme (des "Mandats") geprägt ist und damit vielvon seiner vermeintlichen Rigidität verliert.

3. Fazit

Eine effektive Kontrolle der Ratstätigkeit ihrer jeweiligen Regierung ist den nationalen Parlamenten –wie der hier erhobene Befund zeigt – i.d.R. nicht möglich. Der Zeitdruck, unter dem die Verhandlun-

127 J. F. Flauss: Rapport français , in: Schwarze (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,

2000, S.25/94.

128 G. Papadimitriou: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Griechenland, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.149/168.

129 G. Papadimitriou: Europäische Integration und nationales Ve rfassungsrecht in Griechenland, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.149/168.

130 G. Papadimitriou: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Griechenland, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.): Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995, S.149/169.

131 P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.205/251 unter Hinweis auf HC 51 xxvii (1995-6), Part VI.

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gen im Rat typischerweise stehen132, die Notwendigkeit, oft willkürlich zusammengestellte "Paketlö-sungen" zu akzeptieren und nicht zuletzt die parteienstaatliche Überformung der nationalen Verfas-sungsordnungen, deren Rationalitäten einem transparenten und kritischen Umgang der Parlaments-mehrheit mit der Regierung im Wege stehen, erweisen sich als Hindernisse für eine intensivierteKontrolle des Rates durch die nationalen Parlamente.

Auch die Abhängigkeit von der Informationsübermittlung durch die Regierung ist mitunter ein Prob-lem. Vor allem aber sind die umfassenden Informationsansprüche der nationalen Parlamente ambi-valent. Sie verlangen den nationalen Parlamenten bzw. ihren Europaausschüssen eine Auswahl derVorlagen und eine politische Gewichtung ab, die erhebliche Vorarbeiten voraussetzt. Damit sind dieParlamente, wie etwa der belgische, britische und österreichische Befund zeigt, regelmäßig überfor-dert.

Teil E:Die Stärkung des Europäischen Parlaments als nur bedingt tauglicherAusweg

Die parlamentarische Demokratie in den Mitgliedsstaaten, das sollte deutlich geworden sein, wirddurch die Einbindung in das institutionelle Gefüge der EU einem Erosionsprozess ausgesetzt. EineEffektivierung der demokratischen Kontrolle der Unionsgewalt wird deshalb häufig von einer Stär-kung des Europäischen Parlaments, seiner Kreations-, Kontroll- und Mitentscheidungskompetenzenerwartet.

Gegenüber einer unbesehenen Übertragung dermaßen bundesstaatlicher Strukturen auf die Ebeneder EU ist jedoch Zurückhaltung geboten. Denn das Europäische Parlament ist auf Grund der (noch)fehlenden politisch-soziologischen Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie auf Unions-ebene133 nur bedingt in der Lage, der von der EU ausgeübten öffentlichen Gewalt Legitimität zu ver-leihen. Deshalb liegt die Frage nahe, ob und in welchem Umfang die institutionelle Ausgestaltung derEU zu jenem innerstaatlichen Vorgang in Beziehung steht und inwieweit sie vom nationalen Verfas-sungsrecht her Direktiven empfängt.

I. Die mangelnde Legitimationsfunktion des unionalen Verfassungsrechts

Legitimität lässt sich einer politischen Ordnung heute nurmehr demokratisch vermitteln. Sie ist des-halb auf die von der Herrschaft betroffenen Menschen bezogen, die diese als rechtmäßig anerkennenmüssen. Das setzt entweder einen hinreichend dichten Grundkonsens darüber voraus, dass Konflikte"...in konsentierten Verfahren zur Verfolgung gemeinsamer Ziele"134 erfolgreich bewältigt werden

132 Dieser wird durch Ziff. I.3 des Protokolls über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Union freilich

ein wenig gemildert.

133 Zu den entwicklungsfähigen Ansätzen P. M. Huber: Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? –Zur Demokratiefähigkeit der Europäischen Union, in: Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.): EuropäischeDemokratie, Ius Europaeum, Bd.6, 1999, S.27/39ff.

134 A. v. Bogdandy: Zweierlei Verfassungsrecht, Der Staat 39 (2000), 163/181.

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können und die durch Erfahrung gesättigte Bereitschaft, "sich durch kompakte regionale und sozialeGruppen über Jahrzehnte hinweg majorisieren zu lassen"135, oder den Konsens in der Sache136.

Da es einen solchen Grundkonsens in der EU allenfalls in Ansätzen gibt137, kommt dem Konsens inder Sache ein umso höherer Stellenwert zu. Deshalb sieht der französische Conseil Constitutionneldie "conditions essenzielles d'exercice de la souveraineté nationale" vor allem dort berührt, wo es umden Übergang zu Mehrheitsentscheidungen im Rat geht138, und deshalb spricht auch das Bundesver-fassungsgericht davon, dass das Mehrheitsprinzip "in den Verfassungsprinzipien und elementarenInteressen der Mitgliedsstaaten" eine Grenze finde139.

Dem trägt das Unionsrecht (bislang) durch die Einstimmigkeitserfordernisse im Rat140, das hoheQuorum für die qualifizierte Mehrheit (Art. 205 Abs. 2 EG), nicht zuletzt aber auch durch die Kom-promisse von Luxemburg141 und Ioannina142 Rechnung und erkennt damit implizit an, dass es seineLegitimität (noch) primär143 über das nationale Verfassungsrecht erhalten muss144.

Dessen Legitimationsfunktion lässt angesichts schwindender mitgliedsstaatlicher Kompetenzen an-dererseits erkennbar nach145 und ist – so die zentrale Einsicht des deutschen Maastricht-Urteils146 – 135 K. M. Meessen: Politische Identität in Europa, EuR 34 (1999), 701/702, unter Hinweis auf Potter: The Histori-

an´s Use of Nationalism, in: Riasanovsky/Riznik (Hrsg.): Generalizations in Historical Writing, 1963,S.114/125; W. Kluth: Europa der Bürger oder Europa der Bürokraten? – Transparenz und Bürgernähe in derEuropäischen Union nach dem Amsterdamer Vertrag, in: ders. (Hrsg.): Die Europäische Union nach demAmsterdamer Vertrag, 2000, S.73/81.

136 J. Abr. Frowein: Die Verfassung der Europäischen Union aus der Sicht der Mitgliedsstaaten, EuR 30 (1995),315/324; ders.: Legitimation und Wirkung des Rechts der Europäischen Union/Gemeinschaft, in: Müller-Graff(Hrsg.): Perspektive des Rechts in der EU, S.105/112; R. A. Rhinow: Parteienstaatlichkeit – Krisensymptomedes demokratischen Verfassungsstaats, VVDStRL 44 (1986), 83/86ff.

137 J. Habermas: Faktizität und Geltung, 19944, S.650f.; W. Kluth: Europa der Bürger oder Europa der Bürokraten?– Transparenz und Bürgernähe in der Europäischen Union nach dem Amsterdamer Vertrag, S.73/84; K. M.Meessen: Politische Identität in Europa, EuR 34 (1999), 701/708ff.; optimistischer I. Pernice: Kompetenzab-grenzung im Europäischen Verfassungsbund, JZ 2000, 866/869 unter Berufung auf Weilers "principle of tole-rance".

138 CC no92-308 DC vom 9.4.1992, EuGRZ 1993, 187/192 – Maastricht I; no 97-394 DC vom 31.12.1997, EuGRZ1998, 27/30ff. – Amsterdam, Rz. 24f., 28ff.

139 BVerfGE 89, 155/184.

140 Dass diese bei einer Gewichtung der Materien das Entscheidungssystem der EU nach wie vor prägen, betontzu Recht M. Seidel: Die Einstimmigkeit im EU-Rat – eine leidige, aber nicht dispensable Regel, EuZW 2000,65.

141 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §2 Rdnr.15; R. Streinz: Die Luxemburger Vereinba-rung, 1984. Die wohl überwiegende unionsrechtliche Auffassung, dass der Luxemburger Kompromiss nichtzu Gewohnheitsrecht erstarkt sei – siehe nur J. Chr. Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.): EUV/EGV, 1999,Art.205 Rdnr.9, erscheint in einem anderen Licht, wenn man berücksichtigt, dass das nationale Verfassungs-recht mehrerer Mitgliedsstaaten eine teilweise Beibehaltung des Einstimmigkeitserfordernisses verlangt.

142 Dazu G. F. Schuppert: Zur Staatswerdung Europas, StWiss 5 (1994), 35/52.

143 Zur Korrelation von Verfahrensregeln und Integrationsstand W. Meng: Das Recht der Internationalen Orga-nisationen – eine Entwicklungsstufe des Völkerrechts, 1979, S.106.

144 R. Iglesias: Zur "Verfassung" der Europäischen Gemeinschaft, in: Schwarze (Hrsg.): Verfassungsrecht undVerfassungsgerichtsbarkeit im Zeichen Europas, 1998, S.45/59.

145 U. Di Fabio: Das Recht offener Staaten, 1998, S.97, der hierfür neben der europäischen Integration auch dieparteienstaatliche Überformung der demokratischen Institutionen verantwortlich macht.

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zunehmend auf eine "Legitimationsabstützung" durch die Europäische Union im Allgemeinen bzw. dasEuropäische Parlament im Besonderen angewiesen. Sie wird umso leichter fallen, je mehr derGrundkonsens der Unionsbürger an Dichte und Substanz gewinnt.147

II. Die Beschränkung des Europäischen Parlaments auf eine "Legitimationsabstüt-zung"

Zwischen den skizzierten Verschiebungen im nationalen Verfassungsgefüge und dem institutionellenGefüge der Union gibt es also (verfassungs-)rechtliche Interdependenzen.148 Weder das unionalenoch das an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stoßende149 nationale Verfassungsrecht sind heute(noch) allein zur gesellschaftlichen Einheitsbildung in der Lage. Erst aus ihrer Zusammenschau er-schließt sich die Grundordnung des politischen und sozialen Lebens in der EU. Insoweit sind Pri-märrecht und nationales Verfassungsrecht "Komplementärverfassungen"150, auf gegenseitige Ergän-zung angelegte Teile eines "Mehr-Ebenen-Verfassungsverbundes"151. An der Schnittstelle zwischennationalem Verfassungsrecht und Sekundärrecht gelegen, erweist sich das Primär-recht/Zustimmungsgesetz als Instrument "struktureller Koppelung"152, durch das die 15 Verfassungs-ordnungen der Mitgliedsstaaten miteinander verbunden und auf das "Integrationsprogramm"153 aus-gerichtet werden. In ihm besitzen sie eine identische und grundsätzlich vorrangige Teilverfassung.154

Der Blick aus der nationalen Verfassungsordnung ist dabei nicht nur legitim, sondern geboten, weilGeltung und Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedsstaaten – entgegen der Autonomiethese

146 BVerfGE 89, 155/183f.

147 P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001).

148 P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in:Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60. Geburtstag vonPeter Badura, 1995, S.105/119.

149 U. Di Fabio: Das Recht offener Staaten, 1998, S.5; J. Schwarze: Deutscher Landesbericht, in: ders. (Hrsg.):S.109/181; R. Steinberg: Grundgesetz und Europäische Verfassung, ZRP 1999, 365/373; ders.: Der ökologi-sche Verfassungsstaat, 1998, S.387ff.

150 I. Pernice: Europäisches Verfassungsrecht im Werden, in: Bauer u.a. (Hrsg.): Ius Publicum im Umbruch, 2000,S.25/35; ders., in: Dreier (Hrsg.): GG, Band II, 1998, Art.23 Rdnr.20.

151 Zum Begriff des "Ve rfassungsverbundes" siehe I. Pernice: Europäisches Verfassungsrecht im Werden,S.25/26f., 33; ders., in: Dreier (Hrsg.): GG, Band II, 1998, Art.23 Rdnr.20; ders.: JZ 2000, 866/870; zum politik-wissenschaftlichen Hintergrund ferner M. Morlok: Grundfragen einer Verfassung auf europäischer Ebene, in:Häberle/Morlok/Skouris (Hrsg.): Staat und Verfassung in Europa, 2000, S.73/74f.

152 Zum systemtheoretischen Hintergrund U. Di Fabio: Das Recht offener Staaten, S.99.

153 Dazu BVerfGE 58, 1/37; 89, 155/188; P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §12 Rdnr.3, 8,13f.; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band I, 1999, Art.19 Abs.4 Rdnr.434f.

154 A. v. Bogdandy: Zweierlei Verfassungsrecht, Der Staat 39 (2000), 163/166; P. M. Huber: Europäisches undnationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001); ders.: Die parlamentarische Demokratie unter denBedingungen der europäischen Integration, in: Huber/Mößle/Stock (Hrsg.): Zur Lage der parlamentarischenDemokratie. Symposium zum 60. Geburtstag von Peter Badura, 1995, S.105/120, insb. Fn.74; I. Pernice: Euro-päisches Verfassungsrecht im Werden, S.25/26f., 33; R. Steinberg, ZRP 1999, 365/373.

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des EuGH155 – auf dem an das jeweilige Verfassungsrecht gebundenen nationalen Rechtsanwen-dungsbefehl beruhen156.

1. Der Kompensationsgedanke

In der Maastricht-Entscheidung klingt diese Interdependenz zwischen der Modifikation der nationa-len – grundgesetzlichen – Verfassungsstrukturen und der institutionellen Ausgestaltung der Europäi-schen Union mehrfach an. Am deutlichsten ist dies in jener Passage der Fall, in der das Gericht da-von spricht, dass "... mit dem Ausbau der Aufgaben und Befugnisse der Gemeinschaft die Notwen-digkeit (wachse), zu der über die nationalen Parlamente vermittelten Legitimation und Einflussnahmeeine Repräsentation der Staatsvölker durch ein Europäisches Parlament hinzutreten zu lassen, vonder ergänzend eine demokratische Abstützung157 der Politik der Europäischen Union ausgeht"158."Dahinter steht ersichtlich die Vorstellung, dass in objektiv-rechtlicher Hinsicht der mit der Europäi-sierung von Aufgaben und Befugnissen einhergehende Einbruch in die grundgesetzlichen Prinzipiender Demokratie und der Volkssouveränität in dem Maße abgemildert werden kann, in dem demeinzelnen Wahlberechtigten eine neue, über das Europäische Parlament vermittelte subjektiv-rechtliche Partizipationsmöglichkeit erwächst.159 Diese "demokratische Kompensation" ist allerdingsnicht nur eine wünschenswerte integrationspolitische Option, sondern ein verfassungsrechtlichesGebot. Das Gericht spricht denn auch von einer wachsenden "Notwendigkeit".160

155 Dazu nur P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001) m.w.N.

156 Belgien: Art.34 BelgVerf.; Dänemark: §20 DänVerf.; Gesetz No.447 vom 11.10.1972, akt. Fassung in: Gu l-mann/Hagel-Sørensen: EU-ret, S.425ff.; F. Thomas: Das Maastricht-Urteil des dänischen Obersten Gerichts-hofs vom 6. April 1998, ZaöRV 58 (1998), 879/880f.; H. Zahle: National constitutional law and the Europeanintegration, 17. F.I.D.E.-Kongress, 1996, S.60/66; Deutschland: Art.23 Abs.1 GG; BVerfGE 37, 271/280ff.; 73,339/376ff.; 89, 155/174f.; P. Kirchhof: Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Hommel-hoff/Kirchhof (Hrsg.): Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S.11/13; Frankreich: Cons. Const.,Entscheidung No.92-308 DC vom 9.4.1992 – Maastricht I; No.97-394 DC vom 31.12.1997 – Amsterdam; J. F.Flauss: Rapport français , in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung,2000, S.25/47f. Großbritannien: Section 2 European Communities Act 1972; R v. Secretary for Foreign andCommonwealth Affairs ex p. Rees Mogg [1994] 1 All ER 457 at p. 467g; P. Birkinshaw: British Report, in:Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S.205/234ff.; Irland:Supreme Court v. 9.4.1987 [1987] ILRM 400 / 402f. – Crotty; Italien: Art.11 ItalVerf.; Corte Costituzionale Sent.No.183 vom 27.12.1973, Giurispr.Cost. 1973, 2401/2414 – Frontini; Österreich: EU-BeitrittsB-VG, 1546 BlgNRXVIII. GP, 4; St. Griller: Der Anwendungsvorrang des EG-Rechts, ecolex 1996, 639/643; Th. Öhlinger: Die Ve r-fassung im Schmelztiegel der europäischen Integration: Österreichs neue Doppelverfassung, in: ders.: Ve r-fassungsfragen einer Mitgliedschaft zu Europäischen Union, 1999, S.165/176; H. Schäffer: ÖsterreichischerLandesbericht, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000,S.339/364; Spanien: Art.93 SpanVerf.

157 Hervorheb. d. Verf.

158 BVerfGE 89, 155/184.

159 Der Gedanke taucht bereits in der diese Überlegung einleitenden Passage auf, wo es heißt: "Der Mitglieds-staat – und mit ihm seine Bürger – gewinnt freilich auch Einflussmöglichkeiten durch die Beteiligung an einerWillensbildung der Gemeinschaft zur Verfolgung gemeinsamer – und damit auch eigener –Zwecke, …"; dazu näher P. M. Huber: Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? – Zur Demokratie-fähigkeit der Europäischen Union, in: Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.): Europäische Demokratie, 1999,S.27/33ff., 39ff.

160 BVerfGE 89, 155 / 184.

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Dabei kann man grundsätzlich folgende Korrelation zwischen der nationalstaatlichen Legitimations-vermittlung für die europäischen Institutionen auf der einen und der kompensatorischen Parlamentari-sierung dieses Systems auf der anderen Seite ausmachen:

− Das Ausmaß der Aufgaben und Befugnisse, das der EU übertragen werden darf, hängt (auch)vom Hinzutreten einer demokratischen Legitimationsabstützung durch das Europäische Parla-ment ab.

− Das gilt auch für Mehrheitsentscheidungen im Rat (Art. 205 EG). Da der Einbruch in die Grund-sätze der Demokratie und der Volkssouveränität nicht nur vom Ausmaß der der EU übertrage-nen Aufgaben und Befugnisse abhängt, sondern es vor allem die Überantwortung dieser Ge-genstände unter das Regime der Mehrheitsentscheidung ist, die die demokratische Legitimations-brücke brüchig werden lässt161, besteht hier ein besonderes Bedürfnis nach einer kompensatori-schen Legitimation durch das Europäische Parlament.

Als allgemeine Leitlinie des Kompensationsgedankens lässt sich somit Folgendes ausmachen: je grö-ßer der einer Vergemeinschaftung unterworfene Bestand an Aufgaben und Befugnissen ist und jestärker das Unionsrecht auf Mehrheitsentscheidungen im Rat setzt (Art. 205 EG), desto größer sindauch die Anforderungen, die an eine Legitimationsabstützung über das Europäische Parlament ge-stellt werden müssen.

161 Zur parallelen Sicht in Frankreich: Seit der "Politik des leeren Stuhls" ist die Mehrheitsentscheidung der

neuralgische Punkt der Integration schlechthin: CC No.92-308 v. 9.4.1992, EuGRZ 1993, 187/192 – MaastrichtI; No.97-394 vom 31.12.1997, EuGRZ 1998, 27/30 – Amsterdam; Th. Oppermann: Europarecht, 1999², §1Rdnr.29f.; Großbritannien: P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäi-schen Verfassungsordnung, 2000, S.205/250: "But the extension of QMV (Qualified Majority Vote) is seen asrunning counter to Parliamentary Sovereignty"; Irland: Supreme Court vom 9.4.1987, [1987], ILRM 400/402 –Crotty.

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2. Grenzen einer demokratischen Legitimationsabstützung

a) Der verfassungsrechtliche Ansatz

Die Verschiebung des demokratischen Legitimationsgefüges ist freilich nicht beliebig möglich. DasGrundgesetz konstituiert mit der Bundesrepublik Deutschland den historisch gewachsenen deutschenNationalstaat162 und reiht sich damit ein in die auch die anderen Mitgliedsstaaten der EU prägendeVerfassungskonzeption163. Dieser ist es so stark verhaftet, dass sie als Bestandteil der durch Art. 79Abs. 3 GG geschützten Identität des Grundgesetzes gilt. Die verfassungsrechtlichen Grundentschei-dungen für Demokratie und Volkssouveränität stehen in diesem Zusammenhang. Art. 20 Abs. 1 und2 GG sind daher keine Blankettnormen, deren Inhalt und Bezugsrahmen beliebig auswechselbarwäre164, sondern Gewähr leisten eine grundsätzlich (nur) vom deutschen Volk her legitimierte Staats-gewalt.165 In diesem Sinne heißt es im Maastricht-Urteil des BVerfG: "Zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört, dass die Wahrnehmung und Ausübungstaatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und grundsätzlich ihm gegenüberverantwortet werden".166

Vor diesem Hintergrund kann die "Legitimationsabstützung" durch das Europäische Parlament nurdazu dienen, die mit der Europäisierung verbundenen "Einflussknicks"167 zu mindern. Sie kann diesejedoch nicht beseitigen. Die über das Unionsrecht vermittelte Legitimation (Art. 19 Abs. 2, 190,191, 194, 195 EG, Art. 6 Abs. 2 EU) ist insoweit ein aliud zu der von Art. 20 GG geforderten. DasBVerfG spricht deshalb auch von einem "Hinzutreten" derRepräsentanten der Staatsvölker (und Unionsbürger) durch das Europäische Parlament, von "demo-kratischer Abstützung".168

162 P. Badura: Staatsrecht, 1996², A 3;. A. Bleckmann, Das Nationalstaatsprinzip im Grundgesetz, DÖV 1988,

437/438; P. M. Huber: Das "Volk" des Grundgesetzes, DÖV 1989, 531/534; ders., in: Sachs (Hrsg.): GG, 1999²,Präambel Rdnr.15.

163 Siehe dazu Belgien: Art.33 BelgVerf.; Finnland: §2 FinnGG; Frankreich: Art.3 FrzVerf.; CC No.92-308 v.9.4.1992, EuGRZ 1993, 187/189 – Maastrich I; No.97-394 v. 31.12.1997, EuGRZ 1998, 27/29 – Amsterdam; M.Fromont: Frankreich und die Europäische Union, DÖV 1995, 481; Griechenland: Art.1 Abs.3 GriechVerf.; Ir-land: Art.6 Abs.1 IrlVerf.; Supreme Court vom 9.4.1987 [1987] ILRM 400/403 – Crotty;Italien: Art.1 Abs.2 ItalVerf.; Luxemburg: Art.32 LuxVerf.; Österreich: Art.1 Satz 2 ÖstBV-G; Portugal: Art.3Abs.1 PortVerf. Schweden: Kap.1 §1 SchwedVerf.; Spanien: Art.1 Abs.2 SpanVerf.; allgemein C. Grewe: De-mokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? – Zur Demokratiefähigkeit der Europäischen Union, in:Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.): Europäische Demokratie, Ius Europaeum, Bd.6, 1999, S.59/61.

164 BVerfGE 83, 37ff.; 83, 60ff.

165 In den anderen Mitgliedsstaaten der EU gilt Entsprechendes für das jeweilige nationalstaatlich konzipierteDemokratieprinzip.

166 BVerfGE 89, 155 / 182.

167 Zu diesem Analogon zum Grundrechtseingriff P. M. Huber: Weniger Staat im Umweltschutz, DVBl 1999,489/495.

168 BVerfGE 89, 155/184.

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b) Folgerungen

Tragend muss deshalb auch in der EU die nationalstaatliche Legitimation der öffentlichen Gewaltbleiben – nicht nur aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts. Das hat vor allem zwei Konse-quenzen:

− Zum einen müssen die Mitgliedsstaaten Zentren "demokratisch legitimer politischer Entscheidun-gen" bleiben.169 Es muss ihnen – um mit dem BVerfG zu sprechen – "ein Übergewicht an Aufga-ben und Befugnissen" verbleiben, über deren Ausgestaltung nicht zuletzt der Deutsche Bundestagzu befinden hat.170

− Zum anderen gestattet es der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG unantastbare Gehalt des Demokratie-prinzips nicht, dem Europäischen Parlament eine "positive demokratische Kompetenz"171 einzu-räumen, mit der es sich gegen den Mitgliedsstaatlich beschickten Rat durchsetzen könnte. Denndie unional vermittelte demokratische Legitimation träte in diesem Fall nicht mehr kompensato-risch zur nationalstaatlich vermittelten hinzu, sondern an deren Stelle. Um mit Peter Badura zusprechen: "Jedenfalls die … Errichtung einer europäischen Gesetzgebungs- und Regierungsge-walt auf der Grundlage eines europäischen parlamentarischen Regierungssystems mit einer echtenparlamentarischen Volksvertretung ginge über die Vollmacht hinaus, die aus Art. 24 [23] Abs. 1GG … entnommen werden...[kann], mag auch die Präambel von Anbeginn Deutschland als'gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa' intendieren".172

Das bedeutet konkret, dass dem Europäischen Parlament maximal Mitentscheidungsrechte einge-räumt werden dürfen, mit denen es die Tätigkeit der anderen EG-Organe, insbesondere den Rat,kontrollieren, notfalls auch blockieren kann.173

169 P. M. Huber, Maastricht – ein Staatsstreich?, 1993, S.35f. in Anlehnung an K. Hesse, Bundesstaatsreform

und Grenzen der Verfassungsänderung, AöR 98 (1973), 1/14ff.

170 BVerfGE 89, 155/186; P. M. Huber, Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäi-schen Integration, in: Huber/Mößle/Stock (Hrsg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposiumzum 60. Geburtstag von Peter Badura, 1995, S.105/124f.

171 P. M. Huber, Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozess, StWiss 3 (1992),349/361; ders., Maastricht – ein Staatsstreich?, S.32f.

172 P. Badura, Die "Kunst der föderalen Form" – Der Bundesstaat in Europa und die europäische Föderation, in:Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, S.369/379.

173 Großzügiger allerdings J. Schwarze, Europapolitik unter deutschem Verfassungsrichtervorbehalt, NJ 1994,1/4.

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III. Fazit

Das nationale Verfassungsrecht setzt also der Abschaffung nationaler Vetopositionen im Rat174 Gren-zen und steht der Zuerkennung einer "positiven demokratischen Kompetenz" an das EuropäischeParlament175 sowie der Parlamentarisierung des europäischen Regierungssystems176 entgegen. Denndabei ginge es nicht – wie gelegentlich behauptet wird – um die "Konstituierung und Konsolidierung"einer zu den Nationalstaaten komplementären Hoheitsgewalt177, sondern um die Etablierung einesbundesstaatlichen Modells auf der Ebene der EU178.

Dem stehen (derzeit) ihre nationalen Verfassungsgrundlagen entgegen, aus deutscher Sicht Art. 20GG. Dieser knüpft Schritte in diese Richtung zudem an Bedingungen, die sich nicht beliebig dekre-tieren lassen179 – eine stärkere Berücksichtigung der Bevölkerungszahl im Europäischen Parlamentwie im Rat, wie sie der Entwurf des Vertrages von Nizza nun vorsieht (Art. 2 f. des Protokolls überdie Erweiterung der Europäischen Union), eine europäische Öffentlichkeit180 sowie eine politischeIdentität, die es der EU gestattet, die mit Mehrheitsentscheidungen verbundenen Majorisierungs-probleme zu bewältigen181.

Davon unabhängig scheint eine Parlamentarisierung der EU aber auch kein politisch gangbarer Wegzu sein, um die Legitimationsprobleme der EU zu lösen. Das zeigt etwa ein Blick nach Großbritan-nien. P. Cullen spricht dort von einer scharfen Rivalität zwischen Westminster und dem Europäi-

174 BVerfGE 89, 155/184; P. M. Huber: Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? – Zur Demokratiefä-

higkeit der Europäischen Union, in: Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.): Europäische Demokratie, Ius Eu-ropaeum, Bd.6, 1999, S.27/53

175 P. Badura: Die "Kunst der föderalen Form" – Der Bundesstaat in Europa und die europäische Föderation, in:Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, S.369/379; P. M.Huber: Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozess, StWiss 3 (1992), 349/361;ders.: Maastricht – ein Staatsstreich?, 1993, S.32f.; ders.: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedin-gungen der europäischen Integration, in: Huber/Mößle/Stock: Zur Lage der parlamentarischen Demokratie.Symposium zum 60. Geburtstag von Peter Badura, 1995, S.105/127; G. F. Schuppert: Zur Staatswerdung Euro-pas, StWiss 5 (1994), 35/48f.

176 Mit unterschiedlichen Nuancen I. Pernice: Europäisches Verfassungsrecht im Werden, in: Bauer u.a. (Hrsg.):Ius Publicum im Umbruch, 2000, S.25/40ff.

177 I. Pernice: Europäisches Verfassungsrecht im Werden, in: Bauer u.a. (Hrsg.): Ius Publicum im Umbruch, 2000,S.25/26.

178 A. Weber: Die Europäische Grundrechtscharta – auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, NJW 2000,537/539, bezeichnet das Europäische Parlament zu Recht als "unitarische Klammer", den EuGH als "Verfas-sungsgericht".

179 BVerfGE 89, 155/213; P. M. Huber: Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäi-schen Integration, in: Huber/Mößle/Stock: Zur Lage der parlamentarischen Demokratie. Symposium zum 60.Geburtstag von Peter Badura, 1995, S.105/131f.; J. H. Weiler: The transformation of Europe, 100 Yale LawJournal (1991), 2403, mit dem Akzent auf der "social legitimacy" der EG.

180 P. Häberle: Gibt es eine europäische Öffentlichkeit, ThürVBl 1998, 121/126.

181 Dass sich ausgerechnet die deutsche Bundesregierung für Mehrheitsentscheidungen im Rat so stark macht,ist nicht ohne Pikanterie. Denn inoffiziell ist klar, dass Deutschland der Mitgliedsstaat ist, der bei Mehrheits-entscheidungen mit Abstand am häufigsten überstimmt wird, M. Seidel: Die Einstimmigkeit im EU-Rat – eineleidige, aber nicht dispensable Regel, EuZW 2000, 65. G. F. Schuppert: Zur Staatswerdung Europas, StWiss 5(1994), 35/41, betont freilich zu Recht, dass der damit verbundene Zwang zum Konsens zwischen den Mit-gliedsstaaten zu sub-optimalen Politikergebnissen (Stichwort: Butterberg, BSE-Krise) führt. Das ist jedochder Preis für die Achtung der nationalen Identität.

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schen Parlament182, und D. Curtin stellt fest, die nationalen Parlamente seien "… far from enam-oured with the idea of solving the 'democratic deficit' by simply enhancing the powers of the Euro-pean Parliament"183.

Teil F:Sicherung der demokratischen Grundlagen der Europäischen Union durchEinbindung der nationalen Parlamente

Vor diesem Hintergrund hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt184, dass eine stärkere Betei-ligung der nationalen Parlamente am Rechtssetzungsprozess der EU das wichtigste Vehikel ist, umdie Legitimations- und Akzeptanzprobleme der Union zu lösen und die Funktionsfähigkeit der Mit-gliedsstaatlichen Verfassungsordnungen, auf denen die EU ruht, dauerhaft zu Gewähr leisten185. Diegeschilderten Vorkehrungen186 bieten hier erste Ansätze.

Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen, dass in jenen Mitgliedsstaaten, in denen die parlamentarischeRückkoppelung der nationalen Regierung am besten funktioniert – in Dänemark und Großbritannien– die wenigsten Probleme mit der Implementation des Unionsrechts auftreten. Die Einbindung dernationalen Parlamente verbessert die Akzeptanz der unionalen Rechtsakte und erhöht die Bereit-schaft zur Umsetzung.187 Diese Einbindung kann auf nationaler (I.) oder unionaler Ebene (II.) erfol-gen.

I. Reformansätze im nationalen Verfassungsrecht

Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten des Art. 23 GG, dass er dem Bundesrat nach Abs. 5 Satz 21. Halbs. das Recht auf eine "maßgebliche Berücksichtigung" zuspricht, wenn "im Schwerpunkt Ge-setzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahrenbetroffen sind", während sich der Deutsche Bundestag als einziges unmittelbar demokratisch legiti-miertes Verfassungsorgan des Bundes mit einem bloßen Berücksichtigungsanspruch zufrieden gebenmuss (Art. 23 Abs. 3 GG).188

182 P. Cullen: Die flexiblen Briten: Rechtsstellung eines Außenseiters in der EU, Zentrum für Europäisches Wirt-

schaftsrecht Bonn, Nr.99, 1998, S.9ff.

183 D. Curtin: The constitutional structure of the Union: A Europe of bits and pieces, CMLR 30 (1993), 17/68.

184 Für Großbritannien P. Birkinshaw: Britis h report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entstehung einer europäischenVerfassungsordnung, 2000, S.205/252: "In November 1998, the Government promised a greater role for Par-liament in overseeing EU legislation and policy ... Changes have subsequently been introduced".

185 BVerfGE 89, 155/185, 190f.; Th. de Berranger: Constitutions nationales et construction communautaire, 1995,S.397; R. Lang: Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Euro-päischen Union gemäß Art.23 Abs.2 bis 7 GG, 1997, S.279f.

186 Siehe unter Teil D.I.

187 C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: GG, Band II, 20004, Art.23 Abs.2 Rdnr.82.

188 In diesem Sinne auch I. Pernice, in: Dreier (Hrsg.): GG, Band II, 1998, Art.23 Rdnr.106.

49

Eine überzeugendere Ausgestaltung der Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundestags in Angele-genheiten der Europäischen Union müsste aus verfassungsrechtlicher Sicht an dem durch dasRechtsstaats- wie das Demokratieprinzip begründeten Gebot ansetzen, dass die für das Zusammen-leben in der Gesellschaft "wesentlichen" Angelegenheiten, auch solche der Grundrechtsausübung,einer hinreichend bestimmten Regelung durch das Parlament bedürfen.

Da diesen Anforderungen durch das im Zustimmungsgesetz nach Art. 23 Abs. 1 GG niedergelegteIntegrationsprogramm wegen dessen finaler Struktur nicht hinreichend Rechnung getragen werdenkann189, müsste eine Änderung des Grundgesetzes die dem Wesentlichkeitskriterium unterfallendenAngelegenheiten einer intensivierten Mitwirkung des Deutschen Bundestages unterwerfen. Sie würdeinsoweit lediglich die von der Verfassung intendierte Funktionenordnung wieder herstellen.

1. "Maßgebliche Berücksichtigung" der Stellungnahme des Bundestages

a) Inhaltliche Reformansätze

In allen "wesentlichen" Angelegenheiten sollte deshalb die Stellungnahme des Deutschen Bundestages"maßgeblich berücksichtigt" werden. Der Bundestag würde dem Bundesrat damit im Wesentlichengleichgestellt (Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG) und die Bundesregierung – wie in Österreich (Art. 23eAbs. 2 Satz 1 ÖstB-VG) – an die Stellungnahme des Bundestages grundsätzlich gebunden. Andersals § 5 Abs. 2 Satz 5 ZusBRG, der für eine solche Bindung an die maßgeblich zu berücksichtigendeStellungnahme einen mit zwei Dritteln seiner Stimmen gefassten Beschluss des Bundesrates vorsieht,müsste der Bundestag eine solche Bindung im Hinblick auf die Wertung des Art. 67 Abs. 1 Satz 1GG aber schon mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 121 GG) herbeiführen können.

Zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit Deutschlands bedürfte es allerdings – wie in Österreich – be-stimmter Einschränkungen. Sie beträfen zum einen den Fall zwingender außen- und integrationspoliti-scher Gründe (Art. 23e Abs. 2 Satz 2 ÖstB-VG).190 Zum anderen bedürfte es zur Sicherung derparlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung eines Art. 23 Abs. 5 Satz 3 GG nachge-bildeten Vorbehalts, wonach in Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen und Einnahmeminde-rungen führen können, die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich ist.

Die Identifizierung dermaßen "wesentlicher" Angelegenheiten bereitet allerdings Schwierigkeiten.Diese sind jedoch zu bewältigen.

189 So kann die Kommission etwa Verstöße gegen Art.86 EG entweder auf der Grundlage von Art.86 Abs.3 EG

oder mit Hilfe eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art.226 ahnden, hat insoweit also ein Wahlrecht;EuGHE 1992, I – 565/635ff. – Niederlande/Kommission, Rz.27ff.; zum extensiven Ansatz des EuGH bei derWahrnehmung seiner Prüfungskompetenzen siehe EuGHE 1998, I – 2763/2787f. – Kommission/Rat (Transitauf Flughäfen, 3. Säule), Rz.12ff.; 1998, I – 1831ff. – Decker/Caisse der maladie des employés privés; 1998, I –1931ff. – Kohll/Union des caisses de maladie (Sozialversicherungssystem); EuGH, DÖV 2000, 421 – TanjaKreil, Rz.15 (nationale Verteidigung); P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in:VVDStRL 60 (2001); J. Schwarze: Deutscher Landesbericht, in: ders. (Hrsg.): Die Entstehung einer europäi-schen Verfassungsordnung, 2000, S.109/198ff.; jüngst aber EuGH, Urteil vom 5.10.2000 – Rs. C-376/98 – Ta-bakwerbeverbot; optimistischer zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und seiner Leistungsfähig-keit auch BVerfGE 89, 155/187f., 191ff.; 92, 203/238f.

190 Der Gesichtspunkt spielt im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat schon de lege lata einewichtige Rolle; siehe §5 Abs.2 Satz 2 ZusBRG; BVerfGE 92, 203/236f. – Fernsehrichtlinie.

50

So kann zunächst auf die außerordentlich umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zur Wesent-lichkeitsdoktrin zurückgegriffen werden, wie sie sich im Gefolge der Strafgefangenen-Entscheidungdes BVerfG entwickelt hat.191

Ferner kann hier der Blick auf Art. 207 Abs. 3 EG hilfreich sein. Diese mit dem Vertrag von Ams-terdam aufgenommene Bestimmung verpflichtet den Rat unter dem Gesichtspunkt des Zugangs derÖffentlichkeit zu seinen Dokumenten (Art. 255 EG), die Fälle festzulegen, "in denen davon auszuge-hen ist, dass er als Gesetzgeber tätig wird …". Im Anhang zur Geschäftsordnung des Rates werdeninsoweit der Erlass rechtsverbindlicher Maßnahmen nach Art. 37, 251 und 252 EG aufgeführt.192

Auch wenn die ratio legis eine andere ist, kann diese Kategorisierungsleistung doch auch für einebessere demokratische Kontrolle genutzt werden.

Art. 23 Abs. 3 GG sowie das französische und das österreichische Beispiel (Art. 23e Abs. 2 ÖstB-VG) zeigen im Übrigen, dass die Regelungen über die innerstaatlichen Informations- und Beteili-gungsrechte schon heute eine Korrelation zwischen der Rechtssetzungstätigkeit auf Unionsebene undden Mitwirkungsrechten der nationalen Parlamente herstellen.

b) Verfahren

Eine derartige Stärkung der Stellung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäi-schen Union bedarf einer Verfassungsänderung (Art. 79 Abs. 1 und 2 GG). Denn die Beteiligungs-rechte sind in Art. 23 Abs. 2 und 3 GG verhältnismäßig detailliert ausgestaltet worden.193 Zudem fälltdie Vertretung Deutschlands in der EU grundsätzlich in die Kompetenz der Bundesregierung.194

Eine Grenze findet eine solche Gewichtsverlagerung zu Gunsten des Parlaments in der Außenvertre-tung Deutschlands erst im von Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geschützten "Vorbe-halt der Exekutive"195.

2. Übertragung der Mitgliedschaftsrechte Deutschlands auf einen Vertreter desBundestages

Auch die Logik des Art. 23 Abs. 6 GG ist auf den Deutschen Bundestag übertragbar. Wenn imSchwerpunkt ausschließliche Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages betroffen sind, d.h. einFall des Parlamentsvorbehalts vorliegt, warum sollte dann die Mitwirkung an der Rechtssetzung aufUnionsebene nicht in den Händen desjenigen Verfassungsorgans liegen, das dafür eigentlich zustän-dig ist, in den Händen des Deutschen Bundestages?

191 BVerfGE 33, 1ff. – Strafgefangene; 49, 89/126f. – Kalkar.

192 J. Chr. Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.): EUV/EGV, 1999, Art.207 Rdnr.10.

193 Krit. dazu M. Brenner: Die neuartige Technizität des Verfassungsrechts und die Aufgabe der Verfassungs-rechtsprechung, AöR 120 (1995), 248/259f.

194 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §4 Rdnr.1ff.

195 Dazu BVerfGE 67, 100/139; 68, 1/86ff.

51

Da im Mehr-Ebenen-Verfassungsverbund der Europäischen Union die Mitwirkung an der Rechts-setzung funktional (kooperative) Rechtssetzung bleibt196 und nicht (mehr) als intergouvernementaleAußenvertretung begriffen werden kann – das hat der verfassungsändernde Gesetzgeber im Prinzipschon mit der Einführung von Art. 23 Abs. 6 GG anerkannt -, liegt es auf der Hand, dass die Wahr-nehmung entsprechender Rechte auch durch das Parlament erfolgen sollte. Nur so kann im Übrigeneine weitere Erosion der grundgesetzlichen Funktionenordnung vermieden werden, die Deutschlandmit Blick auf die Aushöhlung des grundgesetzlichen Rechtsstaats- und Demokratieprinzips über kurzoder lang an den Rand der Integrationsunfähigkeit bringen würde (Art. 20 i.V.m. Art. 79 Abs. 3GG).

In diesen Fällen, in denen das Verfassungsrecht einen Parlamentsvorbehalt statuieren würde, solltedie Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der Europäi-schen Union zustehen, daher wie bei Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG von der Bundesregierung auf denBundestag, seinen Präsidenten, den Vorsitzenden des Ausschusses in Angelegenheiten der Europäi-schen Union oder einen von ihnen zu benennenden Vertreter übertragen werden. Eine Beteiligungund Abstimmung mit der Bundesregierung (Art. 23 Abs. 6 Satz 2 GG) wäre allerdings auch hiervorzusehen.

Bei der Bestimmung der hierunter fallenden Gegenstände kann das Unionsrecht wiederum hilfreichsein. Dort zeichnet sich seit Jahren eine Ausdifferenzierung der sekundärrechtlichen Rechtsordnungab, wobei insbesondere zwischen Grund- und Ausführungsverordnungen unterschieden wird, aberauch zwischen Rahmenrichtlinien und diesen Rahmen konkretisierenden sonstigen Richtlinien.197 Die-se Differenzierung findet ihre primärrechtliche Grundlage in den Art. 202 3.Sp. und Art. 211 4.SpEG und weist unübersehbare Parallelen zur Wesentlichkeitsdoktrin auf.198 Sie ist – was die Rolle vonEuropäischem Parlament und Kommission angeht – mit einigen Zweifeln behaftet.199 Dennoch eignetsie sich durchaus als (widerleglicher) Anknüpfungspunkt für die Frage, ob die Mitwirkung an einemunionalen Rechtsakt nach deutschem Verfassungsrecht dem Parlamentsvorbehalt unterliegen würde.

Auch eine Regelung, wie sie hier vorgeschlagen wird, setzt eine Änderung des Art. 23 Abs. 3 GGvoraus.

3. Öffentlichkeit für die Sitzungen des Ausschusses in Angelegenheiten der EU

Aus Gründen des Demokratieprinzips und der Transparenz scheint darüber hinaus eine Festlegungindiziert, dass die Sitzungen des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union grund-sätzlich öffentlich sind. Das kann durch eine Verweisung in einem neu aufzunehmenden Art. 45 Satz3 GG geschehen200 oder durch die Einfügung einer entsprechenden Passage in § 93a GeschOBT. 196 Dazu P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001).

197 EuGHE 1975, 1279/1304ff. – Rey Soda/Cassa Conguaglio Zucchero; P. M. Huber: Recht der EuropäischenIntegration, 1996, §6 Rdnr.58.

198 Zum Komitologie-Verfahren siehe EuGHE 1988, 5615ff. – Komitologie; P. M. Huber: Recht der EuropäischenIntegration, 1996, §24 Rdnr.5; R. Streinz: Europarecht, 19994, Rdnr.456.

199 R. Streinz: Europarecht, 19994, Rdnr.456.

200 Dieser könnte etwa lauten: "Art. 42 findet entsprechende Anwendung.".

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Ohne Öffentlichkeit, das folgt schon aus Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG, gibt es keine Transparenz, ohneTransparenz keine "Oberaufsicht des Publikums"201 und ohne die "Oberaufsicht des Publikums" keinausreichendes demokratisches Legitimationsniveau.

4. Mitwirkung des Bundestages bei Verfahren vor dem EuGH

Anders als § 7 ZusBRG kennt das ZusBTG keine Verpflichtung der Bundesregierung, gegen einenRechtssetzungsakt der EU und ihrer Gemeinschaften auf Verlangen des Bundestags Klage vor demEuGH zu erheben. Das ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Ausgangslage nicht ganzfolgerichtig, weil die Rechtssetzung auf Unionsebene primär zu Lasten des Bundestages geht. Dieserhat ein legitimes Interesse daran, dass das Integrationsprogramm durch die EG-Organe gewahrt, dasSubsidiaritätsprinzip (Art. 5 UAbs. 2 EG) beachtet und in die Grundrechte der Bürger nicht unnötigeingegriffen wird. Daher sollte das ZusBTG um eine Bestimmung ergänzt werden, die die Bundesre-gierung zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage vor dem EuGH (Art. 230 EG) verpflichtet, wenn derbetreffende Rechtsakt Gesetzgebungskompetenzen des Deutschen Bundestages berührt und diesereine entsprechende Klageerhebung verlangt.

II. Reformansätze im unionalen Verfassungsrecht

1. Primärrechtliche Rechtssetzung

a) Inhaltliche Reformansätze

Das Verfahren der Vertragsänderung nach Art. 48 EU weist den nationalen Parlamenten bislangzwar das letzte und entscheidende Wort über die Inkraftsetzung des Primärrechts zu; es beschränktsie aber auch auf einen bloßen Ratifikationsvorbehalt, der eine differenzierte inhaltliche Einflussnahmeauf die Ausgestaltung des Primärrechts nicht gestattet.

Als Ergänzung wird deshalb für die Zukunft das Verfahren eines "Konvents"202 vorgeschlagen, wie esim Vorfeld der Proklamation der Europäischen Grundrechtscharta praktiziert worden ist203. In die-sem Konvent waren die nationalen Parlamente mit jeweils zwei Abgeordneten vertreten204 und hattendamit die Möglichkeit einer gewissen Einflussnahme auf den Beratungsfortgang. Bundestag und Bun-desrat etwa haben zu diesem Zweck auch eine gemeinsame Anhörung durchgeführt.

Freilich fiel diese Einflussnahme – nicht zuletzt unter dem Diktat des engen Zeitrahmens – eher akzi-dentell aus. Wirklich zufrieden stellt sie nicht. Denn neben den Beauftragten der 15 Staats- und Re-gierungschefs, der Kommission und 16 Mitgliedern des Europäischen Parlaments sah sich das einzel-ne nationale Parlament dabei in seiner spezifischen Bedeutung doch weitgehend marginalisiert. Der

201 J. Bentham: Taktik oder Theorie des Geschäftsganges in deliberierenden Volksversammlungen, 1817, S.10.

202 Zum Begriff Charte 4134/00 CONVENT 6 vom 21.2.2000, Ziff. 3.

203 Siehe etwa J. Gnauck: FAZ vom 9. Dezember 2000.

204 Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere vom 15./16.10.1999, Anhang A, abgedruckt unterhttp://www.euparl.eu.int/summits/tam_de.htm.

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Zugewinn an Einfluss gegenüber dem Verfahren nach Art. 48 EU dürfte deshalb eher gering ausfal-len.

Vorzugswürdig wäre es daher, wenn die nationalen Parlamente stärker in das Verfahren nach Art.48 EU einbezogen würden. So wäre es etwa in Anlehnung an die Regelungen von Art. 168 Belg-Verf.205 vorstellbar, die zu einer Vertragsänderung unterbreiteten Vorschläge vor einem Zusammen-treten der Regierungskonferenz nach Art. 48 UAbs.2 EU den nationalen Parlamenten zur Anhörungvorzulegen und diese auch vor dem Abschluss der Regierungskonferenz durch den Europäischen Ratein zweites Mal zu beteiligen. Bei der sekundärrechtlichen Rechtssetzung wird ein solches Verfahrenja in mehreren Mitgliedsstaaten praktiziert (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 23e Abs. 3 ÖstB-VG).Damit würde die Exekutivlastigkeit dieses ureigensten parlamentarischen, weil den Grundkonsens inder EU betreffenden Verfahrens gemildert, die Transparenz erhöht und ein breiter (gesellschaftlicher)Konsens ermöglicht.

Auch in redaktioneller und technischer Hinsicht böte ein solches Verfahren die Gelegenheit zu einergeordneteren und rationaleren Entscheidungsfindung. Es könnte überdies legislatorische Mängel ver-meiden, wie sie im herkömmlichen Verfahren der Regierungskonferenzen fast unvermeidlich sind.206

b) Verfahren

Jede Reform des Verfahrens der Vertragsänderung setzt freilich zunächst auch ihrerseits eine Ver-tragsänderung nach Art. 48 EU voraus.

2. Sekundärrechtliche Rechtssetzung

De constitutione ferenda – d.h. mit Blick auf die institutionelle Weiterentwicklung der EU – muss esaber auch darum gehen, die nationalen Parlamente in die sekundärrechtliche Rechtssetzung derEU/EG einzubeziehen.207 Eine dermaßen unionsrechtlich institutionalisierte Kooperation von Europäi-schem Parlament und nationalen Parlamenten entspricht nicht nur dem Wesen der unionalen Rechts-ordnung als wechselseitiger Auffang- und Kooperationsordnung. Sie ist in Art. 249 Abs. 3 EG unddem Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der EU bereits angelegt.

Sie entspricht aber auch einer schon im sog. Vedel-Bericht angelegten Forderung208, die sich nichtnur zahlreiche nationale Parlamente209, sondern auch einzelne Regierungen der Mitgliedsstaaten210 zuEigen gemacht haben. 205 Teil D.III.1.a).

206 Ein krasser Fall war etwa Art.L EUV (Maastricht) keine Jurisdiktionsgewalt des EuGH für die seinerzeit inArt.F Abs.2 EUV (Maastricht) niedergelegten Grundrechte begründete, P. M. Huber: Recht der EuropäischenIntegration, 1996, §6 Rdnr.46.

207 P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001).

208 Bull. EG Beilage 4/72, S.67f.; dazu auch J. Abr. Frowein: Legitimation und Wirkung des Rechts der Europäi-schen Union/Gemeinschaft, in: Müller-Graff (Hrsg.): Perspektive des Rechts der EU, 1998, S.105/109.

209 Belgien: Chambre des Répresentants, Ses. Ord. 1992-1993, Dok. N°.1032/2, S.1ff.; Deutschland: Siehe dazuAntrag der Fraktion der CDU/CSU zur Regierungskonferenz 2000 und Osterweiterung – Herausforderungenfür die Europäische Union an der Schwelle zum neuen Millennium, BT.-Drucks. 14/2233, S.4; Frankreich: Be-

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Eine stärkere Kooperation mit den nationalen Parlamenten fordert schließlich auch das EuropäischeParlament.211 In seiner Entschließung zur Funktionsweise des EUV vom 17. Mai 1995 heißt es unterZiff. 24 wörtlich: "Die demokratische Kontrolle auf EU-Ebene lässt sich am besten durch eine Part-nerschaft zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten erreichen. DieRolle der nationalen Parlamente sollte in mehrfacher Hinsicht gestärkt werden, z.B. durch eine ver-stärkte Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Fachausschüssen der nationalen Parlamente unddes Europäischen Parlaments sowie durch die Möglichkeit für Fachorgane nationaler Parlamente,wichtige europäische Vorschläge mit ihren Ministern im Vorfeld der Ratstagungen zu erörtern."

a) Die Ersetzung des Rates durch die Parlamente der Mitgliedsstaaten bei Grundverord-nungen und Rahmenrichtlinien

Um das in den nationalen Parlamenten vorhandene Legitimationsreservoir für die EU fruchtbar zumachen, müssen sie jedoch als solche in das sekundärrechtliche Rechtssetzungsverfahren einbezo-gen werden. Grundsatzfragen der Gesetzgebung wie beim Erlass von Rahmenrichtlinien und Grund-verordnungen sollten sie zusammen mit dem Europäischen Parlament an Stelle der Regierungen imVerfahren nach den Art. 37, 251, 252 und 308 EG entscheiden können.212

b) Die COSAC als Sackgasse

Der institutionelle Ausbau der COSAC schüfe hingegen nur ein weiteres Organ auf Unionsebene213

und verfehlte damit das Anliegen, nationale und unionale Legitimationsquellen zu koppeln214.

3. Klagerecht für die nationalen Parlamente

Zur Abstützung derartiger unionsrechtlicher Beteiligungsrechte käme auch ein (privilegiertes) Kla-gerecht der nationalen Parlamente vor dem EuGH in Parallele zu Art. 230 3.UAbs. EG in Betracht.Nach dieser Vorschrift ist der EuGH unter den Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 1 EG auch zu-ständig für Klagen des Europäischen Parlaments, die auf die Wahrung seiner Rechte zielen.

richt der Assemblée nationale, Quelles réformes pour l'Europe de demain?, Rapport d'information no1939,S.94.

210 Zur Haltung der britischen Regierung siehe P. Birkinshaw: British report, in: Schwarze (Hrsg.): Die Entste-hung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S.205/251: "The British government opened the 1995-1996 session of Parliament with a declared intention of increasing the role of NPs [National Parliaments] inCommunity affairs and it does seem that several points need to be addressed in their role. These includeprovisions of more detailed information in advance of Council meetings and greater co-operation betweenNPs and the EP."

211 Entschließung des Europäischen Parlaments zur Funktionsweise des EUV vom 17. Mai 1995, ABl. EG Nr. C151/63.

212 P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in: VVDStRL 60 (2001).

213 Krit. auch K. Pöhle: Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und die nationalen Parlamente. Bietet dieCOSAC einen Ausweg?, ZParl 1998, 77/89.

214 P. M. Huber: Europäisches und nationales Verfassungsrecht, demn. in VVDStRL 60 (2001).

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Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass diese Vorschrift in einem ganz bestimmten systema-tischen Zusammenhang steht, der sich nicht ohne weiteres auf die nationalen Parlamente übertragenlässt. Mit ihr hat der Vertragsgeber von Maastricht nämlich nur die entsprechende Judikatur desEuGH zum institutionellen Gleichgewicht kodifiziert.215 In seinem Tschernobyl-Urteil hatte dieser ausjenem Grundsatz, der der Gewaltenteilung funktional entspricht, abgeleitet: "Das Fehlen einer Be-stimmung in den Verträgen, die das Recht des Parlaments zu einer Erhebung einer Nichtigkeitsklagevorsieht, mag eine verfahrensrechtliche Lücke darstellen, es kann jedoch nicht schwerer wiegen, alsdas grundlegende Interesse an der Aufrechterhaltung und Wahrung des von den Verträgen … fest-gelegten institutionellen Gleichgewichts".216

Überträgt man diesen Gedanken auf das hier interessierende Problem, so ergibt sich Folgendes: Eineigenständiges Klagerecht der nationalen Parlamente vor dem EuGH wäre nur für den Fall system-konform, dass diese in den Verträgen auch mit eigenen Rechten ausgestattet würden.

Dagegen wäre ein isoliertes, auf die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 EG) gerichtetes Kla-gerecht systemwidrig. Zwar könnten die Mitgliedsstaaten als "Herren der Verträge" an seiner pri-märrechtlichen Verankerung nicht gehindert werden; vorzugswürdig wäre in diesem Fall jedoch eineinnerstaatliche Verpflichtung der nationalen Regierungen, auf Antrag des jeweiligen Parlaments eineentsprechende Nichtigkeitsklage zu erheben. Dies bedürfte keiner primärrechtlichen Verankerung.217

Teil G:Thesen

1. Dem aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Parlament fällt in der parlamentarischenDemokratie die Rolle des zentralen Leitungs- und Steuerungsorgans zu. In der Verfassungsord-nung des Grundgesetzes erfährt dies seine wesentliche Konkretisierung im Parlamentsvorbehaltsowie in den Grundsätzen vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes.

2. In allen Mitgliedsstaaten der EU wird die mit der Europäisierung einhergehende Entmachtungder nationalen Parlamente als ein zentrales Problem der Integration begriffen. In der damit ver-bundenen unzureichenden demokratischen Kontrolle des Rates liegt das "Demokratiedefizit" derEU vornehmlich begründet.

3. An der kontinuierlichen Entparlamentarisierung der nationalen Verfassungsordnungen habenweder die Einführung innerstaatlicher Informations- und Mitwirkungsrechte der nationalen Par-lamente noch das entsprechende Protokoll zum Amsterdamer Vertrag Entscheidendes geän-dert.

4. Allerdings verstärkt die unionsrechtliche Vorgabe des Protokolls über die Rolle der einzelstaat-lichen Parlamente in der EU die Kompensationsansätze des nationalen Verfassungsrechts undvermittelt ihnen eine im Rahmen von Art. 10 EG zu entfaltende Legitimität. Die von mehreren

215 P. M. Huber: Recht der Europäischen Integration, 1996, §14 Rdnr.60.

216 EuGHE 1990, I – 2041ff. – Tschernobyl, Rz.26.

217 Teil F.I.4.

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Mitgliedsstaaten praktizierte Stimmabgabe ad referendum im Rat findet hier einen primärrechtli-chen Anknüpfungspunkt.

5. Eine effektive Kontrolle der Ratstätigkeit ihrer jeweiligen Regierung ist den nationalen Parla-menten i.d.R. nicht möglich. Der Zeitdruck, die Notwendigkeit von Paketlösungen, vor allem a-ber die parteienstaatliche Überformung der nationalen Verfassungsordnung erweisen sich alsstrukturelle Hindernisse für eine intensivierte Kontrolle des Rates durch die nationalen Parla-mente.

6. Auch Bundestag und Bundesrat sind nur eingeschränkt in der Lage, die Beteiligungsrechte nachArt. 23 Abs. 2 bis 6 GG zu einem intensiveren Einfluss auf die deutsche Europapolitik zu nut-zen.

7. Die Rolle des Ausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union wirft – wie die ver-gleichbarer Ausschüsse in anderen Mitgliedsstaaten der EU – Probleme auf. Sie beruhen aufder fehlenden Öffentlichkeit der Ausschussverhandlungen und der Schwierigkeit, die Masse anUnionsvorlagen zu bewältigen.

8. Das nationale Verfassungsrecht (z.B. Art. 20 GG) setzt der Abschaffung mitgliedsstaatlicherVetopositionen im Rat Grenzen und steht der Zuerkennung einer "positiven demokratischenKompetenz" an das Europäische Parlament entgegen. Eine (volle) Parlamentarisierung der EUist (derzeit) aber auch kein politisch gangbarer Weg.

9. In allen "wesentlichen" Angelegenheiten sollte die Stellungnahme des Bundestages "maßgeblichzu berücksichtigen" sein. Die Bundesregierung wäre damit grundsätzlich an die Stellungnahmedes Bundestages gebunden. Ausnahmen müssten für zwingende außen- und integrationspoliti-sche Gründe vorgesehen werden sowie für Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen undEinnahmenminderungen führen können. Eine solche Regelung bedürfte einer Änderung des Art.23 Abs. 3 GG.

10. In Fällen, in denen das nationale Verfassungsrecht einen Parlamentsvorbehalt statuieren würde,sollte die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat derEuropäischen Union zustehen, entsprechend Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG von der Bundesregie-rung auf einen vom Bundestag zu benennenden Vertreter übertragen werden. Auch eine solcheRegelung setzt die Änderung von Art. 23 Abs. 3 GG voraus.

11. Aus Gründen des Demokratieprinzips und des Transparenzgebots ist eine (nicht notwendiger-weise verfassungsrechtliche) Feststellung geboten, dass der Ausschuss für Angelegenheiten derEuropäischen Union grundsätzlich öffentlich verhandelt.

12. Das ZusBTG sollte um eine § 7 ZusBRG nachgebildete Vorschrift ergänzt werden, die dieBundesregierung verpflichtet, Nichtigkeitsklage gegen einen unionalen Rechtsakt zu erheben,wenn dieser Gesetzgebungskompetenzen des Bundestages berührt und der Bundestag ein ent-sprechendes Ersuchen stellt.

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13. Im Verfahren nach Art. 48 EU sollten die nationalen Parlamente vor dem Zusammentritt derRegierungskonferenz und vor deren Abschluss durch den Europäischen Rat zu den Änderungs-vorschlägen angehört werden. Das setzt eine entsprechende Änderung von Art. 48 EU voraus.Das anlässlich der EU-Grundrechtscharta praktizierte "Konvent-Verfahren" stellt demgegen-über nur eine geringfügige Verbesserung der parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten dar.

14. Um das in den nationalen Parlamenten vorhandene Legitimationsreservoir für die EU fruchtbarzu machen, bedarf es ihrer Einbeziehung in das sekundärrechtliche Rechtssetzungsverfahren alssolcher. In Grundsatzfragen der Gesetzgebung – beim Erlass von Rahmenrichtlinien, Grundver-ordnungen oder Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 308 EG sollten sie in den Verfahrennach Art. 37, 251, 252 und 308 EG an die Stelle des Rates treten. In den Vermittlungsaus-schuss würden in diesen Fällen Vertreter der nationalen Parlamente entsandt.

15. Die COSAC hat sich nicht bewährt. Ihr institutioneller Ausbau zu einer Staatenkammer würdedas Legitimations- und Akzeptanzproblem der EU nicht lösen und die Stellung der nationalenParlamente weiter schwächen.

16. Ein eigenständiges Klagerecht der nationalen Parlamente vor dem EuGH erscheint nur sinnvoll,wenn diese durch die Verträge auch mit unionsrechtlichen Kompetenzen ausgestattet werden(vgl. These 14). Ist dies nicht der Fall, so sollte es mit einer innerstaatlichen Verpflichtung derBundesregierung sein Bewenden haben, auf Antrag des Bundestages eine Nichtigkeitsklage vordem EuGH anzustrengen (These 12).

Teil H:Literaturverzeichnis

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Zahle, H.: Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in Dänemark, in: Bat-tis/Tsatsos/Stefanou (Hrsg.), Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht, 1995,S.68ff.

Ders.: National constitutional law and the European integration, 17. F.I.D.E.-Kongress, 1996,S.60ff.

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Verantwortlich:Dr. Reinhard C. Meier-WalserLeiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehender Hanns-Seidel-Stiftung

Autor:Prof. Dr. jur. Peter M. Huber

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Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Öffentliches Wirtschafts- undUmweltrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena

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"aktuelle analysen"

bisher erschienen:

Nr. 1 Problemstrukturen schwarz-grüner Zusammenarbeit (vergriffen)

Nr. 2 Wertewandel in Bayern und Deutschland - Klassische Ansätze –Aktuelle Diskussion - Perspektiven

Nr. 3 Die Osterweiterung der NATO - Die Positionen der USA und Russlands(vergriffen)

Nr. 4 Umweltzertifikate - ein geeigneter Weg in der Umweltpolitik? (vergriffen)

Nr. 5 Das Verhältnis von SPD, PDS und Bündnis 90/Die Grüne nach denLandtagswahlen vom 24. März 1996 (vergriffen)

Nr. 6 Informationszeitalter - Informationsgesellschaft - Wissensgesellschaft(vergriffen)

Nr. 7 Ausländerpolitik in Deutschland

Nr. 8 Kooperationsformen der Oppositionsparteien

Nr. 9 Transnationale Organisierte Kriminalität (TOK). Aspekte ihrerEntwicklung und Voraussetzungen erfolgreicher Bekämpfung(vergriffen)

Nr. 10 Beschäftigung und Sozialstaat

Nr. 11 Neue Formen des Terrorismus

Nr. 12 Die DVU – Gefahr von Rechtsaußen

Nr. 13 Die PDS vor den Europawahlen

Nr. 14 Der Kosovo-Konflikt: Aspekte und Hintergründe (vergriffen)

Nr. 15 Die PDS im Wahljahr 1999: "Politik von links, von unten und von Osten"(vergriffen)

Nr. 16 Staatsbürgerschaftsrecht und Einbürgerung in Kanada und Australien

Nr. 17 Die heutige Spionage Russlands

Nr. 18 Krieg in Tschetschenien

Nr. 19 Populisten auf dem Vormarsch? Analyse der Wahlsieger in Österreichund der Schweiz

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Nr. 20 Neo-nazistische Propaganda aus dem Ausland nach Deutschland

Nr. 21 Die Relevanz amerikanischer Macht: anglo-amerikanischeVergangenheit und euro-atlantische Zukunft

Nr. 22 Global Warming, nationale Sicherheit und internationale politischeÖkonomie. Überlegungen zu den Konsequenzen der weltweitenKlimaveränderung für Deutschland und Europa

Nr. 23 Die Tories und der "Dritte Weg". Oppositionsstrategien der britischenKonservativen gegen Tony Blair und New Labour

Nr. 24 Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtssetzung derEuropäischen Union. Zur Sicherung und zum Ausbau derMitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages

in Vorbereitung:

Jenseits der "Neuen Mitte": Die Annäherung der PDS an die SPD seit derBundestagswahl 1998

Die Abwehr ballistischer Trägersysteme. Bedrohungslage – Möglichkeiten –politische Konsequenzen