172
LENI BEHRENDT Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

LENI BEHRENDT

Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Page 2: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Es ist einem Witwer von fünfzig Jahren gewiß nicht zu verdenken, wenn er noch einmal heiraten will. Zumal dann nicht, wenn dieser über ein gutes Aussehen verfügt, gesund und vital ist und mit keinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wie dies alles bei dem Besitzer der großen Spirituosenfabrik und Weinkellereien der Fall ist. Und doch gab es einige Menschen, die Egon Grodes eine Heirat verdachten. In erster Linie seine Tochter Alix, was den Mann mit tiefem Groll erfüllte, dem er auch heute wieder freien Lauf ließ, da es besonders hart auf hart ging, sozusagen als Endspurt. »Zum Kuckuck, ich habe es doch wirklich nicht nötig, mir von so einem Gör Vorschriften machen zu lassen!« brauste der tiefgereizte Mann auf. »Entweder läßt du von deiner aufsässigen Haltung ab, oder ich werde dir beibringen, wie man sich seinem Vater gegenüber zu benehmen hat.« »Bitte«, kam die Antwort fast gelangweilt von den Lippen des jungen, rassigen Menschenkindes. »Da bin ich tatsächlich neugierig, wie du das anstellen wirst.« »Alix, noch eine so schnippische Antwort – und du hast die erste Ohrfeige von Vaterhand weg!« schrie der Mann jetzt hochrot vor Zorn. »Und wenn die eine nicht hilft, dann ohrfeige ich dich so lange, bis ich dich zur Raison gebracht habe, verstanden?!« »Gewiß«, versetzte sie mit aufreizender Ruhe. »Verstanden habe ich schon, aber…« »Kein Aber!« schnitt er ihr herrisch das Wort ab. »Du wirst dich bei dem heutigen Besuch meiner zukünftigen Frau so benehmen, wie es einem guterzogenen Mädchen zukommt. Ich möchte mich nicht deiner schämen müssen.« »Eben«, blitzte es nun gefährlich in den blauen Mädchenaugen auf. »Um dich dieser Blamage nicht auszusetzen, werde ich – falls dieses Fräulein von Tees

Page 3: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

mein Elternhaus durch eine Tür betreten sollte – durch die andere verschwinden.« »Was soll das heißen?« fragte er scharf dazwischen, und die Tochter fragte kühl dagegen: »Ist das denn so schwer zu verstehen, Vater?« Bei der Bezeichnung zuckte der Mann zusammen, denn er war noch nie von der Tochter so genannt worden. Immer war er der Paps für sie gewesen – und zwar ein guter, der an seinem einzigen Kind mit zärtlicher Liebe hing. »Und wie ich dich verstehe, meine liebe Alix«, lachte er auf, so ein Lachen, von Grimm und Schmerz gemischt. »Wage es ja nicht, dein Vaterhaus gegen meine Einwilligung zu verlassen. Ich hole dich zurück – und wenn ich da gleich Gewalt anwenden müßte!« »Du scheinst zu vergessen, Vater, daß ich vor kurzem einundzwanzig Jahre und daher mündig geworden bin«, entgegnete sie achselzuckend – und der Mann hatte nun wirklich alle Beherrschung nötig, um nicht seine vorherige Drohung wahr zu machen und das Mädchen zu ohrfeigen, das wie die personifizierte Gelassenheit dasaß und ihm hartnäckigen Widerstand entgegensetzte. Um sich zu beruhigen, griff er nach einer Zigarette, steckte sie in Brand und sagte mit gemachter Gleichmütigkeit: »Also du willst Kampf, mein Kind – schön, den sollst du haben. Aber willst du mir nicht verraten, wovon du zu leben gedenkst, wenn du diese schützenden Mauern verläßt?« »Von dem Geld, das mir meine Mutter hinterließ – und über das ich seit dem Tage meiner Volljährigkeit frei verfügen darf«, kam prompt die unerwartete Antwort. »Es ist, soviel ich weiß, mündelsicher angelegt…« »Was hat das nun wieder zu bedeuten? Traust du mir etwa gar noch zu, daß ich mich an deinem Geld vergriffen hätte? Geh jetzt, damit ich mich nicht doch noch zu etwas hinreißen lasse…« Die Tür klappte hinter der grazilen Mädchengestalt zu –

Page 4: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

und der Mann fuhr sich in die Haare. Dann trat er an die Hausbar, goß zwei ausgewachsene Kognaks in die vor Grimm geengte Kehle und ließ sich dann wie erschöpft in den nächsten Sessel sinken. Dem allen sah seelenruhig die Dame zu, die schon während der Debatte zwischen Vater und Tochter dagewesen war und sich schweigend verhalten hatte. Auch jetzt sagte sie noch nichts, bis der tiefgereizte Bruder sie anschrie: »Sitz nicht da wie eine Pagode!« »Wie was?« fragte sie lachend. »Na hör mal, mit dem komischen Männchen habe ich doch nun wirklich keine Ähnlichkeit. Außerdem müßte ich dann unausgesetzt mit dem Kopf nicken, wobei sich meine Nackenmuskeln langsam ausleiern würden…« »Hör bloß auf!« herrschte er sie an. »Schäm dich, jetzt zu ulken. Die Situation ist doch wohl ernst genug, will ich meinen.« »Es liegt ja an dir, sie zu ändern«, kam es ungerührt zurück. »Gib deine törichten Heiratspläne auf – und es herrschen hier wieder Friede und Eintracht.« »Nein, ich gebe sie nicht auf«, beharrte er eigensinnig. »Jetzt gerade nicht! Als ob ich der erste Mann wäre, der sich mit fünfzig Jahren noch einmal verheiraten will. Anstatt mir mein Glück zu gönnen, versucht ihr, es mir mit lächerlichen Vorstellungen zu verleiden. Aber ich werde euch schon zeigen, wer hier der Herr im Hause ist.« »Bitte sehr, mein lieber Egon, jeder blamiert sich, so gut er kann.« »Grit, ich verbitte mir…« »Na ja, ist schon gut«, winkte sie beschwichtigend ab. »Narren und Verliebte soll man nicht reizen, sonst könnten sie am Ende zum Berserker werden. Man kann erst wieder vernünftig mit dir reden, wenn sich dein jetzt so heißes Herz abgekühlt hat.« »Wie meinst du das?« »Genauso, wie es gesagt ist.«

Page 5: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Daß ihr Frauen doch nicht von euren Spitzfindigkeiten lassen könnt«, brummte er verdrießlich. »Wann soll mein Herz sich wohl abkühlen, wie?« »Gleich nach den Flitterwochen – oder gar schon mittendrin. Und nun sieh mich nicht an, als ob du mich fressen woll test, sondern hör hübsch zu, was ich dir sagen werde, nämlich: Daß es kein gutes Ende nehmen kann, wenn ein Fünfzigjähriger eine Zweiundzwanzigjährige heiratet, Bruderherz. Nimmst du etwa an, daß das junge Mädchen dich liebt?« »Gewiß tut sie das.« »Gott segne deinen kindlichen Sinn«, versetzte sie achselzuckend. »Taumle also in dein vermeintliches Glück, aus dem es bald ein böses Erwachen für dich geben wird. Und mach deinen Geldbeutel nur recht weit auf, damit du dessen Inhalt möglichst schnell in das Danaidenfaß schütten kannst. Denn bedenke, deine Auserwählte bringt in die Ehe nicht nur ihre sehr anspruchsvolle Mutter mit, sondern auch ihren Bruder, der als Leichtfuß und Tagedieb bekannt ist. Da wirst du die Taler flott rollen lassen müssen, mein Lieber.« »Handelt es sich etwa um dein Geld?« fragte er bissig. »Gottlob, nein. Und zum Glück auch um das deiner Tochter nicht. Sonst würde das jetzt so reiche Mädchen wohl bald am Hungertuch nagen müssen . Egon, so geh doch endlich in dich«, sprach sie jetzt beschwörend auf ihn ein. »Daß du in deiner Vitalität noch einmal heiraten willst, wird dir kein Mensch verdenken. Aber suche dir als Gattin ein weibliches Wesen, das zu dir paßt und alle Qualitäten besitzt, um dich auch wirklich glücklich zu machen. Von der Weiblichkeit gibt es nämlich eine ganze Menge, das darfst du mir schon glauben.« »Ach so, da soll ich mir wohl eine Omama anheiraten«, höhnte er. »Gib dir keine Mühe, meine Wahl ist getroffen.« »Na – dann herzlichen Glückwunsch«, versetzte sie trocken. »Werde selig – aber ohne mich und Alix.« »Grit, auch du willst mich verlassen?« fragte er betroffen.

Page 6: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Was soll denn aus dem Haushalt werden?« »Das laß deine Sorge sein«, erwiderte sie kühl. »Ich sage jetzt dasselbe, was Alix vorhin tat: Sowie deine Auserwählte in einer Tür hier erscheint, entschwinde ich durch die andere.« »So schert euch denn zum Kuckuck!« brüllte er nun los. »Es wird auch ohne euch gehen!« Dann starrte er auf die Tür, die sich hinter seiner Schwester schloß, mit der ihn von jeher ein herzliches Verhältnis verbunden hatte und die seit dem Tod seiner Frau, die vor zwei Jahren starb, seinem Haus vorstand mit Geschick und Energie. Eine Verwünschung zwischen den Zähnen verbeißend, trat der tiefgekränkte Mann an die Hausbar, um seinen Verdruß in Alkohol zu ertränken. Frau Grit von Alkes stieg die Stufen der mit Teppichläufern belegten Treppe hinauf – ganz langsam und schwer, als trüge sie Blei an den Füßen. Sie hatte ja auch Kummer genug, daß sie das Haus, an dem sie hing, verlassen sollte. Und es war ein gutes Haus, vornehm und gediegen. Man legte Wert darauf, nur saubere und einwandfreie Elemente darin zu beherbergen. So hatten es bereits die Eltern Grits gehalten, dann ihre Schwägerin und zuletzt sie selbst. Die Firma Grodes hatte schon zu Zeiten des Großvaters einen guten Klang gehabt, und die beiden Nachfahren waren stets bemüht gewesen, diesen guten Klang nicht nur zu erhalten, sondern noch zu festigen. Hauptsächlich dem jetzigen Besitzer war das nicht schwergefallen, weil er von Hause aus schon recht vermögend, noch dazu eine reiche Frau geheiratet hatte. Also konnte er seinen Besitz immer noch erweitern. Auch das bisher wohl behagliche, doch schlichte Wohnhaus wurde durchgebaut und mit allem Komfort versehen. Es herrschte eine Harmonie darin, wie sie leider nicht oft zu finden ist. Und das lag hauptsächlich an der Hausherrin, die mit Güte und Liebe ihr mildes Zepter schwang, dem sich alle gern und willig beugten. Daher war es für Vater und Tochter ein harter Schlag, als die gütige Frau nach einer schweren Operation die Augen

Page 7: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

für immer schloß. Und da war es die verwitwete Grit von Alkes, die den beiden verstörten Menschen langsam über ihren Schmerz hinweghalf. Sie war aber auch ein prächtiger Mensch, die jetzt zweiundfünfzigjährige Grit! Klug, welterfahren, charmant und immer frohgemut und guter Dinge. Selbst durch ihre unglückliche Ehe mit einem namhaften Bildhauer hatte sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie ließ den leichtsinnigen Menschen gewähren, nur von dem in die Ehe gebrachten Geld gab sie nicht eine Mark her, was ihr sehr zugute kam, als der Gatte tödlich verunglückte. Zwar fand sie im Nachlaß keine Schulden vor, aber auch keine nennenswerte Rücklage. Allerdings brachte dann der Verkauf der Villa samt ihrer Einrichtung einen guten Batzen, den sie zu ihrer unangetasteten Mitgift tat und und nun sehr gut davon leben konnte. Sie mietete sich eine kleine, komfortable Wohnung in Berlin und richtete sich ihr Leben ganz nach Wunsch ein. Bis dann der Bruder sie nach dem Tod der Gattin in sein Haus rief, dem sie sich dann auch in ihrer charmanten Art annahm. Ihre Nichte Alix schloß sich fest an sie an, und auch der Bruder fühlte sich unter ihrem Zepter so wohl, daß er kein Verlangen danach trug, ein zweites Mal zu heiraten. Bis – ja bis er das Fräulein von Tees kennenlernte, da überkam es den sonst so Besonnenen wie ein Rausch. Da half kein Bitten und kein Trotz der Tochter, kein Insgewissenreden der Schwester, der alternde Mann war förmlich davon besessen, mit einer jungen Frau sich ein Stück seiner Jugend zurückzuerobern, sich ein spätes Glück zu schaffen. Oben betrat Grit das reizende kleine Reich der Nichte, die untätig dasaß und die Tante nun fragend ansah. »Ja, mein Mädchen«, meinte sie traurig. »Da werden wir nun wohl unsere Siebensachen packen müssen – denn dein Vater gibt nicht nach, das ist mir heute zur Gewißheit

Page 8: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

geworden. Im Gegenteil, er verbeißt sich immer mehr in seinen Entschluß, je hartnäckiger wir beide ihm Widerstand entgegensetzen. Er tut mir bitter leid, der törichte Mann, aber wem nicht zu raten ist, dem ist nun einmal nicht zu helfen. Wie sagt Wilhelm Busch: Mit Gründen ist da nichts zu machen, was einer mag, ist seine Sache – denn kurz gesagt: In Herzenssachen, geht jeder seiner Nase nach. Wenn er sich die verbrannt hat, wird er es schon merken«, setzte sie lachend hinzu. »Und nun wollen wir packen. Zuerst mal je einen Koffer, die andern Sachen können uns nachgeschickt werden. Und zwar von Alma, der wir auch die Schlüssel von unsern Zimmern anvertrauen. Soweit ich die brave Seele kenne, wird sie diese der neuen Herrin bestimmt nicht ausliefern. Ich vermute sogar, daß sie ihren Dienst kündigen wird, sobald die Tees mit Anhang hier einzieht.« Eine Stunde später waren dann die Koffer gepackt – und noch eine Stunde später brachte das Auto die Auserwählte des Hausherrn nebst dem unvermeidlichen Anhängsel. Grit und Alix, die oben am Fenster standen, sahen voll Grimm, wie herzlich die Besucher von Egon Grodes empfangen wurden. »So, mein Kleines, jetzt wird die Sache ernst«, ermunterte die Tante ihre Nichte, indem sie diese vom Fenster fortzog. »Nun müssen wir das Feld räumen, wenn wir all den Widerwärtigkeiten entgehen wollen, die sich fortan hier abspielen werden. Ich weiß, es fällt dir schwer, mein Kind…« »Durchaus nicht.« Das Mädchen warf den Kopf in den Nacken, während in den Augen der Trotz nur so funkelte. »Ich würde hier doch nur geduldet sein, und das paßt mir nicht. Es wird schon der Tag kommen, wo Vater mich liebend gern wieder hierhaben möchte, aber dann werde ich genauso störrisch sein, wie er es heute ist. Werde ihm zeigen, daß mir an ihm genauso wenig gelegen ist, wie ihm an mir.« Zehn Minuten später saßen sie in. Alix’ elegantem

Page 9: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Zweisitzer. Und während der Wagen dahinflitzte, widmete Egon Grodes sich seinen Gästen, die immer wieder beteuerten, welch ein entzückendes Heim dieses wäre. Beunruhigt wartete der Hausherr auf seine Angehörigen, bis er seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, sich bei den Gästen entschuldigte und zorngeladen zum Zimmer der Tochter ging. Jetzt sollte das widerspenstige Mädchen ihn aber kennenlernen! Doch gleich darauf mußte er feststellen, daß die Türen zu den Zimmern der beiden Damen verschlossen waren. Am liebsten hätte er ja in seiner Wut wie irrsinnig gegen das Holz geschlagen, aber das ging nicht gut an, weil er die Gäste unten nicht hellhörig machen wollte. »Alix, sofort machst du auf!« gebot er leise, aber scharf – doch nichts rührte sich. Gleichfalls blieb es nach seiner Aufforderung hinter der andern Tür still. Mit einem Gesicht, als ob er sie fressen wollte, sah er der adretten Köchin entgegen, die den Gang entlang kam. »Was haben Sie hier zu suchen?« fuhr er sie an, worauf sie ihn erstaunt musterte. »Ich habe hier zu tun, Herr Grodes.« »Na schön«, kam er langsam zur Besinnung. »Nun Sie einmal hier sind, so sagen Sie den beiden Damen Bescheid, daß sie sich unverzüglich nach unten bemühen möchten.« »Das ist nicht gut möglich…« »Warum nicht?« fuhr er ihr ärgerlich ins Wort. »Weil die beiden Damen vor ungefähr einer halben Stunde im Auto fortgefahren sind«, entgegnete sie kühl. Er erblaßte vor Schreck, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt. »Wo sind die Schlüssel von den Türen?« fragte er kürz. »Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben die Damen sie mitgenommen.« Dann wandte er sich brüsk ab und hastete davon, während sie ihm mit schadenfrohem Lächeln nachsah. Das geschieht dir recht – dachte sie dabei. Du sollst noch dein blaues Wunder erleben. Denn sofern du diese Pute als deine Frau ins Haus bringst, wirst du deine gesamte

Page 10: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Dienerschaft los, wie du deine Tochter und deine Schwester bereits losgeworden bist, du blindverliebter Narr. Damit ging sie zur Küche, wo das Hausmädchen, der junge Diener und der Chauffeur sich lebhaft unterhielten. Eben sprach letzterer: »Das ist ein ganz schofles Pack, sage ich euch. Und sollte heute die Verlobung steigen, so kündige ich morgen.« »Ich auch«, bekannte das Mädchen Ella. »Ich habe nämlich keine Lust, mich von der künftigen Gnädigen schikanieren zu lassen. Denn diese Sorte kenne ich, die sind die reinen Teufel ihren Untergebenen gegenüber. Dem Herrn werden noch die Augen auf- und übergehen. Schade um ihn.« »Sollte mir einfallen, so was zu bedauern«, meinte der Diener wegwerfend. »Der Mann müßte in seinem Alter doch schon Verstand genug haben…« »Der ist ihm eben futsch gegangen«, lachte der Chauffeur dazwischen. »Sonst könnte er unmöglich auf die verrückte Idee kommen, ein Mädchen heiraten zu wollen, das nur ein Jahr älter ist als seine Tochter. Hoffentlich bereitet diese ihrer zukünftigen Stiefmutter einen Empfang…« »Oder keinen«, schaltete sich jetzt die Köchin Alma ein. »Die gnädige Frau und Fräulein Alix sind nämlich bereits auf und davon. Da staunt ihr, wie?« Das taten sie auch wirklich. Ella war die erste, die sich von ihrer Überraschung erholte. »Bravo!« rief sie begeistert. »Da wird der Alte schön toben – herrlich!« »Stopp ab«, lachte die Köchin gleich den anderen über das begeisterte Mädchen. »Sieh lieber zu, daß die da drinnen ihren Kaffee bekommen.« Vergnügt schob die kecke Kleine mit dem Servierwagen ab und erreichte mit dem Hausherrn zu gleicher Zeit das Zimmer, in dem die drei Gäste saßen. Und während sie flink den Tisch deckte, ließ sie ihre munteren Braunaugen diskret umherwandern. Brrr, dachte sie schaudernd. Die Alte sieht aus wie eine drapierte Hopfenstange. Und die Junge – na ja, ganz

Page 11: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

hübsch, aber durchaus nichts Besonderes. Und der junge Mann gleicht einer Schaufensterpuppe, mein Geschmack ist der Porzellanjüngling jedenfalls nicht. Nach diesen respektlosen Betrachtungen zog sie sich zurück und kaum, daß sie verschwunden war, flötete der Schwarm des Hausherrn süß: »Oh, welch eine umdüsterte Stirn, mein lieber Herr Grodes. Sie haben doch nicht etwa Ärger gehabt?« »Leider, gnädiges Fräulein«, erwiderte ermißmutig. »Ausgerechnet heute mußten meine beiden Damen zu einer Verwandten fahren, die erkrankt ist.« »Das tut mir aber leid«, flötete nun die Mutter dieser hoffnungsvollen Tochter noch um einen Ton süßer. »Ich hätte die beiden Damen so gern begrüßt.« »Und ich erst«, näselte der Porzellanjüngling enttäuscht. »Hauptsächlich Fräulein Alix, die einfach ein Wunder an Schönheit und Rasse ist, die ich bisher nur aus der Ferne bewundern konnte. Schade, sehr schade.« »Ja«, bestätigte die Schwester. »Mich macht es direkt traurig, daß ich Ihre Tochter nicht begrüßen kann, mein lieber Herr Grodes. Denn nach allem, was man von ihr hört, muß sie ein liebenswertes Menschenkind sein.« »Kunststück – bei dem Vater«, kicherte die Hopfenstange was ihren gut fünfzig Jahren lächerlich genug anstand. Und in der Art ging es weiter. Der Hausherr wurde umgarnt und umgirrt wie eine Primadonna, was den Mann eigentlich hätte anwidern müssen, wenn – ja wenn – die Liebe ihm nicht seinen sonst so klaren Verstand getrübt hätte. So jedoch fühlte er sich geschmeichelt und sein Herz war von Liebe umnebelt, wie in seiner Jugend Blütezeit. Allein, so ganz und gar umnebelt doch noch nicht, um seiner Auserkorenen einen Heiratsantrag zu machen, wie er es sich heute fest vorgenommen hatte. Warum er es nicht tat, war ihm selbst unerklärlich. Aber irgend etwas hielt ihn davon ab, obgleich er das Mädchen nach wie vor zu seiner Frau begehrte. Er schalt sich einen Narren, als sie nebst Anhang gegangen war.

Page 12: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Warum plötzlich diese Hemmungen? Etwa weil Grit und Alix ihn verlassen hatten? Das wäre ja gelacht, wenn er da nachgeben wollte! Gerade jeder Unkerei zum Trotz wollte er glücklich werden. Er war ja schließlich ein Mann, der es noch mit jedem Jungen aufnehmen konnte. Worauf er dann an einen großen Spiegel trat und sich darin so eingehend betrachtete wie ein Mädchen vor dem ersten Ball. Na also, war er nun ein forscher Kerl oder nicht? Zwar war das dunkle Haar an den Schläfen leicht ergraut, aber gerade das soll ja verheerend auf Mädchenherzen wirken. Und dann seine schlanke Gestalt, sein gutgeschnittenes Gesicht, die elegante Kleidung – er jedenfalls fand sich schön wie einen jungen Gott. Zum Kuckuck, was machten da schön achtundzwanzig Jahre Altersunterschied? Auch solche Ehen sind schon glücklich geworden. Also nicht lange gefackelt, sondern nachgeholt, was er versäumt hatte. Wenn er nur wüßte, wie er zur Stadt kommen sollte. Mit dem großen Wagen brachte der Chauffeur die Gäste nach Hause – und mit dem kleinen waren Grit und Alix auf und davon. Einfach auf und davon, ohne ihm auch nur eine Zeile zu hinterlassen. Na wartet, ihr sollt schon noch bei mir zu Kreuze kriechen! Mit dem grimmigen Gedanken machte der verbitterte Mann sich über die Hausbar her, die all die exquisiten Getränke barg, die er als Erzeuger sich leisten konnte. Und ehe er sich so recht versah, hatte er seinen Kummer ertränkt und befand sich in einer Stimmung, in der alles im rosigsten Licht schimmerte. Morgen – ja morgen wollte er zu seiner geliebten Daisy fahren und sie an sein Herz nehmen – aller Welt und selbst dem Teufel zum Trotz. Das waren seine Gedanken, bevor er sich auf den Diwan streckte und selig lächelnd entschlummerte.

Page 13: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Die beiden Reiter sahen verwundert dem schmucken Auto entgegen, das über den Landweg schaukelte. Denn es war ja keine glatte Asphaltstraße, sondern ein Privatweg, der zum Rittergut Isen gehörte. Das war durch ein großes Schild auch deutlich genug gekennzeichnet – wer also erdreistete sich, die Warnung außer acht zu lassen? Diese Frage stellte sich hauptsächlich der ältere Reiter, der dem schnittigen Gefährt alles andere als freundlich entgegensah, und kaum, daß es vor ihm hielt, wetterte er auch schon los: »Ja, sagen Sie mal, Sie weiblicher Chauffeur, können Sie denn nicht lesen, was an der Straße, die von der Chaussee abbiegt, geschrieben steht? Ein Privatweg ist das hier und keine Durchfahrt für Benzinkutschen! Und wenn Sie nicht sofort umkehren…« »Na, was denn?« lachte es hellklingend in seine geharnischte Rede hinein. »Wollen Sie mich dann etwa zur Polizei schleppen? Aber, aber, Herr Durschmann, man immer sachte mit den jungen Pferdchen!« Mit einem eleganten Satz schwang sich die grazile Gestalt über die Tür des offenen Wagens und stand nun vor dem Erbosten. Die Augen blitzten, der Mund lachte so unschuldsvoll, als gehöre er einem Wesen aus himmlischen Gefilden. »Donner noch eins«, kratzte der rigorose Reiter sich verblüfft den Kopf – ein Stutzen, ein scharfes Nachdenken – und dann ein schallendes Lachen. »Hilf, Himmel, das ist ja die Alix -Verzeihung, das Fräulein Grodes wollte ich natürlich sagen. Ja, wo kommen Sie denn so plötzlich her?« »In der Benzinkutsche frisch importiert aus meiner Vaterstadt. Sie sind aber in den drei Jahren, da ich Sie zuletzt sah, kein bißchen älter geworden, Herr Verwalter.« »Schade, daß ich kein eitles Fräulein bin«, strich er vergnügt über sein Bärtchen, da dieses zum Zwirbeln zu kurz war. »Das wäre dann Musik für meine Ohren. Aber das

Page 14: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Kompliment gebe ich zehnfach zurück, das heißt, was Schönheit und Charme anbetrifft. Da kann einem tatsächlich warm unter der Weste werden.« »Die Sie gar nicht anhaben«, lachte Alix ihn an und wandte sich dann langsam dem anderen Reiter zu, der amüsiert dem Vorgang gefolgt war. Und nun sagte Druschmann: »Gestatten Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen meinen Herrn und Gebieter vorstelle. Also darf ich bekannt machen: Herr Baron von Isenhardt – Fräulein Alix Grodes, die Tochter eines reichen Vaters, der sich als Besitzer einer Spirituosenfabrik und Weinkellereien umsonst einen andudeln kann. Beneidenswerter Mann.« Der junge Mann, der aus dem Sattel geglitten war, nahm zart das Händchen, das sich ihm entgegenstreckte. Dann ging sein Blick zum Auto hin. »Das ist meine Tante, Grit von Alkes«, stellte Alix einfach vor. »Und dazu noch mein herzliebes Treugespann. Zwar ist sie als Schwester meines Vaters zwischen Alkohol geboren, aber eine hoffnungslose Trinkerin ist sie trotzdem nicht geworden.« »Komische Vorstellung«, lachte Grit, indem sie die beiden Herren begrüßte. »Aber meine Alix ist und bleibt nun mal ein übermütiger Strolch.« »Wohl ihr«, schmunzelte der Verwalter und rief dann Alix warnend zu, die furchtlos auf den Cocker-Spaniel zuging, der neben seinem Herrn saß: »Vorsicht, gnädiges Fräulein, der Hund ist Fremden gegenüber unzugänglich!« »Aber nicht bei mir«, tat sie unbekümmert ab. »Bist du aber ein prächtiger Bursche. Komm her, komm zu Frauchen.« Tatsächlich ging der Hund hin und ließ sich streicheln. »Na also«, nickte das Mädchen zufrieden. »Der weiß genau, wie gern ich Hunde mag. Ganz besonders, wenn sie so bildschön sind wie dieser.« »Alix, wir müssen weiter, damit wir noch vor Dunkelwerden unser Ziel erreichen.« »Die Damen wollen ins Rosenhaus?« fragte Druschmann,

Page 15: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

und lachend gab Alix Antwort: »Jawohl. Und wir fahren sogar den Weg weiter, weil uns das zukommt.« »Allerdings«, schmunzelte der Verwalter. »Ich darf da nicht mal Wegzoll verlangen.« »Könnte Ihnen so passen«, blitzte sie ihn an. Ein kurzer Abschied, dann nahm sie am Steuer Platz und fuhr ab. »Ist doch ein Mordsmarjellchen, die Alix«, sprach Druschmann ihr nach. »Immer noch frohgemut und guter Dinge, wie sie es von jeher war.« »So kennen Sie die junge Dame schon länger?« forschte Gernot Isenhardt, und der Gutsverwalter nickte. »Schon als Schulmädchen, Herr Baron. Sie verbrachte ihre Ferien größtenteils bei ihrer Großtante im Rosenhaus. So schrullig und unzugänglich die alte Dame sonst auch war, aber ihr Sonnenkind, wie sie Alix Grodes nannte, vergötterte sie förmlich. Diese erbte dann auch nach dem Tod der Tante deren kleinen Besitz. Das war vor ungefähr drei Jahren, und seitdem ist die junge Besitzerin nicht mehr dort gewesen. Sehr zum Kummer der braven Eheleute Brasch, die das Anwesen verwalten. Denn auch in ihren guten Herzen sitzt die frohgemute Alix tief drin. Daher wird es für die Leutchen eine riesige Freude sein, wenn ihr Abgott nach so langer Zeit bei ihnen aufkreuzt.« Und es wurde eine. Muttchen Brasch zerdrückte Freudentränen, und ihr Ehegespons war nahe daran. Als Alix gar verriet, daß sie für länger zu bleiben gedächte, da gab es strahlende Gesichter. Das Rosenhaus trug seinen Namen daher, weil es ringsum von Rosen umrankt war, die vom Frühjahr bis in den Spätherbst hinein blühten; denn die Rosen waren eine wahre Leidenschaft Tante Riekchens gewesen. Ihnen gehörte ihre Liebe, ihre Sorgfalt. Sie wuchsen nicht nur am Haus, sondern auch im Garten an allen Ecken und Enden, sogar auf dem Hof, wo nur ein Fleckchen Erde frei war. Das Haus war zwar altmodisch, aber recht behaglich

Page 16: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

eingerichtet. Unten befanden sich zwei große Zimmer, eine kleine Diele, die Wirtschaftsräume, oben drei weitere geräumige Stuben. Die beiden zusammenhängenden bezogen Grit und Alix. »Das ist ja hier urgemütlich«, sagte erstere, sich vergnügt in dem Raum umsehend. »Wenn man sich reckt, kann man fast an die Balkendecke reichen. Dann das altmodische Mobiliar, das braune Holzbett mit seinen hochgetürmten Kissen. Und alles so blitzsauber. Ob Muttchen Brasch etwa gewußt hat, daß du kommst und daher ein Scheuerfest veranstaltet hat?« »Das tut sie von Zeit zu Zeit sowieso«, gab Alix lachend zurück. »Das liegt ihr so im Blut. Also gefällt es dir hier. Gritchen?« »Sehr.« »Na, Gott sei Dank! Ich fürchtete nämlich schon, daß du bei all dem herrlich Altmodischen hier verächtlich die Nase rümpfen würdest.« »Na eben, ich bin ja auch noch so neu mit meinen zweiundfünfzig Jahren, daß alles um mich her hypermodern sein muß«, entgegnete die andere trocken, und die Nichte sah sie spitzbübisch an. »Wenn auch nicht mehr nagelneu, aber immerhin noch nicht alt und vor allen Dingen sehr charmant.« »Bloß gut, daß du das wenigstens findest, du Schmeichelkatze.« Lachend wirbelte Alix die Tante herum und verschwand dann im Nebenzimmer, das dem anderen ziemlich glich. Nur daß der kleine Schreibtisch mit den Etageren hier durch einen Sekretär ersetzt war. Sonst gab es auch hier einen braunen Schrank aus glänzendem Nußbaum, die passende Kommode dazu, ein Plüschsofa mit Rosenmuster, Tisch, Stühle und einen Teppich mit Rosenmotiven. An den mäßig großen Fenstern hingen duftige Gardinen zierlich gerafft. Auch in sie waren Rosen hineingewebt. Da Brasch die Koffer bereits nach oben gebracht hatte, machten die Damen sich daran, sie auszupacken, wobei

Page 17: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Alix vergnügt vor sich hin sang. Grit brummte die Melodie mit, bis sie dann rief: »Sag mal, mein Mädchen, wo wäscht man sich hier? Ich kann nirgends eine Gelegenheit dazu entdecken.« »Oh bitte sehr.« Alix erschien auf der Schwelle, »öffne die schmale Tür neben dem Schrank dort, dann erblickst du ein Bad. Hast du etwa angenommen, daß es so was hier nicht gibt?« »Jedenfalls bin ich angenehm überrascht«, kam es vergnügt zurück. »So werde ich mich denn einer Säuberung unterziehen.« »Ja, geh nur. Wenn du fertig bist, werde auch ich mich blankputzen.« Bis es soweit war, räumte Alix ihre Sachen ein. Dabei dachte sie an ihren Vater, und es wurde ihr bang ums Herz. Doch nicht lange, dann meldete sich der Trotz. Ach was, er hatte sie ja aufgegeben, ein Zeichen, daß ihm nichts an ihr lag. Alix war nun wirklich nicht so abgünstig, daß sie dem Vater eine zweite Frau nicht gönnte. Aber auch nur eine, bei der er auch wirklich sein Glück finden konnte. Nicht eine Zweiundzwanzigjährige, die den Fünfzigjährigen bestimmt nicht um seiner selbst heiraten wollte, sondern diese Ehe nicht nur als glänzende Versorgung für sich ansah, vielmehr auch noch für Mutter und Bruder, wobei die Tochter des Hauses nur als unabwendbares Übel angesehen werden würde. Davon war auch Tante Grit überzeugt, und die hatte Menschenkenntnis genug, um sieh ein richtiges Urteil bilden zu können. Und wenn sie den Bruder als verblendeten Narren bezeichnete, dann war er auch einer. Und Narren müssen durch Schaden klug werden – basta! Als die beiden Damen das geräumige Speisezimmer betraten, umfing es sie wie mit linden Armen. Auch hier gab es zwar veraltete, aber gutgepflegte Möbel. Der Plüsch des behäbigen Sofas zeigte Rosenmuster, der Teppich, die Gardinen, die Sofakissen, das Damasttischtuch, das Porzellan, das darauf stand, selbst die schweren

Page 18: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Silberbestecke und natürlich auch die Tapeten. In dem großen Kachelofen flackerte ein lustiges Feuer, was bei dem launischen Gesellen April als wohltuend empfunden wurde. »Schön ist das hier«, sagte Grit froh. »So läßt es sich schon aushalten. Alles um uns atmet Behaglichkeit, genauso, wie ich es liebe. Jetzt kann ich auch verstehen, mein Kleines, daß du gern hier weiltest. Das Rosenhaus mutet an wie eine kleine Insel des Friedens.« »Ja«, nickte Alix versonnen. »Obwohl ich eine glückliche Kindheit habe, konnte ich kaum die Ferien erwarten, die ich bei Tante Riekchen verleben durfte. Und es war der erste Schmerz in meinem bisher so behüteten Dasein, als die gute Tante, die äußerlich so brummig wirkte und so ein weiches Herz besaß, starb. Ich war richtig krank vor Aufregung und Jammer, als ich nach dem Begräbnis mit Mutti wieder nach Hause zurückkehrte. Seitdem bin ich nicht mehr hiergewesen. Ich hätte mich in dem Haus gefürchtet, das mir ohne Tante Riekchen so öd und leer erschien. Und daß mein kleiner Besitz von den Braschchen tadellos verwaltet wurde, darüber gab es für mich keinen Zweifel. Es war rührend, wenn ich jedes Vierteljahr einen Bericht erhielt, in dem bis auf jeden Pfennig Rechenschaft abgelegt wurde. Vielleicht hätte ich mich nach geraumer Zeit doch dazu entschließen können, hier nach dem Rechten zu sehen. Aber dann starb Mutti – und wie mir das zusetzte, das weißt du ja.« In dem Moment trat Muttchen Brasch ein, hochrot vor Eifer und von der Hitze des Herdfeuers. Sie trug auf einem Tablett Schüsseln mit Speisen, deren Duft lieblich in die Nase stieg. Mariechen strahlte über das ganze gute Gesicht, das so blitzblank war, wie alles an der rundlichen Frau. Sie strotzte gewissermaßen vor Sauberkeit. »Die Damen werden entschuldigen, daß ich Sie mit dem Essen warten ließ«, begann sie, doch schon schnitt Alix ihr lachend das Wort ab.

Page 19: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Muttchen Brasch, wir können froh sein, daß wir überhaupt etwas zu essen kriegen, da wir Sie so unverhofft überfallen haben.« »Aber gnädiges Fräulein…« »Wie bitte?« »Ja, das muß sein«, trumpfte Mariechen auf. »Mein Alter sagt, das gehört sich so bei unserer Herrin. Fräulein Alix genügt nicht mehr.« Damit stellte sie resolut die Speisen auf den Tisch und entfernte sich gewichtigen Schrittes. »Die ist ja köstlich«, lachte Grit hinter ihr her. »Daß es heutzutage noch so was gibt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Dieses Muttchen Brasch kommt mir vor wie eine gute, betuliche Glucke, die alles, was ihr in den Weg kommt, unter ihre Flügel nehmen möchte. Und dabei ist sie wohl kaum älter als ich.« »Sie ist sogar noch ein Jahr jünger«, zwinkerte Alix vergnügt. »Sie hat ja auch noch ein glattes Gesicht und kaum ein graues Haar.« »Habe ich das etwa?« fragte die Tante drohend, während ihre Augen lachten. »Bewahre, Gritchen. Dafür bist du ja auch meine immer noch so jung wirkende und sehr charmante Tante, auf die ich stolz bin.« Und sie war auch tatsächlich charmant mit ihrer vollschlanken Figur, dem feinen Gesicht, aus dem die großen blauen Augen so froh in die Welt schauten, dem mittelblonden gepflegten Haar und der eleganten Aufmachung. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes, der vor sieben Jahren starb, drei ernstgemeinte Heiratsanträge von gutsituierten Herren bekommen, den letzten sogar noch vor einigen Monaten. Doch sie dachte gar nicht daran, ihr jetzt so behagliches, friedliches Leben zu ändern, sie hatte von einer Ehe genug. Außerdem liebte sie ihre Nichte, wie es eine Mutter nicht zärtlicher hätte tun können, und mochte sich von ihr nicht trennen. Gleichfalls war der Bruder ihr ans Herz

Page 20: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

gewachsen, und es tat ihr bitter weh, daß der alternde Mann wie ein verliebter Jüngling ein junges Mädchen anschmachtete. Aber gegen Verliebtheit ist nun einmal kein Kraut gewachsen. Also resignierte Grit. Sie hätte nach der Heirat des Bruders sowieso sein Haus verlassen, auch wenn Alix geblieben wäre. Denn es fiel ihr gar nicht ein, sich von der Schwägerin und deren Anhang schikanieren zu lassen. Gottlob war sie von ihrem Bruder nicht abhängig. Sie hatte Geld genug, um behaglich davon leben zu können. Trotzdem schloß sie sich der Nichte an, erstensmal, weil sie sich nicht von ihr trennen wollte, und dann, um das bisher so behütete und daher unerfahrene Mädchen nicht allein zu lassen. Zwar kannte sie das Landleben nicht, hatte sogar eine Scheu davor – und dennoch, sie wäre selbst ihrer geliebten Alix in die Verbannung gefolgt. Nun, einer solchen glich das Rosenhaus mit allem, was damit zusammenhing, wahrlich nicht! Grit war direkt freudig überrascht. Es würde sich hier gut leben lassen. Die beiden Damen ließen sich das ländliche Mahl vortrefflich munden. Sie aßen mit solchem Appetit, wie schon lange nicht mehr. Doch den Wein, mit dem Mariechen anrückte, lehnte Alix vorerst ab. »Den trinken wir zusammen in Ihrer gemütlichen Klause, Muttchen Brasch.« »Aber das schickt sich doch nicht, gnädiges Fräulein.« »Warum denn nicht? Wenn es sich schickt, daß Sie in so selbstloser Weise für mich arbeiten, dann muß es sich auch schicken, mit Ihnen anzustoßen.« »Und was sagt die gnädige Frau dazu?« »Daß meine Nichte recht hat.« »Na, das freut mich denn aber. Ich wasch’ nur noch rasch ab, und in einer Stunde dann herzlich willkommen.« Weg war sie und empfing später ihre Gäste in dem kleinen Anbau, in dem sie mit ihrem Mann wohnte. Er barg zwei geräumige Zimmer, die durch eine Tür mit der Küche verbunden waren. Beide blitzsauber und die Wohnstube

Page 21: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

urgemütlich. In dem Kachelofen prasselten Holzscheite, der ovale Tisch vor dem riesigen Sofa war mit kleinem Gebäck und Gläsern bestellt. Auf der gepolsterten Ofenbank schnurrte der dicke Hauskater, und vor der Bank lag ein prächtiger Neufundländer, der die beiden Fremden zuerst mißtrauisch musterte, dann langsam zu ihnen ging, sie vorsichtig unter die Nase nahm und dann den buschigen Schwanz freudig in Bewegung setzte. »Na, Barry, du lebst ja auch noch«, sagte Alix froh, den riesigen Kopf in die Hände nehmend. »Kennst du denn dein kleines Frauchen noch?« »Wuuuufff«, wedelte der schwarze Geselle lustig, und eine alte Freundschaft war aufgefrischt, während die mit Grit rasch geschlossen wurde. »Ein prächtiger Kerl«, sagte sie bewundernd, und Muttchen Brasch nickte stolz. »Das ist er, gnädige Frau. Unser Fräulein Riekchen hat ihn sehr lieb gehabt, deshalb lieben wir ihn auch und halten ihn in Ehren. Nicht wahr, Alter?« »Ehrensache«, schmunzelte Vater Brasch, der sich ordentlich in Wichs geworfen hatte und direkt schneidig aussah mit der großen, hageren Gestalt. Wie gegerbtes Leder wirkte das Gesicht, aus dem zwei hellblaue Augen vergnügt herauslachten. Im Mundwinkel hing eine Pfeife mit Porzellankopf – denn seinen geliebten Abendschmauch gab der Mann selbst solcher Ehrengäste wegen nicht auf. »So, jetzt wollen wir aber trinken«, wurde die Gastgeberin energisch. »Bitte die Damen, auf dem Sofa Platz zu nehmen.« »Muß das sein?« fragte Grit kläglich. »Das gehört sich so, gnädige Frau.« »Na, denn man los, Alix, kommen wir uns würdig vor.« Wenig später funkelte der edle Saft in den Gläsern. Er stammte aus der Kellerei Grodes – denn Alix vergaß nie, jeden

Page 22: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Herbst einige Kisten mit Wein, Likören, Rum und Kognak nach dem Rosenhaus zu schicken. Da Tante Riekchen sich nichts daraus gemacht und auch die Braschchen keine großen Trinker waren, hatte sich mit den Jahren im Keller eine stattliche Anzahl Flaschen angesammelt, bei deren Anblick einem Trinklustigen vor Freude das Herz im Leibe gehüpft hätte. Nachdem man die erste Flasche geleert hatte, wurde die zweite in Angriff genommen, was die Stimmung steigen ließ und die Zungen löste. Alix, die natürlich wissen wollte, was sich in den drei Jahren, da sie nicht hier war, in der Nachbarschaft ereignet hatte, sprach zuerst mal von dem Gutsverwalter von Isen, der ihnen einen so grimmigen Empfang bereitet hatte. »Ja, er ist ein energischer Herr«, schmunzelte Brasch, genießerisch sein Pfeifchen schmauchend. »Aber das muß sein, wenn er alles in Ordnung halten will. Der Baron kann Gott danken, daß er einen so treuen und tüchtigen Verwalter für seinen Besitz hat.« »Aber der Besitzer ist doch ein anderer«, sagte Alix verwundert. »Wo ist denn der alte?« »Vor einigen Monaten gestorben. Und da er keinen Sohn hinterließ, trat der nächste Agnat das Erbe an, so ist es Gesetz bei den Isenhardts. Dieser Erbe ist nun der Stiefbruder des Verstorbenen…« »Und er hat es gar nicht leicht mit diesem Weibsbild am Hals…« »Mariechen, was sprichst du da für einen Unsinn«, unterbrach der Eheliebste sie mißbilligend. »Was sollen die Damen bloß von deiner Ausdrucksweise denken, die du dir soviel auf deine Bildung zugute tust. Wie kann eine Baronin Isenhardt ein Weibsbild sein.« »Na ja, ich meinte auch nur so«, bekannte sie kläglich. »Aber du mußt doch selbst sagen, August, daß sie sich wie ein – ja na – wirklich nicht schön benommen hat und immer noch nicht benimmt. Das gnädige Fräulein ist wohl auch im Bilde.«

Page 23: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Das bin ich eben nicht«, widersprach Alix. »Ich weiß nur, daß der Baron, gerade als ich das letzte Mal hier auf Ferien war, ein bedeutend jüngeres Mädchen heiratete…« »Was ihm schlecht bekommen ist«, platzte Mariechen nun doch wieder heraus, ohne von dem warnenden Blick des Ehegemahls Notiz zu nehmen. »Dieser Fledderwisch…« »Mariechen!« »Laß man, Augustchen, dann bin ich heute eben mal nicht gebildet. Denn wie soll man so was wohl anders nennen? Der Baron war eben ein Narr, daß er in seinem Alter noch so eine junge Frau nahm – und kränklich war er noch dazu. So was kann doch nicht gut ausgehen.« Grit und Alix warfen sich einen verständnisvollen Blick zu. Sie dachten beide dabei an Egon Grodes, der im Begriff stand, eine gleiche Torheit zu begehen. Dann hörten sie amüsiert zu, was das liebe, mitteilsame Mariechen weiter erzählte: »Sie müssen wissen, meine Damen, daß diese Baronin Meduse -.« »Wie heißt sie?« fragte Alix lachend dazwischen. »Meduse – oder so ähnlich jedenfalls.« »Frau – Frau«, schüttelte der Mann bekümmert den Kopf. »Daß du doch alle Namen verdrehen mußt. Modeste heißt die Baronin.« »Aber das heißt doch übersetzt: bescheiden, sittsam«, bemerkte Grit, die gleich Alix über dieses spaßige Ehepaar kaum noch das Lachen verbeißen konnte. »Von wegen«, meinte Muttchen wegwerfend. »Davon ist bei der wahrhaftig nichts zu bemerken. Fladusia, das wäre der richtige Name für so was.« Jetzt konnten Grit und Alix nicht mehr ihr unterdrücktes Lachen länger zurückhalten, hell und perlend brach es hervor. Da das gute Mariechen kein Spielverderber war, lachte es vergnügt mit, und der Eheliebste schmunzelte. »Nun werde ich mal das Wort ergreifen«, drückte er sich gewählt aus, was er gern tat. »Denn aus der Erzählung meiner Frau können die Damen bestimmt nicht klug

Page 24: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

werden. Also diese Baronin Modeste hat ihren Mann in gar nicht langer Zeit durch ihre Verschwendungssucht ruiniert. Aber nur, soweit es sein Privatvermögen betrat, an Isen konnte sie gottlob nicht heran. Das darf weder verkauft, noch dürfen Privatschulden darauf gemacht werden. Ein Glück, sonst hätte die Verschwenderin auch den herrlichen Besitz noch kleingekriegt.« »Und wie ging es weiter?« fragte Alix interessiert, als der Mann schwieg und nachdenklich an seiner Pfeife zog. »Ich glaube, wir lassen Muttchen Brasch doch weitererzählen.« »Na also«, triumphierte Mariechen. »Was ich erzähle, das hat schon Hand und Fuß. Sie wissen doch, gnädiges Fräulein, wie versessen der alte Baron auf einen Erben war?« »Wissen ist zuviel gesagt, Muttchen Brasch. Ich hörte wohl davon reden, aber ich war damals ja noch so jung, daß so eine Äußerung in ein Ohr ‘rein und aus dem andern ‘rausging. Allerdings weiß ich, daß der Baron bereits die dritte Frau nahm, obwohl er eine erhöhte Schulter hatte und auch sonst kein Adonis war. So hat sich also seine Sehnsucht nach einem Erben nicht erfüllt?« »Nein«, entgegnete Mariechen schadenfroh. »Was die Meduse ihm schenkte, war ein Mädchen.« »Das ist Pech«, lachte Grit. »Wie nahm der Mann das auf?« »Ihn rührte erst mal der Schlag. Und der zweite, nach dem er gleich starb, traf ihn bei der Entdeckung, daß seine Frau ihn betrog.« »Und nun ist sie wahrscheinlich hinter dem jetzigen Besitzer von Isen her«, folgerte Grit, und Muttchen nickte. »Stimmt. Aber der ließ sie ganz gehörig abfallen und verwies sie in das kleine Haus, das am Ende des Parkes für die Isenhardtschen Witwen erbaut wurde. Da müssen die ‘rein, ob sie wollen oder nicht. Es ist ja auch sehr schön da, aber der Meduse paßt das nicht. Es ist ihr auch zu wenig Geld, das sie aus der Familienfront bekommt…« »Mariechen, Fond heißt das doch. Laß mich man weitererzählen, jetzt kommst du doch nicht damit zurecht.

Page 25: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

In Isen existiert nämlich ein Familienfond, den mal ein Ahn angelegt hat und der sich im Laufe der Zeit schon gut angehäuft haben soll. Aus dem beziehen nun die Witwen und ihre Kinder, wenn die noch nicht volljährig sind, den Lebensunterhalt. Die Summe soll gewiß nicht klein sein, wie man so hört, aber so ein verschwenderischer Mensch wie die Modeste kommt damit natürlich nicht aus. Nun liegt sie ständig damit dem Herrn Baron in den Ohren, aber der darf ihr nicht mehr geben, als vorgeschrieben ist. Sonst müßte er es aus seiner Tasche zahlen, und das fällt ihm gar nicht ein. Er ist nämlich kein Frauenfreund, müssen die Damen wissen.« »O weh, dann stehen für die Modeste die Chancen aber schlecht«, lachte Grit. »Wie sieht sie denn aus?« »Mir ist sie zu angemalt«, meinte Muttchen wegwerfend. »Aber die andern sagen, sie ist eine – wie heißt das nun wieder, August?« »Eine Mondäne.« »Ja, so was soll sie sein. Und so verrückt, wie das genannt wird, so benimmt sie sich auch.« »Oh, Muttchen Brasch!« lachte Grit gleich Alix herzlich. »Prosit! Es gefällt mir ausnehmend gut im Rosenhaus.« »Das freut mich aber«, strahlte Mariechen. »Es lebt sich wirklich gut hier, und verhungern werden wir auch nicht. Wir haben eine Kuh, zwei Schweine, allerlei Geflügel, Kartoffeln, Gemüse, Obst und ein Pferd…« »Das wir hoffentlich nicht so bald zu schlachten brauchen«, warf Alix lustig ein, und die Gute sah sie konsterniert an. »Aber, gnädiges Fräulein, wo gibt es denn so was!« »Och – geben wird es das schon – aber bestimmt nicht bei uns. Und nun bin ich dafür, daß wir uns zur wohlverdienten Ruhe begeben.« Dafür waren die andern auch, und so trennte man sich in vergnügter Stimmung. Der Einfachheit halber nahmen die beiden Damen den Weg durch die Küche, und oben angelangt, gähnte Alix herzhaft und dehnte die schlanken

Page 26: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Glieder. »Wenn du Lust zu einem abendlichen Bad hast, Tante Grit, dann tu’s. Ich jedenfalls krieche ungewaschen und ungeplättet ins Bett.« »Ich auch. Ich fürchte nur, daß ich in diesem Federberg versinken werde, wie eine Rosine im Kuchen.« Nun, so arg wurde es nicht. Denn Kissen und Deckbett waren aus Daunen und daher leicht. Behaglich legte Grit sich zurecht und wunderte sich gar nicht, als Alix in ihrem koketten Nachtkleid erschien und sich zur Tante aufs Bett setzte. Reizend sah sie aus in dem duftigen Habit mit dem hellbraunen, gleißenden Lockenhaar, mit dem feinen, rosigen Gesicht, aus dem die Augen wie des Himmels Bläue herausstrahlten. Das Kind ist ja bildschön – dachte die Tante beglückt. Von einer köstlich reinen, kristallklaren Schönheit. Noch nie ist mir das so aufgefallen wie heute. Aber was noch mehr wert ist als diese Schönheit, das ist ihr liebenswerter Charakter. »Nun, mein Kleines, was haben wir auf dem Herzchen, hm?« fragte sie zärtlich. »Denn umsonst sitzt du doch nicht hier.« »Oh, Tante Grit, ich bin ja so glücklich, daß es dich gibt«, kam die Antwort aus tiefstem Herzensgrund. »Denk mal, wenn ich ohne dich hier leben müßte. Zwar sind die Braschchen liebe, gute Menschen, aber die richtige Gesellschaft trotzdem nicht für mich. Erst heute wird es mir so recht klar, wie lieb ich dich eigentlich habe. Daher mußt du immer bei mir bleiben, willst du?« »Hm«, machte sie vielsagend. »Und wenn du heiratest, wie wird es dann?« »Dann bringe ich dich mit in die Ehe«, perlte ein köstlich frisches Lachen auf. »Und wenn mein Zukünftiger, der ja vorläufig noch in den Sternen geschrieben steht, dich nicht haben will, dann laß ich ihn eben laufen.« »Wirst dich hüten, mein Kind«, kam die Antwort trocken. »Und nun bitte keine Beteuerungen, werden wir leben, werden wir sehen.

Page 27: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Jedenfalls fühle ich mich äußerst behaglich. Übrigens war das, was die Braschchen uns von der dritten Ehe des Barons erzählten, sehr aufschlußreich, weil dein Vater ja im Begriff ist, dieselbe Dummheit zu machen. Wie kommt es eigentlich, daß du die Herrschaften nicht kennst? Pflegte Tante Riekchen denn keinen nachbarlichen Verkehr?« »Nein, sie war sehr menschenscheu. Ab und zu kamen mal Druschmanns, aber bei ihnen ist sie nie gewesen. Ich hörte sie nur damals, als der Baron die dritte Frau nahm, zu Muttchen Brasch sagen: >Das sieht diesem verblendeten Narren ähnlich. Dasselbe hätte sie auch von Vater gesagt – und mit Recht. Was meinst du, Tante Grit, ob ich ihm von dem Reinfall des verstorbenen Barons schreibe?« »Auf keinen Fall«, winkte die andere entschieden ab. »Du würdest ihn dadurch nur noch verbissener machen. Was wir nur tun konnten, um ihn zur Vernunft zu bringen, ist geschehen, mehr können wir nicht tun. Mag er also nach seiner Fasson selig werden. Nun geh schlafen, mein Kind«, streichelte sie zärtlich die weiche Mädchenwange. »Und mach dir deswegen keine Gewissensbisse, weil du dein Elternhaus verließest. Wenn das falsch gehandelt wäre, hätte ich dich gewiß nicht dabei unterstützt, sondern dir im Gegenteil ernstlich ins Gewissen geredet. Und nun husch, ins Körbchen! Ich bin rechtschaffen müde und werde wunderbar schlafen in diesem weichen Pfühl.« »Ich in dem meinen auch, Gritchen. Bist doch die Allerallerbeste!« Eine stürmische Umarmung, ein herzlicher Kuß, dann huschte sie davon, und die Tante sah ihr gerührt nach. Es war der Hahn, der Alix am nächsten Morgen weckte. Noch traumumfangen, mußte sie sich erst besinnen, wo sie überhaupt war, doch dann streckte sie sich wohlig im Bett. Mit einem Blick auf die altmodische Uhr, die ihren Pendel geschäftig hin und her bewegte, stellte sie fest, daß es erst kurz nach sechs war. Also eine Stunde, zu der sie zu Hause noch zu schlafen pflegte. Sieben Uhr war ihre Aufstehzeit,

Page 28: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

die hatte sie von ihrer Schulzeit her einbehalten, und die war lang gewesen, bis zum Abitur. Denn ihr Vater hatte darauf bestanden, daß sie es machte, zumal ihr das Lernen leicht fiel. Er war der Ansicht, daß man diese Abschlußbildung immer irgendwie verwerten konnte, ob man da studieren wollte oder nicht. Er sorgte auch dafür, daß seine Tochter zwei Jahre die Höhere Handelsschule besuchte, damit sie eine gewisse Grundlage zu einem Beruf hatte. Denn man konnte nie wissen, wie es im Leben kommt. Ach ja, ihr Paps – aber jetzt war er ja nur noch ein Vater für sie. Hastig sprang Alix aus dem Bett, um sich nicht mit unerquicklichen Gedanken das Herz schwer zu machen. Sie trat ans Fenster, dessen zarte Gardinen im sachten Morgenwind blähten, und schaute hinunter auf den Hof, wo Muttchen Brasch das Geflügel fütterte. An die zwanzig Hühner, zwei Hähne, Gänse und Enten, die zur Zucht zurückbehalten waren. Selbst ein prächtiger Truthahn mit seinem Weibchen fehlte nicht. Das alles gehört nun mir – dachte Alix mit Besitzerstolz. Zwar ist das Anwesen klein, aber mein. Da mußte sie einfach ein Ventil für ihre Freude finden, das sich dann auch in einem Jauchzer Luft machte. »Ja, was ist denn mit dir los?« kam eine verschlafene Stimme aus dem Nebenzimmer – und schon stand Alix am Bett der Tante. »Guten Morgen, Gritchen«, grüßte sie fröhlich. »Stell dir mal vor, die Sonne scheint.« »Ist das denn etwas Besonderes?« fragte sie gähnend. »Für den griesgrämigen April schon. Man spürt direkt, wie der sonnige Knabe Mai ihn verdrängen will.« »Und deshalb jauchzt du mich aus tiefem Schlaf? Mädchen, ich glaube, du bist frühlingstrunken.« »Besser als liebestrunken, Gritelein. Erhebe dich aus deinem weichen Pfühl, es frühlingt an allen Ecken und Enden. Hast du gut geschlafen?«

Page 29: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Wunderbar! Und geträumt habe ich, daß ein junger Königssohn dir die diamantene Krone auf deinen gleißenden Schopf setzte.« »Träume sind Schäume, darum erwache und lache«, zitierte der Schelm mutwillig. »Ich jedenfalls träumte, daß ein männliches Wesen mit seinen rosenumwundenen Speer mitten ins Herz hineinstieß…« »Hör auf, du Übermut«, unterbrach die Tante sie schaudernd. »Wie spät ist es?« »Zwischen sechs und sieben Uhr. Du befindest dich jetzt mittendrin im Landleben, das keine Langschläfer duldet, meine mondäne Stadtdame. Heraus aus den Federn, der Hahn hat gekräht!« »Und du bist dabei das verrückte Huhn«, gähnte Grit wieder herzhaft. »Mach, daß du unter die Dusche kommst, damit ich nachfolgen kann.« Also machte Alix sich an ihre Morgentoilette. Zuerst ein lauwarmes Duschbad, dann den Körper frottiert, bis er heiß und rot wurde, dann angekleidet und hinunter ins Speisezimmer, das von dem Kachelofen mollig durchwärmt wurde. Zwar war es draußen ganz nett warm, aber in den Zimmern immer noch kühl. Der runde Tisch inmitten des großen niederen Raumes war bereits für zwei Personen gedeckt. Alix öffnete die Tür, die zur Küche führte und steckte den Kopf durch den Spalt. »Guten Morgen, Muttchen Brasch!« rief sie ihr fröhlich zu, die am Herd hantierte. »Ich habe Hunger.« »Soll gleich gestillt werden«, kam es vergnügt zurück. »Ist die gnädige Frau auch schon unten?« »Nein, muß aber jede Minute erscheinen.« »Dann bring ich schon die Kaffeemaschine und alles andere.« Zehn Minuten später konnte dann der Schmaus beginnen. Es gab Brot, Toast, eine Platte mit rosigen Schinkenscheiben nebst delikater Rauchwurst, Butter, Marmelade, Honig und einem Kännchen mit gelber fetter Sahne. Dazu duftete es aus der brodelnden Kaffeemaschine

Page 30: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

aromatisch. Eifrig sprach man den guten Dingen zu, dann griff man zur Zigarette und legte sich behaglich im Polsterstuhl zurück. »Nun, Tante Grit, hat’s geschmeckt? Du siehst jedenfalls satt und zufrieden aus.« »Zu gut hat’s geschmeckt, leider. Wehe meiner armen Taille! Ich glaube, ein Spaziergang würde uns beiden guttun.« »Wird gemacht, Tantchen. Aber wetterfest müssen wir uns schon anziehen. Zwar scheint jetzt die Sonne, aber ich traue dem April nicht.« Bald darauf traten sie auf den Hof, wo ihnen Barry entgegenkam und sie freundlich begrüßte. Vater Brasch, der vor dem Stall den wohlgenährten Braunen striegelte, zog beim Anblick der Damen die Mütze und lachte sie an. »Schönen guten Morgen mal erst, die Herrschaften. Ich glaube, jetzt wird der April sich ausgetobt haben. Ist auch Zeit, denn in den nächsten Tagen kommt schon der Mai. Wie ist es, gnädiges Fräulein, wollen Sie einen Ritt auf unserm Guten hier wagen, wie Sie es schon als Kind und später als Jungfräulein taten?« »Ist er etwa immer noch derselbe?« fragte Alix lachend, und er schmunzelte. »Jawohl, er ist ja auch noch gar nicht alt. Der macht’s schon noch ‘ne Weile. Soll ich den Sattel auflegen?« »Danke sehr«, wehrte sie Vergnügt. »Ein Ritt auf diesem lammfrommen, dicken Braunen kann mich nicht mehr reizen. Ich habe in den Jahren, da ich nicht hier war, nun wirklich reiten gelernt. Leider besaß ich nicht mein eigenes Pferd, sondern ritt eins aus dem Tattersall.« »So schaffen Sie sich doch ein Reitpferd an, gnädiges Fräulein«, schlug Vater Brasch eifrig vor. »Platz ist in diesem Stall reichlich, da steht bloß der Braune drin. Das Viehzeug ist auf dem andern Ende untergebracht.« Alix betrat den Stall und konnte zu ihrer Freude feststellen, daß sich in dem luftigen und hellen Raum noch sehr gut eine Pferdebox einrichten ließ. Also sah sie gar nicht ein,

Page 31: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

warum sie sich nicht ihrer Sehnsucht Traum erfüllen sollte^ Fragte sich nur, woher sie ein passendes Tier bekam. Doch dafür wußte Vater Brasch guten Rat. »Sprechen Sie doch mit dem Verwalter von Isen. Die haben dort eine prima Pferdezucht, sogar wunderbare Trakehner sind darunter. Pferdchen sage ich Ihnen, gnädiges Fräulein, daß einem das Herz im Leibe lacht. Fragt sich nur, ob Sie so viel Geld haben – denn die Dinger sind unverschämt teuer«, kratzte er sich verlegen am Kopf, und Alix lachte. »Nun, dann quetsche ich mein Portemonnaie eben kräftig, vielleicht kommt dann soviel heraus. Was meinst du dazu, Tante Grit?« »Versuch es nur«, riet diese trocken. »Dafür ißt du dann fortan Kartoffeln und Salz. Denn so eine kostspielige Angelegenheit kann nur durch Opfer erkauft werden.« Unsicher sah Brasch von einer zur andern und meinte dann schmunzelnd: »Es liegt aus dem Nachlaß unseres Fräulein Riekchens noch eine ganz nette Summe für die Erbin auf der Bank. Und dann – und überhaupt…« »Hat unsere Alix immer fünf Pfennig mehr in der Tasche, als sie braucht«, warf Grit lachend ein. »Wie kommen wir aber mit dem Verwalter ins Geschäft?« »Indem Sie ihn in Isen aufsuchen und ihm Ihren Wunsch vortragen, gnädige Frau. Herr Druschmann ist nämlich ein prima Pferdekenner und wird daher dem gnädigen Fräulein, von dem er außerdem noch große Stücke hält, bestimmt was Erstklassiges aussuchen. Gehen die Damen doch gleich mal zu ihm hin. Denn heute, am Sonntagvormittag, werden Sie ihn bestimmt zu Hause antreffen. Es ist ja nur knappe drei Kilometer weit.« »Wird gemacht«, entschied Alix fröhlich. »Komm, Grit, setzen wir unsere Piedestale in Bewegung.« Dem schmunzelnden Brasch zunickend, gingen sie davon, von dem Neufundländer treu begleitet. Es machte wirklich

Page 32: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Freude, geruhsam durch die erwachende Natur zu wandern. Herrlich war das zarte Grün der Weiden. Die Birken umhüllte es wie ein hauchdünner Schleier, an den hohen Kastanienbäumen saßen die Knospen dick und prall. Die Erlen, die den munter hüpfenden Bach säumten, warteten nur darauf, bei Sonnenschein ihre Blätter zu entfalten. Ab und zu trieb ein Strauch auch schon zaghaft Blüten. »Ist das nicht wunderbar, Tante Grit?« sagte Alix versonnen. »Sieh dir das alles nur an. Christian Morgenstern hat ja so recht, wenn er sagte: Butterblumengelbe Wiesen, feuerampferrot getönt, o du überreiches Sprießen, wie das Aug’ es nie gewöhnt. Vogelsangdurchschwellte Bäume, wunderblütenschneebereift – ja fürwahr, ihr zeigt mir Träume, wie die Brust sie nie begreift.« »O ja, der Mann hat’s erfaßt«, bekräftigte Grit. »Es gibt schon Dichter, die das in Worten klarmachen, was wir gewöhnliche Sterbliche unklar empfinden – wenigstens wir Stadtmenschen, die mit der Natur nicht verwachsen sind. Bei uns ist manches Wunder leider nur Selbstverständlichkeit. Ich jedenfalls erlebe das Erwachen der Natur zum ersten Male direkt auf dem freien Land, und ich muß sagen, daß ich jetzt erst die Landbewohner so recht verstehe, die so zäh an ihrer Scholle hängen.« »So wird dir das Landleben wirklich nicht langweilig werden?« forschte Alix bang, und ein gutes Lächeln beruhigte sie. »Ich glaube nicht. Mach nicht so ängstliche Augen, mein Kleines, ich laufe dir nicht davon, solange du meiner bedarfst.« »Als ob ich nicht immer deiner bedürfen würde«, kam es spontan über die jungroten Lippen, und die weit- und lebenserfahrene Grit von Alkes lächelte nachsichtig. »Jetzt keine Phrasen, mein Kind. Die gehören nicht in diese wundersame Natur.« »Na schön«, meinte Alix wie abschließend, schob den Arm

Page 33: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

unter den der Tante und wanderte so mit ihr dahin. Der Weg, den sie gingen, war holprig und schlecht. Aber sie achteten dessen nicht. Es gab ja so viel Herzerquickendes rundum zu schauen. Bis Grit den Schritt verhielt und auf das Schloß zeigte, das sich unweit in seiner Herrlichkeit preisgab. Wie eine Feste wirkte es mit seinen weißen Mauern, seinen Altanen und Türmen. Auf dem Mittelturm flatterte eine Fahne lustig im sachten Frühlingswind. Er ließ nicht das Wappen darauf erkennen und nicht die Inschrift. »Ist das Isen?« fragte Grit lebhaft, und Alix nickte. »Ja. Ein trutzig Gebäude.« »Hast du eine Ahnung, was das Wappen bedeutet und was darin steht?« »O ja, Tante Riekchen erklärte es mir. Das Wappen zeigt ein Schwert, dazu sich zwei drückende Männerhände, die Inschrift lautet: Isenhardt und treu. Also eisenhart im Kampf, eisenhart in der Treue.« »Interessant. Also muß es ein uraltes Geschlecht sein, da Isen noch Eisen bedeutete.« »Nehme ich auch an. Aber schau mal, Tantchen, wie golden die Sonne sich in den Fensterreihen spiegelt. Demnach müßte es nur Sonne in der trutzigen Feste geben. Doch wie die Braschchen erzählen, scheint auch hier nicht alles Gold zu sein, was glänzt.« »Wohl dir, mein Kind, daß du den wahren Sinn erfaßt hast. Doch nun komm. Mich gelüstet es nach einem warmen Trunk und gutdeutscher Behaglichkeit.« Beides wurde ihnen zuteil, als sie das schmucke Haus betraten, in dem der Verwalter von Isen wohnte. Schmunzelnd trat er ihnen entgegen, und gleichfalls schmunzelnd nahm seine getreue Ehehälfte die Gäste in Empfang. Zwar glich sie keinem betulichen Muttchen mit ihrer zierlichen Gestalt, aber die vergnügten Augen in dem lieben Gesicht ließen erkennen, daß sie ein guter Mensch war mit Sinn für Humor. »Grüß Gott, Fräulein Grodes«, sagte sie herzlich. »Endlich

Page 34: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

erblickt man Sie einmal wieder. Reichlich lange haben Sie das Rosenhaus vernachlässigt. Und die Dame…« »Ist Frau Grit von Alkes, die Schwester meines Vaters«, stellte Alix vor. »Ich liebe sie sehr.« »Dann soll auch sie uns von ganzem Herzen willkommen sein«, entgegnete Frau Druschmann einfach. »Bitte, meine Damen, treten Sie ein und bringen Sie Glück herein.« Wenig später saß man denn im Wohnzimmer, dessen Gemütlichkeit dem Charakter seiner Bewohner entsprach. Alix, die es bereits kannte, ließ sich von der Traulichkeit aufs neue einspinnen, und auch Grit fühlte sich äußerst behaglich. Der prickelnde Trank, den der Hausherr servierte, löste die Zungen, und man plauschte vergnügt. »Werden Sie nun länger im Rosenhaus bleiben, Fräulein Grodes?« erkundigte sich Frau Druschmann, und das Mädchen nickte. »Ja. Ich habe das Abitur hinter mir und seit Ostern auch die Höhere Handelsschule. Also darf ich jetzt mit ruhigem Gewissen für längere Zeit Freifräulein spielen.« »Das ist recht«, lobte der Verwalter. »Der Wissenschaft ist ja nun Genüge getan. Hoffentlich wird es den Stadtdamen mit der Zeit auf dem Lande nicht zu langweilig werden.« »Mir bestimmt nicht«, gab Alix fröhlich Antwort. »Denn Sie wissen ja, wie gern ich immer im Rosenhaus weilte. Und wenn meine Tante Abwechslung haben will, kann sie ja zur Stadt fahren, die gewissermaßen nur einen Katzensprung weit von hier liegt. Und nun komme ich zum eigentlichen Zweck meines Besuches. Ich möchte mir nämlich ein Reitpferd anschaffen und wollte Sie fragen, ob Sie mir dazu verhelfen können. Vater Brasch sagte mir, daß Sie hier sogar Trakehner haben.« Fragend sah sie ihn an, der umständlich eine Zigarre in Brand steckte, sie um die Nase kreiste und genießerisch das Aroma einzog. Dann meinte er bedächtig: »Tja, das ist so’ne Sache. Ein schönes Tier wäre ja wohl da. Ein ganz besonderer Prachtkerl, nicht direkt fromm, aber

Page 35: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

leicht an der Hand. Doch ich weiß nicht, ob mein Herr sich dazu entschließen könnte, ihn abzugeben, weil er sehr an dem Burschen hängt, der ja eigentlich nur als Luxus herumsteht. Und über ein anderes eingerittenes Rassepferd, das abgegeben werden könnte, verfügen wir zur Zeit noch nicht.« »Das ist aber schade«, war Alix enttäuscht. »Ich habe so große Hoffnung auf Sie gesetzt, Herr Verwalter. Können Sie nicht bei Ihrem Herrn ein gutes Wort für mich einlegen? Ich selbst will alles versuchen, um ihn zu betören.« »Hm«, schmunzelte der Mann, während die beiden älteren Damen amüsiert lachten. »Ich würde dabei weich werden wie Butter in der Sonne. Aber mein Herr läßt sich nicht so leicht betören – er ist nämlich durchaus kein Damenfreund.« »O jeh«, seufzte das Mädchen. »Dann lieber nicht. Vor solchen Männern habe ich Angst.« »Nun, so arg ist es auch wieder nicht«, tröstete Frau Druschmann. »Der Herr Baron ist sogar ein ritterlicher Mann. Er hat nur so seine Grundsätze, zu denen er durch böse Erfahrungen gekommen ist.« »Ich brauche ja gar nicht mit ihm zu verhandeln«, schlug Alix eifrig vor. »Der Herr Verwalter tut es, während ich mich im Hintergrund halte.« »Wird sich schlecht machen lassen«, meinte der Mann bedauernd. »Wenn mein Herr sich dazu entschließen sollte, das Pferd zu verkaufen, dann werden Sie, gnädiges Fräulein, ihm erst einmal eine Probe Ihrer Reitkunst ablegen müssen. Denn er hält davon bei den Stadtdamen nicht viel – und gerade das Tier soll keinem Stümper in die Hände fallen. Dafür ist es zu edles Blut. Hatten Sie denn schon zu Hause ein Reitpferd?« »Nein, leider nicht. Mein Vater hat mir keines bewilligt. Also mußte ich mich mit einem aus dem Tattersall begnügen, wo ich auch reiten lernte.« »Naja«, brummte der Mann. »Wollen mal sehen. An meiner Fürsprache soll es jedenfalls nicht liegen.«

Page 36: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Dann bin ich aber froh«, lachte Alix, und die Tante fragte: »Hast du überhaupt deinen Reitdreß mit?« »Nein. Aber ich rufe heute noch zu Hause an, damit er mir sofort nachgeschickt wird. Übermorgen kann ich ihn dann haben.« »Ich glaube, mein Kind, die Sache fängt an, dich zu reizen, weil sie schwierig ist«, lachte Grit. »Oder ich müßte das Eisenschädelchen meiner Kleinen nicht kennen.« »Hat sie das?« fragte der Verwalter schmunzelnd. »Und wie!« »Grit, du übertreibst«, verteidigte sich das Mädchen. »Was nützt überhaupt ein harter Schädel, wenn die Wand, gegen die er anrennt, noch härter ist?« »Gut ausgedrückt«, meinte die Tante trocken. »Und nun müssen wir uns verabschieden, damit wir zum Mittagessen zur Zeit kommen. Sonst ringt Muttchen Brasch die Hände über dem verbrutzelten Sonntagsbraten.« Also machte man sich auf den Weg und kam gerade noch zu einem guten Mahl zurecht. Sobald am nächsten Morgen der Verwalter seines Herrn habhaft werden konnte, trug er ihm den Wunsch des Fräulein Grodes vor. Doch als er ein ironisches Lächeln in den Winkeln des hartgeschnittenen Mundes bemerkte, sah er seine Sache schon fast verloren. »So so – eine Sonntagsreiterin will ausgerechnet meinen >Goldlack< erwerben«, sprach dann die sonore Stimme gelassen. »Und nur weil sie Geld hat, um sich so eine Kostspieliegkeit leisten zu können. O nein, mein lieber Herr Druschmann, dafür ist mir der prächtige Bursche denn doch zu schade.« »Aber, Herr Baron, verkaufen müssen wir ihn doch«, wagte der andere einzuwenden. »Er steht doch nur als Luxus hier herum und wird viel zu wenig bewegt. Ich glaube bestimmt, daß >Goldlack< bei Fräulein Grodes bestens aufgehoben wäre.« »Somit hat die junge Dame Sie bereits betört«, traf ihn ein schräger Blick aus den blauen Männeraugen, in denen es

Page 37: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

humorvoll aufblitzte, und Druschmann lachte verlegen. »Sie kennen eben die Alix nicht, Herr Baron. Das ist schon ein entzückendes Rackerchen. Und daß auch ein guter Kern in der gleißenden Hülle stecken muß, ist daraus zu ersehen, daß die verstorbene Besitzerin vom Rosenhaus, eine mürrische, fast menschenfeindliche Dame, in das süße Balg vernarrt war.« »Eben – vernarrt«, warf Isenhardt trocken ein. »So was macht blind, mein lieber Druschmann. Wo hat denn die junge Dame reiten gelernt?« »Im Tattersall, Herr Baron, wo sie sich auch ein Pferd mietete. Ein eigenes bewilligte der Vater ihr nicht.« »Da wird der Herr ja auch wissen warum. Denn an Geld dazu dürfte es dem doch wahrlich nicht fehlen, wie ich zufällig weiß. Er wird ja die Launen seiner Tochter kennen, die heute etwas dringend begehrt, um es morgen überdrüssig in die Ecke zu werfen. So eine Laune ist es wohl auch, sich im Rosenhaus einzuquartieren, das, so schön es auch ist, immerhin zu primitiv für ein so verwöhntes Mädchen sein dürfte. Und der charmanten, kultivierten Frau Tante nicht minder. Also werden die Damen bald flüchten – und was würde dann aus Goldlack werden?« »Allerdings.« Der Verwalter kratzte sich den Kopf. »Aber ich glaube – hm - Ihre wenige Sympathie für Frauen macht Sie da ungerecht, Herr Baron.« »Mag sein«, knurrte der Baron. »Daher möchte ich nicht sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten und den Verkauf des Pferdes nicht von vornherein brüsk ausschlagen. Leider kann ich es nicht immer behalten, das sehe ich ein«, setzte er seufzend hinzu. »Es hat zu wenig Daseinsberechtigung und verkommt bei der wenigen Bewegung. Und den lieben Burschen mir als Reitpferd zu erwählen, geht auch nicht. Denn erstens liebe ich meinen Rappen, und dann ist Goldlack mehr ein Damenpferd. Also, Herr Verwalter, sagen Sie Fräulein Grodes Bescheid, daß ich nicht abgeneigt bin, ihr den Goldfuchs zu

Page 38: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

verkaufen. Aber erst, wenn ich mich von ihrer Reitkunst habe überzeugen können – und mir das Zurückkaufsrecht zugebilligt wird.« Das ging ja besser, als ich befürchtete – dachte Druschmann, dem der berühmte Stein vom Herzen fiel. Kleine entzückende Alix, ich habe getan, was ich konnte – nun zeige du, was du kannst. Am Dienstag traf dann der Reitdreß im Rosenhaus ein und noch vieles andere, was Grit und Alix für unbedingt nötig hielten. Letztere hatte am Fernsprecher Alma persönlich gesprochen, die das Gewünschte notierte und den Auftrag gewissenhaft ausführte. Einem der fünf großen, schweren Pakete lag ein Zettel bei, auf dem in flüchtiger Schrift vermerkt stand: Alles noch unverändert bei uns. Mir scheint, als ob der Herr Papa sich den Polypenarmen, die ihn umklammert halten, nicht mehr entwinden kann – oder es müßte ein Wunder geschehen. Unser verehrtes Fräulein Alix nebst der gnädigen Frau fehlen uns sehr. Ja, das waren noch Zeiten, so voller Friede und Eintracht. Wir sind sehr traurig, daß sie zu Ende sind. Falls das Gefürchtete eintreten sollte, kündigen wir, weil wir wissen, daß dann fortan hier der Teufel los sein wird. Wenn es soweit ist, gebe ich die mir anvertrauten Schlüssel den Gärtnersleuten ab, die sind treu und verschwiegen. Alles Gute der gnädigen Frau und dem gnädigen Fräulein wünschend, bin und bleibe ich Ihre traurige Alma Nachdem Alix diese Zeilen gelesen hatte, gab sie das Blatt an die Tante weiter, die es auch las und dann seufzend meinte: »Also nimmt das Unheil seinen Lauf. Gott möge dem Verblendeten gnädig sein.« Alex sagte nichts darauf, weil ihr die Tränen nahe waren. Um sich abzulenken, ging sie an den Apparat und rief Druschmann an, der sich gleich persönlich meldete:

Page 39: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Gutsverwaltung Isen.« »Der gestrenge Herr Verwalter selbst?« »Wer will mich denn da auf den Arm nehmen?« »Die Sehnsucht nach dem schwer zu erringenden Goldfuchs hat.« »Ah, Dornröschen persönlich«, lachte der Mann in seinem dröhnenden Baß. »Bitte sehr, ich bin ganz Ohr.« »Spötter! Lohnt es, im Reitdreß nach Isen zu kommen, um sich vor Ihrem Herrn und Gebieter niedlich zu machen? Niedlichmachen verpönt – aber als gute Reiterin präsentieren? Was hat er gesagt – Sonntagsreiterin?! Nun, der Mann soll sich wundern!« Damit knallte sie den Hörer in die Gabel und sah verdrießlich zur Tante hin, die amüsiert lachte. »Ist das nun nett von dir, Gritchen? Ich hätte nie geglaubt, daß ein Pferdekauf mit solchen Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Scheint ein ausgewachsenes Ekel zu sein, der Herr Baron von Isenhardt.« »Hast du etwa vor, ihm das ins Gesicht zu sagen?« fragte die Tante schmunzelnd, und die Nichte warf den flimmernden Kopf in den Nacken. »Wenn er mir gar zu arrogant kommt, dann kann es schon passieren. Lächerlich, so ein Theater zu machen! Wozu züchtet der Mann denn Rassepferde, wenn sie kein Geld einbringen sollen?« »Ei, Alix, nicht zu hochtrabend«, warnte Grit. »Du hast es hier nicht mit einem deiner Anbeter zu tun, die sich, ohne zu murren, von dir schlecht behandeln ließen. Zwar sah ich den Baron nur kurz, doch ich habe nicht von ihm den Eindruck, daß er sich von einem so jungen Ding wie dir über den Mund fahren ließe. Da wirst du dich ihm gegenüber wohl auf deine gute Kinderstube besinnen müssen – wenn du Wert auf den Trakehner legst.« »Grit, du bist manchmal abscheulich.« »Habe ich bei dir Trotzteufelchen auch nötig«, kam es ungerührt zurück. »Dein Reichtum hat dich nämlich sehr selbstherrlich gemacht. Daher möchte ich dir zu bedenken

Page 40: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

geben, daß Geld nicht überall seine Macht hat. Und nun zieh keinen Flunsch, sondern gib der alten Tante recht, welche die Menschenkenntnis besitzt, die dir Grünschnäbelchen noch fehlt.« Da mußte Alix lachen – und Grit hatte wieder einmal über das eigenwillige Persönchen gesiegt. Am nächsten Vormittag fuhren die beiden Damen in dem schnittigen Zweisitzer nach Isen. Alix, die den Reitdreß trug, tat zwar lieb und brav, doch welche Gedanken hinter der zarten Stirn rebellierten, konnte Grit sich so ungefähr denken. Sie war wirklich gespannt, ob der ersehnte Pfedekauf zum Abschluß kommen würde. Als Alix auf den großen Gutshof fuhr, stand der Verwalter vor dem Stall, der die Rassepferde beherbergte. Schmunzelnd winkte er, und gleich darauf hielt das chromblitzende Gefährt mit einem kühnen Schwung. Das Mädchen sprang heraus und stand nun vor dem Mann, ihn lieblich anlachend. »Grüß Gott, Herr Verwalter! Wie stehen meine Chancen?« »Bis jetzt nicht besonders, mein gnädiges Fräulein«, drang von der Stalltür her eine sonore Stimme, die Alix herumfahren ließ. Es war kein guter Blick, der die rassige Männergestalt streifte – und erst ein lautes Räuspern Tante Grits ließ die heftigen Worte ungesprochen, die dem jungroten Mund entschlüpfen wollten. Statt diesen kam die Antwort scheinheilig: »Das tut mir aber leid, Herr Baron. Darf ich dann wenigstens meiner Sehnsucht Traum in Augenschein nehmen?« »Ein Pferd – der Sehnsucht Traum einer jungen Dame?« kam es sarkastisch zurück. »Ist das denn nicht der Mann – der Einzigeine?« »Sollte mir einfallen«, klang ein köstlich frisches Lachen auf. »Der steht für mich noch in den Sternen geschrieben. Ein Pferd scheint mir auf jeden Fall greifbarer zu sein.« In den blitzblauen Männeraugen zuckte ein Lachen auf –

Page 41: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

und der Verwalter schmunzelte. Potztausend, das Marjellchen schien Haare auf den Perlzähnen zu haben! Aber recht so, sicherlich erreichte es bei diesem unbestechlichen Herrn damit mehr, als wenn es ihn becircte. Und tatsächlich rief die herrische Männerstimme zum Stall hin: »Gustav, ist der Goldfuchs gesattelt?« »Jawohl, Herr Baron.« »Dann führe ihn vor.« Gleich darauf stand das Pferd, ein wahres Prachtexemplar an Schönheit und Rasse, in all seinen Reizen da. In den wunderschönen Mädchenaugen leuchtete es auf. Eine zarte Mädchenhand griff nach dem Kopf des nervösen Tieres, schmeichelnd drückte eine blütenweiche Wange sich gegen die geblähten Nüstern. »Du bist schon ein Prachtkerl«, sprach eine zärtliche Stimme auf den mißtrauischen Goldfuchs ein. »Wollen wir es mal miteinander versuchen? Ich glaube, wir verlieben uns gegenseitig unsterblich. Da magst du wollen oder nicht.« Ein eleganter Schwung – und die grazile Gestalt saß im Sattel. Hochauf bäumte das überrumpelte Tier, schäumte ins Gebiß und gab sich alle Mühe, sich der leichten Last zu entledigen. Alle, die es sahen, hielten vor Spannung den Atem an. Gernot Isenhardt stand sprungbereit, um zu gegebener Zeit ein Unglück zu verhüten. Allein, seine Bereitschaft erwies sich als unnötig. Eisern schien die kleine Faust zu sein, die den störrischen Gaul allmählich meisterte. Langsam resignierte er und ging dann schließlich federnd leicht unter der zarten, doch energischen Hand. »Bravo!« klatschte Druschmann begeistert in die Hände, als die charmante Reiterin nach einigen Runden um den großen Hof vor der Stalltür hielt. »Olala, gnädiges Fräulein! Sie können reiten, das muß Ihnen der Neid lassen.«

Page 42: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Also!« Sie sprang lachend ab und reichte dem nun friedlichen Tier ein Stückchen Zucker, das es behutsam mit den weichen Lefzen nahm. Dann wurde Goldlack schmeichelnd umhalst und zärtlich auf das samtweiche Maul geküßt. »Siehst du, mein Liebchen, wie prächtig wir beide uns bereits verstehen. Das muß selbst dein skeptisches Herrchen zugeben.« Ein mutwilliger Blick ging zu Isenhardt hin, der sich lächelnd verneigte. »Vor so spontaner Liebe bleibt mir nichts anderes übrig, als klein beizugeben, mein gnädiges Fräulein. Wenn man aber auch solch einen Nixenzauber ausstrahlt.« »Herr Baron, bitte sachlich bleiben.« Das feine Naschen hob sich hochmütig. »Bin ich nun würdig, um das Juwel zu erwerben?« Da huschte ein Schatten über das stolze Männerantlitz. Die blauen Augen sahen fast melancholisch dem Trakehner nach, den der Pferdepfleger jetzt in den Stall zurückführte. Und dann kam es kurz über die hartgeschnittenen Lippen: »Gnädiges Fräulein, ich verkaufe Ihnen das Pferd nur unter der Bedingung des Zurückkaufrechtes.« »Wie soll ich das verstehen?« fragte sie befremdet. »Daß ich Goldlack von Ihnen wieder erwerben kann, sofern Sie seiner nicht mehr benötigen.« »Und wann sollte das sein?« »Wenn Sie des Rosenhauses überdrüssig sind und in die Stadt zurückkehren.« »Ach so«, dehnte sie. »Jetzt bin ich im Bilde. Also abgemacht, Herr Baron. Falls ich des Rosenhauses und des Goldfuchses überdrüssig sein sollte, können Sie ihn von mir zurückerwerben. Gilt nun der Verkauf?« »Ja.« Da strahlte es in den Mädchenaugen auf. Wie Sonnenfunken flirrte es darin, die über glänzendblauen Atlas hüpfert. Der jungrote Mund lachte, daß die gesunden Zähne nur so blitzten. In dem Moment trat der

Page 43: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Pferdepfleger in die Stalltür und fragte zögernd: »Soll ich Goldlack den Sattel abnehmen, Herr Baron?« »Nein!« rief Alix, bevor der Gefragte noch antworten konnte. »Führen Sie ihn wieder vor – er gehört jetzt mir.« »Stimmt das, Herr Baron?« »Ja, Gustav.« Gleich darauf stand der Goldfuchs wieder vor dem Stall. Mit Besitzerstolz legte Alix ihren Arm um den Hals des Tieres und rief der Tante, die dem allem mit fast atemloser Spannung gefolgt war, mutwillig zu: »Kutschiere den Wagen nach Hause, Gritchen, ich eile dahin hoch zu Roß.« Damit schwang sie sich in den Sattel, machte vergnügt »Winke-winke« und ritt ab. »Da stehe ich nun wie eine Glucke und schaue resigniert dem Entenküken nach, das auf dem Teich entschwindet«, klagte Grit, und Druschmann zwinkerte ihr zu. »Nicht immer leicht, die Beschützerin dieser eigenwilligen jungen Dame zu sein, stimmt’s, gnädige Frau? Aber keine Angst, sie meistert den Goldlack schon. Wie lange reitet sie überhaupt?« »Ungefähr drei Jahre. Sie hat einen Reitlehrer gehabt, der dafür bekannt ist, sich nur mit Reiterinnen zu beschäftigen, bei denen es sich lohnt. Die andern lehnt er einfach ab.« »Na also«, schmunzelte Druschmann. »So können wir die kleine Amazone ruhig gewähren lassen.« Grit verabschiedete sich von ihm und wandte sich dann Isenhardt zu, ihm liebenswürdig die Hand entgegenstreckend, über die er sich artig neigte. »Besten Dank, Herr Baron. Sie haben mit dem Pferd meiner Nichte eine große Freude bereitet.« Dann fuhr sie ab, und der Verwalter sprach ihr anerkennend nach: »Eine fesche Dame, klug und energisch dazu. Ganz das, was die kapriziöse kleine Alix als Ehrendame braucht.« »Lebt denn die Mutter von Fräulein Grodes nicht mehr?«

Page 44: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

fragte Isenhardt. »Nein, sie starb vor zwei Jahren. Das weiß ich von Brasch, der mit seiner jungen Herrin in Briefwechsel stand. Na ja – nun sind wir unseren Goldlack sozusagen Hals über Kopf losgeworden, Herr Baron. Mir tut es bestimmt leid, aber behalten konnten wir ihn auch nicht.« »Soll das etwa ein Trost sein, mein Getreuer?« fragte sein Herr lächelnd. »Dann bemühen Sie sich nicht. Ich bin viel zu vernünftig, um die Notwendigkeit, mich von dem Tier zu trennen, nicht einzusehen. Ich wollte es nur in gute Hände geben, was mir ja nun auch gelungen ist.« »Und wie steht es mit der Bezahlung, Herr Baron?« »Nun, die junge Dame wird zahlen, was dieses edle Tier wert ist.« »Ganz meine Meinung«, schmunzelte Druschmann. »Sie hat es ja, und wir können es gebrauchen.« Alix zahlte. Sogar mit Vermittlungsgebühr für Druschmann, dem sie ein Kistchen mit extragutem Wein überreichte. »Nehmen Sie nur«, zwinkerte sie ihm vergnügt zu, als er zögerte, »Sie haben es sich redlich verdient – und ich gebe aus meinem Überfluß. Das Zeug hat sich mit der Zeit hier so angesammelt, daß wir es allein bestimmt nicht schaffen können.« »Na, wenn es so ist, dann will ich mich erbarmen. Aber ich werde diesen Reichtum mit meinem Herrn teilen, einverstanden, gnädiges Fräulein?« »Wenn Sie ihm damit nicht auf seine hochnoble Zehe treten, dann bitte sehr«, schnitt das Mädchen eine Grimasse, und die Tante berief es, halb lachend, halb ärgerlich. »Alix, du hast einen verflixt losen Schnabel. Was sagen Sie bloß dazu, Herr Durschmann?« »Daß sie nicht so ganz Unrecht hat«, schmunzelte der Gefragte. »Man muß bei dem Herrn Baron tatsächlich sehr vorsichtig sein. Selbst ich weiß sogar manchmal nicht, woran ich bei ihm bin.«

Page 45: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Na also«, entgegnete Alix lachend. »Für mich ist er jedenfalls ein Mensch, um den man im großen Bogen herumgehen sollte. Denn so was von Arroganz ist mir noch nicht vorgekommen.« »Da tun Sie ihm aber Unrecht, gnädiges Fräulein. Zwar ist er verschlossen und unzugänglich – aber er ist ein Mensch. Verstehen Sie, was ich damit meine?« »Ja. Doch Ihr Urteil ist befangen, weil Sie in Ihren Herrn vernarrt sind.« »Stimmt«, gab der Mann freimütig zu. »Ich habe aber auch alle Veranlassung dazu, es zu sein. Schauen Sie, meine Damen, ich bin jetzt bereits zwölf Jahre Verwalter auf Isen – und ich habe davon mehr als elf unter dem verstorbenen Baron gearbeitet. Er war nicht gerade ein schlechter Gebieter, aber an den jetzigen reichte er keineswegs heran. Der hat nämlich ein Herz für seine Untergebenen, was man bei dem andern vermißte. Na ja, reden wir nicht davon. Ich jedenfalls weiß, was ich an meinem Herrn habe. Der ist vornehm in jeder Beziehung.« »Amen«, schloß Alix pathetisch, und da mußte der Mann denn doch lachen. Man konnte dem Schelm einfach nicht böse sein, wie er so dastand mit blitzenden Augen und spitzbübischem Lächeln. »Nun zieh dein loses Zünglein ein«, riet die Tante amüsiert. »Sorg lieber für einen guten Tropfen, den wir uns auf der Terrasse einverleiben werden. Es ist nämlich unverantwortlich, bei diesem herrlichen Maiwetter im Zimmer zu sitzen.« Während Alix enteilte, legte Druschmann den Scheck, den er als Bezahlung des Pferdes von dem Mädchen zu treuen Händen überreicht bekommen hatte, sorgfältig in die Brieftasche. Dann folgte er Grit auf die Terrasse, wo man unter dem großen Schirm sonnengeschützt sitzen konnte. Auf den Beeten blühten die ersten Frühlingsrosen, auch über das Terrassengeländer rankten sich schon einige. Ein Rosenmuster zeigte auch die

Page 46: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Decke auf dem Tisch, selbst die Gläser, die Alix brachte, waren mit eingeschliffenen Rosenranken verziert. »Man kommt sich hier wirklich wie bei Dornröschen vor«, schmunzelte Druschmann. »Da kann man wirklich singen: Tausend rote Rosen blüh’n, in dem Land der Liebe. Ist das so, gnädiges Fräulein?« »O ja. Hier liebt sich alles, von dem kleinsten Küken angefangen bis zu meiner charmanten Tante. Wir sind ein liebend Volk von Rosenduft umnebelt. Und damit Prost, Herr Verwalter!« »Prosit, Dornröschen!« »O wie schön. Da habe ich ja Aussicht auf einen Märchenprinzen. Denn das Märchenschloß besitze ich bereits.« »Das ist fast so, als ob du schon einen Knopf zum kommenden Mantel hättest«, meinte Grit trocken. In dem vergnügten Tön ging die Unterhaltung weiter. Der Gast konnte sich kaum trennen von den beiden fröhlichen Menschen und ritt erst ab, als die Sonne sich dem Horizont näherte. Vorher hatte er sich davon überzeugt, daß Goldlack in dem Stall vorzüglich untergebracht war. Er stand zufrieden in seiner Box und hatte mit dem dicken Braunen bereits Freundschaft geschlossen. Vergnügt vor sich hinpfeifend, ritt Otto Druschmann durch den knospenden Maiabend. Er fühlte sich so wohl in seiner Haut, wie es nur ein Mensch tun kann, der mit seinem Leben restlos zufrieden ist. Als er auf den Gutshof ritt, kam sein Herr ihm vom Stall entgegen, wo er gerade sein Pferd abgeliefert hatte. Der Verwalter saß ab und grüßte lustig: »Guten Abend, Herr Baron! Ich komme aus dem Rosenhaus und bin nicht nur von dem Duft der Rosen, sondern auch von dem des Weins zart umnebelt. Und da oben, in dem Kistchen, liegt meine Vermittlungsprovision.« Lachend hob er die kleine Kiste, die er vorn am Sattel befestigt hatte, ab und übergab das Pferd dem herbeieilenden Stallburschen. Als der abgezogen war,

Page 47: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

machte Druschmann ein pfiffiges Gesicht. »Wie ist es, Herr Baron, wollen wir uns den Inhalt nicht teilen? Ich wette, daß Alix für Nachschub sorgt, wenn wir diesen Wein verposementuckelt haben. Sie liebt mich nämlich.« »Ich glaube, Sie haben im Rosenhaus so ein wenig über den Durst getrunken, mein Getreuer«, lachte sein Herr amüsiert. »Sonst würden Sie so eine kühne Behauptung sicherlich nicht aufstellen. Nun ziehen Sie ab mit Ihrem Reichtum, und gegen eine kleine Schmeckprobe habe ich nichts einzuwenden. Kommen Sie nach dem Abendessen zu mir.« Eine Stunde später ging der Verwalter zum Schloß, das einen imposanten Eindruck machte. Unnahbar stand es da in seiner schneeigen Weiße, durch Anlagen von dem großen Gutshof getrennt. Die wehende Fahne auf dem Mittelturm schien dem Mann lustig zuzuwinken, als ob sie wüßte, daß in seinem Herzen eingeprägt war, was auf dem Wappen stand: Isenhardt und treu. Denn ein Getreuer war Otto Druschmann, das hatten schon zwei Träger dieses Geschlechts erproben können. An der Portaltür, in deren dickem, geschliffenem Glas sich die untergehende Sonne spiegelte, drückte der Einlaßbegehrende auf den Knopf und wurde von dem Diener in Empfang genommen. In der großen Halle, die ihr Licht teils durch das Glasdach, teils durch die spitzbogigen, buntverglasten Fenster erhielt, war es bereits dämmrig. Wie Schemen wirkten die reichgeschnitzten Truhen, die wuchtigen Sessel mit dem Gobelinüberzug, den Geweihen, Bildern und Borden, auf denen manch Altertümliches und Kostbares stand. Laut hallten die Schritte auf dem Mosaikboden wider, wurden gedämpft, wenn der Fuß über die dicken Teppiche glitt. An eine der breiten Flügeltüren klopfte der Diener, meldete den Verwalter, der nun einen hohen, weiten Raum betrat, der so feudal wirkte, wie es nur alte Tradition zuwege bringen kann. Die breite Glastür, die zu einer kleinen

Page 48: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Terrasse führte, war weit geöffnet. Der Besitzer all der Herrlichkeit ringsum erhob sich von dem mächtigen Schreibtisch, der inmitten des Zimmers stand, und trat dem Verwalter entgegen. »Da sind Sie ja, mein Getreuer. Was halten Sie denn da so krampfhaft unterm Arm geklemmt?« »Die Kostprobe, Herr Baron!« Er stellte zwei Flaschen auf den Tisch, und sein Herr schmunzelte. »Na, Sie haben’s ja gut vor, bedenken Sie, daß der Wein aus der Privatschatulle der Grodes kommt, also wird er es wahrscheinlich in sich haben.« Wenig später funkelte dann der herrliche Burgunder in den geschliffenen Gläsern. Druschmann atmete genießerisch den Duft ein und schnalzte mit der Zunge. »Nun, duftet er etwa nach Rosen?« fragte sein Herr lachend. »Beinahe. Prosit, Herr Baron! Er setzt ihn an, er trank ihn aus. Nein, so ganz geht es doch nicht«, stellte er nach einem langen Zug das Glas auf den Tisch. »Das Zeug geht ja wie Feuer durch die Adern. Da hat Alix wirklich in ihre Privatschatulle gegriffen. Mag sich dabei schön ins Fäustchen gelacht haben, der entzückende kleine Racker.« Er horchte auf. Denn weiter hinten aus dem Park kam Gesang – wenn man das überhaupt noch damit bezeichnen konnte. Im Witwenhaus ging es wieder einmal hoch her. Dort befand die Bewohnerin sich in Gesellschaft gleichgesinnter Seelen, die sie jedesmal nach Erhalt des Monatswechsels einzuladen pflegte. Und vorgestern war der erste Mai gewesen, da mußte also das Geld möglichst schnell vergeudet werden. »Hab’ ich nur deine Liebe, die Treue brauch’ ich nicht«, grölte es durch den stillen Abend. Da stand Isenhardt auf, schloß die Tür, ließ die Jalousien herunter und machte Licht. Dann nahm er wieder Platz und trank dem Verwalter zu. »Herzlichen Dank für diesen guten Tropfen, mein Getreuer.

Page 49: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Es ist leichtsinnig, mir davon abzugeben. Denn so eine Extramarke erwischen Sie sobald nicht wieder, da Sie einen zweiten Pferdekauf bei Fräulein Grodes wohl kaum vermitteln werden. Wie haben Sie übrigens Goldlack vorgefunden?« »In bester Verfassung, Herr Baron. Er ist in dem Stall vorzüglich untergebracht, und an guter Behandlung und Pflege mangelt es ihm wahrlich nicht. Der gute Brasch ist über den Zuwachs begeistert.« »Nun, dann bin ich über Goldlacks Geschick beruhigt.« Damit wechselte Isenhardt das Gespräch, das sich hauptsächlich um die Landwirtschaft drehte. Dabei tranken sie den schweren Wein, von dem sie jedoch nur eine Flasche schafften. Trotzdem war Druschmann quietschvergnügt, als er dem schmucken Haus zuging, von dem er sagen konnte: Mein Heim ist meine Welt. Als er das Wohnzimmer betrat, traute er seinen Augen kaum… Da saß nämlich seine Eheliebste, stopfte seine Socken – und vor ihr stand ein Glas, in dem es rubinrot funkelte. Ihren geröteten Wangen und den glänzenden Augen nach zu schließen, mußte dieses Glas nicht das erste sein, das getrunken wurde. »Ja, sag mal, mein ehelich Weib, seit wann bist du unter die heimlichen Säufer gegangen«, zwinkerte er ihr zu. »Bisher war der Wein für dich doch nur Sündenwasser.« »Aber dieser nicht«, bekannte sie vergnügt. »Der flutscht wie Öl durch die Kehle und umnebelt so süß den Kopf. Glaubst du etwa, wenn du mit dem Herrn Baron trinkst, dann werde ich hier trocken sitzen? Gleiches Recht für alle, mein lieber Mann! Gieß dir auch ein Glas ein und halte mit. Wir können ruhig ein bißchen feiern, weil morgen ja Sonntag ist, und wir nicht so früh aus den Federn müssen.« »Hm – aber grauwollene Socken und blumiger Burgunder, wie verträgt sich das denn, Muttchen«, schmunzelte er. »Dazu mußt du poesievolle Gedichte lesen.« »Na, ist das hier wohl keine Poesie?« hielt sie ihm lachend

Page 50: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

den Strumpf entgegen, durch dessen Loch beinahe der Stopfpilz rutschen konnte. Beim Stiefeltragen war das mal nicht anders. Das wußte die Frau und stopfte daher die Löcher mit Ausdauer und Geduld, schon einundzwanzig Jahre, seitdem sie verheiratet war. »Weißt du, wenn ich so die Fäden hin- und herziehe, dabei läßt es sich wunderbar träumen. Wenn auch nicht gerade von Lenz und Liebe, so doch davon, wie gut es doch das Schicksal mit uns meint. Nicht mehr Arbeit, als wir schaffen können, ein gutes Auskommen, Gesundheit, einen guten Jungen, der, so Gott will, mal dein Nachfolger hier werden wird – und eine glückliche Ehe«, schloß sie leise, und der Gatte sah sie gerührt an. »Mit dir eine solche zu führen, ist ja auch weiter kein Kunststück, du liebes Fraule. Und jetzt werde ich mir ein Glas von dem Feuerwasser einschenken, damit ich mit dir anstoßen kann.« Hell klangen die Gläser zusammen. Dabei sahen die Gatten sich in die Augen und verstanden sich wie stets, ohne darüber viele Worte zu machen. »Na ja«, meinte der Mann. »Uns geht es auch wirklich beneidenswert gut. Hauptsächlich unter unserm jetzigen Herrn. Ist das ein Prachtkerl, immer wieder muß ich das feststellen. Ein Jammer, daß er das Kreuz mit der Modeste hat. Die feiert heute wieder mal.« »Ich weiß«, nickte die Frau bekümmert. »Das Mädchen Else war hier, um Butter auszuleihen. Sie will den Dienst kündigen, weil sie die viele Arbeit nicht schaffen kann, zumal das Kindermädchen weggelaufen ist und Else nun auch noch das Kind betreuen muß. Kein leichtes Amt, da die Kleine wohl ein reizendes Dirnlein aber sehr verzogen ist.« »Kein Wunder, da die Mutter ihr allen Willen tut, um nur ihre Ruhe zu haben. Und wiederum straft sie das Kind für nichts, immer gerade so, wie ihr die Laune steht. Hoffentlich findet sie bald einen Mann, damit sie unsern

Page 51: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Herrn nicht andauernd belästigt.« »Oder er bleibt an ihr hängen.« »Da sei Gott vor, Frauchen! Nun, zerbrechen wir uns nicht den Kopf, es kommt ja doch alles so, wie das Schicksal es will. Bitten wir den Herrgott, damit er für unsern Gernot alles zum Besten lenkt.« Hell und klar stieg der Maimorgen herauf. Er weckte mit seinen goldenen Strahlen die holde Schläferin im Rosenhaus. Die leuchtendblauen Augen öffneten sich, blinzelten ins Sonnenlicht, ein herzhaftes Gähnen, ein Strecken der schlanken Glieder – und Alix Grodes ward der Wirklichkeit wiedergegeben. Mit einem Satz sprang sie aus dem weichen Pfühl, trat an das geöffnete Fenster und dehnte die Arme weit, als wollte sie alles um sich her freudig umfassen. »Heute macht die Welt Sonntag für mich«, sang sie verhalten vor sich hin, um die nebenan noch festschlafende Tante nicht zu wecken – denn sechs Uhr war für die Stadtdame als Aufstehzeit noch zu früh. Man durfte ihr auch nicht zuviel zumuten. Alix war ja schon so froh, daß die Städterin das Landleben überhaupt ertrug. Herzliebes Gritchen – dachte sie zärtlich. Wie glücklich bin ich doch, dich zu haben. Du bist mir Mutter und Freundin zugleich, dafür sei dem Herrgott Dank. Leise ging Alix dann ins Badezimmer, duschte, zog danach den Reitdreß an, einen flauschigen Pullover darüber, schlich vorsichtig aus dem Haus und begrüßte den Hausgeist fröhlich, der aus dem Stall trat. »Guten Morgen, Vater Brasch! Was macht Goldlack?« »Hat soeben sein Frühstück intus, gnädiges Fräulein. Gestriegelt ist er auch, also steht einem Morgenritt nichts im Wege.« »Wunderbar! Eine Wonne soll das werden, bei diesem herrlichen Maisonntag.« Wenig später ritt Alix ab, das Herz zum Bersten voll vor Frühlingsseligkeit. Munter trabte das Pferd dahin, durch sprossende Fluren, an saftigen Wiesen vorbei, das

Page 52: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

geschwätzige Bächlein entlang, auf dessen Erlenbäumen sich die Blätter entfalteten. Wie ein hauchdünner Schleier wirkte der Nebel, der sich sacht zur Erde senkte. Also gab es heute nicht nur einen sonnigen Morgen, es würde auch einen sonnigen Tag geben. Frohgemut ritt Alix dahin, ein Frühlingslied vor sich hinsummend. Wie im Takt trabte der prächtige Goldfuchs, munter dazu schnaubend. Da seine Meisterin die Zügel locker ließ, suchte er seinen Weg allein, bis die Reiterin dann lachend Einhalt gebot. »Nein, du, dahin wollen wir nun wirklich nicht. Hinter dieser Mauer liegt Isen, wo du nichts mehr zu suchen hast – und ich erst recht nicht. Rechts ab, mein Lieber, an dieser vornehmen Abgeschiedenheit vorbei.« Ein leichter Schenkeldruck, und Goldlack trabte gehorsam den Weg an der Parkmauer entlang, die oben mit zwei Reihen Stacheldraht versehen war. Also eine Unmöglichkeit, darüber hinwegzusetzen. Was sich hinter dieser stacheligen Angelegenheit zeigte, waren die Wipfel der alten Bäume – alles andere blieb dem Auge des Unbefugten verdeckt. Selbst der Reiterin, so hoch war die Mauer. Isen mit seinem prächtigen Schloß war schon von jeher ein Anziehungspunkt für die junge Alix Grodes gewesen. Doch nie war es ihr vergönnt, die Stätte ihrer Sehnsucht anders als von außen in Augenschein zu nehmen. Denn Tante Riekchen pflegte keinerlei Verkehr und den mit den Bewohnern von Isen schon gar nicht. Im Gegenteil, sie stand mit dem buckligen Besitzer in ewigem Streit. In des Mädchens Gedanken hinein wieherte unweit ein Pferd, dem Goldlack freudig Antwort gab. Er preschte ab und hielt bald darauf vor einem Rappen, der als Reiter den Herrn aller Reußen hier trug. Daneben lief Harras, der prächtige Spaniel, auf den nun der nicht minder prächtige Neufundländer Barry, der Alix stets auf ihren Ritten begleitete, zuging und ihn mißtrauisch unter die Nase nahm. Zuerst ein Knurren auf beiden Seiten –

Page 53: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

dann wurden die buschigen Schwänze in Bewegung gesetzt. »Guten Morgen, gnädiges Fräulein«, grüßte der Reiter lachend. »Hoffentlich vertragen wir beide uns auch so gut wie unsere Hunde. So früh schon unterwegs?« »Ja, und zwar auf verbotenem Wege.« »Nun, wenn die verbotenen Wege bei jungen Damen alle so harmlos sind, lassen sie sich schon verzeihen.« »Sie scheinen ja von der Weiblichkeit eine schöne Auffassung zu haben, Herr Baron«, versetzte Alix schulterzuckend. »Aber immer, wie jedem schön ist.« »Ganz meine Meinung. Wie sind Sie mit Goldlack zufrieden, gnädiges Fräulein?« Bei der Frage leuchtete es in den Mädchenaugen auf, und was der blutrote Mund sprach, kam von Herzen: »Zufrieden ist gar kein Ausdruck, Herr Baron. Glücklich bin ich über den prächtigen Kerl! Er ist genau das Pferd, das ich mir immer wünschte. Nicht wahr, mein Süßer, wir haben uns lieb?« Als ob das Tier die Frage verstanden hätte, schnaufte es lustig, und Isenhardt lachte. »Von der beiderseitigen Liebe bin ich restlos überzeugt.« »Also. Tut es Ihnen immer noch leid, das Tier einer Sonntagsreiterin ausgeliefert zu haben?« »Gnädiges Fräulein, ich bin beschämt.« »Dazu haben Sie auch alle Veranlassung«, lachte sie hellauf über seine gemacht zerknirschte Miene. Dann jedoch horchte sie auf. Denn jenseits der Mauer schienen zwei Weiblichkeiten in Meinungsverschiedenheit geraten zu sein, und dazwischen weinte ein Kind. Ein klatschender Laut, als würde jemand geohrfeigt, und dann ein empörter Aufschrei: »Das lasse ich mir nicht gefallen, Sie -Sie Menschenschinderin! Ich gehe – und zwar sofort!« Laufende Schritte wurden hörbar, eine Tür krachte zu – und dann Stille. »Großer Gott, was war denn das?« fragte Alix erschrocken, und den Männermund umzuckte ein verächtliches Lächeln.

Page 54: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Nichts Beunruhigendes, gnädiges Fräulein«, gab der Mann gelassen Antwort. »So was gehört zur Tagesordnung in dem kleinen Haus am Ende des Parkes. Sie ist nämlich sehr temperamentvoll, die Baronin Modeste. Wenn sie nicht gerade mit Gegenständen um sich wirft, ohrfeigt sie ihre Angestellten oder schlägt ihr Kind.« »Und was tut die Dame in der Zwischenzeit?« »Dann ist sie eine lustige Witwe.« So trocken kam es heraus, daß Alix lachen mußte. »Kurz aber erschöpfend erklärt. Doch nun muß ich eilen, damit ich zum Frühstück zur Zeit komme. Welches ist der kürzeste Weg zum Rosenhaus, Herr Baron?« »Das läßt sich von hier aus schlecht erklären, gnädiges Fräulein. Ich will Ihnen gern das Geleit geben, bis Sie sich von selbst zurechtfinden können.« »Besten Dank, ich will Sie nicht bemühen.« »Bemühen?« blitzte ein Lachen in seinen Augen auf. »Vielleicht ist es mir ein Vergnügen.« »Dann allerdings«, gab sie mutwillig zurück. »Dann will ich Ihnen Ihr Vergnügen gnädigst lassen.« Sie ritten die Mauer zu Ende, und dann tat sich eine weite Wiese auf, der sich im Halbrund der Wald anschloß. Zwischendurch schlängelte sich das Bächlein, und links blinkte ein See auf. »Oh, hier bin ich ja noch gar nicht gewesen.« Alix zeigte lebhaft in die Runde. »Wunderschön ist das hier, und Sie sind ein glücklicher Mann, Herr Baron, das alles Ihr eigen nennen zu dürfen.« »Das bin ich.« Es leuchtete in seinen Augen auf. »Und jetzt wollen wir uns etwas erlauben, was sonst streng verboten ist, nämlich: den schmalen Weg entlang durch die Wiese reiten. Damit schneiden wir eine gute Ecke ab. Darf ich die Führung übernehmen?« »Bitte sehr.« Hintereinander ritten sie nun den Wiesenpfad entlang, bis das Bächlein Einhalt gebot. Gernot wandte sich zu Alix um und sah sie forschend an.

Page 55: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Können Sie den Sprung wagen, gnädiges Fräulein?« »Warum denn nicht?« war die verwunderte Gegenfrage. Ein leichter Schenkeldruck, ein aufmunterndes Wort – und schon setzte der Goldfuchs mit elegantem Satz über das Hindernis. Der Rappe folgte, und dann lachte Alix den Mann vergnügt an. »Hat er das nicht fein gemacht, mein Goldfuchs? Ich habe gar nicht gewußt, welch ein eleganter Springer er ist.« »Aber ich wußte es«, entgegnete der Reiter lächelnd. »Sonst hätte ich diesen Sprung verhindert, indem ich erst gar nicht diesen Weg mit Ihnen geritten wäre. Und nun wollen wir weiter.« Der Pfad stieg jetzt allmählich an, bis der Wald erreicht war. Bevor sie einritten, warf Alix einen Blick zurück, und ihre Augen strahlten. »Herrlich ist das hier, man könnte fast zum Dichter werden. Aber leider ist meine poetische Ader verstopft. Und so will ich denn mit Wieland sprechen: Nicht im Getümmel, nein, im Schöße der Natur, am Silberbach, im unbelauschten Schatten, besuchet uns die holde Freude nur und überrascht uns oft auf einer Spur, wo wir sie nicht vermutet hatten. Ist das nicht schön gesagt, Herr Baron?« »Gewiß, gnädiges Fräulein«, schmunzelte er. »Jedenfalls so, daß ich Stoppelhopser mit meinem nüchternen Gemüt diese poetischen Worte zu erfassen vermag.« »Na, Stoppelhopser«, dehnte sie, dabei mit raschem Blick seine elegante, rassige Gestalt umfassend. »Den stelle ich mir ja nun anders vor. Aber jeder muß wohl seinen Wert kennen«, setzte sie mutwillig hinzu – und da lachte der Mann so warm und herzlich, daß sie ihn ganz erstaunt ansah. Komisch, so ein Lachen hätte sie dem arroganten Spötter

Page 56: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

bestimmt nicht zugetraut. Da soll sich einer in den Männern auskennen! Sie ritten nun in den Wald ein, blieben eine kurze Strecke auf der glatten Straße, und dann lenkte Gernot sein Pferd in eine Schneise. Der weiche Boden dämpfte den Hufschlag der Tiere, die lustig schnaubten, das Sattelzeug knirschte. In der Nähe hämmerte ein Specht, Wildtauben gurrten zärtlich, in der Ferne bellte ein Hund, was Harras und Barry knurrend zur Kenntnis nahmen. Sie brachen jedoch nicht aus, wie sie gern gemocht, sondern hielten sich brav an Frauchens und Herrchens Seite. »Wie artig die Hunde sind«, sagte Alix bewundernd. »Ich hatte bis vor kurzem einen kleinen Schnauzer, der leider an Altersschwäche starb. Doch der war sehr ungezogen.« »Dafür war er ja auch weder ein Jagdhund noch ein Wachhund, sondern das eigenwillige Schoßhündchen einer nicht weniger eigenwilligen jungen Dame.« »Pfui, Herr Baron!« blitzte sie ihn entrüstet an, und er lachte. »Daß der Mensch doch nicht die Wahrheit vertragen kann.« »Na, das können Sie bestimmt nicht«, schnitt sie eine Grimasse. »Möchte mal sehen, wenn ich Ihnen sagen würde…« »Bitte, genieren Sie sich nicht«, ermunterte er, als sie mitten im Satz schwieg, doch sie winkte hochmütig ab. »Lassen wir das, Kommentar überflüssig.« Doch dann weiteten sich ihre Augen vor Entzücken. Vor ihnen lag ein grünendes Tal, und weiter hinten leuchtete ein rotes Ziegeldach. Heller Rauch kräuselte aus dem Schornstein zum klarblauen Himmel empor. »Das Rosenhaus grüßt sein Dornröschen«, sprach da eine sonore Stimme neben ihr, und da mußte sie trotz ihrer Verstimmung lachen. »Diese Benennung haben Sie doch sicherlich von Herrn Druschmann aufgeschnappt.« »Stimmt. Und ich finde sie so bezeichnend, daß ich sie mir zu eigen gemacht habe. Oder darf ich das nicht?«

Page 57: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Nein.« »Auch nicht denken?« »Das kann ich Ihnen nicht verbieten.« »Böse?« »Sehr.« »Schade.« Sie sah ihn an und bemerkte nun auch das Vibrieren der Nasenflügel und das Zucken in den Mundwinkeln. In den Augen blitzte ein Lachen. »Hoffnungsloser Fall«, meinte sie achselzuckend. »Und nun finde ich meinen Weg allein. Haben Sie Dank für Ihre Begleitung, Herr Baron.« »Ist der Dank ehrlich?« »Nein, höflich.« Ein Blick zu ihm hin, in dem tausend Teufelchen lachten, dann senkte sie die Gerte und ritt in schlankem Trab davon. Als Alix die Terrasse betrat, fand sie die Tante bereits beim Frühstück vor. Lachend und strahlend, wie dieser Maimorgen selber, stand das Mädchen da, und Grit betrachtete es eingehend. »Na, dir scheint ja ganz was besonders Erfreuliches auf deinem Morgenritt begegnet zu sein. Nimm Platz und beichte.« »Mit hungrigem Magen ist das zuviel verlangt, Tantchen. Außerdem gibt es nichts zu beichten – höchstens, daß ich in den sonnigen Knaben Mai verliebt bin. Guten Morgen, Muttchen Brasch!« grüßte sie dann fröhlich die Wirtschafterin, die frischen Kaffee brachte. »Da will ich mich mal gleich laben.« »Das tun Sie nur, gnädiges Fräulein. Der Kaffee ist heute ganz besonders gut. Ja – und was ich noch sagen wollte.« Sie strich verlegen die blütenweiße Schürze glatt. »Die Damen meinten doch, daß ich jetzt in der Wirtschaft ohne Hilfe nicht auskommen kann. Ich bin ja zwar anderer Ansicht – aber wenn es durchaus sein soll…« »Sind Sie nicht abgeneigt«, half Grit freundlich aus. »Es will

Page 58: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

mir fast scheinen, als hätten Sie diese Hilfe bereits gefunden.« »Stimmt«, nickte Mariechen strahlend. »Und zwar die Else, die bisher bei der Meduse…« »Modeste«, unterbrach Alix sie lachend. »Na, meinetwegen, verrückt ist alles. Auch Megäre…« »Dieser Name ist bestimmt der richtige«, warf Alix wieder übermütig ein, und da wurde die Tante energisch. »Sei still, du Strolch, du bringst Muttchen Brasch ja ganz aus dem Konzept. Was ist nun mit dieser dreifach benamsten Dame?« »Sie hat Else so geschlagen, daß Blut aus der Nase kam, die dann dick anschwoll«, platzte Muttchen empört heraus, und diesmal war es Grit, die sie lachend unterbrach. »Also, stimmt Megäre.« »Hab ich doch gesagt«, triumphierte Mariechen. »Zwar weiß ich nicht, was das ist, aber mein Alter sagt immer auch so was, und der ist gebildet.« »Also – wir bleiben bei Megäre – die hat Else, welche, wie ich vermute, in ihren Diensten stand, geschlagen, und nun will das Mädchen Knall und Fall den Dienst verlassen. Dazu hat sie auch ein volles Recht.« »Das sagt mein August auch. Geschlagen darf keiner im Dienst werden. Schon gar nicht so doll, daß die Nase anschwillt. Und da setzte die Else sich aufs Rad und kam zu mir, weil sie doch mein Schwesterkind ist und keine Eltern mehr hat. Da bin ich als Tante ihre einzige Zuflucht. Daß Gott erbarm, hat das Kind geweint, das Herz im Leib konnte sich einem umdrehen. Es weiß ja jetzt auch gar nicht, wohin es soll – na ja – und da dachte ich mir – weil wir doch hier jemand zur Hilfe brauchen – und weil unsere Damen so Seelen von Menschen sind…« »Ist schon gut, Muttchen Brasch«, sprach Grit in ihr Gestammel hinein. »Wenn Sie für das Mädchen gut sagen, wird es schon was wert sein. Ist es im Hause?« »Ja.« »Dann rufen Sie es bitte hierher.« Das ließ Mariechen sich

Page 59: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

nicht zweimal sagen. Hurtig entschwand sie und kam gleich darauf in Elses Begleitung zurück. Die Nase war tatsächlich dick angeschwollen, auch das eine Auge hatte was abgekriegt. Verschüchtert stand das Mädchen da, und Grit sagte freundlich: »Setzen Sie sich, Else. Und dann erzählen Sie, was sich heute auf Ihrer Dienststelle zugetragen hat.« Sie tat es unter Schluchzen. Und daß sie die Wahrheit sprach, konnte Alix bezeugen, die ja hinter der Parkmauer die Ohrfeigen gehört hatte. Also stimmte es wohl auch, daß, als das Mädchen ins Haus gelaufen war, die Megäre sich an ihm noch weiter vergriff. »Ist doch ein Skandal«, sagte Grit empört. »Wo gibt es denn so was, daß man seine Wut an Angestellten auslassen darf! Wie lange waren Sie denn in dem merkwürdigen Haus, Else?« »Vier Monate, gnädige Frau. Und das ist lange, andere liefen viel eher weg. Aber ich bin ein Waisenkind…« Sie weinte wieder, und da sprach Grit beschwichtigend auf sie ein: »Nun weinen Sie nicht mehr, Else. Sie können hierbleiben und Ihrer Tante in der Wirtschaft helfen. Wollen Sie das?« Oh, wie strahlte das Mädchen vor Freude. »Und ob ich will, gnädige Frau! Ich werde arbeiten fast Tag und Nacht, daran bin ich ja schon gewöhnt. Nicht genug, daß ich die ganze Wirtschaft allein besorgte, mußte ich auch noch die Gnädige bedienen und das Kind warten. Denn die Kindermädchen liefen ständig fort, weil die Gnädige sie immer gleich ohrfeigte, wenn ihr was nicht paßte. Eine gab ihr mal einen Schlag zurück, aber das wagten die andern nicht – und ich auch nicht. Und zu der vielen Arbeit, der schlechten Behandlung, auch noch miserables Essen. Wenn nichts da war, mußte ich zur Frau Verwalter gehen und Lebensmittel borgen – es war fürchterlich!« Jetzt weinte Else wieder und mit ihr die Tante.

Page 60: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»So ein armes Kind, daß Gott erbarm! Aber laß man, Eischen, jetzt sollst du es dafür auch ganz besonders gut haben. Unsere beiden Damen sind die reinen Engel…« »Zum mindesten lassen sie an den Angestellten nicht ihre Wut aus«, unterbrach Grit sie trocken. »Also, Else, Sie können gleich hierbleiben, wenn Sie wollen. Wie steht es mit Ihren Sachen?« »Ich habe Angst, sie zu holen«, bekannte sie kläglich, und da wurde Mariechen kriegerisch. »Na, da soll die Meduse sich hüten, dich noch einmal anzurühren! Onkel August geht mit dir und nimmt den Barry mit. Der ist nämlich auf den Mann dressiert.« Verdutzt sah sie Grit und Alix an, die in ihre geharnischte Rede hineinlachten. »Na, wenn Sie so scharfe Geschütze auffahren, Muttchen Brasch, dann wird Ihre Meduse sich wirklich hüten, zum Angriff überzugehen«, sagte erstere. »Nun ziehen Sie mit Ihrer Nichte ab.« Ehe sie es verhindern konnte, griff Mariechen nach ihrer Hand und küßte sie. Dann ging sie mit Else hinaus, und Grit blies die Backen auf. »Puh, so was ist anstrengend. Hauptsächlich, Dank in so einer Form anzunehmen. Die Baronin scheint ja eine recht lockere Hand zu haben – das heißt, wenn alles stimmt, was Else erzählte.« »Doch, das stimmt, Tante Grit. Zufällig war ich Zeuge, als sie das Mädchen ohrfeigte. Allerdings hörte ich’s nur hinter der abgrenzenden Mauer des Parkes von Isen. Gritchen, ein geistreiches Gesicht machst du gerade nicht«, wollte der Schelm sich über die verblüffte Tante halbtot lachen, bis diese Einhalt gebot. »Lach nicht so übermütig, du Schlingel, sondern erstatte ausführlichen Bericht darüber, wie du an die Mauer geraten konntest. Du wolltest doch nicht etwa dem Herrn Baron einen Morgenbesuch machen?« »O nein, so vermessen bin ich nicht«, kam die Antwort

Page 61: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

mutwillig. »Daß ich in die vornehme Abgeschiedenheit geriet, daran ist Goldlack schuld, dem ich beim Ritt freien Lauf ließ. Wenn es nach ihm gegangen, wäre ich in Isen eingeritten, wonach mir nun gar nicht der Sinn stand. Also lenkte ich mein Roß an der Parkmauer entlang – und begegnete so dem Herrn aller Reußen. Na ja, da der Zufall im Leben nun mal eine Rolle spielt, wurden wir beide Zeuge von dem, was sich hinter der Mauer abspielte, nämlich: daß die Frau Baronin wie ein ordinäres Weib keifte und dann blindwütig ihre Angestellte ohrfeigte.« »Interessant. Und was sagte der Herr Baron dazu?« »Daß so was in dem kleinen Haus am Ende der Parkmauer zur Tagesordnung gehört. Wenn die Baronin Modeste nicht gerade mit Gegenständen um sich wirft, ohrfeigt sie die Angestellten oder schlägt ihr Kind. Auf meine Frage, was die Dame in der Zwischenzeit tut, erfolgte die Antwort: Dann ist sie eine lustige Witwe.« »Das ist ganz der Herr Baron von Isenhardt«, lachte Grit. »Und weiter?« »Weiter nichts. Er war so huldvoll; mir den nächsten Weg zum Rosenhaus zu zeigen, machte sogar das Maß seiner Güte voll, indem er mir bis kurz davor das Geleit gab – aus.« Nach diesem mutwilligen Bericht war es zuerst einmal still. Dann sagte Grit: »Ich wundere mich, daß der Mann seine temperamentvolle Schwägerin so einfach gewähren läßt.« Die Antwort darauf konnte Muttchen Brasch geben, die wieder auf der Terrasse erschien, um den Tisch abzudecken. »Mein August ist mit der Else unterwegs zur Meduse«, erzählte sie wichtig. »Er hat zum Schutz außer dem Hund noch einen Stock mitgenommen. Da kann ihm nichts passieren.« »Will ich meinen«, schmunzelte Grit. »Aber was wird der Herr Baron dazu sagen, wenn man so ins Haus seiner Schwägerin einbricht?« »Der hat sich darum nicht zu kümmern, die Meduse kann

Page 62: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

in ihrem Haus machen, was sie will. Bloß den Park darf sie nicht betreten, sie hat einen Garten für sich. Der Herr Baron muß ihr bloß pünktlich das monatliche Geld zahlen. Was sie damit macht, darf ihn nichts angehen. Aber Schulden bezahlt er auch keine, das wissen alle Kaufleute und geben nichts auf Pump. Sie müssen nämlich wissen, meine Damen«, fuhr sie leise fort, als müßte sie ein Geheimnis enthüllen. »Der verstorbene Baron hat seinen Stiefbruder gehaßt, solange er auf der Welt ist. Er war schon zwanzig Jahre alt, als sein Vater noch einmal heiratete – und zwar eine Mondäne. Die rückte dann aus, als sie ihren Sohn Gernot abgelegt hatte, und soll in der Fremde verdorben und gestorben sein. Etwas Genaues weiß man da nicht. Wahr ist aber, daß der alte Baron nach vier Jahren starb.« »Und was wurde aus seinem zweitgeborenen Sohn?« fragte Grit interessiert. »Den gab der Stiefbruder fort, weil er den kleinen Jungen nun mal nicht leiden konnte. Wo er all die Jahre war, liegt im dunklen. Er taucht erst wieder auf, um Isen zu erben, weil die Meduse doch bloß ein Mädchen gekriegt hatte. Und so was erbt niemals Isen, immer nur Jungens. In seinem Testament hat der Bucklige bestimmt, daß der Gernot die Modeste und ihr Kind ungeschoren lassen soll. Er soll ihr bloß das ihr Zustehende aus der Kasse zahlen.« So primitiv diese Erklärung auch abgegeben wurde, so waren Grit und Alix dennoch im Bilde. Nun konnten sie sich auch erklären, warum Isenhardt die Schwägerin ließ und auch, daß er kein Damenfreund war, wie Druschmann sich ausdrückte. Er war aus Erfahrung klug geworden, durch Mutter und Schwägerin. Und wer weiß, welchen minderwertigen Frauen er noch begegnete, die er verachten mußte. »Wieder ein Beweis mehr, wie töricht es ist, wenn alternde Männer Mädchen heiraten, deren Vater sie sein könnten«, sagte Grit, nachdem Muttchen Brasch gegangen war. »Hier

Page 63: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

gibt es sogar zwei Fälle in einer Familie: Isenhardt der Ältere, Isenhardt der Bucklige, wie Mariechen ihn nennt – und so wird es auch deinem verblendeten Vater gehen, mein Kind. Es ist schon eine Tragik um die Männer, die ihre Jugend mit aller Gewalt festhalten wollen. Ob er nun so richtig glücklich ist?« Diese Frage hätte Egon Grodes sich noch nicht einmal selbst beantworten können, weil er das, was man den »Himmel voller Geigen hängen« nennt, nicht ohne jeden Mißton empfand. Denn ihrer gab es manche, die seines Herzens Harmonie störten. Schon allein, daß seine Tochter und seine Schwester, an denen sein Herz hing, ihn verlassen hatten. Das kränkte und tat weh. War er nicht immer ein liebevoller Vater und ein guter Bruder gewesen? Jetzt mußte er erfahren, daß Undank der Welt Lohn ist. Nun, mochten die Undankbaren zusehen, wie sie ohne ihn fertig wurden. Er mußte seinem Glücksverlangen nachgeben – und dieses Glücksverlangen hieß Daisy. Morgen wollte Egon Grodes das entscheidende Wort sprechen und dazu alles ein wenig festlich gestalten. Und da fehlte ihm seine Schwester Grit, die alles so wunderbar zu arrangieren verstand, ohne daß er sich darum zu kümmern brauchte. Ach was, es mußte auch so gehen. Alma, die schon jahrelang im Hause war, würde doch wohl ein kleines Festmahl zusammenstellen und für Tafelschmuck sorgen können. Also beorderte er sie zu sich und atmete auf, als sie versprach, alles bestens zu erledigen. Als sie jedoch fragte, ob es ein Verlobungsmahl werden sollte, fuhr er sie scharf an: »Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts angehen, verstanden?« »Doch, Herr Grodes, Ihre Verlobung geht mich schon was an – ich möchte dann nämlich kündigen. Und auch das Hausmädchen, der Diener und Chauffeur würden in dem

Page 64: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Fall mit demselben Anliegen an Sie herantreten.« »Ja, seid ihr denn plötzlich alle verrückt geworden?« fragte er grob, und die intelligente und gewandte Alma lächelte liebenswürdig. »Keineswegs, Herr Grodes. Wir haben im Gegenteil unseren Verstand recht gut beisammen. Und der sagt uns, daß wir unter der neuen Herrin nichts zu lachen haben würden. Darin sind wir derselben Ansicht wie unsere beiden Damen, die ja auch aus dem Grund das Haus verließen.« Gerade das hätte sie nicht sagen dürfen, das brachte den ohnehin schon gereizten Mann sozusagen zur Weißglut. Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und schrie: »Schert euch alle zum roten Kuckuck – und zwar noch heute! Laßt euch das Zustehende im Büro auszahlen – und dann aber rrrausssss!!!« Die Tür klappte hinter Alma zu – und der Mann lachte grimmig auf. Also auch von der Seite setzte man ihm Widerstand entgegen. Es war tatsächlich, als befände er sich unter lauter Narren! Noch bevor er seinen Ärger hinuntergewürgt hatte, klingelte es an der Portaltür anhaltend, so daß er schon ganz nervös wurde. Wo steckte denn der Diener wieder – ach so, dessen Dienst war ja beendet, wie bei der übrigen Dienerschaft. Also mußte der Hausherr persönlich sich dazu bequemen, an die Tür zu gehen, um nachzusehen, wer da so stürmisch Einlaß begehrte. Gleich darauf konnte er seinen angehenden Schwager in Augenschein nehmen, der geschniegelt und gebügelt vor ihm stand. »Ah, Herr von Tees, das ist mal eine freudige Überraschung«, zwang er sich zu einem höflichen Ton. Denn freudig überrascht war er nun wirklich nicht, der junge Mann kam ihm im Gegenteil sehr ungelegen. Doch er beherrschte sich meisterhaft und bat den Gast näherzutreten, der lachend sagte: »Sie höchstpersönlich an der Haustür, Herr Grodes? Wo ist

Page 65: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

denn Ihr Musterdiener?« »Das erzähle ich Ihnen später. Zuerst wollen wir uns gemütlich placieren.« Das taten sie im Arbeitszimmer. Und nachdem man mit Zigaretten und Likör versorgt war, sagte der Hausherr ärgerlich: »Ich habe die Dienerschaft Knall und Fall entlassen müssen, weil sie unbotmäßig wurde. Es fehlt eben hier die Hausherrin.« »Nun, das wird ja bald anders werden«, tröstete der Modejournaljüngling mit vielsagendem Lächeln. »Übrigens soll ich einen lieben Gruß von Daisy bestellen. Sie ist untröstlich, daß sie ihres Herzens Schwarm einige Tage nicht wird besuchen können, sie muß nämlich das Bett hüten…« »Oh, ist sie etwa ernstlich krank?« fragte Grodes betroffen dazwischen, doch der andere winkte beruhigend ab. »Nein, nur eine Erkältung mit leichtem Fieber, die bald behoben sein wird. Ja – und nun habe ich etwas auf dem Herzen, mein lieber Herr Grodes«, räusperte sich dieser hoffnungsvolle junge Mann und gab sich alle Mühe, verlegen dreinzuschauen. »Ich befinde mich in einer scheußlichen Klemme – habe Pech gehabt. Wollte Fortuna herausfordern, doch die hatte verdammt schlechte Laune. Ja, wie das so ist – ähmmm – jetzt soll ich zahlen und kann nicht. Kurz und gut: Können Sie mir mit dreißigtausend Mark aushelfen, Herr Grodes? Natürlich nur kurzfristig, versteht sich. Habe eine Masse Geld liegen, kann es aber nicht so rasch abrufen. Für Sie ist die Summe doch nur eine Lappalie - und mir würde aus einer Verlegenheit geholfen.« Darauf erwiderte Grodes zuerst einmal nichts. Es war ihm direkt anzumerken, wie unbehaglich er sich fühlte. Denn das Peinlichkeitsgefühl, das dem andern abging, hatte er. Dreißigtausend Mark – eine Lappalie

Page 66: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

- was dachte der Mann sich eigentlich? Nahm er etwa an, daß er im Geld schwimme? So arg war es nun nicht, wenn er auch einen ganz netten Batzen besaß. Und nur deshalb, weil er zwar ein großzügiger Mensch, aber kein Verschwender war, dafür besaß er zu viel Ehrfurcht vor dem Geld. »Tja, mein lieber Herr von Tees«, sprach er dann bedächtig. »So happig ist es bei mir auch wiederum nicht, daß dreißigtausend Mark eine Lappalie bedeuten. Und wenn, dann hat ein Kaufmann sie nicht gleich flüssig.« Er sprach zwar nicht die Wahrheit, aber irgendwie mußte er sich doch herausreden, wenn er nicht das Geld opfern wollte. Denn daß er es nie zurückbekam, das sagte ihm sein Verstand, der ganz gut intakt war, wenn es sich nicht gerade um seine angebetete Daisy handelte. »Ja, dann weiß ich nicht, was ich anfangen soll«, sprach nun der junge Mann wie ein Schauspieler, der Verzweiflung mimen muß. »Da bleibt mir weiter nichts als die Kugel. Das wird meine arme Mutter schwer treffen – und meine Schwester gleichfalls, die sehr an mir hängt. Leben Sie wohl, Herr Grodes, lassen Sie es sich gutgehen.« Damit wankte er hinaus – und der Zurückbleibende fuhr sich in die Haare. Verflixt noch mal, hatte sich denn alles gegen ihn verschworen? Mußten sich denn immer mehr Hindernisse auftürmen, die zwischen ihm und Daisy standen? Es war, um auf die Akazien zu klettern. Nun, das hätte er tun können, weil zwei solch stachelige Dinger im Garten standen. Aber er tat es nicht, sondern holte den Wagen aus der Garage und fuhr zuerst einmal zu einem Blumengeschäft, wo er einen Strauß roter Rosen erstand. So duftend bewaffnet, lenkte der Mann das Auto zu einem Mietshaus, wo in der ersten Etage sein Glück wohnte. Er hielt, sicherte den Wagen und betrat das Haus, das, wie man sagen konnte, von »schäbiger Eleganz« war. Denn was da vorgetäuscht wurde, war alles Talmi, was dem geübten Auge des Mannes natürlich nicht entging. Mit

Page 67: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

widerstreitendem Empfinden stieg er die Treppe hinauf, deren abgetretene Läufer dringend einer Erneuerung bedurften. Dann stand er vor der Etagentür. Doch ehe er den Klingelknopf drückte, hatte er mit Hemmungen zu kämpfen. Was wollte er überhaupt hier? Daß er Daisy nicht sprechen konnte, war ihm klar. Denn ein Freier pflegt nicht rosenbewaffnet an das Bett der Liebsten seines Herzens zu treten. Aber ihrer Mutter wollte er den Strauß abgeben und sich hinterher diplomatisch erkundigen, ob ihr die Spielschulden des Sohnes bekannt waren. Wenn ja, nun, dann mußte man beraten, was zu machen wäre. Wußte sie es nicht, was dann? Er konnte der Frau doch unmöglich gewissermaßen den Dolch ins liebende Mutterherz stoßen. Allein, das zu tun, sollte dem bekümmerten Mann, der sich schon seufzend einen Scheck über 30.000 Mark ausstellen sah, um damit herzzerreißenden Jammer zu verhüten, denn doch erspart bleiben. Denn bevor der Finger, der bereits auf dem Klingelknopf lag, zudrücken konnte, wurde hinter der Glastür eine lachende Stimme laut. Diese Stimme gehörte Daisy und klang kein bißchen heiser und verschnupft. »Haltet den Daumen, damit es mir gelingt, den Alten zu betören«, drang es an das Ohr des atemlos Lauschenden. »Jedenfalls werde ich nichts unversucht lassen, um dem verliebten Narren das Geld aus der Tasche zu ziehen, das er meinem Brüderlein versagte. Hinterher mache ich gleich die Verlobung fest – und dann soll der Trottel erfahren, was er einer jungen, schönen Frau schuldig ist. Und wenn ich mein Schäfchen im trockenen habe, dann adieu, mein Herr Gemahl!« »Na, Daisy, wenn du den Mann nur nicht unterschätzt«, sprach nun die Mutter dieses herzigen Wesens. »So ein Trottel, wie du annimmst, ist er bestimmt nicht.« »Ach was, Mama, er ist verliebt – und ich verstehe wunderbar zu schauspielern.«

Page 68: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Damit hatte der wie erstarrt stehende Mann genug gehört. Mit Aufbietung aller Kraft riß er sich zusammen und eilte die Treppe hinab, als wären Furien hinter ihm her. Erst als die Haustür hinter ihm zufiel, gab er seiner Erschütterung nach. Er lehnte sich gegen das Holz und wischte sich mit zitternder Hand den Schweiß von der Stirn, schluckte kräftig, als müßte er einen harten Brocken hinunterwürgen. Doch dann holte er so tief Luft, als müßte er die Lungen bersten. »Pfui Teufel!« machte er dann seinem bedrängten Herzen Luft, wobei ihn etwas störte. Und zwar der Duft der Rosen, der ihm durch das umhüllende Papier lieblich in die Nase stieg. Mit einer Verwünschung schleuderte der erbitterte Mann den Strauß in den Rinnstein und setzte sich in den Wagen. Bevor er abfuhr, bemerkte er ein niedliches junges Mädchen, das die Straße entlangwippte. Beim Anblick der Rosen, von denen sich nach dem schwungvollen Wurf das Papier gelöst hatte, stutzte es, bückte sich dann rasch und hob diese Blumen der Liebe aus dem Rinnstein. Sah sich scheu nach allen Seiten um und hastete dann davon, als könnte man ihr diesen köstlichen Fund entreißen. Recht so, mein Kind – dachte Grodes grimmig. Geh nach Hause, setz dich ans Klavier und singe schmelzend und süß: Tausend rote Rosen blüh’n, in dem Land der Liebe… Damit brachte er den Wagen in Gang und sauste ab. Ein Glück, daß die stille Straße augenblicklich unbefahren war, sonst hätte es dem blindwütigen Fahrer des eleganten Wagens übel ergehen können. So jedoch erreichte er heil die Hauptstraße, wo ein Schutzmann den Verkehr regelte. Da kam der leichtsinnige Fahrer zur Besinnung und fuhr ein gemäßigtes Tempo. Das Herz tat ihm so erbärmlich weh, daß dieser Schmerz ihm Tränen erpreßte. Und dabei meinte das Schicksal es doch so gut mit ihm – was er jetzt allerdings noch nicht wußte, sondern es bitter anklagte. Als Egon Grodes zu Hause ankam, trank er erst einmal eine

Page 69: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Flasche Sekt leer, um sein Herzleid einigermaßen würdig zu ertränken. Und siehe da, es schien ihm alles längst nicht mehr so todtraurig. Er pfiff sogar vor sich hin, zwar wehmütig, aber immerhin. Wäre er ein Tenor gewesen, hätte er herzzerreißend von falschen Frauen gesungen und von den armen Männern, die auf sie hereinfielen. Aber singen konnte er nicht, nur pfeifen – und das noch nicht einmal gut. Im Sessel lehnend, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände in den Hosentaschen, so saß er da, der reiche Spirituosenfabrikant Egon Grodes, der für seine vornehme Eleganz bekannt war. Aber jetzt wirkte er entschieden salopp – hemdärmelig, den Kragen geöffnet, die Bügelfalte der Hose zerdrückt, das Haar zerzaust, weil er sich immer wieder mit seinen zehn Fingern hineinfuhr. Da konnten einem aber auch die Haare zu Berge stehen, bei dem, was er heute erfahren mußte. Die Binde der Verblendung begann sich von seinen Augen zu lösen, und er war nun dazu fähig, seine angebetete Daisy als das zu erkennen, was sie wirklich war: Eine raffinierte Kanaille. Jedes Wort, das er hinter der Etagentür gehört, empfand er jetzt noch wie einen Schlag ins Gesicht – hauptsächlich die beiden Bezeichnungen: Verliebter Narr und Trottel. Jetzt blieb sein Blick an dem großen Bild seiner verstorbenen Frau hängen – und da schämte er sich vor den klaren Augen, die ihn mißbilligend anzusehen schienen. Hastig sprang er auf und wanderte im Zimmer umher. Die Stille um ihn wurde unerträglich, so daß er auf den Altan trat und in den blühenden Garten hinabschaute. An einem Blumenbeet arbeiteten der Gärtner und seine Frau. Sie grüßten ihren Herrn, dann trat der Mann zögernd näher. »Fräulein von Tees war hier, Herr Grodes«, sagte er verlegen. »Sie wollte alle Rosen schneiden, die hier blühen. Da es jedoch die ersten sind, die unsere liebe gnädige Frau aufs Grab bekommen soll, habe ich die Blumen verteidigt.

Page 70: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Da wurde die Dame wütend und meinte, wenn sie erst die Herrin hier wäre, flöge ich unweigerlich ‘raus. Na ja – und da möchte ich doch schon lieber von selbst gehen. Nichts für ungut, Herr Grodes.« Dabei sah er seinen Herrn so bekümmert an, daß diesem das Rot der Beschämung ins Gesicht stieg. Er dachte daran, daß der Gärtner und seine Frau ihm schon zwanzig Jahre dienten, daß sie Getreue wären, wie man sie nicht oft findet. Und da kam nun so eine Kanaille. Es gab einen knirschenden Laut, so fest biß der ergrimmte Mann die Zähne zusammen. Und gleichzeitig schoß ihm etwas durch den Sinn, das er sofort in Worte faßte: »Darüber sprechen wir noch, wenn ich von meiner Reise zurückkehre, mein lieber Krause. Ich möchte das Haus nicht gern allein lassen.« »Natürlich nicht, Herr Grodes«, nickte der Mann eifrig. »Wir bleiben ja auch gern…« »Dann sind wir uns ja einig«, unterbrach der andere ihn hastig. »Wie lange ich wegbleibe, weiß ich noch nicht. Ich übergebe Ihnen nachher die Schlüssel.« Damit wandte er sich ins Zimmer zurück und trank einen Kognak, weil ihm flau im Magen war. Er hatte seit dem Frühstück nichts gegessen, und jetzt war es bereits drei Uhr. Gern hätte er sich etwas zu essen gemacht, aber er wußte damit nicht Bescheid. Es war ja auch das erste Mal in seinem verwöhnten Leben, daß sich niemand um ihn kümmerte, daß er sein Essen nicht pünktlich bereit fand. Seufzend machte er sich daran, die Koffer zu packen. Denn die spontane Idee mit der Reise war gut, die wollte er ausführen. Wenn er nur wüßte, was er alles mitnehmen sollte. Auch darum hatte er sich nie zu kümmern brauchen, er fand vor jeder Reise fürsorglich die nötigen Sachen gepackt. Zuerst von seiner Frau, später von seiner Schwester. So dauerte es auch eine ganze Weile, bis das schwierige Werk geschafft war. Ob alles in den Koffern lag, was er auf der Reise brauchte, wußte er allerdings nicht. Na egal,

Page 71: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

wenn er etwas vermißte, kaufte er es unterwegs. Er konnte sich das ja leisten, weil er heute eine Unmenge Geld gespart hatte. Jawohl, gespart. Erstens einmal die dreißigtausend Mark, die dieser Gauner in Modejournalaufmachung ihm kaltblütig aus der Tasche ziehen wollte – und dann weitere Unsummen, die diese irrsinnige Ehe ihn gekostet hätte. Mußte er nicht dem Herrgott dankbar sein, der ihm die verblendeten Augen öffnete, bevor es zu spät war? Nein, noch war er ihm nicht dankbar, dazu war die Enttäuschung, die er heute hatte erleben müssen, noch zu groß. Unzufrieden mit sich und der ganzen Welt ging er zum Fernsprecher, um den ersten Prokuristen seines großen Unternehmens von dem plötzlichen Entschluß seiner Reise in Kenntnis zu setzen. Er wußte bei dem gewissenhaften Mann, der schon lange im Betrieb arbeitete, alles in zuverlässigen Händen. Nachdem auch das geklärt, stand der Abreise nichts mehr im Wege. Grodes verschloß das Haus und übergab die Schlüssel dem Gärtner, der eifrig versprach, das Eigentum seines Herrn treulich zu hüten. Dieser verabschiedete sich freundlich, nahm im Wagen Platz, in dem zuvor die Koffer verstaut waren, und fuhr nach einem Hotel, wo er seinen Hunger stillte. Und dann konnte er sich endlich auf den Weg machen. Wohin? Das wußte er selbst nicht – es war ja auch so egal. Hauptsache, er kam über die schwere Enttäuschung hinweg, die ihm jetzt zu schaffen machte. Denn einen Traum begraben müssen, zerrt an Herz und Nerven – ob man da zwanzig Jahre zählt oder fünfzig. Im Rosenhaus lebte man unbekümmert dahin. Es schien, als wäre dieses herrliche Fleckchen Erde gefeit gegen alle Kümmernisse des Lebens. Da gab es weder Hetzen noch Jagen, Haß noch Streit, kein Mißton klang in die Harmonie hinein. Hier vertrug sich alles, hier liebte sich alles, hier gab es keine schwerwiegenden Probleme zu wälzen.

Page 72: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Grit wunderte sich, daß ihr das Landleben nicht langweilig wurde. Sie ertappte sich sogar dabei, daß sie Sehnsucht nach dem Rosenhaus verspürte, wenn sie mit Alix in der Stadt war, um Besorgungen zu machen, ins Cafe oder auch ins Kino zu gehen. Als sie einmal ihre Sehnsucht der Nichte gegenüber laut werden ließ, meinte diese skeptisch: »Nun, Tantchen, du bist ja erst vier Wochen auf dem Lande und nimmst es noch als Sommerfrische hin. Warte nur ab, ob du nach einem halben Jahr noch genauso denkst wie heute. Das heißt, länger als einige Wochen hintereinander weilte ja auch ich nicht im Rosenhaus, immer nur die Ferien über. Und damals war ich ein Kind, respektive Backfisch, die von den Genüssen der Stadt sowieso noch nichts zu schmecken kriegen. Außerdem sind so blutjunge Menschen, mit Ausnahmen natürlich, naturverbunden.« »Demnach man dich mit deinen einundzwanzig Jahren als mittelalterliches Fräulein betrachten muß«, warf Grit trocken ein, und Alix lachte. »Immerhin bin ich mündig.« »Wohl dir, mein Kind. Sonst wäre es jetzt nicht so gut um dich bestellt.« Was sie damit meinte, wußte Alix genau, nämlich: daß sie jetzt unter der Fuchtel der Stiefmutter, die nur ein Jahr mehr zählte als sie selbst nichts zu lachen haben würde. Denn daß der Vater das Fräulein von Tees geheiratet hatte, darüber gab es für Alix wie für Grit keinen Zweifel. Sie hatten nichts mehr aus der Villa Grodes gehört und wollten es auch nicht. Sie konnten sich ja denken, wie es jetzt da zuging. Und ändern konnten sie daran nichts. Ihr Zuhause war jetzt das Rosenhaus, für das Alix der Tante Riekchen über das Grab hinaus dankte. Überhaupt das Rosenhaus, man mußte sich ja darin heimisch fühlen. Mußte sich einspinnen lassen von der Traulichkeit, die alles wie ein Rosenhauch umwehte. Alles war so einfach darin, so gut und lieb.

Page 73: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Tante Riekchens Geist schien über dem Rosenhaus zu schweben, das sie sich geschaffen hatte wie eine Insel des Friedens, nachdem ihr Verlobter, den sie über alles geliebt, kurz vor der Hochzeit gestorben war. Und dieser Mann war ein Rosennarr gewesen. Ein großes Bild hing im Wohnzimmer, das die Verlobten zeigte. Kopf an Kopf geschmiegt, lachende Lippen, glückstrahlende Augen, so sah das junge Paar dem Beschauer entgegen. Alix liebte das Bild schon als Kind und jetzt noch mehr, da sie reif genug war, um die Grausamkeit zu erfassen, mit der das unergründliche Schicksal so viel Glückseligkeit zerstörte. Heute stand sie vor dem Bild und legte ein Kränzlein darum, das sie aus Mairosen gewunden hatte. Wehmütig sah sie in die strahlenden Gesichter und schrak zusammen, als Tante Grit neben ihr gütig fragte: »Heute ist wohl ein besonderer Tag für Tante Riekchen, mein Kind?« »Ja, ihr Verlobungstag«, kam die Antwort traurig. »Ich weiß es von Mutti, die mir, als Tante Riekchen gestorben war, von deren kurzem Glück erzählte. Sie selbst sprach nie darüber, es tat ihr wohl zu weh. Ach, Tante Grit, warum mußte das Schicksal zwei Menschen auseinanderreißen, die sich so sehr liebten? Warum trennt es nicht Menschen, die voneinanderstreben, wie es doch so oft der Fall ist?« »Ja, Kind, wenn man sich erst mit der Frage befaßt, könnte man am Leben schier verzweifeln«, entgegnete Grit leise. »Wie sagt der Dichter: Halte dich still, halte dich stumm, nur nicht forschen, warum – warum? Nur nicht bittere Fragen tauschen, Antwort ist doch nur wie Meeresrauschen. Und nun komm, mein Liebes, beschwere dir das Herzchen nicht mit diesem unerklärlichen Warum. Gebe Gott, daß

Page 74: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

du in deinem Leben niemals die Frage an das Schicksal zu stellen brauchst.« Damit nahm sie der Nichte das Kränzchen aus der schlaff herabhängenden Hand, befestigte es am Rahmen des Bildes und zog das betrübte Mädchen auf die Terrasse, wo der Kaffeetisch gedeckt war. Ein Berg goldbrauner Waffeln stand da, die Kaffeemaschine summte traulich. Vom Garten her duftete es nach Rosen und Flieder. Die Kastanien hatten ihre Lichtlein aufgesteckt – und über dem allen lachte strahlender Sonnenschein. »Das nennt man Poesie«, schmunzelte Grit, indem sie sich an dem einladend gedeckten Tisch niederließ. »Auch die Waffeln, die sich in lauter Herzen verteilen. Ich weiß nur nicht recht, warum Muttchen Brasch sich am Pfingstsonnabend die Arbeit macht, diese knusprigen Dinger zu backen. Der Festkuchen dürfte doch schon längst fertig seih.« »Ist er, Tante Grit. Aber daß es Waffeln am Pfingstsonnabend zum Nachmittagskaffee gibt, das war von jeher so im Rosenhaus, und diese Gewohnheit hält Muttchen Brasch eben bei.« Nun, Grit sowie Alix hatten bestimmt nichts dagegen. Sie ließen sich die goldbraunen Herzen trefflich munden und tranken den vorzüglichen Kaffee dazu. Es herrschte eine himmlische Ruhe um sie her, in die plötzlich Kinderweinen hineinklang. Und zwar kam es von dorther, wo hinter dem Gartenzaun der Privatweg entlangführte, der die Chaussee mit Isen verband und nur von dem Besitzer selbst und seinem Gutsverwalter benutzt wurde, wenn sie sich den Weg nach einem der Vorwerke, das in der Nähe lag, abkürzen wollten. Denn das Rosenhaus mit seinen wenigen Morgen Land lag wie eine Enklave auf Isener Gebiet, sehr zum Ärger des buckligen Isenhardt. Aber da der Vertrag, den sein Vater mit dem damaligen Besitzer schloß, auf 99 Jahre lautete, mußte der Sohn die Eindringlinge verbissen dulden, zumal die Pacht pünktlich bezahlt wurde. Dazu durften sie aus

Page 75: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

dem Rosenhaus auch noch den Isener Privatweg, der an ihrem Gehöft vorbeiführte, benutzen, was den Buckligen ganz besonders gewurmt hatte. Doch für alle andern aus der Umgegend war der Weg tabu. Und so waren die beiden Damen auf der Terrasse des Rosenhauses neugierig, zu erfahren, wie sich ein Kind darauf verirren konnte. Doch es schien nicht allein zu sein; denn jetzt wurde auch eine Frauenstimme zwischen dem Weinen hörbar. Also blieb Alix, die schon dem Kind zu Hilfe eilen wollte, ruhig sitzen und erspähte dann gleich Grit auch bald den kleinen Schreihals, der an der Hand einer weiblichen Person den Weg entlangstolperte. »Fuß wehweh – Fuß wehweh«, jammerte das Kind, doch die Frau hörte nicht darauf. Sie verhielt erst den Schritt, als sie vor der Gartentür stand, von wo aus sie die beiden Damen auf der Terrasse erspähen konnte. »Liebes Fräulein, kommen Sie doch mal her!« rief sie Alix an, die dann auch aufstand und, von Grit gefolgt, an die Gartentür trat. »Ich bin die Baronin von Isenhardt«, erklärte die Dame jenseits des Zaunes leutselig. »Und Sie sind doch sicher Fräulein Grodes, nicht wahr?« »Allerdings«, dehnte Alix. »Sie wünschen?« »Ach, liebes Fräulein, ich habe Pech gehabt mit meinem Wagen, der unweit von hier steht. Er streikte einfach, zu dumm. Was mache ich bloß!« »Eine Autowerkstätte anrufen und einen Fachmann zu Ihrem Wagen bitten«, riet Grit trocken, was ihr einen Blick sehr von obenherab eintrug. »Sie sind wohl die Wirtschafterin hier?« »Kann man auch sagen.« »Dann nehmen Sie mir das Kind ab. Es hat die ganze Strecke laufen müssen und kann sich kaum noch auf den Beinchen halten.« »Tun wehweh«, jammerte die Kleine wieder, während dicke Tränen über die verschmierten Bäckchen rollten. Da siegte

Page 76: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

das gute Herz Grits, die dieser impertinenten Dame schon eine Abfuhr erteilen wollte. Sie nahm das Kind entgegen, das die Mutter über den Zaun reichte und dann versuchte, die Gartentür zu öffnen. »Sie ist verschlossen«, bemerkte Alix kühl. »Dann holen Sie den Schlüssel!« »Bedaure sehr, er ist verlegt. Sie werden sich schon durch die Tür bemühen müssen – wenn Sie Wert darauf legen, das Haus zu betreten.« Ein feinfühliger Mensch hätte sich nach diesen ironischen Worten verletzt zurückgezogen. Doch der Baronin Modeste war Feingefühl ein fremder Begriff - hauptsächlich dann, wenn sie einen Zweck verfolgte. So ging sie denn am Zaun weiter, bis sie die Haustür erreicht hatte, wo Grit sie bereits erwartete. Aber nicht etwa aus Höflichkeit, sondern um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. »Sagen Sie mal, meine Liebe, was ist dieses Fräulein Grodes eigentlich für ein Mensch?« hielt die Frau Baronin es nicht unter ihrer Würde, die vermeintliche Wirtschafterin vertraulich auszufragen und erhielt die lakonische Antwort: »Meine Nichte.« »Oh, also ein Fauxpas«, lachte sie ohne Spur von Verlegenheit. »Nehmen Sie ihn mir übel?« »Bewahre. Jeder benimmt sich so, wie er kann. Wenn Sie telefonieren wollen, hier rechts im Zimmer befindet sich der Fernsprecher.« »Ach, das hat noch Zeit, zuerst möchte ich mal sehen, wie es meinem Töchterchen geht. Wo finde ich es?« »Auf der Terrasse.« »Wie gelangt man dahin?« »Geradeaus.« Bevor die Modeste weiterging, sah sie sich neugierig in der behaglich eingerichteten Diele um. »Das sieht ja beinahe herrschaftlich aus«, stellte sie dann erstaunt fest. »Nahmen Sie etwa an, daß wir hier wie die Banausen

Page 77: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

wohnen?« Ein wenig melodisches Lachen, in dem verhaltene Wut mitschwang, war die Antwort. Dann tänzelte die Gnädige weiter, sah sich in dem Speisezimmer, das sie durchquerte, wieder neugierig um, enthielt sich jedoch diesmal jeder Bemerkung und stand dann auf der Terrasse, wo Alix bemüht war, mit einer in Wasser getauchten Serviette dem kleinen Mädchen das verschmierte Gesichtlein und die Händchen zu säubern. »Ja, sie ist ein schreckliches Kind«, seufzte die Mutter. »Wie oft muß ich sie am Tag umziehen, doch sie ist nie sauber. Ist das aber mal eine gute Tante, nicht wahr, Gelalein?« flötete sie jetzt süß. »Gibt unserm Herzchen eine Waffel. Darf Mami mal davon beißen?« Nein, das durfte sie nicht. Denn als sie sich zur Waffel neigte, schlug ihr die Kleine mit dem dicken Patschchen ins Gesicht. Aber das schien die Frau Mama nicht weiter tragisch zu nehmen. Sie lachte und drohte dem unnützen Töchterlein: »Na warte, du kleiner Strolch, gleich gibt’s was aufs böse Händchen. Du scheinst dich ja bei der lieben Tante sehr sicher zu fühlen.« Ohne dazu aufgefordert zu sein, setzte sie sich an den Tisch und schaute begehrlich auf die Waffeln, was die beiden Damen jedoch nicht zu bemerken schienen. Sie wunderten sich wiederum auch nicht, als die Modeste sich eines der Herzen langte und genießerisch hineinbiß. »Ich mag Waffeln so schrecklich gern«, bekannte sie ohne jede Spur von Verlegenheit. »Leider bekomme ich sie so selten, weil ich Pech mit den Dienstboten habe. Ich muß sie immer wieder entlassen, wie auch die Else, die ja, wie ich hörte, jetzt in Ihrem Haushalt beschäftigt ist. Nehmen Sie sich nur vor ihr in acht, sie taugt absolut nichts, weder in der Arbeit noch charakterlich. Sie wird es sich bestimmt zunutze machen, daß sie die Nichte Ihrer Köchin ist. So ein Pack steckt immer unter einer Decke. Das sieht darauf, die Herrschaft zu

Page 78: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

schädigen, wo es kann. Köstlich schmecken die Waffeln, ich lange mir gleich noch eine davon. Wenn ich nun noch eine Tasse Kaffee dazu bekommen könnte…« »Bedaure sehr«, sagte Grit seelenruhig. »Die Kaffeemaschine ist leer.« »Schade, aber ich bin auch so zufrieden. Man muß sich eben bescheiden lernen, wenn man so eine arme, geplagte Witwe ist wie ich. Was meinen Sie wohl, wie ich unter dem jetzigen Besitzer von Isen, wo ich früher die Herrin war, zu leiden habe. Aber das ist Ihnen sicher schon zu Ohren gekommen, nicht wahr?« »Nein«, versetzte Grit gelassen. »Uns kommt nur das zu Ohren, was wir zu hören wünschen. Sonst ist unser Trommelfell mit Hornhaut überzogen.« »Sie scheinen witzig zu sein«, lachte die Modeste überlaut. »Aber Humor ist ja wohl die Würze des Lebens. Übrigens verstehen Sie mit Kindern prächtig umzugehen, mein liebes Fräulein«, wandte sie sich dann süßlächelnd an Alix, die noch immer das kleine Mädchen auf dem Schoß hielt und es mit Waffeln fütterte. »Und das gibt mir den Mut, Sie darum zu bitten, meinen kleinen Liebling so lange bei sich zu behalten, bis ich aus der Stadt zurückkehre…« »Ich dachte, Ihr Auto streikt«, warf Grit trocken ein, und da drückte die impertinente Dame mit wehleidigem Blick die Fingerspitzen gegen die Schläfen. »O ja, das hatte ich schon ganz vergessen. Das kommt davon, wenn man mit den Nerven so herunter ist wie ich. Und dabei noch das lebhafte Kind, es ist wirklich nicht immer leicht, Mutter zu sein. Sie täten mir tatsächlich einen großen Gefallen, mein liebes Fräulein, wenn Sie mir meinen Goldschatz einige Stunden abnehmen würden.« »Danke«, lehnte Alix ab. »Mit solch einer Kostbarkeit verstehe ich leider nicht umzugehen. Aber ich werde einmal in den Motor Ihres Wagens hineinschauen, ich verstehe nämlich etwas davon.« Es war ein sehr ironischer Blick, mit dem sie die Baronin

Page 79: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

musterte, in deren bemaltem Puppengesicht sich deutlich die Wut widerspiegelte, die sie empfand. »Na ja, was kann man auch schließlich mehr verlangen«, lachte sie schrill, während sie aufsprang und nach dem Kind griff, das seine Ärmchen fest um Alix’ Hals legte. »Dea bleiben, bei dute Tante«, flehte sie. Da stand das junge Mädchen auf und sagte kurz: »Ich bringe die Kleine zum Wagen.« Da wandte Modeste sich achselzuckend ab und stelzte auf den sehr hochhackigen Schuhen davon. Sie war überhaupt so gekleidet, als wollte sie einen Ball besuchen, während die kleine Tochter ein Kleidchen trug, das gewissermaßen nach Wasser und Seife schrie. Auch die Schuhchen sahen so aus, als wären sie schon tagelang nicht mehr geputzt. Auch Hunger schien sie gehabt zu haben, sonst hätte sie nicht fünf Waffelherzen essen können. Jetzt saß sie satt und zufrieden auf Alix’ Arm und nuckelte am Däumchen. »Wird das Kind dir auch nicht zu schwer?« fragte die Tante, die neben der Nichte ging. Doch diese winkte ab. »Laß nur, die kurze Strecke schaffe ich es schon. Jedenfalls besser als der kleine Spatz mit seinen müden Beinchen.« Kurz bevor sie das Auto erreicht hatten, kam ihnen ein Reiter entgegen, der beim Anblick der Gruppe stutzte und dann mit höflichem Gruß vorüberritt. »Ganz mein Herr Schwager«, lachte die Modeste laut und höhnisch hinter ihm her. »Hält es natürlich für unter seiner Würde, uns gewöhnliche Sterbliche mit einem Wort zu beglücken.« »Warum gewöhnliche Sterbliche?« fragte Grit scheinheilig. »Ich halte mich dem Baron Isenhardt gegenüber nicht dafür.« »Na, hören Sie mal, meine Liebe – wie heißen Sie eigentlich?« »Frau von Alkes.« Mach den Mund zu, es zieht! hätte man jetzt rufen können bei dem dummen Gesicht der Frau Baronin. Sie war tatsächlich einige Herzschläge lang sprachlos, was ihr

Page 80: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

bestimmt nicht oft passierte. Doch dann platzte sie heraus: »Sie heißen wirklich Alkes?« »Ich bin so frei.« »Aber das ist ja alter, guter Adel!« »Eben darum.« Das war zuviel für die liebe Modeste, zumal sie sich noch über die ironischen Blicke der beiden Damen ärgern mußte. Wütend riß sie den Schlag auf, stieg in den Wagen, und brachte ihn ohne Schwierigkeiten in Gang. Es gelang Alix gerade noch, das Kind neben die Wutentbrannte zu setzen, dann brauste die Frau Baronin ohne Gruß ab. »So, meine liebe Modeste, diesen Hieb mußte ich dir denn doch versetzen«, lachte Grit amüsiert hinter dem Wagen her. »Und der saß unter Garantie.« »Gritchen, seit wann brüstest du dich mit deinem Namen?« fragte Alix neckend, und schmunzelnd erfolgte die Antwort. »Immer da, wo es angebracht ist. Hat die Frau vielleicht eine Lebensart! Bricht in unser Haus ein, wo sie uns wie Kulis behandelt, obwohl sie uns ihr Kind aufhalsen will, was wir Plebejer uns selbstverständlich als Ehre anrechnen müßten. Ißt unaufgefordert unsere Waffeln, verlangt gar noch Kaffee dazu und wird ausfahrend, als sie ihren Goldschatz bei uns nicht horten kann. Was meinst du, Mädchen, ob wir ihr den Knigge zuschicken?« »Den würde sie vielleicht gar nicht verstehen«, lachte Alix. »Denn sie scheint ziemlich beschränkt zu sein.« »Und dazu noch reichlich unverschämt«, ergänzte Grit. »Könnte ihr so passen, das Kind, das sie nicht allein zu Hause lassen kann, bei uns abzugeben und so unbeschwert ihrem Vergnügen nachzugehen. Aber so ganz aus Dummsdorf sind wir auch nicht, daher wissen wir, was die Glocke geschlagen hat. Jedenfalls ist die Frau Baronin mit Vorsicht zu genießen. Und wenn sie trotz der Abfuhr, die ich ihr noch mit auf den Weg gab, wieder hier auftauchen sollte, werden wir ihr wohl die Zähne zeigen müssen.« Der Ansicht war Verwalter Druschmann, der wenig später den Weg entlangritt und den Damen auf der Terrasse lustig

Page 81: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

zurief: »Darf ein müder Stoppelhopser eindringen in Dornröschens Reich – oder stört er die Harmonie?« »Nur immer hereingehopst!« rief Alix fröhlich zurück, während sie nach dem Schlüssel griff, der neben der Terrassentür hing. Also war er nicht verlegt, auch Kaffee war für den willkommenen Gast da, der, nachdem er sein Pferd dem herbeieilenden Brasch gegeben hatte, durch die geöffnete Gartentür zur Terrasse spazierte. Er fand die Waffeln delikat, den Kaffee erstklassig und verschmähte auch das Schnäpschen nicht, das Alix ihm kredenzte. Dann hörte er aufmerksam zu, was Grit ihm von dem unerwarteten Gast und dessen Unverfrorenheit erzählte. »Ach, sieh mal an, die Modeste«, dehnte er. »So bald schon witterte sie hier billige Kindermädchen. Was meinen Sie wohl, wie oft sie meiner Frau das kleine Gör angebracht hat. Bis es meiner guten Alten denn endlich doch zuviel wurde und sie mit ihrer Meinung nicht zurückhielt. Seitdem wagt die unverschämte Modeste sich nicht mehr an sie heran.« »Nun, heute habe ich mit meiner Meinung noch zurückgehalten. Aber wenn sie sich wieder herwagen sollte, wird sie diese wohl zu hören kriegen. Denn auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.« »Recht so, gnädige Frau, Sie haben den Sinn erfaßt.« »Wohl mir«, entgegnete sie trocken. »Übrigens kam uns, als wir den unerwünschten Gast zum Auto brachten, Baron Isenhardt entgegengeritten. Der mag nicht wenig gestaunt haben, uns so traulich vereint mit seiner Schwägerin zu sehen, zumal meine Nichte noch das Kind trug. Das sah so richtig nach dicker Freundschaft aus.« »Begrüßte er Sie denn nicht?« fragte der Mann gespannt. »Nein. Er grüßte im wahrsten Sinne des Wortes von oben herab und ritt vorüber, von den höhnenden Worten der Schwägerin begleitet.« Sie gab diese wieder, und Druschmann lachte grimmig auf. »So eine Kanaille! Und dabei ist mein Herr einer der

Page 82: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

vornehmsten Menschen. Er hat wahrlich alles versucht, um mit der Witwe seines Stiefbruders in Frieden zu leben. Aber das Weibsbild macht es ihm ja unmöglich. Ja, wenn er das Geld geben würde, was sie von ihm verlangt – oder besser noch, sich ihren ewigen Nachstellungen willig zeigen, dann würde sie ihn natürlich loben und preisen. So jedoch macht sie ihn überall schlecht. Wenn der liebe Gott ein Einsehen hat, befreit er den armen Mann bald von seinem Kreuz. Aber das könnte nur sein, wenn sich ein Dummer findet, der sich dieses Kreuz auf den Hals lädt. Und so dumme Männer gibt es nicht viel.« »Mir tut das Kind leid«, sagte Alix mitleidig. »Das hat doch keine richtige Betreuung – und Erziehung schon gar nicht. Daß der Baron da nicht eingreift.« »Würde er bestimmt tun, wenn er das Recht dazu hätte«, nahm der Verwalter seinen verehrten Herrn in Schutz. »Aber sein Stiefbruder, der den Gernot von jeher haßte, hat ihn als Vormund seiner Tochter im Testament strikt abgelehnt. Im übrigen ist das kleine Gör gar nicht zu bedauern, es wird von der Mutter verwöhnt genug. Es bekommt für seine Ungezogenheit viel zu wenig Klapse.« »Echt männliche Logik«, lachte Grit. »Da geht eben Gewalt vor Recht.« »Wollen Sie mich ärgern, gnädige Frau?« »I bewahre, dafür bin ich viel zu friedfertig. Das kann man nämlich hier werden, auf dieser kleinen Insel des Friedens.« »Also sind die Stadtdamen des Landlebens noch nicht überdrüssig?« »Keineswegs! Meine Nichte und ich haben immer so viel zu tun, daß uns für Langeweile gar keine Zeit bleibt. Sie brauchen gar nicht so zu schmunzeln, mein Lieber. Gib ihm einen Schnaps, Alix.« »Nein, danke«, wehrte er, indem er sich erhob. »Für mich ist es höchste Zeit, wenn ich nicht zu spät zur Bahn kommen will, um meinen Jungen abzuholen. Erinnern Sie sich noch seiner, gnädiges Fräulein?«

Page 83: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Aber natürlich, der Erich! Was treibt er denn jetzt?« »Er besucht seit Ostern die landwirtschaftliche Schule und findet sich über Pfingsten bei Muttern ein.« »Dann sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir.« »Danke, werde ihn bestellen. Vergnügte Feiertage wünsche ich den Damen. Für mich werden sie recht anstrengend werden, da wir zu Verwandten zur Hochzeit geladen sind. Viel lieber möchte ich mich ja in den beiden Tagen ausruhen, aber das würde der lieben Sippe in die falsche Kehle kommen.« »Und was machen wir?« fragte Alix, nachdem der Mann abgeritten war. »Hast du Lust, zur Stadt zu fahren?« »Hast du sie denn?« fragte die Tante dagegen. »Ich nicht.« »Also! Die Fahrt würde nämlich keine reine Freude werden, weil jetzt bereits die Pfingstausflügler unterwegs sind, da gibt es Trubel an allen Ecken und Enden. Wenn du dich da hineinstürzen willst, bitte sehr.« »Sollte mir einfallen. Mein Vorschlag geschah doch nur deinetwegen.« »Somit hätten wir ja nun die Rollen getauscht«, lachte Grit amüsiert. »Anstatt ich alte Tante bemüht sein müßte, der jungen Nichte Abwechslung zu verschaffen, ist es hier umgekehrt. Komm, machen wir einen Spaziergang durch die Natur, die sich zum Pfingstfest so herrlich geschmückt hat. Und wenn wir Glück haben, erleben wir etwas.« Allein, etwas gewiß nicht Alltägliches zu erleben, sollte Alix für den nächsten Tag vorbehalten sein. Denn auf ihrem Morgenritt kam ihr spontan der Gedanke, doch einmal zu dem Haus am Ende des Isener Parkes zu reiten. Warum, war ihr allerdings selbst nicht klar. Denn daß die Baronin so gewissenlos sein könnte, ihr kleines Kind über Nacht und Morgen allein zu lassen, um ihrem Vergnügen nachzugehen, das traute sie ihr denn doch nicht zu. Doch es zog Alix wie mit tausend Banden nach dem Haus, wo sie denn auch das Kind schreien hörte. Beunruhigt schaute sie an der Mauer hoch,

Page 84: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

mußte jedoch einsehen, daß man da unmöglich hinüberklettern konnte. Und die festen Türen darin waren verschlossen. Es mußte doch aber eine Auffahrt zu dem Haus geben, und die entdeckte Alix denn auch, als sie die Mauer fast umritten hatte. Diese wurde hier von einem schmiedeeisernen Tor unterbrochen, das sogar offenstand. Alix band das Pferd an einen Baum und hetzte den breiten Kiesweg entlang zum Haus hin. Lugte durch ein geöffnetes Parterrefenster – und was sie da erblickte, ließ ihr vor Schreck fast den Atem stocken. Denn in der Küche saßen am Fußboden Mutter und Kind. Doch während letzteres wie am Spieß schrie, wimmerte erstere vor sich hin. Und da gab es für Alix kein Halten mehr. Sie schwang sich durchs Fenster und sah erschrocken auf den entblößten Schenkel der Frau, über den es sich wie ein Feuermal zog. »Um Gottes willen, Frau Baronin, was ist Ihnen denn geschehen?« fragte Alix entsetzt, und die Verletzte sah sie wie irr an. »Was wollen Sie, wie kommen Sie überhaupt hier herein! Machen Sie bloß, daß Sie verschwinden – aber nein, bleiben Sie hier und helfen Sie mir. Oh, verbrüht habe ich mich! Wenn das nun Narben zurückläßt, bin ich entstellt für mein ganzes Leben!« »Es braucht ja nicht zu sein«, tröstete das Mädchen. »Und wenn, sind sie ja durch die Kleider verdeckt. Haben Sie eine lindernde Salbe im Haus?« »Ich glaube nicht. Beruhigen Sie bloß das Kind! Es macht mich mit seinem Geschrei noch wahnsinnig!« Alix hob die Kleine hoch, die ihren Hals fest umklammerte. »Dea, Angst«, schluchzte sie jämmerlich. »Mami weint – Dea ßreit.« »Du mußt jetzt still sein«, sprach Alix auf das verstörte Kind ein, das barfuß und im Nachtkleidchen auf dem kalten Fußboden gesessen hatte und nun vor Kälte erschauerte.

Page 85: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Komm, ich packe dich in eine Decke, damit du erst einmal warm wirst.« »Nein – Angst.« »Geben Sie ihr Bananen, damit sie sich den Mund stopft«, meldete sich nun die Mutter. »Im Eßzimmerschrank finden Sie welche.« Alix zog mit der Kleinen ab, fand auch bald, was sie suchte, und schon war des Kindes Jammer gestillt. Es ließ sich willig in eine Decke packen und auf den Diwan setzen, wo es nun eifrig bemüht war, die Schale von der begehrten Frucht zu ziehen. Indes eilte das junge Mädchen in die Küche zurück, wo die Modeste, nur mit einem dünnen Nachtkleid angetan, immer noch auf dem kalten Fliesenboden saß. »Ich habe entsetzliche Schmerzen«, wimmerte sie, was Alix ihr aufs Wort glaubte, denn die Verbrühung sah böse aus. »Versuchen Sie bitte aufzustehen«, sprach sie ihr mitleidig zu. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen dabei.« Es war ein schweres Stück Arbeit für Alix, die Frau erst einmal hochzuziehen und dann auf den Beinen zu halten. Sie umklammerte des Mädchens Hals so fest, daß dieses sich wehren mußte, um nicht erwürgt zu werden. »So geht das ja nun nicht«, erklärte sie energisch. »Luft müssen Sie mir schon lassen. Umklammern Sie lieber meine Schulter, das halte ich schon aus.« Mehr getragen als geführt, landete die Modeste endlich auf dem Diwan. Alix mußte sich erst einmal den Schweiß von der Stirn wischen und ein wenig verschnaufen. Dann breitete sie über den Unterkörper der Frau eine leichte Decke, die jedoch auf dem verletzten Bein nicht gelitten wurde. »Das ertrage ich nicht, das brennt wie Feuer!« »Lassen wir also den Schenkel frei.« »Dann friere ich.« »Also kann ich Ihnen nicht weiter helfen«, wurde Alix nun langsam ungeduldig. »Ich sehe schon, daß ich allein mit

Page 86: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Ihnen nicht fertig werden kann, daher werde ich Hilfe holen.« »Etwa den Herrn Baron?« höhnte die Modeste, »der wird Sie schön abblitzen lassen.« »Das kann ich ja mal erst versuchen.« »Da, dute Tante«, reichte Gela, die neben der Mutter auf dem Diwan saß, die Bananenschale hin. »Nu ißt Dea.« Rasch holte Alix noch eine Banane herbei und legte sie neben das Kind, damit es Beschäftigung hatte, bis sie zurückkam. Dann hetzte sie aus dem Haus und mußte nun doch über einen Staketenzaun setzen, der ihr den Weg zum Park versperrte. In langen Sätzen ging es dann weiter, hin und her, kreuz und quer, wie durch einen Irrgarten. Alix behielt dabei immer den Turm im Auge, der über die Wipfel der hohen Bäume ragte. Sonst hätte sie sich überhaupt nicht zurechtgefunden. Zum Kuckuck, wie groß war der Park denn überhaupt? Sie hatte das Gefühl, schon kilometerweit gelaufen zu sein. Ach was, jetzt achtete sie der Wege einfach nicht mehr. Jetzt nahm sie Kurs über die weiten, gepflegten Rasenflächen, die von herrlichen Blumenrabatten unterbrochen wurden. Aha, dort sprühte eine Fontäne, da konnte das Schloß nicht mehr weit sein. Und dann stand Alix endlich vor einer breiten Terrasse, auf der zwei Personen beim Frühstück saßen. Der Mann sprang auf und eilte die Stufen hinab zu dem Mädchen, das nun atemlos vom schnellen Lauf verharrte. »Gnädiges Fräulein, was ist denn geschehen?« fragte er beunruhigt, doch sie winkte kurz ab. »Keine Fragen jetzt, Herr Baron. Ihre Schwägerin hat sich arg verbrüht und leidet große Schmerzen.« Da fragte der Mann auch nicht weiter. Er rief der Dame, die unschlüssig am Tisch stand, hastig zu: »Verbrühung -Salbe – nachkommen ins Witwenhaus!« Dann eilte er Alix nach, die erst innehielt, als man vor dem Diwan stand, auf dem die Modeste lag. Da der verletzte

Page 87: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Schenkel freilag, sah der Mann sofort, wie arg die Verbrühung war, die sich von der Hüfte bis zum Knie hinzog. Nun eilte auch Frau Dieboldt, die Hausdame vom Schloß, herbei, die dann behutsam kühlende Salbe über die brennendrote Fläche strich. Dabei jammerte die Modeste unausgesetzt, daß sie nun für ihr ganzes Leben verunstaltet wäre. Dazwischen schrie das Kind, das nun auch die zweite Banane gegessen hatte. Alix holte die dritte herbei, und schon war die Kleine wieder still. »So, das ist nun die letzte, du niedlicher Schreihals. Und nun werde ich mich verfügen. Ich wünsche Ihnen gute Besserung, Frau Baronin.« »Besserung für mich – so was gibt’s ja gar nicht mehr«, jammerte die Frau in den höchsten Tönen. »Vielleicht nimmt man mir gar das Bein ab. Oh, ich Arme – ich Arme. Und Sie sehen sich das alles natürlich ruhig mit an«, wandte sie sich jetzt wütend an Isenhardt, der gegen den Türpfosten gelehnt stand und sich passiv verhielt. »Was soll ich denn wohl sonst?« fragte er gelassen. »Ich habe den Arzt bestellt, mehr kann ich nicht für Sie tun.« »Das sieht Ihnen ähnlich. Sie herzloser Mensch! Ach, habe ich Schmerzen, verrückt könnte man werden! Warum wollen Sie denn schon gehen, Fräulein Grodes?« »Ich kann mein Pferd, das ich an einen Baum band, nicht länger allein lassen. Befürchte ohnehin schon, daß ihm bei dem langen Warten etwas zugestoßen sein könnte.« Damit wollte sie gehen, doch hatte sie ihre Rechnung ohne Gela gemacht, die wie am Spieß schrie: »Dea, Angst – dute Tante bleiben - Dea, Angst.« Ehe Frau Dieboldt, die am Diwan saß, noch zufassen konnte, war die Kleine schon über die Mutter, die vor Schmerz laut aufschrie, hinweggeklettert, stolperte zu Alix hin und umklammerte ihre Beine. »Dute Tante – Angst!« Also blieb dem jungen Mädchen nichts anderes übrig, als das verängstigte Kind auf den Arm zu nehmen, das nun das

Page 88: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

tränennasse Bäckchen an die weiche Mädchenwange schmiegte und zufrieden am Däumchen nuckelte. »Ja, dagegen kann man nichts machen«, meinte Frau Dieboldt lächelnd, und Isenhardt fragte: »Wo befindet sich Goldlack, gnädiges Fräulein?« »Vor dem Tor, Herr Baron.« »So werde ich mich um ihn kümmern, da die kleine Tyrannin Sie ja doch nicht fortläßt. Sie sind ihr wahrscheinlich vertraulicher, als Frau Dieboldt und ich. Da fällt mir übrigens ein, daß ich die Damen noch nicht bekannt miteinander gemacht habe. Es ging alles so schnell.« Rasch holte er die Vorstellung nach und ging hinaus. Als er bald darauf wiederkam, konnte er Alix über ihr Pferd beruhigen. »Ich habe Goldlack dem Gärtner übergeben, der ihn nach dem Stall bringen wird.« »Also ist er munter?« fragte sie hastig dazwischen. »Ja, sehr sogar. Die Zeit ist ihm bestimmt nicht lang geworden, da er die Blätter von einem Strauch, den er erreichen konnte, abgefressen hat.« »Sieht meinem Süßen ähnlich. Und nun werde ich meiner Tante fernmündlich Bescheid sagen, damit sie sich wegen meines langen Ausbleibens nicht ängstigt.« Damit wollte sie das Kind auf die Erde setzen, doch schon ging das Geschrei wieder los. »Nehmen Sie das Gör mit!« rief die Modeste ungehalten. »Man kann bei dem Gebrüll ja wahnsinnig werden! Wo bleibt bloß der Arzt, ich halte die Schmerzen nicht mehr aus. Es ist doch mindestens schon zwei Stunden her, daß Sie ihn anriefen, Gernot.« »Genau eine Viertelstunde«, entgegnete er nach einem Blick auf die Armbanduhr. Dann jammerte die Modeste weiter, während die andern dasaßen und ihr nicht helfen konnten. Wenn die eitle Frau nur gewußt, wie wenig vorteilhaft sie jetzt aussah, so ohne jedes sorgfältige Make up und mit einem nicht gerade

Page 89: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

sauberen Nachtgewand bekleidet, sie hätte noch mehr gejammert – und zwar, daß ein Mann sie so sehen mußte. Und gar noch einer wie Gernot Isenhardt, dieser arrogante Spötter! Jetzt kam Alix, die fernmündlich mit der Tante gesprochen hatte, zurück. Sie setzte sich, behielt das Kind auf dem Schoß und besah sich kopfschüttelnd die Unordnung, die im Zimmer herrschte. Die Einrichtung des Raumes war wohl elegant, aber verunziert durch das, was da nicht hineingehörte. Kleidungsstücke lagen herum, unabgewaschenes Geschirr stand auf dem Tisch, dessen Decke große Flecke aufwies. Zigarettenstummel, Asche, Obstschalen und zerknülltes Papier waren über den Teppich gestreut, Staub lag dick auf Fußboden und Möbeln. Das alles besah Alix sich mit einem Gefühl leichten Grauens, das sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte. Sie merkte nicht, daß sie von Frau Dieboldt und Isenhardt beobachtet wurde, sah auch nicht den lächelnden Blick, den sie sich zuwarfen. Reizend sah sie aus, die junge Reiterin in ihrem eleganten Dreß mit dem Kind auf dem Schoß. Blankgeputzt von innen und außen, hätte man sagen können bei diesem Menschenkind, das Reinheit und Unberührtheit förmlich ausstrahlte. Und die andere auf dem Diwan, die doch nur einige Jahre mehr zählte? Verschminkt, verlebt… »Hunger«, klagte das Kind kläglich, und Alix lachte. »Na, hör mal, du kleiner Vielfraß, drei Bananen dürften doch eigentlich genügen. Wollen wir in die Küche gehen und nachsehen, ob wir da etwas finden, womit wir dein Bäuchlein ganz füllen können.« Sie ging mit dem Kind hinaus, und Frau Dieboldt sprach ihr warmen Tones nach: »Scheint ein prächtiges Menschenkind zu sein, die junge Besitzerin des Rosenhauses. Jedenfalls hat sie nichts von

Page 90: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

der Blasiertheit an sich, wie man sie oft bei reichen Mädchen findet.« »Haben Sie eine Ahnung!« lachte die Modeste hämisch, die es nun einmal nicht vertragen konnte, wenn eine Weiblichkeit gelobt wurde. »Eine ganz eingebildete Pute ist sie, diese Schnapsprinzeß.« Womit sie ihr Gift verspritzt hatte und ihre Jammerei fortsetzte. Dr. Bardel, ein gemütlicher älterer Herr, dem es oblag, die Menschen in der Umgegend zu verarzten, ließ die unberechtigten Vorwürfe der Modeste mit stoischem Gleichmut über sich ergehen. Er untersuchte das verletzte Bein und meinte dann sachlich: »Schmerzhafte Angelegenheit, aber weiter nicht lebensgefährlich.« »So werden Sie nicht das Bein abnehmen, Herr Doktor?« »Wie kommen Sie denn darauf, Frau Baronin? Das hier ist vorläufig noch ein ganz unkomplizierter Fall. Doch daß er womöglich nicht doch komplizierter wird, werde ich Sie in meinem Wagen mitnehmen und im Krankenhaus abliefern.« »Nein, das will ich nicht, auf keinen Fall!« wehrte sie sich fast schreiend. »Ich will zu Hause bleiben!« »Und wer soll Sie pflegen? Soviel ich gehört habe, sind Sie wieder mal ohne Dienerschaft.« »Dann verlange ich, daß der Baron mich ins Schloß nimmt und dort betreuen läßt. Oder paßt es dem hohen Herrn nicht, weil er seine eisigste Miene aufsetzt!« höhnte sie, und er entgegnete gelassen: »Da haben Sie recht – es paßt mir nicht. Ich habe nämlich keine Lust, durch eine unbeherrschte Kranke Unfrieden in mein Haus bringen zu lassen.« »So ein Grobian!« Sie schüttelte wütend die Fäuste nach ihm, wobei sie das wunde Bein streifte und wimmernd in sich zusammensank. »Oh, diese gräßlichen Schmerzen, ich halte sie nun wirklich nicht mehr länger aus. Aber ins Krankenhaus laß’

Page 91: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

ich mich nicht schleppen, die Grodes muß hierbleiben und mich pflegen.« »Fräulein Grodes aus dem Rosenhaus?« fragte Bardel verwundert. »Ist sie denn hier?« Wie auf ein Stichwort trat das Mädchen ein, immer noch die kleine Gela auf dem Arm, die zufrieden an einem Butterbrot kaute. »Tatsächlich die Alix«, schmunzelte der Mann, die er schon als Kind kannte, da er der Hausarzt Riekchens gewesen war. »Gnädiges Fräulein, Sie werden ja immerzu hübscher, was soll das bloß noch werden? Sind Sie womöglich Kindermädchen hier?« »Nur ehrenamtlich«, schnitt sie eine Grimasse und erzählte dann, wie sie zu dieser »Ehre« gekommen war. »Nun, wer A gesagt hat, der muß auch B sagen«, zwinkerte er ihr vergnügt zu. »Die Frau Baronin möchte gern von Ihnen gepflegt werden.« »Das kann ich nicht«, verwahrte sich das Mädchen dagegen ganz entschieden. »Erstens mal verstehe ich von Krankenpflege nichts – und dann fehlt mir dazu die Geduld.« »Also, Frau Baronin, da werden Sie wohl nicht um das Krankenhaus herumkommen.« Es gab nun noch einen heißen Kampf auszufechten, bis die unbeherrschte und hochfahrende Patientin neben dem Arzt im Auto saß. Auf seine Anordnung trug sie über dem Nachtkleid nur einen Mantel, auf den Knien lag eine leichte flauschige Decke, und die Füße steckten in weichen Schuhen. Frau Dieboldt hatte rasch ein Köfferchen mit Toilettengegenständen gepackt, und zum Glück unter dem Wust gebrauchter Wäsche noch ein sauberes Nachtkleid gefunden. »Puh, das war grausig!« Die distinguierte Dame ließ sich auf einen Stuhl fallen, nachdem das Auto abgefahren war. »So etwas von Unordnung, wie sie in diesem Haus

Page 92: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

herrscht, ist mir denn doch noch nicht vorgekommen.« Sie sprach nicht weiter, weil Isenhardt eintrat. Man konnte nicht wissen, wie der verschlossene Mann ihre kritisierenden Worte auffassen würde. Denn die Modeste war immerhin die Witwe seines verstorbenen Stiefbruders. »Ja, so was kostet Nerven«, sagte er lächelnd, als er bemerkte, wie seine Hausdame sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Ich gehe jetzt ‘rüber, Frau Dieboldt. Suchen Sie bitte des Kindes Sachen zusammen, und kommen Sie dann nach. Es bleibt mir nämlich nichts anderes übrig, als Gela so lange im Haus zu behalten, bis die Mutter wieder gesund ist. Es tut mir leid, daß ich Ihnen das verzogene Kind aufbürden muß. Sie werden keinen leichten Stand mit ihm haben.« »Ach, ich erziehe mir das eigensinnige Persönchen schon«, entgegnete sie zuversichtlich. »Es wird allerdings nicht einfach sein, es jetzt von Fräulein Grodes zu lösen.« »Das fürchte ich auch. Also muß ich schon wagen, die junge Dame darum zu bitten, ihren kleinen Quälgeist ins Schloß zu bringen. Wollen Sie so freundlich sein, gnädiges Fräulein?« »Warum denn nicht? Das heißt, wenn ich indes nicht Hungers sterbe«, setzte sie lachend hinzu. »Ich habe nämlich noch nicht gefrühstückt.« »Dann wird es aber Zeit«, fiel er in ihr fröhliches Lachen ein. »Ein gutgedeckter Frühstückstisch sei Ihnen in meinem Haus gewiß.« Damit ging er, und Frau Dieboldt machte sich daran, die Sachen des Kindes zusammenzusuchen. Ein mühsames Beginnen, da sie verstreut herumlagen und bis auf wenige Stücke schmutzig waren. Also mußten auch die mit. »Und was ziehen wir der Kleinen an?« fragte Alix, die der Packerei mit Interesse zuschaute. Sie selbst konnte sich daran nicht beteiligen, weil ihr kleiner Quälgeist sie nach wie vor mit Beschlag belegte. »Soweit ich übersehen kann, befindet sich unter den Sachen, die Sie in den Koffer tun, weder ein sauberes

Page 93: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Kleidchen, noch Wäsche, noch Strümpfe. Und das einzige Paar Schuhe starrt vor Schmutz.« »Ja, es ist ein Skandal«, seufzte Frau Dieboldt. »Man merkt hier an allen Ecken und Enden, daß seit längerer Zeit wieder einmal kein dienstbarer Geist im Hause war. Und die Aufwartung, die dann immer einspringen muß, ist eine Schlampe.« Und die Hausherrin nicht minder – setzte sie in Gedanken hinzu, die Alix ihr jedoch vom Gesicht ablesen konnte. »Na ja«, meinte sie wie abschließend. »Ziehen wir Gela das Mäntelchen darüber, und lassen wir die Beinchen bloß. Es ist ja warm draußen.« Wenig später verließen sie das Haus, dessen Tür Frau Dieboldt abschloß. Und dann kam auch schon der Diener Ewald, der sich des Koffers bemächtigte. »Ich kann auch noch sehr gut das Kind tragen«, erbot er sich, doch Alix lehnte ab. »Haben Sie eine Ahnung, welch ein ohrenbetäubendes Geschrei dann einsetzen würde. Lassen Sie nur, wenn ich den kleinen Eigensinn so lange herumgeschleppt habe, schaffe ich es auch noch bis zum Schloß.« »Sßa«, nickte Gela einverstanden. »Bei dute Tante bleiben.« »Also«, lachte Alix, »womit ich diese rührende Anhänglichkeit verdient habe, ist mir zwar unklar, aber ich muß sie wohl oder übel über mich ergehen lassen.« So schritten sie denn die Wege des Parkes entlang, dessen Schönheit Alix entzückte. Er war gerade soviel gepflegt, um von seiner Eigenart nichts einzubüßen. Uralte Bäume, bequeme Wege, an denen von alters her Steinfiguren standen, lauschige Plätzchen, die zum Verweilen einluden, Rasenflächen, von Sträuchern umsäumt, ein herrlicher Rosengang, an dessem üppigen Gesträuch jetzt die Mairosen blühten und ihren köstlichen Duft verbreiteten, viele andere Blumen, die auf den Rabatten blühten, selbst ein tadellos instandgehaltener Tennisplatz fehlte nicht. »Wunderbar«, sagte das Mädchen leise, und ihre Begleiterin nickte.

Page 94: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ja, ein herrliches Fleckchen Erde. Ich bin glücklich, darauf verweilen zu dürfen.« Und dann lag das Schloß frei vor ihren Augen. Vor den Stufen, die zur Terrasse führten, stand der Besitzer all der Herrlichkeit ringsum und sah ihnen lächelnd entgegen. Alix wurde es ganz eigen ums Herz. Etwas wie glückselige Freude und wiederum bange Trauer erfüllte sie. Es war alles so unwirklich, so märchenhaft. So gar nicht in Worte zu fassen und auch nicht gefühlsmäßig zu ergründen – es war einfach da. Und nun ging alles überstürzend rasch. Ehe Alix es sich so recht versah, saß sie im Korbsessel, der mit einigen anderen am runden Tisch stand. Müde lag das Köpfchen der kleinen Gela an der Schulter des Mädchens. Die Lider zuckten schwer, bis sie sich dann fest über die Kinderaugen legten. »Gott sei Dank, sie schläft«, sagte Frau Dieboldt aufatmend. »Jetzt werden Sie endlich Ihren Quälgeist los, Fräulein Grodes.« »Ist auch Zeit«, lachte diese. »Angst und bange wurde mir bei so viel Anhänglichkeit.« »Die sogar Spuren hinterlassen hat«, fiel die Dame in das fröhliche Lachen ein, während sie das Kind behutsam auf ihren Arm hob. »Und zwar auf Ihrem Gesicht, Fräulein Grodes.« »Kann ich mir denken, aber das wird rasch behoben sein.« Sie zog aus der Tasche der Reithose ein Fläschchen mit Eau de Cologne, säuberte damit Gesicht und Hände, fuhr mit einem Kämmchen durch die schimmernden Locken, und schon sah sie wieder gepflegt aus. »Na also«, nickte Frau Dieboldt, als beantworte sie sich eine Frage. Dann ging sie mit dem Kind davon, und Isenhardt schmunzelte. »Wenn alle Damen so rasch mit ihrem Make up fertig wären…« »Bitte, Herr Baron, fangen Sie jetzt keinen Streit an«, unterbrach sie ihn lachend. »Der wäre denn doch zu viel

Page 95: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

für meinen hungrigen Magen.« »Bitte zuzugreifen, gnädiges Fräulein, es steht alles vor Ihnen. Ich werde sogar mithelfen, obwohl ich schon gefrühstückt habe.« Alix griff ohne Ziererei zu, und als man bei der Zigarette war, erschien Frau Dieboldt und berichtete, daß der kleine Gast vorzüglich untergebracht wäre. Und zwar bei Anettchen, die alles im Schloß stopfte und flickte, was unter ihre geschickten Finger kam. »Wird das ältliche Fräulein auch mit dem schwierigen Kind umzugehen verstehen?« fragte Gernot zweifelnd. »Ganz bestimmt, Herr Baron. Anettchen ist ja früher einmal Kindermädchen gewesen.« »Hoffentlich besitzt sie bei der Kleinen so viel Anziehungskraft wie Fräulein Grodes. Gela hat nämlich viel Schönheitssinn.« »Herr Baron, fangen Sie schon wieder an?« tat Alix entrüstet, indem sie aufsprang. »Ich flüchte! Auf Wiedersehen, gnädige Frau! Lassen Sie sich recht bald im Rosenhaus blicken. Auf Wiedersehen, Herr Baron! Lassen Sie Ihre spöttische Zunge stutzen.« Husch war sie die Stufen der Terrasse hinabgesprungen, und die beiden Zurückbleibenden sahen sich verdutzt an. Dann lachte Frau Dieboldt hellauf. »Ist das ein entzückender kleiner Racker! Darf ich Ihnen einen Spiegel vorhalten, Herr Baron?« »Lassen Sie nur«, winkte er gleichfalls lachend ab. »Ich weiß auch so, wie dämlich ich aussehe.« Indes eilte Alix zum Pferdestall, den sie auch ohne Irrweg fand. Dort ließ sie sich ihr Pferd geben, saß auf und war zehn Minuten später zu Hause, wo sie ihrer geliebten Tante Grit ausführlich Bericht erstattete. Egon Grodes, der seit vier Wochen das ungebundene Leben eines Globetrotters führte, mußte schließlich einsehen, daß ihm dieses auf die Dauer zu anstrengend wurde. Zuerst ja, da hatte er nicht genug kriegen können von dem bunten Treiben, hatte sich förmlich hineingestürzt und alles

Page 96: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

mitgenommen, was die lockende Welt ihm bot. Aber dann kam die Ernüchterung und damit das Verlangen nach einem geregelten Leben. Und als ihm gar eine lustige Witwe, die den stattlichen Mann hartnäckig verfolgte, auf die Nerven zu fallen begann, nahm er schaudernd Reißaus und landete in seinem verödeten Zuhause, wo er erst einmal vierundzwanzig Stunden in tiefem Schlaf versank. Und dann war es wieder die unheimliche Ruhe im Haus, die ihm auf die Nerven fiel. Also mußte er sich nach Dienerschaft umsehen und vor allem nach einer Hausdame. Zwar kam ihm der Gedanke, Tochter und Schwester, die er ganz richtig im Rosenhaus vermutete, nach Hause zurückzurufen, doch dieser Gedanke wurde sofort verscheucht. Es wäre ja so, als wollte er zu Kreuze kriechen, und das ließ sein starrer Sinn denn doch nicht zu. Sie sollten zu ihm kommen, nicht er zu ihnen. Denn sie hatten ihn ja verlassen. Köchin, Hausmädchen und Chauffeur, der gleichzeitig Diener sein sollte, hatte er durch die Zeitung bald gefunden, doch bei der Hausdame gestaltete sich die Suche bedeutend schwieriger. Er bekam nämlich so viele Zuschriften auf das Inserat, daß ihm angst und bange wurde. Mißmutig machte er sich daran, die Briefe zu lesen, und es bereitete ihm direkt eine Genugtuung, daß fast alle in den Papierkorb wandern konnten. Nur drei Schreiben behielt er zurück, beantwortete sie und bat die Damen zur persönlichen Vorstellung. Zwei von ihnen sagten ihm nicht zu, doch die dritte schien das zu sein, was er suchte. Schon ihre Erscheinung gefiel ihm, die durchaus damenhaft war, ebenso ihre ganze Art. Grodes wurde fast verlegen unter dem klaren, forschenden Blick ihrer übrigens sehr schönen, dunklen Augen. »Nehmen Sie bitte Platz, Frau…« »Härder«, half sie liebenswürdig aus, während sie den Sessel einnahm, den er ihr bot. Er setzte sich ihr gegenüber

Page 97: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

und räusperte sich erst einmal, bevor er begann: »Sie sind Witwe, Frau Härder?« »Ja, Herr Grodes, seit zwei Jahren«, antwortete sie mit einer warmen Stimme, die ihn ganz eigen berührte. »Mein Mann war Architekt und erlag plötzlich einem Herzschlag. Bisher konnte ich mich mit dem hinterlassenen kleinen Vermögen recht und schlecht durchschlagen, aber jetzt bin ich gezwungen, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.« »So waren Sie noch nie in Stellung?« »Nein. Aber ich glaube, daß ich einem Hause vorstehen kann. Bitte, hier ist mein Ausweis.« Mit einer Verlegenheit, über die er sich ärgerte, nahm er die Personalien auf. Daß sie mittelgroß und vollschlank war, sah er ja selbst, auch daß sie ein feines, klares Gesicht, dunkle Augen und sehr gepflegtes dunkles Haar hatte. Ihrer eleganten Kleidung nach zu urteilen, schien es ihr bisher nicht schlecht gegangen zu sein. Als Vorname war auf dem Ausweis vermerkt: Elga – Alter: 44 Jahre. »Danke, Frau Härder, das genügt mir.« Er gab ihr die Personalpapiere zurück. »Wollen wir es miteinander versuchen?« »Ich bin nicht abgeneigt, Herr Grodes.« »Na schön. Leider finden Sie hier keine eingearbeitete Dienerschaft vor, weil ich diese, außer dem Gärtnerehepaar, entlassen mußte, bevor ich auf Reisen ging. Ich habe also Köchin, Hausmädchen und Chauffeur, der gleichzeitig Diener ist, neu einstellen müssen. Es wird nicht leicht für Sie sein, die Leute einzuarbeiten, weil Sie ja selbst hier noch fremd sind.« »Das schaffe ich schon, Herr Grodes«, versprach sie zuversichtlich. »Wie groß ist Ihre Familie?« Sein Gesicht verfinsterte sich, dann sagte er knapp: »Ich bin allein.« Er sah sie dabei nicht an und bemerkte daher auch nicht ihren teilnahmsvollen Blick. Einige Herzschläge lang war es still, dann fragte die Dame: »Wann

Page 98: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

soll ich meinen Dienst antreten, Herr Grodes?« »So schnell es geht, Frau Härder«, antwortete er aufatmend. »Möglichst schon morgen, wenn es sich einrichten läßt.« So kam es denn, daß Elga Härder am nächsten Tag Einzug in Villa Grodes hielt. Zuerst gab es für sie so manche Schwierigkeit zu überwinden, doch davon bekam der Hausherr nichts zu spüren. Er hatte seine Ordnung und Gemütlichkeit, wie zu Zeiten seiner Frau und später seiner Schwester Grit. Und das genügte dem verwöhnten Herrn, zumal die Hausdame mit dem Haushaltsgeld, das er ihr zuteilte, gut auskam, sogar noch davon übrigbehielt, wie er aus der Abrechnung, die sie ihm jede Woche vorlegte, ersehen konnte. Da hatte er also bei der Wahl der Hausdame Dusel gehabt, wie er es selbst nannte – und einen noch größeren Dusel, daß das Schicksal so gütig gewesen war, ihm über seine so angeschwärmte Daisy noch kurz vor Toresschluß die verblendeten Augen zu öffnen. Wie ihm der Gärtner erzählte, war die Dame oft hier gewesen, um zu erkunden, ob der Herr des Hauses immer noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt wäre – und jedesmal hatte sie enttäuscht abziehen müssen. Grodes fand unter der für ihn eingegangenen Privatpost auch süßduftende Briefchen vor, die er mit verächtlichem Lächeln einpackte und ungeöffnet an die Absenderin zurückgehen ließ. Und ihm platzte sozusagen der Stehkragen, als der Diener am nächsten Tag das Fräulein von Tees meldete. Am liebsten wäre der ergrimmte Mann hingegangen und hätte dieses lästige Insekt eigenhändig zur Tür hinausgeworfen. Da dieses jedoch nicht gut anging, bedeutete er dem Diener, der Besucherin zu sagen, daß sie sich zum Teufel scheren möge – was der junge Mann denn auch wörtlich ausrichtete. Da endlich gab das rührend anhängliche Fräulein Ruhe. Und diese Ruhe tat Egon Grodes gut. Er war mit seiner Hausdame sehr zufrieden und konnte abwarten, bis Grit

Page 99: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

und Alix zu Kreuze kriechen würden. Aber leicht sollte ihnen das nicht gemacht werden. Allein, die beiden Undankbaren, wie der schwergekränkte Mann sie bezeichnete, dachten gar nicht daran, in das Haus zurückzukehren, das jetzt von einer hochfahrenden Frau beherrscht wurde – und in dem der Hausherr nichts weiter als Staffage war. Der durfte nur seinen Geldbeutel sehr weit aufmachen. Sie konnten ja nicht ahnen, daß ein gütiges Geschick den verblendeten Mann noch in letzter Minute davor bewahrt hatte, die größte Dummheit seines Lebens zu machen. Es gab ja niemand, der sie davon in Kenntnis setzte. Und sich unter der Hand nach den Verhältnissen in der Villa Grodes zu erkundigen, wagten sie nicht – und wollten es auch nicht. Sie warteten ab, bis Egon Grodes die verliebten Augen aufgehen würden – alles Weitere kam dann von selbst. Es ging ihnen ja auch gut im Rosenhaus, das ihnen lieber wurde mit jedem Tag. Je mehr es dem Sommer zuging, um so üppiger blühten die Rosen in Dornröschens Reich. Überall, wohin man auch kam, leuchtete es in allen Farben. Und wie ein Röslein prankte auch Alix in ihrer jungen, berückenden Schönheit. Wie das lachende Leben selber mutete sie an, mit den strahlenden Augen und der unbeschwerten Fröhlichkeit. Mit einem Liedlein auf den Lippen ging sie schlafen, stand morgens damit auf und trällerte sich durch den Tag, an dem sie sich ihre Beschäftigung suchte. Und als erst die Heuernte begann, half nicht nur sie mit, sondern auch Grit. Es ging ihnen nicht so flott von der Hand, wie zum Beispiel Vater Brasch und der flinken Else, aber immerhin konnte man in diesem Jahr auf dem kleinen Besitz ohne fremde Hilfe auskommen. Und während die vier Menschen auf dem Feld mit Lust und Liebe bei der Arbeit waren, tat Muttchen Brasch in Haus und Küche ihr Bestes. Sie kochte und buk mit freudigem Eifer, damit ihre Arbeiter extra gut verpflegt

Page 100: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

wurden und ja nur bei Kräften blieben. In einigen Tagen war das schwere Werk getan. Duftend und knistertrocken häufte sich das Heu in dem Schuppen, der über dem Stall lag. Die Ernte war so üppig ausgefallen, daß die Tiere im Winter damit ausreichend gefüttert werden konnten. »Das wäre wieder einmal geschafft«, schmunzelte Brasch, sich den Schweiß von der Stirn wischend. »Und zwar noch zur rechten Zeit. Denn mir schwant, als ob wir bald ein Gewitter bekommen werden.« »So will ich vorher rasch noch ein Bad im See nehmen«, lachte Alix fröhlich. »Kommst du mit, Tante Grit?« »Mit dem größten Vergnügen. Ich lechze direkt nach einem kühlen Bad.« Wenig später gingen sie dann zum See hinunter, der ungefähr fünfzig Meter weit vom Rosenhaus entfernt lag und sich bis über Isen hinzog. Riekchen hatte an einer besonders schönen Badestelle eine kleine Bude errichten lassen, wo man sich ungeniert aus- und ankleiden konnte. Ersteres war jetzt bei Grit und Alix nicht nötig, da sie den Bademantel über dem Badeanzug trugen. Wie muntere Fischlein schwammen sie in dem klaren Wasser, das heute fast lauwarm war. Kein Wunder, da schon seit Tagen eine brütende Hitze über dem Land lag. Sehr erwünscht für die Heuernte, doch manchmal fast unerträglich für die Menschen, die den grünen Segen unter Dach und Fach bringen mußten. Dazu gehörten in diesem Jahr auch die beiden Stadtdamen. Sie waren ordentlich stolz darauf, nicht müßig zur Seite gestanden zu haben, während die Landbevölkerung stramm arbeitete. »Ich glaube, wir kriegen wirklich das Gewitter, das unser guter Brasch prophezeite«, zeigte Grit, die neben Alix schwamm, nach dem Himmel, wo sich zwischen die Bläue dunkle Wolken zu drängen begannen. »Also wäre es ratsam, dem Bad zu entsteigen und nach Hause zu eilen.

Page 101: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Nasser als naß könnten wir allerdings nicht werden, was den Regen betrifft. Aber Donner und Blitz ohne schützendes Dach sind mir unsympathisch.« Derselben Ansicht war auch Alix. Also entstiegen sie der klaren Flut, zogen in der Bude den nassen Wollanzug aus, hüllten sich in den Bademantel und eilten dem Rosenhaus zu. Aber ehe sie das Gehöft erreicht hatten, setzte bereits der Sturm ein, der dem Gewitter voranzubrausen pflegt. Die Bäume bogen sich unter der Wucht des robusten Gesellen, es orgelte und pfiff, als wären tausend Teufel losgelassen. Am Himmel bauschten sich die Wolken wie schmutzige Watte, ein unheimliches Licht beleuchtete die Landschaft. Und was waren das für Reiter, die da angeprescht kamen? Tatsächlich, Baron Isenhardt und der Verwalter Druschmann. Und Isen war noch weit, dazwischen lag kein schützendes Dach. »Suchen Sie Schutz im Rosenhaus!« rief ihnen Grit zu. Und da nahte auch schon Brasch, der das Tor öffnete, damit die Pferde auf den Hof laufen konnten. Was anschließend geschah, wußten die beiden Damen nicht. Sie eilten ins Haus, nach ihren Zimmern, und kaum, daß sie diese betreten hatten, brach auch schon das Unwetter los. Es krachte und blitzte, der Regen prasselte. Rasch kleideten Grit sowie Alix sich an. Und als sie das Wohngemach betraten, konnten sie zwei Gäste begrüßen, die ihnen der Gewittersturm ins Haus geweht hatte. »Das flutschte man gerade noch so hin«, lachte Druschmann in seinem Baß. »Donner noch eins, das Gewitter hatte es diesmal aber eilig. Keine Minute später, dann wären wir wie die gebadeten Kater gewesen. Und nun zeigen die Damen wohl ihre Gastfreundschaft.« »Soll geschehen«, lachte Alix fröhlich. »Und Gastfreundschaft ist in diesem Fall erst mal ein ausgewachsener Schnaps auf den ausgestandenen Schreck. Habe ich recht, Herr Baron?« »Will ich meinen, gnädiges Fräulein«, lächelte er amüsiert.

Page 102: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Mein Kompliment, daß Sie die Gepflogenheit der Landwirte so schnell begriffen haben.« »Kein Wunder, da ich jetzt ja selbst eine Landwirtin bin«, gab sie mutwillig zurück, während sie die kleine Bar heranrollte. Flugs standen Gläser darauf, die sich mit einer bernsteinklaren Flüssigkeit füllten. Man nippte an ihr mit Genuß – und draußen krachte und blitzte es. Doch ebenso rasch, wie das Gewitter auftrat, verzog es sich auch. Der Donner grollte in der Ferne, die Blitze zuckten nur noch matt in den düsteren Wolken, durch die dann golden die Sonne brach. »Kurz aber heftig«, schmunzelte Druschmann. »Gleichsam dem Schmerz der Liebe. Stimmt’s, gnädiges Fräulein?« »Darin bin ich nicht kompetent«, blitzte sie ihn an. »Da füge ich mich Ihrer besseren Erfahrung.« »Seid friedlich, und begebt euch nicht auf dieses undurchdringliche Gebiet«, wehrte Grit lachend. »Ich für mein Teil bin prosaischen Dingen zugänglicher. Und zwar sehne ich mich nach einem guten Kaffee.« Wie auf ein Stichwort erschien Muttchen Brasch, lachend über das gute Gesicht. »Wie wäre es mit einem guten Kaffeechen nebst allem Drum und Dran, meine Herrschaften? Soll ich ihn auf der Terrasse servieren, wie meine beiden lieben Damen es gewöhnt sind? Das Sonnchen scheint schon wieder so schön, und warm ist es auch.« »So gehen Sie hin und tun also, Muttchen Brasch«, ermunterte Grit, worauf die Gute dann eiligst entschwand. Schon zehn Minuten später konnte man sich an den einladend gedeckten Tisch setzen. Die Kaffeemaschine brodelte, auf einem Teller häuften sich Kuchenstücke, üppig mit Streuseln und Mandeln gespickt. Es gab ein fröhliches Schmausen, wobei selbst der sonst so zurückhaltende Gernot Isenhardt eifrig mittat. Dreimal mußte Alix ihm die Tasse mit dem belebenden braunen Trank füllen, immer wieder griff seine nervige Rechte nach

Page 103: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

den Kuchenschnitten. Ihm schmeckte es so gut, wie schon lange nicht mehr. Und dabei kam auch das Herz nicht zu kurz. Es labte sich an dem Anblick des Menschenkindes, das ihm wie die Verkörperung jungfrohen Menschentums gegenübersaß. Die faszinierenden blauen Augen blitzten in dem feinen, gebräunten Antlitz, durch den jungroten Mund schimmerten die gepflegten Zähne. Die braungoldenen Haare, die noch ein wenig feucht waren von dem vorhergehenden Bad, ringelten sich auf dem Kopf wie gleißende Schlänglein. Die schlanken, gebräunten Arme schoben sich aus den kurzen Ärmeln des leichten Kleides, das wie eine zarte Welle den grazilen Mädchenkörper umbauschte. Und dann das goldige, unbekümmerte Lachen. So von Herzen kam es, so aus der Tiefe einer reinen Seele heraus. Und dieses Lachen war es zu allererst, – was den Frauenverächter Gernot Isenhardt betörte, dem seine Skepsis den Frauen gegenüber nicht standhielt. Das ihn berührte, wie ein wundersames, zärtliches Streicheln. Es half ihm gar nichts, daß er sich dagegen wehrte. Es war da – und ließ in seinem Herzen tausend rote Rosen sprießen. Rosen blühten auch um ihn her. Sie prangten in dem kleinen Garten, umrankten das Haus, lugten über das Geländer der Terrasse hinweg, dufteten in der Vase auf dem Tisch. Rosen, Rosen überall – und mittendrin Dornröschen, wie der Märchendichter es sich vorgestellt haben mag. Doch Märchen sind eben Märchen. Sie verlieren ihren Reiz, sofern der Kinderglaube daran entschwunden ist. Und Gernot Isenhardt war ein Mann von dreißig Jahren, der bestimmt nicht mehr an Märchen glaubte. Trotzdem umfing es ihn im Rosenhaus wie mit linden Armen. Hier schien alles so einfach zu sein, so ohne Lug und Trug. Der Rosenduft umnebelte Hirn und Herz. Ließ eine Sehnsucht darin erklingen nach Liebe und Glück. »Weiß der Kuckuck, das Rosenhaus hat’s in sich«, sagte

Page 104: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Druschmann, als er an der Seite seines Herrn Isen zuritt. »Es ist etwas eignes darin, etwas, das man nicht in Worte fassen kann. So war es schon zu Zeiten der Tante Riekchen, und so ist es jetzt bei der kleinen Herrin Alix. Man müßte glauben, daß die Rosen dort ohne Dornen sind.« »Was natürlich ein Trugschluß ist«, entgegnete der andere trocken, der wieder klar denken konnte, nachdem er dem Zauberkreis des Rosenhauses entronnen war. »Denn Rosen ohne Dornen dürfte es wohl nicht geben, ebenso wie es nicht Menschen ohne Fehler gibt. Wie sagt Goethe: Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.« Es klang wie abschließend, so daß Druschmann nichts darauf zu erwidern wagte. Zwar war er hier mit seinem verehrten Herrn nicht einer Meinung, doch wes Brot man ißt, des Lied man singt. An einem Sonntag, Anfang Juli, erschien Frau Dieboldt im Rosenhaus, wo sie freudig willkommen geheißen wurde. »Lieb, daß Sie uns besuchen, gnädige Frau«, sagte Alix herzlich. »Ich glaubte schon, Sie hätten meine damalige Einladung als konventionelle Höflichkeit angesehen.« »Nun, daraufhin wäre ich bestimmt nicht erschienen«, war die lächelnde Erwiderung. »Der Ton macht immer die Musik.« »Da bin ich aber froh, daß ich den rechten gefunden habe«, lachte Alix vergnügt. »Allen gegenüber finde ich ihn nämlich nicht.« »Kann man wohl sagen«, bestätigte Grit, der diese feine, gütige Frau auf den ersten Blick gefiel, so daß ihre Zurückhaltung, die sie sonst Fremden gegenüber hatte, erst gar nicht aufkommen konnte. Der richtige Kontakt war gleich da, und man plauderte bald, als kennte man sich schon lange. Man trank den Kaffee natürlich auf der Terrasse, und Frau Dieboldt war von der Rosenpracht genauso entzückt wie alle andern. Dazu blühten noch die Linden, die Akazien, deren süßer Duft sich mit dem der Rosen mischte.

Page 105: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Jetzt kann ich auch verstehen, warum Herr Druschmann immer wieder behauptet, daß ihm, wenn er im Rosenhaus weilt, Herz und Hirn wie umnebelt sind«, lachte der Gast. »Man könnte direkt poetisch werden, in Dornröschens Reich.« »Diese Bezeichnung kennen Sie also auch schon, gnädige Frau«, schnitt Alix eine niedliche Grimasse. »Die paßt doch nun wahrlich nicht zu mir, die ich alles andere als ein märchenhaftes Wesen bin. Kaum zu glauben, wie schnell man zu einem Spitznamen kommen kann.« »Ich finde ihn reizend – und passend.« »Na schön«, meinte das Mädchen gottergeben. »Wie geht es übrigens der kleinen Gela, ist sie noch immer im Schloß?« »Ja. Denn ihre Mutter befindet sich zur Zeit in einem Bad, um ihre angegriffenen Nerven zu stärken. Sie hielt eine Kur für unbedingt erforderlich, legte dem Herrn Baron sogar aus dem Krankenhaus ein Attest vor, das sie sich…« »Bei einem liebenswürdigen Arzt erschmeichelte«, warf Grit trocken ein. »Und wer bezahlt nun diese bestimmt recht kostspielige Angelegenheit?« »Der Familienfond der Isenhardt. Der wirft nämlich für derartige Fälle eine bestimmte Summe aus *- und die ist gewiß nicht klein.« »Und wenn diese Summe aufgebraucht ist, was dann?« wollte Alix wissen. »Dann ist eben die Kur beendet. Aus seiner Tasche zahlt der Herr Baron jedenfalls nichts hinzu.« »Sehr vernünftig von dem Mann«, meinte Grit. »Denn schließlich ist er ja nicht dazu da, um die Extravaganzen seiner Stiefschwägerin zu bezahlen. Aber wenn diese nun Schulden macht?« »Dann muß sie selbst dafür aufkommen. Das weiß sie und wird sich daher hüten, über den Etat zu leben. Wird also, wenn das ihr zugeteilte Geld verbraucht ist, wieder im Witwenhaus aufkreuzen, in dem jetzt eine tadellose Ordnung herrscht. Um die herzustellen, mußten drei

Page 106: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Frauen einen ganzen Tag darin arbeiten.« »Kann ich mir denken«, lachte Alix. »Die Schlamperei in dem kleinen Haus war tatsächlich vorbildlich. Wie eine Frau sich darin wohl fühlen kann, ist mir einfach ein Rätsel – und auch, daß sie ihr kleines Kind seinem Schicksal überläßt. Hat Gela denn gar keine Sehnsucht nach ihrer Mutter?« »Nein«, entgegnete Frau Dieboldt. »Sie fühlt sich bei uns recht wohl. Nur daß sie gehorchen muß, will ihr nicht so ganz behagen. Wir lassen sie ja gewähren, soweit es nur angeht, weil wir uns sagen, daß es nicht lohnt, die zweijährige Kleine zu erziehen. Denn sofern die Mutter zurückkommt, kriegt sie ja doch wieder allen Willen – einerseits. Andererseits bekommt sie empfindliche Klapse und wird angeschrien für nichts und wieder nichts. Immer so, wie der unberechenbaren Frau Mama gerade die Laune steht. Bei so einer verkehrten Behandlung kann aus dem Kind natürlich nichts Gescheites werden.« »Kümmert sich der Vormund denn gar nicht um sein Mündel?« fragte Grit. »Wer ist das überhaupt?« »Die Mutter des Kindes selbst. So hat es ihr verstorbener Mann in seinem Testament bestimmt.« »Ach du lieber Gott, auch das noch! Was mag der Mann sich dabei gedacht haben? Der hätte seine leichtfertige Frau doch kennen und daher wissen müssen, daß man ihr ein kleines Kind nicht so ganz und gar überlassen darf.« »Ja, was er sich dabei gedacht hat, das weiß man leider nicht, Frau von Alkes. Er soll überhaupt ein sonderbarer Mensch gewesen sein und dazu kein besonders guter. Sonst hätte er seinen kleinen Stiefbruder doch unmöglich so hassen können, daß er ihn nach des Vaters Tod sofort aus dem Hause gab. Zum Glück nahm der Vormund, den der alte Baron testamentarisch bestimmte, sich des vierjährigen Knaben an. Er war jedoch ein alter Militär und erzog den Jungen wie einen kleinen Rekruten. Später kam er dann in ein Internat, besuchte anschließend die landwirtschaftliche Hochschule und ging nach deren Absolvierung erst mal auf

Page 107: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Reisen. Er konnte sich das leisten, weil er seinen Vormund, der indes starb, beerbt hatte. Und es war ein reiches Erbe.« »Hatte denn der Vormund keine leiblichen Erben?« »Nein, Frau von Alkes, er war Junggeselle und der Vetter meiner Mutter. Daher weiß ich über die Verhältnisse so genau Bescheid. Doch nun muß ich gehen, damit ich zum Abendessen zu Hause bin. Es weiß dort niemand, daß ich fortging. Ich wollte ursprünglich nur einen Spaziergang machen, doch als ich das Dach des Rosenhauses sah, von dem ich schon soviel gehört, durch die Bäume schimmern sah, packte mich das Verlangen, es kennenzulernen. Und ich muß schon sagen, daß auch ich davon begeistert bin.« »Da sind wir aber froh, was, Tante Grit?« fragte Alix lachend. »Nun stehen Sie aber auch zu Ihrem Wort, gnädige Frau, und besuchen Sie uns recht oft.« »Und wie gern ich das tun werde. Immer dann, wenn ich mich nach einem Plauderstündchen sehne. Denn ich fühle mich manchmal doch recht vereinsamt.« »Sie haben keine Angehörigen?« fragte Grit leise. »Nein. Ich verlor meinen Mann schon früh, und Kinder habe ich nicht gehabt, auch keine Geschwister. Doch ich will nicht undankbar sein, es geht mir ja in Isen so gut. Einen rücksichtsvolleren Herrn als den Baron kann ich mir gar nicht denken. Nur daß er sehr verschlossen ist, aber das liegt nun mal in seiner Natur. Aber jetzt habe ich genug geschwatzt, was sonst eigentlich nicht meine Art ist. Das macht wohl hier der Rosenduft«, schloß sie lachend, und fröhlich fielen die andern ein. »Ich bringe Sie im Wagen nach Hause, gnädige Frau«, entschied Alix rasch. »Kommst du mit, Tante Grit? Auf dem breiten Sitz haben wir zu dritt bequem Platz.« »Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen«, wehrte der Gast verlegen ab, doch er wurde überstimmt. So fuhren sie denn ab und hatten in wenigen Minuten Isen erreicht. Gernot Isenhardt, der gerade die Freitreppe emporsteigen wollte,

Page 108: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

stutzte und verhielt den Schritt, als der elegante Wagen herbeiflitzte. »Guten Tag, Herr Baron!« grüßte Alix vergnügt. »Wir bringen eine Ausreißerin wohlbehalten zurück.« »Ja, Frau Dieboldt, wohin sind Sie denn geraten?« fragte er schmunzelnd. »Wollten Sie wirklich Reißaus nehmen, und man bringt Sie eskortiert zurück an die Stätte Ihrer Pflicht?« »Stimmt auffallend«, gab die Dame mutwillig zurück. »Deserteure duldet man nicht im Rosenhaus.« Da sie in der Mitte saß, mußte Alix erst aussteigen, bevor sie folgen konnte. »Also im Rosenhaus waren Sie, Herz und Hirn noch klar?« »Jetzt wieder«, kam es lachend zurück. »Aber mittendrin wird man wirklich von Rosenduft umnebelt, wie Herr Druschmann das so nett sagt.« Dann wandte sie sich Grit zu, die im Wagen Platz behalten hatte, und sagte herzlich: »Haben Sie vielen Dank für die lieben Stunden, Frau von Alkes – und auch Sie, Fräulein Grodes.« »Nun, die Damen werden uns doch wohl die Freude machen und bei uns einkehren«, schaltete Gernot sich ein. »Bitte kein so abweisendes Gesicht machen, gnädige Frau.« »Das tue ich ja gar nicht«, verwahrte Grit sich mit lachender Entrüstung. »Ich überlege nur, ob wir Ihnen so formlos ins Haus fallen dürfen, Herr Baron.« »Das habe ich im Rosenhaus ja auch getan.« »Und ich machte damit den Anfang«, sagte Alix vergnügt. »Denn mein erster Besuch hier entsprach nun wirklich nicht der korrekten Form.« Also mußte Grit sich geschlagen geben. Auch hier nahm man auf der Terrasse Platz, die natürlich weit geräumiger war als die im Rosenhaus. Auch hier gab es Rosen in verschwenderischer Fülle. Üppig blühten die Akazien, die alten Linden, Jasmin, Rotdorn und Schneeball. Es war eine Blütenpracht ringsum, bei der man sagen konnte: Trink, Auge, trink, was die Wimper hält, von dem goldenen Überfluß der Welt.

Page 109: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ich glaube, Alix, Frau Dieboldt ist eine Heuchlerin«, sagte Grit, sich an den verdutzten Gesichtern der andern weidend. »Denn wer so viel wunderbare Schönheit täglich vor Augen hat, kann sich wohl kaum für die weit kärglichere im Rosenhaus ehrlich begeistern.« »Na, nun schlägt’s aber dreizehn«, sagte die Angegriffene immer noch verblüfft, mußte dann jedoch mit den andern lachen. »Eine schöne Eigenschaft, die Sie mir da unterschieben, Frau von Alkes. Ich soll Sie wohl wegen Beleidigung verklagen. Heuchlerin – ausgerechnet ich! Haben Sie das gehört, Herr Baron? Verteidigen Sie mich bitte.« »Tja«, entgegnete er bedächtig, während es in seinen Augen humorvoll aufblitzte. »Ich weiß ja nicht, ob Sie nicht doch im Rosenhaus geheuchelt haben.« »Oh, ich arme verkannte Frau! So geh’ ich denn und mische Gift ins Abendessen – aus Rache.« Vergnügt in das Gelächter der andern einstimmend, ging sie davon. Die Zurückgebliebenen unterhielten sich angeregt, bis der Gong ertönte. Da sagte der Hausherr lächelnd: »Bitte, mein Damen, tun Sie mir die Ehre an, und verzehren Sie mit mir die erste Prise Salz. Daß es bald ein Scheffel werden möge, hoffe und wünsche ich von Herzen.« »Ei, Herr Baron, seien Sie nicht zu leichtsinnig«, warnte Grit. »Denken Sie lieber daran: Die Geister, die ich rief…« »Die Anhänglichkeit solcher Geister ließe ich mir schon gern gefallen«, parierte er galant, bot den Damen je einen Arm und betrat so mit ihnen das Speisezimmer, das einem kleinen Saal glich. Man nahm in den hochlehnigen Gobelinstühlen Platz, und der Diener servierte das ländliche Mahl. Als er sich nach dem Dessert zurückzog, sagte Frau Dieboldt: »Wie ich hörte, Herr Baron, ist die Frau Baronin mit einer Dame und einem Herrn hiergewesen, um Gela abzuholen, stimmt das?«

Page 110: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ja, es stimmt«, bestätigte er gelassen. »Warum erregt Sie das denn so?« »Weil mir die Angelegenheit peinlich ist. Ich gehe doch kaum aus dem Haus – und ausgerechnet dann erscheinen Gäste.« »Ich höre immer Gäste, Frau Dieboldt. Für mich sind das solche Menschen, die ich in mein Haus lade – und diese kamen ungerufen. Somit hatte ich keine Veranlassung, da Gastfreundschaft zu üben. Also haben Sie bei Ihren Repräsentationspflichten absolut nichts versäumt.« »So sind sie denn ohne jede Erfrischung…?« »Ja, sie sind. Und zwar bald. Schade, daß Sie nicht das Kaspertheater um das Kind mit ansehen konnten.« »Und wie benahm sich Gela dabei?« »Wie ein Wildkätzchen. Ich glaube, die Herrschaften werden arge Kratzer von spitzen Nägelchen zu beklagen haben. Dafür gab es recht derbe Klapse von Mutterhand. Mir wurde bedeutet, daß ich das früher so artige Kind unverantwortlich verzogen hätte, und dann wurde das schreiende, zappelnde Menschlein gewissermaßen entführt. Es tat mir leid, aber ich konnte ihm keine Hilfe bringen, da mir das Recht dazu nicht zusteht.« »Armes Dinglein«, sagte die Hausdame mitleidig. »Es hat sich hier so wohlgefühlt. Was waren die Fremden denn für Menschen?« »Die vortrefflich zu der lieben Modeste passen.« »Schon faul«, entfuhr es Alix. Und Gernot, der gleich den andern über diese trockene Bemerkung lachte, hob ihr sein Glas entgegen. »Mir ganz aus der Seele gesprochen, gnädiges Fräulein.« Da die Mahlzeit beendet war, ging man wieder zur Terrasse zurück, wo es noch so warm war, daß die Damen in ihren leichten Kleidern sitzen konnten. Man trank den Tischwein, außer Alix, die sich ja noch ans Steuer setzen mußte, weiter und unterhielt sich froh und munter. Selbst der Hausherr ließ ab und zu sein warmes, sonores Lachen

Page 111: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

hören. Immer wieder ging Alix’ Blick verstohlen zu ihm hin, der ihr schräg gegenüber saß. Ist er nun ein schöner Mann? dachte sie grübelnd. Nein, das ist er nicht. Aber seine ganze Erscheinung hat etwas Faszinierendes, Stolzes und Unnahbares. Blonde Männer habe ich früher eigentlich nie gemocht – aber bei diesem ist das alles so anders – so – so – ach, ich weiß nicht. Ärgerlich über sich selbst ließ sie von ihren Betrachtungen ab und beteiligte sich lebhaft an dem allgemein gehaltenen Gespräch. Als man aufbrach, stand die Sonne gerade am Horizont. Goldigrot leuchtete der Ball. Der Himmel um ihn her schillerte in prächtigem Farbenspiel. Alix fuhr ganz langsam, um den wunderbaren Anblick so recht genießen zu können. »Ist das schön«, sagte Grit andächtig. »Ich glaube, ich werde wohl mein Leben im Rosenhaus beschließen.« »Oh, Grit, das klingt ja direkt melancholisch«, lachte die Nichte hellauf. »Wenn ich bedenke, welch eine begeisterte Stadtdame du noch vor einem Vierteljahr warst, dann muß ich schon sagen, daß dein Sinn sich sehr rasch geändert hat.« »Ich werde eben alt und behäbig.« »Auch das noch!« wollte der Schelm sich halbtot lachen. »Du hast es gerade nötig, mit deinem Alter zu kokettieren. Ja, wenn du sagen möchtest, daß du heiraten willst, das würde ich dir sogar glauben.« »Halt ein!« hob die Tante in komischem Entsetzen die Hände. »Mein liebes Kind, ich habe von einer Heirat genug. Ich gehöre leider nicht zu den Glücklichen, die in der Ehe den Himmel auf Erden hatten.« »Gibt es so was überhaupt, Tante Grit?« »Ich denke schon, wenn auch nicht oft. Nimm als Beispiel die Ehe deiner Eltern, die war doch nun wirklich ideal. Deshalb kann ich deinen Vater nicht verstehen. Na sprechen wir nicht davon«, begütigte sie, als sie sah, wie

Page 112: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

das Gesicht der Nichte sich verfinsterte. »Berauschen wir uns lieber am Anblick des Rosenhauses, das so traut zu uns herübergrüßt. Mädchen, was können wir glücklich sein, hier eine Zuflucht gefunden zu haben.« »Hast recht, Tante Grit«, hellte sich die düstere Miene wieder auf. »Schau mal, am Tor stehen Mariechen, ihr guter August und Else: Sie winken uns mit strahlenden Gesichtern zu. Ist das ein trautes Nachhausekommen!« Gleich darauf fuhr der Wagen auf den Hof, und man empfing die Insassen mit rührender Freude. Wo die Damen denn so lange waren, ganz gräßliche Sorge hätte man sich gemacht. Dazwischen bellte der Hund – es war wirklich ein trautes Nachhausekommen. Sechs Wochen weilte Frau Härder nun schon im Hause von Egon Grodes, der mit seiner Hausame restlos zufrieden war. Ihre feine, zurückhaltende Art nahm ihn immer mehr für sie ein. Er freute sich direkt auf den Abend, wo er noch einige Stunden mit ihr plaudern konnte. Er staunte immer wieder, wie klug die Frau war, wie feinsinnig und warmherzig. Er selbst sprach nicht viel, um nur dieser klangvollen Stimme lauschen zu können. Daher gefiel es ihm gar nicht, daß sie jeden Sonntagnachmittag aus dem Haus ging. Dann saß er verdrießlich da und wußte nichts mit sich anzufangen. Zum Kuckuck, warum war sie so erpicht darauf, diese Stunden für sich zu beanspruchen. Gewiß, sie kamen ihr zu – aber trotzdem. Sollte sie etwa…? Und schon war sie da, die Eifersucht, der er einfach nicht Herr werden konnte. Sie quälte und peinigte ihn, ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Und als Elga an einem Sonntagnachmittag bei ihm erschien, um sich abzumelden, da konnte er sich nicht mehr beherrschen und fuhr sie gereizt an: »Können Sie denn nicht mal einen Sonntag hierbleiben, Frau Härder? Wohin zieht es Sie denn eigentlich! Steckt ein Mann dahinter?« »Und wenn, dann wäre es doch wohl meine eigene

Page 113: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Angelegenheit«, gab sie gelassen zurück. »Ein Privatleben muß ja schließlich jedem Angestellten zugebilligt werden, nicht wahr?« »Das schon«, brummte er verbissen. »Aber gerade bei Ihnen – befremdet mich das. Wollen Sie mir nicht wenigstens sagen, wer der Mann ist?« Da umzuckte ein amüsiertes Lächeln ihren Mund. Es klang fast mutwillig, als sie erklärte: »Ein Mann ist es allerdings, der mich mit tausend Banden zu sich zieht. Aber nur ein kleiner von zehn Jahren – mein Sohn.« »Was, Sie haben einen Sohn?!« fuhr Grodes jetzt auf. »Ja um alles in der Welt, warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ist er etwa…« Jetzt konnte sie das Lachen nicht mehr zurückhalten, mit dem sie seit Minuten kämpfte. Warm und weich brach es aus ihr hervor. »Beruhigen Sie sich, Herr Grodes, es geht alles mit rechten Dingen zu. Der Junge entstammt einer legitimen Ehe und heißt Winfried Härder.« »Entschuldigen Sie bitte«, murmelte er beschämt, während er ihrem lächelnden Blick auswich. »Aber wie konnte ich denn ahnen – hm, ja – warum haben Sie denn nie von Ihrem Sohn gesprochen?« »Weil ich Sie mit meinen Angelegenheiten nicht belästigen wollte. Man muß vorsichtig sein, wenn man in Lohn und Brot steht.« »Welch ein Unsinn!« entfuhr es ihm unwillig. »Sie müssen doch schon längst gemerkt haben, daß ich weit mehr als nur eine Angestellte in Ihnen sehe. Wo befindet sich der Junge?« »Im Internat.« »Fühlt er sich da wohl?« »Nein. Aber er ist verständig genug, um einzusehen, daß er nicht bei seiner Mutter sein kann, die sich ja selbst in einem fremden Haus befindet, wo sie seinen und ihren Lebensunterhalt verdienen muß.«

Page 114: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Holen Sie ihn her«, sagte der Mann jetzt barsch. »Herr Grodes, ich möchte dem Jungen das Herz nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Er verbeißt jedesmal tapfer die Tränen, wenn ich ihn nach meinen Besuchen, auf die er sich schon die ganze Woche über freut, wieder verlasse. Und wenn er nun herkommt – und dann wieder fort muß – bitte, Herr Grodes, ersparen Sie es ihm – und auch mir.« »Fällt mir gar nicht ein. Ich möchte Ihren Sohn kennenlernen, und dazu werden wir zum Internat fahren.« »Haben Sie doch Erbarmen!« »Eben.« Wenig später fuhren sie dann dem Internat zu, das zwei Kilometer von der Stadt entfernt war. Ein stattliches Gebäude von einem gepflegten Park umgeben, über dem jetzt die Mittagsruhe lag. An der Portaltür wurden sie von einem Portier empfangen, der Frau Härder zu kennen schien; denn er ließ sie ohne weiteres passieren. Und dann nahm sie ein mäßig großer Raum auf, das Besuchszimmer, in dem die Eltern ihre Söhne sprechen konnten. Frau Härder, die blaß war und der die Tränen in der Kehle saßen, drückte den Klingelknopf neben der Tür, und gleich darauf trat ein junges Mädchen ein. »Guten Tag, gnädige Frau«, grüßte es höflich. »Ich werde Ihrem Sohn Bescheid sagen.« »Ich möchte zuerst mit der Frau Oberin sprechen.« »Bitte.« Die Tür schloß sich – und nun kamen doch die Tränen, die Elga bis jetzt tapfer verbissen hatte. Hastig strich sie mit dem Taschentuch über die Augen, und dann stand die Oberin im Zimmer. Eine stattliche Dame, sympathisch und irgendwie vertrauenerweckend. Grodes wurde ihr vorgestellt – und da glitt ein Lächeln um den schmalen Mund. »Vom Hören und Sehen sind Sie mir bereits bekannt, Herr Grodes. Ich freue mich jedoch, nun Ihre persönliche Bekanntschaft zu

Page 115: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

machen.« »Verbindlichsten Dank, Frau Oberin. Hätte nie gedacht, daß ich eine so bekannte Persönlichkeit im Städtchen bin.« »Was macht Winfried?« fiel Elga hastig ein, der das alles ersichtlich peinlich war. »Haben Sie über ihn Klage zu führen, Frau Oberin?« »Keineswegs, Frau Härder. Er ist ein folgsamer Junge, dazu ein guter Schüler – aber leider zu ernst und verständig für seine zehn Jahre. Das Einleben hier ist selten einem Knaben so schwergefallen wie ihm.« »Hat er sich schon damit abgefunden, daß er die Ferien hier verbringen muß?« »Äußerlich ja. Doch innerlich blutet ihm wohl das Herzchen. Er hängt eben zu sehr an seiner Mutter.« Sich freundlich verabschiedend, ging dann die Dame – und fünf Minuten später lagen „Mutter und Sohn sich in den Armen. »Hm«, räusperte sich Egon, und da schob Elga ihm den Jungen zu. »Begrüße Herrn Grodes, Winfried. Er war so freundlich, mich in seinem Auto hierher zu fahren.« Der Mann wurde fast verlegen unter dem Blick des Knaben, der rank und schlank vor ihm stand. Es waren die dunklen Augen der Mutter – und auch sonst war der Sohn ihr sehr ähnlich. Grodes zog das Kind nahe zu sich heran. »Also du bist Winfried Härder«, sagte er langsam. »Du liebst deine Mutti wohl sehr?« »O ja, Herr Grodes.« »Bist du gern im Internat?« »Nein.« Der dunkle Lockenschopf senkte sich beschämt. »Aber ich muß hierbleiben, sagt Mutti. Und was sie sagt, ist gut und richtig.« »Aber lieber möchtest du bei ihr sein, nicht wahr?« »Herr Grodes, bitte nicht!« flehte Elga, doch er ließ sich nicht beirren. »Wann bekommst du Ferien, Winfried?« »Ich habe sie schon seit gestern, Herr Grodes.«

Page 116: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Und warum bist du dann noch hier?« »Weil – weil ich kein Zuhause habe. Aber ich bin nicht der einzige Junge, der während der Ferien hierbleiben muß«, setzte er hastig hinzu, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Und das war dem Mann denn doch zuviel. Er sprang auf, eilte aus dem Zimmer, und als er wiederkam, sagte er kurz: »Bitte, Frau Härder, packen Sie die Sachen Ihres Sohnes zusammen. Er verlebt die Ferien in meinem Haus.« »Herr Grodes, ich bitte Sie.« »Nichts da! Packen Sie den Koffer. Alles andere habe ich mit der Oberin bereits erledigt.« Eingeschüchtert von der herrischen Art des Mannes, entfernten Mutter und Sohn sich. Als sie nach geraumer Zeit zurückkamen, griff Grodes nach dem Koffer und trug ihn zum Auto. Als man darin Platz genommen hatte, schmiegte der Knabe sich an die Frau und stammelte verstört: »Mutti – ich habe – doch so – große Angst!« »Wovor denn, du dummer kleiner Kerl«, klang nun die Stimme des Mannes gütig auf. »Etwa vor mir?« »Ja, Herr Grodes. Sie sind – so – so – streng.« »Das wird sich geben, mein Jungchen. Weißt du auch, daß ich deiner Mutti böse bin?« »Warum denn: Mutti ist doch so gut.« »Nicht zu mir. Sonst hätte sie deine Existenz nicht so lange unterschlagen.« Fünf Minuten später stand der Wagen vor dem Portal der Villa. Grodes stieg aus, hob den Knaben vom Sitz und strich ihm über den dunklen Lockenkopf. »Herzlich willkommen, mein Kerlchen. Ich hoffe, daß es dir in meinem Haus besser gefallen wird als im Internat.« »Oh, es gefällt mir überall, wo meine Mutti ist.« Damit schob sich die Knabenhand zutraulich in die des Mannes, und so betraten sie das Haus. Mit widerstreitendem Empfinden folgte Elga. Ihr war sehr bang

Page 117: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

ums Herz. Egon Grodes saß im Wohngemach und wartete auf die Hausdame, die Winfried in dem kleinen Zimmer, das neben dem ihren lag, zu Bett brachte. Daß er neben der Mutter wohnen durfte, beglückte den Jungen, wie ihn überhaupt alles beglückte, was so plötzlich und ungeahnt in sein Leben getreten war. »Darf ich wirklich die ganzen Ferien über hierbleiben, Herr Grodes?« fragte er ängstlich, bevor er zu Bett ging. Und als der Mann das bestätigte, wurde er stürmisch umhalst und geküßt, was die Mutter bei „ihrem sonst so zurückhaltenden Sohn nicht wenig wunderte – und was ausschlaggebend war für ihr kommendes Glück. Das den Mann einen Entschluß fassen ließ, der ohne die beglückende Zutraulichkeit des Kindes noch lange nicht gefaßt worden wäre. »Der Junge wird vor Glückseligkeit wohl lange nicht einschlafen können«, sagte Elga leise, als sie Egon gegenüber saß. »Sie glauben gar nicht, wie dankbar er Ihnen ist, Herr Grodes. Er hat Sie bereits tief in sein zärtliches Herzchen geschlossen.« »Was wohl auf Gegenseitigkeit beruhen dürfte.« »Wirklich, Herr Grodes?« »Wirklich, Sie Zweiflerin. Doch wie ist es – können Sie etwa noch mit solch weiteren Prachtexemplaren aufwarten? Denn bei der Unterschlagung des Jungen muß man ja auf alles gefaßt sein«, schloß er lachend, und ihr feines Antlitz überzog sich mit heißer Glut »Nein, Winfried ist mein Einziger. Er wurde uns erst nach zehnjähriger Ehe geboren – und wurde wohl gerade deshalb unser Abgott.« »Bei dem prächtigen Kerlchen ja auch gut zu verstehen. Was meinen Sie, Frau Härder, ob wir ihn hierbehalten?« »Um Gott, Herr Grodes, das geht doch nicht!« wehrte sie erschrocken. »Sie können sich doch unmöglich mit einem fremden Kind belasten.« »Belasten dürfte wohl nicht der richtige Ausdruck sein. Und

Page 118: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

fremd auch nicht, da ich den Jungen gleich beim ersten Sehen spontan in mein Herz schloß. Und wissen Sie auch warum?« »Nein.« »Weil er Ihnen so ähnlich ist. Und da ich ihn nicht mehr hergebe, wird sich wohl auch die Mutter dazu entschließen müssen, bei ihm zu bleiben – natürlich als meine Frau.« Zuerst starrte sie ihn verblüfft an, doch dann lachte sie hellauf. »Soll das etwa ein – Heiratsantrag sein?« »Na, was denn sonst? Allerdings hätte ich zuerst fragen müssen, ob Sie mich überhaupt mögen.« »Ich glaube schon«, lachte sie jetzt unter Tränen – und was dann geschah, war unausbleiblich. Zwei Herzen hatten sich gefunden. Und wenn auch nicht gerade im stürmischen Jugendschwang, so doch voll inniger, beseligender Liebe. »So, jetzt ist mir endlich wohl«, lachte der Mann, als er die Liebste aus den Armen ließ und sich zu ihr auf die Sessellehne setzte. »Die Eifersucht hat mich nicht wenig geplagt, da ich annehmen mußte, daß du in deinen Freistunden zum Rendezvous gingst.« »Wie töricht, Egon! Aus den Jahren dürfte ich wohl längst heraus sein, um zum Stelldichein zu eilen – möglichst Treffpunkt an der Normaluhr.« »Na ja, Verliebte sind eben töricht«, gab er freimütig zu. »Aber verliebt bin ich eigentlich gar nicht in dich – das war ich alter Trottel einmal.« »Wie schauerlich«, lachte sie amüsiert. »Aber laß nur, deine vorübergehende Verirrung ist mir nicht unbekannt.« »Gott sei Dank, dann brauche ich dir diese Eselei wenigstens nicht zu berichten«, atmete er hörbar auf. »Woher kennst du die für mich so beschämende Episode überhaupt?« »Ich erfuhr sie ganz durch Zufall«, wich sie aus, um die Gärtnersleute nicht angeben zu müssen. Von ihnen wußte sie auch über Grit und Alix Bescheid. Sie wartete jetzt

Page 119: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

darauf, daß Egon über sie sprechen würde, sie jedenfalls wollte davon nicht anfangen. »Ja, es war die größte Blamage meines Lebens«, gestand er mit bitterem Auflachen. »Ich muß Gott dankbar sein, daß er mir noch zur rechten Zeit die verblendeten Augen öffnete und mich nicht in mein Unglück taumeln ließ – und daß er das Maß seiner Güte voll machte, indem er dich mir zuführte, du liebste Frau. Verdient habe ich das wahrlich nicht.« »Aber Egon, das darfst du doch nicht sagen.« Sie strich zärtlich über seinen geneigten Kopf. »Ich bin so glücklich, dich gefunden zu haben – und meinem Jungen einen so gütigen Vater geben zu können. Ach, Egon, ich kann mein Glück immer noch nicht fassen!« »Ich eigentlich auch nicht, aber wir werden es schon noch begreifen. Jedenfalls wollen wir ein Leben führen, um das die Götter uns beneiden sollen! Doch zuerst müssen wir uns leider auf kurze Zeit trennen, bis wir uns in aller Stille trauen lassen können. Als meine Verlobte kannst du hier nicht bleiben.« »Aber Egon, wir als reife Menschen.« »Wenn auch. Ich möchte nicht, daß du in geifernde Klatschmäuler gerätst, dafür bist du mir zu lieb und wert. Also wirst du mit dem Jungen in ein Seebad fahren, während ich das Aufgebot bestelle und alles Weitere zur Heirat vorbereite. Wenn es soweit ist, hole ich dich ab. Einverstanden?« »Im großen und ganzen ja«, kam die Antwort zögernd. »Ich fürchte nur, daß dann hier alles drunter und drüber gehen wird. Die Dienerschaft ist nämlich nichts wert – und steht außerdem in ständigem Streit, seitdem der Chauffeur beiden Mädchen die Ehe versprochen hat.« »Und das sagst du mir jetzt erst, Elga?« »Früher wagte ich es nicht. Ich war doch schließlich als Hausdame dazu da, dem Hausherrn jede Unannehmlichkeit fernzuhalten.«

Page 120: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Dein Pflichtgefühl in Ehren, mein Kind, aber in diesem Fall übertrieben. Wenn ich nur eine Ahnung gehabt, wäre ich schon längst mit einem Donnerwetter dazwischengefahren. Aber laß man, das hole ich nach. Wenn du als Herrin hier einziehst, findest du dein Haus sauber.« »Ach, Egon, wie schön ist es doch, wieder einen Beschützer und Berater zu haben«, legte sie mit glücklichem Lächeln den Kopf an seine Schulter. Er küßte zart die Augen, die so freudestrahlend zu ihm aufsahen und mußte sich erst kräftig räuspern, bevor seine Stimme klar klang: »Und ich bin glücklich, daß ich es sein darf, du liebste Frau. Doch nun zu Winfried. Ob wir ihm schon morgen sagen, daß ich sein Vater werden will?« »Nein, Egon«, entgegnete sie leise. »Sein übervolles Herzchen muß erst mit dem Glück fertig werden, das ihm der heutige Tag brachte. Man darf ihm nicht zu viel zumuten, sonst schnappt er am Ende noch über.« »Hast recht«, lachte er. »Also halten wir mit dieser Eröffnung zurück, bis er als Sohn hier einziehen kann.« Am nächsten Tag brachte Grodes seine beiden lieben Menschen nach einem nahegelegenen Seebad, wo sie gut unterkamen. Winfried war nicht so froh, wie man erwartet hatte. Er wäre viel lieber mit der Mutter bei seinem guten Freund geblieben, wie er Egon ganz ernsthaft nannte. Doch als dieser ihm versprach, ihn in spätestens drei Wochen wieder abzuholen, gab er sich zufrieden. Schon nach wenigen Tagen sollte Grodes Gelegenheit haben, die Dienerschaft fristlos zu entlassen. Denn er kam gerade hinzu, als die beiden Mädchen sich buchstäblich in den Haaren lagen und der Chauffeur die beiden Raufenden unflätig beschimpfte. Mit einem Donnerwetter fuhr der Hausherr dazwischen, zahlte die rüde Gesellschaft aus – und in zwei Stunden war sein Haus sauber. Darüber war nicht nur er froh, sondern auch die Gärtnersleute, die er aufsuchte, um die Frau zu bitten, sich

Page 121: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

seines verwaisten Hausstandes anzunehmen, bis er neue Dienerschaft eingestellt hatte. Bereitwillig sagte sie zu, und der Gärtner meinte bedächtig: »Gott sei Dank, daß das Gesindel endlich fort ist. Mir hat Frau Härder immer so leid getan, die sich mit so einem Pack herumärgern mußte, dem die feine Dame bestimmt nicht gewachsen war. Kein Wunder, daß sie ihren schweren Posten aufgab.« »Sie kommt wieder«, erwiderte Grodes lächelnd. »Hat nur ihren Urlaub genommen, den sie mit ihrem Sohn an der See verbringt.« »Na, das freut mich aber. Und wie denkt der Herr nun über die neue Dienerschaft?« »Die muß ich zuerst einmal suchen. Hoffentlich erlebe ich damit nicht wieder einen Reinfall.« »So ist es, Herr Grodes. Aber wie wäre es, wenn Sie die vorherige Dienerschaft wieder einstellen würden? Die war doch gut geschult und intelligent über den Durchschnitt. Mit solchen Menschen läßt es sich doch besser umgehen, als mit beschränkten.« »Da haben Sie recht. Aber erstens weiß ich nicht, ob die Leute Lust hätten, zurückzukommen, und dann befinden sie sich wohl alle in Lohn und Brot.« »Eben nicht, Herr Grodes. Kürzlich war Alma, die inzwischen den Chauffeur geheiratet hat, bei uns und klagte Stein und Bein, daß sie beide arbeitslos wären. Denn ein Ehepaar stellt man nicht gern ein. Und auch Ella hat ihren Dienst aufgesagt und befindet sich gleichfalls auf Stellungssuche. Die würden gern zurückkommen, wo es ihnen so gut ging.« »Großartig!« klopfte Grodes dem Mann auf die Schulter. »Für diese Nachricht könnte ich Sie in Gold fassen lassen. Wissen Sie, wo die drei wohnen?« »Ja.« »Dann bestellen Sie sie zu mir.« So kam es denn, daß Villa Grodes wieder zu einer geschulten, bewährten Dienerschaft kam. Sie brachten auch

Page 122: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

gleich einen kleinen jungen Diener mit, der dem Hausherrn auf den ersten Blick gefiel und den er sofort engagierte. Daß die Köchin und der Chauffeur ein Ehepaar waren, konnte ihm nur recht sein. Allerdings machte er die Leute darauf aufmerksam, daß er in zwei Wochen zu heiraten gedächte. »Aber ich glaube, Sie werden diesmal mit meiner Wahl zufrieden sein«, setzte er lachend hinzu, und verlegen fiel man in das Lachen ein. Und dann war der Tag da, wo Egon Grodes dem Seebad zufuhr, um Elga mit ihrem Sohn heimzuholen. Am nächsten Vormittag war die Trauung angesetzt, die auf Vereinbarung nur standesamtlich stattfinden sollte. Mit rührender Freude wurde er von Mutter und Sohn empfangen, und letzterer fragte sofort nach der Begrüßung: »Jetzt nehmen Sie uns aber mit, Herr Grodes, nicht wahr?« »Ehrensache, mein Junge. Morgen früh fahren wir vergnügt der Heimat zu.« »Oh, dann bleiben mir noch ganze zwei Wochen, bis ich wieder ins Internat zurück muß.« Egon warf Elga einen fragenden Blick zu, und sie schüttelte lächelnd den Kopf. Da wußte er, daß er noch schweigen sollte. Als Winfried zu Bett gegangen war, machten die Verlobten noch einen Abendspaziergang durch den Wald. Sie gingen Arm in Arm, beglückt, sich wiederzuhaben. Und doch lag ein Schatten über dem Männerantlitz. »Egon, willst du mir nicht sagen, was dich quält?« begann die Frau behutsam – und da machte er seinem Herzen Luft. Sprach von Grit, von Alix, die ihn so schnöde im Stich gelassen hatten. Ruhig hörte Elga ihm zu und sagte dann leise: »Und wenn du mir darob auch zürnen solltest, so muß ich dir dennoch sagen, daß ich in dem Fall genauso gehandelt hätte wie deine Tochter und deine Schwester.« »Elga, das hättest du wirklich getan?«

Page 123: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ja, Egon«, entgegnete sie fest. »Denn mit so einer Stiefmutter und Schwägerin zusammenzuleben, wäre für die beiden ganz einfach die Hölle gewesen. Um ihr zu entgehen, räumten sie stillschweigend das Feld. Willst du sie nicht von unserer morgigen Eheschließung benachrichtigen?« »Nein!« stieß er verbissen hervor. »Ich würde es nicht ertragen, dich von ihnen scheel ansehen – und mich wegen meiner zweiten Heirat schmähen zu lassen.« »Aber, aber.« Sie legte ihre Hand beschwichtigend auf die seine, die merklich zitterte. »So schätze ich deine Lieben nun wirklich nicht ein.« »Du kennst sie ja gar nicht. Und nun quäle mich nicht länger.« Da schwieg sie, aber das Herz war ihr schwer. Am nächsten Morgen fuhren sie zur Stadt und ließen sich in aller Stille standesamtlich trauen. Vorher hatte Grodes den kleinen Winfried zur Villa gebracht und ihn der Dienerschaft anvertraut. Zwar machte man große Augen, als der fremde Knabe so plötzlich auftauchte, aber man nahm sich sofort liebreich seiner an. Was sie noch erstaunte, war, daß Frau Alma ein Festessen richten sollte. Und dann stand plötzlich der Herr in der Küche und stellte ihnen glückstrahlend seine junge Frau vor. Doch schon bevor sie sich noch von dieser Überraschung erholt hatten, kam schon die zweite. Denn der Hausherr öffnete die Arme weit und sagte lachend zu Winfried, der wie erstarrt stand. »Nun komm schon zu deinem Paps, mein Bürschlein. Oder möchtest du mich nicht als solchen haben?« »Papi – du bist wirklich mein Papi – und Mutti deine Frau?« fragte das Kind heiser vor Erregung. »Ganz wirklich ist das wahr?« »Junge, so komm doch endlich zu dir«, zog die Mutter ihr Kind an sich, das am ganzen Körper zitterte. »Wir beide haben hier eine schöne Heimat gefunden. Du brauchst nicht mehr ins Internat zurück.« Da warf sich der Junge mit einem Jubelruf dem

Page 124: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

erschütterten Mann in die Arme. Von diesen Ereignissen hatten Grit und Alix keine Ahnung. Sie fühlten sich immer noch glücklich im Rosenhaus. Langeweile? O nein, die kannten sie nicht. Ihre Tage waren so ausgefüllt, daß sie ruhig hätten länger sein können, wie sie behaupteten. Morgens unternahm Alix zuerst ihren gewohnten Ritt, anschließend mit Grit das Morgenbad im See, und dann wurde mal erst ausgiebig gefrühstückt. Hinterher suchte man sich seine Beschäftigung, die es immer für sie gab, zumal Else geheiratet hatte und Muttchen Brasch ohne Hilfe war. Eine neue einzustellen, dazu war sie nicht zu bewegen. »Die Mädchen taugen alle nichts«, entschied sie kurz und bündig. »Und ehe ich mich mit so was abplage, mach ich die Arbeit lieber allein.« Man ließ ihr den Willen und griff zu, obwohl das ehrgeizige Mariechen heftig dagegen protestierte. Das wäre doch nichts für feine Damen. Die sollten lieber zur Stadt fahren, Spazierengehen, lesen oder Klavier spielen. Als sie jedoch kein Gehör fand, gab sie nach und war insgeheim froh, daß ihr zeitraubende Arbeiten abgenommen wurden. Vater Brasch konnte sich auch nicht gerade über Arbeitsmangel beklagen. Er bestellte den Acker, versorgte die Tiere, hielt Gemüse- und Ziergarten in Ordnung, fand immer irgend etwas zu basteln. Später würde dann die Kartoffelernte kommen, anschließend die der Rüben, kurz und gut. Arbeit gab es immer, obwohl das Gehöft nur klein war. Zweimal in der Woche fuhren Grit und Alix zur Stadt, um Besorgungen zu machen. Sie verweilten jedoch nicht länger als nötig. Den Vergnügungen, welche die Stadt bot, konnte man auch im Herbst und Winter nachgehen, jetzt war es im Rosenhaus viel zu schön, um ihm länger als nötig fernzubleiben. Mittlerweile war es August geworden, und die Roggenernte ging ihrem Ende entgegen. Die Landwirte hatten strammen Dienst, also auch die von Isen. Herr und Verwalter gönnten

Page 125: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

sich keine Ruhe, befanden sich immer bei den Arbeitern auf dem Feld. Gernot Isenhardt hielt es eben anders als sein verstorbener Stiefbruder, der während der Erntezeit im kühlen Zimmer saß, süffigen Wein trank und sich des süßen Nichtstun erfreute. Warum auch nicht? Er hatte ja keinen Erben, der das wunderbare Isen nach seinem Tode übernehmen konnte. Und der verhaßte Stiefbruder bekam noch viel zu viel. Einen großen schuldenfreien Besitz und auch noch Geld, das darauf ruhte – und an das der geldgierige Bucklige laut Bestimmung nicht heran konnte. Nun, wenn man es genau nahm, hatte Gernot Isenhardt es gar nicht nötig, in seinem Bereich so auf Posten zu sein; denn er besaß ein beträchtliches Privatvermögen. Doch die Arbeit war ihm nun einmal Lebensbedürfnis, er konnte ohne sie nicht sein. Auch hatte der jetzige Besitzer von Isen es wahrlich nicht nötig, um Geld zu freien. Er hätte sich ruhig ein »Kirchmäuslein« leisten können, wenn sein Herz für es sprach. Allein, es hatte bei diesem Skeptiker noch nicht gesprochen. Gernots Herz aber schlug rascher, wenn die bezaubernde Alix Grodes auftauchte. Schmolz nicht unter den strahlenden Augen, dem herzfrohen Lachen, der ganzen bestrickenden Art dieses Sonnenkindes die Eiskruste, die des Mannes Herz umgab, langsam dahin? Er grübelte nicht lange darüber nach, er ließ sich treiben. Und Alix? Nun, der steckte Amors Pfeil schon längst im Herzen. Doch vorläufig tat es noch nicht weh. Es beglückte vielmehr und gab zu süßen Träumen Anlaß. Die beiden Menschen trafen sich nicht oft, weil der Herr von Isen jetzt sozusagen stramm in den Sielen lag und nur Sinn für die Ernte hatte. Da konnte nur der Zufall eine Begegnung herbeiführen. Also auch heute. Es würde einen heißen Tag geben; denn schon jetzt am Morgen wehte kein kühles Lüftchen, Alix, die mit verhängten Zügeln dahinritt, brach der Schweiß aus allen Poren. Und dabei war sie doch

Page 126: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

so leicht gekleidet. Eine ärmellose Bluse, weiße, kurze Hosen und Sandaletten an den bloßen Füßen. Sie durfte es sich erlauben, ohne Sporen zu reiten. Denn Goldlack brauchte sie nie, gehorchte dem leisesten Druck der zarten, aber energischen Mädchenhand. Jetzt schlug Alix einen Weg ein, der am Waldrand entlangführte. Vor sich sah sie wogendes Korn, grüne Weiden, die von der stattlichen Viehherde augenblicklich nicht gegrast wurden. Es war ihnen wohl zu heiß, den wohlgenährten Rindern, so daß sie Schutz unter den Bäumen suchten, die das Bächlein umsäumten. Alix saß ab, gab dem Pferd das Maul frei, das laut wiehernd abtrabte, um sich an dem saftigen Gras gütlich zu tun. Sie selbst warf sich auf eine grünende Fläche, verschränkte die Arme hinterm Kopf und sah träumend zum klarblauen Himmel hinauf. Die Vöglein sangen im Wald, als wollten sie ihre kleinen Kehlen bersten vor lauter Daseinsfreude. Auf einer fernen Weide wieherten Pferde, von der nahen kam das gemütliche Brummen der Kühe, das Bächlein plätscherte geschwätzig dahin. Unwillkürlich fiel ihr ein Gedicht ein, das sie nun vor sich hin sprach, andächtig, wie ein Gebet: »Die Ähren nicken, blau träumt der Traum, die Winde halten den Atem an, trag blinzelt die ruhende Herde. Ein Chor von Grillen im Grase geigt, und lächelnd, wie eine Mutter, neigt der Himmel sich nieder zur Erde.« Ein leises Applaudieren ließ sie erschrocken zusammenfahren. Die Augen öffneten sich, deren Blick dann den Mann umfaßte, der braungebrannt, strotzend vor Gesundheit dastand und lächelnd auf sie herniederschaute. Das seidene Hemd war am Hals geöffnet, die Ärmel hochgeschoben, leichte Reithosen und Stiefel aus weichem Leder – eine elegante und rassige Erscheinung, der Baron

Page 127: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

von Isenhardt. »Ja, wo kommen Sie denn so plötzlich her?« fragte Alix verdutzt, sich dabei aufsetzend. »Sind Sie etwa zu Fuß?« »Keineswegs«, entgegnete er lachend. »Ich sah Goldlack grasen und gab den sehnsüchtigen Blicken meines Rappen nach. Nun laben sie sich gemeinsam an dem saftigen Gras, und vertragen sich dabei glänzend – genauso wie wir beide. Nicht wahr, gnädiges Fräulein?« »Abwarten! Wie haben Sie mich überhaupt in diesem Versteck aufgespürt?« »Ich sagte mir, wo der Goldfuchs ist, kann seine Herrin nicht weit sein. Also ging ich auf Suche. Daß mir jedoch dabei Demeter persönlich erscheinen würde, die außerdem noch dichterisch veranlagt ist…« »Wieso?« fragte sie verblüfft dazwischen. »Weil Sie so ein poetisches Verslein vor sich hin sprachen. Etwa in dem kapriziösen Köpfchen entstanden?« »Da würden wohl gute Knüppelreime zusammenkommen«, schnitt sie eine Grimasse. »Aber vielleicht haben Sie eine poetische Ader.« »Gott soll mich bewahren!« hob er so entsetzt die Hände, daß Alix hellauf lachte. »Stellen Sie sich mal vor, gnädiges Fräulein, wenn ich Sie jetzt andichten wollte. Ich glaube, Sie würden mich wegen Beleidigung verklagen.« In ihr klingendes Lachen einstimmend, setzte er sich neben sie und reichte ihr das Zigarettenetui hin. »Dürfen wir denn hier rauchen?« zögerte sie. »Wir schon, weil wir ja nicht leichtsinnig die noch brennende Zigarette wegwerfen.« »Wissen Sie denn das von mir so genau?« »Ganz genau.« Sie errötete unter seinem sprechenden Blick, griff zu, ließ sich Feuer geben, und sprach dann weiter: »Sie sind nämlich schon so weit ein Landfräulein geworden, um zu wissen, daß man im Wald und an reifen Kornfeldern keine brennende Zigarette in die Gegend

Page 128: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

werfen darf.« »Und Sie meinen, daß Städter das tun?« »Nicht alle natürlich, dessen bin ich gewiß. Auch manche fühlen sich im Wald nicht wohl, wenn sie ihn nicht vollschreien können – was sie allerdings singen nennen.« »Wie abscheulich!« warf Alix lachend ein. »Sie sind doch nun wirklich ein ganz arger Spötter, Herr Baron.« »Oh, bitte sehr, ich laß nur Tatsachen sprechen. Wenn die Leutchen dann ihren Lagerplatz verlassen, ist er übersät von Butterbrotpapieren, leeren Konservenbüchsen, Apfelsinenschalen, zerbrochenen Flaschen und anderem mehr. Und wehe, wenn sie ein blühendes Kornfeld erblicken! Dann brechen sie rücksichtslos in Scharen ein, um die schönen blauen Blumen zu pflücken und den Strauß dann doch unterwegs wegzuwerfen, weil er ihnen lästig wird. Wieviel Mühe sie mit dieser planlosen Pflückerei den Menschen machen, die das zertretene Korn mähen müssen, das ist ihnen höchst egal. Aber wie gesagt, es sind ja nicht alle Städter solche Banausen. Die ehren die Arbeit des Land- und Forstmannes genauso, wie diese die ihre achten. Und so wie sie auf dem Land Erholung suchen, suchen wir in der Stadt Zerstreuung. Doch will ich Sie mit meinen Ausführungen nicht länger langweilen und meine kurze Rast beenden. Wollte hier nur das Kornfeld in Augenschein nehmen, das am Nachmittag in Angriff genommen werden soll. Es ist übrigens das letzte, und wenn der Wettergott uns immer weiter gnädig ist, bekommen wir auch diese Ernte trocken unter Dach und Fach.« Er schnellte hoch, und Alix sprang auf die Füße. Frisch und sonnengebräunt stand sie vor dem Mann, der sie lächelnd betrachtete. Ein blaues Seidenband hielt auf dem Scheitel die goldene Lockenpracht zusammen. »Warum lassen Sie sich nicht mehr im Schloß sehen, gnädiges Fräulein?« fragte er vorwurfsvoll, und sie lachte. »Sie haben mir doch eben die Betitelung: Landfräulein –

Page 129: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

gleich einem Orden verliehen. Und dieses weiß, daß der Landwirt während der Hochsaison von Besuchern verschont zu bleiben wünscht. Hauptsächlich am Alltag – und am Sonntag bedarf er der Ruhe.« »Nun, so arg ist es auch wieder nicht«, fiel er in ihr fröhliches Lachen ein. »Es kommt immer darauf an, wer die Besucher sind.« »Danke für das versteckte Kompliment«, blitzte sie ihn an. »Und nun mal die Gegenfrage: Warum lassen Sie sich im Rosenhaus nicht sehen?« »Weil ich fürchte, lästig zu fallen.« »Ach, sehen Sie mal an.« »Bitte nicht ironisch werden, gnädiges Fräulein!« »Demnach bin ich bei Ihnen in eine gute Schule gegangen.« »Nun, so ein kleiner Racker!« lachte er nun sein warmes, sonores Lachen. »Sie sollen mich nicht umsonst herausgefordert haben. Am Sonntagnachmittag stelle ich mich in Dornröschens Reich ein, um mich wieder einmal vom Rosenduft umnebeln zu lassen. Und ich komme sogar gern.« Heiß schoß ihr da die Röte ins Gesicht. Ihr Blick senkte sich vor dem aufleuchtenden des Mannes. In ihrer Verwirrung rief sie das Pferd herbei, das dann gleich dem Rappen munter herbeitrabte. »Er pariert gut, der Goldlack«, sprach der Mann jetzt wieder mit gewohnter Gelassenheit. Mit sicherer Hand legte er beiden Pferden die Kandare an, half Alix in den Sattel, saß selbst auf – und mit einem fröhlichen >Auf Wiedersehen< ritt man in entgegengesetzter Richtung ab. Allein, am Sonntag bekam Isenhardt selbst Gäste und mußte so seinen Besuch im Rosenhaus fernmündlich absagen. Statt seiner erschien das Ehepaar Druschmann, kreuzfidel wie gewöhnlich. »Endlich komme ich dazu, Ihren lieben Besuch zu erwidern«, begrüßte man die Damen. »Aber bei uns ist immer was los, man kommt zu rein gar nichts. Haben wir

Page 130: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

uns jetzt genug entschuldigt?« Lachend nahm man auf der Terrasse Platz, wo man natürlich auch den Kaffee trank. Man unterhielt sich munter und sprach auch von der Ernte. »Ist der Roggen nun eingebracht?« erkundigte Grit sich, und der Verwalter knurrte vor Wohlbehagen. »Das ist er, gnädige Frau. Gestern schafften wir das letzte Fuder. Gab in diesem Jahr einen reichen Segen. Es war aber auch während der Ernte ein Wetterchen, als ließe der liebe Gott persönlich die Sonne scheinen. Der Herr Baron kann seinen Geldbeutel erweitern, denn das Geld scheffelt man so. Und wenn er sich noch das Goldfischchen einfangen sollte, das die liebenden Eltern ihm heute so eifrig präsentieren, dann ist der Krösus fertig.« »Otto, was sprichst du da bloß für einen Unsinn. Es wäre ja ein Jammer, wenn unser Herr diese vertrocknete Ziege…« »Muttchen, benimm dich!« »Naja«, zwinkerte sie vergnügt. »Das ist sie doch. Dazu eingebildet und dumm bis dorthinaus, genauso wie die Modeste. Die lebt übrigens wieder mal in Saus und Braus«, fuhr sie eifrig fort. »Hat sich einen Galan mit einer dicken Brieftasche angeschafft.« »Hat er dir denn die Brieftasche gezeigt, Altchen?« »Natürlich nicht, aber man hört doch so allerlei.« »Schon faul.« »Daß der Mann einen doch nie ausreden lassen kann!« entrüstete sie sich unter dem Gelächter der andern. »Was ich erzähle, weiß ich aus sicherer Quelle. Also stimmt es, daß der Mann Geld hat. Wenn die Modeste ihn doch bloß heiraten möchte! Aber sie ist immer noch hinter dem Herrn Baron her, wie auch die Freundin. Sie hat diese in dem Bad kennengelernt, wo sie ihre Nerven stärkte. Und da sich ja gleich zu gleich gern gesellt, herrscht zwischen ihnen eine dicke Freundschaft.« »Die eines Tages mit Ach und Krach in die Brüche gehen wird«, konnte Druschmann wieder seinen Mund nicht

Page 131: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

halten. »Wie es ja gewöhnlich der Fall ist, wenn zwei Freundinnen auf einen Mann Jagd machen.« »Und umgekehrt ist es wohl anders, wie?« »Das steht jetzt nicht zur Debatte«, schmunzelte er. »Aber vielleicht werden die Freundinnen auch weiter ein Herz und eine Seele bleiben, weil der Herr Baron beiden die kalte Schulter zeigt. Denn daß er diese Art von Frauen verabscheut, wissen wir ja – auch daß er überhaupt kein Frauenfreund ist. Und nun sprich du wieder, Muttchen.« Grit und Alix hatten ihr Vergnügen an dem fidelen Ehepaar, bei dem man in allem die herzliche Liebe zueinander spürte. Die hatten sich wirklich gesucht und gefunden, wie es ja nicht immer im Leben der Fall ist. Wie ein munteres Bächlein plätscherte der Redeschwall Frau Druschmanns dahin. Und wenn die beiden weiblichen Zuhörer auch nicht sonderlich daran interessiert waren, was im Witwenhaus vor sich ging, so hörten sie doch gern zu. »Der Baron wird ja auch seine Erfahrungen haben«, knüpfte Muttchen an die vorherige Bemerkung des Gatten an. »Und daher wird er auch nicht auf die Komteß hereinfallen, welche ihm heute präsentiert wird. Zwar ist sie ein ganz anderer Typ als die Modeste und deren Freundin, aber taugen tut sie auch nichts.« »Kurz und bündig«, lachte Alix hellauf. »Und was ist nun die Dame für ein Typ?« »Der vor lauter Vornehmheit kaum die Lippen von den Raffzähnen bekommt.« »Altchen, du wirst ja boshaft«, lachte Druschmann gleich den andern herzlich. »Aber recht hat sie, genauso ist es.« »Also! Und da unser Herr Baron ein Schönheitsfanatiker ist…« »Hat er dir das gesagt?« »Nein, aber ich weiß es auch so. Ja, um nun wieder auf die Modeste zurückzukommen, die kann jetzt auch nicht mehr so, wie sie will. Sie hat nämlich eine Wirtschafterin im Hause, die sich gewissermaßen nicht an den Wimpern

Page 132: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

klimpern läßt. Grob, starkknochig, unliebenswürdig, aber sehr arbeitsam und zäh wie Rindleder. Die hält spielend den ganzen Haushalt mustergültig in Ordnung, regiert darin wie ein grimmiger Feldwebel. Ein Herz hat sie nur für die kleine Gela, ihr gegenüber kann sie direkt weich und gütig sein. Also kein Wunder, daß die Kleine sehr an ihr hängt. Ganz und gar nicht tut es die Frau Mama. Sie möchte das Mannweib, wie sie Justine heimlich benamst, liebend gern aus dem Haus haben. Aber die geht nicht, da kann die Gnädige auch noch so toben. Die sagt sich: Soll’s uns hart ergehn, laßt uns feste steh’n.« »Das ist ja köstlich«, lachte Grit amüsiert. »Also hat die launenhafte, unberechenbare Baronin an dieser Justine ihren Meister gefunden?« »Kann man wohl sagen…« In dem Moment erschien Gernot Isenhardt, verneigte sich und sagte entschuldigend: »Verzeihung, gnädige Frau, daß ich hier so formlos einbreche. Doch es war niemand da, um mich zu melden.« »Das ist ja auch nicht erforderlich, Herr Baron«, entgegnete Grit liebenswürdig. »Unter Nachbarn nimmt man das nicht so genau.« »Verbindlichsten Dank.« Nun begrüßte er auch die andern und nahm dann in der gemütlichen Runde Platz. Frau Druschmann, der die Neugierde direkt aus den Augen sprang, hätte zu gern gewußt, ob der Baron seine Gäste hinauskomplimentiert hatte. Doch danach zu fragen, wagte sie denn doch nicht. Kam aber auch so auf ihre Kosten, als Isenhardt lächelnd sagte: »Ich konnte nicht umhin, der Einladung des gnädigen Fräuleins«, eine galante Verneigung zu Alix hin »doch noch Folge zu leisten, da meine Gäste früh aufbrachen.« »Womit man mit Schiller sagen kann: Spät kommt er, doch er kommt«, neckte Grit. »Und nun wollen wir mit einem guten Trunk auf die hervorragende Ernte anstoßen. Erhebe

Page 133: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

dich, Alix, und steige in den Keller. Greif richtig zu, wir müssen doch Ehre mit unserer Zunft einlegen.« »Erbarmen, gnädiges Fräulein, wir sind per Auto hier!« hob Druschmann flehend die Hände, doch sie lachte ihn aus. »Zur Feier des Tages säumen nur Gummibäume die Landstraße.« Als der köstliche Rebensaft in den Gläsern funkelte, stieß man vergnügt an. Nach dem ersten Zug schmunzelte der Verwalter. »Jetzt warte aber ich mit einem Schillerzitat auf: An der Quelle saß der Knabe. Donner noch eins, dieses Weinchen stammt bestimmt wieder aus der Privatschatulle der Grodes’. Prosit, sie sollen leben!« Heiter tat man Bescheid. Als Alix ihr Glas absetzte, traf ihr Blick mit dem Gernots zusammen. Wie ein zärtliches Streicheln berührte es sie. Wie etwas, worüber man jauchzen und wiederum auch weinen konnte. Fröstelnd zog sie die Schultern zusammen, legte sich tiefer im Korbsessel zurück und lauschte der sonoren Stimme, die sich ihr ins Herz träufelte wie süßes Gift. Doch sie konnte sich dagegen nicht wehren und wollte es auch nicht. Dachte gleich Philine aus Goethes Wilhelm Meister: Wenn ich dich liebe, was geht’s dich an? Und daß sie es tat, kam ihr jetzt erst so recht zum Bewußtsein – auch, daß sie diese Liebe tief im Herzen verschließen mußte. Damit begann Amors Pfeil, der schon längst in ihrem Herzen steckte, empfindlich zu schmerzen. Die Tage gingen rasch dahin, aus dem August wurde September. Über die Stoppeln der Getreidefelder wehte der Wind, der manchmal schon recht kühl sein konnte. Auch das Grummet war geerntet. Nun brauchten nur noch die Hackfrüchte in Angriff genommen, das Korn gedroschen zu werden, und die Landwirte hatten es in diesem Jahr wieder einmal geschafft. Jetzt sollten auch Grit und Alix ein Erntefest kennenlernen, von dem sie zwar schon gehört hatten, aber wovon sie sich

Page 134: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

gar keine Vorstellung machen konnten. Isenhardt lud sie persönlich dazu ein, und man sagte gern zu. »Was zieht man eigentlich dazu an, Tante Grit?« fragte Alix. »Doch nicht etwa ein Gesellschaftskleid?« »Natürlich nicht, da es sich ja um ein Volksfest handelt. Aber ein Dirndlkleid, das wir übrigens gar nicht besitzen, braucht es auch nicht gerade zu sein. Also ziehe ich das leichte Foulardkleid an, das in seiner lustigen Buntheit zu dem Rummel gut paßt, und du schmückst dich mit dem gestickten, weißen Gewand. Zwar sind auch das Modellkleider, wirken jedoch raffiniert einfach.« Sie sahen denn auch recht elegant aus und bedauerten nun doch, sich nicht einfachere Kleider besorgt zu haben. Aber Muttchen B rasch, das ordentlich stolz darauf war, daß ihre beiden Damen von dem Herrn Baron als Ehrengäste geladen wurden, zerstreute die Bedenken mit der Begründung, daß auf dem Fest stets Staat getrieben würde. Da zog jede ihr bestes Kleid an. Das schien auch tatsächlich der Fall zu sein. Denn die Landschönen prunkten in ihrem Staat, und die weiblichen Angehörigen der Guts- und Forstbeamten trugen durchweg zwar einfache, aber gute Kleider. Als Grit und Alix den geschmückten Speicher betraten, war das Fest schon in vollem Gange. Inmitten des riesigen Raumes tanzte man zur schmissigen Blasmusik. An den Seiten standen Tische, von denen einige mit Süßigkeiten, Rauchwaren, Likören, Bier und Wein bestellt waren. Girlanden aus Tannengrün und buntem Papier zogen sich von Pfeiler zu Pfeiler. Allerlei lustige Figuren baumelten von der Decke herab, gefertigt aus Stroh, Glanzpapier oder Stoff. Auf der Tanzfläche wirbelte es bunt durcheinander, es war ein farbenfrohes Bild. Ratlos, was sie beginnen sollten, standen die Hinzugekommenen an der Tür. Doch nicht lange, dann eilte der Herr vom Ganzen auf sie zu. Er trug einen hellen, leichten Anzug und sah elegant aus wie immer. »So spät, meine Damen?« begrüßte er sie vorwurfsvoll. »Ich

Page 135: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

habe Sie schon zu dem feierlichen Zeremoniell erwartet.« »Konnten wir ja nicht wissen, Herr Baron. Das hätten Sie bei der Einladung extra betonen müssen.« »Allerdings war das ein Versehen von mir, worum ich jetzt um Entschuldigung bitte, gnädige Frau.« »Genehmigt. Herrlich ist das hier! So richtig froh und leichtbeschwingt. Es kribbelt einem förmlich in den Füßen.« »So darf ich denn bitten, gnädige Frau«, verneigte er sich galant. »Das ist nämlich die beste Gelegenheit, durch das Gedränge zu kommen. Wie ich sehe, eilt auch bereits ein Tänzer auf das Fräulein Nichte zu.« »Das ist ja der Erich Druschmann«, lachte Alix fröhlich, als der schmucke junge Mann sich vor ihr verneigte. »Sie sind aber gewachsen.« »Wir haben uns ja auch jahrelang nicht gesehen, gnädiges Fräulein«, strahlte er sie mit seinen blauen Augen an. »Darf ich Ihnen ein Kompliment machen?« »Um alles nicht, tanzen ist mir lieber.« So drehten sich denn auch diese beiden Paare vergnügt, und als die Musik schwieg, führten die Herren ihre Damen an den sogenannten Herrschaftstisch. Sie wurden mit den Guts- und Forstbeamten nebst deren Angehörigen bekannt gemacht – und das waren nicht wenige. Namen schwirrten auf, unmöglich, sie alle zu behalten. Dann saßen Grit und Alix unter der fröhlichen Gesellschaft und fühlten sich pudelwohl. Erich Druschmann hatte sich neben Alix placiert. Ein schneidiger junger Mann, der nach einem Vierteljahrhundert wahrscheinlich aussehen würde wie sein Vater heute. An der anderen Seite des Mädchens saß ein junger Forstmann, der Sohn des Oberförsters. Ein bildhübscher Bursche, mit kecken Grauaugen und dunklem Kraushaar. Sie kleidete ihn gut, die grüne Uniform der Jäger. Alix konnte sich denken, daß die Mädchen ihn gern sahen.

Page 136: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Grit hatte ihren Platz neben dem Oberförster und Otto Druschmann gefunden. Und wo diese Spaßvögel waren, konnte es nur Heiterkeit geben. Und dann standen wie hergezaubert Berge von Kuchen auf dem Tisch. Tassen wurden gebracht, in die aus riesigen Kannen der belebende braune Trank floß. Mit gutem Appetit griff man zu und war dabei fidel. Denn heute war ja der Tag der Freude für alle, die so emsig gearbeitet hatten. Das Fest bedeutete einen Dank des Gutsherrn an seine Getreuen. Ein hellklingendes Lachen kam von der Stelle her, wo Alix zwischen den beiden forschen Herrn saß. Es flutete wie eine Welle der Freude durch den riesengroßen Raum und ließ so manchen Mund schmunzeln. »Potztausend, gnädige Frau, das Fräulein Nichte wirkt ja wie ein Jungquell auf uns Bejahrte«, sagte der Oberförster zu Grit, sich unternehmend seinen Graubart streichend. »Da kann man wohl sagen, altes Herz wird wieder jung. Hoffentlich schaut mein Junge nicht zu tief in diese strahlenden Dornröschenaugen.« »Tut er bestimmt«, warf die Gattin, die neben Isenhardt schräg gegenüber saß, trocken hin. »Sonst müßte er ja nicht der echte Sohn seines Vaters sein.« Man lachte, wie man es heute so gern und willig tat. Manch ein Scherzwort flog hin und her, lustig aufgefangen und schlagartig zurückgegeben. Auch der Gutsherr wurde heute davon nicht verschont. Man benahm sich ihm gegenüber durchaus nicht respektlos, das ließ schon allein seine gebietende Persönlichkeit nicht zu. Aber man zog ihn in den lustigen Trubel mit hinein, und schmunzelnd machte er mit. Nach der Kaffeetafel kam dann wieder der Tanz, dem selbst die Omas begeistert huldigten. Solche seltenen Tage mußte man genießen, mußte sie so recht von Herzen auskosten. Wenn man durstig war, feuchtete man die lechzende Kehle an. Es gab ja Auswahl genug auf den langen Tischen. Leckermäulchen kamen auch nicht zu kurz und die

Page 137: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Raucher schon gar nicht. Die beiden Ehrengäste mußten gehörig das Tanzbein schwingen. Wenn ein Tänzer sie an den Tisch zurückbrachte, stand schon ein anderer da. So gelang es Isenhardt erst nach dem Abendessen, an dem es Berge von belegten Broten, verschiedene Salate, Marinaden und Bier gab, sich einen Tanz bei Alix zu sichern. Leicht und beschwingt drehte sich das elegante Paar nach einer schmeichelnden Walzerweise. Und wenn das Mädchen nicht schon längst sein Herz an den Mann verloren gehabt, hätte es jetzt unweigerlich daran glauben müssen. Wenn sie den Blick hob, sah sie über sich das gebräunte, stolze Männerantlitz, um dessen harten Mund ein Lächeln lag. Und die Augen? Ja, die führten eine ganz eigene Sprache. Also war es schon besser, ihnen auszuweichen, was Alix dann auch beharrlich tat. Sie hätte jauchzen mögen und wiederum auch weinen, so bittersüß war das Gefühl, das ihr Herz überflutete. Man darf vom Schicksal auch nicht zuviel verlangen, das sie sowieso schon auf die Sonnenseite des Lebens gestellt hatte. So sprach das junge Menschenkind sich selber gut zu – aber das Herz tat ihm dabei doch bitter weh. Allmählich begann die Fröhlichkeit in Ausgelassensein überzugehen. Kein Wunder, da schon manche voll des süßen Weines waren. Und als es gar zwischen zwei eifersüchtigen Burschen zu Handgreiflichkeiten kommen sollte, die der Gutsherr jedoch energisch unterband, trat er hinterher zu Grit und sagte leise: »Jetzt wird es Zeit zum Aufbruch, gnädige Frau. Wenn ich auch dafür sorgen werde, daß die Stimmung hier nicht ausartet, so möchte ich Ihnen und dem Fräulein Nichte jeden kleinsten peinlichen Zwischenfall ersparen. Sie verstehen mich doch?« »Selbstverständlich, Herr Baron.« »Danke, Bitte mich jetzt zu entschuldigen. Ich ziehe nur

Page 138: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

rasch den Reitdreß an, damit ich Ihnen zu Pferd das Geleit geben kann.« »Das ist doch gar nicht erforderlich.« »Doch, gnädige Frau. Es ist Nacht – und gerade die scheut das Gesindel nicht.« Damit ging er, und Grit verständigte Alix. Wenig später saßen sie im Auto und waren nun doch froh, den Reiter neben sich zu wissen. Denn es tauchten auf der Straße hie und da Gestalten auf. Und wenn es wahrscheinlich auch nur harmlose Liebespärchen waren, so konnten die Damen in dem offenen Wagen dennoch belästigt werden. Eben torkelte ein Pärchen quer über den Weg. Aber nicht liebend Hand in Hand, sondern im gewissen Abstand. Und sobald das Mädchen sich näherte, schob der Mann es schroff von sich. Nun klang die Mädchenstimme in herzzerreißendem Gesang auf: »Liebst du mich denn gar nicht mehr, willst du mich verlassen? Willst du mich denn gar nicht mehr, um die Taille fassen…« »Der Mann muß ja direkt ein Herz von Stein haben«, bemerkte Grit trocken, und Gernot schmunzelte. »Das wird bestimmt bald erweichen.« Und tatsächlich, als der Wagen an dem Pärchen langsam vorüberrollte, torkelte es beseligt Hand in Hand. »Nun, gnädige Frau, habe ich recht?« »Kann man wohl sagen«, war die lachende Erwiderung. »Er grollt nicht mehr – und sie ist glücklich.« Obwohl die Straße jetzt unbelebt war, fuhr Alix trotzdem vorsichtig weiter. Einige Minuten später hatte man das Rosenhaus erreicht, und da stand auch schon der gute Hausgeist da und öffnete das Hoftor. »Vater Brasch, schlafen Sie denn noch nicht?« fragte Grit

Page 139: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

verwundert, und er sah sie vorwurfsvoll an. »Aber, gnädige Frau, ich werde doch nicht zu Bett gehen, wenn unsere beiden Damen so spät noch unterwegs sind. Und gar noch heute, wo es Betrunkene auf der Straße gibt. Denn ich wußte ja nicht, daß der Herr Baron so freundlich sein würde, die Damen nach Hause zu bringen.« »Tantchen, wie geht es uns doch gut«, lachte Alix fröhlich, während sie aus dem Wagen sprang und die Wange des Getreuen streichelte, worüber Gernot sich beschwerte: »So – und ich soll wohl leer ausgehen, wie? Gnädige Frau, schreiten Sie gegen diese Ungerechtigkeit ein.« »Wird prompt besorgt«, entgegnete sie spitzbübisch und ließ ihre Finger spielerisch über die Männerwange gleiten. »Nun, fühlen Sie sich immer noch zurückgesetzt?« »Bewahre«, lachte er gleich den andern. »So was ist Labsal für unser Herz. Nicht wahr, Vater Brasch?« »Und wie, Herr Baron«, kam die Antwort schmunzelnd. »So zarte Fingerchen haben’s in sich.« Mit herzlichem Dank wurde Isenhardt von den Damen verabschiedet. Alix brachte das Auto in den Schuppen und folgte dann der Tante, die bereits in ihrem Zimmer stand und die Nichte forschend betrachtete. »Du bist ja so blaß, mein Kleines. Müde, zu viel getanzt?« »Ja«, bemühte sich das Mädchen, einen harmlosen Ton anzuschlagen. »Ich spüre meine Beine gehörig. Aber schön war es doch.« »Will ich meinen«, kam es unter herzhaftem Gähnen zurück. »So nett habe ich mir ein Erntefest nicht vorgestellt.« »Heute hatte ich so richtig die Gelegenheit, zu beobachten, wie beliebt der Gutsherr bei seinen Untergebenen ist. Er hat aber auch eine Art, mit ihnen umzugehen, die man bewundern muß. Denn es gehört viel Feingefühl dazu, für jeden den richtigen Ton zu finden. Und wie er die beiden Burschen bändigte. Nur ein scharfer Blick, ein herrisches Wort – und schon ließen sie

Page 140: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

voneinander ab. Schade, daß ich nicht ein Vierteljahrhundert jünger bin – ja, warum lachst du denn so, Mädchen?« »Weil du wie ein Backfisch schwärmst. Mach mir keinen Kummer, Gritchen!« »Warum denn nicht? Du weißt doch: Alte Scheunen brennen am hellsten.« Lachend trennte man sich zur guten Nacht. Doch während bei Grit der Schlaf tief und traumlos war, umwehten irre Träume das junge Menschenkind, dessen Herzchen Amors Pfeil so schwer getroffen hatte. Der Wettergott war in diesem Jahr besonders gnädig gestimmt. Denn er hatte ein Wetter gebracht, daß selbst die Nörgler zufriedenstellen mußte. Schon vom Frühjahr an gab es viel Sonne und Regen fast nur nach Wunsch der Landwirte. Kein Wunder also, daß die Ernte eine vortreffliche wurde, ob es sich da um Korn, Heu, Hackfrüchte oder Obst handelte. Überall gab es reichen Segen. Auch im Rosenhaus. Das Beerenobst war schon eingekocht, und nun kamen die anderen Früchte heran. Emsig war man dabei, sie von Bäumen und Spalieren zu holen, wobei die beiden Damen natürlich mithalfen. Hauptsächlich Alix machte das einen Riesenspaß. Wie ein Eichkätzchen kletterte sie auf die Bäume, so daß die Tante oft genug Angst ausstand. So auch heute, als das Mädchen hoch oben in einem Pflaumenbaum saß und gar noch mit den Beinen schlenkerte. »Du kommst sofort ‘runter, du leichtsinniges Gör!« gebot die Tante, doch nur ein hellklingendes Lachen war die Antwort darauf. Und dann verhielt der Schelm sich still, weil er etwas erspäht hatte, was tausend Teufelchen in den Augen tanzen ließ. Geschickt knipsten die Finger Pflaumenkerne nach unten, wo ein Reiter den Weg daherkam. Jedes der kleinen Geschosse erreichte sein Ziel, traf Arm und Schulter des

Page 141: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Mannes, der sich zuerst verdutzt umsah und dann Grit bemerkte, die unter dem Baum stand und die Pflaumen pflückte, die sie von unten erreichen konnte. Der Reiter hielt am Zaun, rief lachend hinüber: »Danke für den prasselnden Empfang, gnädige Frau.« Sie fuhr herum und sah ihn verständnislos an. »Prasselnder Empfang?« wiederholte sie langsam. »Ich bemerke Sie ja jetzt erst, Herr Baron. Womit soll ich überhaupt geprasselt haben?« »Mit Pflaumenkernen.« »Aha, nun kommen wir der Sache schon näher. Schauen Sie mal den Baum hinauf, dann haben Sie die hinterhältige Schützin.« »Tante Grit, das ist Verrat!« kam eine lachende Stimme von oben. Ein Rauschen im Laub, ein Körper wurde sichtbar, der sich geschmeidig von Ast zu Ast schwang, ein letzter kühner Sprung – und Alix stand strahlend vor den beiden Menschen. Doch dann wurde Grit munter. »Du gräßliches Mädchen!« schalt sie aufgebracht. »Du kannst einem ja einen Schreck einjagen, bei dem man an der Hälfte genug hat. Komm mir ja nicht zu nahe, sonst rutscht meine Hand aus.« »Aber, Gritchen«, lachte der Schelm sie lieblich an. Die Augen blitzten nur so in dem gebräunten Gesicht. Golden drängten sich die Löcklein unter dem leichten Tuch hervor, das, um den Kopf gelegt, im Nacken zu einer kecken Schleife gebunden war. Der grazile Körper steckte in einem lustigbunten Kleidchen, welches das reizende Menschenkind jung und süß erscheinen ließ. Und dem sollte man böse sein? Die Tante konnte es jedenfalls nicht. Denn sie lachte bereits wieder – und schon war der Nichtsnutz wieder obenauf. »Na also, Gritchen, warum denn gleich so böse. Ich tu’s bestimmt nicht wieder. Aber was machen Sie denn für ein Gesicht, Herr Baron. Gerade so, als ob Sie mich verprügeln möchten.« »Was ich liebend gern täte – wenn ich das Recht dazu

Page 142: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

hätte.« »Da bin ich aber froh, daß Sie es nicht haben«, schnitt sie eine drollige Grimasse. »Sitzen Sie nicht weiter auf Ihrem hohen Roß, sondern steigen Sie herab zu uns gewöhnlichen Sterblichen.« Da mußte der Mann denn doch lachen. Er saß ab und übergab das Pferd B rasch, der herbeigeeilt war. Alix holte rasch den Schlüssel herbei, öffnete die kleine Pforte und versank dann vor Gernot in einem vorbildlichen Hofknicks. »Seid mir gegrüßt, vieledler Herr. Teilet mit mir mein kärgliches Brot.« »Na, so ein übermütiger Racker!« drohte er schmunzelnd. »Wie werden Sie mit dem überhaupt fertig, gnädige Frau?« »Ich dulde«, war die elegische Antwort. Lachend betrat man die Terrasse, wo auch schon Muttchen Brasch mit einem kühlen Trank erschien. »Wohl bekomm’s den Herrschaften. Es ist ein Zaubertrank, gewürzt mit Rosenblättern.« »Auch das noch«, seufzte der Mann. »Ist es denn nicht schon genug, daß man von dem Duft umnebelt wird, muß man ihn jetzt sogar noch schlucken, Muttchen Brasch?« »Doppelt genäht, hält besser, Herr Baron«, zwinkerte sie ihm vergnügt zu Dann ging sie, und Alix goß den kühlen Trank aus der bauchigen Kanne in die Gläser, in denen es rubinrot leuchtete. »Soll ich denn durchaus hier betört werden?« klagte der Mann nach dem ersten Schluck, und Grit meinte trocken: »Wehren Sie sich doch dagegen, Sie kommen mir übrigens gar nicht so vor, als ob Sie sich von Rosendüften umnebeln ließen. Der Duft vom reifen Korn und Heu ist Ihnen entschieden lieber, stimmt’s?« »Immer alles zu seiner Zeit«, blitzte es in seinen Augen auf. »Meinen Sie nicht auch, gnädige Frau, daß all die Düfte zusammen eine gute Mischung geben?« »Da bin ich überfragt«, tat sie lachend ab. »Verlieren wir uns nicht in Philosophie. Dafür bin ich augenblicklich zu

Page 143: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

pomadig.« Es war einige Tage später, als Alix dem Baron auf ihrem Morgenritt wieder begegnete. Man begrüßte sich, dann setzte man gemeinsam den Weg fort. Alix ärgerte sich, dem Mann jetzt nicht mehr so frei in die Augen sehen zu können wie früher. Aber es ging nicht, weil sie auf der Hut sein mußte, ihm durch keinen Blick ihre Liebe zu verraten. Denn daß er ihr nur freundschaftlich gegenüberstand, dessen war sie gewiß. Sonst hätte er bestimmt nicht in seiner gewohnten Gelassenheit verharren können. Denn schließlich war er ja der Mann und daher der Werbende – wenn er es sein wollte. Aber er wollte eben nicht – und das genügte der stolzen und sensiblen Alix Grodes. »Höchste Zeit, daß ich nach Hause komme«, warf sie einen Blick auf die Armbanduhr. »Tante Grit wartet nicht gern mit dem Frühstück, und vorher wollen wir noch unser gewohntes Morgenbad im See nehmen. Da muß ich mich also tummeln und werde den nächsten Weg zum Rosenhaus wählen, Sie wissen doch, Herr Baron, den wir schon einmal geritten sind…« »Und auf dem Sie sich bestimmt verirren würden«, warf er trocken ein. »Also werde ich Ihnen auch diesmal das Geleit geben.« »Wenn Sie so viel Zeit haben, dann bitte sehr.« Um auf den Weg zu kommen, mußten sie die Parkmauer entlang reiten. Dort war es schattig und recht kühl, so daß Alix, die wie gewöhnlich eine leichte Bluse mit kurzen Ärmeln trug, fröstelnd erschauerte. Und ehe sie sich so recht versah, hatte der Mann schon seine Jacke ausgezogen und sie ihr über die Schultern gehängt. Also eine ganze harmlose Angelegenheit, die jedoch auch anders aufgefaßt werden konnte, nämlich: daß der Mann das Mädchen umarmte. Der Meinung waren auch die Modeste und ihre Freundin, die ausgerechnet jetzt an dem schmiedeeisernen Tor standen und von da aus das Reiterpaar gut beobachten konnten. Und da sie ja beide hinter dem Baron her waren,

Page 144: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

erboste sie der Anblick. »Ach, sieh mal an«, höhnte die Modeste, als die Pferde im Schritt am Tor vorüberkamen. »Die Schnapsprinzeß im trauten Tete-a-tete mit dem Herrn Baron, auf den sie ja schon lange Jagd machte.« »Wie ihr Vater es bei mir tat«, lachte die andere schrill in die hämischen Worte hinein. »Es hat mir immer riesigen Spaß gemacht, den alten verliebten Trottel an der Nase herumzuführen – der nach Höhenluft strebte, wie seine Tochter auch. Aber der hochnäsige Herr Baron wird sich hüten, eine Schnapsprinzeß zu freien – die jedoch als galantes Abenteuer ganz ideal sein wird.« Ein ächzender Laut kam von der Stelle her, wo Alix wie erstarrt auf dem Pferd saß – todblaß, in den Augen den Ausdruck des Ekels… Langsam kam dann Leben in ihre wie versteinerte Gestalt. Sie nahm die Jacke ab, warf sie dem Mann zu und maß dann die beiden Weiber – denn anders konnte man sie ja nicht nennen – mit einem Blick, der vor Verachtung nur so sprühte. »Pfui Teufel«, sagte sie langsam. »Wie kann ein Mensch nur so gemein sein.« Damit warf sie ihr Pferd herum und jagte davon, als wäre der Böse hinter ihr drein. »Pfui Teufel«, sagte nun auch der Mann zu den Freundinnen, die wahrlich einander würdig waren. »Wenn Sie nun nicht Frauen wären, würde ich Ihnen meine Reitpeitsche rechts und links um die Ohren schlagen. Aber ich glaube, ich tue es dennoch, sofern Sie es noch einmal wagen sollten, meine Braut zu beleidigen. In der Beziehung verstehe ich nämlich keinen Spaß.« Hart und scharf war das gesagt, so daß die Freundinnen sich unwillkürlich duckten. Und da sie beide feige waren, rannten sie ins Haus und knallten die Tür hinter sich zu. Indes jagte Alix zum Rosenhaus hin, das sie bei dem Tempo auch bald erreicht hatte. Brasch nahm ihr kopfschüttelnd das Pferd ab, das schweißbedeckt war.

Page 145: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Doch er schwieg nach einem Blick in das verstörte Mädchengesicht und zog brummend ab, während Alix ins Wohnzimmer lief, wo Grit geruhsam saß. Sie warf sich in einen Sessel, drückte das Gesicht in die Seitenlehne und weinte so hemmungslos, als müßte sie sich die Seele ausschluchzen. Zutiefst erschrocken trat die Tante zu ihr und umfaßte die zuckenden Schultern. »Um Gott, Kind, was ist dir denn geschehen?« fragte sie zitternd vor Erregung. »So sprich doch endlich, ich komme ja vor Angst noch um!« Es dauerte aber doch noch minutenlang, bis Alix sich soweit beruhigt hatte, um berichten zu können. Sie tat es abgehackt, wurde zwischendurch immer vom Weinen geschüttelt. Grit war dermaßen empört, daß sie am liebsten zu den nichtswürdigen Kreaturen gelaufen wäre und sie geohrfeigt hätte. Doch da das nicht gut anging, mußte sie ihrer Empörung in Worten Luft machen: »Solche Schandmäuler! Man müßte sie ihnen blutig schlagen! Aber laß nur, mein Kind, der Baron wird das schon besorgen. Wenn auch nicht direkt handgreiflich, so aber auf andere Art.« »Ach, Tante Grit, wie gräßlich ist das doch alles! Ich muß mir ja vor Isenhardt die Augen aus dem Kopf schämen!« »Na, nun mal nicht gleich so verzweifelt, mein Kind«, beschwichtigte die andere gütig. »Der Mann weiß ja, was er von dir zu halten hat – und das ist vor allem wichtig. Gegen geifernde Klatschmäuler kommt man eben schlecht an, denen ist jeder Mensch ausgesetzt. Und jetzt muß ich mich erst einmal von meiner Überraschung erholen, daß die Freundin dieser Modeste die Daisy von Tees ist. Also kann dein Vater sie unmöglich geheiratet haben.« »Siehst du, Tante Grit, der Anblick der Person überraschte auch mich maßlos. Aber ich kam gar nicht dazu, über das kaum Begreifliche nachzudenken, weil das andere mich völlig verstörte.« »Das kann ich mir denken. Doch jetzt sei mal mein

Page 146: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

vernünftiges kleines Mädchen und rege dich nicht länger über ein so niederträchtiges Gewäsch auf. Gehen wir lieber daran, die mysteriöse Angelegenheit um deinen Vater zu klären.« »Vielleicht hat Paps die Tees doch geheiratet, und sie verbringt nur die Ferien bei der Baronin.« »Das glaubst du doch selbst nicht, Alix. Der würde die Ferien mit seiner Frau verleben, verlaß dich darauf.« »Oder ihm sind die Augen bereits aufgegangen, und er hat sie davongejagt.« »Sobald schon?« zweifelte Grit. »Du mußt bedenken, daß es noch nicht einmal fünf Monate her sind, da er sich mit Heiratsabsichten trug. Bis die Ehe zustande kommen konnte, mußte eine bestimmte Zeit verstreichen, und die Tees weilt doch schon wochenlang bei ihrer Freundin, soviel wir gehört haben. Nein, mein Kind, da stimmt etwas nicht, was wir unbedingt herausbekommen müssen. Natürlich muß man da vorsichtig vorgehen, um deinen Vater nicht zu blamieren. Aber laß man, irgendwie kriegen wir das schon hin.« »Hör mal, Tante Grit, wenn Paps die Tees wirklich nicht geheiratet hat, dann haben wir ihm doch bitter unrecht getan, indem wir ihn verließen.« »Nein, mein Mädchen, das haben wir nicht. Denn wie die Dinge damals lagen, blieb uns nichts anderes übrig, als aus dem Haus zu gehen. Darüber mach dir keine Gewissensbisse – und nun hopp, gehen wir baden! Ein kühles Bad wird uns beiden guttun.« Es war einige Stunden später, als Alix schreckensbleich ins Zimmer stürmte und der Tante damit erneut einen Schreck einjagte. »Mädchen, was ist denn jetzt schon wieder passiert?« »Tante Grit, der Baron ist eben auf den Hof gefahren! Ich kann ihm jetzt noch nicht unter die Augen treten.« Damit lief sie hinaus, und keine Minute zu früh, denn in der andern Tür erschien Mariechen und meldete den Baron

Page 147: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

von Isenhardt. »Denn man ‘rein in die gute Stube!« schlug Grit absichtlich einen frischen Ton an und sah dann dem Besucher entgegen, der einen dunklen Anzug trug und sehr ernst war. »So feierlich, Herr Baron?« fragte sie verwundert, und da lächelte er leicht. »Mir ist auch feierlich zumute, gnädige Frau.« Sie nahmen Platz, und Grit sah ihn erwartungsvoll an, der dann auch sozusagen mit der Tür ins Haus fiel. »Hat Fräulein Grodes von der unerquicklichen Angelegenheit gesprochen, gnädige Frau?« »Ja. Sie war sehr verstört, meine arme Kleine.« »Kann ich mir denken«, lachte er kurz auf. »Da muß man schon sagen: So ein Otterngezücht! Leider kann ich Fräulein Grodes keine andere Genugtuung geben, als daß ich sie bitte, die Verlobung anzuerkennen, die ich den Lästerzungen bereits proklamierte. Denn als Verlobter habe ich das Recht, meine Braut zu umarmen – was man ja annahm, als ich der jungen Dame meine Jacke um die Schultern legte. Zwar habe ich den Schandmäulern angedroht, sie ihnen mit der Reitpeitsche zu stopfen, falls sie meine Braut noch einmal beleidigen sollten, aber ich glaube nicht, daß diese Drohung etwas nützen wird. Ich nehme vielmehr an, daß diese Verlobung bereits verschiedentlich bekannt sein wird.« »Hören Sie bloß auf!« griff Grit sich nervös an die Schläfen. »Mir wird ja direkt angst und bange. Denn soweit ich meine Nichte kenne, wird sie Ihr Opfer nicht annehmen, Herr Baron. Sie ist in der Beziehung äußerst sensibel.« »Ich höre immer Opfer, gnädige Frau. Ich würde es nicht bringen, eher Fräulein Grodes. Darf ich sie mal sprechen?« »Nein«, wehrte sie entschieden ab. »Das arme Kind ist ohnehin schon verstört genug. Wollen wir es erst diesen Schock überwinden lassen.« »Wie Sie wünschen, gnädige Frau«, kam es kühl zurück.

Page 148: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ich möchte Sie jedoch bitten, dem Fräulein Nichte meinen – Vorschlag zu unterbreiten und mich dann wissen zu lassen, wie die junge Dame sich entschieden hat.« Damit stand er auf, neigte sich höflich über die feine Frauenhand, dann ging er. Und kaum, daß der Wagen vom Hof gefahren war, erschien Alix im Zimmer. »Tante Grit, was wollte er hier?« »Ach, Grit, du wirst hören und staunen.« Das tat Alix denn auch wirklich, als die Tante das Gespräch wörtlich wiedergab. Doch dann fuhr sie empört auf. »Was denkt der Mann sich eigentlich, mich als seine Verlobte auszugeben? Unerhört finde ich das.« »Nun mal nicht so aufgeregt, mein Kind«, unterbrach die Tante sie ruhig. »Es ist weiß Gott ritterlich von dem Mann…« »Laß mich in Ruhe!« »Na schön. Ich sehe schon, daß mit dir jetzt nicht vernünftig zu reden ist.« Die Tür schlug zu, und Alix hetzte die Treppe hinauf nach ihrem Zimmer, wo sie sich auf das Sofa warf – ihr war sterbenselend zumute. Was nun? Sie konnte doch unmöglich die Braut des Mannes werden, den sie mit jeder Faser ihres Herzens liebte – und dem sie ihre Liebe nicht zeigen durfte. Das hielt sie einfach nicht aus. Ja, wenn auch er sie lieben würde, ein ganz klein wenig nur, aber nichts ließ doch darauf schließen. Und aus Ritterlichkeit geheiratet zu werden, dafür dankte sie nun wirklich. Mochte man sich ruhig die Klatschmäuler zerreißen, sie wich ihnen aus, indem sie das Rosenhaus verließ und in ihr Elternhaus zurückkehrte. Lieber mit allem zufrieden sein, was da auch sein mochte – als mit einem Herzen voll Liebe heiraten – und dieses allmächtige Gefühl gegen farblose Freundlichkeit eintauschen. Allerdings würde Isenhardt, wenn sie ging, den Lästerzungen allein ausgesetzt sein, aber er würde sich schon dagegen wehren. Er würde ihr sogar Dank wissen,

Page 149: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

wenn sie stillschweigend von hier verschwand. Denn leicht konnte es ihm ja nicht fallen, ein ungeliebtes Mädchen zu heiraten. So quälte die junge, unerfahrene Alix sich herum, nicht ein noch aus wissend in ihrer Herzensnot. Da half ihrer Ansicht nach nur Flucht. Als sie dann später an der Mittagstafel erschien, erwähnte die Tante die Geschehnisse des Morgens und Vormittags mit keinem Wort. Alix selbst fing davon an, als man beim Mokka saß. »Tante Grit«, begann sie zögernd. »Wie wäre es, wenn wir nach Hause zurückkehrten? Das wäre doch die beste Lösung – meine ich.« »Hm – und an Isenhardt denkst du nicht?« »Doch – sehr sogar. Glaube nur, er wird mir dankbar sein, wenn er sein Wort, das er nur aus Ritterlichkeit gab, nicht einzulösen braucht.« »Vielleicht – vielleicht auch nicht. Es ist sehr schwer, aus diesem verschlossenen, beherrschten Mann klug zu werden. Und nun, mein Kind, nimm den Rat deiner Tante an, die erfahrener ist als du. Überstürze nichts, warte erst mal einige Tage ab. Gilt’s, mein Herz?« »Ja, Tante Grit. Wenn du mir dazu rätst, dann tue ich es auch. Ich bin, wenn ich auf dich hörte, immer noch gut weggekommen. Aber schau mal, da fährt ja wieder ein Auto auf den Hof«, zeigte sie aufgeregt zum Fenster hin. »Ob Isenhardt sich etwa meine Antwort holen kommt?« »Das glaube ich nicht«, kam die Antwort gedehnt. »Dazu ist der Mann denn doch zu stolz. Außerdem ist es nicht sein Auto, sondern ein Mietwagen, dem jetzt eine Dame mit einem kleinen Jungen entsteigt. Nun lohnt sie den Fahrer ab – merkwürdig.« Gleich darauf erschien Muttchen Brasch und meldete aufgeregt eine Dame, die ihren Namen nicht nennen wollte. Sie hätte hier jedoch etwas Dringendes zu erledigen.

Page 150: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Führen Sie die Dame hierher«, entschied Grit kurzentschlossen – und sah dann gespannt den Fremden entgegen, die ins Zimmer traten, dessen Tür Mariechen von außen schloß. »Entschuldigen die Damen gütigst unser formloses Eindringen«, sprach nun eine warme Stimme in die Stille hinein. »Gestatten Sie mir und meinem Sohn, unser Anliegen vorzubringen. Danach sollen Sie entscheiden, ob wir bleiben dürfen oder nicht.« »Bitte«, zeigte Grit sehr zurückhaltend auf einen Sessel, in den die Dame sich setzte und den Jungen dicht zu sich heranzog. Blitzschnell nahmen Grit und Alix das Signalement der Fremden in sich auf: Die Frau, gutaussehend, mit vornehmer Eleganz gekleidet, sehr gewandt – unbedingt Dame. Der Junge: Einfach entzückend. Jedenfalls beide vertrauenerweckend und sehr sympathisch. »Ja – ich weiß wirklich nicht, wie ich beginnen soll«, setzte die Dame verlegen an – doch schon nahm der Sohn ihr den schwierigen Anfang ab. Ehe die Mutter es verhindern konnte, trat er auf das junge Mädchen zu, legte seine Hand auf ihr Knie und fragte zutraulich: »Nicht wahr, du bist meine große Schwester Alix?« Zuerst einmal Stille, in der einer des andern Herzschlag zu hören glaubte. Und dann sprach Grit, die sich faßte: »Wie heißt du denn, kleiner Mann?« fragte sie mit einer Stimme, in der die Erregung zitterte – und prompt erfolgte die Antwort: »Ich heiße jetzt noch Winfried Härder – aber bald werde ich Winfried Grodes heißen – sagt mein Paps.« »Ja – um alles in der Welt, wer ist denn dieser Paps?« »Nun, der von Alix«, begann das Bürschchen wie selbstverständlich – und da hatten Tante und Nichte endlich begriffen. »Demnach sind Sie die Frau meines Bruders?« fragte Grit kurz. »So ist es. Und ich hoffe, daß Sie mir darum nicht gram

Page 151: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

sind.« »Ich glaube nicht«, kam die Antwort gedehnt. »Doch nun wären meine Nichte und ich Ihnen für einen ausführlichen Bericht dankbar.« Da sprach Elga denn, zuerst stockend, dann immer flüssiger. Fing mit dem Tag an, da sie in die Villa kam, und schloß mit dem heutigen. Dann war es wieder zuerst einmal still. Winfried war zur Mutter getreten und schmiegte sich ängstlich an sie. Der aufgeweckte Knabe wußte ganz genau, daß es hier um viel ging. Und dann sprach Elga weiter: »Glauben Sie mir, meine Damen, ich habe nichts unversucht gelassen, um Egon zu bewegen, Tochter und Schwester zurückzurufen. Doch es ist nicht sein Dickkopf allein, der mich jedesmal schroff abfallen ließ. Er ist vielmehr aufs tiefste verletzt, von den Seinen so schnöde im Stich gelassen worden zu sein, wie er es nennt. Dabei sehnt er sich nach seinen Lieben, was er natürlich abstreitet. Und ich kann nicht so restlos glücklich sein, wie ich es gern möchte. Schauen Sie, meine Damen, es ist ein niederdrückendes Gefühl für eine Frau, die ein Kind mit in die Ehe brachte, mit anzusehen, wie diesem Stiefkind alle Sohnesrechte eingeräumt werden, während der eigenen Tochter das Elternhaus verschlossen ist – oder besser gesagt, die es meidet. Und da ich diesen Zustand nicht länger ertragen kann, bin ich nun hier mit der herzlichen Bitte: Kehren Sie zurück, Sie werden bestimmt mit offenen Armen empfangen werden. Sie machen einen Mann damit glücklich – und seine Frau auch«, schloß sie leise. Da gaben Tante und Nichte ihre Zurückhaltung auf. Doch während letztere immer noch schwieg, sagte erstere herzlich: »Wenn es so ist, wollen wir mit meinem Bruder Frieden schließen. Unsere Ablehnung galt ja nicht seiner Heirat als solcher, sondern dem Mädchen, das er zu ehelichen

Page 152: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

gedachte. Wissen Sie darüber Bescheid?« »O ja, genau sogar. Egon selbst erzählte mir – nun, darüber sprechen wir später«, meinte sie mit einem bezeichnenden Blick auf den Jungen. »Sind wir nun in Gnaden aufgenommen?« »Und wie! Nicht wahr, Alix?« »Von Herzen gern.« »Da bin ich aber froh«, lachte Elga befreit auf. »Es war ein Canossagang für mich, doch nun freue ich mich, ihn trotz aller Hemmungen gegangen zu sein.« »Weiß Egon, daß Sie hier sind?« »Nein, er hätte diese Fahrt nie zugelassen. Er ist geschäftlich verreist und kommt heute abend wieder. Wir müssen also eilen, daß wir bis dahin zu Hause sind.« »Weiß Egon, wo er Sie finden kann?« »Ja, ich hinterließ einen Brief.« »Also, dann bleiben Sie hier«, entschied Grit kurz und bündig. »Und nun wollen wir auch die letzte Schranke niederreißen und uns als eine harmonische Familie betrachten. Wie ist Ihr – nein – dein Vorname?« »Elga.« »Schön. Sei uns herzlich willkommen, Elga. Und auch du, Bürschlein. Du hast wohl deinen Paps sehr lieb?« »O ja«, leuchtete es in den dunklen Augen auf. »Dich möchte ich auch gern liebhaben und meine große Schwester Alix. Ihr gefallt mir doch so gut.« Dieses treuherzige Bekenntnis löste fröhliches Lachen aus. Bald war man so vertraut miteinander, als kenne man sich schon lange. »Eigentlich müßten wir aber doch nach Hause fahren«, meinte Elga bedenklich, und Grit sah sie forschend an. »Du fürchtest Vorwürfe?« »Die würde ich schon gern über mich ergehen lassen. Aber ich glaube nicht, daß Egon sie mir macht. Er wird im Gegenteil glücklich über meine Vermittlung sein. Aber wie wäre es, wenn ihr unsern geliebten Dickkopf zu Hause

Page 153: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

überraschen würdet?« »Nein, Elga, so rasch geht das nicht. Wir haben hier noch etwas Schwerwiegendes zu erledigen. Was, das sollst du schon noch erfahren.« »Mutti, bleiben wir doch«, bettelte Winfried. »Ich finde es hier doch so wunderschön.« »Kind, du hast doch Schule.« »Aber nur noch einige Tage, dann gibt es Herbstferien. Mein Lehrer drückt da gern ein Auge zu, weil ich in der Schule so prima stehe. Ich weiß bestimmt mehr als meine Mitschüler.« »Ei, Winfried, nicht überheblich werden«, warnte die Mutter, und da senkte der dunkle Lockenkopf sich beschämt. »Na schön, bleiben wir. Das heißt, wenn wir nicht stören.« »Das wäre!« lachte Alix fröhlich. »Seit wann stören denn Mutter und Bruder?« »Ich danke dir für dieses liebe Wort«, sagte Elga leise. »Jetzt kann ich erst so recht von Herzen glücklich sein.« Als Mariechen und ihr August erfuhren, wer die Gäste waren, wurden diese sofort in die guten Herzen geschlossen. Eilfertig ging erstere daran, das dritte Zimmer im Obergeschoß herzurichten. Und als Winfried schlief, suchte Elga ihre Schwägerin in deren gemütlicher Klause auf, um ihr sowie Alix zu erzählen, wie gnädig das Geschick es mit Egon Grodes gemeint, als es ihm über Daisy von Tees nebst Anhang die verblendeten Augen öffnete. Bis ins kleinste erfuhren die interessiert Lauschenden alles – auch daß der erbitterte Mann dem aufdringlichen Fräulein durch den Diener sagen ließ, es möge sich zum Teufel scheren, was von den drei Damen jetzt herzlich belacht wurde. Am nächsten Morgen fand sich dann eine vergnügte Gesellschaft am Frühstückstisch zusammen. »Ist das herrlich hier«, sagte Elga verträumt. »Rosen, nichts als Rosen. Da könnte man beinahe zum Dichter werden.« »Man ja nicht«, wehrte Grit mit komischem Entsetzen ab.

Page 154: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Wir sind nämlich recht prosaische Leute. Stimmt’s, Alix?« »Allerdings. Man gewöhnt sich leider an alles – auch an Rosenduft.« Es kam so verbittert heraus, daß Elga die Schwägerin betroffen ansah. Diese schüttelte kaum merklich den Kopf, und da schwieg die Frau. Was ging hier vor? Das sollte sie erfahren, als Alix und Winfried zum See gingen, um zu baden. Grit sprach sich so recht ihren Kummer vom Herzen, wie man es bei einem Menschen tut, dem man vertraut. Elga hörte mit tiefem Mitgefühl zu, um dann zu sagen: »Also hat diese niederträchtige Daisy sich an der Tochter des Mannes gerächt, der sie so brüsk abfallen ließ. Und was soll nun werden? Liebt Alix etwa den Baron?« »Ich glaube, es ist so.« »Und er?« »Es ist schwer, aus dem Mann klug zu werden. Aber du wirst ihn ja kennenlernen und kannst dir dann selbst ein Urteil bilden.« »Ist er wenigstens unserer bezaubernden Alix wert?« »Allerdings. Ein Edelmann der alten Schule, der nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln ritterlich ist. Das beweist schon allein seine Selbstverleugnung, mit der er für das geschmähte Mädchen eintrat.« »Du magst ihn gern, Grit?« »Sehr, Elga. Meine Ansicht ist, daß Alix keinen besseren Mann finden könnte.« »Mein Gott, wenn Egon doch hier wäre. Der würde schon einen Ausweg wissen.« Und als wäre ihres Herzens Sehnsucht stark genug, den Mann herzuzaubern, stand dieser plötzlich auf der Terrasse, wo er zuerst die Gattin mit heftigen Vorwürfen überhäufte, die dann unter ihren schmeichelnden Küssen allmählich abebbten. Zuerst grollte er noch ein bißchen, um dann restlos zu

Page 155: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

kapitulieren. »Ich habe nicht gewußt, welch eine Schlange ich an meinem Busen nährte«, brummte er, und schlagfertig kam es zurück: »Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben – so heißt es doch schon in der Bibel. Aber nun mal Hand aufs Herz, mein lieber Mann: Glücklich bist du ja doch, hier zu sein.« »Na schön. Gebe ich zu. Ein herrliches Fleckchen Erde, zu dem ihr geflüchtet seid. Schwester Grit, wie gefällt dir meine Frau?« »Sehr.« »Und der Junge?« »Reizender Bengel.« »Dein Glück«, tat er grimmig. »Sonst hätte ich beide sofort ins Auto gepackt und wäre auf Nimmerwiedersehen entschwunden. Wo ist der Junge denn überhaupt?« »Mit Alix im See baden.« »Ist die große Schwester gut zu ihm?« »Kann man wohl sagen«, schmunzelte Grit. »Und nun nimm Platz, du alter Brummbär. Frühstücke mal erst, damit du gemütlicher wirst.« »Da soll man auch noch gemütlich sein, wenn man vor Sehnsucht getrieben ins traute Nest zurückkehrt und es leer findet«, brummte er und wurde ganz herzlos ausgelacht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzutun. Das gute Frühstück besänftigte ihn immer mehr, so daß Alix bei ihrer Rückkehr ins Rosenhaus gewissermaßen einen windelweichen Vater vorfand. »Paps, du bist auch hier?« schrie sie auf – und dann lag sie in seinen Armen. Drückte aufschluchzend ihr Gesicht an die Brust des Mannes, dessen Blick wie ratlos zu Gattin und Schwester hinging. Rühre nicht daran – schienen die Gegenblicke zu sagen. Es ist ein wundes Herz, das bei dir Zuflucht sucht. »Ist ja schon gut, mein Mädchen«, sagte er zärtlich. »Bist und bleibst meine geliebte Älteste.« »Wirklich, Paps?«

Page 156: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Wirklich, du kleine Zweiflerin. Du bist doch Blut von meinem Blut und von dem deiner Mutter, deren Andenken ich heilig halte. Aber Winfried ist mir auch lieb. Willst du ihn als deinen Bruder anerkennen?« »Ohne weiteres, Paps, zumal du dir immer einen Sohn als Nachfolger gewünscht hast. Und Windfried ist es bestimmt wert, dein Sohn zu sein.« »Dann ist ja alles in schönster Ordnung«, polterte er, um seine Rührung zu verbergen. »Und nun halte mich nicht länger von meinem Frühstück ab, das ich mir redlich verdiente.« Man lachte wie befreit auf, wobei Alix nicht so recht mittat. Der Vater beobachtete sein Kind verstohlen, und kaum, daß es gegangen war, um mit Winfried im Auto zur Stadt zu fahren, fragte er die Schwester barsch: »Was ist mit Alix geschehen, Grit? So bittere Tränen bei meinem frohgemuten Singvögelchen können doch unmöglich auf das Wiedersehen mit mir zurückzuführen sein. Da wären Freudentränen eher am Platz gewesen. Also mal gebeichtet, Schwesterherz.« Sie tat’s – und da kochte der Mann sozusagen vor Grimm. »So eine nichtswürdige Kreatur!« stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Wo ist diese dreimalabgezogene Katze? Ich gehe hin und prügele sie zuschanden.« »Und kommst wegen Körperverletzung hinter Gitter«, bemerkte Grit trocken. »Außerdem schaffst du das Geschehene damit noch nicht aus der Welt.« »Leider«, knurrte er, sich langsam beruhigend. Die Hand, mit der er das Taschentuch zog und damit die Schweißperlen abwischte, zitterte stark. »Ich Esel«, stöhnte er. »Nun muß mein Kind das auslöffeln, was ich mir damals in meinem Irrsinn einbrockte.« »Egon, nun quäle dich doch nicht mit Selbstvorwürfen«, legte Elga ihren Arm um die Schulter des erschütterten Mannes und drückte ihre Wange an die seine, und da raffte er sich auf. »Ich fahre jetzt zu dem Baron und werde ihm mal gehörig

Page 157: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

auf den Zahn fühlen.« »Davon rate ich dir entschieden ab«, griff Grit ein. »Du hast es bei ihm nämlich mit einem Elitemenschen zu tun. Glaube nur ja nicht, daß der beglückt zu allem ja und amen sagt, was du von ihm verlangst. Dem imponiert sobald nichts. Nicht einmal das Geld deiner Tochter, weil er selbst genug davon hat. Also mische dich erst gar nicht in diese äußerst zarte Angelegenheit hinein, sondern laß die Hauptbeteiligten allein über ihre Zukunft entscheiden.« »Grit hat recht«, bestätigte Elga. »Du könntest mit deinem Eingreifen mehr schaden als nützen.« Diese eindringlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. »Na schön«, gab er nach. »Aber wenn ich diese Daisy erwische, dann soll sie was erleben. Wo hält sie sich jetzt auf, Grit? Ich habe das vorhin nicht richtig mitgekriegt.« »Bei der verwitweten * Baronin von Isenhardt, die unweit von hier wohnt.« »Was ist das für eine Frau?« »Der Tees durchaus würdig. Sie machen beide Jagd auf den Baron.« »Aha, daher ihre Gehässigkeiten Alix gegenüber. Hat die Tees meine Kleine schon vorher angegriffen?« »Nein, weil sie nie mit ihr zusammentraf. Wir wußten wohl, daß die Baronin sich von der Reise eine Freundin mitbrachte, doch wer das war, interessierte uns nicht.« »Aber um so mehr wird die Person sich für euch interessiert und somit gewußt haben, wer im Rosenhaus wohnt«, lachte er grimmig. »Also wird er euch wohlweislich aus dem Weg gegangen sein, dieser Schmierfink. Denn die Abfuhr, die ich ihm erteilte…« »Guten Morgen«, kam eine lachende Stimme vom Zaun her, über dem ein Reiter sichtbar wurde. »Ist es erlaubt einzutreten, gnädige Frau?« »Oh, bitte sehr, Herr Verwalter«, entgegnete Grit rasch gefaßt. »Bemühen Sie sich bitte auf den Hof, und geben Sie dort das Pferd ab. Ich eile Ihnen entgegen.« »Auf Flügeln der Liebe?«

Page 158: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ei, Herr Verwalter, ich sag’s der Gattin!« Lachend enteilte sie, um bald darauf mit dem Gast auf der Terrasse zu erscheinen. Grit stellte vor, und Druschmann wunderte sich nicht wenig über das plötzliche Auftauchen von Alix’ Eltern, was er sich natürlich nicht anmerken ließ. Er nahm in der Runde Platz und schmunzelte. »Wo ist sie denn nun, die kleine Braut? Zwar bin ich unschicklich im Reitdreß, wollte jedoch der erste sein, der nach den Angehörigen seinen Glückwunsch anbringt. Beim Herrn Baron ist es bereits geschehen.« Grit hatte das Gefühl, als müßte ihr der Herzschlag aussetzen vor Schreck. Also hatte Isenhardt recht vermutet, daß die Verlobung rasch bekannt werden würde. »Meine Nichte ist augenblicklich nicht hier«, bemühte sie sich ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Sie ist mit ihrem kleinen Bruder zur Stadt gefahren.« Dieser Bruder war wiederum etwas, das Druschmann überraschte. Vorher war nie von ihm sowie seinen Eltern die Rede gewesen. Da mußte irgend etwas nicht stimmen. »Das ist aber schade«, meinte er bedauernd. »Ich hätte der kleinen Alix gern das Patschchen gedrückt.« »Sie wird bald erscheinen«, tröstete Grit. »Indes stoßen wir an.« Wenig später hob der Verwalter sein Glas dem Ehepaar mit einer galanten Verbeugung entgegen. »Ein herzliches Prosit den Eltern dieser entzückenden Tochter! Das ist aber auch ein Marjellchen, olala! Kein Wunder, daß mein Herr, der bisher verschworene Junggeselle war, vor so viel Zauber kapitulieren mußte. Himmel, was habe ich für eine Freude, daß gerade unser Dornröschen Herrin von Isen wird. Und meine Frau erst! Der kullerten nur so die Freudentränen über die Backen, als sie von der Verlobung erfuhr.« »So bald schon?« warf Grit ein, während sie gespannt auf die Antwort wartete. »Ehrensache, gnädige Frau. Schon gestern mittag vernahmen wir die frohe Kunde.«

Page 159: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Durch wen?« »Durch die Wirtschafterin der Modeste. Die Ärmste flüchtete ganz verstört mit der kleinen Gela zu uns, weil im Witwenhaus der Teufel los wäre, wie sie sich ausdrückte. Da lagen sich nämlich die beiden Freundinnen buchstäblich in den Haaren, zankten sich, daß Gott erbarm. Und da sie ihre Stimmen nicht dämpften, konnte Justine hören, worum es ging – um den Herrn Baron. Eine beschimpfte die andere, daß sie ihr in die Quere gekommen, sonst wäre sie – nein sie – die Auserwählte geworden und so weiter.« »Das ist ja köstlich«, lachte Grit amüsiert. »Und was geschah dann?« »Dann erschien der Hausfreund, auf den die beiden einander so würdigen Freundinnen außerdem noch Jagd machten. Und da ging der erbitterte Streit um den Mann los, bei dem die Modeste siegte. Sie fuhr mit dem Galan in seinem protzigen Auto ab, und die andere - Daisy von Tees heißt sie wohl – blieb geschlagen zurück. Dann raffte sie sich auf und erschien im Schloß, wo mein Herr sie wahrscheinlich hinauswarf. Nicht direkt natürlich, sondern mit Worten, die zu gegebener Zeit nämlich schneiden können wie spitze Messer.« Man lachte Tränen über die launige Erzählung. Doch dann hörte Grit das Auto. Sie entschuldigte sich und eilte auf den Hof, wo Alix gerade den Wagen in den Schuppen fuhr, während Winfried der Tante entgegenlief. »Nun war’s schön, Kerlchen?« »Sehr schön. Ich habe euch auch etwas mitgebracht. Das bezahle ich natürlich von meinem Geld, Alix legte es nur aus.« Mit einer Verbeugung überreichte er Grit ein Päckchen und beeilte sich dann, auch die anderen abzugeben. Die Tante jedoch trat zu Alix, die eben den Wagen abschloß. »Mädchen, jetzt halt die Öhrchen steif«, sagte sie hastig. »Druschmann ist auf der Terrasse, um dir zur Verlobung zu gratulieren.«

Page 160: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Alix erblaßte bis in die Lippen und lehnte sich Halt suchend gegen den Wagen. »Was soll bloß werden«, stammelte sie verstört. »Ich kann doch unmöglich…« »Du mußt!« unterbrach die Tante sie energisch. »Druschmann hat, wie er verriet, seinem Herrn bereits gratuliert. Willst du nun den Mann, der so ritterlich für dich eintrat, durchaus blamieren? Das hat er doch wahrlich nicht verdient. Geh jetzt nach oben, um dich erst einmal zu beruhigen. Und nicht weinen, hörst du? Sei mein liebes tapferes Kind.« »Ach, Tante Grit…« »Na ja, ich weiß ja, wie dir zumute sein muß, Herzchen. Aber zuerst mußt du mitmachen, da hilft nichts. Später läßt sich vielleicht ein Ausweg finden.« »Wissen denn Paps und Mutz schon…?« »Ja. Doch nun muß ich gehen, sonst fällt mein langes Ausbleiben auf. Dich entschuldige ich irgendwie.« Damit eilte sie zur Terrasse zurück, wo Druschmann gerade über eine drollige Bemerkung des Knaben lachte. Dieser wandte sich nun der Eintretenden zu. »Du hast dein Päckchen noch nicht aufgemacht, Tante Grit?« fragte er enttäuscht. »Nein, mein Bengelchen, ich kam noch nicht dazu. Aber jetzt bin ich gespannt.« Sie löste rasch die Verpackung und hielt ein Kästchen in der Hand, in dem ein Fläschchen Parfüm steckte. »Oh, das ist mal hübsch.« »Nicht wahr, Tante Grit? Alix meint, so was kann eine Dame immer gebrauchen. Du hast dasselbe wie Mutti, weil ich dich nicht zurücksetzen möchte.« Man lachte über den ernsthaften kleinen Burschen, und Grit war froh, daß sich Druschmann mit ihm beschäftigte und so von Alix abgelenkt wurde. Und dann stand Alix da – und zwar in bewundernswerter Haltung. Sie brachte es sogar zu einem fröhlichen Lachen,

Page 161: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

als der Mann, nachdem er sich galant über ihre Hand geneigt hatte, schmunzelnd sagte: »Blumen habe ich nicht, das hieße ja in Dornröschens Reich soviel wie Eulen nach Athen tragen. Auch den Reitdreß muß ich entschuldigen, weil ich beim Umkleiden mein Muttchen nicht hellsichtig machen wollte, damit es mir womöglich den Rang ablief. Und ich wollte doch der erste Gratulant sein. Glücklich, gnädiges Fräulein?« »Sehr.« »Das können Sie auch«, wurde der Mann nun ernst. »Denn so prächtige Menschen wie meinen Herrn gibt es nicht viele. Das heißt, so entzückende Dornröschen auch nicht«, schloß er galant, und sie drohte ihm lachend. »Komplimente ziehen bei mir nicht, das müßten Sie doch schon wissen. Stoßen wir lieber beide an.« Hell klangen die Gläser zusammen, und die guten Wünsche, die Druschmann anbrachte, kamen aus ehrlichem Herzen. Gleich darauf verabschiedete er sich, und auch Alix zog sich zurück. Winfried ging zu Brasch, mit dem er sich bereits angefreundet hatte, und so war sozusagen die Luft rein. »Was habe ich bloß für eine Angst ausgestanden, als Alix den Verwalter hier vorfand«, sagte Elga leise. »Und dann mußte ich ihre Haltung bewundern. Was ist deine Tochter doch für ein wunderbares Menschenkind, Egon.« »Das ist sie«, brummte er. »Und deshalb wurmt es mich, daß so ein Sonnenkind eine glücklose Ehe eingehen soll, wozu es sich, dem ganzen Verhalten nach, bereits entschlossen hat.« »Weil ihr nichts anderes übrigblieb«, bemerkte Grit. »Es ist also eingetroffen, womit Isenhardt gestern schon rechnete, nämlich: daß die Verlobung rasch bekannt werden würde. Übrigens machte ich Alix vorher darauf aufmerksam, daß sie den ersten Gratulanten vorfinden würde. Also traf sie das nicht überraschend.« »Das war sehr vernünftig von dir«, lobte der Bruder, und sie

Page 162: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

lachte. »Das habe ich bei deiner Tochter schon oft sein müssen. Und nun will ich mal sehen, wo sie sich verkrochen hat, um sich mit schmerzlichen Gedanken herumzuquälen, die so ganz unnötig sind.« »Du hast ja eine merkwürdige Auffassung, meine Schwester Grit.« »Aber entschieden die richtige, mein Bruder Egon«, gab sie schlagfertig zurück. »Warten wir doch zuerst einmal ab, wie der Mann sich verhalten wird. Meiner Beobachtung nach steht er Alix nicht ganz gleichgültig gegenüber.« »Das ist aber zu wenig für ein liebendes Herz.« »Zugegeben, Elga. Mir tut Alix gewiß leid, an der ich mit meinem ganzen Herzen hänge. Und gerade deshalb will ich sie vor Unbedachtsamkeiten bewahren, wofür sie mir später bestimmt dankbar sein wird.« Damit ging sie, um gleich wiederzukommen. »Alix telefoniert«, erklärte sie ruhig. »Und lauschen möchte ich nicht gern.« »Ob sie mit dem Baron spricht?« »Wahrscheinlich, Egon.« So war es auch. Zuerst bekam Alix Frau Dieboldt an den Apparat, die mit freudezitternder Stimme zur Verlobung gratulierte – und dann klang ein sonores Organ auf: »Isenhardt.« »Ja – hier spricht – Alix Grodes. Ich möchte nur sagen – daß ich mit Ihrem -Vorschlag – einverstanden bin.« Einige Herzschläge lang war es am andern Ende still, dann kam die ruhige Antwort: »Das freut mich.« »Danke. Ferner möchte ich Ihnen noch sagen, daß meine Eltern mit meinem kleinen Bruder hier sind. Darüber bin ich Ihnen allerdings eine Erklärung schuldig.« »Aber nicht am Fernsprecher, Alix. Sieh zu, daß ich zuerst allein mit dir reden kann.« »Wo soll das sein?«

Page 163: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ich komme sofort zum Rosenhaus.« »Im Wagen?« »Ja. Also auf baldiges Wiedersehen, Alix.« »Auf Wiedersehen – Gernot.« Sie legte auf und drückte dann die Hände an die heißglühenden Wangen. Ihr Herz klopfte bang. Hatte sie nun recht gehandelt oder nicht? Das sollte Tante Grit entscheiden. Die war ja so welterfahren und klug. »Ich habe Isen angerufen«, begann sie zaghaft, während sie sich zu den anderen auf die Terrasse setzte. »War das recht, Tante Grit?« »Ja, mein Liebes«, entgegnete sie zärtlich. »Was hast du ihm gesagt?« »Daß ich einverstanden bin.« »Wie faßte er es auf?« »Mit gewohnter Gelassenheit, die wir beide ja so gut an ihm kennen. Übrigens sprach ich zuerst Frau Dieboldt, die mir herzlich gratulierte. Sie konnte vor Freude kaum sprechen. Ich sehe nun wirklich ein, daß ich die Verlobung bestehen lassen muß, weil ich Isenhardt nicht blamieren kann. Du hast mir wieder recht geraten, Tante Grit. Ich danke dir.« »Schon gut, Kleines. Und nun mach nicht so traurige Augen, laß sie lieber strahlen, dazu hast du allen Grund. Kommt er her?« »Ja, er wollte gleich abfahren.« »Na, siehst du, mein Kleines, so eilig hat er es. Da höre ich übrigens das Auto kommen. Nun geh mit Gott, mein Kind.« Da hastete Alix hinaus, drei bangende Herzen zurücklassend. In der Diele begrüßte sie den Mann und führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie ganz ungestört waren. Als er ihre Hand an die Lippen zog, sah er dabei forschend in das blasse Gesicht. »Wie töricht, Alix«, sagte er kopfschüttelnd. »Du tust ja so, als ob du ein Opferlämmchen wärest…« »Bitte nicht«, tat sie hastig ab. »Nehmen Sie Platz.«

Page 164: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Als sie saßen, begann sie sofort mit ihrer Erklärung. Sprach von der Verirrung ihres Vaters, von der Flucht ins Rosenhaus, schilderte alles ganz ausführlich, und interessiert hörte er zu. Als sie aufatmend schwieg, sagte er: »Also hat dieses Fräulein von Tees schon einmal eine unangenehme Rolle in deinem Leben gespielt. Dein Vater muß tatsächlich wie mit Blindheit geschlagen gewesen sein, aus der ein gütiges Geschick ihn noch kurz vor Toresschluß riß. Und nun eine Frage, Alix: Warst du prinzipiell gegen eine zweite Ehe deines Vaters?« »Durchaus nicht«, wehrte sie lebhaft ab. »So mißgünstig bin ich nun wahrlich nicht. Meine Abwehr galt allein dieser minderwertigen Person.« »So bist du mit seiner jetzigen Wahl zufrieden?« »Aber sehr.« »Wie stehst du zu dem Jungen?« »Den mag ich auch gern.« »Hm – aber bedenkst du auch, daß du mit diesem Stiefbruder wirst teilen müssen? Denn soviel ich deinen Worten entnehmen konnte, will dein Vater ihn adoptieren. Dadurch würde dein Erbe erheblich geschmälert.« »Na, wenn schon«, tat sie unbekümmert ab. »Mir bleibt auch so noch genug, zumal ich durch das Erbe meiner verstorbenen Mutter allein schon sehr vermögend bin. Ich freue mich, daß Paps in dem Jungen einen Nachfolger bekommt, den er sich sehnlichst wünschte. Denn auf Töchter kann man sich nie recht verlassen. Die heiraten nicht immer einen Mann, der aus der Branche ihres Vaters ist.« »Dafür lieferst du ja den schlagenden Beweis«, lachte er amüsiert. »Und nun will ich dich nicht länger aushorchen. Weißt du überhaupt, was ich damit bezwecke?« »Keine Ahnung.« »Nun, wenn du dem Knaben die Fürsorge deines Vaters nicht gegönnt, hättest du mich schwer enttäuscht. Dann wärest du eben nicht das großzügige, warmherzige

Page 165: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Menschenkind, für das ich dich gehalten habe und jetzt erst recht halten darf.« »Ach, du lieber Himmel!« lachte sie hellauf. »So habe ich denn ahnungslos eine schwerwiegende Probe bestanden. Doch was wird nun aus uns?« senkte sie jetzt verlegen das heißerrötete Gesicht. »Ein glückliches Paar – wenn du willst.« Nun ruckte der Kopf hoch, ungläubig sah sie ihn an. Und was er in diesen strahlenden Sternen las, ließ auch den letzten Zweifel schwinden. Er atmete auf, so lang und tief, als müßte er mit diesem Atemzug die Brust sprengen. Und dann griff er blitzschnell zu. Fest legten sich seine Arme um den grazilen Mädchenkörper, heiß preßten sich seine Lippen auf den weichen, jungroten Mund. »O Gott«, seufzte Alix, als er sie endlich aus den Armen ließ. »Das war ja direkt ein Überfall.« »Aber angebracht bei dir sprödem Persönchen. Wenn ich immer weiter vorsichtig sondiert hätte, säßen wir bestimmt noch heute abend hier. Böse?« »Nein, glücklich.« »Die Antwort genügt mir vollkommen. Und nun pack mit deinen Fragen aus, die dir förmlich in den Augen brennen.« »Ach, Gernot.« »Immerhin ein vielversprechender Anfang. Und weiter?« »Liebst du mich denn?« »Den Beweis dafür habe ich dir ja eben erst geliefert. Denn ein freundschaftlicher Kuß war das wahrlich nicht.« »Ja, aber – du hast es mich doch nie spüren lassen, daß du etwas für mich übrig hast.« »Das ist aber mal vorsichtig ausgedrückt«, schmunzelte er. »Liebes Kind, mein Herz brannte schon lichterloh, als ich dich das erste Mal sah.« »Und weshalb hast du mir das nicht gesagt?« »Ich werde mich hüten, mir bei dir rabiater kleiner Person einen Korb zu holen.« »Ach, Gernot!«

Page 166: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Ach, Alix! Du warst nämlich gar nicht so leicht zu durchschauen. Und wenn mich dein beherrschtes Wesen im großen und ganzen auch freut, so habe ich es doch manchmal verwünscht. Du hast es mir nicht leicht gemacht, mein Dornröschen.« »Wie klug du reden kannst«, blitzte sie ihn an, und er lachte. »Hast recht. Lassen wir jetzt mal alle Klugheit beiseite und benehmen wir uns so töricht, wie es uns als liebendem Brautpaar zukommt.« »Wo Alix nur bleibt«, sagte Elga beunruhigt. »Ich komme vor Angst und Sorge fast um. So viel kann sie dem Mann doch nicht zu sagen haben. Ob du mal nachsiehst, Grit?« »Fällt mir gar nicht ein. Die kommen schon, wenn alles gesagt ist, was gesagt werden muß.« »Deine Ruhe möchte ich haben«, knurrte Egon, der die Hände in den Hosentaschen, auf der Terrasse hin und her lief. »Es geht hier doch schließlich um das Lebensglück meines Kindes.« »Woran du nichts ändern kannst, wenn du wie besessen herumrennst.« »Laß mich in Ruhe!« Damit rannte er weiter, aber nicht mehr lange, dann blieb er wie festgewurzelt stehen. Denn was er da erblickte, hatte er nicht erwartet – seine glückstrahlende Tochter, die einen lachenden Mann hinter sich herzog. »Hier ist er, Paps«, schob sie ihm den Liebsten zu. »Gefällt er dir? Mir gefällt er doch so gut!« Damit war der Bann gebrochen. Man lachte so von Herzen froh, wie ein Mensch nur lachen kann, der endlich aus Hangen und Bangen erlöst wird. »Also, das ist er«, besah Grodes sich seinen Schwiegersohn schmunzelnd. »Potztausend noch eins! Meine Erwartung war ohnehin schon hochgeschraubt, aber nun muß ich sagen, daß sie noch übertroffen wird. Kein Wunder, daß meine Kleine ihr sprödes Herzchen so rasch verlor. Komm

Page 167: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

her, Frauchen, sieh ihn dir genau an.« Nun, Elga tat ihr Wohlgefallen zwar nicht so begeistert kund, aber wie gut er ihr gefiel, sah Gernot an ihrem herzlichen Blick. Dann kam Grit an die Reihe, die es kurz und bündig machte. Sie nahm den lachenden Mann bei den Ohren und schüttelte ihn leicht. »Verflixter Bengel!« sagte sie mit einer Stimme, in der Tränen saßen. »Bis zuletzt ließ er einen herumrätseln. War das nun nett von dir?« »Dafür können Sie sich…« »Bitte?« »Dafür kannst du dich bei deiner Nichte bedanken, Griteleinchen. Die hatte es nämlich wunderbar heraus, ihr Herzchen zu verschließen wie die Auster in der Muschel. Aber wir beide haben uns gleich gut verstanden, nicht wahr?« »Na, der hat’s aber ‘raus«, schmunzelte Grodes, der in einem Arm seine Frau, im andern die Tochter hielt. Und dann amüsierten sich alle über Mariechen, das den Kopf durch den Türspalt steckte und Augen so groß wie Teetassen bekam. »Muttchen Brasch, erstarren Sie nicht zur Salzsäule!« rief Alix ihr neckend zu. »Gratulieren Sie mir lieber zur Verlobung.« »Tue ich, tue ich«, ermunterte sich da die Gute. »Und wie gern. Na ja, zwei so feine Menschen mußten sich finden, die hat unser lieber Herrgott doch füreinander geschaffen. Glück wünsche ich, viel, viel Glück.« Dabei kullerten dicke Tränen über die prallen Wangen, die sie aber gleich energisch wegwischte und dann zur Tagesordnung überging. »Wie ist es nun mit dem Mittagessen, kann ich es servieren?« »Man immer los, Muttchen Brasch!« rief Grodes, der sich gleich den andern in bester Laune befand. »Sind Ihre Töpfe auch nicht zu klein für die jetzt so große Familie?«

Page 168: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

»Es sollen alle satt werden«, versprach Mariechen, indem sie sich hurtig in Bewegung setzte. Bevor man an der Tafel Platz nahm, gab es noch einen netten Zwischenfall mit Winfried. Nichtsahnend erschien er im Speisezimmer, stutzte beim Anblick des ihm fremden Mannes, ging dann auf ihn zu und stellte sich mit tadelloser Verbeugung ernsthaft vor. »Winfried Härder.« »Gernot lsenhardt«, verneigte dieser sich todernst, während es in Mund- und Augenwinkeln verdächtig zuckte. »Zu Gast hier?« »Eigentlich nicht«, kam die Antwort zögernd. »Ich bin hier wohl mehr zu Hause.« »Ich auch.« »Wie bitte?« »Ich auch – weil ich der Verlobte deiner Schwester Alix bin.« Zuerst fassungsloses Staunen – und dann kam es spontan heraus: »Oh, Alix, da hast du aber mal einen prima Mann erwischt! Der kann mir auch gefallen.« »Das dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen«, lachte lsenhardt gleich den andern herzlich. »Ich glaube, wir beide werden uns gut vertragen.« »Bestimmt. Wie muß ich sagen?« »Gernot.« »Nicht Onkel davor?« »Nein – du bist ja mein Schwager.« »Also denn Gernot – und ich sag’s gern.« Es war eine fröhliche Gesellschaft, die an der Tafel saß. Gegessen wurde allerdings nicht viel, dafür war man zu freudig erregt. Nur dem exquisiten Tischwein sprach man eifrig zu, was die ohnehin schon beschwingte Stimmung noch steigen ließ. Als man beim Mokka saß, kam man darauf zu sprechen, was aus dem Rosenhaus werden sollte. »Darin wohne ich natürlich weiter«, entschied Grit kurz

Page 169: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

und bündig, wogegen zuerst einmal Alix heftig protestierte: »Das gibt es nicht, du kommst zu uns nach Isen!« »Nein, sie kommt zu uns!« trumpfte der Vater dagegen. »Das ist nämlich ihr Elternhaus, und da gehört sie hin. Außerdem belegen wir das Rosenhaus mit Beschlag, in dem wir jedes Wochenende verbringen werden.« »Wenn ich das erlaube«, tat Alix sich wichtig. »Ich bin nämlich die Herrin hier.« »Das wirst du zuerst einmal in Isen sein, mein liebes Kind«, dämpfte der Verlobte ab. »Darin warten genug Pflichten deiner. Schon allein Gela…« »Gela?« fragte sie verwundert dazwischen. »Was geht die mich an?« »Sehr viel – weil du wirst Mutterstelle an ihr vertreten müssen. Denn ihre leibliche Mutter war so liebenswürdig, mir das Kind ins Haus zu schicken, bevor sie verschwand. In dem Schreiben tat sie kund, daß sie ihren Galan zu heiraten gedächte, um dann mit ihm ins Ausland zu gehen. Da könnte sie so ein kleines und dazu noch eigensinniges Kind nicht gebrauchen. Vielleicht holt sie es später…« »Pfui Teufel!« warf Grit verächtlich ein. »Die Frau ist es ja gar nicht wert, ein Kind zu haben. Ein Glück, Gernot, daß es dich hat, sonst wäre es um das Dinglein traurig bestellt.« »Allerdings. Es tut mir leid, Alix, daß du dich mit einem fremden Kind befassen mußt, aber soweit ich dich kenne, siehst du die Notwendigkeit ein.« »Selbstverständlich, Gernot. Gela ist doch so ein niedliches Kind, und erziehen werde ich es schon, zumal mir Frau Dieboldt dabei helfen wird.« »So rechnest du also damit, daß die Dame auch weiter in Isen bleibt, wenn du dort die Herrin bist?« »Natürlich – du etwa nicht? Es wäre ja direkt herzlos, wenn man die Frau, die ganz allein im Leben steht, entlassen würde. Ich werde sie noch oft genug um Rat fragen müssen, weil ich von einem Gutshaushalt überhaupt keine Ahnung habe. Ich freue mich direkt auf Frau Dieboldt und auf Gela auch.«

Page 170: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Darauf erwiderte der Mann nichts. Er griff nur nach der Hand seiner Braut und drückte sie mit unendlicher Zärtlichkeit an die Lippen. »Wer ist denn diese Gela überhaupt?« wollte Winfried wissen. »Etwa ein Kind von Alix?« »Junge, du bist wohl nicht recht gescheit!« rief die Mutter entsetzt und mußte dann doch in die stürmische Heiterkeit einstimmen. »Gela ist eine Nichte von Gernot, die von ihrer Mutter im Stich gelassen wurde.« »Pfui, das ist aber häßlich von der Mutter. Da kann die Gela froh sein, daß sie Gernot hat. Wie alt ist sie denn?« »Zwei Jahre.« »Oh, noch so klein? Aber schadet nichts, ich werde trotzdem mit ihr spielen und sie beschützen.« »Das tu nur«, streichelte der Vater gerührt den dunklen Lockenkopf. »Wir wollen sie alle liebhaben, die kleine, verlassene Gela.« »Nun bedauert die Kleine nur nicht zu sehr«, meinte Grit trocken. »Ihr persönlich konnte die Mutter keinen größeren Gefallen tun, als sie Gernot zu überlassen. Jetzt wird Gela eine sonnige Kindheit haben, die ihr bei der launenhaften, unberechenbaren und leichtfertigen Modeste bestimmt nicht beschieden gewesen wäre. Hoffentlich kümmert sie sich um ihr Kind überhaupt nicht mehr, das wäre dem nur zu Nutz und Frommen.« Jahrelang hörte man überhaupt nichts mehr von der Modeste. Und als es dann geschah, kam die Nachricht aus einem Spital im Orient, wo der Arzt beglaubigte, daß die Baronin von Isenhardt verstorben wäre. Aber jetzt war es noch nicht soweit, das geschah erst viele Jahre später. Jetzt gab es mal erst unter glücklichen Angehörigen ein glückliches Brautpaar, das im Oktober Hochzeit feiern wollte. Und es wurde ein glänzendes Hochzeitsfest, zu dem eine stattliche Anzahl von Gästen geladen war. Denn so zurückgezogen wie bisher wollte Isenhardt nun nicht mehr leben – und dieses Fest sollte der Auftakt zu weiteren

Page 171: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Festen sein. Und jeder, der es nur durfte, kam fortan gern in das gastliche Haus. Bevor das junge Paar auf die Hochzeitsreise ging, schlüpfte Alix noch rasch ins Kinderzimmer, wo die kleine Gela süß in ihrem Bettchen schlief. Vorsichtig drückte sie einen Kuß auf die Stirn, über der sich die goldenen Löcklein ringelten. »Ist sie nicht süß«, fragte sie den Gatten, der neben ihr stand und nun achselzuckend meinte: »Um das zu sein, ist sie wohl noch zu ungezogen.« »Pfui, Gernot! Was hast du denn gegen Gela?« »Ich bin eifersüchtig auf sie.« »Du hast es nötig, du mißgünstiger Mann. Du kannst mich doch schließlich nicht ganz für dich allein haben.« »Leider«, seufzte er so abgrundtief, als wäre er der bedauernswerteste Mensch unter der Sonne. »Leider vergöttern dich viel zu viel Menschen. Angefangen bei deinem vernarrten Vater, bis hinunter zu Gela und deren Betreuerin Justine. Da bleibt nun herzlich wenig für mich übrig.« »Armer Mann«, streichelte sie zärtlich seine Wange und zog ihn dann mit sich fort. Wie verschmitzte Diebe schlichen sie aus dem Schloß, damit sie nicht womöglich noch aufgehalten wurden. Im Auto, das vom Chauffeur gelenkt, langsam abrollte, schmiegte Alix sich glückselig in den Arm des Gatten. Doch dann hob sie schnuppernd das Naschen. »Das duftet hier ja so wunderbar nach Rosen.« Ehe sie noch aussprechen konnte, lag ein großer Strauß in ihrem Schoß – und eine zärtliche Stimme raunte ihr ins Ohr: »Es sind die letzten aus Dornröschens Reich. Mögen sie ein Symbol für dein Glück sein.« »Mein Glück begann, als im Frühling die ersten Rosen blühten am Rosenhaus – und im Herbst geleiten mich die letzten ins Land der Liebe.« »Das dir Sonnenkind immer bleiben möge. Was ich dazu tun kann, soll gewiß geschehen.«

Page 172: Als die Rosen blühten am Rosenhaus

Glückselig schmiegte sie sich in seinen Arm – und Amor lachte sich ins Fäustchen, weil sein Pfeil diesmal so ganze Arbeit geleistet hatte.

-ENDE-