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Seite 398 DHZ 11–12 | 2013 FORTBILDUNG Aktuelles aus der zahnärztlichen Pharmakologie 1 Aufgrund der zunehmenden Komplexität der zahnärztlichen Eingriffe und der ebenfalls fortschreitenden Multimorbidität der Bevölkerung ist eine kontinuierliche Fortbildung auf pharmakologischem Gebiet unabdingbar. Der niedergelassene Zahnarzt wird zunehmend mit Patienten konfrontiert, die aufgrund einer allgemeinen Erkrankung und/oder einer be- stimmten Medikation als risikobehaftet angesehen werden müssen. Diese Risiken muss er erkennen und bei seiner (medikamentösen) Behandlungsplanung berücksichtigen. Analgetika In der Zahnmedizin kommen überwiegend nicht-opioide Analgetika zum Einsatz. Hier muss zwischen den sauren Analgetika (NSAR) Acetylsalicylsäure (ASS) und Ibu- profen sowie den nicht-sauren Analgetika Paracetamol und Metamizol unterschieden werden. Während die NSAR immer mehr oder weniger stark ulcerogen wirken und ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko für die Patienten darstellen, ist Paracetamol vor allem wegen seiner Lebertoxizität bei höheren Dosierungen problematisch. Me- tamizol muss aufgrund der seltenen, aber gravierenden Nebenwirkung Agranulozy- tose als Mittel der zweiten Wahl angesehen werden. ASS löst bereits in Dosierungen von 100 mg/Tag eine irreversible Thrombo- zytenaggregationshemmung aus, die bei ausgedehnteren chirurgischen Eingriffen das Risiko einer Nachblutung erhöht. Nach einer aktuellen Metaanalyse (Dt. Ärzte- blatt 110 (2013), A1447–1448) besteht bei Ibuprofen ein akzeptabler Kompromiss zwischen der Gefahr intestinaler Kompli- kationen und dem relativen Risiko eines Myokardinfarktes. Durch die zusätzliche antiphlogistische Wirkung ist Ibuprofen als Mittel der ersten Wahl im oralchirur- gischen Bereich anzusehen. Asthmapati- enten und Patienten mit erhöhten kardio- vaskulären und intestinalen Risiken soll- ten allerdings vorrangig mit Paracetamol therapiert werden. Tramadolol als zentral wirksames Opioid ist in Tropfenform eine kurzfristige Op- tion bei sehr starken Schmerzzuständen. Kombinationspräparate sind im Bereich der Selbstmedikation der Patienten sehr beliebt, aber aufgrund der Potenzierung der Nebenwirkungen, der ungleichen Wirk- dauer der Arzneistoffe und des höheren Preises aus pharmakologischer Sicht eher abzulehnen. Während die gemeinsame Gabe von Paracetamol und Codein eine sinnvolle Kombination darstellt, ist das in der Zahnmedizin immer noch (zu) häufig verordnete Kombipräparat Dolomo® auf- grund des Coffein-Zusatzes und des Wirk- stoffes ASS eher abzulehnen. Generell sollte bei jedem Patienten vor einer Schmerzmedikation erfragt werden, wie oft frei verkäufliche Analgetika ein- genommen werden. Immerhin nimmt jeder Deutsche im Schnitt 60 Schmerztablet- ten pro Jahr ein und ca. 1,4 Mio. Deut- sche sind medikamentenabhängig (meist Schmerzmittel)! Antibiotika Ca. 18 Mio. Patienten benutzten 2009 in Deutschland durchschnittlich 2,5 Packun- gen Antibiotika. 38 Prozent aller Kinder und Jugendlichen und sogar 51 Prozent aller Kleinkinder erhielten in 2009 ein An- tibiotikum. Während in der Humanmedi- zin ca. 250 – 300 t Antibiotika verbraucht werden, sind es in der Veterinärmedizin knapp 800 t! Betrachtet man also die Re- sistenzentwicklungen, so muss auch die Veterinärmedizin in die Verantwortung genommen werden (Al Nawas 2010). Über das Keimspektrum bei odontogenen Abszessen liegen im deutschsprachigen Raum nur relativ wenige Publikationen vor. Eine aktuelle Studie ergab, dass im Durchschnitt nur zwei Erreger/Infektion nachzuweisen waren, wobei sich die aero- ben und anaeroben Keime etwa die Waage hielten (Eckert et al. 2013). Generell soll- ten bakterizide Antibiotika bakteriosta- tischen vorgezogen werden. Dementspre- chend hat die DGZMK-Empfehlung von 2002 weiterhin Gültigkeit, die als Mittel der ersten Wahl in der Zahnmedizin Ami- nopenicilline (+Betalaktamaseinhibitor) empfiehlt (DGZMK 2002). Das bakteriosta- tische Clindamycin oder die bakteriosta- tischen Makrolide sollten nur bei Vorliegen einer Allergie eingesetzt werden. Echte Penicillinallergien sind mit 3 – 10 Prozent der Patienten noch relativ selten, müssen aber beachtet werden. Im Gegensatz zu vielen wissenschaftlich nicht abgesicherten Veröffentlichungen haben Penicilline eine absolut ausrei- chende Knochengängigkeit, die dem Clin- damycin nicht nachsteht (Al Nawas 2010). Die erhöhte Gefahr einer pseudomembra- nösen Colitis beim Clindamycin schränkt Anwendungsempfehlungen weiter ein. Makrolide sind eine weitere Option, zei- gen aber mittlerweile eine problematische Resistenzentwicklung. Der Trend, dass die Antibiotikaresistenzen deutlich zuneh- men, betrifft auch die in der Zahnmedizin gebräuchlichen Antibiotika. Dies zeigt ein Vergleich zweier Studien von Eckert et al. (2005 u. 2012). Hier zeigten Clindamycin, Doxycyclin und Erythromycin im Vergleich zu 2005 erschreckende Resistenzsteige- rungen, während sich die Penicilline und Aminopenicilline noch als sehr gut wirk- sam gegen alle wichtigen odontogenen Erreger erweisen (Abb. 1). 1 Im Rahmen der Continuum-Kurse der FAZH fand am 23. Oktober 2013 in den Kursräumen der Landeszahnärztekammer eine gut besuchte Veranstaltung unter dem Titel „Perioperative Medika- tion bei dentoalveolären Eingriffen (Antibiotika, Analgetika, Risikopatienten)“ statt. Der Verfasser beschäftigt sich als niedergelassener MKG-Chirurg in Fulda und Lehrbeauftragter der Universität Marburg schon seit Jahren mit verschiedenen Themen aus dem Bereich der zahnärztlichen Pharmakologie.

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Seite 398 DHZ 11–12 | 2013FORTBILDUNG

Aktuelles aus der zahnärztlichen Pharmakologie1

Aufgrund der zunehmenden Komplexität der zahnärztlichen Eingriffe und der ebenfalls fortschreitenden Multimorbidität

der Bevölkerung ist eine kontinuierliche Fortbildung auf pharmakologischem Gebiet unabdingbar. Der niedergelassene

Zahnarzt wird zunehmend mit Patienten konfrontiert, die aufgrund einer allgemeinen Erkrankung und/oder einer be-

stimmten Medikation als risikobehaftet angesehen werden müssen. Diese Risiken muss er erkennen und bei seiner

(medikamentösen) Behandlungsplanung berücksichtigen.

AnalgetikaIn der Zahnmedizin kommen überwiegend nicht-opioide Analgetika zum Einsatz. Hier muss zwischen den sauren Analgetika (NSAR) Acetylsalicylsäure (ASS) und Ibu-profen sowie den nicht-sauren Analgetika Paracetamol und Metamizol unterschieden werden. Während die NSAR immer mehr oder weniger stark ulcerogen wirken und ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko für die Patienten darstellen, ist Paracetamol vor allem wegen seiner Lebertoxizität bei höheren Dosierungen problematisch. Me-tamizol muss aufgrund der seltenen, aber gravierenden Nebenwirkung Agranulozy-tose als Mittel der zweiten Wahl angesehen werden.

ASS löst bereits in Dosierungen von 100 mg/Tag eine irreversible Thrombo-zytenaggregationshemmung aus, die bei ausgedehnteren chirurgischen Eingriffen das Risiko einer Nachblutung erhöht. Nach einer aktuellen Metaanalyse (Dt. Ärzte-blatt 110 (2013), A1447–1448) besteht bei Ibuprofen ein akzeptabler Kompromiss zwischen der Gefahr intestinaler Kompli-kationen und dem relativen Risiko eines Myokardinfarktes. Durch die zusätzliche antiphlogistische Wirkung ist Ibuprofen als Mittel der ersten Wahl im oralchirur-gischen Bereich anzusehen. Asthmapati-enten und Patienten mit erhöhten kardio-vaskulären und intestinalen Risiken soll-ten allerdings vorrangig mit Paracetamol therapiert werden.

Tramadolol als zentral wirksames Opioid ist in Tropfenform eine kurzfristige Op-tion bei sehr starken Schmerzzuständen. Kombinationspräparate sind im Bereich der Selbstmedikation der Patienten sehr beliebt, aber aufgrund der Potenzierung der Nebenwirkungen, der ungleichen Wirk-dauer der Arzneistoffe und des höheren Preises aus pharmakologischer Sicht eher abzulehnen. Während die gemeinsame Gabe von Paracetamol und Codein eine sinnvolle Kombination darstellt, ist das in der Zahnmedizin immer noch (zu) häufi g verordnete Kombipräparat Dolomo® auf-grund des Coffein-Zusatzes und des Wirk-stoffes ASS eher abzulehnen.

Generell sollte bei jedem Patienten vor einer Schmerzmedikation erfragt werden, wie oft frei verkäufl iche Analgetika ein-genommen werden. Immerhin nimmt jeder Deutsche im Schnitt 60 Schmerztablet-ten pro Jahr ein und ca. 1,4 Mio. Deut-sche sind medikamentenabhängig (meist Schmerzmittel)!

AntibiotikaCa. 18 Mio. Patienten benutzten 2009 in Deutschland durchschnittlich 2,5 Packun-gen Antibiotika. 38 Prozent aller Kinder und Jugendlichen und sogar 51 Prozent aller Kleinkinder erhielten in 2009 ein An-tibiotikum. Während in der Humanmedi-zin ca. 250 – 300 t Antibiotika verbraucht werden, sind es in der Veterinärmedizin knapp 800 t! Betrachtet man also die Re-sistenzentwicklungen, so muss auch die Veterinärmedizin in die Verantwortung genommen werden (Al Nawas 2010).

Über das Keimspektrum bei odontogenen Abszessen liegen im deutschsprachigen

Raum nur relativ wenige Publikationen vor. Eine aktuelle Studie ergab, dass im Durchschnitt nur zwei Erreger/Infektion nachzuweisen waren, wobei sich die aero-ben und anaeroben Keime etwa die Waage hielten (Eckert et al. 2013). Generell soll-ten bakterizide Antibiotika bakteriosta-tischen vorgezogen werden. Dementspre-chend hat die DGZMK-Empfehlung von 2002 weiterhin Gültigkeit, die als Mittel der ersten Wahl in der Zahnmedizin Ami-nopenicilline (+Betalaktamaseinhibitor) empfi ehlt (DGZMK 2002). Das bakteriosta-tische Clindamycin oder die bakteriosta-tischen Makrolide sollten nur bei Vorliegen einer Allergie eingesetzt werden. Echte Penicillinallergien sind mit 3 – 10 Prozent der Patienten noch relativ selten, müssen aber beachtet werden.

Im Gegensatz zu vielen wissenschaftlich nicht abgesicherten Veröffentlichungen haben Penicilline eine absolut ausrei-chende Knochengängigkeit, die dem Clin-damycin nicht nachsteht (Al Nawas 2010). Die erhöhte Gefahr einer pseudomembra-nösen Colitis beim Clindamycin schränkt Anwendungsempfehlungen weiter ein. Makrolide sind eine weitere Option, zei-gen aber mittlerweile eine problematische Resistenzentwicklung. Der Trend, dass die Antibiotikaresistenzen deutlich zuneh-men, betrifft auch die in der Zahnmedizin gebräuchlichen Antibiotika. Dies zeigt ein Vergleich zweier Studien von Eckert et al. (2005 u. 2012). Hier zeigten Clindamycin, Doxycyclin und Erythromycin im Vergleich zu 2005 erschreckende Resistenzsteige-rungen, während sich die Penicilline und Aminopenicilline noch als sehr gut wirk-sam gegen alle wichtigen odontogenen Erreger erweisen (Abb. 1).

1 Im Rahmen der Continuum-Kurse der FAZH fand am 23. Oktober 2013 in den Kursräumen der Landeszahnärztekammer eine gut besuchte Veranstaltung unter dem Titel „Perioperative Medika-tion bei dentoalveolären Eingriffen (Antibiotika, Analgetika, Risikopatienten)“ statt. Der Verfasser beschäftigt sich als niedergelassener MKG-Chirurg in Fulda und Lehrbe auftragter der Universität Marburg schon seit Jahren mit verschiedenen Themen aus dem Bereich der zahnärztlichen Pharmakologie.

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Abb. 1: Resistenzraten gängiger oraler Antibiotika bei odontogenen Infektionen

(nach Eckert et al. 2005 u. 2012)

Die bekanntesten Wege der Resistenzbil-dung bei Bakterien sind der Austausch von Resistenzgenen und die Adaptation der Bakterien an das Antibiotikum mit Ent-wicklung von Abwehrmechanismen (z. B. Produktion eines Betalaktamase-Enzyms).

Da sich besonders viele, auch multiresis-tente Bakterien im Bereich des Nasenein-gangs nachweisen lassen, ist es bei größe-ren operativen Eingriffen (Knochenaug-mentationen) neben der einmaligen prä-operativen Antibiotikaprophylaxe mit 2 g Amoxicillin sinnvoll, die Naseneingänge mit einem Schleimhautdesinfektionsmit-tel zu desinfi zieren. Auch die zusätzli-che präoperative Schleimhautdesinfektion mit Chlorhexamed 0,2%ig ist effektiv und kostengünstig.

In Deutschland verordnen Zahnärzte durchschnittlich zwei Mal Antibiotika pro Woche. Erstaunlicherweise ergibt die Ana-lyse der Verschreibungshäufi gkeiten, dass Clindamycin mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent die zahnärztlichen Antibio-tikaverordnungen absolut dominiert (Hal-ling 2010 u. 2012). Das widerspricht den Empfehlungen der DGZMK (DGZMK 2002), wobei der Anteil der dort empfohlenen

Aminopenicilline bei den zahnärztlichen Verordnungen nur bei knapp 25 Prozent liegt (Halling 2012). In vergleichbaren Untersuchungen in den USA, England und Norwegen sowie generell im humanme-dizinischen Bereich spielt Clindamycin praktisch keine Rolle. Die hohen Verord-nungszahlen sind sehr auffällig und ggf. auf gezielte Werbestrategien der Industrie zurückzuführen.

Medikation bei RisikopatientenDie zahnärztliche Behandlung beginnt mit der Beurteilung des allgemeinen Gesund-heitszustandes. Hierbei ist schon oft zu erkennen, ob es sich um einen Risikopati-enten handelt. Bei diesen Patienten ist das Komplikationsrisiko unter der Behandlung gegenüber der gesunden Normalbevölke-rung erhöht. Neben den besonderen Pa-tientengruppen Kinder und Jugendliche sowie schwangere und stillende Frauen fi nden wir Risikopatienten besonders häu-fi g bei älteren Patienten mit chronischen Krankheiten.

In Deutschland berichten 42 Prozent der Frauen und 35 Prozent der Männer, dass sie an einer chronischen Krankheit leiden. Die Häufi gkeit chronischer Erkrankungen nimmt mit dem Alter zu. 53 Prozent der über 65-jährigen Männer und knapp 60 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe geben an, an mindestens einer chroni-schen Krankheit erkrankt zu sein (GEDA 2010) (Abb. 2). Zwei Drittel aller über 80-Jährigen leiden an mindestens zwei, fast ein Viertel der Patienten dieser Alters-gruppe an mindestens fünf chronischen Krankheiten. Im Durchschnitt nimmt ein über 65-Jähriger in Deutschland pro Tag sieben Wirkstoffe ein. Etwa ein Drittel aller über 65-Jährigen ist multimedika-

Abb. 2: Prozentuale Häufi gkeitsverteilung chronischer Krankheiten in Deutschland 2010 in

verschiedenen Altersgruppen (nach GEDA 2010)

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mentiert (BARMER GEK Arzneimit-telreport 2013). Immerhin muss bei sieben Wirkstoffen mit 21 möglichen Wechselwirkungen gerechnet werden. Werden vom Zahnarzt noch zwei bis drei Wirkstoffe zusätzlich verordnet, steigt die Anzahl der möglichen Wech-selwirkungen bereits auf 45.

Bei Kindern sollte die variable Re-sorption nach rektaler Gabe sowie die geringe postoperative analgetische Potenz beachtet werden. Paracetamol weist aufgrund der noch reduzierten Leberfunktion eine geringe therapeu-tische Breite auf! Ibuprofen als Saft hat eine starke analgetische Wirk-samkeit und eine hohe therapeuti-sche Breite. Bei erhöhtem Blutungsri-siko sind Paracetamol oder Metamizol Schmerztherapeutika der ersten Wahl.

Notwendige Behandlungen sollten bei Schwangeren im mittleren Schwanger-schaftsdrittel durchgeführt werden. Die Medikation ist auf ein notwendiges Maß zu beschränken. Für den Einsatz von Paracetamol zur Analgesie, Amoxicillin zur Antibiose und von Articain (in Kom-bination mit Adrenalin) zur Lokalanästhe-sie bestehen keine Kontraindikationen. Bei Stillenden ist zu beachten, dass nur 1 – 2 Prozent der mütterlichen Medikamen-tendosis in die Muttermilch übergehen!

Die Osteoporose, an der in Deutschland etwa 8 – 10 Mio. Menschen leiden, hat durch die zunehmende Medikation mit Bisphosphonaten für die Zahnmedizin eine besondere Bedeutung. Die bisphos-phonatinduzierte Osteonekrose des Kiefers (BP-ONJ) tritt bei intravenöser, hochdo-sierter Gabe nach unterschiedlichen Stu-dien bei 1 – 19 Prozent der Behandlungs-fälle auf (S3-Leitlinie BP-ONJ April 2012). Eine pronlongierte Antibiose über zehn Tage und eine Deckung der Alveolen bei Zahnextraktionen werden zur Prophylaxe der BP-ONJ empfohlen (S3-Leitlinie 2012).

Die Prävalenz der Niereninsuffi zienz liegt in Deutschland bei 11 – 13 Prozent (Hart-

mann et al. 2010). Für den chirurgisch tätigen Zahnarzt sind Strukturverände-rungen des Kieferknochens (renale Osteo-pathie) zu beachten, die z. B. eine Kon-traindikation für Implantate darstellen. Patienten unter einer immunsuppressiven Therapie nach Nierentransplantation (z. B. Ciclosporin A)zeigen häufi ger Gingivawu-cherungen. „Hauptfeinde“ der Niere sind die NSAR oder Mischanalgetika, deshalb hat Paracetamol die erste Priorität. Bei Penicillinen sollten die Dosierungsinter-valle verlängert werden, die Startdosis ist jedoch beizubehalten. Clindamycin benö-tigt keine Dosisanpassung.

Erkrankungen der Leber, dem zentralen „Entgiftungsorgan“ des Körpers, haben vielfältige Auswirkungen. Bei Abnahme der Leberperfusion durch Alterungspro-zesse, Stoffwechselerkrankungen und Al-koholmissbrauch wird die hepatische Eli-mination vieler Medikamente beeinfl usst. Es besteht das Risiko einer Verzögerung der Ausscheidung und/oder einer Verlän-gerung der pharmakologischen Wirkung. In der Leber metabolisierte Analgetika, wie Paracetamol und ASS, sollten ver-mieden werden. Während bei Clindamy-cin eine Dosisanpassung nötig ist, muss bei Penicillinen die Dosis erst bei aus-

geprägter Leberschädigung reduziert werden.

Die Dosis von Articain als häufi gstem LA in der Zahnmedizin muss weder bei Nieren- noch bei Leberschädigungen reduziert werden, da dieser Wirkstoff zu fast 90 Prozent durch unspezifi sche Esterasen im Gewebe und Blut abge-baut wird (Rahn 2004).

Etwa 4,6 Mio. erwachsene Deutsche haben einen ärztlich diagnostizierten Diabetes mellitus (Rathamann et al. 2013). Neben einer höheren Infekti-onsrate nach chirurgischen Eingriffen muss die erhöhte Nachblutungsgefahr bei längerbestehendem Diabetes be-achtet werden. Auf einen Adrenalin-zusatz bei der LA sollte aufgrund der möglichen kurzfristigen Blutzucker-

erhöhung möglichst verzichtet werden. Ein „stabiler“ Diabetiker kann heute durch einen HbA1c von 6,5 – 7 Prozent er-kannt werden. HbA1c ist Hämoglobin, das an Glukose gebunden ist. Es repräsentiert die Stoffwechsellage des Patienten in den letzten vier bis acht Wochen. Gerade für die Planung von Implantaten sollte dieser Wert stets abgefragt werden. Von ver-schiedenen Autoren wird eine Antibioti-kaprophylaxe in Form einer präoperativen Einmalgabe bei Diabetikern empfohlen.

Patienten mit Herzfehlern und Herzklap-penersatz rufen für den Zahnarzt beson-dere Probleme hervor. Zum einen sind sie einem hohen Endokarditisrisiko aus-gesetzt, zum anderen sind sie zumeist dauerantikoaguliert. Die Endokarditis-prophylaxe wird seit 2007 nur noch auf Patienten mit einem • prothetischen Klappenersatz;• einem Zustand nach bakterieller Endo-

karditis; • angeborenen Herzfehler (CHD);• einem Zustand nach Herztransplanta-

tion mit anschließender Valvulopathiein Form einer Einmalgabe von 2 g (<70 kg Gewicht) bzw. 3 g (>70 kg Gewicht) Am-oxicillin oral angewendet. Bei einer Peni-cillinallergie sind 600 mg Clindamycin die

Dr. Dr. Frank Halling

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Alternative. Wichtig ist die Gabe 30 – 60 min vor der Behandlung (DGZMK 2008). Da Bakteriämien nicht länger als 15 min an-dauern, gewährt die Einmalgabe mit einem ausreichenden Wirkspiegel von durch-schnittlich vier Stunden sicheren Schutz.

Durch die Einführung der neuen direk-ten Antikoagulantien (DOAC) Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban haben sich in den vergangenen Jahren auch für Zahn-ärzte einige Veränderungen ergeben. Da diese neuen Wirkstoffe relativ teuer sind, erfolgt die Antikoagulation in Deutsch-land zurzeit noch überwiegend mit Cu-marinderivaten. DOAC wirken über die di-rekte Hemmung eines Gerinnungsfaktors (z. B. Thrombin beim Dabigatran®) anstelle einer indirekten Hemmung über die Vita-min-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren bei den Cumarinderivaten. Die Substanz wird in fester Tagesdosis täglich gegeben, ein Gerinnungs-Monitoring ist nicht notwen-dig. Allerdings ist auch kein Gegenmittel bei einer Überdosierung verfügbar! Das perioperative Prozedere vereinfacht sich beim Absetzen dieser Präparate. Anstelle des umständlichen „Bridging“ mit Heparin bei Cumarinderivaten ist die Gerinnungs-hemmung bei den DOAC aufgrund der kur-zen Halbwertszeit relativ schnell aufgeho-

Tab. 1: Präoperative und postoperative Karenz bei den DOAC (mod. nach Baron 2013)

Abb. 3: Anzahl der Arzneimittel mit zugehörigen unerwünschten oralen Arzneimittelwirkungen

ben. Die höchsten Spiegel im Blut (Peak) werden bei den drei Substanzen nach etwa zwei bis vier Stunden erreicht. Ihre Eli-mination erfolgt in unter schiedlichem Ausmaß renal, dies führt zu substanzspe-zifi sch unterschiedlichen Empfehlungen bezüglich der Anwendung bei Niereninsuf-fi zienz (Steiner 2012) (Tab. 1).

Jede operative Intervention bei Patienten unter Antikoagulation sollte mit sorgfäl-

tigster Blutstillung erfolgen. In der Praxis des Referenten hat sich dabei besonders die bipolare Koagulation mit der Kauter-pinzette bewährt. Die ambulante Behand-lung von Patienten unter Marcumar (bzw. DOAC) sollte jedoch nur bei Patienten durchgeführt werden, die aufgrund ihres ausreichenden Allgemeinzustandes in der Lage sind, im Falle einer Nachblutung die Praxis oder Klinik aufzusuchen. Auch sollte die Erreichbarkeit des verantwort-lichen Zahnarztes für Notfälle gegeben sein (Scheer et al. 2006).

In einer jüngst publizierten Studie zum Nebenwirkungsprofi l der meistverordne-ten Medikamente in Deutschland ergab sich, dass fast die Hälfte der 50 unter-suchten Arzneimittel unerwünschte orale Nebenwirkungen zeigte (Halling 2013).

Am häufi gsten werden Geschmacksstö-rungen und Mundtrockenheit als un-erwünschte Wirkungen in den Fachin-formationen genannt. Gerade diese Ne-benwirkungen belasten ältere Patienten besonders stark. In ausgeprägten Fällen sollte die Medikation in Absprache mit dem behandelnden Hausarzt überprüft und evtl. umgestellt werden.

-Dr. med. Dr. med. dent. Frank Halling-