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Alphaville Alphaville Stefan Meissner

Alphaville - netcupweb516.wff34.netcup.net/.../projekte/2002/alphaville.pdf · 2012. 6. 7. · Alphaville ist Zuhause für circa 32.000 Menschen geworden und bietet mehr als 100.000

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  • Alphaville

    Alphaville Stefan Meissner

  • 2AlphavilleStefan Meissner Stadtplanung im globalen Kontext SS 02 GLORA II : Parallelstädte im Süden

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    Kurzzusammenfassung

    Die durch die Ungleichgewichte innerhalb der brasilianischen Gesellschaft hervorgerufenen Spannungen führen dazu, dass die reicheren Teile der Bevölkerung sich in privat geplant und verwaltete Wohnkomplex, Stadtteile oder gar neue Städte zurückziehen. Ein Beispiel für diesen sozialen und räumlichen Segregationsprozess ist Alphaville. Als neue Stadt am Rande der Metropole São Paulo ist sie 25 km vom Stadtzentrum gelegen. Anfang der siebziger Jahre kaufte der Vorgänger der Baufirma Alphaville Urbanismo S.A. 1650 Hektar Land, das er seit 1974 kontinuierlich bebaute. Der Wachstumsprozess ist seit dem Jahr 2000 aufgrund fehlender Flächen nahezu abgeschlossen. Alphaville ist Zuhause für circa 32.000 Menschen geworden und bietet mehr als 100.000 Arbeitsplätze.Entstanden ist eine autarke Stadt, die aus 24 Wohngebieten, verschiedenen Bildungseinrichtungen, Shopping Malls, sowie Business-Center und Freizeitparks besteht. Die Rundumversorgung der Bewohner wird durch eigene TV-Kanäle, mehrere über das Internet verbreitete Zeitungen und weit reichende Serviceleistungen ergänzt. Wichtigstes Kriterium für den Kauf eines Hauses dürfte jedoch der Sicherheitsaspekt sein. Alphaville verwaltet sich weitgehend selbst und verfügt über einen eigenen Sicherheitsapparat, der unliebsame ‚Eindringlinge’ aus den Einkaufs- und Freizeitzentren verbannt und den Zutritt zu den 24 Wohngebieten (gated communities) kontrolliert.Dadurch das der Ort abseits der Infrastrukturstränge São Paulos gelegen ist, reduziert sich die Fortbewegung zwischen neuer und Mutterstadt, sowie auch innerhalb der neuen Stadt auf den Individualverkehr im eigenen Auto. Aber warum sollte man nach São Paulo fahren?Alphaville ist eine vollwertige Stadt. Sie geht nur begrenzt Beziehungen mit ihrer Mutterstadt ein und kann deshalb im Sinne Joel Garreaus als Edge City bezeichnet werden.

  • 2AlphavilleStefan Meissner Stadtplanung im globalen Kontext SS 02 GLORA II : Parallelstädte im Süden

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    AlphavilleStefan Meissner

    1 Kurzzusammenfassung2 Inhaltsangabe3 Einleitung4 Formen 5 Planungsmethoden6 Kontext7 Auswirkungen8 Fazit9 Literatur

    Inhaltsangabe

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    Migrationsprozesse besonders in den Entwicklungs- und Schwellenländern haben in den letzten Jahrzehnten die Bevölkerungszahlen der Städte sprunghaft ansteigen lassen. Die entstandenen Megastädte brechen vorhandene Stadtgefüge auf, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben und bringen besondere räumliche und soziale Veränderungen mit sich, welche oft nicht mehr von den städtischen oder übergeordneten staatlichen Behörden gesteuert werden können,sei es aufgrund der Masse der Wohnraum- und Arbeitsuchenden, sei es aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten der Länder, ergo der Städte, die dazu führen, dass der Einfluss der staatlichen Planungen schwindet. An seine Stelle treten durch die Privatwirtschaft finanzierte Projekte, die meist auf die wohlhabenden Schichten der Bevölkerung zielen. Wohingegen der Großteil der ärmeren, landflüchtenden Bevölkerung sich versucht selbst zu organisieren. Die Entwicklung der Städte ist denn weniger durch eine zentrale Planung, als vielmehr parallel verlaufende staat-liche, private und informelle Tendenzen, die verschiede-ne neue Subzentren oder Parallelstädte entstehen las-sen, geprägt.Ein Beispiel dafür ist die im Rahmen dieser Arbeit besprochene Siedlung Alphaville, die durch einen pri-vaten Bauträger seit Anfang der siebziger Jahre im Großraum São Paulo entstanden ist.Von besonderem Interesse bei der Analyse sind zum einen der Entstehungsprozess und Charakter Alphavilles, zum anderen das Verhältnis von Neugründung und Mutterstadt.Fragen sind dabei, ob Alphaville ein autonomes Zentrum ist oder es sich in das Netzwerk der Metropole fügt. Und welches neue Bild der Stadt entsteht.Im folgenden werden zuerst Mutter- und neue Stadt beschrieben, kurz auf die angewandten Planungsmethoden eingegangen, der historische und besonders der soziale Kontext beleuchtet, danach die Auswirkungen der Neugründung besprochen, abschließend ein Fazit gezogen.

    Einleitung

  • 4AlphavilleStefan Meissner Stadtplanung im globalen Kontext SS 02 GLORA II : Parallelstädte im Süden

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    Formen

    Wirtschaftliche Krisen, die Globalisierung, veränderte Produktions- und Distributionsformen, der unkontrollierte Zuzug von Millionen von Menschen haben in den letzten Jahrzehnten das Stadtbild São Paulos entscheidend ver-ändert. ’Es entstanden neue Baugebiete, wo noch vor ein paar Jahren nichts war. Illegale Besetzungen haben zuge-nommen und die Stadtgrenzen verschoben’ 1, mit dem Ergebnis, dass heute nach Angaben der Stadtverwaltung mehr als die Hälfte der offiziellen Einwohner São Paulos auf illegal besetztem Grund leben, 26 Prozent der Wohnhäuser keinen Strom- und Abwasseranschluss haben.Diejenigen, die es sich leisten können, versuchen den ungelösten gesellschaftlichen Konflikten zu ent-fliehen. Sie beziehen neue Vorstädte und innerstäd-tische Appartmentkomplexe, die im sicheren Abstand errichtet wurden und von bewaffneten Milizen bewacht werden; privatisierte Bezirke mit eigener Polizei und Selbstverwaltung außerhalb der Einflussnahme staatli-cher Institutionen.Die eingeführten Sicherheitssysteme verwandeln die Stadt in ein Konglomerat von ummauerten Zellen. Gewalt und Angst bilden dominante architektonische Elemente und schaffen ein neues Bild von sozialem Ausschluss im urbanen Raum. Ummauerte Wohlstandsinseln grenzen unmittelbar an Favellas. ’Die Stadt hat ihre traditionelle räumliche Organisation kom-plett verloren. Die strengen sozialen Grenzen im Stadtbild sind zerfallen, Armut und Elend allgegenwärtig.Der Stadtplan von São Paulo sieht aus wie eine Steppdecke mit aus aufs Geratewohl zugeschnittenen Stoffresten.’ 2Weitere Veränderungen brachte der wirtschaftliche Wandel mit sich. Er definierte stadtnahe, ehemalige Industriegebiete um. Wo früher noch Fabriken standen, findet man heute Viertel mit Dienstleistungsunternehmen, Consultingfirmen, Banken, Versicherungen, Shoppingcenter oder Supermärkte. Die Bodenpreise sind um ein vielfaches gestiegen und zäh-len zum Beispiel im Gebiet des südlichen Autobahnrings Nacies Unidas mit ca. 400 € pro Quadratmeter zu den höchsten im Lande. Neue, riesige Industriegebiete ent-standen hingegen in der Peripherie entlang der aus- und einfallenden Autobahnen. Das wichtigste dieser Gebiete ist die im Südosten gelegene ABCD-Region (Santo André, São Bernardo, São Caetano, Diadema), welche mit ihren zahlreichen Firmen der Automobilindustrie die größte und dichteste Industrieregion Lateinamerikas ist. Problem der New-Economy-Zentren ist, dass sie sich langsam wegbewegen vom traditionellen Zentrum, u.a. auch der alten Einkaufs- und Handelsstrasse Avenida Paulista. ’Sie verlagert sich zum Beispiel hin zu einem erst kürzlich erschlossenen Gebiet neben dem Pinheiros-Fluss im Westen der Stadt, an der exklusiven Berrini-Straße, wo „exklusiv“ den Ausschluss jedweder Aktivität bedeutet, die nicht „Techno-“ als Vorsilbe hat.’ 3’Die sich schleichend ausbreitenden Ruinen des einst prächtigen und belebten Boulevards Avenida Paulista können hingegen symbolisch für die Stadt São Paulo

    São Paulo; Megapool op drift

    São Paulo - Verwaltungsgrenzen - Lageplan Alphaville

    1 Beiguelman, Gisele; Die Hauptstraße – Die Avenida Paulista als Spiegel der Entwicklung

    der Stadt; S.3

    2 Beiguelman, Gisele; Die Hauptstraße – Die Avenida Paulista als Spiegel der Entwicklung

    der Stadt; S.1

    3 Beiguelman, Gisele; Die Hauptstraße – Die Avenida Paulista als Spiegel der Entwicklung

    der Stadt; S.4

    Titelbild São Paulo; Dream City - Zur Zukunft der Stadträume

  • 6AlphavilleStefan Meissner Stadtplanung im globalen Kontext SS 02 GLORA II : Parallelstädte im Süden

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    betrachtet werden. Sie bedeuten mehr als lediglich verlassene Orte, sind die offenen Narben einer verlorenen Physiognomie. Und der Niedergang enthält keinerlei Hinweis auf Transformation. Ganz im Gegenteil – was hier vor-herrscht, ist die gleiche Abwesenheit, die in den alten Industriegebieten und im Stadtzentrum so bitter aufstößt. Die Orientierungen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind aufgehoben, in der Geste liegt Geschichtsdrainage, beständiger Übergang Richtung Nichts.’4 Eine der peripher (25 km vom Stadtzentrum) gelegenen Wohlstandsinseln im städtischen Gefüge São Paulos ist Alphaville. Anfang der 70er Jahre als Ansammlung reiner Wohnsiedlungen (gated communities) begonnen, ist es heute eine vollständige Stadt, eine der größten gated communities Lateinamerikas bestehend aus 24 sogenannten condominios fechados mit 32000 Bewohnern.Hinzu kommen Büro- und Dienstleistungsstandorte, mehrere Shopping Center, zahlreiche Privatschulen, zwei Privatuniversitäten und Freizeiteinrichtungen (Kinos, Sportanlagen) mit einer Tagbevölkerung von 130 000 Personen. Neustes Projekt ist ein 62.000 m2 Luxus- und Aparthotelkomplex mit angeschlossenem Business-Center. In Alphaville gibt mehr als 1400 Firmen im Dienstleistungs- und Informationssektor. Das Gelände ist weitläufig. Die funktionale Trennung innerhalb Alphavilles und die große Entfernung ins Zentrum

    São Paulo - Industriegebiete - Strukturwandel

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    von São Paulo machen das Auto unerlässlich. Leicht geschwungene, links und rechts begrünte Straßen ver-binden die einzelnen Viertel miteinander. Es sind saube-re, großzügige, jedoch auch tote Straßen.Die einzelnen Wohnparks sind von einer zweieinhalb Meter hohen Mauer mit Stacheldraht gefasst. Es gibt meist nur eine Einfahrt, deren freundliche Security nur mit der Einladung eines Bewohners überwunden werden kann. Innerhalb der Wohnparks setzen sich die leicht geschwungenen Straßen fort und führen zu einer der 500 bis 1000 Parzellen, die zwischen 500 und 900 qm groß sind. Einige von ihnen werden für Parks freigehal-ten. Manchmal gibt es Gemeinschaftseinrichtungen, wie Sportplatz und Multifunktionshalle. Ein großes Problem

    São Paulo - Infrastruktur - Bahn, Metro, Straßen

    Luftbild Alphaville; Die gute und die böse Stadt

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    für vor allem die Jugendlichen des Viertels ist der begrenzte oder oft das Fehlen möglicher Treffpunkte. Es gibt nicht einmal Parkplätze entlang der Straßen, da alle Häuser Garagen und sowieso nur Berechtigte Zugang haben.Gebaut werden dürfen nur Einfamilienhäuser, deren Architekturen je nach Individuum vielfältig sind. Jedoch müssen sie sich strengen Bauvorschriften in Bezug auf die Geschossigkeit (max. zwei Geschosse), vorgegebener Baulinie und Bebauungsgrad (GFZ 1,0) unterwerfen. Zu den Annehmlichkeiten Alphavilles zählen eigenes Kabelfernsehen, eigene Internetzeitungen, eine Rund-um-die-Uhr Betreuung durch die vielfältigen Serviceeinrichtungen der Wohnviertel. 64 Prozent der Haushalte über einen Internetanschluss (Durchschnitt in Deutschland 25 Prozent). Ein Wachmann pro 25 Einwohner sorgt für Sicherheit in Alphaville, verglichen mit im Schnitt einem Polizisten pro 1900 Einwohner in São Paulo.Sind die Wohnparks sehr homogen in Layout und Gestalt, so wurde versucht den einzelnen Business- und Shoppingparks einen unverwechselbareren Charakter zu geben. Formen reichen von einem Hochhausviertel, über hergebrachte Gewerbegebiete bis hin zu dem Versuch im Geschäftsviertel Centro de Apoio in den Proportionen einer mediterranen Kleinstadt das Flair einer solcher nachzuempfinden. Gibt es dort nur kleine Läden und

    Alphaville - Ausschnitt

    Alphaville - Struktur der Stadtteile

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    Luftbild Alphaville - Wohnviertel und Businesscenter; Die gute und die böse Stadt

    4 Beiguelman, Gisele; Die Hauptstraße – Die Avenida Paulista als Spiegel der Entwicklung

    der Stadt; S.4

    5 Fiedler, Johannes; Die gute und die böse Stadt; S.86

    6 Fiedler, Johannes; Die gute und die böse Stadt; S.89

    Firmen, in einem Karree mit engen Gassen und schma-len Parzellen, die maximal dreigeschossig bebaut wer-den durfte, so wurden die für mediterrane Stadträume wichtigen Bewohner vergessen, denn wohnen darf man in einem Geschäftsviertel natürlich nicht. Die gebauten Häuser sind in ihrem Erscheinungsbild zeit-genössisch und völlig unterschiedlich – postmoderne Fassadenarchitektur - Schwarzwaldfachwerkhäuser rei-hen sich neben portugiesischer Fliese.5Eines der größten Probleme ist die Bewältigung des Verkehrs, weniger innerhalb Alphavilles, als vielmehr zwischen Alphaville und São Paulo, denn war Alphaville vor dreißig Jahren noch als peripher gelegenes, reines Hochsicherheitswohnviertel geplant, bietet es heute auch 100 000 Arbeitsplätze für sein Umland.Das Nadelöhr bildet eine einzige Zufahrt von der Autobahn, die aufgrund des Sicherheitsaspektes und früherer Planungen als optimal und ausreichend betrach-tet wird.In den letzten Jahren hat sich die Situation sogar noch insofern verschlechtert, als das eine neue private Autobahn parallel zur überlasteten, staatlichen Autobahn, dem Castello Branco, gebaut und die alte Abfahrt geschlossen wurde, so dass man nur noch gegen die Gebühr von €2 für elf Kilometer in das Zentrum von São Paulo gelangt. Aus Protest gegen diese Massnahme nehmen die Menschen einen Umweg von sieben Kilometern in Kauf, indem sie bis zur näch-sten stadtauswärts gelegenen, staatlichen Rampe fah-

    Alphaville (Ausschnitt) - Struktur

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    ren und die Verkehrssituation damit verschlimmern. Um zumindestens über die momentane Verkehrssituation zu informieren, sendet das Lokalfernsehen AlphaTV den ganzen Tag Aufnahmen der Autobahn.6Alternative Transportmittel gibt es nicht und sind auch nicht gewollt, denn die Verkehrsplanung Alphavilles ist stark durch den Sicherheitsgedanken geprägt, dass heißt einige wenige Zufahrten lassen sich einfacher kon-trollieren, denn eine offen mit ihrem Umfeld verflochtene Stadt.So liegt das Areal abseits der als gefährlich geltenden Vorortzugstrecken und außerhalb der Reichweite des supermodernen, sauberen, überwachten Vorzeigeprojektes São-Paulo-Metro.

    Gated Community - Parzellierung; Die gute und die böse Stadt

    Architekturen; Megapool op drift

    Tägliche Stauinformation über den Autobahnring São Paulos (mit der Abfahrt Richting Alphaville) auf der Serviceseite www.alphasite.com

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    Kontext

    Für das Verständnis des Phänomens Alphaville ist es notwendig einen Blick auf den soziodemographischen Kontext des Projektes zu werfen.Brasilien hat mit mehr als 174 Millionen (2002) mehr als doppelt so viele Einwohner, wie die Bundesrepublik Deutschland. Diese verteilen sich ungleichmäßig auf ein Territorium, das 24 mal so groß ist wie das der BRD, denn während große Teile des Landes unbewohnt sind (Regenwald), konzentriert sich die Bevölkerung in den Millionenstädten an der Ostküste. Im Jahr 2000 betrug das Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt Brasiliens 6500 US$, verglichen mit 23400 US$ in Deutschland. Doch weniger das geringere BSP ist das prägnante Problem, sondern vielmehr die Verteilung dessen. Die Struktur der Bevölkerung zerfällt in einen kleinen sehr reichen Teil und einen großen armen (Die ärmsten zehn Prozent erwirtschaften ein Prozent des BSP, die zehn reichsten 47,5 Prozent). Aufgrund dieser Verteilung müssen bereits Kinder zur Ernährung von Familien beitragen oder sind, obwohl minderjährig, völlig auf sich allein gestellt. 22 Prozent der Menschen leben unter der nationalen Armutsgrenze. Die Analphabetenquote beträgt 15 Prozent. Die extreme Armut großer Bevölkerungsteile führt zu einer ausgeprägten Beschaffungskriminalität und zur Radikalisierung der eingesetzten Mittel. Regierung und Begüterte schlagen mit Hilfe der ‚Policia Militar’ oder privater Todesschwadrone zurück. Das Profil der potentielle Straftäter, gegen die regelmäßig vorgegangen wird, ist 17 Jahre alt, schwarz, Favellabewohner. Konsequenz dieses Armuts- und Sicherheitsproblems ist, dass laut einem UN-Report ‚es in keinem Land der Welt, das sich nicht im Kriegszustand befindet, mehr Todesfälle durch Gewalteinwirkung gibt, als in Brasilien. 1992 erschoss die ‚Policia Militar’ allein in São Paulo 1000 Menschen.In São Paulo, der im Südosten des Landes, 60km von der Küste gelegen, bevölkerungsreichsten Stadt Südamerikas, deren metropolitane Region 19 Millionen Einwohner und 7900 km2 umfasst, potenzieren sich nicht nur Größe, Dichte und wirtschaftliche Kraft des Landes, sondern auch seine Probleme. Ca. drei Millionen der Bewohner leben in Slums, eine Million in Favelas. Alle fünf Minuten geschiet ein Gewaltverbrechen, alle 70 Minuten ein Mord. Die Stadt ist Kommerz- und Finanzzentrum Lateinamerikas, das außerdem 50 Prozent der Industrieproduktion Brasiliens erwirtschaftet (Wichtig sind hierbei Maschinenbau, Automobil-, Textil- sowie Chemieindustrie, aber auch immer noch der traditionelle Kaffeeanbau.) und mit drei Flughäfen, zahlreichen Bus- und Zugverbindung, dem größten Hafens des Landes in Santos auch einer der Infrastrukturknotenpunkte des Kontinentes.Das Bild der Stadt ist seit seiner so genannten zweiten Gründung im Rahmen der Industriellen Revolution gekenn-zeichnet durch Aspekte, die zuvor bedeutungslos waren - Bewegung, Geschwindigkeit und Agglomeration.7Jedoch sind wirtschaftliche und bauliche Entwicklungen auf bestimmte Stadtteile, Straßen und Blöcke begrenzt. Neue boomenden Vierteln grenzen an Ruinen und Slums. Die ständigen Veränderungen und extreme Dichten

    Brasilien

    7 Beiguelman, Gisele; Die Hauptstraße – Die Avenida Paulista als Spiegel der Entwicklung

    der Stadt; S.2

    einiger Stadtteile überfordern das Straßen- und das öffentliche Nahverkehrssystem. Die fortschreitende räumliche und soziale Segregation, die Konzentration mit den daraus resultierenden Verkehrsinfarkt und Luftverschmutzung bedrohen die Integrität der Stadt. Alphaville ist in diesem Kontext einer der ummauerten Horte der Besserverdienen, welche sich, so lang sie nicht auch dort arbeiten, nicht dem Verkehrschaos, wohl aber den Slums entziehen können. 45 Prozent der Haushalte Alphavilles haben den 20 bis 80fachen Mindestlohn Brasiliens zur Verfügung, der bei US$ 100 liegt, 35 Prozent sogar mehr. 60 Prozent der Bewohner besitzen einen Hochschulabschluss.

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    Planungen

    Eine gezielte und geplante Stadtentwicklung in São Paulo ist nicht vorhanden. Es gibt nicht einmal Masterplan. Anfang der 90er Jahre gab es einen Versuch zur Entwicklung eines solchen, der das Wachstum steuern und kontrollieren sollte (‚Wachstum nur da, wo es die Infrastruktur verträgt!’).Jedoch wurde er nach dem Wechsel des Oberbürgermeisters wieder verworfen, die Stadtentwicklung wieder den Gesetzen des Marktes, den Baufirmen überlassen. Öffentliche Interessen, wie z.B. Flächennutzungspläne oder konkrete Bauvorschriften treten somit hinter die Interessen der Unternehmen zurück.Die Firma Constructa Albuquerque Takaoka SA hatte so gesehen eine Vorreiterrolle, als sie Anfang der 70er Jahre von den zwei Gemeinde, Barueri und Santana de Parnaiba, im Umland von São Paulo 1650 Hektar Land kaufte und 1974 mit der Errichtung von 15 abgeschlossene Wohngebieten (residenciais) begann. Ausschlaggebend waren damals unter anderem der guter Anschluss an die vorhandene Verkehrsinfrastruktur und die günstigen Bodenpreise.Das Unternehmen plante und errichtete die komplette Infrastruktur (Straßen, Abwasser, Wasser, Strom, Telefon), legte das Layout der Siedlungen, die Parzellengröße und Bebauungsdichte fest. Teile der Infrastruktur, zum Beispiel Straßen, gingen nach ein paar Jahren in den Besitz des Staates über, der seit dem für ihren Unterhalt aufkommen muss.Da die Siedlungen selbst verwaltet sind, half das Unternehmen anfänglich bei der Einrichtung der neuen Verwaltungs- und Managementbüros. Auf der einen Seite spiegelt diese eigenverantwortliche Selbstverwaltung die soziale Segregation wider, auf der anderen stärkt sie das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner. In Alphaville gibt es eine eigene Polizei und teilweise andere Gesetze, denn zum Beispiel dürfen Minderjährige Auto fahren, obwohl dies den Brasilianischen Gesetzen widerspricht. Die Eigentümergemeinschaft regelt bauliche Entwicklungen im Wohngebiet und auch in den Geschäftszentren, dabei werden Begriffe wie Frequenz und Öffentlichkeit auf-grund des Sicherheitsbedürfnisses eher werden negativ konnotiert. Mit dem Erwerb eines Grundstücks oder Hauses in Alphaville unterwirft sich der Käufer den Regeln der Gemeinschaft, dem Sicherheitsapparat, den Vorschriften zur Gestaltung und Sauberkeit der Gebäude, die in ihrer Strenge kein Staat sich wagen würde zu erlassen.

    São Paulo; Megapool op drift

    Alphaville - erste Planungen; Megapool op drift

    Alphaville - Eingang zur Gated Community; Megapool op drift

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    Auswirkungen

    Da die finanziell Privilegierten aus Angst vor Kriminalität in eine ‚private Idylle’ in antiurbanen gated communities fliehen, sich der Stadt entziehen, ihr Leben auf sichere städtische Inseln, wie Business-Park, Einkaufspark, Wohnpark konzentrieren, wird die Metropole São Paulo mehr und mehr räumlich und sozial fragmentiert.Im Falle Alphavilles profitiert das Umland im Moment zumindest noch in sofern, als die Bewohner 70% der Steuern der Gemeinden Barueri und Santana de Parnaibas zahlen und ihnen zusätzlich gelegentlich Geschenke machen. Jedoch gibt es erste Ideen aus Alphaville eine unabhängige Gemeinde zu machen und damit das Geld nur für eigene Projekte auszugeben. Auch die geschaffenen Arbeitsplätze richten sich nur an einen bestimmten, gebildeten Teil der Bevölkerung.Es boomt denn der Stadtrand ohne jedoch eine grundlegende Verbesserung für das ganze Umland zu erreichen, da die Siedlungen ummauert und in ihrer Funktionsweise autark sind. Es wird das Land nur besetzt ohne etwas zu verändern.Das Prestige und die Sicherheit Alphavilles ist für ansiedlungswillige Firmen attraktiv. Jedoch ist genau der Erfolg auch eine Gefahr für die Entwicklung Alphavilles, denn mit die Größe des Ortes gehen Übersichtlichkeit und Kontrolle verloren. Große Firmen und die Universitäten, die sich zwischen den Idyllen ansiedeln, ziehen viele Autos und Menschen von außerhalb an.Ein Problem sind auch die strengen Regeln der Gemeinschaft. Zum einen fehlen öffentliche Räume in den Wohnsiedlungen als Treffpunkt für Jugendlichen, bei denen sich die Langeweile im Paradies ausbreitet. Die Folge sind vermehrte Zerstörungen und Diebstähle. Zum anderen lassen strikte Auflagen und Bebauungsvorschriften keine Entwicklung, keine Steigerung der Immobilienwerte, zu.Es ist durchaus verrückt, dass sich Alphaville, ein erfolg-reiches Produkt des Immobilienmarktes, versucht sich dessen zu entziehen. Besonders interessant wird die zukünftige Entwicklung oder Nichtentwicklung unter der Prämisse, das die Bebauung des Anfang der 70er Jahre gekauften Landes seit 2000 als abgeschlossen gilt.

    Alphaville - Mauern; Die gute und die böse Stadt

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    Gated communities sind aufgrund der sozialen Probleme der Lateinamerikanischen Megastädte, so auch São Paulos, ein Erfolgsprodukt der Immobilienwirtschaft, welches innenstädtische, hauptsächlich jedoch randstädtische Bereiche besetzt. Dieses Produkt umfasst im Falle Alphavilles nicht nur die reine Wohnfunktion, sondern alle Funktionen des Lebens, dass heißt Arbeiten im Businesspark, Wohnen im Wohnpark, Einkaufen im Shoppingcenter, Erholen im Freizeitpark oder Sportcenter. Als reines Wohngebiet begonnen ist in fast 30 Jahren nach den Gesetzen des Marktes eine vollständige Stadt entstanden, welche nur geringe Bindungen ihrem Umfeld hat. Sie profitiert von der allgemeinen Attraktivität des Wirtschaftsstandortes São Paulo, hat aber mit ihren sauberen und sicheren Bezirken zusätzlich entscheidende, eigene Qualitäten. Alphaville offeriert seinem Umland mehr als dreimal so viele Arbeitsplätze als es selbst Einwohner hat.Aufgrund dieses Punktes, des Entstehungsprozesses und der Tatsache, das ein mehr oder weniger autarkes Gebilde geschaffen wurde, kann man Alphaville im Sinne Joel Garreaus als Edge City bezeichnen, welche aufgrund ihrer besonderen Sicherheitsaspekte zur weiteren, stärkeren sozialen und räumlichen Segregation São Paulos beiträgt.Interessant wird sein, zu beobachten, wie und mit wieviel Erfolg sich die selbst verwaltende Gemeinschaft in Zukunft um die Qualitätswahrung ihrer ’fertigen’ Stadt bemühen wird. Wie sie sich auch ihres Erzeugers, dem Immobilienmarkt, erwehren werden wird.

    Fazit

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    1. Coy, Martin; Pöhler, Martin; Wohnghettos der Privilegierten; 2001; Internet; Matices No. 29

    2. z; 2001; Wien

    3. Van Dijk, Hans; Meurs, Paul; Megapool op drift; 1998; Rotterdam

    4. Beiguelman, Gisele; Die Hauptstraße – Die Avenida Paulista als Spiegel der Entwicklung der Stadt; 2000; Wien

    5. Stemshorn, Max; Hils, Claudio; Dream City – Zur Zukunft der Stadt, 2001, Ostfildern

    6. www.brasilien.de

    7. www.zonalatina.com/zldata124.htm

    8. http://encarta.msn.com

    9. www.economist.com (Citygiudes)

    10. www.cia.gov (The World Fact Book)

    11. www.worldbank.org (Brasilien/ Deuschland)

    12. www.ila-bonn.de/lateinamerika/home.htm (Informationsstelle Lateinamerika)

    13. www.alphasite.com.br

    14. www.alphaville.com.br

    15. www.valentinacaran.com.br (Immobilienmakler)

    16. www.alphahouse.com.br (Immobilienmakler)

    Literatur