9
1 Kubische Gleichungen Gesucht ist eine Zahl, die addiert zu ihrer Kubikwurzel 6 ergibt. 1.1. Mit solchen Aufgaben in Textform wurden schon Generationen von Schülern „beglückt“. Die Aufgabe selbst ist übrigens schon einige Jahr- hunderte alt. Es handelt sich um die erste von 30 Aufgaben, die 1535 Nicolo Tartaglia (1499 oder 1500-1557), dessen Nachname Stotterer be- deuet, in einem Wettstreit gestellt bekam. Herausforderer im Wettstreit war Antonio Fior (1506-?), dem Tartaglia im Gegenzug ebenfalls 30 Auf- gaben stellte 4 . Wie üblich beginnt der Lösungsweg damit, für den gesuchten Wert eine Gleichung zu finden, so dass eine eindeutige Berechnung möglich wird. Im vorliegenden Fall bietet es sich an, ausgehend von der mit x bezeich- neten Kubikwurzel die Bedingung x x 3 6 0 + = aufzustellen. Aber wie ist diese Gleichung zu lösen? Die bereits in der Einführung erwähnten quadratischen Gleichungen lassen sich immer mit- tels einer so genannten „quadratischen Ergänzung“ so umformen, dass eine Quadratwurzel gezogen werden kann. Im allgemeinen Fall x px q 2 0 + + = . wird dazu einfach auf beiden Seiten die Zahl (p/2) 2 addiert und der abso- lute Wert q auf die andere Seite gebracht: 4 Eine vollständige Auflistung der 30 von Fior gestellten Aufgaben findet man bei Re- nato Acampora, Die „Cartelli di matematica disfida“. Der Streit zwischen Nicolò Tartaglia und Ludovico Ferrari, Institut für die Geschichte der Naturwissenschaften (Reihe Algorismus, 35), München 2000, S. 41-44. Siehe auch: Friedrich Katscher, Die kubischen Gleichungen bei Nicolo Tartaglia: die relevanten Textstellen aus seinen „Quesiti et inventioni diverse“ auf deutsch übersetzt und kommentiert, Wien 2001. In der Literatur wird Tartaglias richtiger Name meist als Niccolo Fontana angegeben. Grund ist, dass in Tartaglias Testament sein Bruder Zampiero Fontana genannt ist. Demgegenüber wird Tartaglia bei Acampora (S. 2) dahingehend zitiert, dass er den Nachnamen seines Vaters nicht gekannt habe. J. Bewersdorff, Algebra für Einsteiger, DOI 10.1007/978-3-658-02262-4_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

  • Upload
    joerg

  • View
    220

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

1 Kubische Gleichungen

Gesucht ist eine Zahl, die addiert zu ihrer Kubikwurzel 6 ergibt.

1.1. Mit solchen Aufgaben in Textform wurden schon Generationen von Schülern „beglückt“. Die Aufgabe selbst ist übrigens schon einige Jahr-hunderte alt. Es handelt sich um die erste von 30 Aufgaben, die 1535 Nicolo Tartaglia (1499 oder 1500-1557), dessen Nachname Stotterer be-deuet, in einem Wettstreit gestellt bekam. Herausforderer im Wettstreit war Antonio Fior (1506-?), dem Tartaglia im Gegenzug ebenfalls 30 Auf-gaben stellte4.

Wie üblich beginnt der Lösungsweg damit, für den gesuchten Wert eine Gleichung zu finden, so dass eine eindeutige Berechnung möglich wird. Im vorliegenden Fall bietet es sich an, ausgehend von der mit x bezeich-neten Kubikwurzel die Bedingung

x x3 6 0+ − =

aufzustellen. Aber wie ist diese Gleichung zu lösen? Die bereits in der Einführung erwähnten quadratischen Gleichungen lassen sich immer mit-tels einer so genannten „quadratischen Ergänzung“ so umformen, dass eine Quadratwurzel gezogen werden kann. Im allgemeinen Fall

x px q2 0+ + = .

wird dazu einfach auf beiden Seiten die Zahl (p/2)2 addiert und der abso-lute Wert q auf die andere Seite gebracht:

4 Eine vollständige Auflistung der 30 von Fior gestellten Aufgaben findet man bei Re-

nato Acampora, Die „Cartelli di matematica disfida“. Der Streit zwischen Nicolò Tartaglia und Ludovico Ferrari, Institut für die Geschichte der Naturwissenschaften (Reihe Algorismus, 35), München 2000, S. 41-44. Siehe auch: Friedrich Katscher, Die kubischen Gleichungen bei Nicolo Tartaglia: die relevanten Textstellen aus seinen „Quesiti et inventioni diverse“ auf deutsch übersetzt und kommentiert, Wien 2001.

In der Literatur wird Tartaglias richtiger Name meist als Niccolo Fontana angegeben. Grund ist, dass in Tartaglias Testament sein Bruder Zampiero Fontana genannt ist. Demgegenüber wird Tartaglia bei Acampora (S. 2) dahingehend zitiert, dass er den Nachnamen seines Vaters nicht gekannt habe.

J. Bewersdorff, Algebra für Einsteiger, DOI 10.1007/978-3-658-02262-4_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Page 2: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

2 Kubische Gleichungen

( ) ( )x px qp p22

2

2

2+ + = − .

Wie gewünscht kann nun die linke Seite als Quadrat dargestellt werden

( ) ( )x qp p+ = −2

2

2

2,

so dass man schließlich die schon in der Einführung angeführte allge-meine Lösungsformel

xp p

q1 2

2

2 4, = − ± −

erhält.

Noch anzumerken bleibt eine wichtige Eigenschaft quadratischer Gleichungen. Bildet man nämlich die negative Summe der beiden Lö-sungen sowie ihr Produkt, dann erhält man als Ergebnisse stets die Koeffizienten der Ausgangsgleichung:

x1 + x2 = –p und x1x2 = q

Quadratische Ergänzungen in der Form geometrischer Manipulationen sind bereits in babylonischen Texten erwähnt, die um das Jahr 1700 v.Chr. zu datieren sind. Systematisch behandelt werden quadratische Gleichungen in den Büchern des in Bagdad wirkenden Gelehrten al-Khwarizmi (ca. 780-850), die später ins Lateinische übersetzt wurden und den mathematischen Fortschritt in Europa über mehrere Jahrhunderte maßgeblich inspirierten. Aus dem Namen al-Khwarizmi abgeleitet wurde übrigens der Begriff des Algorithmus. Und auch der Begriff der Algebra leitet sich aus dem Titel seiner Abhandlung über Gleichungen al-gabr ab.

Aus heutiger Sicht erscheint die Behandlung der quadratischen Glei-chungen bei al-Khwarizmi sehr schwerfällig. Alle Aussagen und Beweise sind nämlich verbal formuliert, da die heute übliche Symbolik der Re-chenzeichen noch unbekannt war. Darüber hinaus erfolgte die Argu-mentation auf Basis geometrischer Überlegungen. Da schließlich negative Zahlen noch keine Verwendung fanden – angesichts der geome-trischen Argumentation kaum verwunderlich –, musste al-Khwarizmi verschiedene Typen von Gleichungen unterscheiden, die wir heute in den Formen x2 = px, x2 = q, x2 + px = q, x2 + q = px und x2 = px + q notie-

Page 3: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

Kubische Gleichungen 3

ren und unter Inkaufnahme von Koeffizienten, die kleiner oder gleich 0 sind, unschwer auf einen einzigen Typ reduzieren können.

Einen Eindruck von der von al-Khwarizmi gebrauchten Argumentation vermittelt Bild 3. Aus dem Bild ablesbar ist, dass die gesuchte Seitenlän-ge x des inneren Quadrats aus der schraffierten Fläche q = x2 + px mit-tels einer Rechenvorschrift, wie sie der Formel

( )x q p p= + −4 4

2

2

entspricht, berechnet werden kann.

x

x

p

4

p

4

p

4

p

4

Bild 3 Al-Khwarizmis Behandlung der quadratischen Gleichung x2 + px = q. Dem Koeffizienten q entspricht die schraf-fierte Fläche.

1.2. Nach diesem Exkurs über quadratische Gleichungen wollen wir uns wieder der eingangs formulierten Aufgabenstellung von Fior zuwenden. Als Fior seine Aufgaben stellte, hatte die Mathematik in den sieben Jahr-hunderten seit al-Khwarizmi noch keine großen Fortschritte gemacht. Vielmehr war die europäische Mathematik bis zu dieser Zeit mehr da-durch geprägt, die mathematischen Erkenntnisse vergangener Blüte-perioden, insbesondere die der arabischen und die der Antike, zu er-schließen. In diesem Zuge waren in Europa die arabischen Ziffern

Page 4: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

4 Kubische Gleichungen

eingeführt worden, so dass mit den bekannten Rechenalgorithmen die zwischenzeitlich gewachsenen Ansprüche des kaufmännischen Rech-nungswesens erfüllt werden konnten. Abgewickelt wurden die Be-rechnungen durch einen eigenen Berufsstand, so genannte Rechen-meister.

Obwohl die Mathematik vielfach für kaufmänische Zwecke verwendet wurde, waren negative Zahlen noch unbekannt. Auch eine mathematische Symbolik begann sich erst langsam herauszubilden. So verwendete man im 15. Jahrhundert die Schreibweise R3 V31 m R16 für den Wurzel-ausdruck

31 163 − .

Einen der ersten großen Fortschritte gegenüber den arabischen Mathema-tikern verdanken wir Scipione del Ferro (1465?-1526), der zu Beginn des 16. Jahrhunderts an der Universität von Bologna lehrte. Ihm gelang es, wie einige Jahrzehnte später Cardano in seinem Buch Ars magna berich-tete5, als Erstem, kubische Gleichungen aufzulösen, und zwar solche vom Typ x3 + px = q. Ohne sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gab del Ferro sein Lösungsverfahren später an seinen Schüler Antonio Fior weiter. Zu dieser Zeit beschäftige sich auch Nicolo Tar-taglia mit kubischen Gleichungen. Tartaglia, der als Rechenmeister in Venedig tätig war, gehörte damals zu den besten Mathematikern Italiens6. Und tatsächlich gelang es ihm wohl, kubische Gleichungen vom Typ x3 + px2 = q zu lösen. Dabei scheint es sich allerdings weniger um eine allgemein gültige Lösungsmethode gehandelt zu haben als um ein Ver-fahren, spezielle Gleichungen aufzustellen, zu denen die Lösungen leicht gefunden werden können7. 5 Girolamo Cardano, The great art or the rules of algebra, von T. Richard Witmer er-

stellte englische Übersetzung der Ausgabe von 1545 mit Ergänzungen der Ausgaben von 1570 und 1663, Cambridge (Massachusetts) 1968, Beginn von Chapter I und XI.

6 Eine Vorstellung von den Tätigkeiten eines Rechenmeisters, und zwar konkret an der Person Tartaglias, vermittelt der historische Roman von Dieter Jörgensen, Der Re-chenmeister, Berlin 1999. Ein großer Teil des Romans handelt von der Entdeckung der Lösungsformel für kubische Gleichungen und dem darüber entbrannten Streit. Siehe dazu auch: Friedrich Katscher, Boekbespreking De rekenmeester, Dichtung und Wahrheit (in Englisch), Nieuw Archief voor Wiskunde, 5/3 nr. 4 (2002), S. 350-352.

7 Siehe Renato Acampora (siehe Fußnote 4), S. 32-34. Unter Verweis auf Tartaglia be-

Page 5: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

Kubische Gleichungen 5

Im eingangs schon erwähnten Wettstreit legte nun Fior 30 kubische Glei-chungen des Typs x3 + px = q vor, die Tartaglia lösen sollte. Umgekehrt stellte Tartaglia 30 nicht vollständig überlieferte Aufgaben, darunter auch kubische Gleichungen des Typs x3 + px2 = q. Zunächst konnte keiner der Kontrahenten die ihm gestellten Aufgaben lösen. Erst kurz vor dem Ab-lauf des Wettkampfs gelang es Tartaglia am 13. Februar 1535, auch die Gleichungen der Form x3 + px = q zu lösen. Wie schon del Ferro und Fior behielt er aber das Lösungsverfahren für sich.

u

v

Bild 4 Geometrische Begründung der binomischen Gleichung (u + v)3 = 3uv(u + v) + (u3 + v3), wie sie ähnlich Cardano in seiner Ars magna anstellte8: Der große Würfel kann zerlegt werden in die beiden Teilwürfel sowie in drei gleich große Quader, die alle die Seitenlängen u, v und u + v aufweisen.

kannte Untersuchungen von Archimedes spekuliert dagegen Phillip Schultz (Tar-taglia, Archimedes and cubic equations, Australian Mathematical Society Gazette, 11 (1984), S. 81-84), dass Tartaglia ein geometrisches Verfahren verwendet haben kön-ne, bei welchem er den Schnittpunkt der Parabel y = x2 und der Hyperbel y = q/(x+p) bestimmte.

8 Girolamo Cardano (siehe Fußnote 5), Chapter VI, XI. Die dort abgedruckten Darstel-lungen enthalten abweichend von Bild 4 keine räumliche Perspektive.

Page 6: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

6 Kubische Gleichungen

Und nun erst betritt der Mann die Bühne, dessen Name die Lösungs-formeln heute tragen. Geronimo Cardano, heute in erster Linie bekannt durch seine nach ihm benannten Erfindungen wie Kardanwelle und Kar-danaufhängung und von Beruf in erster Linie eigentlich Mediziner, gelingt es nämlich, Tartaglia zu überreden, ihm das Lösungsverfahren mitzuteilen, allerdings nur – so Tartaglia später – unter der Zusicherung, das Verfahren weiterhin geheim zu halten. Trotzdem veröffentlicht Car-dano das Lösungsverfahren 1545 in seinem Buch Ars magna, das den damaligen Wissensstand der Algebra umfassend enthält9.

Die Lösung der kubischen Gleichung stützt sich auf die kubische Bino-mialformel

( ) ( ) ( )u v uv u v u v+ = + + +3 3 33 ,

die Cardano, ähnlich wie es schon al-Khwarizmi für die quadratische Gleichung getan hatte, mit geometrischen Mitteln herleiten konnte, wobei er natürlich mit dreidimensionalen Figuren und Rauminhalten argumen-tieren musste (siehe Bild 4). Die Identität kann aber auch als kubische Gleichung interpretiert werden, wobei die Summe u + v eine Lösung x der kubischen Gleichung

x px q3 0+ + =

ergibt, wenn die beiden Bedingungen

33 3

uv p

u v q

= −

+ = −

erfüllt sind. Die kubische Gleichung x3 + px + q = 0 kann also gelöst werden, sofern es gelingt, geeignete Größen u und v zu finden. Dies ist aber relativ einfach möglich. Da nämlich von den beiden Größen u3 und

9 Im Zuge von Cardanos angeblichem Wortbruch kam es zu einem heftigen Streit zwi-

schen Tartaglia und Cardano. Den während dieses Disputs getätigten Veröffentli-chungen (siehe dazu die in Fußnote 4 aufgeführten Schriften) verdanken wir in der Hauptsache unsere Kenntnis über die der Ars magna zugrundliegende Vorgeschichte. Siehe auch: G. Cardano, Des von Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbe-schreibung, Übersetzung von Hermann Hefele, München 1969, S. 189; Markus Fierz, Girolamo Cardano, Arzt, Naturphilosoph, Mathematiker, Astronom und Traumdeuter, Basel 1977, S. 23 f.

Page 7: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

Kubische Gleichungen 7

v3 sowohl die Summe als auch das Produkt bekannt ist, können sie als die beiden Lösungen der quadratischen Gleichung

w qwp2

3

30+ −

=

berechnet werden. Konkret führt das zu den beiden Werten

( ) ( )u v q q p3 32 2

2

3

3 bzw. = − ± + ,

so dass die Größen u und v durch die beiden Gleichungen

( ) ( ) ( ) ( )u vq q p q q p= − + + = − − +2 2

2

3

33

2 2

2

3

33 und

bestimmt werden können. Schließlich erhält man für die gesuchte Lösung x der kubischen Gleichung x3 + px + q = 0 die so genannte Cardanische Formel

( ) ( ) ( ) ( )x q q p q q p= − + + + − − +2 2

2

3

33

2 2

2

3

33 .

Angewendet auf das zu Beginn gestellte Problem x3 + x – 6 = 0 findet man

x = + + −3 323

613

3 23

613

3 ,

was als Dezimalwert ungefähr 1,634365 ergibt.

1.3. Cardano löste in seiner Ars magna ebenfalls kubische Gleichungen, die auch quadratische Glieder enthielten10. Ein Beispiel für eine solche Gleichung mit quadratischem Term haben wir schon in der Einführung kennen gelernt:

x x x3 23 3 1 0− − − =

Um auch solche Gleichungen zu lösen, formte Cardano sie mit einem all-gemein anwendbaren Verfahren um, wobei stets eine Gleichung des Typs 10 Girolamo Cardano (siehe Fußnote 5), Chapter XXIII

Page 8: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

8 Kubische Gleichungen

y3 + py + q = 0 entsteht: Geht man von einer kubischen Gleichung in der allgemeinen Form

x ax bx c3 2 0+ + + =

aus, so besteht die Transformation daraus, zur gesuchten Lösung x den Summanden a/3 zu addieren, da dann das quadratische und das kubische Glied zusammengefasst werden können:

x ax xa a

xa

xa a

xa

a3 23 2 3 3 2

3

3 3 27 3 3 3

2

27+ = +

− − = +

− +

+

Um die vollständige Transformation der Gleichungskoeffizienten zu er-halten, ersetzt man im Rahmen einer so genannten Substitution die Un-bekannte x innerhalb der gesamten Gleichung durch

x ya

= −3

und erhält, nachdem man die Terme nach Potenzen von y sortiert hat, die Identität

x ax bx c y py q3 2 3+ + + = + +

mit

p a b

q a ab c

= − +

= − +

1

32

27

1

3

2

3

Hat man nun die reduzierte kubische Gleichung y3 + py + q = 0 mit der Cardanischen Formel gelöst, kann die Lösung der ursprünglichen Glei-chung mittels der Transformation x = y – a/3 berechnet werden. Im Bei-spiel der konkreten Gleichung x3 – 3x2 – 3x – 1 = 0 findet man zur Transformation x = y + 1 die Gleichung

y y3 6 6 0− − = ,

deren mit der Cardanischen Formel berechenbare Lösung

Page 9: Algebra für Einsteiger || Kubische Gleichungen

Kubische Gleichungen 9

y = +2 43 3

schließlich die Lösung der Ausgangsgleichung liefert:

x = + +1 2 43 3 .

Abgesehen von dem rechentechnischen Fortschritt, der sich in Cardanos Ars magna findet, zeichnen sich dort bereits zwei fundamentale Entwicklungen ab, welche die Mathematik in der Folgezeit beflügeln sollten, nämlich die Erweiterung des Zahlbereichs um die negativen und sogar die nochmalige Erweiterung zu den komplexen Zahlen. Zwar ver-wendet Cardano in seiner Ars magna die negativen Zahlen nicht, um die verschiedenen von ihm behandelten Typen von kubischen Gleichungen wie beispielsweise x3 + px = q und x3 = px + q gemeinsam zu lösen. Dafür zeigt er in Bezug auf die Lösungen von Gleichungen eine größere Offenheit, indem er neben den „wahren“ Lösungen die negativen Lösun-gen immerhin als „falsche“ Lösungen anführt. Dabei entspricht bei Car-dano eine falsche Lösung jeweils der (wahren) Lösung einer anderen Gleichung, bei der x durch (–x) ersetzt wird. Zum Beispiel ist für Cardano –4 eine falsche Lösung der Gleichung x3 + 16 = 12x, weil 4 eine Lösung der Gleichung x3 = 12x + 16 ist11.

Aufgaben

1. Berechnen Sie eine Lösung der kubischen Gleichung

x3 + 6x2 +9x – 2 = 0.

2. Die kubische Gleichung

x3 + 6x – 20 = 0

besitzt x = 2 als Lösung. Wie ergibt sich diese Lösung aus der Cardani-schen Formel?

11 Girolamo Cardano (siehe Fußnote 5), Chapter I.