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Als Das Wort Ich Verschwand

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lso befand sich mein Zimmer in einem unzumutbarem Zu-stand, man konnte nicht mal auf den Boden treten, ohne da-

nach sich die Füße waschen zu müssen. Da ich eben selten Besuch bekommen, hatte ich den Entschluss

gefasst; ein für alle Male dem ganzen Dreck den Prozess zu machen. Wie ich den Teppich reinigte, fiel mir fürderhin auf und ich weiß

nicht, weshalb ich das nicht vorher schon bemerkt hatte – dass noch zu der Unordnung und dem Schmutz, in jeder Ecke des Zimmers bemalte und beklebte Leinwände lagen, die im Schutze der Nacht fertig geworden waren.

Ich holte eine Leiter aus der Küche meiner Wohnung, ging durch den langen L-Förmigen Flur, suchte in der Unordnung meines Zimmers einige Nägel zusammen, hing ein Bild nach dem anderen auf und am Ende gab es an den Wänden meines Zimmers keine freie Stelle mehr.

Vom Boden bis zur Decken hingen Leinwände, die ich heimlich in einer nächtlichen Phase von Raserei, Affekt und Manie gemalt und geklebt hatte.

Wenn ich eines der Bilder, das kurz unter der Decke aufgehan-gen war, betrachten wollte, musste ich die Leiter benutzen und an-dersherum: wenn ich eines sehen wollte, dass direkt über der Fuß-bodenleiste angebracht war, musste ich mich dazu hinlegen.

s wurde langsam Abend und ich begann, wie ich es gewohnt war, den Dreck unter den Teppich zu kehren – irgendwie wür-

s war Sonntag, Herbst und wohlig warm für einen Sonn-tag im September. Ich befand mich in meinem Zimmer und musste etwas Ordnung schaffen, denn am Abend würde ich

Besuch bekommen. Ich bekomme nur sehr selten Besuch und meist ist es dann der

Postbote oder ein Nachbar, der sich Mehl, Zucker und Eier borgen möchte, weil ihm eingefallen ist – er möchte am Sonntag Kuchen backen.

Heute Abend, wird mich jemand besuchen kommen und zwar wegen mir. Wie ich in meinem Zimmer saß und von drinnen nach draußen schaute und mich wieder in meinem Zimmer umsah, fiel mir auf – das Zimmer war ein einziger Saustall.

Auf dem Boden lagen umgekippte Farbeimer, die in Pfützen aus Restfarbe schwammen, dazu lagen vereinzelt im Raum: offene Metalldosen, aus denen jegliche Sorten von Farbpigmenten heraus krochen und überall waren Stofffetzen und Keilrahmenleisten, die übrig geblieben waren, als ich in der Nacht Leinwände zusammen baute. Sonst waren auf dem Boden verstreut, die verschiedensten Malutensilien, wie Pinsel, Bleistifte, Ölkreide, die mannigfaltigsten Arten von Papieren, Pappe, Spachtel, Paletten, Nadeln, Verbands-zeugs, Handschuhe. Alles insgesamt eingesaut und bedeckt mit Far-be, Gips, Spachtelmasse und angegriffen von Säure.

Als wäre das nicht genug, stank es bestialisch nach der Säure, nicht unbedingt nach der Säure an sich, doch was aus ihr entsteht trifft sie auf die Farbe. Das ist nämlich ein sehr ähnlicher Geruch, wie der von fauligen Eiern, die während des Kochens hinter den Herd gefallen sind und dort vergessen worden und dank ihres gro-tesken Geruches an sich erinnern.

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größten Teil meines Lebens in diesem Zimmer… Ich war sehnlichst irritiert, wie mir das Eigene, so fremd werden konnte. Dabei hat-te ich das Zimmer doch einrichten wollen, wie das innere meines Kopfes ausgestattet ist.

Ein Gefühl von Erleichterung und Ruhe kam auf, als sich das Gefühl von Fremde verflüchtigte.

Warum ich aber auf den Tisch gestiegen bin, weiß ich bis heute nicht. Es ist hierbei zu sagen, dass es sich bei dem Tisch nicht um einen gewöhnlichen Tisch handelt. Denn dieser Tisch ist mein Ar-beitstisch, auf dem sich die nützlichsten Dinge tumeln.

Er ist rechteckig und ich sitze immer an einem Ende des Tisches, denn auf der andere Seite ist eine der vier Zimmerwände, an welche ich ein Bild gehangen habe, auf dem ich selbst zu sehen bin und aus meinem Gesicht quillt weiße Farbe, auf die ich Salzsäure gekippt habe, daher ist mein Gesicht ein zerfressendes Gesicht.

Zu meiner rechten habe ich auf dem Tisch ein Schraubstock montiert, dass die Bücher und Hefte, die ich nebenher heimlich Nachts schreibe und binde – schön gleichmäßig zusammen kleben. Daneben ist eine Hebelmaschine zum beschneiden von überste-henden Seiten, wenn das nicht reicht liegt neben dem Schraubstock auf einer Schneidematte ein sehr scharfes Skalpell. Überdies lie-gen auf dem Tisch in zwei alten Austernschalen noch meine Pfei-fen, daneben der Tabak und Streichhölzer, denn ich schätze es sehr, zwischen zwei Arbeitsphase, mich in meinem Holzstuhl zurück zu lehnen und eine Pfeife zu schmauchen. Dazu zähle ich noch einige leere Flaschen Wein und ebenso eine Dose Buchbinderleim, eine Rolle Buchbinderzwirn, Nähnadeln und jede Menge anderer höchst nützlicher Dinge und dazwischen irgendwo: ich, wie ich auf dem Tisch stehe.

de er schon verschwinden. Ich verließ das Zimmer und ging durch den langen Flur. Es

verwundert mich ein jedes Mal, wie hoch seine Decken doch sind und wie viele Leinwände man wohl an die Flurwänden anbringen könnte. Es beruhigte mich auch, den ich brauchte das Anfertigen von Leinwände, wie die Liebe zum leben.

In der Küche angekommen, grübelte ich darüber nach, was ich kochen sollte und sprach leise vor mich hin: »es wird eine satte Sup-pe aus festen Tomaten geben, die ich noch passieren muss. Dazu wird es Brot geben, dessen Mehl ich noch malen und welches ich noch backen muss. Danach denke ich an ein Stück feines Lamm-fleisch, dass ich in grobes Meersalz einlege und dann im Ofen, für eine Stunde, backe. Zum Abschluss will ich ein schönes Sorbet aus Himbeeren, Blaubeeren, Schlehen und anderen Beeren zube-reiten…«, als ich plötzlich, aus dem Zimmer ein gurgelndes und gluckerndes Geräusch hörte, ganz so als würde es einen riesigen Badewannenabfluss in meinem Zimmer geben.

ch stürmte, so schnell ich nur konnte in mein Zimmer, die gluckernden und glucksenden Geräusche, wie ich sie noch ge-

rade eben gehört hatte, als ich die Tomaten schnitt – waren ver-stummt.

Es war still. Nur leise vernahm ich das flüchtige Rauschen einer entfernten Straße, das beiläufige Röhren von Flugzeugen, welche über die Stadt flogen und mein Zimmer, wie es nur von Draußen her von einer Straßenlaterne erhellt wurde – es kam mir sonderbar fremd vor und noch merkwürdiger war das Gefühl, dass mir etwas so bekanntes und vertrautes, wie mein Zimmer und ich verlebe den

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wo der ganze Dreck aus meinem Zimmer ab geblieben ist und wie ich ihn Jahrelang unter den Teppich kehren konnte, ohne das dieser sich unter dem Druck des Dreckes wölbte und auftürmte.

Ich flog Monatelang, so kam mir es jedenfalls vor, denn eine Uhr hatte ich nicht dabei. Im Loch war es auch sehr dunkel und düster.

Ich war sonst auch sehr orientierungslos, was ich allerdings be-ständig sah, war ein Satz, den Jemand an die Lochwände mit wei-ßer Kreide geschrieben hatte und der Satz, den es dort zu lesen gab lautete:

Erst wehrte und sperrte ich mich gegen diesen Satz, ich wollte ihn einfach nicht lesen und nahm nur Fragmente von seiner Ge-stalt auf – ein Wort nach dem anderen, ohne in meinem Kopf einen Zusammenhang entstehen zu lassen. Dann aber, als ich mich ihm nicht mehr erwehren konnte, las, flüsterte, sprach und schließlich rief ich ihn laut aus. Und wie ich Monatelang in das Loch gefallen war, so hallte meine Stimme hundertfach durch das Loch.

Was ich sehr absonderlich fand, denn wie ich in die Tiefe fiel und wann immer, ich das Echo meiner Stimme hörte, hallte es nicht: »Ich will einmal dieses Leben verlassen und ich will sehen, ob ich dann noch einmal wieder kommen möchte«, sondern im Ton meiner Stimme, rief es: »Er will einmal dieses Leben ver-lassen und er will sehen, ob er dann noch einmal wieder kommen möchte.«

rgendwann verstummte sein Echo und er lag auf dem Tep-pich seines Zimmers, das noch immer ein Saustall war. Es läu-

tete an der Tür. Er stand auf. Löschte die Glut seiner Pfeife. Lief durch den langen Flur. Öffnete die weiß gestrichene Holztür und

ls das gurgelnde und glucksende Geräusch wieder ertönte, beugte ich mich einige Zentimeter vorsichtig über die Tisch-

kante hinaus, als fürchtete ich mich davor – herunter zu fallen und ich blickte auf meinen Orientteppich, als wolle er mir ein Geheim-nis verraten, den irgendetwas sagte mir, die Quelle des Geräusches hatte irgendetwas mit dem besagten Stück textilen Interior zu schaffen.

Wie ich mich weiter über den Tisch beugte, dabei die Intensität des Geräusches noch drastisch zu nahm, meine Pupillen sich weite-ten, das Gluckern und Glucksen beinahe so laut wurde, dass ich mir die Ohren zu halten musste, da verschwand der Teppich, der sich gerade eben noch vor dem Tisch befand, in einem Ruck und auf einen Schlag plötzlich und ganz unverhofft. Mir sprangen gerade zu die Augen aus dem Kopf. Und in der Mitte meines Zimmers, klaffte der Schlund eines enormen Loches, als wäre er immer dort gewesen und rülpsend verdaute das Loch den Teppich, dass es aufstoßend einige Fetzen des Teppichs ausspie, wie ein Vulkan auf Island, der Luft zu holen bereit war.

as mich ritt, als ich beschloss von meinem Tisch, auf dem ich noch immer stand, in das Loch zu springen – das kann ich

beim besten Wille, auch Heute noch immer nicht sagen und beant-worten.

Ich flog Minutenlang, Stundenlange, ja es kam mir vor, als flöge ich Tagelang in eine unbekannt Tiefe. Es wurde mir nun auch klar,

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m nächsten Morgen erwachte er etwas früher als sie und ging ein wenig Frühstück einkaufen, als er wiederkam, schlief

sie noch und stillschweigend und unbemerkt, ohne dass sie davon etwas bemerkte, schlug er ein paar Eier auf, briet sie zusammen mit gekochten Tomaten, würzigen Kräutern und legte dazu, auf ein Ta-blett, das aus Holz war, etwas von dem selbstgebackenen Brot.

Wie er sich in das Zimmer schlich und er auf dem Orientteppich stand, erinnerte er sich jäh an das Loch, in welches er am vergangen Abend gesprungen war. Er stellte das Tablett auf seinen Tisch, hob den Teppich an – doch das Loch war verschwunden, statt seiner fand er ein kleines Heft und er konnte sich nicht entsinnen, dieses Heft weder geschrieben, noch gebunden zu haben.

ls er es neugierig aufschlug, erwachte die Wärme in seinem Bett, als wäre das Aufschlagen der ersten Seite des Heftes, hef-

tig und stürmisch wie der Schlag eines Schwanenflügels gewesen. Sie fragte ihn verschlafen, was er dort lese und er nahm das Ta-

blett mit in das Bett. Setzte sich zu ihr. Sie kroch derweil in seinen Schoß und schaute von unten auf ihn erwartungsvoll herauf. Er legte seine linke Hand auf ihren Kopf, streichelte das blonde Haar und mit der rechten hielt er das Heft. Schlug es auf und begann zu lesen: »es war Sonntag, Herbst und wohlig warm für einen Sonntag im September. Ich befand mich in meinem Zimmer und musste etwas Ordnung schaffen,…«

Irritiert legte er das Heft neben das Bett und beide schauten sie sich an, lachten herzlich, über das ihnen unbekannte Wort und wie

vor ihm stand eine wundervolle Frau. Sie hatte blondes und langes Haar, dass auf einen dunklen und

blauen Mantel fiel, sehr helle Haut und rot bemalte Lippen, ihre Au-gen hatten eine schmale und längliche Form, waren aber groß ge-nug, um als große Augen zu gelten unter dem dunkel blauen Mantel, trug sie ein sagenhaft und wahrhaft schönes und schwarzes Kleid.

Er küsste, zur Begrüßung, ihre Wangen und beide gingen sie in die Küche, wo auf dem Küchentisch, bereits die dampfenden Sup-pe sehnsüchtig auf sie wartete, im Ofen das Lamm in Salzkruste buk und im Kühlschrank ein herrliches Sorbet aus Waldbeeren, Schlehen und anderen Beerensorten, wie die Suppe darauf warte-te, verspeist zu werden. Dazu tranken sie etwas und zwar nicht zu viel Wein, den niemand oder irgendwer eingekauft hatte und beide unterhielten sie sich sehr angeregt. Wie er es gewohnt war, spran-gen sie von Diskussion und Thema zu Diskussion und Thema, wie Wasserläufer auf einem Teich.

Sie kamen vom Größten ins Kleinste, sprachen davon: als die Schalen einer Matroschka, die eine nach der anderen abzulegen und wieder anzulegen sei. Sie reduzierten das Leben und bereicher-ten es wieder. Flüchtig berührten sich ihre Finger. Ausufernd und bildhaft suchte er ihr zu erklären, wie seine Wirklichkeit aufgebaut war und ohne sich zu einigen, verstanden sie einander. Die Schab-lone und den Handschuh, den er die zweite Ordnung nannte, hatte er gänzlich vergessen.

Es erfüllte ihn insgesamt mit einer großen Heiterkeit, dass es ei-nen Menschen auf der Welt gab, der so war, wie er es war.

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er weiter lies, stellten sie fest, der Schreiber des Heftes, hatte dieses unbekannte Wort derartig oft verwendet, dass ihnen der Text ganz unverständlich wurde und es ihnen dämmerte und dräute – sie würden die Geschichte nicht verstehen, wenn sie dieses Wort nicht verstünden.

Er stand auf, lief hinüber zu seinem Sekretär. Öffnete die beiden Glastüren, des benannten Möbelstückes und entnahm diesem ein Lexikon.

Daraufhin schlenderte er wieder hinüber zum Bett, setzte sich auf seinen Platz und wohlig wärmend kuschelte sie sich wieder in seiner Umarmung ein.

Er nahm das Lexikon, das ein schweres und großes Lexikon war, blätterte bis zum Buchstaben I, aber beide konnten sie keinen Ein-trag finden, der das Wort erklärt.