3
Der Alm- und Bergbauer 10/2016 7 Alpabzug als gelebte Tradition Von der Alp zum Talbetrieb Der Sommer ist vorüber und die Tiere kommen wieder von der Alp. Ein Alpabzug ist nicht einfach Show. Es ist für die Sennen, wie die Appenzeller ihre Älpler nennen, ein Freudentag und ein Zeichen des Dankes. Dr. Michael Götz

Alpabzug als gelebte Tradition - almwirtschaft.com · Der Alm- und Bergbauer 10/2016 7 Alpabzug als gelebte Tradition Von der Alp zum Talbetrieb Der Sommer ist vorüber und die Tiere

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Alpabzug als gelebte Tradition - almwirtschaft.com · Der Alm- und Bergbauer 10/2016 7 Alpabzug als gelebte Tradition Von der Alp zum Talbetrieb Der Sommer ist vorüber und die Tiere

Der Alm- und Bergbauer 10/2016 7

Alpabzug als gelebte TraditionVon der Alp zum TalbetriebDer Sommer ist vorüber und die Tiere kommen wieder von der Alp. EinAlpabzug ist nicht einfach Show. Es ist für die Sennen, wie die Appenzellerihre Älpler nennen, ein Freudentag und ein Zeichen des Dankes.

Dr. Michael Götz

Page 2: Alpabzug als gelebte Tradition - almwirtschaft.com · Der Alm- und Bergbauer 10/2016 7 Alpabzug als gelebte Tradition Von der Alp zum Talbetrieb Der Sommer ist vorüber und die Tiere

8 Der Alm- und Bergbauer10/2016

„Jetzt singen wir noch eins“,sagt Meinrad Koch vor der Hütte aufder Alp Seewis. Die letzten Vorberei-tungen für den Alpabzug, das Öbere-oder Abefahre, wie er im AppenzellerDialekt heißt, sind getroffen. Die fünfSöhne sowie Helfer aus Verwandt- undNachbarschaft haben sich in der Hüttedie festlichen Sennenkleider angelegtund Maria, Meinrads Frau, hilft denjungen Leuten, dass Kleider, Schuheund Hut richtig sitzen. Gegen 10 Uhrgeht es los.

Manche wollen nicht ins TalDie Spitze des Zuges übernehmen

die Geißen, angeführt von Benjamin,dem jüngsten Sohn von Familie Koch,in seiner Sennentracht und dem Fahrei-mer, ein hölzerner Melkkübel, über derlinken Schulter. Zusammen mit seinemSchulkollegen Dario und mit Andrea ister für die Geißenherde verantwortlich.Es folgen zwei Sennen. Sie tragen dieSenntumsschellen an den sogenanntenSchellenstecken quer über der Schulter.Jeden Schritt setzen sie bedächtig, da-mit die Schellen im Rhythmus klingen.

„Die Schellen sind aufeinander abge-stimmt“, sagt Dominik. Ihre Klängemüssen harmonisch sein. Dann kom-men die Kühe und Rinder. Nicht alleTiere machen sich gerne auf den Weg.Das Treiben passt nicht in ihren Tages-ablauf und sie geben die Freiheit aufder Alp nicht gerne auf. Die Sennenund die Springbuben, die jugendlichenHelfer, müssen immer wieder Kühe zurHerde treiben, die nicht mit wollen.

Tiere spüren es im VorausAm Schluss der Herde geht Mein-

rad, der Besitzer der Alp mit seiner Ap-penzeller-Hündin Zita. Er hat von hin-ten den Überblick und gibt Sennen undSpringbuben immer wieder Anweisun-gen. Zuerst geht es vom Sämtiserseenach oben zur Alp Soll, wo die Milchtäglich zu Alpkäse verarbeitet wird. Ander Hütte und dem Stall vorbei in Rich-tung Ruhesitz, dem Berggasthof unter-halb des Hohen Kastens. Auf dem Wegdorthin kommen noch andere Kühedazu, die sich schon früher auf den Weggemacht haben. „Sie wissen, dass esheute von der Alp geht“, sagt Dominik.

Nicht dass sie das Datum kennen, abersie spüren es aus dem Verhalten derMenschen. Die meisten Tiere sindschon öfters auf der Alp gewesen undkennen den Ablauf. Der Alpabzug am23. August ist dieses Jahr eine Wochefrüher als sonst, denn der viele Regenhat den Boden aufgeweicht und dieKlauen der Kühe machten viele Tritt-schäden auf der Weide.

„Es geht erst richtig los“Auf der Straße zum Ruhesitz gehen

die Kühe als geschlossene Herde undbilden eine Kolonne. Zusammen sindes 37 Kühe, 20 Rinder und 19 Geißen.„Sie sind ruhig geworden. DasSchlimmste dürfte geschafft sein“,meint einer der Fotografen. „Jetzt gehtes erst richtig los“, widerspricht Sa-muel, der junge Senn, der für das Käsenverantwortlich ist. Der größte Teil desWeges liegt noch vor der Herde. Zuerstauf dem Bergweg hinunter nach Brüli-sau, dann auf der Hauptstraße nach Ap-penzell und von dort nach Gonten zumHof von Familie Koch. Das macht zu-sammen etwa 20 km, welche Mensch

Die Spitze des Zuges übernehmen die Geißen gefolgt von zwei Sennen mit den Senntumsschellen. Im Hintergrundliegt Appenzell (li.). Nach einem ereignisreichen Sommer und dem Alpabzug liegt die Alp wieder verlassen (re.).

Page 3: Alpabzug als gelebte Tradition - almwirtschaft.com · Der Alm- und Bergbauer 10/2016 7 Alpabzug als gelebte Tradition Von der Alp zum Talbetrieb Der Sommer ist vorüber und die Tiere

Der Alm- und Bergbauer 10/2016 9

und Tier in etwa viereinhalb Stundenzurücklegen. Unterwegs bieten Wirts-und Privatleute den Sennen und ihrenHelfern immer wieder etwas zum Trin-ken an. Es scheint, der Himmel wolledie Alp-Gemeinschaft mit strahlendemSonnenschein für die vielen nassenTage entschädigen. Das Abefahre istnicht einfach ein Spaziergang. Die Sen-nen tragen schwer an den Schellen,auch wenn sie es sich nicht anmerkenlassen. Benjamin, der jüngste Sohn desLandwirtes, ist noch ein Kind undkämpft immer wieder mit seiner Sen-nentracht, aus der er schon wieder her-ausgewachsen ist. Doch klagen liegtihm fern; es muss einfach gehen.

Glückwünsche begleiten den ZugKurz vor Brülisau hält der Zug und

die Sennen legen den Kühen die Schel-len an. Auch für sie sind die Schellenschwer; doch sie haben ebenfalls ihrenStolz. Manch ältere Kuh warte darauf,dass man ihr die große Schelle anlege,erzählt Meinrad. Die Senntumsschellensind für die Sennen wertvolleSchmuckstücke, auf die sie gut achtge-ben. Während die Sennen die Schellenanlegen, holt Samuel die Ledi, den Wa-gen mit dem traditionellen Käsege-schirr. Die Ledi, gezogen von Samuels

Pferd Alexandra bildet den Abschlussdes Zuges. Meinrad ist mit ihr und denSennen schon morgens um halb siebenvon Gonten nach Brülisau gefahrenund hat dort das Sennengeschirr, dasman traditionellerweise zum Käsen be-nötigt, aufgeladen.

Der Alpabzug ist ein Freudentag„I wösch Glück“, hört man Zu-

schauer und Bekannte der Sennen im-mer wieder rufen. Der Alpabzug wirdselbst von den Autofahrern akzeptiert,die oft längere Wartezeiten in Kauf neh-men müssen. Auch wenn die Appenzel-ler ihre Traditionen bewahren, sind siedoch offen für Neues. So fällt dem jun-

gen Senn Dario beim Alpabzug dasSchild „Kickboard zu vermieten“ auf.Das wäre doch etwas für sie als jungeSennen, denn damit wären sie nochschneller, um ihre Tiere zusammenzu-halten. Um halb drei Uhr treffen allemüde, aber wohlbehalten auf dem We-bernhof in Gonten ein. „Der Alpabzugist für uns ein Freudentag“, sagt Mein-rad. Er, seine Familie und seine Sennensind dankbar, dass sie wieder heil undgesund zu Hause sind. ///

Michael Götz (Dr. Ing. Agr.) istAgrarjournalist in der Schweiz.

Die „Ledi“, das Käsegeschirrauf einem Wagen, bildet denAbschluss des Zuges. Samuelführt sein Pferd Alexandra.

Maria, die Mutter, schaut, dass alles perfekt sitzt (li.). Der Wagen mit dem Käsegeschirrbildet den Abschluss des Zuges, der sich kurz vor Brülisau befindet. (re.).