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Analysis 1 f¨ ur Physiker MA 9202 Domenico P.L. Castrigiano Vorlesungsskript WS 2009/10 erstellt von Dipl. Math. W.Kinzner Zentrum Mathematik TU M¨ unchen

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Analysis 1 fur Physiker ∗

MA 9202

Domenico P.L. Castrigiano †

∗Vorlesungsskript WS 2009/10 erstellt von Dipl. Math. W.Kinzner†Zentrum Mathematik TU Munchen

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Inhaltsverzeichnis

1 Naturliche Zahlen und vollstandige Induktion 4

2 Reelle Zahlen und Abzahlbarkeit 9

3 Komplexe Zahlen 20

4 Funktionen 25

5 Folgen 36

6 Reihen 46

7 Stetige Funktionen 55

8 Differenzierbare Funktionen 73

9 Regelfunktionen und ihr Integral 85

10 Funktionen-, Potenz- und Taylorreihen 98

11 Konvexe Funktionen 107

3

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1 Naturliche Zahlen und vollstandige Induktion

Die naturlichen Zahlen N = {1, 2, 3 . . .} werden hier als bekannt vorausgesetzt. Ihre Begrundungerfolgt mittels der Peano Axiome. Im Wesentlichen besagen diese, dass die naturlichen Zahlender Große nach angeordnet sind, d.h. 1 < 2 < 3 < . . . , und dass auf diese Weise die Menge N

durchlaufen wird, von einer naturlichen Zahl n zur nachsten n+ 1, ohne Wiederkehr.

(1) Beweisprinzip der vollstandige Induktion. Zu jeder naturlichen Zahl n ∈ N sei eineAussage A(n) gegeben. Alle Aussagen A(n), n ∈ N, sind richtig, wenn

(IA) A(1) richtig ist und, wenn

(IV) fur jedes n ∈ N, wofur A(1), A(2), . . . , A(n) gelten,

(IS) auch A(n + 1) richtig ist.

Dabei stehen IA fur Induktionsanfang, IV fur Induktionsvoraussetzung und IS fur Induktions-schluss.

(2) Beispiel. Fur jedes n ∈ N gilt die arithmetische Summenformel

1+ 2+ 3+ 4+ . . . + n =1

2n(n + 1).

Die Aussage A(n) ist die Gultigkeit dieser Formel. Z.B. A(3) : 1+ 2+ 3︸ ︷︷ ︸=6

!=1

2· 3 · (3+ 1)︸ ︷︷ ︸

=6

.

Beweis durch vollstandige Induktion.

(IA) Uberprufe A(1): Linke Seite = 1, rechte Seite = 12· 1 · (1+ 1) = 1. Also stimmt A(1).

(IV) Sei n ∈ N derart, dass A(i) fur i = 1, . . . , n richtig ist.

(IS) Zeige, dass dann auch A(n + 1) richtig ist. In der Tat:

1+ 2+ . . . + n︸ ︷︷ ︸+(n+ 1)(IV)=1

2n(n + 1) + (n + 1) = (n+ 1)

(

1

2n+ 1

)

=1

2(n + 1)(n + 2).

Das ist A(n + 1). �

(3) Beispiel. Fur jede Zahl x 6= 1 und jedes n ∈ N gilt die geometrische Summenformel

1+ x+ x2+ . . . + xn︸ ︷︷ ︸endliche geometrische Reihe

=1− xn+1

1− x.

4

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Beweis durch vollstandige Induktion.

(IA) n = 1: Linke Seite = 1+ x, rechte Seite = 1−x2

1−x=

(1−x)(1+x)1−x

= 1+ x.

(IS) Schluss von n auf n + 1:

1+ x+ x2+ . . . + xn︸ ︷︷ ︸+xn+1 (IV)

=1− xn+1

1− x+ xn+1 =

1− xn+1+ (1− x)xn+1

1− x=

=1− xn+1+ xn+1− xn+2

1− x=1− xn+2

1− x.

Also gilt in der Tat die Formel fur n + 1. �

(4) Beispiel. Fur jede Zahl x ≥ −1 und jedes n ∈ N gilt die Bernoulli-Ungleichung

(1+ x)n ≥ 1+ nx.

Beweis durch vollstandige Induktion.

(IA) n = 1: Linke Seite = (1+ x)1 = 1+ x, rechte Seite = 1+ 1 · x = 1+ x.

(IS) Schluss von n auf n+1: Nach IV ist (1+x)n ≥ 1+nx und nach Voraussetzung ist 1+x ≥ 0,weshalb

(1+ x)n+1 = (1+ x)n︸ ︷︷ ︸≥1+nx

(1+ x)︸ ︷︷ ︸

≥0

≥ (1+ nx)(1 + x) = 1+ x+ nx+ nx2︸︷︷︸≥0

≥ 1+ x+ nx = 1+ (n + 1)x.

Also gilt die Formel fur n + 1. �

Bemerkung. Die Induktion kann allgemeiner bei irgendeiner ganzen Zahl n0 beginnen. Offenbarerhalt man dann ggf. die Gultigkeit der Aussagen fur n ≥ n0.

(5) Konstruktion durch vollstandige Induktion bzw. Rekursive Definition. Jedernaturlichen Zahl n wird ein Element f(n) einer Menge X zugeordnet durch

(I) die Angabe von f(1) und

(II) eine Vorschrift, die fur jedes n ∈ N das Element f(n+1) aus den Elementen f(1), f(2), . . . , f(n)

zu bestimmen gestattet.

Im Folgenden bedeutet der Doppelpunkt bei b := a, dass die linke Seite b durch die rechte Seitea definiert wird .

(6) Beispiel. Die Potenzen xn einer Zahl x sind rekursiv definiert durch

(I) x0 := 1

(II) Rekursionsformel: xn+1 := xn · x fur jedes n ∈ N ∪ {0}.

5

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(7) Summen- und Produktzeichen. Seien n,m ganzzahlig, n > m und am, am+1, . . . , anZahlen. Folgende Schreibweisen werden verwendet:

n∑

k=m

ak := am+ am+1+ . . . + an,

n∏

k=m

ak := am · am+1 · . . . · an.

Beispiele.n∑

k=1

k = 1+ 2+ . . . + n =1

2n(n + 1) (siehe (2)),

n∑

k=0

xk = 1+ x+ x2 . . . + xn =

{1−xn+1

1−xfur x 6= 1

n + 1 fur x = 1(siehe (3)).

Der Name des Summationsindex ist unerheblich. Also ist z.B.n∑

k=m

ak =

n∑

i=m

ai.

Fur m ≤ l < n giltn∑

k=m

ak =

l∑

k=m

ak+

n∑

k=l+1

ak.

Das Indexschieben ist eine oft benutzte Umindizierung: Fur p ∈ N gilt

n∑

k=m

ak =

n+p∑

k=m+p

ak−p,

weil a(m+p)−p+ a(m+p+1)−p+ . . . + a(n+p)−p = am+ am+1+ . . . + an ist.

Fakultat und Binomialkoeffizienten

(8) Fakultat. Die Fakultat n! ist fur n ∈ N ∪ {0} rekursiv definiert durch

(I) 0! := 1

(II) (n + 1)! := n! · (n + 1).

Man erkennt:

n! = 1 · 2 · 3 · . . . · (n − 1) · n =

n∏

k=1

k.

Fur n! gibt es keine einfache Berechnungsformel wie etwa fur 1+2+ . . .+n. Die Fakultat wachstsehr rasch. Z.B. ist 1000! > 4·102568. Siehe hierzu die Stirlingsche Formel zur naherungsweisenBerechnung von n! fur große n.

(9) Satz. Die Anzahl aller Anordnungen n verschiedener Elemente ist gleich n!.

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Beweis. Die Elemente seien 1, 2, . . . , n genannt. Fur n = 1 gibt es nur eine Anordnung, namlich(1). Fur n = 2 gibt es die beiden Anordnungen (1, 2) und (2, 1). Fur n = 3 gibt es sechsAnordnungen: (1, 2, 3), (1, 3, 2), (2, 1, 3), (2, 3, 1), (3, 1, 2) und (3, 2, 1). Damit ist die Behauptungfur n = 1, 2, 3 verifiziert. Es folgt nun der Beweis durch vollstandige Induktion.

(IA) Fur n = 1 ist die Behauptung richtig. Siehe oben. — (IS) Nach (IV) gibt es n! Anord-nungen von 1, 2, . . . , n + 1, wofur 1 an der ersten Stelle steht. Ebensoviele gibt es, wofur 1 ander zweiten Stelle steht, usw. Insgesamt gibt es also (n + 1)n! = (n + 1)! Anordnungen.

(10) Definition. Eine Permutation einer Menge M ist eine eineindeutige Zuordnung derElemente von M auf sich.

Im Fall M = {1, 2, . . . , n} entspricht jeder Permutation π genau eine Anordnung (π(1), . . . , π(n))und umgekehrt.

(11) Korollar. Die Anzahl der Permutationen einer n–elementigen Menge ist n!.

(12) Definition. Seien n, k ∈ N0 mit k ≤ n. Dann bezeichne(

nk

)

(”n uber k”) die Anzahlder verschiedenen k-elementigen Teilmengen einer n–elementigen Menge. Die Zahlen

(

nk

)

heißenBinomialkoeffizienten.

Im Fall k = 1 ist die Anzahl der einelementigen Teilmengen offenbar n, also(

n1

)

= n. Weitergilt

(

nk

)

=(

nn−k

)

,weil die Komplementmenge einer k–elementigen Teilmenge n−k Elemente hat.

Die leere Menge ∅ ist die einzige Menge mit 0 Elementen. Man setzt daher(

n0

)

:= 1. Weil ∅ ⊂ ∅ist, setzt man auch

(

00

)

:= 1.

(13) Satz. Es gilt(

n

k

)

=n!

k!(n− k)!=n(n − 1) · . . . · (n − k+ 1)

k!fur 0 ≤ k ≤ n.

Beweis. Sei M = {a1, . . . , an} eine n elementige Menge. Nach (9) gibt es n! Anordnungen ihrerElemente. Die ersten k Elemente einer Anordnung ergeben eine k–elementige Teilmenge. Jedek–elementige Teilmenge kommt dabei

k!(n − k)!

mal oft vor wegen der k! bzw. (n−k)! moglichen Permutationen der ersten k bzw. letzten n−k

Elemente (erneut nach (9)). �

(14) Beispiel. Beim Lotto 6 aus 49 gibt es(

496

)

= 49·48·47·46·45·441·2·3·5·6 = 13.983.816 verschiedene

Moglichkeiten des Ankreuzens.

(15) Satz. Es gilt(

n+ 1

k

)

=

(

n

k− 1

)

+

(

n

k

)

.

Ub Beweise (15).

7

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Bemerkung. Offenbar ist (15) eine Rekursionsformel fur die Binomialkoeffizienten. Man bautdamit das Pascalsche Dreieck auf:

1

1 1

1 2 1

1 3 3 1

1 4 6 4 1

1 5 10 10 5 1...

......

......

......

......

......

Die Zeilen werden durch n = 0, 1, 2, . . . und die Positionen in einer Zeile durch k = 1, 2, 3, . . .

indiziert. So ist z.B.(

53

)

= 10.

(16) Binomische Formel. Seien a, b Zahlen und n ∈ N ∪ {0}. Dann gilt:

(a + b)n =

n∑

k=0

(

n

k

)

akbn−k =

=

(

n

0

)

bn+

(

n

1

)

abn−1+

(

n

2

)

a2bn−2+ . . . +

(

n

n

)

an =

= bn+ nabn−1+1

2n(n − 1)a2bn−2+ . . . + an.

Beweis. Der Beweis erfolgt mittels vollstandiger Induktion oder aufgrund folgender Uberlegung.Da

(a+ b)n = (a + b)(a + b) · . . . · (a + b)︸ ︷︷ ︸

n Faktoren

,

kommt nach (12) bei der Bildung alle moglichen Produkte die Potenz ak genau(

nk

)

mal oft vor,gleichzeitig entsteht dabei bn−k. �

(17) Beispiele.

(a) (a + b)5 = b5+ 5ab4+ 10a2b3+ 10a3b2+ 5a4b+ a5.

(b) (1+ x)n = 1 + nx︸ ︷︷ ︸vgl. Bernoulli Ungleichung

+n(n−1)2

x2+ . . . + nxn−1+ xn.

(c) 2n = (1 + 1)n =n∑

k=0

(

nk

)

. Daher ist nach (12) und (16) die Anzahl aller Teilmengen einer

n–elementigen Menge gleich 2n.

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2 Reelle Zahlen und Abzahlbarkeit

Im Folgenden werden wir die Pfeile ⇒, ⇐ und ⇔ verwenden. Seien A und B Aussagen. Dannbedeutet A ⇒ B, dass B gilt, wenn A gilt. Gilt zusatzlich auch die umgekehrte ImplikationA⇐ B, dann schreibt man A⇔ B und nennt A und B aquivalent.

Ausgehend von den naturlichen Zahlen N gewinnt man in naheliegender Weise die umfassenderenZahlenmengen der ganzen und der rationalen Zahlen:

(a) N0 := N ∪ {0}.

(b) Z := {0,±1,±2,±3, . . .} die Menge der ganzen Zahlen.

(c) Q := {mn

: m ∈ Z, n ∈ N} die Menge der rationalen Zahlen.

In Z hat die Gleichung x+ n = m stets eine Losung. Sie gewinnt man durch Subtrahieren, d.h.n,m ∈ Z =⇒ x = m − n ∈ Z erfullt x + n = m. Das gilt nicht in N0 ! — In Q kann manzusatzlich dividieren, d.h. r, s ∈ Q, s 6= 0 =⇒ x = r

s∈ Q erfullt die Gleichung xs = r. Das gilt

nicht in Z !

(d) Die Menge R der reellen Zahlen gewinnt man aus Q durch ”Vervollstandigung”.

In R sind weitere Gleichungen losbar, die in Q nicht erfullbar sind, wie z.B. xa = b fur je-den Exponenten a ∈ R und jeder nichtnegativen Basis b ∈ R, b ≥ 0. Wir werden bez. derVollstandigkeit drei aquivalente Eigenschaften untersuchen, geben jedoch keine Konstruktionvon R an, sondern beschreiben lediglich die Struktur von R.

Der Korper R

In R gelten die folgende Regeln fur Addition und Multiplikation.

(K1) a + b = b+ a, ab = ba Kommutativitat von Addition und Multiplikation.

(K2) (a + b) + c = a+ (b+ c), (ab)c = a(bc) Assoziativitat von Addition und Multiplikation.

(K3) Die Gleichungen x+ a = b und xc = b falls c 6= 0 sind losbar.

(K4) a(b + c) = ab + ac Distributivgesetz bez. Addition und Multiplikation.

Die Regeln der vier Grundrechnungsarten folgen aus (K1)–(K4). Beispielsweise gilt − 0 = 0 undab = 0⇐⇒ a = 0 oder b = 0.

Die Eigenschaften (K1)-(K4) heißen Korperaxiome. Da sie fur R gelten, ist R ein Korper.(K1)–(K4) gelten auch innerhalb Q. Damit ist Q selbst ein Korper, ein Unterkorper von R.Die Menge R \ Q heißt die Menge der irrationalen Zahlen. Sie ist kein Unterkorper von R.

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Anordnung in R

Sei a ∈ R. a > 0 heißt ”a ist positiv” oder ”a ist großer als Null”, a < 0 heißt ”a ist negativ”oder ”a ist kleiner als Null”.

Anordnungsaxiome

(A1) Fur jedes a ∈ R gilt eine der Relationen, entweder a > 0 oder a = 0 oder a < 0.

(A2) Fur jedes a > 0, b > 0 gelten a+ b > 0 und ab > 0.

(A3) Zu jedem a ∈ R existiert n ∈ N derart, dass n− a > 0 (Archimedisches Axiom).

Man verwendet folgende Bezeichnungen und Sprechweisen. R+ := {x ∈ R : x positiv} und R− :=

{x ∈ R : x negativ} steht fur die Menge der positiven bzw. negativen reellen Zahlen. Fur a, b ∈ R

bedeutet a > b, in Worten ”a großer b”, dass b− a > 0. Weiter bedeutet b < a ”b kleiner a”,dass a > b, und a ≤ b ”a kleiner gleich b”, dass a < b oder a = b. Schließlich nennt man ”anichtnegativ”, wenn a ≥ 0.

Alle Regeln fur das Rechnen mit Ungleichungen folgen aus (A1)-(A3). Insbesondere geltenfur alle a, b, c, d ∈ R die folgenden Aussagen.� Es trifft stets genau eine der drei Relationen a > b, a = b, a < b zu.� Es gilt die Transitivitat: a > b, b > c =⇒ a > c.� Sei a > b. Dann gelten:

1

a<1

bfalls b > 0

a + c < b+ c fur jedes c, insbesondere ist − a < 0 falls a > 0,

ac > bc falls c > 0 und ac < bc falls c < 0. (!)� Seien a > b und c > d. Dann gilt

a + c > b+ d stets und ac > bd falls b > 0, d > 0.� Fur jedes a 6= 0 ist a2 > 0.� Jedes n ∈ N ist positiv.

(1) Satz. Sei r ∈ R. Dann gilt:

(a) r > 1 =⇒ ∀K ∈ R ∃n ∈ N : rn > K.

(b) 0 < r < 1 =⇒ ∀ǫ > 0 ∃n ∈ N : rn < ǫ.

Bemerkung. (a) ist interessant fur große K und r nahe bei 1. Z.B. gilt also: ∃n ∈ N mit(

1+ 11.000.000

)n> 10.000.000. Wie groß muß n sein? — (b) ist interessant fur kleine ǫ und

r nahe bei 1. Z.B. gilt also: ∃n ∈ N mit(

1− 11.000.000

)n< 110.000.000

. Wie groß muß n sein?

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Beweis. (a) r = 1 + x mit x := r − 1 > 0Bernoulli Ungleichung

=⇒ rm ≥ 1 + mx ∀m ∈ N. (A3)=⇒ ∃n ∈ N mit n > K

x=⇒ nx > K. Damit ist rn > K fur dieses n.

(b) Wende (a) auf r ′ := 1r> 1 und K := 1

ǫan. Danach ∃n ∈ N mit

(

1r

)n= (r ′)n > K = 1

ǫ=⇒

ǫ > rn. �

(2) Definition. Der Absolutbetrag |a| einer reellen Zahl a ist definitionsgemaß

|a| :=

{a falls a ≥ 0,

− a falls a < 0.

(3) Satz. Fur alle a, b ∈ R gilt:

(i) a ≤ |a|,

(ii) |ab| = |a||b|,

(iii) |a + b| ≤ |a| + |b| Dreiecksungleichung,

(iv) ||a| − |b|| ≤ |a − b|.

Beweis. (i), (ii) sind offensichtlich.

(iii) a + b ≤ |a| + |b| und (−a) + (−b) ≤ |a| + |b| wegen (i). =⇒ (a + b) ≤ |a| + |b| und−(a + b) ≤ |a| + |b|, d.h. es gilt |a + b| ≤ |a| + |b|.

(iv) |a| = |a − b + b|(iii)

≤ |a − b| + |b| =⇒ |a| − |b| ≤ |a − b|. Da a nicht vor b ausgezeichnetist, durfen hier a und b vertauscht werden. Es folgt |b| − |a| ≤ |b− a| = |a − b|. Daher ist±(|a| − |b|) ≤ |a − b|, was die Behauptung ist. �

Die Vollstandigkeit von R

Die Lange l der Diagonale eines Einheitsquadrats ist keine rationale Zahl.

l

1

1

Denn angenommen es ist l = pq

mit p, q ∈ N ein gekurzter Bruch, d.h. p und q teilerfremd.

Dann folgt aus l2 = 2, dass p2 = 2q2. Deshalb ist p gerade, denn ware 2 kein Primzahlenfaktorvon p, dann auch nicht von p2. Also ist p = 2p1 mit p1 ∈ N. Damit ist 4p21 = 2q2, also 2p21 = q2,weshalb auch q gerade ist. Das widerspricht jedoch der Annahme, dass p und q teilerfremd sind.— Weil l 6∈ Q, ist l eine irrationale Zahl. Wie wir sehen werden, gibt es “mehr” irrationale Zahlenals rationale. Jedenfalls ist Q in diesem Sinn nicht vollstandig. In R ist diese Unvollstandigkeitbeseitigt.

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Die Vollstandigkeit von R druckt sich durch drei aquivalente Eigenschaften aus.

(I) Jede Intervallschachtelung hat einen nichtleeren Schnitt.

(S) Jede nach oben beschrankte Teilmenge von R hat ein Supremum.

(C) Jede Cauchy Folge in R konvergiert.

Es gelten (I) ⇐⇒ (S), (I) ⇐⇒ (C) und (S) ⇐⇒ (C). Dies wird im Folgenden erklart.

(I) Intervallschachtelung

Bezeichnungen. ∀a, b ∈ R, a < b heißt

[a, b] := {x ∈ R : a ≤ x ≤ b} abgeschlossenes

]a, b[ := {x ∈ R : a < x < b} offenes

[a, b[ := {x ∈ R : a ≤ x < b} rechts halboffenes

]a, b] := {x ∈ R : a < x ≤ b} links halboffenes

Intervall. Sei I ein solches Intervall. Dann heißen a und b die Randpunkte von I und |I| := b−a

heißt die Lange von I. — Außerdem betrachtet man die

[a,∞[ := {x ∈ R : x ≥ a} nach oben unbeschrankten

] −∞, a] := {x ∈ R : x ≤ a} nach unten unbeschrankten

abeschlossenen Intervalle und entsprechend ]a,∞[, ]−∞, a[, wobei a jeweils der Randpunkt desIntervalls ist. Schließlich setzt man ] −∞,∞[ := R.

(4) Definition. Eine Intervallschachtelung ist eine Folge I1, I2, I3, . . . , In, In+1, . . . , kurz(In)n∈N, von abgeschlossenen Intervallen In mit den Eigenschaften

(I1) In+1 ⊂ In ∀n ∈ N

(I2) ∀ ǫ > 0 ∃n ∈ N mit |In| < ǫ.

(D.h. die Intervalle liegen ineinander und ihre Langen werden beliebig klein. Naturlich kann esvorkommen, dass In+1 und In einen gemeinsamen Randpunkt haben.)

R ist vollstandig, weil das Intervallschachtelungsprinzip gilt:

(I) (In)n∈N Intervallschachtelung =⇒⋂

n∈N

In 6= ∅.

Bemerkung. Es ist⋂

n∈N

In = {x ∈ R : x ∈ In ∀n ∈ N}, also die Menge all derjenigen reellen

Zahlen, die in jedem der Intervalle In liegen.⋂

n∈N

In ist der Durchschnitt aller Intervalle.

(5) Satz. Ist (In)n∈N eine Intervallschachtelung, dann ist⋂

n∈N

In einpunktig, d.h. es liegt nur

eine reelle Zahl in allen Intervallen.

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Beweis. Sind a, b ∈ ⋂

n∈N

In, dann sind a, b ∈ In und somit |a − b| ≤ |In| fur jedes n ∈ N. Ware

also a 6= b, so hatte jedes Intervall In mindestens die Lange |a − b|, was (I2) widerspricht.

Beispiel. In := [− 1n, 1n], n ∈ N =⇒

n∈N

In = {0}.

Fur das Folgende setze r−n :=(

1r

)nfur r ∈ R, r 6= 0 und n ∈ N. Dann uberlegt man sich leicht,

dass rm+l = rmrl ∀m, l ∈ Z.

(6) Definition und Satz. Ein Dezimalbruch besteht aus einem Vorzeichen η ∈ {+,−} undeiner Folge von Zahlen aus {0, 1, . . . , 9}, die wie folgt indiziert ist:

ηdmdm−1 . . . d1d0, d−1d−2d−3 . . .

Dabei ist m ∈ N0 und dm > 0 falls m > 0. Er stellt eine reelle Zahl mittels folgender Intervall-schachtelung dar. Fur η = + und n ∈ N sei In := [an, bn] mit

an :=

m∑

i=0

di 10i

︸ ︷︷ ︸∈N0

+

n∑

j=1

d−j 10−j

︸ ︷︷ ︸∈Q∩[0,1[

und bn := an+ 10−n.

Fur η = − definiert man (In)n entsprechend.

Beweis. Sei η = +. Da |In| = 10−n, ist (I2) nach (1)(b) erfullt. Außerdem ist offensichtlichan ≤ an+1. Es gilt bn+1 ≤ bn, denn bn+1 = an+1+ 10−n−1 = an+ d−(n+1)10

−n−1+ 10−n−1 ≤an+ 10 · 10−n−1 = bn. Somit gilt auch (I1). — Der Fall η = − folgt analog.

(7) Satz. k-te Wurzeln. ∀x ∈ R+ ∀k ∈ N ∃1y ∈ R+: yk = x. Bezeichnung: y = x1k = k

√x.

Beweis. Die Eindeutigkeit ist klar, weil: 0 < y1 < y2 =⇒ yk1 < yk2. — Zur Existenz genugt es,

x < 1 anzunehmen. Den Fall x > 1 erhalt man durch Ubergang zu x ′ := 1x. Man definiert nun

einen Dezimalbruch rekursiv: Sei d0 := 0 und seien d−1, . . . , d−n bereits so definiert, dass

(i) (0, d−1 . . . d−n)k ≤ x

(ii) (0, d−1 . . . d−n+ 10−n)k > x.

Dann sei d−(n+1) ∈ {0, . . . , 9} maximal derart bestimmt, dass (0, d−1 . . . d−nd−(n+1))k ≤ x.

Damit gilt bereits (i). Ist d−(n+1) < 9, dann gilt auch (ii). Es bleibt der Fall d−(n+1) = 9. Ange-

nommen (ii) gilt nicht, d.h. es ist (0, d−1 . . . d−n 9 + 10−(n+1))k ≤ x. Da aber 0, d−1 . . . d−n 9 +

10−(n+1) = 0, d−1 . . . d−n+ 10−n, ist dies ein Widerspruch zu (ii).Sei nun y ∈ R gemaß (6) definiert durch obigen Dezimalbruch uber die zugehorige Inter-

vallschachtelung ([an, bn]). Dann ist x ∈ [akn, bkn] nach (i) und (ii). Da y ∈ [an, bn], gilt auch

yk ∈ [akn, bkn]. Es folgt x = yk, weil auch ([akn, b

kn])n∈N eine Intervallschachtelung ist. In der Tat

ist (I1) klar. Zu (I2) beachte

bk− ak = (b− a)

(

k−1∑

i=0

aibk−1−i

)

,

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was leicht aus der Summenformel zur endlichen geometrischen Reihe folgt. Damit gilt bkn−akn ≤(bn − an) · k, weil an ≤ bn ≤ 1. Weiter ist bn − an = 10−n. Nach (1) existiert zu ǫ > 0 einn ∈ N mit 10−n < ǫ

k, weshalb bkn− akn < ǫ.

(S) Supremum

(8) Definition. Eine Teilmenge M ⊂ R heißt nach oben bzw. nach unten beschrankt,wenn es ein s ∈ R gibt derart, dass x ≤ s bzw. x ≥ s fur alle x ∈M gilt. In diesem Fall heißt seine obere bzw. untere Schranke von M. Weiter heißt M beschrankt, wenn M nach obenund unten beschrankt ist.

Beispiel. Offenbar ist M := [0, 1[ beschrankt. [0, 1[ besitzt jedoch keine großte Zahl, denn istx ∈ [0, 1[, dann gilt

0 ≤ x < 1

2(1+ x) < 1,

d.h. 12(1 + x) ∈ [0, 1[ ist großer als x. Weiter ist 1 eine obere Schranke von [0, 1[ und 1 /∈ [0, 1[.

Offenbar ist aber 1 die kleinste obere Schranke von [0, 1[. Entsprechend ist 0 die kleinste untereSchranke von [0, 1[. Doch in diesem Fall ist 0 ∈ [0, 1[.

(9) Definition. Sei M ⊂ R, M 6= ∅ nach oben beschrankt. Dann heißt s ∈ R das Supremumvon M, falls s die kleinste obere Schranke von M ist, d.h. falls

(i) s obere Schranke von M ist, und

(ii) jedes s ′ < s keine obere Schranke von M ist.

Offenbar gibt es hochstens ein solches s. Man bezeichnet es mit supM. — Entsprechend ist dasInfimum die großte untere Schranke. Sie wird mit infM bezeichnet.

(10) Beispiele.

(a) Ist I ein Intervall (abgeschlossen oder offen oder halboffen) mit Randpunkten a und b,a < b, dann ist sup I = b und inf I = a.

(b) M ⊂ R hat definitionsgemaß ein Maximum m, wenn

m ∈M und m ≥ x ∀x ∈M.

Offenbar ist m eindeutig. Es wird mit maxM bezeichnet. Existiert das Maximum, dannexistiert und ist supM = maxM. Entsprechendes gilt fur das Minimum, bezeichnet mitminM.

(c) N ⊂ R ist nach dem Archimedischen Axiom nicht nach oben beschrankt. N besitzt alsokein Supremum.

(11) Satz. R hat die Supremumseigenschaft (Infimumseigenschaft): Ist M ⊂ R nichtleerund nach oben (unten) beschrankt, dann existiert supM (infM).

14

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Beweis. Es wird die Supremumseigenschaft bewiesen. Sei also ∅ 6= M ⊂ R nach oben be-schrankt. Man definiert rekursiv eine Intervallschachtelung ([an, bn])n. Sei b1 (irgendeine) obereSchranke von M und a1 keine obere Schranke von M, z.B. a1 := a − 1 fur ein a ∈ M. Seiena1, . . . , an, b1, . . . , bn bereits so definiert, dass b1, . . . , bn obere Schranken und a1, . . . , an keineobere Schranken sind. Dann sei mn := 1

2(bn+ an). Das Intervall

[an+1, bn+1] :=

{[an,mn] falls mn obere Schranke

[mn, bn] falls mn keine solche

liegt in [an, bn] und ist halb so lang. Damit ist eine Intervallschachtelung definiert. Sei nun{s} :=

n[an, bn] gemaß (I) und (5).

Man zeigt zunachst, dass s eine obere Schranke ist. Angenommen es existiert ein x ∈M mits < x. Dann existiert ein n ∈ N mit bn− an < x− s. Weil s ∈ [an, bn], folgt bn− s < x− s undsomit bn < x, weshalb bn keine obere Schranke ist. Das ist ein Widerspruch.

Man zeigt jetzt, dass s die kleinste obere Schranke ist. Angenommen es existiert eine obereSchranke s ′ < s . Dann existiert ein n ∈ N mit bn−an < s−s

′. Weil s ∈ [an, bn], folgt s−an <s− s ′ und somit an > s

′, weshalb an eine obere Schranke ist. Das ist ein Widerspruch.

(12) Bemerkung. (11) besagt: (I) =⇒ (S). Es gilt auch: (S) =⇒ (I).

Ub Beweise (S) =⇒ (I).

(13) Beispiel. Ist ∅ 6= M ⊂ Z nach oben (unten) beschrankt, dann existiert maxM (minM).

Ub Beweise (13).

(14) Satz. Q liegt dicht in R, d.h. fur jedes offene Intervall I ⊂ R gilt

I ∩ Q 6= ∅.

Mit anderen Worten: ∀ a, b ∈ R, a < b ∃ q ∈ Q : a < q < b.

Beweis. Nach dem Archimedischen Axiom gibt es q ∈ N mit 1b−a

< q, weshalb 1q< b− a. Nun

existiert nach (13) ein minimales p ∈ Z mit p > qa. Daraus folgt a < pq

= p−1q

+ 1q< a+b−a = b.

Also ist pq∈]a, b[.

Zur Eigenschaft (C), d.i. die Konvergenz von Cauchy Folgen in R, kommen wir spater.

15

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Abzahlbarkeit

(15) Definition. Seien A und B Mengen.� f : A → B sei eine Abbildung, d.h. jedem a ∈ A ist ein f(a) ∈ B zugeordnet. Manschreibt: a 7→ f(a). Fur a ∈ A nennt man b := f(a) das Bild in B von a unter f. Istb ∈ B, dann heißt a ein Urbild von b unter f, wenn b = f(a) gilt. Weiter heißen A derDefinitionsbereich und B der Bildbereich von f.

A B

f(a)a� f : A→ B heißt konstant, wenn ein b0 ∈ B existiert mit f(a) = b0 fur alle a ∈ A.� f : A→ B heißt injektiv (oder eineindeutig), wenn fur alle a ′, a ∈ A gilt: f(a) = f(a ′) =⇒

a = a ′. In Worten heißt das, dass verschiedene Elemente des Definitionsbereichs verschie-dene Bilder haben.� f : A → B heißt surjektiv, wenn zu jedem b ∈ B ein a ∈ A existiert mit f(a) = b. InWorten heißt das, dass jedes Element des Bildbereichs (mindestens) ein Urbild besitzt.

ABfa

a' b

Abbildung 2.1: f surjektiv aber nicht injektiv� f : A→ B heißt bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist. M.a.W. besitzt jedes Elementdes Bildbereichs genau ein Urbild.

AB

f

Abbildung 2.2: f bijektiv� A und B heißen gleichmachtig, wenn es eine bijektive Abbildung f : A→ B gibt.� B hat eine großere Machtigkeit als A, wenn A gleichmachtig zu einer Teilmenge von Bist, aber nicht umgekehrt. Zum Beispiel hat fur m,n ∈ N die Menge {1, . . . , n} genau danneine großere Machtigkeit als die Menge {1, . . . ,m}, wenn n > m.� A heißt abzahlbar unendlich, wenn A und N gleichmachtig sind. M.a.W. ist A abzahlbarunendlich genau dann, wenn eine bijektive Abbildung f : N→ A existiert. Zu jedem a ∈ Agibt es genau eine ”Nummer” n ∈ N mit a = f(n) und jede Nummer kommt vor.

16

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� A heißt (hochstens) abzahlbar, wenn A entweder endlich oder abzahlbar unendlich ist.

Eine Abbildung von N in eine Menge A wird oftmals mit (an)n∈N = (an)n = (an) bezeichnet.In diesem Fall heißt (an) eine Folge in A.

(16) Satz. A ⊂ N =⇒ A abzahlbar.

Beweis. Sei A nicht endlich. Es folgt die rekursive Definition einer Bijektion N → A, n 7→ an.Setze a1 := minA. Sind a1, . . . , an ∈ A bereits definiert, so setze an+1 := min(A \ {a1, . . . , an}).Die Injektivitat ist klar; die Surjektivitat gilt, weil {b ∈ A : b ≤ a} endlich ist fur jedes a ∈ A.

(17) Korollar. ∅ 6= A abzahlbar ⇐⇒ ∃ f : N→ A surjektiv.

Beweis. ”=⇒” ist klar. — Zu ”⇐=” bezeichne f−1({a}) die Menge aller Urbilder von a ∈ A

unter f und na := min f−1({a}) das kleinste dieser Urbilder. Fur N := {na : a ∈ A} ⊂ N ist dannN→ A, n 7→ f(n) offenbar eine Bijektion. Mit (16) folgt daraus die Behauptung.

(18) Definition. Seien A und B Mengen. Das kartesische Produkt A×B ist die Menge allerPaare (a, b) mit a ∈ A und b ∈ B.

Beispiele. R2 := R × R heißt die euklidische Ebene.

x

y(x, y)

N × R = {(n, x) : n ∈ N, x ∈ R} ist eine Teilmenge der euklidischen Ebene.

0 1 2 3 4

(19) Satz. Sind A und B abzahlbar, dann ist auch A× B abzahlbar.

Beweis. Man uberlege sich, dass o.E. A = B = N angenommen werden kann. Also ist zu zeigen,dass N2 := N × N abzahlbar ist. Man betrachte die folgende Bijektion:

17

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1

2

3

4

1 2 3 4

1 3 6 10

2 5 9

4 8

7

(1, 1)︸ ︷︷ ︸7→1

, (1, 2)︸ ︷︷ ︸7→2

, (2, 1)︸ ︷︷ ︸7→3

, (1, 3)︸ ︷︷ ︸7→4

, (2, 2)︸ ︷︷ ︸7→5

, (3, 1)︸ ︷︷ ︸7→6

, . . . u.s.w.

Ub Finde eine explizite Formel fur die Bijektion im Beweis von (19).

(20) Korollar. Die Vereinigung von abzahlbar vielen abzahlbaren Mengen ist abzahlbar.

Beweis. Die Behauptung folgt aus (19) mit (17), weil N× N =⋃

n∈N

{n}× N die Vereinigung von

abzahlbar unendlich vielen paarweise disjunkten abzahlbar unendlichen Mengen ist.

(21) Lemma. Z ist abzahlbar.

Beweis. Die Abbildung f : N → Z, f(n) := n2

falls n gerade und 1−n2

falls n ungerade, ist of-fensichtlich eine Bijektion.

Also ist Z zu einer echten Teilmenge von sich gleichmachtig. Genau fur endliche Mengen ist diesnicht moglich.

(22) Korollar. Q ist abzahlbar.

Beweis. Die Abbildung f : Z × N → Q, (p, q) 7→ pq, ist surjektiv. Daher folgt die Behauptung

mit (19) und (17).

(23) Satz. R ist uberabzahlbar (d.h. nicht abzahlbar).

18

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Beweis. Angenommen es gibt eine bijektive Abbildung N→ R, n 7→ xn. Man definiert rekursiveine Intervallschachtelung (In) derart, dass

xn /∈ In ∀n ∈ N. (∗)

Setze I1 := [x1+ 1, x1+ 2]. Seien I1, I2, . . . , In bereits so definiert, dass (∗) gilt. Wahle In+1 ⊂ Inein Drittel so lang mit xn+1 /∈ In+1. — Fur {s} :=

n In gibt ein k ∈ N mit xk = s ∈ Ik. Das istaber ein Widerspruch zu (∗).

(24) Korollar. R \ Q ist uberabzahlbar.

Beweis. Sonst ware R = (R \ Q) ∪ Q abzahlbar nach (20).

19

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3 Komplexe Zahlen

Die komplexen Zahlen sind definiert als die Elemente der Menge

C := R × R = R2 = {(x, y) : x ∈ R, y ∈ R}

mit folgender additiver und multiplikativer Verknupfung. Fur z = (x, y), w = (u, v) aus C ist

z+w := (x + u, y + v), zw := (xu− yv, xv+ yu).

(1) Die Menge C mit diesen beiden Verknupfungen ist ein Korper, denn es gelten (K1)–(K4)aus Kapitel 2. Das verifiziert man direkt. So gelten z.B. fur alle z ∈ C die Beziehungen

z+ (0, 0) = z, z (1, 0) = z.

Das bedeutet, dass (0, 0) das Nullelement oder die Null 0 und (1, 0) das Einselement oder dieEins 1 ist. Die inversen Elemente bez. Addition und Multiplikation sind daher

−z = (−x,−y),1

z=

(

x

x2+ y2,

−y

x2+ y2

)

fur z 6= 0.

Entscheidend fur die Einfuhrung der komplexen Zahlen ist die Beziehung

(0, 1)2 = −1.

Das bedeutet, dass (0, 1) eine Losung von z2 = −1 ist, wofur es in R keine Losung gibt. Eineweitere Losung hierfur ist dann offenbar auch −(0, 1).

(2) Schreibweisen und Bezeichnungen

z = (x, y) =: x+ iy

i := 0+ 1 · i imaginare Einheit

x := Re z Realteil von z

y := Im z Imaginarteil von z.

Seien z = x+ iy, w = u+ iv aus C. Damit lauten die Addition und die Multiplikation

z+w = (x + u) + i(y+ v), zw = xu− yv+ i(xv+ yu),

d.h. Re(z+w) = Re z+Re w, Im(z+w) = Im z+Im w. und Re(zw) = Re z Re w−Im z Im w,Im(zw) = Re z Im w+ Im z Re w. Damit laßt sich praktisch rechnen:

(x+ iy) + (u+ iv) = x+ u+ i(y + v),

(x+ iy) (u+ iv) = xu+ (iyiv) + i(xv + yu) = xu+ i2yv+ i(xv+ yu) = xu− yv + i(xv+ yu),

20

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wobei die entscheidende Beziehung

i2 = −1

von oben benutzt wurde. Speziell gilt ∀α ∈ R : αz = αx + iαy, iαz = −αy + iαx. DasRechnen mit konkreten Zahlen sieht dann z.B. so aus:

(2+ 5i)(5− 2i) = 10− (5i)(2i) − 4i+ 25i = 20+ 21i.

Weiter lauten die inversen Elemente

−z = −x− iy,1

z=

x

x2+ y2− i

y

x2+ y2fur z 6= 0.

(3) Weitere Struktur der komplexen Zahlen. Offenbar ist

{x+ i0 : x ∈ R} ⊂ C

ein Unterkorper von C, der mit R selbst identifiziert wird. Demgemaß ist R ⊂ C. Es heißt

z reell oder z ∈ R, wenn Im z = y = 0 und z rein imaginar, wenn Re z = x = 0.

Wichtig sind noch die folgenden Operationen mit komplexen Zahlen. Es heißt

z := Re z− i Im z = x− iy die zu z konjugiert komplexe Zahl,

|z| :=

(Re z)2+ (Im z)2 =√

x2+ y2 der Betrag von z.

(4) Rechenregeln zur Konjugation� Re z = 12(z+ z)� Im z = 12i

(z− z)� zz = (Re z)2+ (Im z)2� z+w = z+w� zw = z w� z = z� z reell ⇐⇒ z = z

Beweis. Die Aussagen sind leicht zu verifizieren.

(5) Rechnen mit dem Betrag� |z| > 0 ⇐⇒ z 6= 0

21

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� |z|2 = z z� |z| = |z|� |Re z| ≤ |z| und |Im z| ≤ |z|� |Re z| = |z| ⇐⇒ z reell� |zw| = |z||w|� |z +w| ≤ |z| + |w| Dreiecksungleichung

Beweis. � z z = (x+ iy)(x− iy) = x2+ iyx− ixy− (iy)2 = x2+ y2.� |zw|2 = (zw)(zw) = zwzw = (zz)(ww) = |z|2|w|2.� |z+w|2 = (z+w)(z+w) = (z+w)(z+w) = zz+ zw+ zw+ww = |z|2+ |w|2+ 2Re zw ≤|z|2+ |w|2+ 2|zw| = (|z| + |w|)2. Die letzte Gleichheit gilt weil |zw| = |z||w|.

Der restlichen Aussagen sind klar.

Das Reellmachen des Nenners dient der Ermittlung von Realteil und Imaginarteil einesBruches zweier komplexer Zahlen:

z 6= 0 :w

z=wz

zz=ux + vy+ i(vx− uy)

x2+ y2=ux + vy

x2+ y2+ ivx− uy

x2+ y2

Als Beispiel berechne Real- und Imaginarteil von 2+5i5+2i

=(2+5i)(5−2i)

25+4=10+10+i(25−4)

29= 2029

+ 2129i.

Algebraische Gleichungen fur komplexe Zahlen fuhren auf zwei Gleichungen fur Real- undImaginarteil. Als Beispiel betrachten wir die Gleichung

z2 = a+ ib. (3.1)

Sie bedeutet (x + iy)2 = a + ib mit Unbekannten x = Re z und y = Im z. Daher gilt x2 −

y2 + i2xy = a + ib, d.h. es gelten die Gleichungen x2 − y2 = a und 2xy = b. Man findet dieLosungen durch Elimination. Sei b 6= 0. Dann ist x 6= 0 und somit y = 1

2b/x. Also muss x die

biquadratische Gleichung x4−ax2−b2/4 = 0 erfullen. Von den 4 Losungen dieser Gleichung sind

nur die beiden ±[

12(√a2+ b2+ a)

]1/2

reell. Daraus ergeben sich als einzig mogliche Losungen

der Ausgangsgleichung

z = ±(

[

1

2(√

a2+ b2+ a)

]1/2

+ iβ

[

1

2(√

a2+ b2− a)

]1/2)

, (3.2)

wobei β := 1 falls b ≥ 0 und β := −1 falls b < 0. Durch direkte Rechnung pruft man nach, dassdiese in der Tat Losungen (auch im Fall b = 0) von z2 = a+ ib sind.

(6) Komplexe Zahlenebene

Komplexe Zahlen kann man durch Vektoren im R2 darstellen.

22

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b

x

iy

1

i

z

Dabei entspricht der Addition zweier komplexer Zahlen die Vektoraddition im R2, d.h. die kom-ponentenweise Addition. Dies ist unmittelbar einsichtig.

1

i

z

w

z+w

Bei der Multiplikation hingegen multiplizieren sich die Langen und die Polarwinkel addierensich. Dazu gewinnt man zunachst aus

x = Re z = |z| cosϕ, y = Im z = |z| sinϕ

mit ϕ ∈ [0, 2π[ die Darstellung von z in Polarkoordinaten

z = |z|(cosϕ + i sinϕ),

wobei |z| die Lange und ϕ der Polarwinkel des z darstellenden Vektors ist.

1

i

z

ϕ

|z|

Mit der entsprechenden Polardarstellung w = |w|(cosψ + i sinψ) fur w findet man die Polar-darstellung des Produkts

zw = |z||w|(cosϕ cosψ−sinϕ sinψ+i(sinϕ cosψ+sinψ cosϕ)) = |z||w|(cos(ϕ+ψ)+i sin(ϕ+ψ)).

1

i

zw

zw

ψ ϕ

|z|

Man beachte, dass ϕ+ψ ≥ 2π sein kann. Gegebenenfalls ist der Polarwinkel des Produkts gleich(ϕ +ψ− 2π) ∈ [0, 2π[, was geometrisch unmittelbar einsichtig ist.

23

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Wir bestimmen die Polardarstellungen von −z, z und 1/z fur z 6= 0. Da

−z = |z|(− cosϕ − i sinϕ) = |z|(cos(ϕ + π) + i sin(ϕ + π)),

ist der Polarwinkel von −z gleich ϕ + π oder ϕ − π. Entsprechend findet man

z = |z|(cosϕ− i sinϕ) = |z|(cosϕ+ i sin(−ϕ)) = |z|(cos(2π−ϕ) + i sin(2π −ϕ)),

weshalb der Polarwinkel von z gleich 2π−ϕ ist. Schließlich ist fur z 6= 0

1

z=

z

|z|2=

1

|z|2|z|(cos(2π−ϕ) + i sin(2π−ϕ)) =

1

|z|(cos(2π−ϕ) + i sin(2π −ϕ)),

d.h. die Lange von 1z

ist 1|z|

und der Polarwinkel von 1z

ist 2π−ϕ.

Schließlich losen wir die Gleichung (3.1)

z2 = r(cosϕ+ i sinϕ) (3.3)

in der Polardarstellung. Man findet sofort (vgl. (3.2))

z1 =√r(cos

ϕ

2+ i sin

ϕ

2) und z2 =

√r(cos(

ϕ

2+ π) + i sin(

ϕ

2+ π)). (3.4)

24

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4 Funktionen

(1) Definition. Eine reell– oder komplexwertige Funktion auf einer Menge X ist eineAbbildung f : X→ R bzw. f : X→ C. Im Folgenden sei K ∈ {R,C}. Man nennt� X den Definitionsbereich von f,� f(X) := {f(x) : x ∈ X} den Wertebereich von f,� graph(f) := {(x, f(x)) : x ∈ X} ⊂ X× K den Graph von f.

Ist X ⊂ R und f reellwertig, dann ist graph(f) eine Teilmenge von R2. Sie kann oftmals alsLinie in der Zeichenebene dargestellt werden, die jede Parallele zur y-Achse hochstens einmalschneidet.

b

x

f(x)

y

x

X

graph(f) = {(x, f(x)) : x ∈ X} = {y = f(x)}

(2) Beispiel. Die Gauß-Klammer [.] : R → R, x 7→ [x] ist die großte ganze Zahl ≤ x, d.h.[x] ∈ Z und x− 1 < [x] ≤ x.

b

b

b

b

−1 0 1 2 3

−1

1

2

Der Wertebereich ist Z. Der Graph

springt bei jeder ganzen Zahl x.

(3) Definition. Sei X ⊂ R. Dann heißt f : X→ R monoton wachsend, wenn

∀x, x ′ ∈ X, x < x ′ : f(x) ≤ f(x ′)

25

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und streng monoton wachsend, wenn

∀x, x ′ ∈ X, x < x ′ : f(x) < f(x ′).

Analog definiert man (streng) monoton fallend.

Beispiel. Die Gauß-Klammer ist monoton wachsend, aber nicht streng monoton wachsend.

Beispiel. Die folgenden Funktionen von C auf C heißen affine Abbildungen. Sie sind bijektiv.Seien a ∈ C, b ∈ C \ {0}:

C→ C, z 7→ a + z, Verschiebung oder Translation um a

C→ C, z 7→ bz, Drehstreckung mittels b

(4) Die Stereographische Projektion σ : R→ S1\ {i} ordnet jedem x ∈ R den Schnittpunktσ(x) der Geraden durch x und i mit der 1-Sphare (Einheitskreislinie) S1 := {z ∈ C : |z| = 1} zu.

b

b

b

b

i

xσ(x)

x ′

σ(x ′)

C

R

Ub Ermittle geometrisch die Formel σ(x) =2x+i(x2−1)

x2+1∀x ∈ R. Zeige, dass σ bijektiv ist und

berechne die Umkehrfunktion σ−1 : S1 \ {i}→ R. Dabei ist σ−1 bestimmt durch die Eigenschaftσ−1(σ(x)) = x fur alle x ∈ R.

(5) Definition. Algebraische Operationen von Funktionen werden punktweise definiert.Aus f, g : X→ K werden neue Funktionen auf X wie folgt gebildet:

f + g : X→ K, (f + g)(x) := f(x) + g(x),

fg : X→ K, (fg)(x) := f(x)g(x).

Im Fall K = C definiert man

f : X→ C, f(x) := f(x),

Ref : X→ C, (Ref)(x) := Re(f(x)),

Imf : X→ C, (Imf)(x) := Im(f(x)).

Außerdem sei, falls g(x) 6= 0 fur alle x ∈ X:

f

g: X→ K,

(

f

g

)

(x) :=f(x)

g(x).

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(6) Definition. Seien f : X → Y und g : Y → Z Abbildungen. Dann ist die komponierteAbbildung oder zusammengesetzte Abbildung g◦f : X→ Z definiert durch (g◦f)(x) := g(f(x))

fur alle x ∈ X.

X Y

Z

f

gg ◦ f

(7) Beispiel. Seien a, b, c, d ∈ C mit c 6= 0 und D := ad − bc 6= 0. Dann heißt

T : C \

{−d

c

}→ C, T(z) :=

az + b

cz+ d

gebrochen-lineare Transformation. Mit den affinen Transformationen A1 : C → C, A1(z) :=

cz + d und A2 : C→ C, A2(z) := −Dcz + a

c, sowie der Inversion I : C \ {0}→ C, I(z) := 1

zgilt

fur alle z 6= −dc:

T(z) = (A2 ◦ I ◦A1)(z),denn (A2 ◦ I ◦ A1)(z) = (A2 ◦ I)(A1(z)) = (A2 ◦ I)(cz + d) = A2(I(cz + d)) = A2

(

1cz+d

)

=

−Dc

1cz+d

+ ac

=−D+a(cz+d)

c(cz+d)= −ad+bc+acz+ad

c(cz+d)=c(az+b)

c(cz+d)= T(z).

(8) Satz zur Umkehrabbildung. Seien X, Y Mengen und f : X → Y injektiv. Dann existiertgenau eine Abbildung g : f(X)→ X mit

g(f(x)) = x fur alle x ∈ X.

Es folgt, dass f(g(y)) = y fur alle y ∈ f(X) und dass g bijektiv ist. Die Abbildung g heißt dieUmkehrabbildung von f und wird mit f−1 bezeichnet.

Beweis. Es wird zunachst die Existenz von g gezeigt. Dazu sei y ∈ f(X). Weil f injektiv ist,existiert genau ein x ∈ X mit y = f(x). Setze g(y) := x. Dann gilt g(f(x)) = x fur alle x ∈ X.— Die Eindeutigkeit von g folgt sofort aus letzterem. — Fur alle y ∈ f(X) gilt nun f(g(y)) =

f(g(f(x))) = f(x) = y. Schließlich ist g surjektiv wegen g(f(x)) = x fur alle x ∈ X und injektivwegen f(g(y)) = y fur alle y ∈ f(X).

(9) Lemma. Seien X ⊂ R und f : X→ R. Dann gilt: f streng monoton =⇒ f injektiv.

Beweis. Sei o.E. f streng monoton wachsend. Weiter sei x, x ′ ∈ X mit x 6= x ′. Dann ist o.E.x < x ′. Es folgt f(x) < f(x ′). Insbesondere ist f(x) 6= f(x ′).

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(10) Korollar. Seien X ⊂ R und f : X→ R streng monoton. Dann existiert genau eine Funktiong : f(X)→ R, die g(f(x)) = x fur alle x ∈ X erfullt. Sie ist im gleichen Sinn streng monoton wief.

Man nennt g die Umkehrfunktion von f mit Wertebereich X. (Beachte, dass g hier nach R

statt –wie in (8)– nach X (⊂ R) abbildet.) Offenbar ist graph g = {(y, x) : y = f(x), x ∈ X} dieSpiegelung von graph f an der Winkelhalbierenden. Als Beispiel betrachte f(x) := x2 fur x ≥ 0:

1

1

x

ygraph(f) = {y = x2}

Spiegelung an {x = y}

graph(g) = {y =√x}

(11) Definition. Seien X, Y Mengen und f : X→ Y. Fur jede Teilmenge M ⊂ Y ist

f−1(M) := {x ∈ X : f(x) ∈M} ⊂ X.

Damit ist f−1 : P(Y) → P(X). f−1 ist fur jede Abbildung definiert und nicht zu verwechselnmit der Umkehrabbildung einer injektiven Funktion f. Die folgenden Eigenschaften sind leichtnachzuprufen. Seien M ⊂ P(Y) und M1,M2 ∈ P(Y). Dann gelten

f−1

(

M∈MM

)

=⋃

M∈Mf−1(M),

f−1

(

M∈MM

)

=⋂

M∈Mf−1(M),

f−1(M1 \M2) = f−1(M1) \ f−1(M2).

Also ”erhalt” f−1 die mengentheoretischen Operationen.

(12) Definition rationaler Exponenten. Seeni a ∈ R+, r ∈ Q. Setze

ar :=q√ap fur r =

p

q, p ∈ Z, q ∈ N.

Es ist nachzuweisen, dass ar wohldefiniert ist, d.h. unabhangig von der Darstellung r = pq

ist. Sei also r = pkqk

fur k ∈ N und x :=qk√apk. Fur p = 0 ist x =

qk√1 = 1 und fur p < 0 ist

x =qk

(

1a

)|p|k, jeweils unabhangig von k ∈ N. Daher kann jetzt o.E. p > 0 angenommen werden.

Dann gilt xqk = apk (nach Definition von x und der qk-ten Wurzel), weshalb xq · . . . · xq︸ ︷︷ ︸k−mal

=

28

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ap · . . . · ap︸ ︷︷ ︸k−mal

, d.h. (xq)k = (ap)k. Nach dem Satz (2.7) zur k-ten Wurzel folgt daraus xq = ap.

Zieht man jetzt nach (2.7) auf beiden Seiten die q-te Wurzel, so folgt die Behauptung x = q√ap.

(13) Lemma. R+→ R, x 7→ xr wachst (fallt) streng monoton fur r > 0 (r < 0). Die Umkehr-

funktion (vgl. (10)) ist R+→ R, x 7→ x1r .

(14) Lemma. Sei a ∈ R+. Dann gilt

ar+s = aras ∀ r, s ∈ Q.

Die Beweise von (13) und (14) sind einfach.

Ub Zeichne die Graphen von x 7→ xr fur r = 2, 12, sowie fur r = −2,−1

2, jeweils in eine

Zeichnung. — Zeichne die Graphen von Q→ R, x 7→ ax fur a = 2, 12

in ein Koordinatensystem.Zeichne auch die Graphen der Umkehrfunktionen ein.

Bemerkung. Spater wird az fur a ∈ R+ und alle z ∈ C erklart.

Polynome

(15) Definition.

p :=

n∑

k=0

akXk = a0+ a1X+ a2X

2+ . . . + anXn fur n ∈ N0

heißt komplexes (reelles) Polynom in einer Unbestimmten X mit komplexen (reellen)Koeffizienten a0, . . . , an. (Fur X kann alles mogliche stehen: Zahlen, quadratische Matrizen,Operatoren etc. In jedem Fall ist X0 = 1.)

Ist n ∈ N0 und an 6= 0, dann heißt n der Grad von p. Er wird mit gradp bezeichnet. Weiter heißtin diesem Fall an der Leitkoeffizient von p. Sind alle ak = 0 dann ist p = 0 das Nullpolynom.Diesem wird kein Grad zugeordnet. Die im folgenden benutzte Sprechweise ”p ist Polynom vomGrad ≤ n (< n)” schließt jedoch p = 0 nicht aus.

C[X] (R[X]) bezeichnet die Menge aller komplexen (reellen) Polynome. Allgemeiner bezeichnetK[X] die Menge der Polynome uber einem Korper K, wie z.B. auch Q.

Sei nun q :=m∑

j=0

bjXj ein weiteres Polynom. Falls m < n, setze bm+1 = . . . = bn = 0; falls n < m

setze analog an+1 = · · · = am = 0. Dann ist

p+ q :=

max{n,m}∑

k=0

(ak+ bk)Xk,

p q :=

n+m∑

k=0

ckXk mit ck :=

i+j=k

aibj fur k = 0, . . . , n+m.

29

Page 30: An1PhMA9202 - TUM

Also sind Summen und Produkte von Polynomen wieder Polynome. Insbesondere sind es skalareVielfache. Im Fall gradp 6= gradq ist offenbar grad(p + q) = max{grad p, gradq}. Da cn+m =

anbm, folgt grad(pq) = grad p + grad q, falls p 6= 0, q 6= 0.

(16) Satz. Division mit Rest. Sei q ∈ K[X]\{0}. Dann gilt: ∀p ∈ K[X] ∃1h ∈ K[X] ∃1r ∈ K[X]:

p = hq+ r mit r = 0 oder grad r < grad q.

Beweis. Zum Nachweis der Eindeutigkeit der Darstellung nehme man an, dass auch p = h1q+r1gilt mit r1 vom Grad kleiner gradq. Dann ist hq + r = h1q + r1, weshalb (h − h1)q = r1 − r

vom Grad kleiner gradq ist. Das impliziert h− h1 = 0 und somit r− r1 = 0.Nun wird die Existenz bewiesen. Falls grad p < grad q, dann ist p = 0 · q + p bereits die

behauptete Darstellung. Sei nun

p =

n∑

k=0

akXk und q =

m∑

j=0

bjXj

mit an 6= 0, bm 6= 0 und n ≥ m = grad q. Man bilde

p1 := p−an

bmXn−mq. (⋆)

Damit ist bezweckt, dass p1 vom Grad < grad p = n ist. Falls p1 vom Grad < m ist, dann istdas Ziel erreicht. Anderenfalls ist m ≤ n1 := grad p1 < n. Dann subtrahiere man von p1 analogzu (⋆) ein Vielfaches von q, so dass die Differenz p2 vom Grad < n1 ist. Falls p2 vom Grad< m ist, dann ist das Ziel erreicht. Anderenfalls ist m ≤ n2 := grad p2 < n1. Man fahre so fort,bis schließlich nach l Schritten (mit l ≤ n −m + 1) ein Restpolynom r := pl vom Grad < mentsteht.

Ist in (16) das Restpolynom r = 0, dann heißt q ein Teiler von p. Die Polynome p 6= 0 undq 6= 0 heißen teilerfremd, wenn nur die Polynome vom Grad 0 (d.h. die konstanten Polynome6= 0) sowohl p als auch q teilen.

Sei nun in (16) speziell q = X− α mit α ∈ K. Dann gilt

p = (X− α)h+ r mit r ∈ K.

Setzt man hierin an die Stelle der Unbestimmten X die Zahl α ∈ K, so folgt r = p(α). Mannennt α ∈ K eine Nullstelle von p, wenn r = p(α) = 0. Es gilt also

(17) Lemma. Abspaltung eines Linearfaktors. Es ist α ∈ K genau dann eine Nullstellevon p, wenn p durch X− α teilbar, d.h.

p = (X− α)h.

Dabei ist entweder h = 0, p = 0 oder h 6= 0, grad p = 1+ grad h.

Hat auch h eine Nullstelle, so laßt sich ein weiterer Linearfaktor abspalten.

(18) Korollar. Jedes Polynom p 6= 0 vom Grad n ≥ 0 hat hochstens n verschiedene Nullstellen.

30

Page 31: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Der Beweis erfolgt durch vollstandige Induktion nach n = gradp. Fur n = 0 ist dieBehauptung offenkundig. Sei nun gradp= n + 1 und α eine Nullstelle von p. Nach (17) istp = (X−α)h mit gradh = n. Damit ist jede von α verschiedene Nullstelle von p eine Nullstellevon h. Die Behauptung folgt durch Anwendung der Induktionsvoraussetzung auf h.

(19) Korollar. Identitatssatz fur Polynome. Stimmen die Werte der Polynome

p = a0+ a1X+ . . . + anXn

q = b0+ b1X+ . . . + bnXn

an n + 1 verschiedenen Stellen uberein, so gilt ak = bk fur k = 0, 1, . . . , n und damit p = q.

Beweis. Das Differenzpolynom p− q hat n+ 1 verschiedene Nullstellen und ist vom Grad ≤ n.Nach (18) ist es daher das Nullpolynom.

Auf (19) beruht die Methode des Koeffizientenvergleichs. Dazu betrachten wir folgendesBeispiel.

(20) Der Allgemeine Binomialkoeffizient fur z ∈ C, k ∈ Z ist

(

z

k

)

:=

1k!z(z− 1) · . . . · (z − k+ 1) fur k > 0,

1 fur k = 0,

0 fur k < 0.

Beispielsweise ist(

−1k

)

= (−1)k und(−1

2k

)

= (−1)k1·3·5·...·(2k−1)

2kk!. — Fur n ∈ N ist

(

zn

)

ein Polynom

vom Grad n mit Leitkoeffizient 1n!

und Nullstellen 0, 1, . . . , n− 1. Damit beweisen wir das

Additionstheorem: ∀s, t ∈ C ∀n ∈ N0 gilt

n∑

k=0

(

s

k

)(

t

n− k

)

=

(

s+ t

n

)

. (⋆)

Beweis. Im ersten Schritt seien s, t ∈ N fest. Mit Hilfe der binomischen Formel erhalt man∑s+tl=0

(

s+tl

)

xl = (1 + x)s+t = (1 + s)t(1 + s)t =(∑s

i=0

(

si

)

xi)

(∑tj=0

(

tj

)

xj)

=∑i,j

(

si

)(

tj

)

xi+j =∑s+tl=0

(∑lk=0

(

sk

)(

tl−k

)

)

xl. Wegen der Gleichheit der Polynome in x liefert der Koeffizienten-

vergleich:(

s+tl

)

=∑lk=0

(

sk

)(

tl−k

)

fur alle l ∈ N0. — Im zweiten Schritt sei t ∈ N fest. In (⋆)stehen zwei Polynome in s, die nach dem ersten Schritt fur alle s ∈ N ubereinstimmen. Nach(19) folgt die Gleichheit fur alle s ∈ C. — Im letzten Schritt sei s ∈ C fest. In (⋆) stehen zweiPolynome, die nach nach dem zweiten Schritt fur alle t ∈ N ubereinstimmen. Mit (19) folgt dieBehauptung.

(21) Definition. Sei p ∈ K[X], α ∈ K und k ∈ N. Ist p durch (X − α)k aber nicht durch(X−α)k+1 teilbar, dann heißt α eine k-fache Nullstelle von p. Man setzt k = 0, falls α keineNullstelle von p ist.

31

Page 32: An1PhMA9202 - TUM

Ub Sei p ∈ K[X], p 6= 0, seien α1, . . . , αr ∈ K paarweise verschieden und sei αi eine ki-facheNullstelle von p fur i = 1, . . . , r. Zeige:

p = (X− α1)k1 · . . . · (X− αr)

krh

fur ein h ∈ K[X], h 6= 0.

(22) Zerlegung uber C in Linearfaktoren. Jedes nichtkonstante p ∈ C[X] besitzt eine Dar-stellung

p = α(X− α1)k1 · . . . · (X− αr)

kr

mit α,α1, . . . , αr ∈ C und k1, . . . , kr ∈ N. Die Darstellung ist eindeutig, wenn die αj paarweiseverschieden sind.

Beweis. Die Behauptung beweist man mit (17) und dem Fundamentalsatz der Algebra, den wirspater beweisen werden.

Fundamentalsatz der Algebra: Jedes nichtkonstante Polynom uber C hat mindestens eineNullstelle.

Reelle Polynome konnen im Allgemeinen nicht in reelle Linearfaktoren zerlegt werden. Dasfundamentale Beispiel dazu ist X2+1. Stattdessen gilt (23). Dazu dient die folgende Uberlegung.Sei p ∈ R[X]. Man fasse p als komplexes Polynom auf. Sei α ∈ C eine Nullstelle von p, d.h.p(α) = 0. Dann ist auch α Nullstelle von p, denn

p(α) =

n∑

k=0

ak︸︷︷︸∈R

(α)k =

n∑

k=0

akαk =

n∑

k=0

akαk = p(α) = 0.

Die nichtreellen Nullstellen von p treten also in Paaren konjugierter Nullstellen auf. Deshalb ist

q := (X− α)(X − α) = X2− 2(Re α)X+ |α|2 = X2+ βX+ γ mit

(

β

2

)2

< γ

ein Teiler von p. Offenbar bestimmen β, γ ∈ R mit(

β2

)2

< γ das Paar α,α eindeutig.

(23) Korollar. Jedes nichtkonstante p ∈ R[X] besitzt eine Darstellung

p = α(X− α1)k1 · . . . · (X− αr)

krql11 · . . . · qlss

mit α,αi ∈ R, i = 1, . . . , r, qj = X2+βjX+γj,(

βj2

)2

< γj, j = 1, . . . , s und k1, . . . , kr, l1, . . . , ls

∈ N. Die Darstellung ist eindeutig, wenn α1, . . . , αr und q1, . . . , qs paarweise verschieden sind.(Falls keine Linearfaktoren oder quadratische Faktoren auftreten, ist r = 0 bzw. s = 0 gesetzt.)

32

Page 33: An1PhMA9202 - TUM

Rationale Funktionen

(24) Definition. R heißt eine rationale Funktion, wenn p, q ∈ C[X] mit q 6= 0 existieren mit

R(z) =p(z)

q(z)fur alle z ∈ C \A,

wobei A eine endliche Menge ist, die die Nullstellenmenge q−1({0}) = {z ∈ C : q(z) = 0} enthalt.Sei nun p 6= 0 vorausgesetzt. Kurzt man die gemeinsamen nicht konstanten Teiler von p und qheraus, so erhalt man die gekurzte Darstellung

R =P

Q

von R, wobei P und Q teilerfremd sind. Man nennt DR := Q−1(C \ {0}) den vollstandigenDefinitionsbereich von R. Offenbar ist DR ⊃ q−1(C \ {0}) ⊃ C \A.

Wie erhalt man die gekurzte Darstellung? Sei zunachst der Zahlergrad n großer oder gleich demNennergrad m. Dann liefert die Polynomdivision (16) die Darstellung

(25) R = h+ rq,

mit dem ganzen Anteil (d.i. der Polynomanteil) g vom Grad n−m und dem Restpolynomr vom Grad < m, wobei r = 0 nicht ausgeschlossen ist.

(26) Lemma. Es gelte (25). Dann folgt:

d gemeinsamer Teiler von p und q ⇐⇒ d gemeinsamer Teiler von r und q.

Beweis. ”=⇒”: p = dp0, q = dq0 =⇒ r = p−hq = dp0−hdq0 = d(p0−hq0), d.h. d ist Teilervon r. — ”⇐=”: q = dq0, r = dr0 =⇒ p = qh+ r = dq0h+ dr0 = d(q0+hr0), d.h. d ist Teilervon p.

(27) Euklidscher Algorithmus. Die Aufgabe ist, den (bis auf einen konstanten Faktor 6= 0

eindeutig bestimmten) gemeinsamen Teiler maximalen Grads von p und q zu ermitteln. Fallsr = 0, dann ist offenbar q selbst dieser Teiler. Anderenfalls wiederholt man die Polynomdivisionfur

q

r

mit echt kleinerem Grad des Nenners, d.h. grad r < m. Nach endlich vielen Schritten ist der Restr erstmals vom Grad < 1, d.h. r ist konstant. Falls r = 0, dann wurde im letzten Schritt nach(26) durch den gesuchten Teiler geteilt. Falls r = konstant 6= 0, dann gibt es keine gemeinsamenTeiler außer den Konstanten, die immer Teiler sind. �

Ub Ermittle den gemeinsamen Teiler maximalen Grads und die gekurzte Darstellung zu

R(z) =z3− 2z2− z+ 2

3z4− 9z3+ 7z2− 3z+ 2.

33

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(28) Definition. Die Zahl α ∈ C heißt k-facher Pol der rationalen Funktion R, wenn fur eineDarstellung

R =p

q

von R gilt, dass α keine Nullstelle von p und k-fache Nullstelle von q ist. M.a.W. hat R dieDarstellung

R =p

(z− α)kh(⋆)

mit einem h ∈ C[X], wofur h(α) 6= 0.

Partialbruchzerlegung (PBZ)

(29) Lemma. Abspaltung des Hauptteils. Ist α ein k-facher Pol von R, dann existiert genaueine Zerlegung

R = H + R1

derart, dass

H(z) =λ1

z− α+

λ2

(z− α)2+ . . . +

λk

(z − α)k

mit eindeutig bestimmten λ1, . . . , λk ∈ C, λk 6= 0 und einer rationalen Funktion R1 ohne Pol inα. Man nennt H den Hauptteil von R im Punkt α.

Beweis. Fur h aus (28) gilt

p(z)

h(z)−p(α)

h(α)=p(z)h(α) − p(α)h(z)

h(z)h(α)=

(z− α)s(z)

h(z)

mit einem s ∈ C[X]. Dabei gilt die letzte Gleichheit, da α Nullstelle des Zahlerpolynoms undh(α) eine Zahl 6= 0 ist. Damit folgt

R(z)(28)=

p(z)

(z− α)kh(z)=

λk

(z − α)k+

s(z)

(z− α)k−1h(z).

Dabei ist λk :=p(α)h(α)

6= 0, weil p(α) 6= 0. Offenbar hat R := s(z−α)k−1h

in α hochstens einen

(k− 1)–fachen Pol. Man wendet nun den vorangegangenen Schritt auf R an Stelle von R an. DieExistenz der Zerlegung folgt dann nach endlich vielen Schritten. — Wir wenden uns nun derEindeutigkeit zu. Sei dazu

k∑

j=1

λj

(z− α)j+ R1(z) =

k∑

j=1

µj

(z− α)j+ S1(z).

1

Multipliziert man die Gleichung mit (z − α)k und setzt anschließend z = α, so folgt λk = µk.Nun laßt sich λk

(z−α)kauf beiden Seiten entfernen. Es folgt analog λk−1 = µk−1, u.s.w.

1λ Lambda, µ Mu

34

Page 35: An1PhMA9202 - TUM

Setze q1 := h. Aus dem Beweis von (29) folgt gemaß (28), dass

q = (X− α1)k1q1 und R1 =

p1

q1

mit α1 := α, k1 := k und mit einem gewissen Polynom p1. Wende nun (28) und (29) aufR1 = p1/q1 an, usw.

Die PBZ von R erfolgt nun so:

(1) Ermittle den ganzen Anteil g durch Polynomdivision.

(2) Ermittle die gekurzte Darstellung der verbleibenden rationalen Funktion mittels des Eu-klidschen Algorithmus. Man erhalt

R = h+p

qmit teilerfremden p, q.

(3) Faktorisiere q = (X − α1)k1 · . . . · (X − αr)

kr . Dabei sind α1, . . . , αr die verschiedenenNullstellen von q mit den Vielfachheiten k1, . . . , kr.

(4) Mache den Ansatz fur die Hauptteile H1, H2, . . . , Hr zu den Polen von R. Das bedeutet,dass die Koeffizienten λij mit j = 1, . . . , ki fur i = 1, . . . , r noch unbestimmt sind.

Wie bewiesen, gilt nun

(30) Satz. PBZ. R = g+H1+H2+ . . . +Hr. Diese Darstellung ist eindeutig.

(5) Mittels der Polynomidentitat

qR = qg+ qH1+ . . . + qHr

erhalt man die Koeffizienten der Hauptteile durch Koeffizientenvergleich und/oder durchEinsetzen bestimmter Argumente, wie den Nullstellen von q.

35

Page 36: An1PhMA9202 - TUM

5 Folgen

(1) Definition. Eine Folge (an)n∈N = (an) in K heißt konvergent, wenn ein a ∈ K existiertderart, dass

∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀n > N : |an− a| < ǫ.

Man nennt a den Grenzwert oder Limes von (an). Man sagt, dass (an) gegen a konvergiertund schreibt

a = limn→∞

an oder ann→∞−→ a.

Ist a = 0, dann heißt (an) eine Nullfolge. Ist (an) nicht konvergent, so heißt (an) divergent.

(2) Lemma. Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig.

Beweis. Es gelte ann→∞−→ a und an

n→∞−→ a ′. Angenommen es ist a 6= a ′. Dann gilt nach Defi-nition der Konvergenz fur ǫ := 1

2|a − a ′| > 0: ∃N ∈ N mit |an− a| < ǫ ∀n > N und ∃N ′ ∈

N mit |an − a ′| < ǫ ∀n > N ′. Wahle n > max{N,N ′}. Dann folgt der Widerspruch |a − a ′| ≤|a − an| + |an− a ′| < ǫ+ ǫ = 2ǫ = |a − a ′|.

Seien a ∈ C und r > 0. Dann heißt Ur(a) := {z ∈ C : |z− a| < r} die offene Kreisscheibe mitMittelpunkt a und Radius r.

b

C

a

rUr(a)

Es gilt offenbar: ann→∞−→ a⇐⇒ ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀n > N : an ∈ Uǫ(a).

(3) Satz. Elementare Grenzwerte.

1. s ∈ Q, s > 0: 1nsn→∞−→ 0.

2. a ∈ R+: n√an→∞−→ 1.

3. n√nn→∞−→ 1.

4. z ∈ C, |z| < 1: znn→∞−→ 0.

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5. z ∈ C, |z| > 1, k ∈ N: nk

znn→∞−→ 0.

Beweis. 1. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Wahle N ∈ N mit N ≥ ǫ−1s . Dann gilt fur alle n > N:

1ns

− 0∣

∣ = 1ns< 1Ns

≤ ǫ.

2. Sei zunachst a ≥ 1. Setze an := n√a−1. Dann ist an ≥ 0 und a = (1+an)

n(1.4)

≥ 1+nan ≥nan, weshalb an ≤ a

n. — Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Wahle N ∈ N mit N ≥ a

ǫ. Dann gilt

fur alle n ≥ N: | n√a−1| = an ≤ a

n< aN

≤ ǫ. — Sei jetzt a < 1. Dann gilt n√

1a

n→∞−→ 1, wie

gerade gezeigt wurde. Daher n√a = 1

nq

1a

→ 1 aufgrund der folgenden Rechenregel (4)(c).

3. Es ist an := n√n − 1 ≥ 0, weil n

√1 = 1 ≥ 1. Sei n ≥ 2. Dann gilt: n = (1 + an)

n(1.16)

≥1 +

(

n1

)

an+(

n2

)

a2n ≥ 1 +(

n2

)

a2n =⇒ n − 1 ≥ 12n(n − 1)a2n =⇒ 1 ≥ 1

2na2n =⇒ an ≤

2n.

— Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Wahle N ∈ N mit N ≥ 2ǫ2

. Dann gilt fur alle n > N:

| n√n − 1| = an ≤

2n<

2N

≤ ǫ.

4. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Nach (2.1)(b) existiert ein N ∈ N mit |z|N < ǫ. Dann gilt fur allen > N : |zn− 0| = |zn| = |z|n = |z|N |z|n−N

︸ ︷︷ ︸<1

< |z|N < ǫ.

5. Es ist∣

nk

zn− 0∣

∣ = nk

|z|n=(

nqn

)k

mit q := |z|1k > 1, weil |z| > 1. Setze a := q − 1 > 0 und

sei n ≥ 2. Dann gilt qn = (1 + a)n(1.16)

≥ 12n(n − 1)a2 und somit

(

nqn

)k

≤(

2(n−1)a2

)k

.

— Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Wahle N ∈ N mit N ≥ 1 + 2a2ǫ−1

k . Dann gilt fur alle

n > N :(

nqn

)k

<(

2(N−1)a2

)k

≤ ǫ.

(4) Rechenregeln fur Folgen in C. Es gelte an→ a und bn→ b. Dann folgt:

(a) an+ bn −→ a+ b.

(b) anbn −→ ab.

(c) Sei b 6= 0. Dann ist bn 6= 0 bis auf endlich viele n und anbn

−→ ab.

(d) |an| −→ |a|, an −→ a, Rean −→ Rea und Iman −→ Ima. Insbesondere gilt: limn→∞

an =

limn→∞

Rean+ i limn→∞

Iman.

(e) Seien an, bn ∈ R mit an ≤ bn bis auf endlich viele n. Dann gilt a ≤ b.

Beweis. (a) Sei ǫ > 0 vorgegeben. Es existieren N ∈ N mit |an− a| < ǫ2∀n > N und M ∈ N

mit |bn− b| < ǫ2∀n > M. Daraus folgt |(an + bn) − (a + b)| = |(an − a) + (bn− b)| ≤

|an− a| + |bn− b| < ǫ2

+ ǫ2

= ǫ ∀n > max{N,M}.

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Page 38: An1PhMA9202 - TUM

(b) Es ist anbn− ab = anbn− abn+ abn− ab = (an− a)bn+ a(bn− b) = (an− a)(bn−

b+b)+a(bn−b) = (an−a)(bn−b)+ (an−a)b+a(bn−b). Daraus folgt |anbn−ab| ≤|an−a||bn−b|+ |an−a||b|+ |a||bn−b|. — Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Es existieren N ∈ N

mit |an− a| <ǫ/3

1+|b|∀n > N und M ∈ N mit |bn− b| < min

{1,ǫ/3

1+|a|

}∀n > M. Dann gilt

fur alle n > max{N,M} : |anbn− ab| < ǫ3· 1+ ǫ

3+ ǫ3

= ǫ.

(c) Zu ǫ := 12|b| > 0 existiert ein N ∈ N mit |bn− b| < 1

2|b| ∀n > N. Hieraus folgt |b| − |bn| ≤

||b| − |bn||(2.3)(iv)

≤ |b − bn| <12|b| und somit |bn| >

12|b| ∀n > N. Insbesondere ist bn 6= 0

∀n > N. Weiter gilt∣

1bn

− 1b

∣=

|b−bn |

|bn ||b|< 2

|b|2|bn−b| ∀n > N. — Sei nun ǫ > 0 vorgegeben.

Es existiert ein M ∈ N mit |b − bn| <|b|2

2ǫ ∀n > M. Dann gilt fur alle n > max{N,M}:

1bn

− 1b

∣< 2

|b|2|b|2

2ǫ = ǫ. Daraus folgt 1

bn

n→∞−→ 1b. Mit Teil (b) folgt schließlich an

bn

n→∞−→ ab.

(d) Nach (2.3) ist ||an| − |a|| ≤ |an− a|. Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Es existiert ein N ∈ N mit|an− a| < ǫ ∀n > N. Dann gilt fur alle n > N: ||an| − |a|| < ǫ. Das bedeutet |an| −→ |a|.

Da |an−a| = |an− a| = |an−a|, folgt an→ a wie eben. Mit (a) und (d) folgen Rean= 12an+ 1

2an→ 1

2a+ 1

2a = Rea und analog Iman −→ Ima.

(e) Angenommen es sei a > b. Dann existiert zu ǫ := 12(a− b) ein N ∈ N, so dass a− an < ǫ

und bn−b < ǫ fur alle n > N. Hieraus folgt der Widerspruch an >12a+ 1

2b > bn ∀n > N.

Bemerkungen.

1. Nach (e) bleibt die Relation ≤ beim Grenzubergang erhalten. Nicht so <. Beispielsweisegilt fur an := 0, bn := 1

n, dass an < bn ∀n ∈ N, aber lim an = lim bn(= 0).

2. Aus (4)(d) und (4)(a) folgt: (an)n konvergent ⇐⇒ (Re an)n und (Im an)n konvergent.

(5) Einschließungsregel. Sei Bn ≤ an ≤ Cn bis auf endlich viele n, und es existiere und seilimn→∞

Bn = limn→∞

Cn. Dann konvergiert auch (an) mit lim an = lim Bn.

Beweis. Sei A := lim Bn. Offensichtlich gilt |an−A| ≤ |Bn−A|+ |Cn−A|. Sei ǫ > 0 vorgegeben.Es existiert N ∈ N mit |Bn−A| < ǫ

2, |An−A| < ǫ

2∀n > N. Damit folgt die Behauptung.

(6) Definition. (an) und (bn) heißen asymptotisch gleich, wenn bn 6= 0 bis auf endlich viele

n und an/bnn→∞−→ 1. Man schreibt: an ≃ bn fur n→∞.

Asymptotische gleiche Folgen konvergieren beide oder divergieren beide. Beispielsweise gilt furan := n2, bn := n2+ n: an

bn= n2

n2+n= 1

1+1n

→ 1. Beachte, dass (bn− an)n = (n)n divergent

ist.

(7) Definition.

38

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� Eine Teilmenge A ⊂ C heißt beschrankt, wenn ein c ∈ R existiert mit |a| ≤ c ∀a ∈ A.

Eine Teilmenge A ⊂ R heißt nach oben (unten) beschrankt, wenn ein c ∈ R existiertmit a ≤ c (a ≥ c) ∀a ∈ A.� Eine Folge (an) heißt beschrankt, wenn {an : n ∈ N} beschrankt ist, d.h. wenn ein c ∈ R

existiert derart, dass |an| ≤ c ∀n ∈ N.� Eine Folge (an) in R heißt nach oben (unten) beschrankt, wenn {an : n ∈ N} nachoben (unten) beschrankt ist, d.h. wenn ein c ∈ R existiert derart, dass an ≤ c (an ≥ c)∀n ∈ N.

Beispiel. Jede endliche Teilmenge von C ist beschrankt. — Ur(a) ist beschrankt fur jedes r > 0und a ∈ C.

(8) Lemma. Sei (an)n eine Folge in C. Dann gelten:

(a) (an) konvergent =⇒ (an) beschrankt.

(b) (an) eine Nullfolge und (bn) beschrankt =⇒ (anbn) Nullfolge.

Beweis. (a) Es gelte an → a. Dann existiert N ∈ N mit |an − a| < 1 ∀n > N. Daher ist|an| ≤ 1+ |a| ∀n > N. Es folgt |an| ≤ max{1+ |a|, |a1|, |a2|, . . . , |aN|} fur alle n ∈ N.

(b) Sei c ∈ R+ mit |bn| ≤ c ∀n ∈ N. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Es existiert N ∈ N mit |an− 0| <ǫc∀n > N. Hieraus folgt, dass |anbn− 0| ≤ |an|c <

ǫcc = ǫ fur alle n > N.

Die Umkehrung von (a) gilt nicht. Betrachte beispielsweise (an) = ((−1)n).

(9) Definition. Eine Folge (an) in R heißt monoton wachsend (fallend), wenn an ≤ an+1

(an ≥ an+1) fur alle n ∈ N.

(10) Satz. Sei (an) in R beschrankt und monoton. Dann ist (an) konvergent mit limn→∞ an =

sup{an : n ∈ N}, falls (an) wachsend und limn→∞ an = inf{an : n ∈ N}, falls (an) fallend ist.

Beweis. Sei (an) wachsend, s := sup{an : n ∈ N} und ǫ > 0 vorgegeben. Dann existiert N ∈ N

mit s−ǫ < aN. Daraus folgt fur alle n > N : s−ǫ < aN ≤ an ≤ s. Also gilt |an−s| < ǫ ∀n > N,d.h. an → s. — Ist (an) fallend, dann ist (−an) wachsend und somit −an → sup{−am : m ∈N} = − inf{am : m ∈ N}.

Ub Seien a, x0 ∈ R+. Man zeige, dass die rekursiv definierte Folge (xn) mit

xn+1 :=1

2

(

xn+a

xn

)

fur n ∈ N0 gegen√a konvergiert.

39

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(11) Definition. Sei X eine Menge, (an)n∈N eine Folge in X und (nk)k∈N eine streng monotonwachsende Folge in N. Dann heißt (ank )k∈N eine Teilfolge von (an)n∈N.

Die Folge (n)n in N und die Teilfolge (nk)k:

b b b b b b b b b b b b

n1 n2 n3 n4

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Die Folge (an)n in C und die Teilfolge (ank )k:

b

a2

b

a1

b

a5

b

a4 = an2

b

a3 = an1

b

a6

b

a9

b

a7

b

a10 = an4

b

a8 = an3. . .

Beispiel. Sei (an)n := (n2)n, d.i. die Folge 1, 4, 9, 16, 25, 36, 49, 64, . . . Sei (nk)k := (2k)k. Diezugehorige Teilfolge (ank )k ist 4, 16, 36, 64, 100, . . .

Bemerkungen.

1. Jede Folge ist Teilfolge von sich selbst. Setze dazu nk := k.

2. Es gilt k ≤ nk ∀k ∈ N.

Beweis. Da 1 ≤ n1, gilt die Behauptung fur k = 1. Aus der Induktionsvoraussetzungk ≤ nk folgt k+ 1 ≤ nk+ 1 ≤ nk+1, da (nk)k streng monoton wachsend ist.

3. Eine Teilfolge (ankl )l∈N von einer Teilfolge (ank )k∈N ist auch eine Teilfolge von (an)n∈N.

(12) Satz. Sei (an) in C konvergent und (ank ) eine Teilfolge von (an). Dann ist auch (ank )

konvergent und limk→∞

ank = limn→∞

an.

Beweis. Setze a := limn→∞

an. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Dann existiert N ∈ N mit |an − a| < ǫ fur

alle n > N. Nach obiger Bemerkung 2 ist nk > N ∀k > N. Daher ist |ank − a| < ǫ ∀k > N.

40

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b

a1

b

a2

b

a3 = an1

b

a4b

a5

b

a6 = an2b

a7 = an3

. . . b

a

(13) Satz. Sei (an) eine reelle Folge. Dann gibt es eine monotone Teilfolge (ank ) von (an).

Beweis. Sei M := {n ∈ N : ak ≤ an fur alle k ≥ n}. Es ist die Menge derjenigen Indizes n, vonwo an die Folge keinen großeren Wert mehr annimmt.

1. Fall: M ist endlich. Sei m := maxM bzw. m = 0, falls M = ∅. Definiere (nk) induktiv. Setzen1 := m + 1. Seien n1 < n2 < . . . < nk fur k ≥ 1 bereits definiert. Weil nk /∈ M, existiert einl ∈ N derart, dass l > nk und ank < al ist. Setze nk+1 := l. Offensichtlich ist (ank ) strengmonoton wachsend.

2. Fall:M ist unendlich. Definiere nun (nk) induktiv folgendermaßen. Wahle n1 := minM. Dannist n1 ∈ M. Seien n1 < . . . < nk mit n1, . . . , nk ∈ M bereits definiert. Weil M unendlich ist,existiert l ∈M mit l > nk. Setze nk+1 := l. Nach Definition von M folgt ank ≥ ank+1

. Also ist(ank ) monoton fallend.

(14) Satz von Bolzano-Weierstraß. Sei (an) in R beschrankt. Dann gibt es eine konvergentemonotone Teilfolge (ank ) von (an).

Beweis. Nach (13) gibt es eine monotone Teilfolge (ank ). Da (an) beschrankt ist, ist auch (ank )

beschrankt. Nach (10) ist (ank ) daher konvergent.

(15) Korollar. Ist (an) in C beschrankt, dann gibt es eine konvergente Teilfolge (ank ).

Beweis. Offenbar sind die Folgen (αn) := (Re an) und (βn) := Im an beschrankt. Nach (14)gibt es eine konvergente Teilfolge (αnk ). Außerdem ist (βnk ) beschrankt, da (βn) beschranktist. Wieder nach (14) gibt es eine konvergente Teilfolge (βnkl )l von (βnk ). Setze

cl := αnkl + iβnkl = ankl .

Nach (12), Bemerkung 2 nach (4) und Bemerkung 3 nach (11) ist (cl) eine konvergente Teilfolgevon (an).

(16) Definition. Sei (an) eine Folge in C und h ∈ C. Dann heißt h ein Haufungspunkt von(an), wenn jede ǫ-Umgebung Uǫ(h) von h unendlich viele Folgenglieder an enthalt, d.h. wenngilt: Fur jedes ǫ > 0 ist {n ∈ N : |an− h| < ǫ} unendlich.

41

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b

a1

b

a2

...

ban

ban+1

bb b

b

b b

bh

b

b

b

b

· · · · · · b

b

b

b

an+2 · · ·

Beispiele. � Ist (an) konvergent, dann ist liman ein Haufungspunkt von (an). Er ist sogarder einzige Haufungspunkt von (an).� (an) = (in) hat genau die Haufungspunkte 1, i,−1,−i. Beachte, dass hier {an : n ∈ N}

endlich ist.� (an) = (n) hat keinen Haufungspunkt.� Sei f : N→ Q surjektiv (ein solches f existiert, weil Q abzahlbar ist) und setze an := f(n).Dann hat (an) jede reelle Zahl als Haufungspunkt.

Ub Man beweise die Aussage des letzten Beispiels. Hinweis: Jedes Intervall enthalt unendlichviele rationale Zahlen.

Ub Sei (an) eine Folge in C derart, dass W := {an : n ∈ N} endlich ist. Dann existiert einHaufungspunkt h von (an) mit h ∈W und jeder Haufungspunkt von (an) liegt in W.

(17) Lemma. Sei (an) eine Folge in C und h ∈ C. Dann sind aquivalent:

(i) h ist Haufungspunkt von (an).

(ii) Es gibt eine Teilfolge (ank ) von (an) mit limk→∞

ank = h.

Beweis. (i) ⇒ (ii): Definiere (nk) induktiv. Fur k = 1 sei n1 ∈ N mit an1 ∈ U1(h). Seienn1, n2, . . . , nk definiert mit n1 < n2 < . . . < nk und ani ∈ U 1

i(h). Weil es unendlich viele n ∈ N

gibt mit an ∈ U 1k+1

(h), existiert ein l ∈ N mit l > nk und al ∈ U 1k+1

(h). Setze nk+1 := l. —

Zu zeigen ist ankk→∞−→ h. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Wahle K ∈ N mit K ≥ 1

ǫ. Fur jedes k > K gilt

dann 1k< 1K≤ ǫ und daher ank ∈ U 1

k(h) ⊂ Uǫ(h), d.h. |ank − h| < ǫ.

(ii) ⇒ (i): Sei ǫ > 0 vorgegeben. Dann existiert K ∈ N mit |ank − h| < ǫ ∀k > K, d.h.ank ∈ Uǫ(h) ∀k > K. Das sind unendlich viele Folgenglieder.

42

Page 43: An1PhMA9202 - TUM

(18) Korollar. Sei (an) in C beschrankt. Dann besitzt (an) einen Haufungspunkt.

(19) Definition. Sei (an) in R beschrankt. Dann heißt h∗ := sup{inf{an, an+1, . . .} : n ∈ N}

der Limes inferior und h∗ := inf{sup{an, an+1, . . .} : n ∈ N} der Limes superior von (an)

und wird mit h∗ =: lim infn→∞

an =: limn→∞an bzw. mit h∗ =: lim supn→∞

an =: limn→∞an bezeichnet.

(20) Satz. Sei (an) in R beschrankt. Dann gilt:

h∗ = limn→∞

inf{an, an+1, . . .}, h∗ = limn→∞

sup{an, an+1, . . .}.

Es ist h∗ der kleinste und h∗ der großte Haufungspunkt von (an).

Beweis. Es ist inf{ak, ak+1, . . .} =: ck ∈ R, da (an) beschrankt ist. Weiter gilt fur alle k : ck ≤ck+1 ≤ ak+1 ≤ sup{an : n ∈ N} ∈ R. Da (ck) monoton wachsend und beschrankt ist, existiertund ist h∗ = sup

k

ck = limk→∞

ck.

Zunachst wird gezeigt, dass h∗ ein Haufungspunkt ist. Es existiert ein n1 ∈ N mit an1 < c1+1.Es folgt an1 < cn1 +1. Seien n1 < n2 < . . . < nk bereits definiert mit ank < cnk + 1

k. Es existiert

ein l ∈ N, l ≥ nk+1 mit al < cnk+1+1k+1

. Hierfur gilt al < cl+1k+1

. Setze nk+1 := l. Damit ist

cnk ≤ ank < cnk + 1k, woraus ank

k→∞−→ h∗, weil cnkk→∞−→ h∗. — Nun wird gezeigt, dass h∗ der

kleinste Haufungspunkt ist. Sei h ein Haufungspunkt. Dann existiert eine Teilfolge (ank ) von

(an) mit ankk→∞−→ h. Wegen cnk

k→∞−→ h∗ und cnk ≤ ank folgt h∗ ≤ h.

Die Behauptungen zu h∗ folgen unmittelbar aus obigem wegen h∗ = − lim infn→∞

(−an).

Ub Zu (20) zeige man h∗ = − lim infn→∞

(−an).

Ub Sei (an) eine beschrankte Folge in R. Zeige: (an) konvergent ⇐⇒ lim supn→∞

an = lim infn→∞

an.

Aus letzterem folgt außerdem liman = lim supan = lim inf an.

Cauchyfolgen

(21) Definition. Eine Folge (an) in K heißt Cauchy Folge (CF), wenn gilt:

∀ǫ > 0 ∃ N ∈ N ∀n,m > N : |an− am| < ǫ.

(22) Satz. Sei (an) eine Folge in K. Dann gilt:

(an) konvergent⇐⇒ (an) ist CF.

43

Page 44: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. ”⇒”: Sei a := limn→∞

an und ǫ > 0 vorgegeben. Dann existiert n ∈ N mit |an − a| <ǫ2∀n > N. Daraus folgt fur alle n,m > N : |an− am| ≤ |an− a| + |a − am| < ǫ

2+ ǫ2

= ǫ.

”⇐”: Man zeigt zunachst, dass (an) beschrankt ist. Zu ǫ = 1 existiert ein N ∈ N mit |an−am| <

1 ∀n,m ≥ N. Dann gilt fur alle m > N : |am| = |am− aN+ aN| ≤ |am− aN| + |aN| < 1+ |aN|.Daraus folgt fur alle n ∈ N : |an| ≤ max{|a1|, . . . , |aN|, 1+ |aN|}. — Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß (14) gibt es eine konvergente Teilfolge (ank ) von (an). Sei a := lim

k→∞ank . Das folgende

Lemma zeigt an→ a.

(23) Lemma. Sei (an) eine CF in K, a ∈ K und (ank ) eine Teilfolge mit ankk→∞−→ a. Dann

gilt ann→∞−→ a.

Beweis. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Dann gibt es ein K ∈ N mit |ank − a| < ǫ2∀k > K. Außerdem

gibt es ein N ∈ N mit |an− am| < ǫ2∀n,m > N. Dann gilt fur alle k > max{N,K}:

|ak− a| ≤ |ak− ank |︸ ︷︷ ︸<ǫ2, weil k>N und nk≥k>N

+ |ank − a|︸ ︷︷ ︸<ǫ2, weil k>K

2+ǫ

2= ǫ.

Insbesondere besitzt damit R die Eigenschaft (C) aus Kapitel 2.

Ub Setze fur R statt dem Intervallschachtelungsprinzip (I) die Eigenschaft (C) voraus. Zeigedann: (C) =⇒ (I).

Damit ist die in Kapitel 2 angekundigte Aquivalenz von (I), (S) und (C) gezeigt. Jede dieserdrei Eigenschaften ist eine gleichwertige Formulierung der Vollstandigkeit von R.

Uneigentliche Konvergenz

Die ideellen Elemente −∞ und ∞ wurden bereits in Kapitel 2 eingefuhrt. Man nennt

R := R ∪ {−∞,∞}

die erweiterte Zahlengerade. Mit a ∈ R bezeichnet man [a,∞] := [a,∞[∪{∞}, [−∞, a] :=

{−∞}∪] −∞, a], [−∞,∞] =: R, sowie ]a,∞] :=]a,∞[∪{∞}, u.s.w.

(24) Definition. Fur M ⊂ R sei supM :=∞, falls M nach oben unbeschrankt ist. Analog istinfM := −∞ definiert.

Sei (an) eine Folge in R. Man sagt, (an) konvergiert uneigentlich oder divergiert be-stimmt gegen ∞ (−∞), wenn

∀c ∈ R ∃ N ∈ N ∀n > N : an > c (an < c)

und schreibt limn→∞

an = ∞ (−∞). Damit sind der Limes inferior lim infn→∞

an und der Limes

superior lim supn→∞

an auch fur unbeschrankte reelle Folgen (an) wie in (19) definiert und es gelten

44

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die Formeln aus (20). Insbesondere bedeutet z.B. lim infn→∞

an = −∞, dass es fur jedes c ∈ R

unendlich viele n mit an < c gibt.

Ub Sei (an) eine Folge in R. Man zeige: lim infn→∞

an =∞⇔ (an) konvergiert uneigentlich gegen ∞.

Beispiele. � a > 1: an n→∞−→ ∞ und lim supn→∞

an = lim infn→∞

an =∞.� a < −1: (an) ist divergent, lim supn→∞

an =∞ und lim infn→∞

an = −∞.

45

Page 46: An1PhMA9202 - TUM

6 Reihen

Gegeben sei eine Folge (an)n∈N in C. Daraus bildet man eine neue Folge (sn)n∈N gemaß

s1 := a1

s2 := a1+ a2

s3 := a1+ a2+ a3...

sn := a1+ a2+ . . . + an =

n∑

k=1

ak

(1) Definition. Zur Folge (an) in C heißt sn :=n∑

k=1

ak die n-te Partialsumme und (sn)n∈N

die Folge der Partialsummen. Statt (sn) schreibt man auch

∞∑

k=1

ak

und nennt dies die Reihe zu (an). Die Folgenglieder an heißen die Glieder der Reihe. Man

sagt, die Reihe∞∑

k=1

ak konvergiert, wenn (sn) konvergiert. Gegebenenfalls heißt s := limn→∞

sn

die Summe oder der Wert der Reihe und man schreibt

s = a1+ a2+ a3+ . . . =

∞∑

k=1

ak.

Man beachte, dass damit∞∑

k=1

ak zwei Bedeutungen hat. — Analog definiert man∞∑

k=p

ap+ap+1+

. . . fur p ∈ Z. Insbesondere ist oftmals p = 0.

Falls (an) eine Folge in R ist und (sn) uneigentlich gegen −∞ oder ∞ konvergiert, schreibt

man∞∑

k=1

ak = −∞ bzw. ∞.

(2) Beispiele.

(a) Die Geometrische Reihe. Sei z ∈ C. Dann konvergiert∞∑

k=0

zk = 1+z+z2+ . . . fur |z| < 1

gegen∞∑

k=0

zk =1

1− z.

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Beweis. sn =n∑

k=0

zk(1.3)= 1−zn+1

1−z

n→∞−→ 11−z

nach (5.3) Punkt 4.

(b) Die Harmonische Reihe∞∑

k=1

1k

= 1 + 12

+ 13

+ . . . divergiert bestimmt gegen ∞, d.h.

∞∑

k=1

1k

=∞.

Beweis. Zu zeigen ist: ∀c ∈ R ∃N ∈ N ∀n > N : sn =n∑

k=1

1k> c. Dazu betrachte n > 2ν

fur ν ∈ N. Dann ist

sn =1+1

2+1

3+ . . . +

1

n=

=1+1

2+

(

1

3+1

4

)

+

(

1

5+1

6+1

7+1

8

)

+

(

1

9+ . . . +

1

16

)

+ . . . +

+

(

1

2ν−1+ 1+ . . . +

1

)

+1

2ν+ 1+ . . . +

1

n︸ ︷︷ ︸weglassen

≥1+1

2+ 2 · 1

4+ 4 · 1

8+ . . . + 2ν−1 · 1

2ν= 1+

1

2+1

2+ . . . +

1

2︸ ︷︷ ︸ν-mal

= 1+ν

2.

Sei nun c ∈ R vorgegeben. Wahle ν ∈ N mit 1 + ν2> c (d.h. ν > 2(c − 1)) und setze

N := 2ν. Dann gilt fur alle n > N: sn ≥ 1+ ν2> c.

(c) Es ist∞∑

k=1

1k(k+1)

= 1.

Beweis. Wegen 1k(k+1)

PBZ= 1

k− 1k+1

gilt

sn =

(

1−1

2

)

︸ ︷︷ ︸= 11·2

+

(

1

2−1

3

)

︸ ︷︷ ︸= 12·3

+ . . . +

(

1

n− 1−1

n

)

︸ ︷︷ ︸= 1

(n−1)n

+

(

1

n−

1

n + 1

)

︸ ︷︷ ︸= 1n(n+1)

(∗)= 1−

1

n + 1

n→∞−→ 1.

Bei (∗) wurde ausgenutzt, dass zuvor eine Teleskopsumme steht, bei der sich aufeinan-derfolgende Glieder aufheben und nur das erste und letzte Glied stehen bleiben.

Bemerkung. Wie bei Folgen ist fur die Konvergenz einer Reihe das ”Verhalten am Anfang”unerheblich. Fur beliebiges p ∈ N gilt:

∑∞k=1ak konvergiert ⇔

∑∞k=pak konvergiert.

(3) Lemma. Die Reihe∞∑

k=1

ak konvergiere gegen s. Dann gilt:

(i)∞∑

k=m

ak konvergiert gegen s− sm−1 fur m ∈ N und∞∑

k=m

akm→∞−→ 0.

(ii) (an) ist eine Nullfolge.

Beweis. (i) ist klar. (ii) folgt aus an = sn− sn−1n→∞−→ s− s = 0.

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Die Umkehrung von (ii) gilt nicht, wie man an der harmonischen Reihe sieht.

(4) Cauchy Kriterium.∞∑

k=1

ak konvergiert ⇔ ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀n ≥ m > N : |∑nk=mak| <

ǫ.

Beweis. Da sn− sm−1 =n∑

k=m

ak, folgt die Behauptung aus (5.22) fur die Folge (sn).

(5) Lemma. Seien∞∑

k=1

ak und∞∑

k=1

bk konvergent und sei λ ∈ C. Dann konvergiert∞∑

k=1

(ak+λbk)

gegen∞∑

k=1

ak+ λ∞∑

k=1

bk.

Beweis. Fur die Partialsummen sn :=n∑

k=1

ak und tn :=n∑

k=1

bk gilt snn→∞−→ s und tn

n→∞−→ t.

Daher gilt sn+λtnn→∞−→ s+λt, woraus die Behauptung folgt, weil sn+λtn die n-te Partialsumme

von∞∑

k=1

(ak+ λbk) ist.

Ub Wandle die periodischen Dezimalbruche 0, 017 und 0, 2621 in Bruche um.

(6) Lemma. Sei an ≥ 0 ∀n ≥ p. Dann gelten:

(i)∞∑

k=p

ak konvergent ⇐⇒ (sn) beschrankt. (ii)∞∑

k=p

ak = sup

{n∑

k=p

ak : n ≥ p}

.

Insbesondere ist∞∑

k=p

ak =∞, wenn∞∑

k=p

ak nicht konvergiert.

Beweis. (sn) ist monoton wachsend. Damit folgen die Behauptungen aus (5.10).

(7) Definition. Absolute Konvergenz. Eine Reihe∑

k

ak in C konvergiert absolut, wenn∑

k

|ak| konvergiert, d.h. wenn∑

k

|ak| <∞.

Beispiel. Die geometrische Reihe∞∑

k=0

zk ist fur |z| < 1 wegen∞∑

k=0

|zk| = 11−|z|

absolut konvergent.

(8) Satz.∑

k

ak absolut konvergent =⇒∑

k

ak konvergent.

Beweis. Es ist

n∑

k=m

ak

≤n∑

k=m

|ak| ∀n ≥ m. Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Dann gilt: ∃N ∈ N ∀n ≥m > N :

∑nk=m |ak| < ǫ. Mit dem Cauchy Kriterium (4) folgt daraus die Behauptung.

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Die Umkehrung dieses Satzes gilt nicht. Ein Beispiel liefert die konvergente alternierendeharmonische Reihe

∞∑

k=1

(−1)k+11

k= 1−

1

2+1

3−1

4+ . . .

(

spater= ln 2

)

.

Die Konvergenz dieser Reihe folgt mit dem

(9) Leibniz Kriterium. Sei (an)n∈N eine monoton fallende Nullfolge in R.

a1

a2a3

a4 a5

1 2 3 4 5

Dann konvergiert die alternierende Reihe

∞∑

k=1

(−1)kak

und es gilt die Abschatzung∣

∞∑

k=n+1

(−1)kak

≤ an+1 ∀n ∈ N0.

Man hat daher eine gute Kontrolle der Restsumme s− sn, also der Konvergenzgeschwindigkeit.

Beweis. Sei n > m. Mit k := n −m gilt dann

sn− sm = (−1)m+1(am+1− am+2+ . . . + (−1)k−1am+k) =

= (−1)m+1

{(am+1− am+2) + . . . + (am+k−1− am+k) falls k gerade

(am+1− am+2) + . . . + (am+k−2− am+k−1) + am+k falls k ungerade.

Da die Ausdrucke in den Kammern ≥ 0 sind, folgt in beiden Fallen

|sn− sm|umklammern

= am+1− (am+2− am+3︸ ︷︷ ︸≥0

) − (am+4− am+5)︸ ︷︷ ︸≥0

− . . . ≤ am+1m→∞−→ 0.

Daher sind die Voraussetzungen des Cauchykriteriums (4) erfullt. Also existiert s := limnsn und

es folgt mit den bekannten Rechenregeln limn

|sn− sm| = |s− sm| ≤ am+1.

(10) Definition. Sei∑

k

ak eine Reihe in C. Eine Reihe∑

k

bk in R mit |ak| ≤ bk ∀k heißt eine

Majorante von∑

k

ak.

(11) Majorantenkriterium. Sei∑

k

bk eine konvergente Majorante von∑

k

ak. Dann ist∑

k

ak

absolut konvergent.

49

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Beweis. Es giltn∑

k=1

|ak| ≤n∑

k=1

bk ≤∞∑

k=1

bk <∞, woraus die Behauptung mit (6) folgt.

(12) Quotientenkriterium. Seien∑

k

ak eine Reihe in C, N ∈ N und ak 6= 0 fur alle k ≥ N.

(a) Es gebe q ∈]0, 1[ mit∣

ak+1

ak

∣ ≤ q fur alle k ≥ N. Dann konvergiert∑

k

ak absolut.

(b) Es gebe q ∈]1,∞[ mit∣

ak+1

ak

∣≥ q fur alle k ≥ N. Dann divergiert

k

ak.

Beweis. (a) Aus∣

ak+1

ak

∣≤ q ∀k ≥ N folgt |ak| ≤ |ak−1|q ≤ |ak−2|q

2 ≤ . . . ≤ |aN|qk−N ∀k ≥ N.

Weiter giltn∑

k=N

|aN|qk−N = |aN|n−N∑

k=0

qk ≤ |aN|∞∑

k=0

qk = |aN| 11−q

∀n ≥ N. Daraus folgt die Be-

hauptung mit dem Majorantenkriterium (11) und wegen (6) .

(b) Offenbar ist (an) keine Nullfolge. Daher gilt die Behauptung nach (3)(ii).

(13) Umordnungssatz. Seien∞∑

k=1

ak eine Reihe in C und π : N→ N bijektiv. Dann heißt

∞∑

j=1

aπ(j)

eine Umordnung von∞∑

k=1

ak. Fur jede Umordnung gilt:

∞∑

k=1

ak absolut konvergent =⇒∞∑

j=1

aπ(j) absolut konvergent und∞∑

j=1

aπ(j) =

∞∑

k=1

ak.

Beweis. Es gilt:n∑

j=1

|aπ(j)| ≤max{π(1),...,π(n)}∑

k=1

|ak| ≤∞∑

k=1

|ak| <∞ ∀n ∈ N =⇒∞∑

j=1

|aπ(j)| <∞. Also

ist die Umordnung absolut konvergent. Es bleibt die Gleichheit der Summen zu zeigen.

Sei s :=∞∑

k=1

ak und sei ǫ > 0 vorgegeben. Nach (3)(i) existiert m ∈ N mit∞∑

k=m+1

|ak| <ǫ2.

Da π surjektiv ist, existiert N ∈ N mit {1, . . . ,m} ⊂ {π(1), . . . , π(N)}. Damit gilt fur alle n > N:∣

n∑

j=1

aπ(j) − s

≤∣

n∑

j=1

aπ(j) −m∑

k=1

ak

+

m∑

k=1

ak− s

≤∣

∞∑

k=m+1

ak

︸ ︷︷ ︸die verbleibenden aπ(j) sind hier dabei

+

∞∑

k=m+1

ak

<

ǫ2

+ ǫ2

= ǫ .

50

Page 51: An1PhMA9202 - TUM

Wir erinnern an die Definition des Produkts zweier Polynome im Anschluss an (4.15):

pq =

n+m∑

k=0

ckXk mit ck :=

i+j=k

aibj, k = 0, . . . , n+m.

Wie wir sehen werden, ist dieses Produkt auf Potenzreihen ubertragbar. Zugrunde liegt das

(14) Cauchy Produkt. Seien a :=∞∑

k=0

ak und b :=∞∑

k=0

bk absolut konvergente Reihen in C.

Setze

ck :=∑

i+j=k

aibj =

k∑

j=0

ak−jbj =

k∑

j=0

ajbk−j

fur k ∈ N0. Dann ist die Reihe∞∑

k=0

ck absolut konvergent und es gilt

∞∑

k=0

ck =

(

∞∑

k=0

ak

)

·(

∞∑

k=0

bk

)

.

Beweis. Man betrachte die Abzahlungen f, g von N0×N0, wie sie in den folgenden Zeichnungenangegeben sind.

(1) Die Bijektion f : N0 → N0 × N0 hat die Eigenschaft, dass {(i, j) : 0 ≤ i, j ≤ n} =

{f(0), f(1), . . . , f(n(n + 2))} fur jedes n ∈ N gilt. Das ergibt sich daraus, dass die beidenMengen jeweils gleich viele Elemente haben, namlich (n + 1)2 bzw. 1+ n(n + 2).

0 1 4

6

3 2 5

8 7

9

10

11

12131415

N0

N0

(2) Die Bijektion g : N0 → N0 × N0 hat die Eigenschaft, dass {(i, j) : 0 ≤ i + j ≤ n} =

{g(0), g(1), . . . , g(12n(n+ 3))} fur jedes n ∈ N gilt. Das ergibt sich daraus, dass die beiden

Mengen jeweils gleich viele Elemente haben, namlich 12(n+ 1)(n+ 2) bzw. 1+ 1

2n(n+ 3).

51

Page 52: An1PhMA9202 - TUM

0 1 3 6

2 4 7

5 8

9

N0

N0

Zunachst ist∞∑

k=0

ai(k)bj(k) mit (i(k), j(k)) := f(k) absolut konvergent, denn fur alle n ≥ 0 gilt:

n∑

k=0

|ai(k)bj(k)| ≤n(n+2)∑

k=0

|ai(k)||bj(k)| =

(

n∑

i=0

|ai|

)

·

n∑

j=0

|bj|

≤(

∞∑

i=0

|ai|

)

·

∞∑

j=0

|bj|

<∞.

Daraus folgt außerdem nach (8) und (5.12), dass∞∑

k=0

ai(k)bj(k) = ab. — Die Abzahlung g geht

aus f durch die Permutation π := f−1 ◦ g von N0 hervor, namlich g = f ◦π. Daher gilt nach dem

Umordnungssatz (13):∞∑

k=0

ai(k)bj(k) mit (i(k), j(k)) := g(k) konvergiert ebenfalls gegen ab. Da

12n(n+3)∑

k=0

ai(k)bj(k) =n∑

k=0

ck, folgt die Behauptung nach (5.12).

(15) Korollar. Ist h eine weitere Abzahlung von N0×N0, h(k) = (i(k), j(k)), dann gilt ebenfalls∑

k

ai(k)bj(k) = ab.

Anwendung: Exponentialfunktion

(16) Exponentialreihe. Sei z ∈ C. Dann konvergiert∞∑

k=0

zk

k!absolut.

Beweis. Fur z 6= 0 gilt:

zk+1

(k+1)!

zk

k!

= |z| k!(k+1)!

= |z| 1k+1

≤ 12

∀k ≥ 2|z| − 1. Mit dem Quotientenkri-

terium (12) folgt die Behauptung.

(17) Exponentialfunktion und erste Eigenschaften. Die Exponentialfunktion lautet

exp : C→ C, exp(z) :=

∞∑

k=0

zk

k!,

52

Page 53: An1PhMA9202 - TUM

und

e := exp(1) =

∞∑

k=0

1

k!= 2, 718281828459045235 . . .

heißt die Eulersche Zahl. Fur alle z,w ∈ C gilt:� exp(z+w) = exp(z) exp(w)� exp(z) 6= 0 und exp(−z) = 1exp(z)� exp(z) = exp(z).

Fur reelle Argumente x folgt:� exp(0) = 1� exp(R) ⊂ R und exp(x) > 1 ∀x ∈ R+� 0 < exp(x) < 1 ∀x ∈ R−� x 7→ exp(x) ist streng monoton wachsend� exp(r) = er ∀r ∈ Q.

Beweis. Es werden die weniger offensichtlichen Aussagen bewiesen.� z,w ∈ C: exp(z) exp(w) =

(

∞∑

k=0

zk

k!

)(

∞∑

k=0

wk

k!

)

(14)=

∞∑

k=0

ck mit ck =∑

i+j=k

zi

i!wj

j!=

1k!

k∑

j=0

k!(k−j)!j!

zk−jwj(1.16)= 1

k!(z+w)k =⇒ exp(z) exp(w) =

∞∑

k=0

1k!

(z+w)k = exp(z +w).� 1 = exp(0) = exp(z− z) = exp(z) exp(−z) =⇒ exp(z) 6= 0 und exp(−z) = 1exp(z)

.� exp(x) > 1 fur x ∈ R+ folgt sofort aus der Definition der Reihe. Da exp(−x) = 1exp(x)

, folgt

daraus 0 < exp(x) < 1 fur x ∈ R−.� x1 < x2 =⇒ exp(x2) = exp(x1+ (x2− x1)︸ ︷︷ ︸>0

) = exp(x1) exp(x2− x1)︸ ︷︷ ︸>1

> exp(x1).� ∀n ∈ N: exp(n) = exp(1+ 1+ . . . + 1︸ ︷︷ ︸n

) = exp(1) · . . . · exp(1)︸ ︷︷ ︸

n

= e · . . . · e︸ ︷︷ ︸n

= en. Damit folgt

∀m ∈ N: (exp( nm

))m = exp( n

m

)

· . . . · exp( n

m

)

︸ ︷︷ ︸m

= exp(n

m+ . . . +

n

m︸ ︷︷ ︸m

) = exp(n) = en.

Nach (4.12) folgt daraus schließlich exp(

nm

)

= m√en = e

nm .

Ub Binomailareihe zum Exponent s ∈ C. Fur z ∈ C ist

Bs(z) :=

∞∑

n=0

(

s

n

)

zn = 1+ sz+s(s − 1)

2z2+ . . . .

Zeige:

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Page 54: An1PhMA9202 - TUM

(1) Bs(z) konvergiert fur |z| < 1 absolut und divergiert fur |z| > 1.

(2) Bs(z)Bt(z) = Bs+t(z) ∀z ∈ C.

Bemerkung. Es ist Bs(x) = (1+ x)s ∀x ∈ R.

54

Page 55: An1PhMA9202 - TUM

7 Stetige Funktionen

Im Folgenden sei D ⊂ C.

(1) Definition. Die Abbildung f : D→ Y mit Y ⊂ C heißt stetig in z0 ∈ D, wenn gilt:

∀ǫ > 0 ∃δ > 0 ∀z ∈ D mit |z− z0| < δ : |f(z) − f(z0)| < ǫ.

M.a.W. ist f stetig in z0 genau dann, wenn zu jeder ǫ–Umgebung Uǫ(f(z0)) eine δ–UmgebungUδ(z0) mit f(Uδ(z0) ∩D) ⊂ Uǫ(f(z0)) existiert. — Man nennt f stetig, wenn f in jedem Punktvon D stetig ist. f heißt unstetig (in z0), wenn f nicht stetig (in z0) ist.

Offenbar ist f genau dann stetig in z0, wenn D → C, z 7→ f(z) stetig in z0 ist. Im Fall D ⊂ R

wird in (1) die Stetigkeit einer Funktion einer reellen Veranderlichen definiert.

In der folgenden Skizze ist x0 ∈ D ⊂ R und f reellwertig. Zu jedem vorgegebenen ǫ > 0 findetman ein passendes δ > 0 derart, dass f(Uδ(x0) ∩D) ⊂ Uǫ(f(x0)). Also ist f stetig in x0.

bb

b

x0

f(x0)ǫǫ

δ δ

fR

R

Ub Man zeige: f : D → C stetig in z0 ∈ D ⇐⇒ fur jede Umgebung V von f(z0) ist f−1(V)

Umgebung in D von z0. (Dabei heißt allgemein fur z0 ∈ D die Menge U ⊂ D eine Umgebungvon z0 in D, wenn ein r > 0 existiert mit U ⊃ Ur(z0) ∩D.)

Beispiele zur Stetigkeit� f : C→ C, z 7→ z2 ist stetig.

Beweis. |f(z)−f(z0)| = |z2−z20| = |z+z0||z−z0| = |z−z0+2z0||z−z0| ≤ (|z−z0|+2|z0|)|z−z0|.

— Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Wahle dazu δ := min{1, ǫ1+2|z0|

}. Damit gilt fur alle z ∈ C

mit |z− z0| < δ : |f(z) − f(z0)| < (1+ 2|z0|)ǫ

1+2|z0 |= ǫ.� f : [0,∞[→ R, f(x) :=

√x ist stetig.

55

Page 56: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Es gilt |√a−

√b| ≤

|a − b| fur alle a ≥ 0, b ≥ 0. Denn ist o.E. a > b und ware√a−

√b >

√a− b, dann ware

√a >

√a− b+

√b und somit a > a−b+b = a, was falsch

ist. Also ist |f(x) − f(x0)| ≤√

|x− x0| fur x ≥ 0, x0 ≥ 0. — Sei ǫ > 0 vorgegeben. Wahleδ := ǫ2. Dann gilt fur alle x ≥ 0 mit |x− x0| < δ : |f(x) − f(x0)| ≤

|x − x0| <√δ = ǫ.

Ub Beweise fur k ∈ N die Stetigkeit der Funktion f : [0,∞[→ R, f(x) := k√x.� Sei f : R→ R derart, dass f(x) = 0 fur x < 0 und f(x) = 1 fur x > 0. Dann ist f unstetig

in 0.

Beweis. Nehme das Gegenteil an. Dann existiert zu ǫ = 12

ein δ > 0 derart, dass |f(x) −

f(0)| < ǫ = 12

ist fur alle |x| = |x − 0| < δ. Hieraus folgt fur x = δ2

bzw. x = −δ2

, dass

|f(

−δ2

)

− f(0)| < 12, d.h. |f(0)| < 1

2bzw. |f

(

δ2

)

− f(0)| < 12, d.h. |1 − f(0)| < 1

2. Das ergibt

den Widerspruch 1 = |1− f(0) + f(0)| ≤ |1− f(0)| + |f(0)| < 12

+ 12

= 1.� f : D→ C heißt Lipschitz stetig, wenn eine Konstante L > 0 existiert mit

|f(z) − f(w)| ≤ L|z−w| ∀z,w ∈ D.Es gilt: Jede Lipschitz stetige Funktion f ist stetig.

Beweis. Sei z0 ∈ D und sei ǫ > 0 vorgegeben. Setze δ := ǫL. Dann gilt fur alle z ∈ D mit

|z − z0| < δ: |f(z) − f(z0)| ≤ L|z− z0| < Lδ = ǫ.� Fur a, b ∈ C ist die affine Funktion f : C → C, f(z) := az + b, Lipschitz stetig, denn|f(z) − f(w)| = |az + b− (aw + b)| = |az − aw| = |a||z −w|.� f : C→ C, f(z) := |z| ist Lipschitz stetig, denn |f(z) − f(w)| = ||z| − |w|| ≤ |z −w|.

Es folgt ein sehr nutzliches Stetigkeitskriterium.

(2) Folgenkriterium. Eine Funktion f : D → C ist stetig in z0 ∈ D genau dann, wenn furjede Folge (zn) in D mit zn −→ z0 gilt:

f(zn) −→ f(z0).

Beweis. (a) Sei f stetig in z0 und (zn) in D mit zn → z0. Es ist f(zn) → f(z0) zu zeigen. Seiǫ > 0 vorgegeben. Nach Voraussetzung existiert δ > 0 mit |f(z) − f(z0)| < ǫ fur alle z ∈ D mit|z − z0| < δ. Weiter gibt es ein N ∈ N mit |zn − z0| < δ ∀n > N, weil zn → z0. Damit gilt|f(zn) − f(z0)| < ǫ ∀n > N.

(b) Fur jede Folge (zn) in D mit zn→ z0 gelte f(zn)→ f(z0). Zu zeigen ist die Stetigkeit von fin z0. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Angenommen es existiert kein δ > 0 derart, dass |f(z) − f(z0)| < ǫ

fur alle z ∈ D mit |z − z0| < δ. Dann existiert zu δ := 1n

mit n ∈ N ein z, genannt zn, in D

mit |zn− z0| <1n

derart, dass |f(zn) − f(z0)| ≥ ǫ. Aus |zn − z0| <1n

folgt |zn− z0| −→ 0, d.h.zn −→ z0. Aber (f(zn)) konvergiert nicht gegen f(z0), was der Voraussetzung widerspricht.

Die Voraussetzung an f im Beweisteil (b) von (2) nennt man die Folgenstetigkeit von f inz0. Der Satz besagt also, dass fur Funktionen die Stetigkeit und die Folgenstetigkeit aquivalentsind.

56

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Rechenregeln zur Stetigkeit

(3) Satz. f, g : D→ C stetig in z0 ∈ D =⇒ f+ g und fg stetig in z0.

Beweis. Es wird (2) angewendet. Sei (zn) in D mit zn → z0. Daraus folgt: f(zn) → f(z0)

und g(zn) → g(z0) =⇒ (f + g)(zn) = f(zn) + g(zn)(5.4)(a)−→ f(z0) + g(z0) und (fg)(zn) =

f(zn)g(zn)(5.4)(b)−→ f(z0)g(z0).

(4) Lemma. g : D→ C stetig in z0 ∈ D =⇒ ∃δ > 0 ∀z ∈ D mit |z− z0| < δ : |g(z)| > 12|g(z0)|.

Beweis. Wenn g(z0) = 0 ist, kann δ > 0 beliebig gewahlt werden. Falls g(z0) 6= 0, dann existiertzu ǫ = 1

2|g(z0)| ein δ > 0 mit |g(z) − g(z0)| <

12|g(z0)| fur alle z ∈ D mit |z − z0| < δ. Damit ist

|g(z0)| − |g(z)| ≤ |g(z) − g(z0)| <12|g(z0)|, woraus die Behauptung folgt.

(5) Definition. Sei f : X→ Y eine Abbildung und A ⊂ X. Dann heißt die Abbildung f|A : A→Y, x 7→ f(x), die Einschrankung von f auf A.

(6) Satz. Seien f, g : D → C stetig in z0 ∈ D, g(z0) 6= 0 und V := {z ∈ D : |z − z0| < δ} mit δ

aus (4). Dann ist V → K, z 7→ f(z)g(z)

stetig in z0, d.h. f|Vg|V

ist stetig in z0.

Beweis. Sei (zn) in V mit zn→ z0. Dann gilt f(zn)

g(zn)

(5.4)(c)−→ f(z0)

g(z0).

(7) Lemma. Sei f : D → C, A ⊂ D und z0 ∈ A. Dann gilt: f stetig in z0 ⇒ f|A stetig in z0.Hiervon gilt auch die Umkehrung, wenn ein r > 0 existiert mit Ur(z0) ∩D ⊂ A.

Ub Beweise (7). Finde ein Gegenbeispiel zu ”⇐” in (7).

(8) Satz. Seien D,E ⊂ C, f : D → C, g : E→ C, f(D) ⊂ E, f stetig in z0 ∈ D und g stetig inf(z0). Dann ist g ◦ f : D→ C, (g ◦ f)(z) := g(f(z)) stetig in z0.

(Vgl. (4.6) zur Komposition von Abbildungen. Hier besteht eine leichte Verallgemeinerung derBezeichnung, da der Bildbereich von f nicht E ist, sondern eine Obermenge davon.)

Beweis. Es wird (2) angewendet. Sei (zn) in D mit zn→ z0. Da f stetig in z0 ist, gilt f(zn) →f(z0). Da (f(zn)) in E mit f(zn)→ f(z0) und g stetig in f(z0) ist, folgt g(f(zn))→ g(f(z0)).

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Es folgt etwas Topologie in K ∈ {R,C}. Im Fall K = R, x ∈ R, r > 0 sei Ur(x) :=]x− r, x+ r[.

(9) Definition. Sei A ⊂ K. A heißt offen in K, wenn

∀z ∈ A ∃r > 0 mit Ur(z) ⊂ A.

Weiter heißt A abgeschlossen in K, wenn K \A offen in K ist.

(10) Lemma. Es gelten:� Ur(z) fur r > 0, z ∈ K ist offen in K.� R ⊂ C ist abgeschlossen und nicht offen in C.� [a, b] fur −∞ < a < b <∞ ist abgeschlossen in R.� K ist offen und abgeschlossen in K.� ∅ ist offen und abgeschlossen in K.� A ⊂ C offen in C =⇒ A ∩ R offen in R.� A ⊂ R abgeschlossen in R =⇒ A abgeschlossen in C.

Ub Beweise (10).

(11) Satz. Eine Teilmenge A ⊂ K ist abgeschlossen in K genau dann, wenn fur jede konvergenteFolge (zn) in K, wofur zn ∈ A fur alle n ist, ihr Grenzwert lim

nzn in A liegt.

Beweis. Sei A abgeschlossen und (zn) eine konvergente Folge mit zn ∈ A ∀n ∈ N. Angenommenz := lim zn /∈ A. Dann existiert r > 0 mit Ur(z) ⊂ K \ A, weil K \ A offen ist. Weil zn ∈ A,folgt daraus |zn − z| ≥ r ∀n. Das widerspricht zn → z. — Zur Umkehrung wird gezeigt, dassK \A offen ist. Sei z ∈ K \A. Angenommen Ur(z) 6⊂ K \A ∀r > 0. Dann existiert zu r = 1

nmit

n ∈ N ein z =: zn ∈ U 1n(z) ∩A. Das bedeutet |zn− z| < 1

n∀n und somit zn→ z, weshalb nach

Voraussetzung z ∈ A, entgegen der Wahl von z.

(12) Definition und Satz. Gemaß Definition (5.7) ist A ⊂ K beschrankt, wenn c ∈ R existiertmit |z| ≤ c ∀z ∈ A. A ⊂ K heißt kompakt, wenn A beschrankt und abgeschlossen ist. SeienA kompakt und (zn) eine Folge in A. Dann existiert eine konvergente Teilfolge (znk ). Es giltlimk→∞

znk ∈ A.

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c

C

A

Beweis. Die Behauptung folgt unmittelbar aus dem Satz von Bolzano-Weierstraß und (11).

(13) Satz. Seien D kompakt und f : D → C stetig und injektiv. Dann ist die Umkehrfunktiong : f(D)→ C, g(f(z)) = z ∀z ∈ D, stetig.

Beweis. Sei w0 ∈ f(D) und (wn) in f(D) mit wn→ w0. Sei zn := g(wn) ∈ D und z0 := g(w0) ∈D. Zu zeigen ist zn→ z0. Angenommen (zn) konvergiert nicht gegen z0. Dann existiert ein ǫ > 0und eine Teilfolge (znk ) mit |znk −z0| ≥ ǫ ∀k. Da D kompakt ist, existiert eine in D konvergenteTeilfolge (znkl ). Ihr Grenzwert z ∈ D ist nach obigem verschieden von z0. Da f injektiv undstetig ist, folgt wnkl = f(znkl ) → f(z). Andererseits gilt auch wnkl → w0. Daher ist f(z) = w0und somit z = g(f(z)) = g(w0) = z0. Dies ergibt den Widerspruch.

(14) Folgerungen.� Polynomfunktionen sind auf ganz C stetig.� Rationale Funktionen sind auf ihrem vollstandigem Definitionsbereich stetig. Insbeson-dere sind die Stereographische Projektion σ : R → S1 \ {i} und die gebrochen linearenTransformationen stetig.� Sei f : D→ R, f(D) ⊂ [0,∞[ stetig. Dann ist fr stetig fur r ∈ Q.� Sei f : D→ C stetig. Dann sind |f|, Re f, Im f und f stetig.� Seien f, g : D→ R stetig. Dann sind sup{f, g} = 1

2(f+ g+ |f− g|) und inf{f, g} = 1

2(f+ g−

|f − g|) stetig.� Die Gauß-Klammer [ . ] : R→ R ist genau an jeder ganzen Zahl unstetig.� U.v.m.

(15) Definition. Sei X eine Menge. Die Funktion f : X → R heißt (nach oben, nach unten)beschrankt, wenn f(X) ⊂ R (nach oben, nach unten) beschrankt ist. Vgl. Definition (5.7).

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(16) Satz von Maximum und Minimum. Seien D kompakt und f : D → R stetig. Dannexistieren u, v ∈ D mit f(u) ≤ f(z) ≤ f(v) fur alle z ∈ D.

Beweis. Angenommen f ist nach oben unbeschrankt. Dann gilt: ∀n ∈ N ∃zn ∈ D mit f(zn) ≥ n.Weil D kompakt ist, existiert (znk ) mit lim

kznk =: z0 ∈ D. Weil f stetig ist, gilt f(znk )→ f(z0),

was jedoch f(znk ) ≥ nk ∀k widerspricht. Damit ist M := supz∈D

f(z) < ∞ gezeigt. Zu n ∈ N sei

zn ∈ D mit M − 1n≤ f(zn) ≤M. Es folgt f(zn) →M. Weil D kompakt ist, existiert (znk ) mit

znk → v ∈ D. Somit ist M = limkf(znk ) = f(v). — Analog oder durch Ubergang zu −f erfolgt

der Beweis fur das Minimum.

(17) Zwischenwertsatz. Sei f : [a, b] → R stetig. Dann ist f([a, b]) = [m,M] mit Minimumm und Maximum M. Das bedeutet: ∀γ ∈ [m,M] ∃ c ∈ [a, b] mit f(c) = γ.

Beweis. Zunachst erfolgt folgende Reduktion. O.E. sei γ = 0, sonst betrachte man f−γ anstellevon f. O.E. sei f(a) 6= 0, sonst ist man fertig. O.E. sei f(a) < 0, sonst betrachte man −f anstellevon f. O.E. sei f(b) = M, sonst verkleinere man das Intervall entsprechend nach (16). O.E. seiM > 0, sonst ist M = 0 und man ist fertig.

Sei nun G := {x ∈ [a, b] : f(x) < 0}. Da a ∈ G ⊂ [a, b] existiert x0 := supG. Wahle(xn) in G mit xn → x0. Dann ist f(xn) < 0 ∀n und f(xn) → f(x0). Folglich ist f(x0) ≤ 0.Angenommen f(x0) < 0. Dann ist x0 < b. Nach (4) existiert zu ǫ := 1

2|f(x0)| > 0 ein x ∈]x0, b[

mit f(x) < −ǫ < 0. Es folgt der Widerspruch supG > x0. Also ist f(x0) = 0.

(18) Definition. Die Funktion f : D→ C heißt gleichmaßig stetig, wenn

∀ǫ > 0 ∃ δ > 0 ∀z, z ′ ∈ D mit |z − z ′| < δ : |f(z) − f(z ′)| < ǫ.

(19) Lemma. f gleichmaßig stetig =⇒ f stetig.

Beweis. Sei z0 ∈ D. Sei ǫ > 0 vorgegeben. Es existiert δ > 0 derart, dass |f(z)−f(z ′)| < ǫ fur allez, z ′ ∈ D mit |z−z ′| < δ. Wahle z ′ = z0. Fur z ∈ D mit |z−z0| < δ gilt dann |f(z)−f(z0)| < ǫ.

Die Umkehrung gilt i.A. nicht. Beispielsweise ist f :]0, 1] → R, f(x) := 1x

nicht gleichmaßig

stetig. Zum Beweis seien ǫ = 1 und δ > 0 beliebig. Dann gilt fur x = min{12, δ2

}und x ′ = 2x:

|x− x ′| = x < δ und |f(x) − f(x ′)| = 12x

≥ 1.

60

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Graph von 1x

x x ′

f(x ′)

f(x) b

b

(20) Satz. Seien D kompakt und f : D→ C stetig. Dann ist f gleichmaßig stetig.

Beweis. Angenommen f ist nicht gleichmaßig stetig. Dann existieren ein ǫ > 0 und zn, z′n ∈ D

zu jedem n ∈ N derart, dass |zn−z ′n| <1n

und |f(zn)−f(z ′n)| ≥ ǫ. Nach (12) gibt es eine Teilfolge(znk ), die gegen ein z0 ∈ D konvergiert. Da |z ′nk − z0| ≤ |z ′nk − znk | + |znk − z0| → 0, gilt auchz ′nk −→ z0. Daraus folgt |f(znk ) − f(z ′nk )| ≤ |f(znk ) − f(z0)| + |f(z0) − f(z ′nk | −→ 0 nach (2). Diessteht im Widerspruch zu |f(znk ) − f(z ′nk )| ≥ ǫ ∀k.

Fur das Folgende wird zunachst an (4.9), (4.10) erinnert: Ist D ⊂ R und f : D → R strengmonoton, dann ist f injektiv und die Umkehrfunktion ist ebenfalls streng monoton im gleichenSinn.

x

y

b

b

D

f ist streng monoton und somit injektiv

x

y

b

D

f ist injektiv, aber nicht stetig und nicht monoton

61

Page 62: An1PhMA9202 - TUM

x

y

D

f ist injektiv und stetig, aber nicht monoton,

die Umkehrfunktion ist stetig nach (13)

(21) Satz. f : [a, b]→ R injektiv und stetig =⇒ f streng monoton. Vgl. dazu f im letzten Bild.

Beweis. Es ist f(a) 6= f(b), weil f injektiv ist. O.E. sei f(a) < f(b), sonst betrachte man −f.Nach (16) existiert a1 ∈ [a, b] derart, dass f(a1) das Minimum von f ist. Demnach ist a1 < b,weil f(a1) ≤ f(a) < f(b). Angenommen es ware a1 > a. Dann ist f(a1) 6= f(a), weil f injektivist, und daher ist f(a) ∈]f(a1), f(b)[. Nach dem ZWS (17) existiert c ∈]a1, b[ mit f(c) = f(a).Da a < a1 < c, ist a 6= c. Das widerspricht der Injektiviat von f. Also ist a1 = a. — Ebensofolgt, dass f(b) der maximale Wert von f ist. Somit gilt nach dem ZWS: f([a, b]) = [f(a), f(b)].

Seien nun x1, x2 ∈ [a, b] mit a < x1 < x2 < b. Betrachte g := f|[a,x2]. Da g stetig und injektivist, folgt aus dem eben Bewiesenem, dass g([a, x2]) = [g(a), g(x2)], d.h. f([a, x2]) = [f(a), f(x2)],weshalb f(x1) < f(x2).

Grenzwerte von Funktionen

Es sei erinnert, dass Ur(a) = {z ∈ K : |z − a| < r} fur a ∈ K, r > 0 die r-Umgebung von abezeichnet. Im Fall K = R ist Ur(a) das offene Intervall der Lange 2r mit Mittelpunkt a.

(22) Definition. Sei A ⊂ K. Dann heißt A := {z ∈ K : Ur(z) ∩ A 6= ∅ ∀r > 0} der Abschlussvon A in K.

Offenbar gelten� A ⊂ A� ]a, b[ = [a, b]� Ur(a) = Ur(a) ∪ {z ∈ K : |z − a| = r}. Das ist die abgeschlossene Kreisscheibe um a mitRadius r im Fall K = C bzw. das abgeschlossene Intervall mit Mittelpunkt a und Lange2r im Fall K = R.

62

Page 63: An1PhMA9202 - TUM

b

a

r

Ur(a)

a

r r

Ur(a)

� Q = R

(23) Satz. A = {a ∈ K : ∃ (an) in A mit an −→ a}.

Beweis. Zu ”⊂” sei a ∈ A. Aus der Definition (22) folgt: ∀n ∈ N ∃an ∈ U 1n(a)∩A =⇒ an ∈ A

und |an − a| < 1n

∀n ∈ N =⇒ an −→ a. — Zu ”⊃” schließt man aus an → a mit an ∈ A:∀r > 0 ∃n ∈ N mit |an− a| < r =⇒ an ∈ Ur(a) ∩A.

(24) Satz. Der Abschluss A ist die kleinste abgeschlossene Menge, die A enthalt. D.h. A istabgeschlossen und fur jede abgeschlossene Menge C mit A ⊂ C folgt A ⊂ C.

Beweis. � Sei C abgeschlossen mit A ⊂ C. Betrachte b ∈ K\C. Weil K\C offen ist, existiertr > 0 mit Ur(b) ⊂ K \ C ⊂ K \ A. Hieraus folgt A ∩ Ur(b) = ∅, weshalb b /∈ A. Also istK \ C ⊂ K \A, d.h. A ⊂ C.� Es bleibt zu zeigen, dass K \ A offen ist. Sei a ∈ K \ A. Da a /∈ A, existiert r > 0 mitUr(a)∩A = ∅. Sei nun b ∈ Ur(a). Weil Ur(a) offen ist, existiert r ′ > 0mit Ur′(b) ⊂ Ur(a).Damit ist auch Ur′(b) ∩A = ∅, weshalb b /∈ A. Also folgt Ur(a) ⊂ K \A.

(25) Korollar. A ⊂ K abgeschlossen ⇐⇒ A = A.

(26) Grenzwert einer Funktion. Seien f : D→ C und a ∈ D. Dann heißt w ∈ C Grenzwertvon f in a, wenn

∀ǫ > 0 ∃ δ > 0 ∀z ∈ D mit |z− a| < δ : |f(z) −w| < ǫ.

Offenbar ist w eindeutig, falls existent. Man schreibt w = limz→a

f(z) oder auch f(z)z→a−→ w.

(27) Stetigkeit und stetige Fortsetzung. Seien f : D→ C, a ∈ D und w ∈ C.

(i) Falls a ∈ D, dann gilt: f stetig in a⇐⇒ f(z)z→a−→ f(a).

(ii) Falls a /∈ D, dann gilt: f stetig fortsetzbar in a ⇐⇒ limz→a

f(z) existiert. Dabei definiert

f(a) := limz→a

f(z) die eindeutige stetige Fortsetzung von f auf D ∪ {a}.

63

Page 64: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Sei g : D ∪{a}→ C mit g(z) := f(z) ∀z 6= a und g(a) := w. Gemaß den Definitionen (26)

und (1) gilt offenbar: g stetig in a⇐⇒ f(z)z→a−→ w. Daraus ergeben sich die beiden Aussagen.

(28) Korollar. w = limz→a

f(z)⇐⇒ Fur alle Folgen (zn) in D mit zn→ a gilt w = limnf(zn).

Beweis. Siehe (2).

(29) Exponentialfunktion (Grenzwerte).

(a) exp : C→ C ist stetig.

(b) limz6=0,z→0

exp(z)−1z

= 1.

(c) limz6=z0,z→z0

exp(z)−exp(z0)z−z0

= exp(z0).

Beweis. Es gilt: exp(z)−exp(z0)z−z0

= exp(z0)exp(z−z0)−1

z−z0. Damit folgt (c) aus (b). Außerdem folgt (a)

aus (c), weil fur z 6= z0 gilt: | exp(z) − exp(z0)| =∣

exp(z)−exp(z0)z−z0

∣|z− z0|

z6=z0,z→z0−→ exp(z0) · 0 = 0.

Es bleibt also (b) zu zeigen: exp(z) − 1 =∑∞k=0

zk

k!− 1 = z + z2

∑∞k=2

zk−2

k!=⇒ exp(z)−1

z−

1 = z∑∞k=2

zk−2

k!. Nun ist

∑∞k=2

zk−2

k!ist absolut konvergent mit

∑∞k=2

zk−2

k!

∣ ≤∑∞k=2

|z|k−2

k!=

12!

(

1+|z|3

+|z|2

3·4 + . . .)

≤ 12

(

1+|z|3

+|z|2

32+ . . .

)

= 12

1

1−|z|

3

fur |z| < 3. Daher gilt:∣

exp(z)−1z

− 1∣

∣ ≤34|z| fur |z| ≤ 1. Mit z→ 0 folgt die Behauptung.

Ub Zeige: exp(z) =n∑

k=0

zk

k!+ Rn+1(z) mit |Rn+1(z)| ≤ n+2

n+11

(n+1)!|z|n+1 fur |z| ≤ 1.

(30) Weitere Eigenschaften der Exponentialfunktion und Logarithmus.

(i) exp(R) = R+.

(ii) R → R+, x 7→ exp(x) ist eine streng monoton wachsende stetige Bijektion. Die Umkehr-funktion

ln : R+→ R mit ln(exp(x)) = x ∀x ∈ R

heißt der naturlicher Logarithmus. Er ist eine streng monoton wachsende stetige Bi-jektion mit folgenden Eigenschaften:

(iii) ln(1) = 0, ln(e) = 1, ln(xy) = ln x+ lny, ln(xr) = r ln x ∀x, y ∈ R+, ∀r ∈ Q.

64

Page 65: An1PhMA9202 - TUM

y

x

b

b

0

1

1 e

Graph von ln

Beweis. (i) Zu y ∈ R+ existiert n ∈ N mit y ∈ [e−n, en], weil gemaß der Reihe en > 1+nn→∞−→

∞ und somit e−n = 1en

n→∞−→ 0. Wegen des Zwischenwertsatzes existiert x ∈ [−n,n] mitexp(x) = y. Also ist exp(R) = R+.

(ii) Wegen (6.17) vorletzter Punkt, (29)(a), (4.9) und (4.10) bleibt die Stetigkeit von ln zuzeigen. Sei x0 ∈ R+. Fur n ∈ N groß genug ist x0 ∈]e−n, en[. Da exp |[−n,n] stetig ist, istnach (13) auch die Umkehrabbildung ln |[e−n,en] stetig. Aus (7) folgt daher, dass ln stetigin x0 ist.

(iii) Aus exp(0) = 1, exp(1) = e folgt ln 1 = 0, ln e1 = 1. Weiter ist exp(ln x + lny) =

exp(ln x) · exp(lny) = xy, weshalb ln x + lny = ln(xy). Daraus folgt insbesondere 0 =

ln 1 = ln x1x

= ln x + ln 1x, d.h. ln x−1 = − ln x. Außerdem gilt fur alle n,m ∈ N: ln(xn) =

ln(x · x · . . . · x︸ ︷︷ ︸n-mal

) = ln x+ ln x + . . . + ln x︸ ︷︷ ︸n-mal

= n ln x =⇒ ln(xn) = ln(xnm · x nm · . . . · x nm︸ ︷︷ ︸

m-mal

) =

m ln xnm =⇒ n ln x = m ln x

nm =⇒ n

mln x = ln x

nm . Insgesamt folgt also ln xr = r ln x

∀r ∈ Q.

(31) Allgemeine Potenzfunktion. Sei a ∈ R+. Die Potenzfunktion Q → R, r 7→ ar aus(4.12) laßt sich gemaß (27) in eindeutiger Weise stetig auf Q = R fortsetzen, denn fur x ∈ R

gilt:

ar = exp(lnar) = exp(r lna)r∈Q,r→x−→ exp(x lna).

Dabei ist R → R, x 7→ ax := exp(x lna), ihre eindeutige stetige Fortsetzung. Hierfur gelten diefolgenden Rechenregeln. Seien a, b ∈ R+ und x, y ∈ R:

(i) ax+y = axay.

(ii) (ax)y = axy.

(iii) lnax = x lna.

(iv) axbx = (ab)x.

65

Page 66: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. (i) gilt, weil ax+y = exp((x+ y) lna) = exp(x lna+ y lna) = exp(x lna) · exp(y lna) =

axay. Weiter gilt (iii), weil lnax = ln(exp(x lna)). Zu (ii) beachte man, dass (ax)y definiertist, weil ax ∈ R+. Mit (iii) folgt (ax)y = exp(y lnax) = exp(yx lna) = axy. Schließlich rechnetman zu (iv) nach, dass axbx = exp(x lna) exp(x lnb) = exp(x(lna + lnb)) = exp(x ln(ab)) =

(ab)x.

Naturlich laßt sich die Potenzfunktion weiter auf C fortsetzen durch az := exp(z lna) fur a ∈ R+,z ∈ C. Dabei gilt weiterhin az+w = azaw ∀z,w ∈ C. Fur a = e ist speziell

ez = exp z

Ub Sei s ∈ R. Zeige: R+→ R, x 7→ xs (vgl. (4.13)) ist stetig, fur s 6= 0 injektiv mit WertebereichR+, fur s > 0 streng monoton wachsend und fur s < 0 streng monoton fallend.

Uneigentliche Grenzwerte von Funktionen

(32) Definition. Seien f : D→ R und a ∈ D. Man schreibt

limz→a

f(z) =∞ (bzw. limz→a

f(z) = −∞)

falls ∀C ∈ R ∃δ > 0∀z ∈ D mit |z− a| < δ : f(z) > C (bzw. f(z) < C).

Beispiel. Sei 0 /∈ D ⊂ R, f : D→ R, f(x) := 1x.� D = R+ =⇒ lim

x→01x

=∞.� D = R− =⇒ limx→0

1x

= −∞.� D = R \ {0} =⇒ limx→0

1x

existiert nicht!

(33) Definition. Sei D ⊂ R nach oben unbeschrankt und f : D→ C.

(i) Fur b ∈ R schreibt man b = limx→∞

f(x), falls ∀ǫ > 0 ∃M ∈ R ∀x ∈ D mit x > M:

|f(x) − b| < ǫ.

(ii) Sei f reellwertig. Man schreibt limx→∞ f(x) = ∞ (bzw. limx→∞ f(x) = −∞), falls ∀C ∈R ∃M ∈ R ∀x ∈ D mit x > M: f(x) > C (bzw. f(x) < C).

Ub Definiere dementsprechend: limx→−∞

f(x) = b, limx→−∞

f(x) =∞ und limx→−∞

f(x) = −∞.

66

Page 67: An1PhMA9202 - TUM

(34) Beispiele. (a) Sei p := Xn +n−1∑

k=0

akXk fur n ∈ N und ak ∈ R. D.h. p ist ein reelles

Polynom n-ten Grades mit Leitkoeffizient 1. Dann gilt fur die Polynomfunktion auf R:

limx→∞

p(x) =∞ und limx→−∞

p(x) =

{∞ fur gerade n,

−∞ fur ungerade n.

(b) Fur jedes a ∈ R+ gilt: limx→∞

ex

xa=∞. Die Exponentialfunktion wachst also schneller als jede

(noch so große) Potenz.

Beweis. (a) Da p(x) = xn(

1+∑n−1k=0 ak

1xn−k

)

, ist p(x) ≥ xn(

1− 1x

∑n−1k=0 |ak|

)

fur x ≥ 1. Fur

x ≥ max{1, 2∑n−1k=0 |ak|

}ist daher p(x) ≥ xn

(

1− 12

)

= 12xn ≥ 1

2x. — Sei nun C ∈ R vorgege-

ben. Fur M := 1+ 2∑n−1k=0 |ak|+ 2|C| gilt p(x) > C ∀x > M. Daher p(x)

x→∞−→ ∞. — Die ubrigenBehauptungen beweist man analog.

(b) Fur x > 0 und k ∈ N mit k > a ist ex

xa> ex

xk= 1xk

∑∞n=0

xn

n!> 1xkxk+1

(k+1)!= x

(k+1)!. Sei C ∈ R

vorgegeben. Fur M := (k+ 1)!|C| gilt ex

xk> C ∀x > M.

(35) Lemma. Sei f : D→ C mit D unbeschrankt. Falls lim|z|→∞

|f(z)| =∞, dann lim|z|→∞

1f(z)

= 0.

Beweis. Sei ǫ > 0. ∃M ∈ R ∀z ∈ D mit |z| > M: |f(z)| > 1ǫ

=⇒ 1|f(z)|

< ǫ ∀z ∈ D mit |z| > M.

(36) Beispiele. Sei a ∈ R+.

(a) limx→∞

xae−x = 0 nach (34)(b) und (35).

(b) limx→∞

ln x =∞, denn der Logarithmus wachst monoton mit ln(R+) = R.

(c) limx>0,x→0

ln x = −∞, denn limx>0,x→0

ln x(35)= lim

y→∞ln 1y

= − limy→∞

lny(b)= −∞.

(d) limx>0,x→0

xa = 0, denn limx>0,x→0

exp(a ln x)(c)= limy→−∞

exp(ay) = limx→−∞

exp x(a)= 0.

(e) limx>0,x→0

x−a =∞, denn limx>0,x→0

x−a = limx>0,x→0

1xa

(d),(35)= ∞.

(f) limx→∞

lnxxa

= 0, denn limx→∞

lnxxa

= 1a

limx→∞

[(a ln x) exp(−a ln x)](b)= 1a

limy→∞

ye−y (a)= 0.

(g) limx>0,x→0

xa ln x = 0, denn limx>0,x→0

xa ln x = limy→∞

1ya

(− lny)(f)= 0.

Gemaß (f) wachst der Logarithmus schwacher als jede (noch so kleine) Potenz.

67

Page 68: An1PhMA9202 - TUM

Trigonometrische Funktionen

Wie beginnen mit dem Nachweis einer weiteren Eigenschaft der Exponentialfunktion.

(37) Lemma. Fur alle x ∈ R gilt |eix| = 1, d.h. eix liegt auf dem Einheitskreis in der komplexenEbene.

eix

i

−i

−1 10

Cb

bb

b

Beweis. |eix|2 = exp(ix)exp(ix)(6.17)= exp(ix) exp(ix) = exp(ix) exp(−ix)

(6.17)= exp(ix − ix) =

exp(0)(6.17)= 1.

(38) Kosinus, Sinus. Die trigonometrischen Funktionen Kosinus und Sinus sind definiert als

cos : R→ R, cos x := Re eix, sin : R→ R, sin x := Im eix.

Daher gelten fur jedes x ∈ R die Eulerschen Formeln

eix = cos x+ i sin x, cos x =1

2(eix+ e−ix), sin x =

1

2i(eix− e−ix).

(39) Erste Eigenschaften. Kosinus und Sinus sind stetig. Fur x, y ∈ R gelten:� cos(−x) = cos x, sin(−x) = − sin x, d.h. der Kosinus ist eine gerade und der Sinus eineungerade Funktion.� cos2x+ sin2x = 1.� cos(0) = 1, sin(0) = 0.� Additionstheoreme: cos(x + y) = cos x cos y − sin x siny, sin(x + y) = sin x cos y +

siny cos x.

Beweis. Die Additionstheoreme folgen sofort aus ei(x+y) = eixeiy. So ist cos(x+y) = Re ei(x+y) =

Re (eixeiy) = Re ((cos x + i sin x)(cos y + i siny)) = cos x cos y − sin x siny. Ebenso folgt dasAdditionstheorem des Sinus. — Alle ubrigen Behauptungen ergeben sich unmittelbar aus denEigenschaften von eix.

68

Page 69: An1PhMA9202 - TUM

(40) Reihendarstellungen. Fur jedes x ∈ R gilt

cos x =

∞∑

k=0

(−1)kx2k

(2k)!= 1−

x2

2!+x4

4!−x6

6!+ . . .

sin x =

∞∑

k=0

(−1)kx2k+1

(2k + 1)!= x−

x3

3!+x5

5!−x7

7!+ . . . ,

wobei die Reihen absolut konvergieren. Weiter gelten die Restgliedabschatzungen

cos x =

n∑

k=0

(−1)kx2k

(2k)!+ R2n+2(x) mit |R2n+2(x)| ≤

|x|2n+2

(2n+ 2)!fur |x| ≤ 2n+ 1, n ≥ 0,

sin x =

n∑

k=0

(−1)kx2k+1

(2k+ 1)!+ R2n+3(x) mit |R2n+3(x)| ≤

|x|2n+3

(2n+ 3)!fur |x| ≤ 2n+ 2, n ≥ 0.

Fur die Restglieder gilt also einheitlich: |Rl(x)| ≤ |x|l

l!fur |x| ≤ l − 1, l = 2, 3, . . . .

Beweis. Die absolute Konvergenz der Reihen folgt leicht mit dem Quotientenkriterium. Weiter

gilt fur jedes N ∈ N:∑Nk=0(−1)

k x2k

(2k)!+ i∑N−1k=0 (−1)k x

2k+1

(2k+1)!=∑2Nj=0

(ix)j

j!, weil (−1)k = i2k und

i(−1)k = i2k+1. Der Grenzubergang N→∞ liefert:

∞∑

k=0

(−1)kx2k

(2k)!︸ ︷︷ ︸

∈R

+ i

∞∑

k=0

(−1)kx2k+1

(2k+ 1)!︸ ︷︷ ︸

∈R

= eix.

Daraus ergeben sich die Reihendarstellungen fur cos und sin. — Seien nun ak := x2k

(2k)!die Abso-

lutbetrage der Glieder der Kosinusreihe. Fur |x| ≤ 2n + 1 ist (ak)k≥n eine monotone Nullfolge,

denn ak+1

ak=

x2k+2

(2k+2)!

x2k

(2k)!

= x2

(2k+2)(2k+1)< 1. Mit der Abschatzung aus dem Leibniz Kriterium (6.9)

folgt:

|R2n+2(x)| =

∞∑

k=n+1

(−1)kx2k

(2k)!

≤ an+1 =x2n+2

(2n+ 2)!.

Die Abschatzung fur den Sinus zeigt man analog.

(41) Wichtige Grenzwerte. limx → 0

x 6= 0

cosx−1x

= 0 und limx → 0

x 6= 0

sinxx

= 1.

Beweis. Da cos x = 1− x2

2+R4(x) mit |R4(x)| ≤ x4

24fur |x| ≤ 3, folgt cosx−1

x= −x

2+R4(x)x

x → 0

x 6= 0−→ 0.

— Aus sin x = x+ R3(x) mit |R3(x)| ≤ |x|3

6fur |x| ≤ 2 folgt sinx

x= 1+

R3(x)x

x → 0

x 6= 0−→ 1.

Da cos 2 = 1 − 22

2+ R4(2) ≤ 1 − 2 + 24

24= −1

3und cos 0 = 1, folgt aus dem ZWS die Existenz

von x0 ∈ [0, 2] mit cos x0 = 0. Die folgende Definition ist damit sinnvoll.

69

Page 70: An1PhMA9202 - TUM

(42) Kreiszahl. Man setzt π := 2 · inf{x ∈ [0, 2] : cos x = 0}.

(43) Weitere Eigenschaften. Aus der Definition von π folgt π ∈]0, 4[, cos π2

= 0 (weil cos

stetig ist) und cos x > 0 ∀x ∈[

0, π2

[

. — Allgemein fur 0 < x ≤ 2 gilt: sin x = x+R3(x) ≥ x− x3

6≥

x(

1− 46

)

> 0. Also ist sin x > 0 fur x ∈]

0, π2

]

. Wegen cos π2

= 0 folgt hieraus sin π2

= 1 nach(39). Es schließen sich folgende Uberlegungen an.

eiπ2 = cos

π

2+ i sin

π

2= 0+ i · 1 = i;

eiπ = (eiπ2 )2 = i2 = −1 = cosπ+ i sinπ⇒ cosπ = −1, sinπ = 0;

e3π2 = eiπ+iπ

2 = eiπ · eiπ2 = −1 · i = −i;

ei2π = (eiπ)2 = (−1)2 = 1;

e−i2π =1

ei2π=1

1= 1;

ei2πk = (ei2π)k = 1k = 1 ∀k ∈ Z;

ei(x+2πk) = eix · ei2πk = eix · 1 = eix ∀x ∈ R, k ∈ Z.

Die letzte Eigenschaft bedeutet, dass x 7→ eix 2π–periodisch ist. Damit sind sin und cosebenfalls 2π–periodisch.

ei0 = 1 = ei2π

eiπ2 = i

ei32π = −i

eiπ = −1

eixi sin x

cos x

Cb

bb

b

b

Aus den Additionstheoremen ergeben sich:

cos(x + π) = − cos x,

sin(x + π) = − sin x,

cos x = sin(π

2− x)

,

sin x = cos(π

2− x)

.

Damit sind sin, cos : R→ R bereits durch ihre Werte auf[

0, π2

]

bestimmt. Insbesondere lautendie Nullstellen:

sin x = 0⇐⇒ x = kπ, k ∈ Z,

cos x = 0⇐⇒ x =π

2+ kπ, k ∈ Z.

70

Page 71: An1PhMA9202 - TUM

−π −π2

0 π2

π 2π

1

−1

Graph von sin

−π −π2

0 π2

π 2π

1

−1

Graph von cos

Es bleibt die geometrische Bedeutung des Arguments x in eix zu klaren. Dazu betrachten wirdas rechtwinkelige Dreieck mit den Ecken (0, 0), (cos x, 0), (cos x, sin x), was auch entartet seinkann. Fur x ∈

[

0, π2

]

sind cos x ≥ 0 und sin x ≥ 0, weshalb eix im ersten Quadranten Q1 liegt.

ei0 = 1 =⇒ cos 0 = 1 = AnkatheteHypothenuse , ebenso ei

π2 = i =⇒ cos π

2= 0 = Ankathete

Hypothenuse . Weiter ist eiπ4 ∈

Q1, (eiπ4 )2 = ei

π2 = i, weshalb cos π

4= 1√

2. Elementargeometrisch folgt 1√

2= Ankathete

Hypothenuse fur den

Winkel x = π4

im Bogenmaß. — Allgemein findet man: eiπ2· 12n ∈ Q1 und (ei

π2· 12n )2

n= i =⇒

cos(

π2· 12n

)

= AnkatheteHypothenuse . Das bedeutet, dass ei

π2· j2n fur j = 0, . . . , 2n stets dieselbe geometrische

Bedeutung hat. Da nun {π2· j2n

: j = 0, . . . , 2n, n ∈ N0} dicht in[

0, π2

]

liegt, folgt aus der Stetigkeitvon x 7→ eix und der ”Stetigkeit des geometrischen Bildes” generell, dass

eix = cos x+ i sin x mit x der Winkel im Bogenmaß

1

i

x

beix

CQ1

(44) Tangens, Kotangens.

tan :R \{π2

+ kπ : k ∈ Z

}→ R, tan x :=

sin x

cos x,

cot :R \ {kπ : k ∈ Z}→ R, cot x :=cos x

sin x.

71

Page 72: An1PhMA9202 - TUM

0 π2

π 32π−π

2−π −π

20 π

Graph von tan Graph von cot

Es gilt:tan(x+ π) = tan x, cot(x+ π) = cot x,

d.h. die beiden Funktionen sind π-periodisch, und es besteht der Zusammenhang

tan(π

2− x) = cot x, cot(

π

2− x) = tan x.

Die Behauptungen folgen unmittelbar aus (43).

72

Page 73: An1PhMA9202 - TUM

8 Differenzierbare Funktionen

Seien wie bislang D ⊂ C, f : D→ C und sei a ∈ D. Die Funktion f soll in der Nahe von a durcheine einfache Funktion angenahert werden. Naheliegend ist die Approximation durch eine affineFunktion z 7→ α + βz =: γ(z). Wir untersuchen die Differenz R1(z) := f(z) − γ(z). Zumindestsoll R1(a) = 0 gelten. Das ist offenbar genau dann der Fall, wenn α = f(a). Von einer gutenApproximation erwartet man jedoch mehr, als nur die Ubereinstimmung der Funktionswerte ander Stelle a. Dazu muss aber f zusatzliche Eigenschaften haben. So gilt:� R1(z) z→a−→ 0, d.h. R1 verschwindet in 0-ter Ordnung fur z→ a ⇐⇒ f ist stetig in a.

Die Stetigkeit einer Funktion ist uns ein vertrauter Begriff. Eine weitergehende Eigenschaft istdie Differenzierbarkeit. Sie erlaubt eine noch bessere Approximation:� R1(z)

z−a

z→a,z6=a−→ 0, d.h. R1 verschwindet in 1-ter Ordnung fur z→ a ⇐⇒: f ist differen-zierbar in a.

Es ist also definitionsgemaß f differenzierbar in a, wenn f(z)−f(a)z−a

z→a,z6=a−→ β. Man bezeichnetden Grenzwert β mit f ′(a). Damit der Grenzubergang z→ a, z 6= a durchgefuhrt werden kann,muss a durch Elemente aus D\{a} approximiert werden konnen, d.h. es muss a ∈ D \ {a} gelten.

b

b

D

a a

a ∈ D \ {a}

b

b

D

a

a /∈ D \ {a}

Zwei wichtige Situationen, wo diese Eigenschaft vorliegt, sind offenbar� D offen =⇒ a ∈ D \ {a} ∀a ∈ D.� D = I ein Intervall in R =⇒ a ∈ I \ {a} ∀a ∈ I.

SeienD = I ein offenes Intervall in R mit 0 ∈ I und f : I→ R mit f(0) = 0. Dann ist f(z)z

z→0,z6=0−→ β

der Anstieg der Tangente an den Graphen von f in 0.

73

Page 74: An1PhMA9202 - TUM

b

x

f(x)

graph(f)

(1) Definition. Die Abbildung f : D → Y mit Y ⊂ C heißt differenzierbar in a, falls

a ∈ D \ {a} und limh → 0, h 6= 0

a + h ∈ D

f(a+h)−f(a)h

existiert. Der Grenzwert wird mit f ′(a) bezeichnet und

heißt die Ableitung von f in a. Weiter heißt f differenzierbar in D, falls f in jedem Punktvon D differenzierbar ist.

Bemerkungen.� Es ist limh → 0 , h 6= 0

a + h ∈ D

f(a+h)−f(a)h

= limz → a, z 6= a

z ∈ D

f(z)−f(a)z−a

. Dabei heißt f(z)−f(a)z−a

der Differen-

zenquotient zu f an der Stelle a. Die Bedingungen h 6= 0, a+ h ∈ D bzw. z 6= a, z ∈ Dsind selbstverstandlich und wir werden sie der Kurze halber oftmals nicht hinschreiben.� Offenbar ist f genau dann differenzierbar in a, wenn es D→ C, z 7→ f(z) ist.� Im Fall D ⊂ R wird in (1) die Differenzierbarkeit einer Funktion einer reellen Veranderli-chen definiert.

Beispiele. (i) f : C→ C, f(z) := α+ βz, mit α,β ∈ C:

f(a+h)−f(a)h

=α+β(a+h)−(α+βa)

h= βh

h= β.

Also ist die affine Funktion f differenzierbar mit konstanter Ableitung f ′(z) = β.

(ii) f : C→ C, f(z) := z2:

f(a+h)−f(a)h

=(a+h)2−a2

h= a2+2ah+h2−a2

h= 2a+ h

h→0, h6=0−→ 2a.

Also ist f differenzierbar mit f ′(z) = 2z.

(iii) I : C \ {0}→ C, I(z) := 1z:

I(a+h)−I(a)h

=1

a+h−1a

h=a−(a+h)

ha(a+h)= −hha(a+h)

= − 1a(a+h)

h→0, h6=0−→ − 1a2.

Also ist die Inversion I differenzierbar mit f ′(z) = − 1z2

.

(iv) f : C→ C, f(z) := ez :f(a+h)−f(a)

h= ea+h−ea

h

h→0, h6=0−→ ea

nach (7.29)(c). Also ist exp differenzierbar mit exp ′ = exp.

(v) f : R→ C, f(z) := eix :f(a+h)−f(a)

h= ei(a+h)−eia

h= eia+ih−eia

ihih→0, h6=0−→ eia i

nach (7.29)(c). Also ist f differenzierbar mit f ′(x) = ieix = if(x).

74

Page 75: An1PhMA9202 - TUM

(vi) f : R→ R, f(x) := cos x:

f(a+h)−f(a)h

=cos(a+h)−cosa

h= Re e

i(a+h)−eia

h

Re stetige Funktion, (v)h → 0, h 6= 0−→ Re ieia = − sina.

Also ist cos differenzierbar mit cos ′ = − sin. — Genauso zeigt man: sin ist differenzierbarmit sin ′ = cos.

(vii) f : R→ R, f(x) := |x|. Hier unterscheiden wir drei Falle.

1. a > 0 :f(a+h)−f(a)

h=

|a+h|−|a|h

|h|<a= a+h−a

h= 1

2. a < 0 :f(a+h)−f(a)

h=

|a+h|−|a|h

|h|<|a|= −a−h+a

h= −1

3. a = 0 :f(0+h)−f(0)

h=

|h|h

konvergiert nicht fur h→ 0, denn z.B. fur h = (−1)n 1n

ist|h|h

= (−1)n.

Das Fazit ist, dass f genau auf R \ {0} differenzierbar ist mit f ′(x) = 1 fur x > 0 undf ′(x) = −1 fur x < 0.

Graph von |x|

x

y

(2) Satz. Seien f : D → C und a ∈ D \ {a}. Weiter seien α,β ∈ C. Dann gilt: R1(h) :=

f(a+h)−α−βh verschwindet in 1. Ordnung fur h→ 0 genau dann, wenn f in a differenzierbarist und α = f(a), β = f ′(a) ist.

Beweis. R1 verschwinde in 1. Ordnung, d.h. R1(0) = 0 und R1(h)h

h→0, h6=0−→ 0. Aus R1(0) = 0 folgt

sofort f(a) = α. Da weiter R1(h)h

=f(a+h)−f(a)

h−β

h→0−→ 0, ist f differenzierbar in a mit f ′(a) = β.— Die umgekehrte Richtung zeigt man ebenso leicht.

M. a. W. ist z→ f(a) + f ′(a)(z − a) die beste affine Approximation von f in der Nahe von a.

(3) Satz. f differenzierbar in a =⇒ f stetig in a.

Beweis. f(z) − f(a) =f(z)−f(a)z−a

(z− a)z→a−→ f ′(a) · 0 = 0.

(4) Rechenregeln der Differenziation. Seien f, g : D → C differenzierbar in a ∈ D undλ ∈ C. Dann gelten die� Linearitat: f+ λg ist differenzierbar in a mit (f + λg) ′(a) = f ′(a) + λg ′(a).� Produktregel: fg ist differenzierbar in a mit (fg) ′(a) = f ′(a)g(a) + f(a)g ′(a).

75

Page 76: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. � (f+λg)(a+h)−(f+λg)(a)h

=f(a+h)−f(a)

h+ λ

g(a+h)−g(a)h

h→0,h6=0−→ f ′(a) + λg ′(a).� (fg)(a+h)−(fg)(a)h

= f(a + h)g(a+h)−g(a)

h+ g(a)

f(a+h)−f(a)h

h→0,h6=0−→ f(a)g ′(a) + g(a)f ′(a).

(5) Kettenregel. Seien D,E ⊂ C, f : D → C, g : E → C mit f(D) ⊂ E, f differenzierbar ina ∈ D und g differenzierbar in f(a). Dann ist g ◦ f : D→ C, (g ◦ f)(z) = g(f(z)) differenzierbarin a mit

(g ◦ f) ′(a) = g ′(f(a))f ′(a).

Beweis. Naheliegend ist die Umformung g(f(z))−g(f(a))z−a

=g(f(z))−g(f(a))f(z)−f(a)

f(z)−f(a)z−a

. Allerdings laßt

sich hier der Grenzprozess z→ a, z 6= a nur ausfuhren, wenn dabei f(z) 6= f(a) ist. Aber es giltallgemein fur alle z 6= a:

g(f(z)) − g(f(a))

z− a= β(f(z))

f(z) − f(a)

z− a

mit β(w) :=g(w)−g(f(a))

w−f(a)fur w ∈ E \ {f(a)} und β(f(a)) := g ′(f(a)). Dabei ist β stetig in f(a),

weil g differenzierbar in f(a) ist. Bildet man jetzt den Grenzubergang zz6=a−→ a, so folgt die

Behauptung.

(6) Quotientenregel. Seien f, g : D→ C differenzierbar in a ∈ D und g(z) 6= 0 ∀z ∈ D. Dannist f

gdifferenzierbar in a mit

(

f

g

) ′(z) =

f ′(a)g(a) − f(a)g ′(a)

(g(a))2.

Beweis. Es ist fg

= f · 1g

= f · I ◦ g, wobei I die Inversion ist. Wendet man die Produkt- und dieKettenregel an, dann folgt mit dem Beispiel (iii) zu (1):(

fg

) ′(a) = (f · I ◦ g) ′(a) = f ′(a)(I ◦ g)(a) + f(a)(I ◦ g) ′(a) = f ′(a) 1

g(a)+ f(a) I ′(g(a))g ′(a) =

f′(a)

g(a)+ f(a)g ′(a) −1

g(a)2=f′(a)g(a)−f(a)g′(a)

g(a)2.

Beispiele. (i) Sei f(z) := zm fur m ∈ Z\ {0} und z 6= 0 falls m < 0. Dann ist f ′(z) = mzm−1.

Beweis. Sei m ∈ N. Fur z 6= z0 istzm−zm0z−z0

=∑m−1k=0 z

m−1−kzk0 = zm−1 + zm−2z0 + . . . +

zzm−10 + zm0 , weshalb

limz→0,z6=0

zm− zm0z− z0

=

m−1∑

k=0

zm−1−k0 zk0 =

m−1∑

k=0

zm−10 = mzm−1

0 .

Hieraus folgt fur z−m mit der Quotientenregel(

1zm

) ′|z=z0 =

−mzm−10

z2m0= −mz−m−1

0 .

76

Page 77: An1PhMA9202 - TUM

(ii) Fur tan : R \{π2

+ kπ : k ∈ Z}→ R, tan(x) = sinx

cosx, gilt tan ′(x) = 1cos2 x

= 1+ tan2(x).

Beweis. tan ′(x) =(

sinxcosx

) ′ Quotientenregel=

cosxcosx−sinx(−sinx)cos2 x

= cos2 x+sin2 xcos2 x

= 1cos2 x

.

(iii) Fur a ∈ R+ sei f : C → C, f(z) := az, die Potenzfunktion zur Basis a. Dafur giltf ′(z) = (lna)az.

Beweis. Definitionsgemaß ist f(z) = exp(z lna). Wegen exp ′ = exp folgt mit der Ketten-regel f ′(z) = exp(z lna) lna = (lna)az.

(7) Ableitung der Umkehrfunktion. Seien f : D→ C injektiv, a ∈ D und f differenzierbarin a mit f ′(a) 6= 0. Weiter bezeichne g : f(D) → C die Umkehrfunktion von f, d.h. g(f(z)) = z

∀z ∈ D. Sei g stetig in f(a). Dann ist g differenzierbar in f(a) und es gilt:

g ′(f(a)) =1

f ′(a)bzw. g ′(b) =

1

f ′(g(b))fur b = f(a).

Beweis. Da a ∈ D \ {a}, existiert (zn) in D mit zn → a und zn 6= a. Weil f stetig in a undinjektiv ist, folgt f(zn) ∈ f(D), f(zn) → f(a) und f(zn) 6= f(a), was f(a) ∈ f(D) \ {f(a)} ergibt.Damit ist die erste Voraussetzung fur die Differenzierbarkeit von g in f(a) erfullt.

Sei nun b := f(a) und w 6= b. Dann ist g(w) 6= g(b), weil g injektiv ist, und g(w)−g(b)w−b

=

g(w)−g(b)f(g(w))−f(g(b))

=(

f(g(w))−f(g(b))g(w)−g(b)

)−1

. Aus w → b folgt g(w) → g(b), weil nach Voraussetzung g

in b stetig ist. Daher g(w)−g(b)w−b

w→b−→ (f ′(g(b)))−1. Also ist g in b differenzierbar mit g ′(b) =1

f′(g(b)).

(8) Korollar. Seien f : [a, b] → R stetig und streng monoton, x ∈ [a, b] und f differenzierbarin x mit f ′(x) 6= 0. Dann ist die Umkehrfunktion g : f([a, b]) → R in y = f(x) differenzierbarmit

g ′(y) =1

f ′(g(y)).

Beweis. f ist injektiv nach (4.9) und g ist stetig nach (7.13). Damit sind die Voraussetzungenvon (7) erfullt und es folgt die Behauptung.

Beispiele. (i) ln ′ x = 1x∀x > 0.

Beweis. Nach (7.30)(ii) ist (8) auf ln |[a,b] mit 0 < a < b < ∞ anwendbar. Man erhalt

ln ′ x = 1exp ′(lnx) = 1

exp(lnx) = 1x.

(ii) Sei α ∈ C und f : R+→ C, f(x) := xα. Dann ist f ′(a) = αxα−1. Vgl. dazu das Beispiel (i)zu (6).

Beweis. Definitionsgemaß ist f(x) = exp(α ln x). Aus (i) folgt mit der Kettenregel f ′(x) =

exp(α ln x)α1x

= αxα1x

= αxα−1.

77

Page 78: An1PhMA9202 - TUM

(9) Nochmals die Exponentialfunktion. Fur jedes x ∈ R existiert und ist

limn→∞

(

1+x

n

)n

= ex

Beweis. Sei n > |x|. Dann ist 1+ xn> 0, so dass ln wie folgt anwendbar ist:

ln(

1+x

n

)n

= n ln(

1+x

n

)

=ln(1+ x

n) − ln 1

(

1+ xn

)

− 1︸ ︷︷ ︸Differenzenquotient

xn→∞−→ ln ′(1) · x = x.

Das bedeutet(

1+ xn

)n= exp

(

ln(

1+ xn

)n) n→∞−→ exp(x), da exp stetig ist.

(10) Hohere Ableitungen. Seien f : D→ C, a ∈ D mit a ∈ D \ {a} und n ∈ N. Setze f(0) := f

und definiere rekursiv: f heißt n-mal differenzierbar in a, wenn fur f(n−1)(a) der Grenzwert

limh→0,h6=0,a+h∈D

f(n−1)(a + h) − f(n−1)(a)

h=: f(n)(a)

existiert. f(n) heißt gegebenenfalls die n-te Ableitung von f in a. — Weiter heißt f n-maldifferenzierbar, falls f in jedem Punkt von D n-mal differenzierbar ist, und f heißt n-malstetig differenzierbar, falls f n-mal differenzierbar ist und f(n) : D→ C stetig ist. Außerdemfuhrt man folgende Funktionenraume ein:

C0(D) := C(D) := {f : D→ C : f stetig},

Cn(D) := {f : D→ C : f n-mal stetig differenzierbar},

C∞(D) :=⋂∞n=1C

n(D) = {f : D→ C : f n-mal stetig differenzierbar fur jedes n in N}.

Man nennt f ∈ C∞(D) beliebig oft differenzierbar. Offenbar gilt C(D) ⊃ Cn(D) ⊃ Cn+1(D) ⊃C∞(D).

Wir wenden uns jetzt elementaren Anwendungen der Ableitung zu.

(11) Definition. Sei f : D → R. Dann heißt z0 ∈ D ein lokales Maximum von f, falls einr > 0 existiert mit

f(z0) ≥ f(z) ∀z ∈ Ur(z0) ∩D.Entsprechend ist ein lokales Minimum definiert. Weiter heißt z0 ein lokales Extremum vonf, falls z0 ein lokales Maximum oder Minimum ist. Wenn es notig ist, werden wir genauer vonlokaler Maximal-, Minimal- und Extremalstelle sprechen.

(12) Satz. Seien f :]a, b[→ R, x0 ∈]a, b[ ein lokales Extremum von f und f differenzierbar inx0. Dann gilt

f ′(x0) = 0.

Beweis. Sei o.E. x0 ein lokales Maximum, sonst betrachte man −f. Dann existiert r > 0 mitf(x0) ≥ f(x) ∀x ∈ Ur(x0)∩]a, b[. Verkleinert man r so, dass Ur(x0) ⊂]a, b[, dann folgt fur0 < h < r:

f(x0+ h) − f(x0)

h≤ 0 h→0=⇒ f ′(x0) ≤ 0,

f(x0− h) − f(x0)

−h≥ 0 h→0=⇒ f ′(x0) ≥ 0.

78

Page 79: An1PhMA9202 - TUM

(13) Definition. Sei f : D→ C differenzierbar in a ∈ D mit f ′(a) = 0. Dann heißt f stationarin a.

Beispiel. Sei f : R→ R, f(x) = x3. Dann ist f ′(x) = 3x2 und somit f ′(0) = 0. Also ist f stationarin 0. Aber 0 ist keine Extremalstelle von f, denn f(x) < 0 fur x < 0 und f(x) > 0 fur x > 0.

x

yGraph x3

(14) Satz von Rolle. Sei f : [a, b] → R stetig, f|]a,b[ differenzierbar und f(a) = f(b). Dannexistiert x0 ∈]a, b[ mit f ′(x0) = 0.

Beweis. Nach (7.16) nimmt f in [a, b] ein Maximum und ein Minimum an. Sei f nicht konstant,da sonst die Behauptung trivial ist. Dann ist die Maximalstelle von der Minimalstelle verschie-den. Also muss eine der beiden Stellen in ]a, b[ liegen. Aus (12) folgt daher die Behauptung.

Beispiel. Sei f : [−1, 1]→ R, f(x) :=√1− x2. Dafur gilt:

1. f ist stetig mit f(−1) = 0 = f(1).

2. f|]−1,1[ ist differenzierbar mit f ′(x) = −x√1−x2

. f ist nicht differenzierbar in {−1, 1} wegen der

vertikalen Tangenten dort.

x

yGraph von

√1 − x2

−1 1

3. f ′(0) = 0.

(15) Verallgemeinerter Mittelwertsatz. Seien f, g : [a, b] → R stetig, f|]a,b[, g|]a,b[ diffe-renzierbar und g ′(x) 6= 0 ∀x ∈]a, b[. Dann gilt g(a) 6= g(b) und es existiert ein ξ ∈]a, b[1

mitf(b) − f(a)

g(b) − g(a)=f ′(ξ)g ′(ξ)

.

Beweis. Es ist g(a) 6= g(b) aufgrund des Satzes von Rolle. Setze F : [a, b] → R, F(x) := f(x) −f(b)−f(a)

g(b)−g(a)(g(x) − g(a)). Dann gilt: F(a) = f(a) = F(b)

Rolle=⇒ ∃ξ ∈]a, b[ mit 0 = F ′(ξ) = f ′(ξ) −

f(b)−f(a)g(b)−g(a)

g ′(ξ). Daraus folgt die Behauptung.

1ξ =”xi”

79

Page 80: An1PhMA9202 - TUM

(16) Mittelwertsatz. Sei f : [a, b] → R stetig und f|]a,b[ differenzierbar. Dann existiert einξ ∈]a, b[ mit

f(b) − f(a)

b− a= f ′(ξ).

Beweis. Die Behauptung folgt unmittelbar aus (15) mit g(x) = x.

Ub Gilt der Mittelwertsatz auch fur komplexwertige Funktionen? Man gebe einen Beweis oderfuhre ein Gegenbeispiel an.

(17) Korollar. Sei f : [a, b] → R stetig, f|]a,b[ differenzierbar und f ′(x) = 0 ∀x ∈]a, b[. Dannist f konstant.

Beweis. Wende (16) auf das Teilintervall [a, x] ⊂ [a, b] fur x ∈]a, b] an. Es folgt f(x) = f(a).

(18) Satz von De L’Hospital. Seien a, b ∈ R ∪ {−∞,∞}, a < b und f, g :]a, b[→ R differen-zierbar mit g ′(x) 6= 0 ∀x ∈]a, b[ derart, dass folgende Grenzwerte fur x→ b existieren:� lim f(x) = limg(x) = 0 oder lim f(x) ∈ {−∞,∞}, limg(x) ∈ {−∞,∞},� lim f′(x)

g′(x)=: L ∈ R ∪ {−∞,∞}.

Dann existiert und ist

limf(x)

g(x)= L.

Entsprechendes gilt fur den Grenzprozess x→ a.

Beweis. Fall 1: Sei lim f(x) = limg(x) = 0 und b ∈ R. — Durch f(b) := g(b) := 0 werden fund g in b stetig fortgesetzt (siehe (7.27)(ii)). Sei a < x < b. Nach (15) existiert ξ ∈]x, b[ mitf(x)

g(x)=f(x)−f(b)

g(x)−g(b)=f′(ξ)

g′(ξ). Aus x→ b folgt ξ→ b. Daher gilt die Behauptung, und zwar auch fur

den Fall, dass L ∈ {−∞,∞}.

Fall 2: Sei lim f(x) = lim g(x) =∞, b ∈ R und L ∈ R. — Nach (15) gilt: ∀u, x ∈]a, b[ mit u < x

∃ξ ∈]u, x[ mit f′(ξ)

g′(ξ)=f(x)−f(u)

g(x)−g(u), d.h.

f(x)

g(x)= V(u, x)

f ′(ξ)g ′(ξ)

fur V(u, x) :=1−

g(u)g(x)

1−f(u)

f(x)

. (⋆)

Aus f(x)g(x)

− L = V(u, x)(

f′(ξ)g′(ξ)

− L)

+ (V(u, x) − 1) L folgt mit Hilfe der Dreiecksungleichung

f(x)

g(x)− L

≤ |V(u, x)|

f ′(ξ)g ′(ξ)

− L

+ |V(u, x) − 1||L|.

80

Page 81: An1PhMA9202 - TUM

Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Es exisitert u0 ∈]a, b[ derart, dass∣

f′(t)

g′(t)− L∣

∣ < ǫ4

∀t ∈]u0, b[,

weil f′(t)

g′(t)

t→b−→ L. Weiter existiert x0 ∈]u0, b[ derart, dass∣

g(u0)

g(x)

∣,∣

f(u0)

f(x)

∣< min

{13, ǫ6(1+|L|)

}

∀x ∈]x0, b[, weil g(x), f(x)x→b−→ ∞. Damit gilt fur alle x ∈]x0, b[:

|V(u0, x)| ≤1+ 1

3

1− 13

= 2, |V(u0, x) − 1| =

f(u0)

f(x)−g(u0)

g(x)

∣1−

f(u0)

f(x)

≤2ǫ61

1+|L|

1− 13

2

1

1+ |L|

und somit∣

f(x)

g(x)− L

≤ 2 · ǫ4

2

1

1+ |L||L| < ǫ.

Das bedeutet lim f(x)

g(x)= L.

Fall 3: Sei lim f(x) = lim g(x) = ∞, b ∈ R, L = ∞. — Sei C > 0 vorgegeben. Es existiert

u0 ∈]a, b[ derart, dass f′(t)

g′(t)> 2C ∀t ∈]u0, b[, weil f

′(t)

g′(t)→∞. Weiter existiert x0 ∈]u0, b[ derart,

dass∣

g(u0)

g(x)

∣,∣

f(u0)

f(x)

∣< 13∀x ∈]x0, b[, weil f(x) → ∞, g(x) →∞. Nach (⋆) gilt fur alle x ∈]x0, b[

die Abschatzung |V(u0, x)| >1−1

3

1+13

= 12

und somit

f(x)

g(x)>1

2· 2C = C.

Das bedeutet lim f(x)

g(x)=∞.

Der Fall L = −∞ folgt analog. Die ubrigen Falle aus lim f(x) ∈ {−∞,∞}, limg(x) ∈ {−∞,∞}

und L ∈ {−∞,∞} folgen, indem man gegebenenfalls −f und −g betrachtet. Damit gelten alleFalle mit b ∈ R. Ganz entsprechend folgen alle Grenzprozesse x→ a ∈ R.

Fall 4: Es wird der Grenzprozess x → b = ∞ behandelt. — O.E. ist a > −∞. Man betrachteF(x) := f

(

1x−a

)

, G(x) := g(

1x−a

)

fur x > a und 1x−a

> a. Aus dem Bisherigen ergibt sich

limx→∞

f(x)

g(x)= limx→a

F(x)

G(x)

s.o.= limx→a

F ′(x)G ′(x)

Kettenregel= lim

x→a

f ′(

1x−a

)

−1(x−a)2

g ′ ( 1x−a

)

−1(x−a)2

= limx→∞

f ′(x)g ′(x)

.

Schließlich folgt der Fall x→ a = −∞ analog aus dem Fall b <∞.

Beispiele. (i) sinx−1x−π

2

ist vom Typ ”00” fur x → π

2. L’H: cos x

1

x→ π2−→ cos π

2= 0. Also folgt

limx→ π

2

sinx−1x−π

2

= 0.

(ii) xsinx1−cosx ist vom Typ ”0

0” fur x → 0. L’H: sinx+xcosx

sinx ist vom Typ ”00” fur x → 0, daher

wieder L’H: cosx+cos x−xsinxcosx

x→0−→ 2. Also folgt limx→0

xsinx1−cosx = 2.

(iii) 1x− 1

sinx ist vom Typ ”∞−∞” fur x→ 0. Daher muss man zunachst umformen: 1x− 1

sinx =sinx−xxsinx ist vom Typ ”0

0” fur x → 0. L’H: cosx−1

sinx+xcosx ist vom Typ ”00” fur x → 0, daher

wieder L’H: −sinxcosx+cos x−xsinx

x→0−→ 02

= 0. Also folgt limx→0

(

1x

− 1sinx

)

= 0.

81

Page 82: An1PhMA9202 - TUM

Ub Man bestimme mit Hilfe des Satzes von De L’Hospital die folgenden Grenzwerte:

(i) limx→0

1x

ln(1+ x)

(ii) limx→0,x>0

1−√

cos(x)

1−cos√x

(iii) limx→∞

ln(x+100)−lnx

(iv) limx→1

(1− x) tan(π2x)

(v) limx→0

( 1sin2 x

− 1x2

)

(19) Satz. Sei f : [a, b]→ R stetig und f|]a,b[ differenzierbar. Dann gelten:

(i) f ′(x) ≥ 0 ∀x ∈]a, b[ ⇐⇒ f monoton wachsend.

(ii) f ′(x) > 0 ∀x ∈]a, b[ =⇒ f streng monoton wachsend.

Entsprechende Aussagen gelten zu monoton fallend.

Beweis. Sei a ≤ x < y ≤ b. Nach (16) existiert ξ ∈]a, b[ mit f(y) − f(x) = f ′(ξ)(y − x).

Damit gelten ”⇒”. — Zu ”⇐”: Sei x0 ∈]a, b[ vorgegeben. Dann gilt ∀x ∈ [a, b]: 0 ≤ f(x)−f(x0)x−x0

x→x0−→ f ′(x0), weshalb f ′(x0) ≥ 0.

Die Umkehrung in (19)(ii) gilt nicht: Man betrachte dazu f : [−1, 1] → R, f(x) = x3, wofurf ′(x) = 3x2 > 0 fur x 6= 0. Sei x < y. Es folgt f(x) < f(y) falls y ≤ 0 oder x ≥ 0 wegen(19)(ii), aber auch im Fall x < 0, y > 0, weil hier f(x) < 0, f(y) > 0. Damit ist f streng monotonwachsend, aber f ′(0) = 0.

x

y graph(f)

(20) Satz. Seien I ⊂ R ein offenes Intervall, f ∈ C2(I) und a ein lokales Minimum von f.Dann gelten f ′(a) = 0 und f ′′(a) ≥ 0.

Beweis. Sei x ∈ I und x < a. Nach dem Mittelwertsatz existiert ξ ∈]x, a[ mit 0 ≥ f(x)−f(a)x−a

=

f ′(ξ). Ist y ∈ I und y > a, dann existiert entsprechend η ∈]a, y[ mit 0 ≤ f(y)−f(a)y−a

= f ′(η).

Schließlich existiert ζ ∈]ξ, η[ mit 0 ≤ f′(η)−f′(ξ)η−ξ

= f ′′(ζ). Fur x → a, x < a und y → a, y > a

folgt f ′′(ζ)→ f ′′(a), weil x < ζ < y und f ′′ stetig ist. Also ist f ′′(a) ≥ 0.2

2η=”eta”, ζ=”zeta”

82

Page 83: An1PhMA9202 - TUM

(21) Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen.

1. Arcussinus. Es ist sin(

−π2

)

= −1, sin(

π2

)

= 1 und sin ′ x = cos x > 0 ∀x ∈]

−π2, π2

[

.Daher ist

[

−π2, π2

]

→ [−1, 1], x 7→ sin x, streng monoton wachsend nach (19) und damitaufgrund des Zwischenwertsatzes bijektiv.

x

y

π2

−π2

Graph von sin

Die Umkehrfunktion heißt arcsin : [−1, 1] →[

−π2, π2

]

. Sie ist streng monoton wachsend,stetig (siehe (4.10), (7.13)) und nach (8) differenzierbar auf ] − 1, 1[ mit Ableitung

arcsin ′(x) =1

sin ′(arcsin x)=

1

cos(arcsin x)

cos>0=

1

+

1− sin2(arcsin x)=

1√1− x2

.

−1 1

π2

−π2

Graph von arcsin

2. Arcuscosinus. Analog ist [0, π]→ [−1, 1], x 7→ cos x, streng monoton fallend und bijektiv.

x

y

π0

Graph von cos

Die Umkehrfunktion heißt arccos : [−1, 1]→ [0, π]. Ihre Ableitung lautet

arccos ′(x) =1

cos ′(arccos x)=

1

− sin(arccos x)

sin>0=

−1

+√

1− cos2(arccos x)= −

1√1− x2

.

x

y

π

0

Graph von arccos

−1 1

83

Page 84: An1PhMA9202 - TUM

3. Arcustangens. Nach Beispiel (ii) zu (6) ist tan ′ x = 1cos2 x

> 0 ∀x ∈]

−π2, π2

[

. Daher ist]

−π2, π2

[

→ R, x 7→ tan x, streng monoton wachsend und damit aufgrund des Zwischen-wertsatzes bijektiv, weil lim

x→ π2

tan x = ∞, limx→−π

2

tan x = −∞. ( Die Surjektivitat beweist

man wie exp(R) = R+ in (7.30)(i).)

x

y

π2

−π2

Graph von tan

Die Umkehrfunktion heißt arctan : R→]

−π2, π2

[

. Sie ist streng monoton wachsend, bijektivund differenzierbar mit Ableitung

arctan ′(x) =1

tan ′(arctan x)=

1

1+ tan2(arctan x)=

1

1+ x2.

x

y

π2

−π2

Graph von arctan

84

Page 85: An1PhMA9202 - TUM

9 Regelfunktionen und ihr Integral

Wie berechnet man, besser definiert man, den Flacheninhalt unterhalb des Graphen einer posi-tiven Funktion f : [a, b]→ R?

a b x

y graph(f)

Dies ist klar im Falle einer stuckweise konstanten Funktion. Ausgehend von der Flache einesRechtecks erhalt man z.B. fur die unten skizzierte Funktion c1(x1−a)+c2(x2−x1)+c3(b−x2).

a x1 x2 b

c1

c2c3

x

y

Die naheliegende Idee ist es daher, eine allgemeine Funktion durch stuckweise konstante Funk-tionen, etwas allgemeiner durch Treppenfunktionen, zu approximieren.

(1) Definition. Seien a, b ∈ R mit a < b. Eine Zerlegung Z des Intervalls [a, b] ist eineendliche indizierte Menge

Z = {x0, x1, . . . , xn}

mit n ∈ N und a = x0 < x1 < . . . < xn = b. Dabei heißen xk der k-te Teilungspunktund ]xk−1, xk[ das k-te Teilintervall von Z fur k = 1, . . . , n. Die Zerlegung Z ′ heißt eineVerfeinerung von Z, wenn Z ′ ⊃ Z.

(2) Definition. ϕ : [a, b] → C heißt Treppenfunktion, wenn eine Zerlegung Z existiertderart, dass ϕ auf den Teilintervallen konstant ist, d.h.

∀k ∈ {1, . . . , n} ∃ ck ∈ C : ϕ|]xk−1, xk[ = ck.

Dabei heißt Z eine ϕ-Zerlegung oder Zerlegung fur ϕ. Die Menge der Treppenfunktionen auf[a, b] wird mit T [a, b] bezeichnet.

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Bemerkungen. � Uber die Werte von ϕ an den Teilungspunkten wird nichts vorausgesetzt.� Es gibt viele zu ϕ gehorige Zerlegungen. So gehort z.B. jede Verfeinerung einer ϕ-Zerlegungdazu.

(3) Definition. Sei X 6= ∅ eine Menge. Dann heißt f : X → C beschrankt, wenn f(X) be-schrankt ist (siehe (5.7)). Weiter sei B(X) := {f : X → C : f beschrankt} und fur f ∈ B(X) sei‖f‖s := sup{|f(x)| : x ∈ X}. (‖ · ‖s wird in der Literatur oft mit ‖ · ‖∞ bezeichnet.)

Dann ist B(X) ein C-Vektorraum, denn fur alle f, g ∈ B(X) und λ ∈ C ist f + λg ∈ B(X), und‖ · ‖s erfullt� ‖f‖s ≥ 0 und ‖f‖s = 0⇐⇒ f = 0 Positive Definitheit� ‖λf‖s = |λ|‖f‖s Homogenitat� ‖f + g‖s ≤ ‖f‖s+ ‖g‖s Dreiecksungleichung

weil der Betrag auf C die entsprechenden Eigenschaften hat. Damit ist ‖ · ‖s eine Norm, diesogenannte Supremumsnorm auf B(X). — Allgemein definiert man: Ist V ein Vektorraumuber K, dann heißt ‖ · ‖ : V → R eine Norm auf V , wenn ‖ · ‖ positiv definit und homogen ist,und die Dreiecksungleichung erfullt. (V, ‖ · ‖) heißt normierter Raum.

Beispiele. Normierte Raume sind� (K, | · |) mit dem Betrag | · |� (B(X), ‖ · ‖s) mit der Supremumsnorm ‖ · ‖s.

(4) Lemma. T [a, b] ist ein Untervektorraum von B[a, b] := B([a, b]). Außerdem ist |ϕ| ∈ T [a, b]

fur ϕ ∈ T [a, b].

Beweis. Fur ϕ ∈ T [a, b] ist ϕ([a, b]) ⊂ C ist endlich und somit beschrankt. Offensichtlich gilt|ϕ| ∈ T [a, b]. Sind ϕ, ψ ∈ T [a, b], λ ∈ C und Zϕ, Zψ zugehorige Zerlegungen, dann ist offenbarZϕ∪ Zψ eine Zerlegung fur ϕ + λψ. Damit ist T [a, b] ist ein Vektorraum.

(5) Definition. Fur ϕ ∈ T [a, b] heißt die komplexe Zahl

b∫

a

ϕ(x)dx :=

n∑

k=1

ck(xk− xk−1)

das Integral von ϕ.

Dieses ist wohldefiniert, da es nicht von der ϕ-Zerlegung abhangt. Sei Z ′ eine weitere ϕ-Zerlegung. Dann ist auch Z ∪ Z ′ ist eine ϕ-Zerlegung. Von Z (bzw. Z ′) kommt man zu Z ∪ Z ′

durch wiederholte Hinzunahme eines Teilungspunktes von Z ′ (bzw. Z). Es bleibt also zu zei-

gen: Durch Einfugen eines Teilungspunktes x∗ andert sich∫baϕ(x)dx nicht. Sei x∗ ∈]xk−1, xk[.

Dann wird ck(xk − xk−1) in der Summe ersetzt durch ck(x∗ − xk−1) + ck(x

∗ − xk), was gleichck(xk− xk−1) ist. Also andert sich der Summenwert nicht.

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Bemerkung.∫baϕ(x)dx hangt nicht von den Funktionswerten von ϕ an den Teilungspunkten

ab. – Andert man eine Treppenfunktion an endlich vielen Stellen ab, so bleibt sie eine Treppen-funktion und ihr Integral andert sich nicht.

(6) Lemma. Seien ϕ,ψ ∈ T [a, b] und λ ∈ C. Dann gelten

(a)b∫

a

(ϕ + λψ)(x)dx =b∫

a

ϕ(x)dx + λb∫

a

ψ(x)dx Linearitat

(b)

b∫

a

ϕ(x)dx

≤b∫

a

|ϕ(x)|dx ≤ (b− a)‖ϕ‖s Beschranktheit

(c) ϕ und ψ reellwertig mit ϕ ≤ ψ (punktweise) =⇒b∫

a

ϕ(x)dx ≤b∫

a

ψ(x)dx Monotonie

Beweis. Sei Zϕ eine ϕ-Zerlegung und Zψ eine ψ-Zerlegung. Dann ist Z := Zϕ ∪ Zψ ist eineZerlegung fur ϕ, ψ, ϕ+λψ und |ϕ|. Bezuglich Z sind (a) – (c) einfache Aussagen uber Summen.

(7) Punktweise und gleichmaßige Konvergenz. Seien X 6= ∅ eine Menge und fn : X → C

Funktionen fur n ∈ N. Fur die Folge (fn) von Funktionen unterscheidet man die punktweise unddie gleichmaßige Konvergenz.

(a) Sei x0 ∈ X. Dann konvergiert (fn) in x0, wenn z0 ∈ C existiert mit fn(x0)n→∞−→ z0.

(b) (fn) konvergiert punktweise, wenn (fn) in jedem Punkt von X konvergiert. Demnachexistiert f : X → C mit fn(x) −→ f(x) ∀x ∈ X. Man sagt (fn) konvergiert punktweise

gegen f und schreibt fnpktw−→ f.

(c) (fn) konvergiert gleichmaßig, wenn f : X→ C existiert derart, dass

∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀n > N ∀x ∈ X : |fn(x) − f(x)| ≤ ǫ.

Man sagt (fn) konvergiert gleichmaßig gegen f und schreibt fnglm−→ f.

Offenbar sind die Limites f in (a) – (c) eindeutig und es gilt: fnglm−→ f =⇒ fn

pktw−→ f.

Die Umkehrung dazu gilt nicht, wie das folgende Beispiel zeigt.

Beispiel. Sei X := [0, 1] und fn(x) := xn. Dann gilt:

fn(x)n→∞−→

{0 fur x 6= 1,

1 fur x = 1.

Daher konvergiert (fn) punktweise gegen f mit f(x) := 0 fur x 6= 1 und f(1) := 1. Aber (fn)

konvergiert nicht gleichmaßig, denn sonst wurde (fn) gleichmaßig gegen f konvergieren, was

nicht der Fall ist, denn fur ǫ = 14

und xn := n

12

gilt

|fn(xn) − f(xn)| = |xnn− 0| = |1

2− 0| 6< 1

4= ǫ.

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Page 88: An1PhMA9202 - TUM

Wir verweilen ein wenig bei der gleichmaßigen Stetigkeit.

(8) Satz. Seien D ⊂ C und (fn) eine Folge in C(D), die gleichmaßig gegen f : D → C kon-vergiert. Dann ist f ∈ C(D). (In Worten heißt das, dass die Grenzfunktion einer gleichmaßigkonvergenten Folge stetiger Funktionen stetig ist.)

Beweis. Sei z0 ∈ D. Wir zeigen die Stetigkeit von f in z0. Fur jedes z ∈ D und jedes n ∈ N gilt

|f(z0) − f(z)| ≤ |f(z0) − fn(z0)| + |fn(z0) − fn(z)| + |fn(z) − f(z)|. (∗)

Sei nun ǫ > 0 vorgegeben. Es existiert n0 ∈ N mit |f(z) − fn0(z)| <ǫ3∀z ∈ D (weil fn

glm−→ f). Esexistiert δ > 0 derart, dass |fn0 (z) − fn0(z0)| <

ǫ3

fur alle z ∈ D mit |z− z0| < δ (weil fn0 stetigin z0 ist). Dann folgt aus (∗) fur alle z ∈ D mit |z− z0| < δ: |f(z0) − f(z)| < ǫ

3+ ǫ3

+ ǫ3

= ǫ.

Beispiel. Wir betrachten nochmals das Beispiel nach (7): (xn) konvergiert nicht gleichmaßig,da sonst der punktweise Grenzwert f mit f(x) = 0 fur x 6= 1, f(1) = 1 nach (8) stetig ware. Dasist eine neuer Beweis.

(9) Lemma. Sei X eine Menge und (fn) in B(X) konvergiere gleichmaßig gegen f : X→ C. Dannist f ∈ B(X). (In Worten heißt das, dass die Grenzfunktion einer gleichmaßig konvergenten Folgebeschrankter Funktionen beschrankt ist.)

Beweis. Weil fnglm−→ f, gibt es zu ǫ = 1 ein n0 ∈ N derart, dass |fn0 (x)− f(x)| < 1 fur alle x ∈ X.

Daher gilt fur alle x ∈ X: |f(x)| = |f(x)−fn0 (x)+fn0(x)| ≤ |f(x)−fn0 (x)|+|fn0 (x)| ≤ 1+‖fn0‖s.

(10) Definition und Satz. Eine Folge (fn) in B(X) heißt normkonvergent, wenn f ∈ B(X)

existiert mit limn→∞

‖fn − f‖s = 0. — Sei (fn) eine Folge in B(X). Dann ist (fn) genau dann

normkonvergent, wenn (fn) gleichmaßig konvergiert.

Beweis. Sei (fn) gleichmaßig konvergent. Nach (7) (c) existiert f : X → C derart, dass ∀ǫ >0 ∃N ∈ N ∀n > N ∀x ∈ X : |fn(x)− f(x)| ≤ ǫ. Offenbar gilt die Aquivalenz: ‖fn− f‖s ≤ ǫ ⇐⇒∀x ∈ X : |fn(x) − f(x)| ≤ ǫ. Daher folgt: ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀n > N: ‖fn− f‖s ≤ ǫ. Außerdem weißman nach (9), dass f ∈ B(X). Damit ist (fn) normkonvergent (gegen f). — Die Umkehrung folgtganz ahnlich.

Naturlich kann es sein, dass fn : X → C fur n ∈ N, f : X → C nicht beschrankt sind und (fn)

gleichmaßig gegen f konvergiert. Als Beispiel betrachte X = R und fn(x) := x− 1n, f(x) := x.

(11) Regelfunktionen. f : [a, b]→ C heißt eine Regelfunktion, wenn eine Folge (ϕn) in T [a, b]

existiert mit ϕnglm−→ f. Die Menge aller Regelfunktionen auf [a, b] wird mit R[a, b] bezeichnet.

Bemerkungen.� T [a, b] ⊂ R[a, b] (denn zu ϕ ∈ T [a, b] betrachte man ϕn := ϕ ∀n ∈ N).

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� R[a, b] ⊂ B[a, b] (nach (4) und (9)).� (ϕn) ist normkonvergent gegen f (nach (10)), weshalb� f ∈ R[a, b]⇐⇒ ∀ǫ > 0 ∃ϕ ∈ T [a, b] : ‖f −ϕ‖s < ǫ.

(12) Integral einer Regelfunktion. Seien f ∈ R[a, b] und (ϕn), (ψn) Folgen in T [a, b] mit

ϕnglm−→ f und ψn

glm−→ f. Dann existieren und sind

limn→∞

b∫

a

ϕn(x)dx = limn→∞

b∫

a

ψn(x)dx.

Damit ist das Integralb∫

a

f(x)dx := limn→∞

b∫

a

ϕn(x)dx

von f uber [a, b] wohldefiniert, weil es unabhangig von der approximierenden Folge von Trep-

penfunktionen ist. Man schreibt oft kurz∫baf oder gar nur

∫f.

Beweis. Man bilde die Folge (χn) := (ϕ1, ψ1, ϕ2, ψ2, . . .) in T [a, b]. Dann sind (ϕn) und (ψn)

Teilfolgen von (χn). Offenbar konvergiert (χn) gleichmaßig gegen f. Damit folgt fur n,m ∈ N:∣

b∫

a

χn(x)dx −b∫

a

χm(x)dx

(6)(a)=

b∫

a

(χn− χm)(x)dx

(6)(b)

≤ (b−a)‖χn−χm‖s ≤ (b−a)(‖χn− f‖s+

‖f−χm‖s) n,m→∞−→ 0. Also ist(∫baχn(x)dx

)

neine Cauchy Folge in C und somit konvergent. Die

Teilfolgen(∫baϕn(x)dx

)

nund

(∫baψn(x)dx

)

nkonvergieren gegen den gleichen Grenzwert.

(13) Satz. R[a, b] ist ein Untervektorraum von B[a, b] mit |f| ∈ R[a, b] fur f ∈ R[a, b]. DasIntegral

R[a, b]→ C, f 7→b∫

a

f(x)dx

ist weiterhin linear, beschrankt und monoton (vgl. (6)).

Beweis. Wir wissen bereits, dass R[a, b] ein Untervektorraum von B[a, b] ist. — Jetzt zeigen wir|f| ∈ R[a, b] und die Beschranktheit des Integrals. Da | |ϕn(x)|−|f(x)| | ≤ |ϕn(x)−f(x)| fur jedes x,

folgt ‖|ϕn| − |f|‖s ≤ ‖ϕn− f‖s −→ 0. Daher ist |f| ∈ R[a, b] und∣

∫f∣

(12)←−

∫ϕn∣

(6)(b)

≤∫

|ϕn|(12)−→

∫|f|. Das beweist

∫f∣

∣ ≤∫

|f|. Desweiteren gilt∫

|ϕn|(6)(b)

≤ (b−a)‖ϕn‖s −→ (b−a)‖f‖s, woraus∫|f| ≤ (b− a)‖f‖s folgt.Zum Nachweis der Linearitat des Integrals seien f, g ∈ R[a, b], λ ∈ C. Es existieren Folgen

(ϕn), (ψn) in T [a, b], die normkonvergent gegen f bzw. g sind. Wegen ‖(f+λg)−(ϕn+λψn)‖s ≤‖f−ϕn‖s+ |λ|‖g−ψn‖s n→∞−→ 0 ist (ϕn+λψn) normkonvergent gegen f+λg ist. Nach (6)(a) gilt∫(ϕn+λψn) =

∫ϕn+λ

∫ψn, und aus (12) folgen

∫(ϕn+λψn) −→

∫(f+λg),

∫ϕn+λ

∫ψn −→∫

f+ λ∫g. Damit gilt

∫(f + λg) =

∫f+ λ

∫g.

Schließlich sei zum Nachweis der Monotonie f ≤ g punktweise. Setze ϕn := ϕn− ‖f−ϕn‖sund ψn := ψn+ ‖g−ψn‖s. Dafur gelten ϕn ≤ f ≤ g ≤ ψn und ϕn

glm−→ f, ψnglm−→ g. Mit (6)(c),

(6)(a) und (12) folgt daraus 0 ≤∫(ψn− ϕn) =

∫ψn−

∫ϕn −→

∫g−∫f. Also ist

∫f ≤∫g.

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(14) Satz. Seien (fn) in R[a, b], f : [a, b]→ C und fnglm−→ f. Dann ist f ∈ R[a, b] und es gilt

b∫

a

f(x)dx = limn→∞

b∫

a

fn(x)dx.

Beweis. Nach der ersten Bemerkung zu (11)und wegen (9) ist f ∈ B[a, b]. Sei ǫ > 0 vorgegeben.Es existiert n0 ∈ N mit ‖fn0 − f‖s ≤ ǫ

2(weil ‖fn − f‖s → 0). Dazu existiert ϕ ∈ T [a, b] mit

‖fn0 −ϕ‖s < ǫ2

(nach der letzten Bemerkung zu (11), weil fn0 ∈ R[a, b]). Damit ist ‖f −ϕ‖s ≤‖f−fn0‖s+‖fn0−ϕ‖s < ǫ

2+ǫ2

= ǫ. Das zeigt nach der letzten Bemerkung zu (11), dass f ∈ R[a, b].

— Schließlich gilt∣

∫f −∫fn∣

(13)=∣

∫(f − fn)

(13)

≤∫

|f − fn|(13)

≤ (b− a)‖f − fn‖s n→∞−→ 0.

(15) Beispiel. In (14) kann die gleichmaßige nicht durch die punktweise Konvergenz gegenf ∈ R[a, b] ersetzt werden. Als Beispiel dazu betrachte man die Folge (ϕn) in T [0, 1] mit

ϕn(x) :=

0 fur 0 ≤ x ≤ 1n

n fur 1n< x < 2

n

0 fur 2n≤ x ≤ 1

Offenbar konvergiert (ϕn) punktweise gegen 0, aber∫ϕn = 1 ∀n ∈ N.

Was sind es fur Funktionen in R[a, b]?

(16) Satz. f ist eine Regelfunktion auf [a, b] genau dann, wenn f in allen Punkten x ∈]a, b]

einen links- und in allen Punkten x ∈ [a, b[ einen rechtsseitigen Grenzwert hat, d.h.

∃f(x−) := limt→x,t<x

f(t) bzw. ∃f(x+) := limt→x,t>x

f(t).

Beweis. Sei f eine Regelfunktion. Sei x0 ∈]a, b] und ǫ > 0. Es existiert ϕ ∈ T [a, b] mit ‖f−ϕ‖s <ǫ2

und dazu ein α ∈]a, x0[, wofur ϕ|]α,x0[ konstant ist (gleichgultig, ob x0 Teilungspunkt ist odernicht). Damit gilt fur alle t, t ′ ∈]α, x0[: |f(t)−f(t ′)| ≤ |f(t)−ϕ(t)|+|ϕ(t)−ϕ(t ′)|+|ϕ(t ′)+f(t ′)| <ǫ2

+ 0 + ǫ2

= ǫ. Mit dem Folgenkriterium (7.2) und dem Cauchy Kriterium (5.22) folgt darausdie Existenz von lim

t→x0,t<x0f(t). Ebenso folgt die Existenz der rechtsseitigen Grenzwerte.

Zur Umkehrung nehme man an, dass f /∈ R[a, b]. Nach der letzten Bemerkung nach (11)existiert dann ein ǫ > 0 mit ‖f − ϕ‖s > ǫ ∀ϕ ∈ T [a, b]. Man definiert jetzt induktiv eineIntervallschachtelung ([an, bn]) mit [an, bn] ⊂ [a, b] und

‖f|]an ,bn[ − χ‖s > ǫ ∀χ ∈ T [an, bn]. (∗)

Man beginnt mit [a1, b1] := [a, b], was (∗) erfullt . Sei [an, bn] bereits definiert und M := an+bn2

der Mittelpunkt von [an, bn]. Es kann nicht sein, dass sowohl χ1 ∈ T [an,M] mit ‖f|[an ,M]−χ1‖s ≤ǫ als auch χ2 ∈ T [M,bn] mit ‖f|[M,bn ] − χ2‖s ≤ ǫ existiert, denn sonst erfullt χ ∈ B[an, bn] mitχ|[an ,M] := χ1 und χ|]M,bn ] := χ2 offenbar

χ ∈ T [an, bn], ‖f|[an ,bn] − χ‖s ≤ ǫ,

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Page 91: An1PhMA9202 - TUM

was ein Widerspruch zu (∗) ist. Wahle nun [an+1, bn+1] aus {[an,M], [M,bn]}, so dass (∗) gilt.Sei {x0} :=

n[an, bn]. Man betrachte zunachst den Fall x0 ∈]a, b[. Sei δ > 0 derart, dass

|f(x) − f(x0−)| < ǫ ∀x ∈ [x0− δ, x0[, |f(x) − f(x0+)| < ǫ ∀x ∈ ]x0, x0+ δ],

Dann definiert

χ(x) :=

f(x0−) ∀x ∈ [x0− δ, x0[

f(x0) fur x = x0

f(x0+) ∀x ∈ ]x0, x0+ δ]

eine Treppenfunktion χ ∈ T [x0 − δ, x0 + δ] mit ‖f|[x0−δ,x0+δ] − χ‖s < ǫ. Nun existiert N ∈ N

mit [aN, bN] ⊂ [x0− δ, x0+ δ] (weil x0 ∈ [an, bn] ∀n und bn− an→ 0). Die Treppenfunktionχ|[aN,bN ] liefert einen Widerspruch zu (∗). — Die Falle x0 = a und x0 = b sind entsprechendeinfacher zu beweisen.

Man kann weiter zeigen, dass eine Regelfunktion an hochstens abzahlbar vielen Stellen unstetigist. — Sei C[a, b] := C([a, b]). Das nachste Ergebnis folgt sofort aus (16).

(17) Korollar. Es gelten:

(a) C[a, b] ⊂ R[a, b].

(b) f : [a, b]→ R monoton =⇒ f ∈ R[a, b].

Beispiele. � f : [0, 1] → R, f(x) := sin 1x

fur x 6= 0 und f(0) := 0 ist keine Regelfunktionnach (16), weil lim

x→0,x>0f(x) offensichtlich nicht existiert.� f : [0, 1] → R, f(x) := 1 fur x ∈ Q, f(x) := 0 fur x /∈ Q ist keine Regelfunktion nach (16),

weil uberhaupt kein links- oder rechtsseitiger Grenzwert existiert.� Funktionen mit beschrankter Variation sind genau solche Funktionen, fur die Real- undImaginarteil jeweils die Differenz von zwei monotonen Funktionen sind. Solche Funktionensind Regelfunktionen nach (17)(b).

(18) Satz. Seien a ≤ c < d ≤ b und f ∈ R[a, b]. Dann ist f|[c,d] ∈ R[c, d]. Man schreibt kurz∫dcf fur

∫dcf|[c,d]. Ist a < c < b, dann gilt die Additivitat des Integrals

∫b

a

f =

∫c

a

f +

∫b

c

f.

Beweis. Sei (ϕn) in T [a, b] mit ϕnglm−→ f. Dann ist ϕn|[c,d] ∈ T [c, d] und ϕn|[c,d]

glm−→ f|[c,d].Daher f|[c,d] ∈ R[c, d]. — Seien nun a < c < b und Zn eine Zerlegung zu ϕn|[a,c] und Z ′

n eineZerlegung zu ϕn|[c,b]. Dann ist Zn ∪ Z ′

n eine ϕn-Zerlegung. Direkt aus der Definition (5) folgt∫baϕn =

∫caϕn+

∫bcϕn und hieraus mit n→∞ die Behauptung.

91

Page 92: An1PhMA9202 - TUM

Bequem fur das Rechnen ist die folgende Verabredung.

(19) Definition. Fur f ∈ R[a, b] und a ≤ c ≤ d ≤ b setzt man∫ccf := 0 und

∫cdf := −

∫dcf.

(20) Satz. Seien f ∈ R[a, b], c ∈ [a, b] und F : [a, b]→ C, F(x) :=∫xcf(t)dt. Dann gilt:

f stetig in x0 =⇒ F differenzierbar in x0 mit F ′(x0) = f(x0).

Beweis. Sei h ∈ R \ {0} mit x0+ h ∈ [a, b]. Dann ist

F(x0+h)−F(x0)h

− f(x0) = 1h

(∫x0+hc

f(t)dt −∫x0cf(t)dt

)

− f(x0)(18),(19)

= 1h

∫x0+hx0

(f(t) − f(x0))dt.

Sei nun ǫ > 0. Weil f stetig in x0 ist, existiert δ > 0 derart, dass |f(t) − f(x0)| < ǫ ∀ t ∈[a, b] mit |t − x0| < δ. Damit gilt ∀h 6= 0, |h| < δ, x0 + h ∈ [a, b]:

F(x0+h)−F(x0)h

− f(x0)∣

∣≤

1h

∫x0+hx0

|f(t) − f(x0)|dt∣

∣ ≤∣

1h

∫x0+hx0

ǫdt∣

∣ = ǫ. Also existiert und ist F ′(x0) = f(x0).

(21) Definition. Seien f, F : [a, b] → C derart, dass F differenzierbar ist mit F ′(x) = f(x) furalle x ∈ [a, b]. Dann heißt F eine Stammfunktion von f.

(22) Korollar. Seien f ∈ C[a, b] und c ∈ [a, b]. Dann ist F : [a, b]→ C, F(x) :=∫xcf(t)dt eine

Stammfunktion von f.

(23) Lemma. Sei F eine Stammfunktion von f. Dann ist F+ k fur jede Konstante k ∈ C eineStammfunktion von f und jede Stammfunktion von f ist von dieser Art.

Beweis. Wegen (F+k) ′ = F ′ = f gilt der erste Teil der Aussage. Der zweite folgt aus (8.17), weil(F −G) ′ = F ′ −G ′ = f− f = 0.

(24) Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (HDI). Seien f ∈ C[a, b] und Feine Stammfunktion von f. Dann gilt

∫d

c

f(x)dx = F(d) − F(c) ∀c, d ∈ [a, b].

Beweis. Nach (22) und (23) genugt es, die Behauptung fur F(x) =∫xaf(t)dt zu zeigen. Dafur

ergibt sich F(d) − F(c) =∫daf(t)dt−

∫caf(t)dt

(18)=∫dcf(t)dt.

Folgende Schreibweisen sind ublich:d∫

c

f(x)dx = F(d) − F(c) = F(x)∣

x=d

x=c= F|dc.

(25) Beispiele.

92

Page 93: An1PhMA9202 - TUM

(a) Sei x > 0. Da (ln x) ′ = 1x, ist z.B.

∫211xdx = ln x|21 = ln(2) − ln(1) = ln(2). Somit ist ln

eine Stammfunktion von 1x

auf [a, b] fur jedes 0 < a < b < ∞. — Sei x < 0. Dann ist

(ln(−x)) ′ = −1x· (−1) = 1

x. Also ist x 7→ ln(−x) eine Stammfunktion von 1

xauf [a, b] fur

jedes −∞ < a < b < 0.— Zusammenfassend folgt, dass x → ln |x| eine Stammfunktionvon x→ 1

xist auf jedem kompakten Intervall, das 0 nicht enthalt.

(b) Eine Stammfunktion von xα fur x ≥ 0 mit α ∈ C \ {−1} ist 1α+1

xα+1.

(c) Eine Stammfunktion von ax fur a > 0, a 6= 1 ist 1lnaa

x.

(d) Eine Stammfunktion einer rationalen Funktion erhalt man mittels Partialbruchzerlegung.

Ub Man berechne eine Stammfunktion von x 7→ 11−x4

und von x 7→ x3−2x2+4x3(x−2)2

auf [3, 4].

(26) Integrationstechniken.� Substitutionsregel. Seien D ⊂ R, f ∈ C(D) und g ∈ C1[a, b] mit g([a, b]) ⊂ D. Danngilt

b∫

a

f(g(t))g ′(t)dt =

g(b)∫

g(a)

f(x)dx.� Partielle Integration. Seien f, g ∈ C1[a, b]. Dann gilt

b∫

a

f(x)g ′(x)dx = (fg)(x)∣

x=b

x=a−

b∫

a

f ′(x)g(x)dx.

Beweis. � Nach dem ZWS ist I := g([a, b]) ein abgeschlossenes Intervall. Sei F eine Stamm-funktion von f|I. Dann ist F ◦ g nach (20) differenzierbar mit (F ◦ g) ′(t) = F ′(g(t))g ′(t) =

f(g(t))g ′(t) ∀t ∈ [a, b]. Hieraus folgt∫baf(g(t))f ′(t)dt

HDI= (F ◦ g)(b) − (F ◦ g)(a) =

F(g(b)) − F(g(a))HDI=∫g(b)g(a)

f(x)dx.� Fur F := fg ∈ C1[a, b] ist F ′ = f ′g + fg ′ (Produktregel), weshalb F eine Stammfunktion

von f ′g+ fg ′ ist. Nach dem HDI folgt daraus∫ba(f ′g+ fg ′) = F|ba = fg|ba.

(27) Beispiele.

1. Seien I das kompakte Intervall mit Randpunkten αa + β und αb + β mit α,β ∈ R undf ∈ C(I). Dann gilt

α

∫b

a

f(αx+ β)dx =

∫αb+β

αa+β

f(x)dx.

Das folgt aus (26) mit der Substitution g(t) = αt+ β.

93

Page 94: An1PhMA9202 - TUM

2. Logarithmische Ableitung. Sei g ∈ C1[a, b] mit g(t) > 0 ∀t ∈ [a, b]. Dann gilt nachdem HDI ∫b

a

g ′(t)g(t)

dt = ln(g(t))∣

t=b

t=a.

Ist z.B. g(t) = cos t fur t ∈ [a, b] ⊂]

−π2, π2

[

dann folgt∫ba

tan t dt = ln(cosa) − ln(cos b).

3. Fur a, b > 0 ist mittels partieller Integration∫ba

ln xdx =∫ba1 · ln xdx = x ln x|ba −

∫bax 1xdx=(x ln x− x)

b

a. Also ist x ln x− x eine Stammfunktion von ln x auf jedem kom-

paktem Intervall I ⊂ R+.

4. Die Integration von R(sin x, cos x) mit einem rationalen Ausdruck R(x, y) gelingt mitder Substitution g(t) = 2 arctan t. Zunachst ist g ′(t) = 2

1+t2. Fur x ∈] − π, π[ gilt weiter

sin x =2tan x

2

1+tan2 x2

und cos x =1−tan2 x

2

1+tan2 x2

. Daher ist sin(g(t)) = 2t1+t2

und cos(g(t)) = 1−t2

1+t2.

Damit erfolgt die Ruckfuhrung auf die Integration einer rationalen Funktion.

Als Beispiel zu 4. berechne man∫βα

1cosxdx fur α,β ∈

]

−π2, π2

[

und α < β. Fur a := tan α2, b :=

tan β2

ist α = g(a), β = g(b) und∫βαdx

cosx =∫bag′(t)

cosg(t) dt =∫ba

21+t2

1+t2

1−t2dt =

∫ba

(

11−t

+ 11+t

)

dt =

(− ln(1− t) + ln(1+ t))∣

b

a= ln

(

1+t1−t

)

b

a= ln

(

1+tan x2

1−tan x2

) ∣

β

α.

(28) Lemma.

(a) ϕ, ψ ∈ T [a, b] =⇒ ϕψ ∈ T [a, b].

(b) f, g ∈ B[a, b] =⇒ fg ∈ B[a, b] und ‖fg‖s ≤ ‖f‖s‖g‖s.

(c) f, g ∈ R[a, b] =⇒ fg ∈ R[a, b].

Beweis. Die Aussage (b) ist einfach zu beweisen. — Zu (a) beachte man, dass man zu einerϕ–Zerlegung Z und einer ψ–Zerlegung Z ′ mit Z∪Z ′ eine Zerlegung von ϕψ erhalt. — Es bleibt(c) zu zeigen. Dazu seien (ϕn) und (ψn) zwei Folgen von Treppenfunktionen die gleichmaßiggegen f bzw. g konvergieren. Nach (a) ist dann (ϕnψn) eine Folge von Treppenfunktionen, wofurmit (b) folgt: fg−ϕnψn = (f−ϕn)g+ϕn(g−ψn) und somit ‖fg−ϕnψn‖s ≤ ‖(f−ϕn)g‖s+

‖ϕn(g−ψn)‖s ≤ ‖f−ϕn‖s‖g‖s+ ‖ϕn‖s‖g−ψn‖s → 0. Also konvergiert (ϕnψn) gleichmaßiggegen fg, weshalb fg eine Regelfunktion ist.

(29) Mittelwertsatz der Integralrechnung. Seien f : [a, b] → R stetig und p : [a, b] → R

mit p ≥ 0 eine Regelfunktion. Dann ist pf nach (28) eine Regelfunktion und es existiert ξ ∈ [a, b]

mit ∫b

a

f(x)p(x)dx = f(ξ)

∫b

a

p(x)dx.

In diesem Zusammenhang heißt p eine Gewichtsfunktion. Speziell fur p = 1 folgt

∫b

a

f(x)dx = (b− a)f(ξ).

94

Page 95: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Seien m und M das Minimum bzw. Maximum von f (vgl. (7.16)). Dann ist mp ≤fp ≤Mp und somit wegen der Monotonie des Integrals m

∫bap ≤∫bafp ≤M

∫bap. Also existiert

µ ∈ [m,M] mit∫bafp = µ

∫bap. Nach dem ZWS existiert ξ ∈ [a, b] mit f(ξ) = µ.

(30) Lemma. Sei f : [a, b]→ R eine Regelfunktion mit f ≥ 0 und∫baf(x)dx = 0. Dann gilt: f

stetig in x0 ∈ [a, b] =⇒ f(x0) = 0.

Beweis. Angenommen f(x0) > 0. Nach (7.4) existiert r > 0 mit f(x) ≥ 12f(x0) fur alle x ∈ I :=

]x0− r, x0+ r[∩ [a, b]. Definiere ϕ : [a, b]→ R mit ϕ(x) :=f(x0)2

falls x ∈ I und ϕ(x) := 0 sonst.

Dann ist ϕ ∈ T [a, b], ϕ ≤ f und somit∫f ≥∫ϕ ≥ f(x0)

2|I| > 0, was ein Widerspruch ist.

Eine weitere wichtige Folgerung aus der gleichmaßigen Konvergenz ist die folgende Vertausch-barkeit von zwei Grenzprozessen.

(31) Satz. Sei (fn) eine Folge in C1[a, b] derart, dass (fn(x0)) fur ein x0 ∈ [a, b] konvergiertund (f ′n) gleichmaßig konvergiert. Dann konvergiert (fn) gleichmaßig. Sei f := lim fn. Dann istf ∈ C1[a, b] und f ′ = lim f ′n.

Beweis. Zunachst ist g := lim f ′n stetig nach (8). Der HDI ergibt fn(x) = fn(x0)+∫xx0f ′n(t)dt ∀x ∈

[a, b]. Man setze c := lim fn(x0) und f(x) := c+∫xx0g(t)dt. Nach (22) ist dann f ∈ C1[a, b] mit

f ′ = g. Aus (14) folgt lim∫xx0f ′n(t)dt =

∫xx0g(t)dt. Also gilt fn

pktw−→ f. Es gilt hierfur sogar diegleichmaßige Konvergenz:

|f(x) − fn(x)| =

c +

∫x

x0

g − fn(x0) −

∫x

x0

f ′n

≤ |c − fn(x0)| +

∫x

x0

(g − f ′n)

≤ |c − fn(x0)| + |x0− x|‖g − f ′n‖s ≤ |c − fn(x0)| + |b− a|‖g − f ′n‖s,

weshalb ‖f − fn‖s ≤ |c − fn(x0)| + |b− a|‖g − f ′n‖sn→∞−→ 0.

Uneigentliche Integrale

(32) Definition. Sei f : [a,∞[→ C derart, dass f|[a,M] ∈ R[a,M] ∀M > a. Dann definiert mandas uneigentliche Integral ∫∞

a

f(x)dx := limM→∞

∫M

a

f(x)dx,

falls der Grenzwert existiert. Entsprechend wird∫a

−∞ f(x)dx definiert.

Beispiel. Sei α > 1. Dann ist∫∞1

1xαdx = 1

α−1, denn

∫M1

1xαdx = 1

1−αx1−α

x=M

x=1= M1−α−1

1−α

M→∞−→1α−1

. — Fur α = 1 ist∫M11xdx = lnM− ln 1 = lnM

M→∞−→ ∞. Also existiert∫∞11xdx nicht.

95

Page 96: An1PhMA9202 - TUM

Fur f ∈ R[a, b] gilt ∫b

a

f(x)dx = limc → b

c ∈ [a, b[

∫c

a

f(x)dx,

denn∣

∫baf −∫caf∣

∣ =∣

∫bcf∣

∣ ≤ (b − c)‖f‖s c→b−→ 0. Daher handelt es sich bei folgender Definition

um eine konsistente Verallgemeinerung.

(33) Definition. Sei f : [a, b[→ C und f|[a,c] ∈ R[a, c] fur alle c ∈ [a, b[. Man definiert danndas an der oberen Grenze uneigentliche Integral

∫b

a

f(x)dx := limc→b

∫c

a

f(x)dx,

falls der Grenzwert existiert. Entsprechend wird das an der unteren Stelle uneigentliche Integraldefiniert.

Beispiel. Sei α < 1. Dann ist∫101xαdx = 1

1−α, denn

∫1c1xαdx = 1

1−αx1−α

x=1

x=c= 1−c1−α

1−α

c→0−→ 11−α

.

— Fur α = 1 ist∫1c1xdx = ln 1− ln c = − ln c

c→0−→∞. Also existiert∫101xαdx nicht.

In naheliegender Weise behandelt man Integrale, die an beiden Grenzen uneigentlich sind. Bei-

spielsweise ist∫∞

−∞1

1+x2dx = π, denn

∫MM′

11+x2

dx = arctan x∣

x=M

x=M′= arctanM − arctanM ′

M→∞,M′→−∞−→ π2

−(

−π2

)

= π. — Beachte, dass M und M ′ unabhangig sein mussen. Beispiels-

weise ist∫M

−Mxdx = 0, aber

∫MM′ xdx = 1

2x2∣

x=M

x=M′=12(M2 −M ′2) hat keinen Grenzwert fur

M→∞ und M ′ → −∞.

In Verallgemeinerung von (33) behandelt man endlich viele uneigentliche Stellen im Intervall-

inneren. Beispielsweise ist∫1

−2ln |x|dx = 2 ln 2 − 3, denn fur −2 < c < 0 ist

∫c−2

ln |x|dx =∫c

−2ln(−x)dx =

∫2−c

ln xdx = (x ln x− x)∣

x=2

x=−c= (2 ln 2− 2) − ((−c) ln(−c) − (−c))

c→0−→ 2 ln 2−

2−0, und fur 0 < c ′ < 1 ist∫1c′

ln |x|dx =∫1c′

ln xdx = (x ln x−x)∣

x=1

x=c′= (1 ln 1−1)−(c ′ ln(c ′)−

c ′)c′→0−→ −1.

(34) Lemma. Sei f : [a,∞[→ R mit f ≥ 0 und f|[a,M] ∈ R[a,M] ∀M > a. Dann gilt:

limM→∞

∫M

a

f(x)dx = sup

{∫M

a

f(x)dx :M > a

}.

Daher existiert∫∞af(x)dx genau dann, wenn sup

M

∫Maf(x)dx <∞, kurz

∫∞af(x)dx <∞.

Beweis. Sei M <M ′. Wegen der Additivitat (18) und Monotonie des Integrals ist∫M′

af(x)dx =

∫Maf(x)dx+

∫M′

Mf(x)dx ≥

∫Maf(x)dx. Hiermit folgt sofort die Behauptung.

(35) Majorantenkriterium fur Integrale. Seien f : [a,∞[→ C, f|[a,M] ∈ R[a,M] ∀M > a

und g : [a,∞[→ R, g ≥ 0, g|[a,M] ∈ R[a,M] ∀M > a. Seien weiter |f(x)| ≤ g(x) ∀x ≥ a und∫∞ag(x)dx <∞. Dann existiert

∫∞af(x)dx und

∫∞af(x)dx

∣ ≤∫∞a

|f(x)|dx ≤∫∞ag(x)dx.

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Ub Beweise (35).

Ub Existieren die uneigentlichen Integrale∫∞0

sinxxdx und

∫∞0

sinxx

∣dx?

(36) Integralkriterium. Sei f : [1,∞[→ R monoton fallend und f ≥ 0. Dann gilt:

∞∑

k=2

f(k) ≤∞∫

1

f(x)dx ≤∞∑

k=1

f(k).

Insbesondere existiert∞∫

1

f(x)dx genau dann, wenn∞∑

k=1

f(k) <∞.

Beweis. Weil f monoton ist, ist f|[1,M] ∈ R[1,M] nach (17)(b). Weiter gilt: f(k) ≥ f(x) ≥

f(k+ 1) ∀x ∈ [k, k+ 1] =⇒ f(k) ≥∫k+1k

f(x)dx ≥ f(k+ 1). Dahern−1∑

k=1

f(k) ≥n−1∑

k=1

∫k+1k

f(x)dx =

∫n1f(x)dx ≥

n−1∑

k=1

f(k+ 1) =n∑

k=2

f(k). Nun bildet man das Supremum bez. n.

Beispiel. Sei s > 1. Um∞∑

k=1

1ks

abzuschatzen, betrachte man f : [1,∞[→ R, f(x) := 1xs

. Nach

dem Beispiel zu (32) ist∫∞1f(x)dx = 1

s−1. Daher ist

∞∑

k=1

1ks

≥ 1s−1

≥∞∑

k=1

1ks

− 1, woraus

1

s− 1≤

∞∑

k=1

1

ks≤ s

s− 1

folgt. Man nennt s 7→ ζ(s) :=∞∑

k=1

1ks

fur s > 1 die Riemannsche Zetafunktion.

97

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10 Funktionen-, Potenz- und Taylorreihen

(1) Definition. Seien X eine Menge und fk : X → C Funktionen fur k ∈ N. Dann heißen∑∞k=1 fk die zu (fk)k gehorige Funktionenreihe und sn :=

∑nk=1 fk fur n ∈ N ihre n-te Parti-

alsumme. Definitionsgemaß konvergiert∑∞k=1 fk in einem Punkt x0 ∈ X bzw. punktweise

bzw. gleichmaßig, wenn die Folge (sn)n die entsprechende Eigenschaft besitzt. Vgl. Definition(9.7).

Sei (fk) eine Folge in B(X). Dann ist es offenbar auch (sn). Nach (9.10) konvergiert daher∑k fk

gleichmaßig genau dann, wenn (sn) in B(X) konvergiert, d.h. s-normkonvergent ist. Man sagt,dass

∑k fk in B(X) konvergiert oder s-normkonvergent ist.

(2) Definition. Sei (fk) eine Folge in B(X). Die Reihe∑k fk heißt normal konvergent oder

absolut konvergent, wenn∞∑

k=1

‖fk‖s <∞.

Man erinnere sich: Jede absolut konvergente Reihe komplexer Zahlen konvergiert in C, siehe(6.8). In Verallgemeinerung davon folgt gemaß (3) aus der normalen Konvergenz die Konvergenzin B(X).

(3) Weierstraß Kriterium. Sei (fk) eine Folge in B(X). Dann gilt:

∑k fk normal konvergent =⇒

∑k fk gleichmaßig konvergent.

Beweis. Wie in (6.8) benotigt man zum Beweis die Cauchy Eigenschaft. Dazu dient die folgendeDefinition. In (7) erhalt man dann (3) als Korollar zur absoluten Konvergenz.

(4) Definition und Lemma. Seien (V, ‖.‖) ein normierter Raum und (xn) eine Folge in V . Siekonvergiert in V , falls ein x ∈ V existiert mit limn→∞ ‖xn− x‖ = 0. Man schreibt x = limnxnund nennt x den Grenzwert von (xn). Der Grenzwert ist eindeutig. Das folgt wie in (5.2) ausder Dreiecksungleichung.

Die Folge (xn) heißt Cauchy Folge (CF), wenn limn,m→∞ ‖xn−xm‖ = 0, d.h. ∀ǫ > 0 ∃N ∈N ∀n,m > N: ‖xn− xm‖ < ǫ. Jede konvergente Folge ist eine CF. Das folgt wie in (5.22),⇒.

(V, ‖.‖) heißt vollstandig oder ein Banachraum, wenn jede CF in V konvergiert.

Beispiel. (C, |.|) ist ein Banachraum. Dies besagt (5.22),⇐.

(5) Satz. (B(X), ‖.‖s) ist ein Banachraum.

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Beweis. Sei x ∈ X. Dann gilt: |fn(x) − fm(x)| ≤ ‖fn − fm‖s n,m→∞−→ 0 =⇒ (fn(x)) ist CF in C

=⇒ (fn(x)) konvergiert nach (5.22),⇐. Sei f(x) := limn fn(x). — Geht man in dieser Weise furjedes x ∈ X vor, erhalt man eine Funktion f : X→ C. Es bleiben zwei Eigenschaften zu zeigen:

1. f ∈ B(X).

2. (fn) konvergiert in B(X) gegen f, d.h. bez. der Supremumsnorm im Sinne von (4).

Fur jedes x ∈ X ist |fn(x)−fm(x)| ≤ ‖fn−fm‖s. Zu ǫ > 0 existiert ein N ∈ N mit ‖fn−fm‖s ≤ ǫ∀n,m ≥ N. Mittels Grenzubergang m→∞ folgt hieraus |fn(x) − f(x)| ≤ ǫ ∀n ≥ N ∀x ∈ X unddaher ‖fn−f‖s ≤ ǫ ∀n ≥ N. Insbesondere ist (fn−f) ∈ B(X) und somit f = fn−(fn−f) ∈ B(X),womit alles gezeigt ist.

(6) Definition und Satz. Seien (V, ‖.‖) ein normierter Raum, (xk) eine Folge in V und sn :=∑nk=0xk die n-te Partialsumme. Die Reihe

∑∞k=0xk heißt konvergent, wenn (sn) konvergiert.

Existiert s := limn sn, so schreibt man s =∑∞k=0xk und s heißt der Wert der Reihe. Die

Reihe∑∞k=0xk heißt absolut konvergent, wenn

∑∞k=0‖xk‖ <∞. (Siehe die Spezialfalle (6.7)

und (2).)Sei (V, ‖.‖) ein Banachraum. Nach (4) konvergiert

∑∞k=0xk genau dann, wenn (sn) eine CF

ist, d.h. wenn∑nk=m+1xk→ 0 fur m < n, m → ∞. Ist die Reihe

∑∞k=0xk absolut konvergent,

dann konvergiert sie.

Beweis. Wie im Spezialfall (6.8) folgt fur n > m mit Hilfe der Dreiecksungleichung: ‖sn−sm‖ =

‖∑nk=m+1xk‖ ≤∑nk=m+1‖xk‖ ≤∑∞k=m+1‖xk‖m→∞−→ 0 nach (6.3)(i). Also ist (sn) CF.

(7) Korollar. Es gilt das Weierstraß Kriterium (3).

Ub Finde ein Beispiel einer Funktionenreihe, die gleichmaßig, aber nicht normal konvergiert.

(8) Beispiel. Sei fk : R→ C, fk(x) := eikx

k2, k ∈ N. Dann ist fk ∈ B(R), denn |fk(x)| =

1k2

∀x und

somit ‖fk‖s = 1k2

. Weiter ist∑∞k=1‖fk‖s =

∑∞k=1

1k2<∞, weshalb

∑∞k=1 fk normal konvergent

auf R ist. Also konvergiert∑∞k=1

eik(.)

k2gleichmaßig nach (3).

(9) Korollar. Sei (fk) eine Folge in C1[a, b] derart, dass∑k fk(x0) fur ein x0 ∈ [a, b] kon-

vergiert und∑k f

′k normal oder –allgemeiner– gleichmaßig konvergiert. Dann konvergiert

∑k fk

gleichmaßig. Ist f :=∑k fk, dann ist f ∈ C1[a, b] und f ′ =

∑k f

′k.

Ub Beweise das Korollar mit Hilfe von (9.31).

99

Page 100: An1PhMA9202 - TUM

Potenzreihen

(10) Definition. Seien (ck) eine Folge in C und a ∈ C. Dann heißt

∞∑

k=0

ck(z− a)k (∗)

eine Potenzreihe in z ∈ C mit Entwicklungspunkt a oder um a mit Koeffizienten ck.

Beispiele. Jede Potenzreihe konvergiert mindestens fur z = a mit Wert c0.

(a) exp(z) = ez =∑∞k=0

1k!zk ist eine Potenzreihe um a = 0 mit Koeffizienten ck = 1

k!. Sie

konvergiert fur alle z ∈ C. Sei a ∈ C beliebig. Dann ist ez = eaez−a =∑∞k=0

ea

k!(z − a)k

eine Potenzreihe um a mit Koeffizienten ck = ea

k!, die fur alle z ∈ C konvergiert.

(b) Die geometrische Reihe∑∞k=0 z

k ist eine Potenzreihe um a = 0 mit Koeffizienten ck = 1,die fur alle z ∈ C, |z| < 1 gegen 1

1−zkonvergiert. Fur z ∈ C mit |z| ≥ 1 divergiert die Reihe,

da (zk) keine Nullfolge ist.

Die Frage ist, was man uber die Konvergenz der Potenzreihe (∗) im Allgemeinen sagen kann.Zur Erinnerung ist Ur(a) = {z ∈ C : |z − a| < r} die offene Kreisscheibe um a ∈ C mit Radiusr > 0 und Ur(a) = {z ∈ C : |z− a| ≤ r} ihr Abschluss.

(11) Satz. Gegeben sei die Potenzreihe∑∞k=0 ck(z−a)k. Sei z1 ∈ C\ {a} derart, dass die Reihe∑∞

k=0 ck(z1− a)k konvergiert. Dann konvergiert

∞∑

k=0

ck(z− a)k (a)

absolut fur jedes z ∈ Ur(a) mit r := |z1 − a| > 0. Sei nun ρ ∈]0, r[. Dann konvergieren dieFunktionenreihen

∞∑

k=0

ck(· − a)k (b)

und∞∑

k=1

k ck(· − a)k−1 =

∞∑

k=0

(k+ 1) ck+1(· − a)k (c)

normal auf Uρ(a) und damit gleichmaßig nach (3).

Beweis. Setze fk(z) := ck(z − a)k, k ∈ N0. Da∑∞k=0 fk(z1) konvergent ist, folgt mit (6.3)(ii),

dass (fk(z1))k eine Nullfolge und daher insbesondere beschrankt ist. Sei |fk(z1)| ≤M ∀k ∈ N0.Damit gilt ∀k ≥ 0, z ∈ Uρ(a):

|fk(z)| = |fk(z1)||z− a|k

|z1− a|k≤M

r

)k

︸ ︷︷ ︸<1

.

Bezeichne ‖fk‖Uρ(a):= sup{fk(z) : z ∈ Uρ(a)} die Supremumsnorm von fk auf Uρ(a). Da

‖fk‖Uρ(a)≤M

(

ρr

)kfolgt

∑∞k=0‖fk‖Uρ(a)

≤M∑∞k=0(

ρr

)k= M1−ρ

r

<∞. Damit gilt (b). — Weil

(b) fur alle 0 < ρ < r gilt, gilt auch (a).

100

Page 101: An1PhMA9202 - TUM

b

b

b

z1

zr

a ρ

Zu z ∈ Ur(a) wahle ρ ∈]|z − a|, r[.

Damit ist z ∈ Uρ(a).

Es bleibt (c) zu zeigen. Setze gk(z) := kck(z − a)k−1 fur k ∈ N. Wie oben folgt ‖gk‖Uρ(a)≤

kMr

(

ρr

)k−1. Also ist

∑∞k=1‖gk‖Uρ(a)

≤ Mr

∑∞k=1k

(

ρr

)k−1< ∞ nach dem Quotientenkriterium,

denn(k+1)(ρr )

k

k( ρr )k−1 = k+1

k

(

ρr

) k→∞−→ ρr< 1.

(12) Konvergenzradius. Sei∑∞k=0 ck(z− a)k eine Potenzreihe. Dann heißt

R := sup

{

|z − a| : z ∈ C,

∞∑

k=0

ck(z− a)k konvergiert

}

der Konvergenzradius (KR) obiger Potenzreihe.

Bemerkungen.� Ist der KR null, so konvergiert die Potenzreihe nur fur z = a.� Die Potenzreihe∑∞k=0k!z

k hat KR null, weil (k!zk)k nur fur z = 0 beschrankt ist.� Ist der KR unendlich, so konvergiert die Potenzreihe fur alle z ∈ C.� Die Potenzreihe∑∞k=0

zk

k!hat KR unendlich, weil sie fur alle z ∈ C konvergiert.� Die geometrische Reihe∑∞k=0 z

k hat KR eins nach obigem Beispiel (b).

(13) Satz. Sei R > 0 der KR von∑∞k=0 ck(z− a)k. Setze U∞(a) := C. Dann gilt:

∞∑

k=0

ck(z− a)k (a)

konvergiert absolut fur jedes z ∈ UR(a) und divergiert fur jedes z /∈ UR(a). (Fur z ∈ C mit|z− a| = R laßt sich im Allgemeinen nichts sagen.)

101

Page 102: An1PhMA9202 - TUM

ba

R

divergent fur jeden Punkt außerhalb

absolut konvergent fur jeden Punkt im Inneren

Weiter ist∞∑

k=0

ck(· − a)k (b)

normal konvergent auf Ur(a) fur jedes 0 < r < R. Die durch gliedweises Differenzieren entste-henden Potenzreihen

∞∑

k=1

kck(z − a)k−1 =

∞∑

k=0

(k+ 1)ck+1(z− a)k, (c)

∞∑

k=2

k(k− 1)ck(z− a)k−2 =

∞∑

k=0

(k+ 1)(k+ 2)ck+2(z − a)k,

. . .

haben alle den gleichen Konvergenzradius R. Schließlich ist die Funktion

f : UR(a)→ C, f(z) :=

∞∑

k=0

ck(z− a)k (d)

beliebig oft differenzierbar mit

f(n)(z) =

∞∑

k=n

k(k− 1) · . . . · (k− n+ 1)ck(z − a)k−n,

wofur der Konvergenzradius fur jedes n ≥ 1 gleich R ist. Insbesondere erhalt man die Ableitungdurch gliedweises Differenzieren und fur jedes n ≥ 0 gilt

f(n)(a) = n! cn

Beweis. Die Aussagen zu (a), (b) und (c) folgen sofort aus (11) und (12). Zu (d) genugt es denFall n = 1 zu betrachten. Fur n > 1 folgt die Aussage durch wiederholte Anwendung des Fallesn = 1. Sei h : UR(0) → C, h(z) :=

∑∞k=0 ckz

k. Es genugt zu zeigen, dass h differenzierbar istmit

h ′(z) =

∞∑

k=1

kckzk−1,

denn f(z) = h(z − a). Setze g(z) :=∑∞k=1kckz

k−1 fur z ∈ UR(0). Sei z0 ∈ UR(0) und wahler ∈]|z0|, R[.

102

Page 103: An1PhMA9202 - TUM

b

b

R

0z0

Ur(0)

Fur z ∈ Ur(0) gilt:

h(z) − h(z0)

z− z0− g(z0)

≤∞∑

k=2

|ck|

zk− zk0z− z0

− kzk−10

︸ ︷︷ ︸s.u.≤ |z−z0 |

k(k−1)

2rk−2

≤ |z − z0|1

2

∞∑

k=2

|ck|k(k− 1)rk−2

︸ ︷︷ ︸<∞ nach (c) und (a)

z→z0−→ 0.

Es bleibt noch obige Abschatzung zu zeigen:∣

zk−zk0z−z0

− kzk−10

∣=∣

(∑k−1κ=0 z

κzk−1−κ0

)

− kzk−10

∣=

∑k−1κ=0(z

κ− zκ0)zk−1−κ0

∣≤∑k−1κ=1 r

k−1−κ |zκ− zκ0| =∑k−1κ=1

(

rk−1−κ |z− z0|∣

∑κ−1l=0 z

lzκ−1−l0

)

≤ |z−

z0|∑k−1κ=1 r

k−1−κ(∑κ−1

l=0 rκ−1)

= |z − z0|∣

∑k−1κ=1 r

k−1−κκrκ−1∣

∣= |z− z0|r

k−2(k−1)k2

.

(14) Beispiel.

(1) Differenziert man die Exponentialreihe, so ergibt sich

exp ′(z) =

(

∞∑

k=0

1

k!zk

) ′

=

∞∑

k=1

1

k!kzk−1 =

∞∑

k=1

1

(k− 1)!zk−1 =

∞∑

k=0

1

k!zk = exp(z).

(2) Differenzieren der geometrischen Reihe ergibt(

11−z

) ′= 1

(1−z)2=∑∞k=1kz

k−1. Also ist1

(1−z)2=∑∞k=0(k + 1)zk. Hieraus folgt z.B. z

(1−z)2=∑∞k=0(k+ 1)zk+1 =

∑∞k=1kz

k.

Ub Seien a, b ∈ C. Entwickle 1z−b

in eine Potenzreihe um a und bestimme deren Konvergenz-radius.

(15) Wurzelkriterium. Sei∑∞k=0ak eine Reihe in C und s := lim supk→∞

k√

|ak|. Dann gilt:

s < 1 ⇒ Reihe konvergiert; s > 1 ⇒ Reihe divergiert.

103

Page 104: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Sei s > 1. Dann existieren unendlich viele k ∈ N mit |ak| > 1. Damit ist (ak) keineNullfolge und die Reihe divergiert. — Sei s < 1. Wahle q ∈]s, 1[. Dazu existiert N ∈ N mitk√

|ak| < q ∀k > N, d.h. |ak| < qk ∀k > N. Damit ist |a1|+ · · ·+ |aN|+

∑k>Nq

k eine Majorante,die wegen q < 1 konvergiert. Somit konvergiert auch die Reihe.

(16) Formel fur den Konvergenzradius. Sei∑kck(z − a)k eine Potenzreihe mit Konver-

genzradius R. Dann gilt

R =1

lim supkk√

|ck|.

Dabei ist R =∞, falls lim sup . . . = 0 und R = 0, falls lim sup . . . =∞.

Beweis. Die Formel folgt sofort aus dem Wurzelkriterium (15), weil

s < 1⇐⇒ |z− a| <

(

lim supk

k√

|ck|

)−1

, s > 1⇐⇒ |z− a| >

(

lim supk

k√

|ck|

)−1

.

Taylorreihen

Wir erinnern, dass jede Potenzreihe∑∞k=0 ck(z−a)kmit Konvergenzradius R > 0 auf der offenen

Kreisscheibe um a mit Radius R eine Funktion f : UR(a)→ C, f(z) :=∑∞k=0 ck(z−a)k definiert.

Fur diese Funktion gilt ck = 1k!f(k)(a) ∀k ∈ N0, siehe (13). Also ist

f(z) =

∞∑

k=0

f(k)(a)

k!(z− a)k ∀z ∈ UR(a).

(17) Definition. Seien I ⊂ R ein offenes Intervall, a ∈ I und f ∈ C∞(I). Die Potenzreihe∑∞k=0

f(k)(a)k!

(z− a)k habe einen positiven Konvergenzradius R. Dann heißt

Tf,a :]a− R, a+ R[→ C, Tf,a(x) :=

∞∑

k=0

f(k)(a)

k!(x− a)k

die Taylorreihe von f mit Entwicklungspunkt a ∈ R.

(18) Bemerkungen.

(a) Tf,a ist nur definiert, wenn der Konvergenzradius positiv ist.

(b) Die Funktion UR(a)→ C, z 7→∑∞k=0f(k)(a)k!

(z−a)k ist die Fortsetzung von Tf,a auf UR(a).Sie ist beliebig oft differenzierbar und wird weiterhin mit Tf,a bezeichnet.

(c) Was hat Tf,a mit f zu tun?

104

Page 105: An1PhMA9202 - TUM

– Nach einem Lemma von E. Borel existiert zu jeder vorgegebenen Folge (ck) in C

ein f ∈ C∞(I) mit

f(k)(a)

k!= ck ∀k ∈ N0.

Wenn also∑kck(z− a)k den Konvergenzradius 0 hat, dann existiert Tf,a gar nicht.

– Man zeige, dass die Funktion

f : R→ R, f(x) :=

{exp

(

− 1x2

)

fur x 6= 0

0 fur x = 0

beliebig oft differenzierbar ist mit f(k)(0) = 0 ∀k ∈ N0. Damit ist Tf,0 : R→ R, Tf,0 =

0, obwohl f(x) 6= 0 ∀x 6= 0.

– Ist∑k ck(z − a)k eine Potenzreihe um a ∈ R mit Konvergenzradius R > 0 und

f(x) :=∑kck(x − a)k ∀x ∈]a − R, a+ R[, dann ist

Tf,a = f

Weitere Untersuchungen zum Zusammenhang von f und Tf,a folgen.

Taylorreihenentwicklung

Es sei I ⊂ R ein offenes Intervall, a ∈ I und n ∈ N0.

(19) Definition. Sei f ∈ Cn(I). Dann heißt Tnf,a(x) :=∑nk=0

f(k)(a)k!

(x − a)k das n–te Taylor-polynom von f in a.

(20) Taylorapproximation, Restglied nach Cauchy. Sei f ∈ Cn+1(I). Dann gilt

f(x) = Tnf,a(x) + Rn+1(x, a) ∀x ∈ I

mit dem (n + 1)–ten Restglied

Rn+1(x, a) =1

n!

∫x

a

(x − t)nf(n+1)(t)dt.

Beweis. Der Beweis erfolgt durch Induktion nach n. Fur n = 0 gilt in der Tat nach demHDI, dass f(x) = f(a) + f(x) − f(a) = f(a) + 1

0!

∫xa1 · f ′(t)dt. — Es folgt der Induktionsschritt

n→ n+1. Nach Induktionsvoraussetzung ist f(x) = Tn−1f,a (x)+ 1

(n−1)!

∫xa(x− t)n−1f(n)(t)dt. Mit

Hilfe partieller Integration ergibt sich

Rn(x, a) =1

(n − 1)!

[

−1

n(x− t)nf(n)(t)

t=x

t=a−

∫x

a

(

−1

n

)

(x− t)nf(n+1)(t)dt

]

=

=f(n)(a)

n!(x− a)n+

1

n!

∫x

a

(x− t)nf(n+1)(t)dt =f(n)(a)

n!(x− a)n+ Rn+1(x).

Daraus folgt die Behauptung.

105

Page 106: An1PhMA9202 - TUM

(21) Restglied nach Lagrange. Sei f ∈ Cn+1(I) reellwertig. Dann gibt es zu jedem x ∈ I einξ zwischen a und x mit

Rn+1(x, a) =f(n+1)(ξ)

(n + 1)!(x − a)n+1.

Beweis. Nach (20) ist Rn+1(x, a) = 1n!

∫xa(x− t)nf(n+1)(t)dt. Da (x− t)n auf dem Integrations-

bereich das Vorzeichen nicht wechselt und f(n+1) stetig ist, ist der MWS der Intergralrechnung(9.29) anwendbar, was die Behauptung ergibt.

(22) Korollar. Sei f ∈ Cn+1(I) und es gelte f(n+1)(x) = 0 ∀x ∈ I. Dann ist f ein Polynom,namlich

f = Tnf,a

(23) Korollar. Sei f ∈ Cn+1(I). Dann ist

f(x) = Tn+1f,a (x) + rn+1(x, a)(x − a)n+1 mit rn+1(x, a)

x→a−→ 0.

Beweis. Offenbar ist rn+1(x, a) =

[

Rn+1(x, a) −f(n+1)(a)

(n+1)!(x− a)n+1

]

(x − a)n+1=

1

n!(x − a)

∫x

a

(

x− t

x− a

)n(

f(n+1)(t) − f(n+1)(a))

dt.

Da∣

x−tx−a

n≤ 1, folgt hieraus |rn+1(x, a)| ≤ 1n!|x−a|

|x − a| supt

∣ f(n+1)(t) − f(n+1)(a)∣

∣→ 0 fur

x→ a, weil f(n+1) stetig ist.

Ub Als Anwendung von (23) zeige man: Seien I ⊂ R ein offenes Intervall, f ∈ C2(I) und a einlokales Minimum von f. Dann ist f ′(a) = 0 und f ′′(a) ≥ 0. Vgl. (8.20).

(24) Korollar. Sei f ∈ C∞(I).

(a) Sei x0 ∈ I. Dann gilt: Rn+1(x0, a)n→∞−→ 0⇐⇒ f(x0) =

∑∞k=0

f(k)(a)k!

(x0− a)k.

(b) Seien A,B ≥ 0 mit |f(n)(x)| ≤ ABn ∀x ∈ I ∀n ∈ N. Dann gilt Rn(x, a)n→∞−→ 0 ∀x ∈ I und

Tf,a stellt f auf I dar.

Beweis. (a) ist klar. — (b) |Rn+1(x, a)| ≤ 1n!

∫xa

|(x−t)nf(n+1)(t)|dt ≤ 1n!ABn+1

∫xa(x− t)ndt

∣ =1

(n+1)!ABn+1|x− a|n+1 n→∞−→ 0. Nach (a) gilt die Behauptung.

106

Page 107: An1PhMA9202 - TUM

11 Konvexe Funktionen

(1) Konvexe Menge, Konvexe Funktion. Sei V ein Vektorraum uber K und D ⊂ V . Dannheißt D konvex, wenn

∀x, y ∈ D ∀λ ∈ [0, 1] : λx+ (1− λ)y ∈ D.

b

b

x

y

D

konvex

b

bx

y

nicht konvex

Ist D konvex, dann heißt f : D→ R konvex, wenn

f(λx + (1− λ)y) ≤ λf(x) + (1− λ)f(y) ∀x, y ∈ D, λ ∈ [0, 1].

b

b

b

x λx + (1− λ)y y

f(x)

λf(x) + (1− λ)f(y)

f(y)

graph(f)

Beispiel. Jedes Intervall I ⊂ R ist konvex.— Jeder Vektorraum V ist konvex. Ist V normiert, soist die Norm ‖.‖ auf V konvex. Allgemeiner ist fur alle a ∈ V die Abbildung f : V → R, f(x) :=

‖x− a‖ konvex.

(2) Lemma. Sei D konvex, f : D → R konvex, x1, . . . , xn ∈ D und λ1, . . . , λn ∈ [0, 1] mit∑ni=1λi = 1. Dann ist

∑ni=1λixi ∈ D und f (

∑ni=1λixi) ≤

∑ni=1λif(xi).

107

Page 108: An1PhMA9202 - TUM

Ub Beweise (2).

(3) Satz. Sei I ⊂ R ein offenes Intervall und f : I→ R zweimal differenzierbar, dann gilt:

f konvex ⇐⇒ f ′′(x) ≥ 0 ∀x ∈ I.

Beweis. ”⇐=”: Aus (8.19) folgt: f ′ : I → R ist monoton wachsend. Zu x1, x2 ∈ I mit x1 < x2und λ ∈]0, 1[ sei

x = λx1+ (1− λ)x2.

Nach den MWS existieren ξ1 ∈]x1, x[, ξ2 ∈]x, x2[ mit f(x)−f(x1)x−x1

= f ′(ξ1) ≤ f ′(ξ2) =f(x2)−f(x)x2−x

.

Wegen x− x1 = (1− λ)(x2− x1), x2− x = λ(x2− x1) folgt hieraus f(x)−f(x1)1−λ

≤ f(x2)−f(x)λ

, was dieBehauptung f(x) ≤ λf(x1) + (1− λ)f(x2) ergibt.

”=⇒”: Sei x0 ∈ I fest, aber beliebig. Fur x ∈ I, x > x0 und λ ∈]0, 1[ gilt:

f(λx + (1− λ)x0)︸ ︷︷ ︸=f(x0+λ(x−x0))

≤ λf(x) + (1− λ)f(x0).

Hiermit folgt: λ(f(x) − f(x0)) ≥ f(x0+ λ(x− x0)) − f(x0) =⇒ f(x)−f(x0)x−x0

≥ f(x0+λ(x−x0))−f(x0)λ(x−x0)

λ→0−→f ′(x0);

f(x)−f(x0)x−x0

MWS= f ′(ξ) fur ein ξ ∈]x0, x[ =⇒ f ′(ξ) − f ′(x0) ≥ 0 =⇒ f′(ξ)−f′(x0)

ξ−x0≥ 0. Aus

x→ x0 folgt ξ→ x0 und somit f ′′(x0) ≥ 0.

(4) Satz. Seien xi ∈]0,∞[, λi ∈ [0, 1] fur i = 1, . . . , n und∑ni=1λi = 1. Dann ist

∏ni=1x

λii ≤∑n

i=1λixi.

Beweis. − ln :]0,∞[→ R ist konvex nach (3), denn − ln ′′ x = 1x2> 0 ∀x.

graph(− ln)

Aus Lemma (2) fur f = − ln folgt: ln (∑i λixi) ≥ ∑iλi ln xi =

∑i ln x

λii =⇒

∑iλixi ≥

e∑i lnx

λii =

∏ixλii .

(5) Young Ungleichung. Seien p, q ∈]1,∞[ mit 1q

+ 1q

= 1. Dann gilt fur alle x, y ≥ 0

xy ≤ xp

p+yq

q.

108

Page 109: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Seien o.E. x, y > 0. Dann ergibt (4) fur λ1 = 1p, λ2 = 1

q, x1 = xp und x2 = yq:

xλ11 x

λ22 ≤ λ1x1+ λ2x2. Das ist die Behauptung.

(6) Die p–Normen. Fur p ∈ [1,∞[ und z := (z1, . . . , zn) ∈ Kn sei ‖z‖p := (∑ni=1 |zi|

p)1p .

Wir zeigen, dass ‖.‖p tatsachlich eine Norm auf dem Vektorraum Kn ist, d.h. dass ‖.‖p positivdefinit und homogen ist und die Dreiecksungleichung erfullt:� ‖z‖p ≥ 0, ‖z‖p = 0⇐⇒ z = 0� ‖αz‖p = |α|‖z‖p fur α ∈ C� ‖z + z ′‖p ≤ ‖z‖p+ ‖z ′‖p.

Offenbar sind die beiden ersten Eigenschaften erfullt und es bleibt die Dreiecksungleichung zuzeigen, die hier Minkowski Ungleichung (9) heißt.

Wir identifizieren B({1, . . . , n}) mit Cn. Die Supremumsnorm ‖z‖s = maxı=1,...,n

|zi| wird im

Folgenden auch mit ‖z‖∞ bezeichnet.

(7) Holder Ungleichung. Seien p, q ∈]1,∞[ mit 1p

+ 1q

= 1 oder p = 1, q =∞. Dann gilt:

n∑

i=1

|ziwi| ≤ ‖z‖p‖w‖q ∀z,w ∈ Cn.

Beweis. Zuerst sei p = 1, q = ∞:∑ni=1 |ziwi| =

∑ni=1 |zi||wi| ≤

∑i |zi|‖w‖∞ = ‖z‖1‖w‖∞ .

— Jetzt seien p, q ∈]1,∞[ und o.E. z 6= 0, w 6= 0. Dann sind ‖z‖p > 0, ‖w‖q > 0 und mit

(5) folgt: |zi|

‖z‖p · |wi |

‖w‖q ≤ |zi |p

p‖z‖pp+

|wi |q

q‖w‖qq∀i. Summation uber i liefert: 1

‖z‖p1

‖w‖q∑i |zi||wi| ≤

1p‖z‖pp

∑i |zi|

p+ 1q‖w‖qq

∑i |wi|

q = 1p

+ 1q

= 1.

(8) Cauchy-Schwarz Ungleichung. Der Kn wird mit dem Standardskalarprodukt (was imFall K = R Euklidisches Skalarprodukt heißt) versehen:

〈z,w〉 :=

n∑

i=1

ziwi ∀z,w ∈ Kn.

Die Holder Ungleichung fur p = q = 2 heißt Cauchy-Schwarz Ungleichung. Sie lautet |〈z,w〉| ≤∑ni=1 |zi||wi| ≤ ‖z‖2‖w‖2, also

|〈z,w〉| ≤ ‖z‖2‖w‖2.

(9) Minkowski Ungleichung. Sei p ∈ [1,∞]. Dann gilt:

‖z+w‖p ≤ ‖z‖p+ ‖w‖p ∀z,w ∈ Cn.

109

Page 110: An1PhMA9202 - TUM

Beweis. Sei p = 1. Dann ergibt die gewohnliche Dreiecksungleichung ‖z+w‖1 =∑i |zi+wi| ≤∑

i(|zi| + |wi|) = ‖z‖1 + ‖w‖1. — Im Fall p = ∞ handelt es sich um die Dreiecksungleichungfur die Supremumsnorm. — Sei nun p ∈]1,∞[. Bestimme q ∈]1,∞[ mit 1

p+ 1q

= 1 und setze

ai := |zi+wi|p−1 fur i = 1, . . . , n. Mit der Holderungleichung folgt: ‖z+w‖pp =

∑i |zi+wi|

p =∑i |zi + wi|ai ≤ ∑i |ziai| +

∑i |wiai| ≤ ‖z‖p‖a‖q + ‖w‖p‖a‖q. Wegen (p − 1)q = p gilt

außerdem: ‖a‖q =(∑

iaqi

) 1q =

(∑i |zi+wi|

(p−1)q)1q = (

∑i |zi+wi|

p)1−1

p =(

‖z+w‖pp)1−1

p =

‖z+w‖p−1p . Deshalb ist ‖z+w‖pp ≤ (‖z‖p+‖w‖p)‖z+w‖p−1p . Daraus folgt die Behauptung.

Damit sind (Cn, ‖.‖p) und (Rn, ‖.‖p) normierte Raume fur p ∈ [1,∞].

Abschließend folgt ein Lemma zur Konvexitat von Urbildern unter konvexen Abbildungen.

(10) Lemma. Seien V ein Vektorraum, D ⊂ V konvex, f : D → R konvex und α ∈ R. Dannsind

{x ∈ D : f(x) < α} = f−1(] −∞, α[), {x ∈ D : f(x) ≤ α} = f−1(] −∞, α])

konvex.

Beweis. Seien λ ∈ [0, 1] und x, y ∈ f−1(] −∞, α[) bzw. ∈ f−1(] −∞, α]). Dann gilt f(λx + (1 −

λ)y) ≤ λf(x) + (1− λ)f(y) < bzw. ≤ λα+ (1− λ)α = α.

(11) Korollar. Sei (V, ‖.‖) ein normierter Raum. Dann sind die offene und die abgeschlosseneKugel {x ∈ V : ‖x− a‖ < ρ} bzw. {x ∈ V : ‖x− a‖ ≤ ρ} um a ∈ V mit Radius ρ > 0 konvex.

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