1
- In Brecht'scher Mission: Andrea Held aus Glienicke sang Lieder des großen Dramatikers. Mehr als 50 Zuhörer folgten dem in der Bibliothek des Ortes. FOTO: KARL PFITZMANN Alles wandelt sich Andrea Held singt und rezitiert Lieder und Gedichte von Bertolt Brecht ROTRAUD WIELAND GLIENICKE Am Ende der Veranstaltung drückte Schau- spielerin Andrea Held den mehr als 50 Besuchern den Text der „Moritat von Mackie Messer" in die Hand. Und noch einmal bediente Pianist Frank Günther die Tasten sei- nes Instrumentes zum vielkeh- ligen Abgesang einer litera- risch-musikalischen Hom- mage an einen der größten Dra- matiker. Das hätte Bertolt Brecht gefallen. Auch die Schauspielerin Andrea Held hätte ihm in diesem Augen- blick außerordentlich gefal- len. Nun, wo sie gezeichnet von den Anstrengungen eines eineinhalbstündigen Non- stop-Programms alles Necki- sche und mit dem Publikum Kokettierende abgelegt hatte und ganz unprätentiös das Schicksal der minderjährigen Witwe beklagte, „... deren Na- men jeder weiß / Wachte auf und war geschändet / Mackie, welches war dein Preis?" Mit Mackie Messer und Songs aus der Dreigroschen- oper hatte dieser Freitagabend in der Gemeindebibliothek be- gonnen: Vor angedeutetem schwarzen Bühnenbild, an dem als einziger Schmuck das typisch Brecht'sche Brillenge- stell hing. Davor ein Stuhl mit durchgesessener Sitzfläche und ein pinkfarbener Schal. Um in der Rolle der Seeräuber- Jenny, der Polly Peachum oder Nanna zu schlüpfen, warf sich Andrea Held nicht nur einen Ledermantel übers Etuikleid, sondern trug über hochhackigen Schnürstiefelet- ten schwarze Netzstrümpfe als Zeichen weiblicher Ver- ruchtheit. Die Schauspielerin singt be- kannte, aber auch weniger be- kannte, von Brecht geschrie- bene und von Kurt Weill, Hanns Eisler oder Paul Dessau komponierte Songs. Dabei kommt ihr die feinfühlige Be- gleitweise ihres Pianisten sehr zugute, der oft bewusst leise bleibt, um dem gesungenen Wort den Vorrang zu lassen. Manchmal erhält auch er ei- nen Gesangspart, etwa zusam- men mit dem aus dem Publi- kum nach vorne gebetenen Schauspieler Lutz Schneider beim „Kanonensong" oder bei der „Ballade vom Förster und der schönen Gräfin". Ohne dass, frei nach Brecht, romantisch geglotzt wird, bie- tet dieser Abend beste Unter- haltung, zum Teil mit Texten, die nichts von ihrer mahnen- den Aktualität verloren ha- ben. Andrea Held huldigt dem Dichter auf ihre Weise und wird damit im Laufe des Abends immer besser. Gibt sie sich zunächst ein wenig zu me- lodramatisch, so ist sie, wenn sie vom „Lob des Lernens" singt, die „Bitten der Kinder" oder ihr Lieblingsgedicht „Al- les wandelt sich" interpretiert, sehr authentisch. Mit einigen von Brechts zart-anrührenden Liebesversen, die ohne jedes Pathos auskommen, beendet sie das Programm. Nicht aber, ohne am Schluss einen „Guten Ratschlag" von Fran<;ois Villon zu singen, ver- tont von ihrem anwesenden, ehemaligen Hochschuldozen- ten Christian Kozik, den sie in T Wiedersehensfreude innig umarmt.

Alles wandelt sich

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Alles wandelt sich

-

In Brecht'scher Mission: Andrea Held aus Glienicke sang Lieder des großen Dramatikers. Mehr als 50Zuhörer folgten dem in der Bibliothek des Ortes. FOTO: KARL PFITZMANN

Alles wandelt sichAndrea Held singt und rezitiert Lieder und Gedichte von Bertolt Brecht

ROTRAUD WIELAND

GLIENICKE • Am Ende derVeranstaltung drückte Schau-spielerin Andrea Held denmehr als 50 Besuchern denText der „Moritat von MackieMesser" in die Hand. Undnoch einmal bediente PianistFrank Günther die Tasten sei-nes Instrumentes zum vielkeh-ligen Abgesang einer litera-risch-musikalischen Hom-mage an einen der größten Dra-matiker. Das hätte BertoltBrecht gefallen. Auch dieSchauspielerin Andrea Heldhätte ihm in diesem Augen-blick außerordentlich gefal-len. Nun, wo sie gezeichnetvon den Anstrengungen eineseineinhalbstündigen Non-stop-Programms alles Necki-sche und mit dem PublikumKokettierende abgelegt hatte

und ganz unprätentiös dasSchicksal der minderjährigenWitwe beklagte, „... deren Na-men jeder weiß / Wachte aufund war geschändet / Mackie,welches war dein Preis?"

Mit Mackie Messer undSongs aus der Dreigroschen-oper hatte dieser Freitagabendin der Gemeindebibliothek be-gonnen: Vor angedeutetemschwarzen Bühnenbild, andem als einziger Schmuck dastypisch Brecht'sche Brillenge-stell hing. Davor ein Stuhl mitdurchgesessener Sitzflächeund ein pinkfarbener Schal.Um in der Rolle der Seeräuber-Jenny, der Polly Peachumoder Nanna zu schlüpfen,warf sich Andrea Held nichtnur einen Ledermantel übersEtuikleid, sondern trug überhochhackigen Schnürstiefelet-ten schwarze Netzstrümpfe

als Zeichen weiblicher Ver-ruchtheit.

Die Schauspielerin singt be-kannte, aber auch weniger be-kannte, von Brecht geschrie-bene und von Kurt Weill,Hanns Eisler oder Paul Dessaukomponierte Songs. Dabeikommt ihr die feinfühlige Be-gleitweise ihres Pianisten sehrzugute, der oft bewusst leisebleibt, um dem gesungenenWort den Vorrang zu lassen.Manchmal erhält auch er ei-nen Gesangspart, etwa zusam-men mit dem aus dem Publi-kum nach vorne gebetenenSchauspieler Lutz Schneiderbeim „Kanonensong" oder beider „Ballade vom Förster undder schönen Gräfin".

Ohne dass, frei nach Brecht,romantisch geglotzt wird, bie-tet dieser Abend beste Unter-haltung, zum Teil mit Texten,

die nichts von ihrer mahnen-den Aktualität verloren ha-ben. Andrea Held huldigt demDichter auf ihre Weise undwird damit im Laufe desAbends immer besser. Gibt siesich zunächst ein wenig zu me-lodramatisch, so ist sie, wennsie vom „Lob des Lernens"singt, die „Bitten der Kinder"oder ihr Lieblingsgedicht „Al-les wandelt sich" interpretiert,sehr authentisch. Mit einigenvon Brechts zart-anrührendenLiebesversen, die ohne jedesPathos auskommen, beendetsie das Programm.

Nicht aber, ohne am Schlusseinen „Guten Ratschlag" vonFran<;ois Villon zu singen, ver-tont von ihrem anwesenden,ehemaligen Hochschuldozen-ten Christian Kozik, den sie in

T Wiedersehensfreude innigumarmt.