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Lautgesetze Im Griechischen kommen nicht alle denkbaren Kombinationen von Lauten vor, sondern es gibt feste Regeln für Wortanfang, Wortmitte und Wortende. Die gegebenen Beispiele sollen lediglich die jeweilige Regel verdeutlichen oder zeigen, warum es wichtig ist, sie zu kennen. 1. In den meisten Dialekten kommt der Laut [h] nur am Wortanfang vor (und wird dann mit Spiritus Asper c bezeichnet), zum Beispiel: [ho] „der“, ἡ ὁδός [hää ho-dóß] „der Weg“, c Eρμῆς [hermääß] „Hermes“. dieser Laut ist allerdings spätestens in den ersten Jahrhunderten vor Christus ganz verschwunden, sodass der Spiritus Asper nur noch sagt: „hier wurde einstmals [h] gesprochen“. 2. Am Wortanfang stehen manchmal Konsonanten-Bündel, die in deutschen Wörtern nicht vorkommen, zum Beispiel µνήµη [mnä́ä-mää] „Gedächtnis“, πτέρυξ [pté-ryks] „Feder/Flügel“. 3. Am Wortende dürfen grundsätzlich nur folgende Laute stehen: a. Ein Vokal oder Diphthong, zum Beispiel νθρωποι [án-thrǤǤ-poi] „Menschen“ b. Ein ν oder ein ρ, zum Beispiel ν „in etwas drin“, µήτηρ „Mutter“ c. Ein [ß]-Laut, also ς (die Wortendeform von σ) oder die Kombinationen ξ [ks], ψ [ps], λς [ls] d. Ein κ/χ, aber nur bei den Wörtern ἐκ „aus“ und οὐ/οὐκ/οὐχ „nicht“. Das letztere Wort hat drei verschiedene Formen je nachdem, mit welchem Laut das nächstfolgende beginnt: οὐκ steht vor einem Vokal/Diphthong, οὐχ vor einem Vokal/Diphthong mit Spiritus Asper, also vor [h], und οὐ steht in allen anderen Fällen, also auch am Satzende. Alles anderen Konsonanten sind nicht erlaubt, ein Wort wird also niemals auf β, δ, λ, μ, ζ, π, τ, κτ, πτ, τς, ρς, νς, μς usw. enden. Alle Ausnahmen sind Fremdwörter wie Δανιήλ [da-ni-ä́äl] „Daniel“. 4. Bei Kombinationen von Plosiven (das sind βδγ πτκ φθχ) können nur gleichartige nebeneinanderstehen. Das sind: βδ, γδ κτ, πτ χθ, φθ βδομος [héb-do-moß] „der siebte“, µυγδάλη [a-myg-dá-lää] „Mandel“, ποκτείνειν [apok-tée-neen] „martern, töten, zum Tode verurteilen“, ἄοπτος [á-op-toß] „ungesehen“, χθές [khthéß] „gestern“, φθογγή [phthoŋ-gä́ä] „Stimme“ Das ist v.a. von Bedeutung bei zusammengesetzten Wörtern. Beispielsweise nimmt man das Wort γράφ-ειν [grá-pheen] „schreib-en“ und macht daraus ein Verbaladjektiv mit der Endung -τος „-t/-en“. Da man aber φ und τ nicht kombinieren darf, entsteht daraus das Wort γραπ τος „geschrieben“. Je nachdem, was danach kommt, ist also ein Laut innerhalb seiner Gruppe austauschbar: β-π-φ δ-τ-θ γ-κ-χ 5. Bei Kombinationen mit σ gibt es besondere Regeln: β-π-φ + σ wird zu ψ δ-τ-θ + σ wird zu σ (es gibt nämlich den Laut „z“ wie in Zeitung überhaupt nicht) γ-κ-χ + σ wird zu ξ ν + σ und ρ+σ geht nicht, es bleibt einer von beiden übrig und der vorangehende Vokal wird modifiziert Diese Regeln braucht man zum Beispiel zur Bildung der Zukunft, wo man häufig zwischen Stamm des Verbs und der Endung ein σ einschiebt: γράφειν [grá-pheen] „schreiben“ > γράψειν [gráp-seen=grápseen] „schreiben werden“, πείθειν [pä́i-theen] „überreden“ > πείσειν [pä́i-seen] „überreden werden“, λέγειν [lé-geen] „sagen“ > λέχειν [lék-seen=léxeen] „sagen werden“ Oder bei der Bildung der Grundform (Nominativ Singular, die Wörterbuchform) eines Substantives: λες [há-leß] „Meere“ > λς [hals] „Meer(esflut), Salz“ πτέρυγες [pté-ry-geß] „Federn/Flügel“ (Mehrzahl) > πτέρυξ [pté-ryx] „Feder/Flügel“ (weil γ+σ = ξ) ἰότητες [i-ó-tää-teß] „Ratschlüsse“ > ἰότης [i-ó-tääs] „Ratschluss“ (weil τ+σ > σ) χέδρωπες [ché-drǤǤ-peß] „Hüselfrüchte“ > χέδρωψ [ché-drǤǤps] „Hülsenfrucht“ (weil π+σ = ψ) γίγαντες [gí-gan-teß] „Riesen“ > γίγᾱς [gí-gaaß] „Riese“ (weil τ+σ > σ und ν+σ hinterlässt σ/ν) Das ν hinterlässt seine Spur dadurch, dass das α in der Grundform gelängt wird (). δαίμονες [dái-mo-neß] „Gottheiten“ > δαίμων [dái-mǤǤn] „Gottheit“ (hier bleibt nur ν übrig) Das ν hinterlässt seine Spur dadurch, dass das ο in der Grundform gelängt wird (ω). 6. Außerdem: νδρ steht statt ν+ρ Deshalb steht zu νδρες [án-dreß] „Männer“ die Einzahl νήρ [a-nä́är] „Mann“, ohne ein δ. Übung: 1. Gib zu folgenden in der Mehrzahl gegebenen Substantiven die Grundform und ihre Bedeutung an: a) bei allen verschwindet σ, letzter Vokal = η bzw. ω: ποιµένες „Hirten“ πατέρες „Väter“ Ἕλληνες „Griechen“, ῥήτορες „Redner“; b) ὀδόντες „Zähne“ (benutze ού als letzten Vokal), πίνακες „Maler“ (Mz.), νύκτες „Nächte“ (!), λπίδες „Hoffnungen“. 2. Schreibe alle in dieser Lektion und der Übung vorkommenden Wörter ab und lies sie dabei jeweils laut vor.

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Altgriechisch Lehrtext: Lautgesetze

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Lautgesetze

Im Griechischen kommen nicht alle denkbaren Kombinationen von Lauten vor, sondern es gibt feste Regeln für

Wortanfang, Wortmitte und Wortende. Die gegebenen Beispiele sollen lediglich die jeweilige Regel verdeutlichen oder

zeigen, warum es wichtig ist, sie zu kennen.

1. In den meisten Dialekten kommt der Laut [h] nur am Wortanfang vor (und wird dann mit Spiritus Asper c

bezeichnet), zum Beispiel: ὁ [ho] „der“, ἡ ὁδός [hää ho-dóß] „der Weg“, cEρμῆς [hermääß] „Hermes“.

dieser Laut ist allerdings spätestens in den ersten Jahrhunderten vor Christus ganz verschwunden, sodass der

Spiritus Asper nur noch sagt: „hier wurde einstmals [h] gesprochen“.

2. Am Wortanfang stehen manchmal Konsonanten-Bündel, die in deutschen Wörtern nicht vorkommen, zum

Beispiel µνήµη [mnää-mää] „Gedächtnis“, πτέρυξ [pté-ryks] „Feder/Flügel“.

3. Am Wortende dürfen grundsätzlich nur folgende Laute stehen:

a. Ein Vokal oder Diphthong, zum Beispiel ἄνθρωποι [án-thrǤǤ-poi] „Menschen“

b. Ein ν oder ein ρ, zum Beispiel ἐν „in etwas drin“, µήτηρ „Mutter“

c. Ein [ß]-Laut, also ς (die Wortendeform von σ) oder die Kombinationen ξ [ks], ψ [ps], λς [ls]

d. Ein κ/χ, aber nur bei den Wörtern ἐκ „aus“ und οὐ/οὐκ/οὐχ „nicht“. Das letztere Wort hat drei

verschiedene Formen je nachdem, mit welchem Laut das nächstfolgende beginnt: οὐκ steht vor einem

Vokal/Diphthong, οὐχ vor einem Vokal/Diphthong mit Spiritus Asper, also vor [h], und οὐ steht in allen

anderen Fällen, also auch am Satzende.

Alles anderen Konsonanten sind nicht erlaubt, ein Wort wird also niemals auf β, δ, λ, μ, ζ, π, τ, κτ, πτ, τς, ρς, νς, μς usw. enden. Alle Ausnahmen sind Fremdwörter wie Δανιήλ [da-ni-ääl] „Daniel“.

4. Bei Kombinationen von Plosiven (das sind βδγ πτκ φθχ) können nur gleichartige nebeneinanderstehen. Das sind:

βδ, γδ κτ, πτ χθ, φθ ἕβδομος [héb-do-moß] „der siebte“, ἀµυγδάλη [a-myg-dá-lää] „Mandel“,

ἀποκτείνειν [apok-tée-neen] „martern, töten, zum Tode verurteilen“, ἄοπτος [á-op-toß] „ungesehen“,

χθές [khthéß] „gestern“, φθογγή [phthoŋ-gää] „Stimme“ Das ist v.a. von Bedeutung bei zusammengesetzten Wörtern. Beispielsweise nimmt man das Wort γράφ-ειν [grá-pheen]

„schreib-en“ und macht daraus ein Verbaladjektiv mit der Endung -τος „-t/-en“. Da man aber φ und τ nicht kombinieren

darf, entsteht daraus das Wort γραπτος „geschrieben“.

Je nachdem, was danach kommt, ist also ein Laut innerhalb seiner Gruppe austauschbar:

β-π-φ δ-τ-θ γ-κ-χ 5. Bei Kombinationen mit σ gibt es besondere Regeln:

β-π-φ + σ wird zu ψ

δ-τ-θ + σ wird zu σ (es gibt nämlich den Laut „z“ wie in Zeitung überhaupt nicht)

γ-κ-χ + σ wird zu ξ

ν + σ und ρ+σ geht nicht, es bleibt einer von beiden übrig und der vorangehende Vokal wird modifiziert

Diese Regeln braucht man zum Beispiel zur Bildung der Zukunft, wo man häufig zwischen Stamm des Verbs

und der Endung ein σ einschiebt: γράφειν [grá-pheen] „schreiben“ > γράψειν [gráp-seen=grápseen] „schreiben werden“,

πείθειν [päi-theen] „überreden“ > πείσειν [päi-seen] „überreden werden“,

λέγειν [lé-geen] „sagen“ > λέχειν [lék-seen=léxeen] „sagen werden“ Oder bei der Bildung der Grundform (Nominativ Singular, die Wörterbuchform) eines Substantives: ἅλες [há-leß] „Meere“ > ἄλς [hals] „Meer(esflut), Salz“

πτέρυγες [pté-ry-geß] „Federn/Flügel“ (Mehrzahl) > πτέρυξ [pté-ryx] „Feder/Flügel“ (weil γ+σ = ξ)

ἰότητες [i-ó-tää-teß] „Ratschlüsse“ > ἰότης [i-ó-tääs] „Ratschluss“ (weil τ+σ > σ)

χέδρωπες [ché-drǤǤ-peß] „Hüselfrüchte“ > χέδρωψ [ché-drǤǤps] „Hülsenfrucht“ (weil π+σ = ψ)

γίγαντες [gí-gan-teß] „Riesen“ > γίγᾱς [gí-gaaß] „Riese“ (weil τ+σ > σ und ν+σ hinterlässt σ/ν)

→ Das ν hinterlässt seine Spur dadurch, dass das α in der Grundform gelängt wird (ᾱ).

δαίμονες [dái-mo-neß] „Gottheiten“ > δαίμων [dái-mǤǤn] „Gottheit“ (hier bleibt nur ν übrig)

→ Das ν hinterlässt seine Spur dadurch, dass das ο in der Grundform gelängt wird (ω).

6. Außerdem:

νδρ steht statt ν+ρ Deshalb steht zu ἄνδρες [án-dreß] „Männer“ die Einzahl ἀνήρ [a-näär] „Mann“, ohne ein δ.

Übung: 1. Gib zu folgenden in der Mehrzahl gegebenen Substantiven die Grundform und ihre Bedeutung an: a) bei allen verschwindet σ, letzter Vokal = η bzw. ω: ποιµένες „Hirten“ πατέρες „Väter“ Ἕλληνες „Griechen“, ῥήτορες „Redner“;

b) ὀδόντες „Zähne“ (benutze ού als letzten Vokal), πίνακες „Maler“ (Mz.), νύκτες „Nächte“ (!), ἐλπίδες „Hoffnungen“.

2. Schreibe alle in dieser Lektion und der Übung vorkommenden Wörter ab und lies sie dabei jeweils laut vor.