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Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich OA PD Dr. Dr. Haßfeld Gliederung: Indikation zur Antibiotikagabe 1. Einteilung der Antibiotika 2. Wirkspektrum und Wirkintensität 3. Erregerspektrum 4. Wirksamkeit von Antibiotika 5.1. Penicilline 5.2. Cephalosporine 5.3. Lincosamidantibiotika 5.4. Imidazole 5.5. Gyrasehemmer (=Chinolonantibiotika) 5.6. Makrolide 5.7. Tetrazykline 5. Antibiotische Therapie in der Praxis 6.1. Abszess und Infiltrat 6.2. Eitrige Sialadenitis 6.3. Dentogene Sinusitis maxillaris 6.4. Eröffnung der Kieferhöhle 6.5. Implantation von alloplastischen Materialien 6.6. Verletzungen von Zähnen, Weichgeweben und/oder Knochen 6.7. Perioperative Antibiotikaprophylaxe 6.8. Endokarditisprophylaxe 6.9. Weitere Indikationen zur generellen Antibiotikaprophylaxe 6. Antibiotika gehören zu den am meisten verordneten Medikamenten in der zahnärztlichen Praxis. Unter Antibiotika versteht man solche Arzneimittel, die das Wachstum von Mikroorganismen, wie Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten hemmen oder diese abtöten. Verabreicht man Antibiotika, sollte streng zwischen einer prophylaktischen und einer therapeutischen Gabe unterschieden werden. Eine prophylaktische Applikation Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich 1

Antibiotika im Zahnärztlichen Bereich

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Antibiotikatherapie im zahnärztlichen BereichOA PD Dr. Dr. Haßfeld

Gliederung:

Indikation zur Antibiotikagabe1. Einteilung der Antibiotika2. Wirkspektrum und Wirkintensität3. Erregerspektrum4. Wirksamkeit von Antibiotika

5.1. Penicilline5.2. Cephalosporine5.3. Lincosamidantibiotika5.4. Imidazole5.5. Gyrasehemmer (=Chinolonantibiotika)5.6. Makrolide5.7. Tetrazykline

5.

Antibiotische Therapie in der Praxis

6.1. Abszess und Infiltrat6.2. Eitrige Sialadenitis6.3. Dentogene Sinusitis maxillaris6.4. Eröffnung der Kieferhöhle6.5. Implantation von alloplastischen Materialien6.6. Verletzungen von Zähnen, Weichgeweben und/oder Knochen6.7. Perioperative Antibiotikaprophylaxe6.8. Endokarditisprophylaxe6.9. Weitere Indikationen zur generellen Antibiotikaprophylaxe

6.

Antibiotika gehören zu den am meisten verordneten Medikamenten in der zahnärztlichen Praxis. UnterAntibiotika versteht man solche Arzneimittel, die das Wachstum von Mikroorganismen, wie Viren, Bakterien,Pilze, Parasiten hemmen oder diese abtöten. Verabreicht man Antibiotika, sollte streng zwischen einerprophylaktischen und einer therapeutischen Gabe unterschieden werden. Eine prophylaktische Applikation

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kommt insbesondere bei der perioperativen Prophylaxe in Frage. Hier gilt es, in Geweben, die während derOperation möglicherweise kontaminiert werden, einen Antibiotikaspiegel aufzubauen. Dieser soll verhindern,dass sich Mikroorganismen anheften, oder vermehren und kontaminierende Erreger sofort abtöten. VieleStudien belegen, dass eine solche Prophylaxe kurzzeitig, also im Sinne einer einmaligen oder zweimaligenGabe des Antibiotikums, erfolgen kann (klinisches Beispiel Endokarditisprophylaxe).

Sind dagegen eine Infektion im Sinne einer Anheftung, Invasion, oder Vermehrung des Erregers sowie dieimmunologische Reaktion des Wirtes bereits eingetreten, müssen Antibiotika therapeutisch eingesetzt werden.So ist z.B. bei einem Logenabszess neben der chirurgischen Sanierung die antibiotische Therapie sinnvoll. Inaller Regel stehen zur initialen Therapie keine mikrobiologischen Befunde zur Verfügung, die den gezieltenEinsatz eines Antibiotikums nach Antibiogramm ermöglichen. Daher muss initial in diesen Fällen meistenseine kalkulierte Therapie erfolgen. Sie ist entsprechend der Infektlokalisation, der Schwere des Infekts, derBesonderheit des Patienten sowie der möglichen unerwünschten Wirkungen und Kosten auszuwählen und hatsich gegen die wahrscheinlich zu erwartenden Keime zu richten. Bei Infektionen im Bereich des Kopfes unddes Halses muss demzufolge unter anderem auch an anaerobe Keime als mögliche Infektionsursache gedachtund dies bei der kalkulierten Therapie berücksichtigt werden.

1. Indikation zur Antibiotikagabe

Antibiotika sind indiziert bei Infektionen, bei denen eine bakterielle Genese gesichert oder zumindestwahrscheinlich ist, wenn eine lokale Sanierung des Infektionsortes nicht möglich oder nicht ausreichend ist(z.B. durch Trepanation des schuldigen Zahnes oder Abszessinzision). Insbesondere ist die Verordnung einesAntibiotikums dann erforderlich, wenn bei dentogenen Infektionen eine Ausbreitung oder Generalisierungdroht. Zeichen einer Ausbreitung sind z.B. Allgemeinsymptome (Fieber, Weichteilschwellungen, Lidödemoder eine Kieferklemme).

Therapeutische Indikationen sind insbesondere das dentogene Weichteilinfiltrat, die fortgeschrittene Dentitiodifficilis (vor allem mit Kieferklemme), die dentogene Sinusitis, die Sialadenitis und die akute nekrotisierendeGingivostomatitis.

Keine Indikation für Antibiotika sind Virusinfektionen, Schmerzen oder Schwellungen unklarer Genesen wiez.B. auch Tumore, sowie submuköse einfache parodontale und chronische Abszesse.

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Sinnvoll für eine Antibiotikatherapie sind Erregernachweis und Resistenzbestimmung vor der Erstgabe.Ausgenommen sind hiervon akute Infektionen, die einen sofortigen Therapiebeginn erfordern, sowie eintypisches erregerspezifisches Krankheitsbild mit weitgehend konstantem Resistenzverhalten des vermutetenErregers. Dies trifft für dentogene Infektionen in der Regel zu, so dass eine Erreger- undResistenzbestimmung meist nicht erforderlich ist. Die Verordnung eines Antibiotikums erfolgt entsprechendden vermuteten Erregern unter Beachtung der Kontraindikationen und Anwendungsbeschränkungen. Auf eineausreichende Dosierung und Therapiedauer ist zu achten (Therapiedauer mindestens 5 Tage und zugleichetwa 2 Tage über die akute Symptomatik hinaus; bei Streptokokkeninfektionen wegen der postinfektiösenKomplikationen, z.B. an Herz oder Niere, mindestens 10 Tage).

2. Einteilung der Antibiotika

Für die Antibiotikatherapie steht eine Vielzahl von Substanzen zur Verfügung. Die Rote Liste 1998verzeichnet über 600 Antibiotikafertigarzneimittel. Diese Flut ist mittlerweile auch vom Fachmann nurschwer zu überschauen. Es ist daher hilfreich, die Antibiotika in Klassen einzuteilen, die nicht nur über diechemische Grundstruktur einer Substanz, sondern auch über ihre weiteren Eigenschaften (z.B. dieVerträglichkeit und die Kosten) Auskunft geben. Allerdings gibt es auch innerhalb der einzelnenAntibiotikaklassen zum Teil erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Wirkspektrums und der Wirkintensitätder einzelnen Substanzen.

3. Wirkspektrum und Wirkintensität

Das Wirkspektrum eines Antibiotikums umfasst alle diejenigen Mikroorganismen, die aufgrund desWirkmechanismus prinzipiell von der Substanz erreicht werden können. Es werden Antibiotika mit breitemSpektrum, mit Wirkung z.B. auf gramnegative und grampositive Bakterien, auf Kokken, auf Stäbchen, sowieauf anaerobe und aerobe Mikroorganismen von Antibiotika mit schmalem Wirkspektrum wie z.B. mitWirkung nur auf grampositive Mikroorganismen abgegrenzt. Je nach Wirkungsmechanismus werdenbakterizide und bakteriostatische Antibiotika unterschieden. Die antibakterielle Aktivität wird in vitro durchdie Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK) und der minimalen bakteriziden Konzentration(MBK) bestimmt. Die MHK ist diejenige Konzentration des Antibiotikums, die benötigt wird, um dasWachstum eines Stammes zu hemmen. Die MBK ist diejenige Konzentration des Antibiotikums, die

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erforderlich ist um 99,9 % der Keime einer Erregerpopulation abzutöten.

Jedes Antibiotikum hat ein charakteristisches Wirkungsspektrum. Keimarten, die außerhalb dieses Spektrumsliegen, sind resistent. Der Begriff Resistenz wird jedoch insoweit relativiert, als Keimarten auch dann alsresistent bezeichnet werden, wenn sie nur mit in vivo nicht erreichbaren Antibiotikakonzentrationen abgetötetwerden könnten (Unterschied zwischen mikrobiologischer und klinischer Wirksamkeit).

Antibiotika werden nach oraler Gabe in unterschiedlichem Ausmaß resorbiert, teilweise in Abhängigkeit vonder Nahrungsaufnahme. Die Eliminierung erfolgt entweder durch renale Ausscheidung oder durchMetabolisierung in der Leber.

Das Dosierungsintervall wird durch die Eliminationshalbwertszeit bestimmt und beträgt bei den meistenAntibiotika 8 oder 12 Stunden, entsprechend 2 bis 3 Einzeldosen pro Tag. Antibiotika können allergische,toxische und biologische Nebenwirkungen haben. Allergien auf Antibiotika (insbesondere Penicillin) sindnicht selten (bis zu 10%). Das Risiko einer Allergisierung ist bei der lokalen Applikation am Größten, bei deroralen Gabe am Geringsten. Allergische Reaktionen zeigen sich in der Regel in der Form von kutanenReaktionen (Erytheme, Exantheme, Ödeme). Differenzialdiagnostisch sind hiervon Effloreszenzen durch dieInfektion selbst abzugrenzen. Anaphylaktische Reaktionen sind insgesamt selten und treten bei oralerAnwendung praktisch nicht auf. Toxische Nebenwirkungen können bei absoluter Überdosierung auftretenoder durch eine Kumulation bei gestörter Metabolisierung oder Ausscheidung. Aufgrund der großentherapeutischen Breite ist das Risiko einer Intoxikation bei den meisten Antibiotika sehr gering.

Unter biologischen Nebenwirkungen versteht man die Beeinträchtigung bzw. Verschiebung derphysiologischen Keimflora (Mundhöhle, Darm), dabei kann es zu Superinfektionen, einer Candidamykoseoder einer pseudomembranösen Kolitis kommen. Diese biologischen Nebenwirkungen treten insbesondere beiLangzeitbehandlungen mit Breitspektrum-Antibiotika auf.

4. Erregerspektrum

In der Mundhöhle findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Mikroorganismen, die zur lokalen Infektion imBereich der Mundhöhle, aber auch zu Infektionen anderer Organe im Sinne einer Focuserkrankung (z.B.Endokarditis) führen können. Bei dentogenen Infektionen finden sich überwiegend aerobe und anaerobe

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Keimgemische, die zum Teil aus mehr als 10 verschiedenen Erregerarten zusammengesetzt sind. Dabeierreichen die Anaerobier eine bis zu 105 größere Keimzahl als die Aerobier. Sie übertreffen diese auchhinsichtlich der Artenvielfalt beträchtlich. Nicht zur physiologischen Standortflora des Mundes gehörendeKeime, wie Escharichia coli , Proteus mirabilis, Streptokokkus faecalis oder Clostridium spezies, machen nureinen sehr geringen Anteil aller nachgewiesenen Bakterienstämme aus. Dies legt den Schluss nahe, dassInfektionen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich mehrheitlich durch physiologisch vorhandene, fakultativpathogene Keime des Oropharynx verursacht werden und nicht hämatogen oder exogen bedingt sind.

Da anaerobe Keime im mikrobiologischen Nährmedium oft schwer anzuzüchten sind, ist ihr Nachweis nichtimmer möglich, so dass der Verdacht oft nur klinisch erfolgt und der mikrobiologische Nachweis nichtgeführt werden kann.

Klinische Hinweise dafür können sein:

1. Lokalisation der Entzündungsherde in der Nähe keimreicher anatomischer Strukturen(Oropharynx).

2. Fauliger, fötider Geruch bei nekrotisierenden Abszessen und Entzündungen.• 3. Gasbildender Nachweis im Gewebe im Sinne eines Emphysems.• 4. Die morphologische Vielfalt in dem gefärbten Grampräparat.• 5. Der fehlende Behandlungserfolg nach Gabe von Antibiotikum, das gegen Anaerobier unwirksamist.

Typische Erscheinungsformen der Anaerobierinfektionen im Bereich der Mundhöhle sind dentogeneAbszesse oder Phlegmonen, bei peritonsillären Abszessen, z.B. der Angina Plaut Vinzenti oder derchronischen Sinusitis (Fremdkörpergranulom).

5. Wirksamkeit von Antibiotika

Im Folgenden werden für die zahnärztliche Praxis relevante Gesichtspunkte oral applizierbarer Antibiotikabesprochen.

5.1. Penicilline

Penicilline werden mehrheitlich als Antibiotika der ersten Wahl beim Einsatz imMund-Kiefer-Gesichtsbereich und in der zahnärztlichen Praxis angesehen. Es werden Penicilline mit

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schmalem Wirkungsspektrum und Penicilline mit breitem Wirkungsspektrum unterschieden. Penicillin V undPropicillin besitzen ein schmales Wirkungsspektrum, das sich vor allem auf grampositive Erreger erstreckt,wobei auch zahlreiche Anaerobier erfasst werden (im Gegensatz zu vielen anderen Antibiotika).Oralpenicilline sind gut verträglich (auch in der Schwangerschaft und bei Kindern). DieSchmalspektrumpenicilline wirken bei über 90 % der Keime einer anaeroben Mischinfektion im Mundbakterizid. Penicilline mit breitem Wirkungsspektrum (Aminopenicilline) sollten in der zahnärztlichen Praxisnur bei solchen Infektionen eingesetzt werden, bei denen Keimarten beteiligt sind, die gegenSchmalspektrumpenicilline resistent sind (gramnegative Keimarten). Staphylokokken sind gegenüber dengenannten Penicillinen meist resistent.

Der gravierende Nachteil von Penicillin V liegt in seiner fehlenden Wirksamkeit gegen Betalactamasebildner.Diese sind im aeroben Spektrum vorwiegend bei den Staphylokokken und im anaeroben Bereich bei einzelnenBakteroidesspezies zu finden. Weitere Wirkungslücken bestehen bei Enterokoken und bei Pseudomonasaeruginosa. Das oral wirksame Antibiotikum Amoxicillin weist im Vergleich zu Penicillin V ein erweitertesSpektrum auf, das auch gramnegative Enterobakterien, Listerien und Hämophilus influenza zum Teil miteinschließt. Durch Kombination mit einem Betalaktamasehemmer z.B. Amoxicillin mit Clavulansäure in demWirkpräparat Augmentan oder Ampicillin mit Sulbactam im Unacit wird das Wirkspektrum auf diebetalaktamase-bildenden Keime ausgedehnt.

Eigenschaften von Oral-Penicillinen (Penicillin V/Propicillin)

Wirkungstyp bakterizid

Spektrum (schmal) vor allem im grampositiven Bereich (ausgenommenpenicillinasebildende Staphylokokken)

Resistenz langsame Entwicklung

Kinetik Resorptionszeit ca. 45 min., Beeinträchtigung derResorption nach Nahrungsaufnahme

Kontraindikationen Überempfindlichkeit (alle Oral-Penicilline)Paragruppenallergie (nur Baycillin* Saft)

Anwendungsbeschränkungen strenge Indikationsstellung während der Laktation

Nebenwirkungen Überempfindlichkeitsreaktionen gastrointestinaleStörungen (Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle)

Wechselwirkung Verminderung der Sicherheit von Kontrazeptiva

Indikation 1. Wahl bei dentogenen Infektionen

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DosierungPenicillin V (Isocillin*): 3-4 x 1,2 Mega/TagPropicillin (Baycillin*): 3-4x1 Mega/Tag(1 Mega=0,6g)

Stand Rote Liste 98

Eigenschaften vonAminopenicillinen (Amoxycillin)

Wirkungstyp Bakterizid

Spektrum (breit)

wie Penicillin V, zusätzlich im gramnegativen Bereich. Wirkung imgrampositiven Bereich deutlich schwächer als Penicillin V

Kombination aus Amoxycillin und Clavulansäure auch wirksamgegenüber penicillinasebildenden Staphylokokken undEnterobacteriaceae

Kinetik Resorption von Amoxycillin nahezu vollständigResorptionszeit ca. 2 Stunden

Kontraindikationen Überempfindlichkeit

Anwendungsbeschränkungen

strenge Indikationsstellung während der Laktation (alleAminopenicilline)

strenge Indikationsstellung während der Gravidität (nur Augmentan*)

Nebenwirkungen

Überempfindlichkeitsreaktionen, gastrointestinale Störungen, (Übelkeit,Erbrechen, Durchfälle)

Exantheme, sehr selten schwarze Haarzunge

Wechselwirkung Verminderung der Sicherheit von Kontrazeptiva

Indikation

Mischinfektion, wenn Penicillin V unwirksam,

Kombination aus Amoxycillin und Clavulansäure nur bei Infektionendurch penicillinasebildende Staphylokokken

Dosierung

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Amoxycillin (Amoxypen*, Clamoxyl*): 3x0,4-1g/Tag

Amoxycillin + Clavulansäure (Augmentan*):

3x625mg/Tag

5.2. Cephalosporine

Die Cephalosporine haben prinzipiell ein ähnliches Wirkspektrum und einen ähnlichen Wirkmechanismus wiedie Penicilline. Sie zeichnen sich durch ein breites Wirkungsspektrum mit Lücken im Bereich derEnterokokken, mancher Anaerobier und bei Pseudomonas aeruginosa aus. Die nur parenteral verfügbarenCephalosporine der sogenannten ersten Generation wirken vor allem auf grampositive Kokken und nurschwach gegen gramnegative Keime. Die nur parenteral applizierbaren Cephalosporine der zweitenGeneration haben eine bessere Wirkung gegen gramnegative Keime. Bei den parenteralen Cephalosporinender dritten Generation ist das Wirkungsspektrum im gramnegativen Bereich noch breiter, die Wirkung aufgrampositive Kokken jedoch geringer. Die Cephalosporine der vierten Generation wirken auch gegenüberPseudomonas.

Anmerkung: Die Zuordnung einzelner Cephalosporine zu den verschiedenen Klassen wird nicht immereinheitlich in der Literatur gehandhabt. Eine Einteilung nach pharmakologischen Kriterien ist sinnvoll.Cephalosporine können wie auch die Penicilline durch betalaktamasebildende Bakterien inaktiviert werden.Hieraus resultieren auch primäre und sekundäre Resistenzentwicklungen.

Bei den Cephalosporinen gibt es eine Reihe von oral verfügbaren Präparaten

Eigenschaften von oralenCephalosporinen (Cephalexin, Cefaclor, Cefuroximaxetil)

Wirkungstyp bakterizid

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Spektrum wie Penicillin V, z. T. zusätzlich Staphylokokken und gramnegativeStäbchen.

Kinetik Resorption bei Cephalexin und Cefaclor fast 100%, beiCefuroximaxetil unvollständig

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit (alle Cephalosporine),

Paragruppenallergie (nur Panoral*-Saft und Zinnat* - Trockensaft),Kreuzallergie zu Penicillin

Anwendungsbeschränkungen strenge Indikationsstellung während der Gravidität und Laktation

Nebenwirkungen

gastrointestinale Störungen (dosisabhängig)

Überempfindlichkeitsreaktionen (selten)

Alkoholunverträglichkeit

Indikation dentogene Infektionen

Dosierung

Cephalexin (Ceporexin*):3x0,5 p.o.

Cefaclor (Panoral*): 3x0,5g

Cefuroximaxetil (Zinnat*): 2x0,5g

5.3. Lincosamidantibiotika

Clindamycin kann als Lincosamidantibiotikum sowohl intravenös, als auch oral angewendet werden. Esumfasst vom Keimspektrum fast alle bei dentogenen Infektionen bedeutenden Aerobier und Anaerobier. DieGewebegängigkeit ist sehr gut, insbesondere im Knochen werden hohe Konzentrationen erreicht. DasWirkungsprofil ist je nach Konzentration bakteriostatisch bis bakterizid. Als sehr seltene Nebenwirkung kannes bei längerfristiger Clindamycinanwendung zu einer Überwucherung mit Clostridium difficile im Darm mitder Folge einer pseudomembranösen Enterokolitis kommen.

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Eigenschaften von Lincosamiden (Clindamycin)

Wirkungstyp bakteriostatisch, z. T. auch bakterizid (dosisabhängig)

Spektrum wie Penicillin V (auch Betalactamasebildner)

Kinetik

Resorption 75% (unabhängig von Nahrungsaufnahme),

Resorptionszeit 45-60 min,

nach Nahrungsaufnahme bis zu 2 h

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit

M. Crohn, Colitis ulcerosa

Gravidität, Laktation (alle Lincosamide)

Paragruppenallergie (nur Sobelin*-Granulat)

Nebenwirkungen

gastrointestinale Störungen

(Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle)

Überempfindlichkeitsreaktionen (selten)

pseudomembranöse Colitis (C. difficile)

Indikation dentogene Infektionen

Dosierung 3x300 mg p.o.

5.4. Imidazole

Metronidazol wirkt bakterizid gegen Anaerobier. Die Substanz kann sowohl intravenös als auch oralangewendet werden. Sie schließt eine Wirkungslücke des Penicillins und wird daher in Einzelfällen mit

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Penicillin kombiniert. Vor allem im Einsatz bei Parodontopathien.

Eigenschaften von Metronidazol

Wirkungstyp bakterizid

Spektrum v.a. anaerobe Keimarten; Amöben

Kinetik Resorptionszeit 2h

KontraindikationenÜberempfindlichkeit / schwere Leberschäden

Störungen der Hämatopoese/ Erkrankungen des zentralen oder

peripheren Nervensystems, GranulozytopenieGravidität (1. Trimenon), Laktation

Nebenwirkungen gastrointestinale Störungen / Störungen des zentralen und peripheren Nervensystems /Überempfindlichkeitsreaktionen (selten)mögliche teratogene Wirkung

Wechselwirkungen Wirkungsverstärkung oraler Antikoagulanzien

Indikation entzündliche Parodontopathien(strenge Indikationsstellung wegen möglicherweiseschwerwiegender Nebenwirkungen)

Dosierung Metronidazol (Clont*): 2x400mg/Tag

5.5. Gyrasehemmer (=Chinolonantibiotika)

Ciprofloxacin wirkt auf fast alle grampositiven und gramnegativen Bakterien, wobei eine Wirkung imgramnegativen Bereich meistens stärker ausgeprägt ist. Eine sekundäre Resistenzbildung tritt beiStaphylokokken, Streptokokken, Pseudomonas und Klebsiellen auf. Die Substanz ist sowohl oral als auchparenteral verfügbar.

Eigenschaften von Ciprobay

Wirkungstyp bakterizid

Spektrum grampositive + gramnegativeKeime

Kinetik Resorption gut

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Kontraindikationen zerebrale Anfallsleiden, Kinder,Gravidität

Nebenwirkungen Photosensibilisierung, Allergie

Indikation Reservemedikament; nachAbstrich

Dosierung Ciprofloxacin (Ciprabay)2-3x500mg/Tag

5.6. Makrolide

Zu den Makrolidantibiotika zählen Erythromycin, Roxythromycin, Clarithromycin. Diese Substanzen sindbakteriostatisch wirksame Antibiotika mit einem Keimspektrum ähnlich der Penicilline. Ihr Einsatz erfolgt beieiner Penicillinallergie.

Eigenschaften von Makroliden (Erythromycin/Roxithromycin/Clarithromycin)

Wirkungstyp bakteriostatisch

Spektrum wie Penicillin V (z. T. auch Staphylokokken)

Kinetik Resorption bei Erythromycin sehr unterschiedlich, bei denübrigen Makroliden fast vollständig

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit´

schwere Leberfunktionsstörungen

Laktation (alle Makrolide)

Gravidität (nur Roxithromycin und Clarithromycin)

Anwendungsbeschränkungen gleichzeitige Gabe von Carbamazepin, Cumarinen, Digoxin,Theophyllin

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Nebenwirkungengastrointestinale Störungen (Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle)

Überempfindlichkeitsreaktionen (selten)

Indikation 2. Wahl bei dentogenen Infektionen

Dosierung

Erythromycin (Erythrocin*): 3x0,4-1g/Tag

Roxithromycin (Rulid*): 2x150 mg/Tag

Clarithromycin (Klacid*): 2x250mg/Tag

5.7. Tetrazykline

Bei den Tetrazyklinen handelt es sich um gelb- bis braunfarbige, im UV-Licht fluoreszierende Verbindungen.Die Tetrazykline sind sowohl parenteral als auch oral verfügbar. Die Gewebegängigkeit der Tetrazykline istgut. Die Tetrazykline lagern sich durch Chelatbildung mit Kalzium vor allen Dingen am Knochen undwährend der Mineralisationsphase auch an den Zähnen an. Dies führt unter Umständen zu Schmelzdefektenmit gelblich brauner Zahnverfärbung und zu Schmelzhypoplasien mit erhöhter Kariesanfälligkeit.

Ihr Wirkspektrum ist bakteriostatisch. Sie sind wirksam gegen Hämophilus und gegen intrazelluläreInfektionen wie z.B. Infektionen durch Chlamydien, Mykoplasmen und Rikettsien. Ein Nachteil ist diezunehmende Resistenzentwicklung unter gramnegativen Stäbchen und grampositiven Kokken.

Eigenschaften von Tetrazyklinen

Wirkungstyp bakteriostatisch

Spektrum grampositive und gramnegative Keime,Chlamydien,Mykosplasmen, Listerien

Kinetik oral gute Resorption, Anreicherung im Zahnsulkus

Kontraindikationen Schwangerschaft

Anwendungsbeschränkungen Leber- und Niereninsuffizienz, Kinder

Nebenwirkungen Photosensibilisierung, Blutbildveränderungen, Allergie

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Indikation Reserveantibiotikum wegen zunehmender Resistenzentwicklung

Dosierung Doxycyclin 2x100mg/Tag oral

6. Antibiotische Therapie in der Praxis

Bei einer Infektion im Bereich der Mundhöhle handelt es sich fast immer um eine aerob- anaerobeMischinfektion. Die Keime müssen in Bezug auf Prophylaxe und kalkulierte Therapie durch das verabreichteAntibiotikum erfasst werden. Diese Anforderung erfüllen im wesentlichen die Penicilline. BeiPenicillinallergie kann auch Clindamycin als Antibiotikum der zweiten Wahl empfohlen werden. BeimClindamycin muss eine Wirkungslücke im Bereich der gramnegativen Keime in Kauf genommen werden.Hier kann durch Kombination mit Ciprofloxacin die Wirkungslücke geschlossen werden. Auch die weiteroben erwähnte Kombination aus Penicillin und Metronidazol hat sich als wirksam erwiesen.

Generell gilt weiterhin der chirurgische Grundsatz, dass Abszesse grundsätzlich chirurgisch durch Inzision zubehandeln sind. Eine zusätzliche antibiotische Therapie ist nur bei Logenabszessen erforderlich oder wennZeichen einer Ausbreitung gegeben sind (z.B. Fieber, Schluckbeschwerden, Kieferklemme, Ödeme).

Das dentogene Infiltrat ohne eitrige Einschmelzung wird primär antibiotisch behandelt.

Bei der Perikoronitis (Dentitio difficilis) ist neben der Lokalbehandlung nur dann eine antibiotische Therapieerforderlich, wenn Begleitsymptome vorliegen.

Erreger dentogen erworbener Infektionen sind überwiegend Streptokokken und Anaerobier.

Antibiotische Therapie von dentogen-pyogenenInfektionen

Therapiedauer mindestens 1 Woche

Präparate

1. Präferenz Handelsnamen Tagesdosis

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(z.B.) (Erwachsene)

Penicillin V Isocillin* 3-4x1,2Mega

Propicillin Baycillin* 3-4x1 Mega

Präparate

2. Präferenz

Cephalexin Ceporexin* 3x0,5-1,0g

Cefaclor Panoral* 3x0,5g

Cefuroximaxetil Elobact* 2x0,5g

Roxithromycin Rulid* 2x150mg

Clarithromycin Klacid* 2x250mg

Clindamycin Sobelin* 3-4x300mg

6.1. Abszess und Infiltrat

Alveolarfortsatznahe Abszesse werden chirurgisch eröffnet (Inzision und Trepanation des ursächlichen Zahns)und drainiert.

Wenn sich Eiter entleert, ist eine antibiotische Therapie nicht indiziert. Antibiotika sind jedoch zuverabreichen, wenn sich die Infektion zusätzlich in die angrenzenden Weichteile ausgedehnt hat. Symptomedafür sind Fieber, Schluckbeschwerden, Kieferklemme und Ödeme. Besondere Vorsicht ist beim Vorliegeneiner Wangeninfiltration mit Druckschmerzhaftigkeit im Gebiet der Vena angularis geboten, da dann eineAusbreitung der Infektion in den Sinus cavernosus eintreten kann.

Tritt nach einer Inzision kein Eiter aus, ist davon auszugehen, dass eine nicht abgekapselte Infiltration desGewebes vorliegt. Auch hier sollte wegen der möglichen Ausbreitung bis 2 oder 3 Tage nach Abklingen derklinischen Symptomatik ein Antibiotikum verabreicht werden. Nach Besserung der akuten Entzündung ist dieUrsache für die Infektion zu beseitigen. Für einen ggfs. erforderlichen Eingriff mit Knochenbeteiligungempfehlen wir zur Vermeidung einer Osteomyelitis zumindest eine One-Shot-Prophylaxe. Bei der Dentitio

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difficilis ist neben der Lokalbehandlung dann eine antibiotische Therapie indiziert, wenn Begleitsymptomewie Fieber, Schluckbeschwerden oder eine Kieferklemme vorliegen.

6.2. Eitrige Sialadenitis

Die eitrige Sialadenitis entsteht bei Speichelstau (z.B. infolge eines Speichelsteines) und wird durchStreptokokken, Staphylokokken und Anaerobier verursacht. Als Antibiotika sollten daher nurstaphylokokkenwirksame Antibiotika eingesetzt werden.

Antibiotische Therapie der eitrigen Sialadenitis

Therapiedauer mindestens 1 Woche

Präparate1. Präferenz

Handelsnamen(z.B.)

Tagesdosis(Erwachsene)

Clindamycin Sobelin* 3-4x300mg

Amoxycillin + Clavulansäure Augmentan* 3x625mg

Präparate

2. Präferenz

Erythromycin Erythrocin* 3-4x0,5-1g

Roxithromycin Rulid* 2x150mg

Cephalexin Ceporexin* 3x0,5-1,0g

Cefaclor Panoral* 3x0,5g

Cefuroximaxetil Elobact* 2x0,5g

Clarithromycin Klacid* 2x250mg

6.3. Dentogene Sinusitis maxillaris

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Die akute dentogene Sinusitis maxillaris wird durch Streptokokken, Pneumokokken, Haemophilus,Staphylokokken verursacht; bei chronischer Sinusitis finden sich auch Anaerobier. Aufgrund des breitenErregerspektrums und der Beteiligung gramnegativer Keimarten wird zur Therapie primär Amoxycillinempfohlen.

Antibiotische Therapie der dentogenen Sinusitis maxillaris

Therapiedauer mindestens 1 Woche

Präparate1. Präferenz Handelsnamen(z.B.) Tagesdosis(Erwachsene)

Amoxycillin Amoxypen* 3x0,5-1g

Amoxycillin + Clavulansäure Augmentan* 3x625mg

Präparate2. Präferenz

Cephalexin Ceporexin* 3x0,5-1,0g

Cefaclor Panoral* 3x0,5g

Cefuroximaxetil Elobact* 2x0,5g

Clarithromycin Klacid* 2x250mg

Clindamycin Sobelin* 3-4x300mg

6.4. Eröffnung der Kieferhöhle

Die Eröffnung der Kieferhöhle ist eine häufige, prinzipiell nicht fehlerhafte Komplikationzahnärztlich-chirurgischer Eingriffe im oberen Seitenzahngebiet. Im Gegensatz zur Schleimhaut von Mund,Nase und Rachen besitzt die Kieferhöhlenschleimhaut keine residente Schleimhautflora und ist physiologischals steril anzusehen. Voraussetzung hierfür sind die suffiziente Belüftung und die zum Foramen naturalegerichtete Flimmerbewegung des respiratorischen Epithels. Nach artifizieller Eröffnung gilt eine Kieferhöhlenach 48 – 72 Stunden als infiziert, selbst wenn weder im Röntgenbild noch antroskopisch eine Entzündungfestgestellt werden kann. Der primär plastische Verschluss nach Rehrmann führt in den Fällen mithistologisch nachgewiesener Entzündung trotz Verzichts auf eine antibiotische Therapie und ohne Anlegeneines nasoantralen Fensters in 97 % zur Heilung. Aus den genannten Gründen ist der sofortige plastischeVerschluss einer iatrogenen oroantralen Verbindung anzustreben, bei Fehlen einer ausgeprägten Entzündung

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auch noch bis 48 Stunden nach der Eröffnung. Neben einer Therapie mit abschwellenden Nasentropfen für 2 –3 Tage halten wir die Verabreichung von Antibiotika bei plastischer Deckung auch innerhalb der ersten 24Stunden dennoch für indiziert.

Prophylaxe der dentogenen Sinusitis maxillaris

bei Mund-Antrum-Verbindungen

Prophylaxedauer 3 bis 5 Tage

Präparate1. Präferenz

Handelsnamen(z.B.)

Tagesdosis(Erwachsene)

Amoxycillin Amoxypen* 3x0,5-1,0 g

Präparate2. Präferenz

Cephalexin Ceporexin* 3x0,5-1,0g

Cefaclor Panoral* 3x0,5g

Cefuroximaxetil Elobact* 2x0,5g

Clarithromycin Klacid* 2x250mg

Clindamycin Sobelin* 3-4x300mg

Zahnärztlich-chirurgische EingriffeUnkomplizierte zahnärztlich-chirurgische Eingriffe wie die Extraktionoder die operative Entfernung von Zähnen – auch von Weisheitszähnen -, die Wurzelspitzenresektion und dieZystektomie kleiner Zysten bedürfen keiner antibiotischen Abschirmung. Wenn große Knochendefekte mitEröffnung von Spongiosaräumen im Rahmen von Osteotomien, beispielsweise bei der Entfernung von 4impaktierten Weisheitszähnen, entstehen, muss individuell entschieden werden, ob Antibiotika verabreichtwerden sollen. Dasselbe gilt für die Zystektomie großer Zysten, nach der oftmals ausgedehnteKnochenflächen freiliegen.

6.5. Implantation von alloplastischen Materialien

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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(z.B. enossale Implantate, Hydroxylapatit, Kollagen)Werden enossale Implantate gesetzt, erübrigt sich dieApplikation von Antibiotika. Treten jedoch intra- oder postoperativ Komplikationen auf, oder dauert derEingriff bei multiplen Implantationen sehr lange, kann im Einzelfall die Verordnung eines Antibiotikumsdiskutiert werden. Dieses sollte dann für mindestens 5 Tage eingenommen werden. Gerade bei solchenelektiven Eingriffen spielen auch forensische Überlegungen – dies insbesondere in der Praxis – einemaßgebliche Rolle, so dass im Zweifelsfalle die Verabreichung von Antibiotika eher großzügig gehandhabtwerden kann. Damit soll einer folgenschweren Infektauswirkung, wie sie der Verlust von Implantatendarstellt, vorgebeugt werden. Nach Exstirpation ausgedehnter Zysten bringen wir zur Stabilisierung desBlutkoagels im Knochendefekt Kollagenflies ein. In diesen Fällen, insbesondere aber wenn erwartet werdenmuss, dass der Nervus alveolaris inferior frei liegt, führen wir eine perioperative Kurzzeitprophylaxe, die ineinzelnen Fällen ausgedehnt wird, durch.

6.6. Verletzungen von Zähnen, Weichgeweben und/oder Knochen

Die Luxation von Zähnen erfordert keine Gabe von Antibiotika.

Eluxierte Zähne die reimplantiert werden, sind kontaminiert und bedingen einen Keimeinsatz in die Alveole.Daher muss zumindest eine perioperative Kurzzeitprophylaxe, bei längerer extrakorporaler Verweildauer eineTherapie erfolgen.

Im übrigen ist hier stets an eine Tetanusprophylaxe zu denken.

Mundschleimhautwunden erfordern im Rahmen der chirurgischen Versorgung in Abhängigkeit von ihrerAusdehnung, der Dauer ihres Bestehens und dem Kontaminationsgrad ebenfalls eine Kurzzeitprophylaxe odereine antibiotische Therapie.

Alveolarfortsatzfrakturen sind beim Bezahnten immer als offene Frakturen einzustufen. Dies bedingt oftmalseine höhere Infektionsgefahr als beispielsweise bei außerhalb der Zahnreihe verlaufenden geschlossenenUnterkieferfrakturen. Wir raten daher zu einer antibiotischen Therapie von 5 Tagen.

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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6.7. Perioperative Antibiotikaprophylaxe

Es ist der berechtigte Wunsch des Chirurgen, durch prophylaktische Maßnahmen postoperative Infektionen zuverhüten. Am besten gelingt dies durch aseptisches, rasches und sicheres Operieren.

Ob eine Antibiotikaprophylaxe sinnvoll ist oder nicht, richtet sich nach Art und Ort des Eingriffs und der zuerwartenden Infektionsrate. Nach einer Standardklassifizierung werden chirurgische Wunden im Hinblick aufdas zu erwartende postoperative Infektionsrisiko in 4 Kategorien eingeteilt:

Sauber• sauber/kontaminiert• kontaminiert• verschmutzt•

Den Begriff "saubere" Wunde gibt es nur in der elektiven Chirurgie mit Primärnaht und ohne Eröffnung desRespirations-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltraktes. Die bei derartigen Eingriffen zu erwartendeInfektionsrate liegt unter 5 %. Bei "sauber/kontaminierten" Wundsetzungen kommt es zu einer Kontaminationmit Keimen des Respirations-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltraktes. Das zu erwartende Infektionsrisikoliegt bei etwa 10 %.

Die Kategorie der "kontaminierten" Wunden umfasst hauptsächlich frische Traumen sowie Operationen mitUnterbrechung der Sterilität. Die zu erwartende Infektionsrate liegt bei dieser Art von Eingriffen bei etwa 20%.

Die Kategorie der "verschmutzten" Wunden beinhaltet Traumen mit devitalisiertem Gewebe, Fremdkörpern,fäkaler Kontamination, verspäteter Behandlung sowie Eingriffe, bei denen zur chirurgischen Eröffnung vonAbszessen der Durchtritt durch gesundes Gewebe erforderlich wird. Bei kontaminierten oder schmutzigenWunden ist immer mit der Anwesenheit von pathogenen Keimen zu rechnen und die Notwendigkeit einerAntibiotikaprophylaxe oder in diesem Fall besser Antibiotikatherapie ist heute unumstritten.DieAntibiotikaprophylaxe wird nach Zeitpunkt und Dauer der Gabe unterteilt:

Langzeitprophylaxe mit Beginn 24 – 2 Stunden präoperativ und über mehrere Tage postoperativ.• Kurzzeitprophylaxe mit Beginn 1 – 2 Stunden präoperativ und maximal 48 Stunden postoperativ.• Ultrakurzzeitprophylaxe 1 – 2 Stunden präoperativ beginnend bis maximal 24 Stunden postoperativ.• One-Shot-Prophylaxe mit einer präoperativen Gabe.•

Indikation zur perioperativen Chemoprophylaxe in der zahnärztlichen Chirurgie

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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Sämtliche nicht-septischen zahnärztlich chirurgischen Eingriffe (Zahnextraktion, operative Zahnentfernung,Wurzelspitzenresektion, präprothetische Chirurgie, Parodontalchirurgie u.a.) sind der Kategoriesauber/kontaminiert zuzuordnen. Bei sauber/kontaminierten Operationen wird der perioperativeAntibiotikaeinsatz einerseits mit einer präoperativen Reduktion der fakultativ pathogenen Keime imOperationsbereich begründet. Andererseits sollen durch adäquate intraoperative Gewebsspiegel während desEingriffs an den Operationsbereich herankommende Erreger abgetötet werden.

Grundsätzlich ist beim Gesunden eine Antibiotikaprohylaxe bei Fehlen weiterer Risikofaktoren und beiunkomplizierten zahnärztlich chirurgischen Eingriffen nicht notwendig.Eine Begründung einerChemoprophylaxe betrifft eine nach zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen vorkommende transitorischeBakterämie. Die Häufigkeit nachgewiesener Bakterien im Blut liegt in den einzelnen Untersuchungenzwischen 10 – 86 %. Zur Vermeidung lokaler Wundheilstörungen oder einer bakteriellen Endokarditis wirdeine antimikrobielle Prophylaxe bei folgender Gruppe von Risikopatienten gefordert:

Prophylaxe lokaler Wundinfektionen

Allgemeinindikationen (eingeschränkte Infektionsabwehr)

Herzerkrankungen, die mit einem erhöhten Endokarditisrisiko einhergehen

Diabetes mellitus

Hämophilie

hämatologische Erkrankungen mit Leukopenie oder Leukozytose (z.B. Leukämie)

generalisierte Erkrankungen des lymphatischen Systems (z.B. M. Hodgkin)

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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Zytostatika- oder Steroid-Medikation

Radiatio im Kiefer-, Gesichts- oder Halsbereich

Dialyse

AIDS

Nierentransplantierte

Zur perioperativen Prophylaxe werden dieselben Antibiotika empfohlen, die auch zur Behandlung derdentogenen Infektionen eingesetzt werden. Die Dosierung entspricht der therapeutischen Dosis. DieProphylaxe wird erst 1 bis 2 Stunden vor dem geplanten Eingriff begonnen und für 48 (- 96) Stundendurchgeführt.

Perioperative Infektionsprophylaxe bei erhöhtemRisiko von Wundinfektionen

Prophylaxedauer 48 Stunden

Präparate1. Präferenz

Handelsnamen(z.B.)

Tagesdosis(Erwachsene)

Penicillin V Isocillin* 3x 1,2 Mega

Propicillin Baycillin* 3x 1 Mega

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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Präparate2. Präferenz

Cephalexin Ceporexin* 3x0,5-1,0g

Cefaclor Panoral* 3x0,5g

Cefuroximaxetil Elobact* 2x0,5g

Erythromycin Erythrocin* 3-4 x 0,5-1g

Roxithromycin Rulid* 2x150mg

Clarithromycin Klacid* 2x250mg

Clindamycin Sobelin* 3-4x300mg

Die Frage nach der optimalen Dauer einer solchen Antibiotikaprophylaxe ist immer noch umstritten. In derneueren Literatur wird die One-Shot-Prophylaxe bevorzugt. Da aber eine intraorale Wunde erst frühestens mitBeginn der reparativen Phase, d.h. erst nach etwa 4 Tagen zuverlässig verschlossen ist, kann es im Einzelfallsinnvoll sein, die Antibiotikaprophylaxe evtl. über diesen Zeitraum von 4 Tagen durchzuführen.

Beispielhaft soll eine aktuelle Studie aus Rostock (Prof. Gundlach, MKG-Chirurgie) zitiert werden.Prospektiv wurden bei Gaumenspaltverschlüssen verglichen:

keine Prophylaxe• One-Shot-Prophylaxe mit Cephalosporinen zu Beginn der Narkose• 96 stündige Sequenzprophylaxe mit Cephalosporinen (intraop. i.v. , dann oral)•

Erregerspektrum absolut Relativ

Streptokokken 87 34%

Staphylokokken 78 30%

H. influenzae 18 7%

E. coli 18 7%

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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Enterokokken 18 7%

Neisseria 17 7%

Klebsiella 9 3%

Sporenbildner 8 3%

Actinobacter 5 2%

Total 258 100%

Ergebnisse der Veloplastiken

One shot Prolongiert Kontrolle

Alter 13 Mo. 14 Mo. 13 Mo.

Patientenzahl 22 30 24

Spaltbreite 13,6 mm 10 mm 11,2 mm

Dehiszenz 26% 7% 29%

p.o. Infekte 32% 13% 38%

Fieber bis zum 1. Tag 74% 53% 83%

Fieber bis zum 4. Tag 64% 33% 67%

6.8. Endokarditisprophylaxe

Obgleich eine transitorische Bakterämie (während ca. 15 Minuten) nach Zahnsteinentfernung, PA-Therapie,Zahnextraktion, Endodontie, usw. häufig ist, resultiert daraus nur selten eine bakterielle Endokarditis. Für eineGruppe von Risikopatienten wird wegen der sehr hohen Letalität der bakteriellen Endokarditis (10 – 20 %)eine perioperative Prophylaxe gefordert. Hierbei wird eine Gruppe mit mäßigem Risiko von einer Gruppe mithohem Risiko unterschieden. Bei den Patienten mit mäßigem Risiko genügt die prophylaktisch perioraleEinzeldosis eines Antibiotikums.

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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Bei hohem Endokarditisrisiko wird eine Kurzzeitprophylaxe über 6 Stunden gefordert. TransitorischeBakterämien infolge zahnärztlich-chirurgischer Eingriffe werden meist durch Streptokokus viridanshervorgerufen. Aufgrund der invitro-Empfindlichkeit sind bei Viridansstreptokoken Penicillin oderAmoxycillin und alternativ Clindamycin oder Erythromycin die Antibiotika der Wahl.

Endokarditisrisiko verschiedener Herzfehler:

Mäßiges Risiko (Einmalgabe 1h vor dem Eingriff):

Kongenitale Herzfehler (ohne Vorhofseptumdefekt)

Palliative bzw. provisorisch operierte Vitien

Erworbene Herzklappenfehler (z.B. verkalkte Aortenklappe)

Rheumatische Klappenfehler

Mitralklappenprolaps/Mitralinsuffizienz

Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie

Hohes Risiko (1h vor und 6h nach dem Eingriff):

Klappenprothesen

Status nach bakterieller Endokarditis

Kongenital-zyanotische Vitien

Keine Endokarditisprophylaxe nötig bei:

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Operierte Herzfehler nach dem ersten postoperativen Jahr

Herzschrittmacher oder Kardioverter (interner Defibrillator)

chirurgisch korrigierte Vitien ohne prothetisches Material

Mitralklappenprolaps ohne Mitralinsuffizienz

Status nach aortokoronarem Bypass

Endocarditisprophylaxe

(verschiedene Empfehlungen in der Literatur)

Amoxicillin (Binotal bzw. Amoxypen) Tbl. 2 g 1 Stunde vor Eingriff

bei Penicillinallergie

Clindamycin (Sobelin) Tbl. 600 mg 1 Stunde vor Eingriff

6 Stunden nach dem Eingriff (nur bei hohem Risiko, siehe oben)

1 g Amoxicillin oder 300 mg Clindamycin

Empfehlungen der kardiologischen Fachgesellschaft MWW 141: 177-180 (1999)

6.9. Weitere Indikationen zur generellen Antibiotikaprophylaxe

Im vorbestrahlten Kiefer besteht eine Gefäßschädigung mit Hypovaskularität, Knochenmarksdegeneration mitUntergang von Osteoblasten und Osteoklasten. Notwendige Zahnextraktionen müssen wegen der Gefahr einerOsteoradionekrose des devitalisierten Knochens unter einem Antibiotikaschutz und mit primäremWundverschluss durchgeführt werden. Die gefürchtete Komplikation einer Osteoradionekrose bis hin zumKontinuitätsverlust des Kiefers soll durch eine perioperative Chemoprophylaxe verringert werden.Problemlose Einzelzahnextraktionen können unter einer Kurzzeitprophylaxe über 48 Stunden durchgeführtwerden. Größere Eingriffe sollten unter stationären Bedingungen mit intravenöser Antibiotikatherapievorgenommen werden.Wegen eines erhöhten Infektionsrisikos bei Dialysepatienten sowie

Antibiotikatherapie im zahnärztlichen Bereich

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Hämophilie-Patienten wird für diese Risikogruppe eine Chemoprophylaxe über 48 Stunden empfohlen.Zahnärztlich-chirurgische Maßnahmen bei Hämophilie-Patienten sollten kieferchirurgischen Fachabteilungenvorbehalten bleiben.Bei Nichtrisikopatienten scheint die perioperative Prophylaxe im Rahmen derzahnärztlichen Chirurgie keine Reduktion der Infektionsrate zu bewirken. Verschiedene Studien belegenähnliche Komplikationsraten mit und ohne Prophylaxe. Positive Ergebnisse über die Wirkung einerperioperativen Kurzzeitprophylaxe liegen bei Kiefer-Gesichtsverletzungen sowie beikieferorthopädisch-kieferchirurgischen Operationen vor. Diese Ergebnisse betreffen jedoch ausschließlichPatienten im stationären Bereich mit einem von der Praxis unterschiedlichem Erregerspektrum undResistenzverhalten.

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