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Andreas Hepp Friedrich Krotz Tanja Thomas (Hrsg.) Schlüsselwerke der Cultural Studies

Andreas Hepp Friedrich Krotz Tanja Thomas (Hrsg ...Garcia Canclini eines Blicks für deren historische Entwicklung. Entsprechend sind die in der Rezeption insbesondere aufgegriffenen

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s chlüsselwerke der Cultural Studies Der vorliegende Band funrt in einem doppelten sinn in die .schiusselwerke rlor P u l t u r a l Qturlioc m i t o i n o m C r h m o m n n W auf ihron m o H i o n a n a l w t i c r h o n

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en umfassenden Einstieg in diesen aktuellen und kritischen Zugang der Medien-, Kommunikations- und Kulturforschung. : jr. • - , li

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Dr. Andreas Hepp ist Professor für Kommunikationswissenschaft am Fach­bereich Kulturwissenschaften der Universität Bremen.

Dr. Friedrich Krotz ist Professor für Kommunikationswissenschaft/Soziale Kommunikaton am Studiengang Kommunikationswissenschaft der Univer­sität Erfurt.

Dr. Tanja Thomas ist Juniorprofessorin für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur an der Universität Lüneburg.

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Schlüsselwerke der Cultural Studies

VS V E R L A G FÜR S O Z I A L W I S S E N S C H A F T E N

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Barbara Emig-Roller vs Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Dirk Reinhardt, Münster Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15221-9

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Inhalt Andreas Hepp, Friedrich Krotz & Tanja Thomas Einleitung 7

I. Theoretische Bezugsfelder Lars Grahbe & Patrick Kruse Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos 21 Ralph Weiß Pierre Bourdieu: Habitus und Alltagshandeln 31 Veronika Krönert Michel de Certeau: Alltagsleben, Aneignung und Widerstand 47 Tanja Thomas Michel Foucault: Diskurs, Macht und Subjekt 58 Ines Langemeyer Antonio Gramsci: Hegemonie, Politik des Kulturellen, geschichtlicher Block 72 Brigitte Hipjl Jacques Lacan: Subjekt, Sprache, Bilder, Begehren und Fantasien 83 Udo Göttlich Raymond Williams: Materialität und Kultur 94

II. Werke der Cultural Studies Johanna Dorer len Ang: Publika und Postmoderne 107 Ben Bachmair & Andrew Burn David Buckingham: Kindheit, Handlungsfähigkeit und Literalität 120 Christoph Jacke John Clarke, Toni JefFerson, Paul Willis und Dick Flebdige: Subkulturen und Jugendstile 138 Lothar Mikos John Fiske: Populäre Texte und Diskurs 156 Andreas Hepp Nestor Garcia Canclini: Hybridisierung, Deterritorialisierung und „cultural citizenship" 165 Caroline Düvel

Paul Gilroy: Schwarzer Atlantik und Diaspora 176

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Jeffrey Wimmer Henry A. Giroux: Kritische Medienpädagogik und Medienaktivismus 189 Rainer Winter Lawrence Grossberg: Populärkultur und Handlungsfähigkeit 200 Friedrich Krolz Stuart Hall: Encoding/Decoding und Identität 210 Rudi Renger John Hartley: Populärer Journalismus 224 Sebastian Deterding Henry Jenkins: Textuelles Wildern und Konvergenzkultur 235 Andreas Hepp Richard Johnson: Kreislauf der Kultur 247 Carsten Winter James Lull: Weltfamilien und Superkulturen 257 Anette Baldauf Angela McRobbie: Mädchenkultur und Kreativwirtschaft 267 Jutta Raser David Morley: Aneignung, Ethnografie und die Politik des Wohnzimmers 277 Elisabeth Klaus Janice Radway: „Frauengenres" und alltägliche Produktion von Gender 290 Maren Hartmann Roger Silverstone: Medienobjekte und Domestizierung 304 Brigitte Hipjl & Matthias Marschik Valerie Walkerdine: Subjektivierung und Subjektivität 316

Über die Autorinnen und Autoren 327 Stichwortverzeichnis 332

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Néstor García Canclini: Hybridisierung, Deterritorialisierung und „cultural citizenship" Andreas Hepp

1. Einleitung Mit ihrer fortschreitenden Internationalisierung sind zunehmend die Arbeiten des argenti­nisch-mexikanischen Kulturwissenschaftlers Néstor García Canclini in den Fokus der Cul­tural Studies gerückt. Exemplarisch hierfür steht die Aufnahme eines Beitrags von Garcia Canclini (2000) in den zu Ehren von Stuart Hall herausgegebenen Band „ Without Guaran­tees" (Gilroy et al. 2000). Allein dies macht deutlich, dass der lateinamerikanische Wissen­schaftler für die Cultural Studies zu einem zentralen Referenzautor geworden ist, insbeson­dere im Bereich der Forschung zu Globalisierung und Hybridisierung.

Diese Themen stehen in enger Beziehung zum akademischen Lebensweg von Garcia Canclini selbst: Der 1939 geborene Argentinier studierte Philosophie in Argentinien (La Pla­ta) und promovierte in Frankreich (Paris). Tätig war er in Argentinien als Dozent an der Uni­versität von La Plata (1966-1975) und Buenos Aires (1974-1975). Im Jahr 1976 zog Gar­cia Canclini nach Mexiko, wo er seit 1990 Professor fur urbane Kultur an der Universidad Nacional Autónoma von Mexiko Stadt ist. In den letzten Jahren war er daneben Gastprofes­sor und -forscher u.a. an den Universitäten Barcelona, Buenos Aires, New York, San Fran­cisco, Säo Paulo, Sorbonne/Paris, Stanford und Texas. Daneben war er für die UNESCO beim „World Culture Report" 1998 als Experte aktiv. Zwei seiner Publikationen sind um­fassend ausgezeichnet. So erhielt 1981 sein Buch „Las culturas populares en el capitalismo" („Transforming Modernity. Popular Culture in Mexico") den Literaturpreis Casa de las Americas. Im Jahr 1992 wurde das Buch „Culturas híbridas" („Hybrid Cultures") mit dem iberoamerikanischen Buchpreis der Latin American Studies Association als bestes Buch über Lateinamerika der Jahre 1990-1992 prämiert.

Ziel dieses Beitrags ist es, über die auch auf Englisch vorliegenden Schlüsselwerke von Garcia Canclini hinweg - neben verschiedenen Aufsätzen insbesondere „Hybrid Cultures" (engl. 1995, orig. 1989) und „Consumers and Citizens" (engl. 2001, orig. 1995) — die Kern­konzepte vorzustellen, die er in die Medienanalysen der Cultural Studies eingebracht hat.

2. Hybride Kulturen: Dekollektivisierung, Deterritorialisierung und „unreine" Genres Das Buch „Hybrid Cultures" kann als das Werk von Garcia Canclini gelten, das in den Cul­tural Studies am nachhaltigsten aufgegriffen wurde. Dabei weist dessen Untertitel - „Stra-tegies for Entering and Leaving Modernity" - bereits auf die Grundanlage dieser Publika­tion hin: Garcia Canclini geht es darum, den Wandel lateinamerikanischer Kulturen im 20. Jahrhundert in einer Kritik eines eindimensional gedachten Modernisierungsprozesses zu beschreiben. Dabei umreißt er die kulturelle Situation in Lateinamerika Ende der 1980er Jahre - als „Hybrid Cultures" im Original erschient - als eine „complex articulation of tra­ditions and modernities (diverse and unequal), a heterogenous continent consisting of coun­tries in each of which coexist multiple logics of development" (Garcia Canclini 1995: 9).

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Um diese Vielfalt multipler Entwicklungen zu fassen, bedarf es nach der Argumentation von Garcia Canclini eines Blicks für deren historische Entwicklung. Entsprechend sind die in der Rezeption insbesondere aufgegriffenen Konzepte der hybriden Kulturen und Deterrito-rialisierung nur ein Teilaspekt seiner Überlegungen und bedürfen einer weiteren Kontextu-alisierung.

Ausgangspunkt Garcia Canclinis ist, dass die „lateinamerikanischen Widersprüche" (Gar­cia Canclini 1995: 41) ihren Ursprung in der Etablierungeines (europäischen) Modernismus ohne Modernisierung haben: In Europa ging die kulturelle Bewegung des Modernismus -in Kunst, Literatur, Architektur - gerade als Kritik einer fortschreitenden Modernisierung in Form der Industrialisierung einher mit einem zunehmenden Anteil einer lesenden Bevölke­rung. Dies machte die zeitgleiche Etablierung von modernem Kulturkonsum möglich. So konnten Ende des 19. Jahrhunderts beispielsweise in Frankreich oder England über 90 Pro­zent der Bevölkerung lesen und schreiben, wodurch eine Massenpresse mit entsprechenden vom Staat unabhängigen Verdienstmöglichkeiten für Literatinnen und Literaten und Jour­nalistinnen und Journalisten entstand. Modernismus hieß damit auch die Modernisierung von Kulturproduktion und -konsum. Grundlegend anders sieht die Situation in Lateiname­rika aus. Während der europäische Modernismus als ästhetische Orientierung aufgegriffen wurde, war die sozioökonomische Modernisierung abgekoppelt hiervon. So bestand bei­spielsweise bis spät in die 1950er Jahre über die Hälfte der Bevölkerung Lateinamerikas aus Analphabeten, d.h. Druckerzeugnisse hatten nur eine geringe Auflage und ein vom Staat un­abhängiger Markt für Kunst und Kulturprodukte konnte nicht entstehen. Eine dominierende paternalistische Vorstellung von Kultur war die Folge. Was Garcia Canclini hier bereits aus­macht, ist eine „hybrid history" (Garcia Canclini 1995: 44f.) Lateinamerikas: Die „kulturel­le Modernisierung" des Modernismus entspricht nicht einfach einer „ökonomischen Mo­dernisierung" der Gesellschaft. Diese „hybride Geschichte" Lateinamerikas wird greilbar, wenn man beide Aspekte von Modernisierung in ihrer Widersprüchlichkeit im Blick hat:

„If modemism is not the Expression of socioeconomic modemizat ion but the means by which the elites take charge of the intersecüon ofdijferent historical temporalities and try to elahorate a global project with them, what are thosc temporalit ies in Latin America and what contradictions does their crossing generate?" (Garcia Canclini 1995: 46 ; Hervorhebung im Original)

Eine Antwort auf diese Frage ist nach Garcia Canclini dann möglich, wenn es gelingt, der „multitemporalen Heterogenität" (Garcia Canclini 1995: 47) moderner Kulturen in ihrer Analyse gerecht zu werden. In seiner Perspektive gibt es diesen eindimensionalen Prozess der Modernisierung nicht. Vielmehr stehen die verschiedenen hybriden Kulturen Latein­amerikas für unterschiedliche Formen von Moderne. Oder, wie er es schreibt: „we did not arrive at one modernity but rather at various unequal and combined processes of modemi­zation" (Garcia Canclini 1995: 103; Hervorhebung im Original).

Man kann das Buch „Flybrid Cultures" insgesamt als Versuch ansehen, einen ersten Ausgangspunkt für die Analyse einer solchen „multitemporalen Fleterogenität" zu formu­lieren. Hierbei setzt Garcia Canclini in den ersten vier Kapiteln bei dem Bereich von Kultur an, der klassischerweise als Hochkultur bezeichnet wird. In der zweiten Hälfte des Buchs rücken dann der Bereich des Populären bzw. die gegenwärtigen Alltagskulturen Lateiname­rikas in den Fokus.

Diese Alltagskulturen Lateinamerikas sind - und hierauf verweist der Titel des Buchs -zunehmend als hybride Kulturen zu begreifen, die verschiedenste traditionelle wie auch mo-

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derne Momente integrieren. Der Begriff der Hybridisierung hebt bei Garcia Canclini ent­sprechend darauf ab, die kulturelle Integration historisch unterschiedlichster Muster und Momente zu fassen, wobei „die schroffe Opposition zwischen dem Traditionellen und dem Modernen nicht funktioniert" (Garcia Canclini 1995: 2). Hybridisierung bezeichnet also den Prozess einer transkulturellen Mischung, die weit mehr umfasst als unterschiedliche „Ras­sen" (wie beim Konzept des mestizaje, das allerdings nicht auf „Rasse" als (problematische) biologische Kategorie abhebt, sondern auf deren soziokulturellen Konstruktionsprozess) oder Religionen (wie beim Konzept des Synkretismus) (vgl. Garcia Canclini 1995: 11; Gar­cia Canclini 1997a: 22; Garcia Canclini 2000: 41).

Greifbar werden hybride Kulturen vor allem in Urbanen Kontexten. Diese sind für Gar­cia Canclini durch eine „Telepartizipation" (Garcia Canclini 1995: 207) gekennzeichnet, d.h. durch heterogene symbolische Angebote von lokalen, nationalen und transnationalen Kommunikationsnetzwerken. Er spricht diesbezüglich von einer „sozialen Mediatisierung" (Garcia Canclini 1995: 211) urbaner Kontexte, womit er einerseits fasst, dass personale wie auch Gruppenkommunikation immer mehr medial vermittelt ist. Andererseits bilden die Massenmedien in U r b a n e n Kontexten den zentralen geteilten Sinnhorizont, d.h. in ihren fragmentierten Angeboten werden wir über die vielfältigen „gemeinsamen Erfahrungen des städtischen Lebens informiert" (ebd.). Auf diese Weise machen Medien es möglich, das So­ziale wahrzunehmen, kollektive Bedeutungen dessen, was in der Stadt passiert. In den me-diatisierten städtischen Kontexten konkretisiert sich so ein „Spiel von Echos" (Garcia Can­clini 1995: 212) der wechselseitigen Spiegelung städtischen Lebens und dessen medialer Repräsentation:

„The commercial advertising and polilical slogans that we see on televisión are those that we reencounter in the streets, and vice versa: the ones are echoed in the others. To this circularity of the communicat ional and the urban are subordinated the testimonies of history and public meaning construeted in longtime experiences." (Garcia Canclini 1995: 212)

Um die zunehmende Hybridisierung von Kulturen zu erklären, setzt Garcia Canclini bei drei Hauptprozessen an (Garcia Canclini 1995: 207): Dies ist erstens die Dekollektivierung kul­tureller Systeme, zweitens die Deterritorialisierung symbolischer Prozesse und drittens die Verbreitung „unreiner" Genres.

1. Dekollektivierung kultureller Systeme: Mit dem Ausdruck der Dekollektivierung kul­tureller Systeme fasst Garcia Canclini das Aufbrechen bzw. Vermischen der Sammlungen symbolischer Güter einer Kultur. Konkret geht es darum, dass in U r b a n e n Kulturangeboten in Kaufhäusern, Antiquariaten, Museen, Märkten etc. verschiedenste Kulturprodukte neben­einander verfügbar sind. Aber auch die Architekturen von Städten kombinieren mitunter in ein und derselben Straße d ie verschiedensten Stile. Hiermit verbunden ist das Fehlen eines einheitlichen kulturellen Regulationssystems, das die symbolischen Güter in eine spezifi­sche Hierarchie zueinander bringt. Kulturen sind nicht mehr als fixes und stabiles Ganzes gruppiert, und die Möglichkeiten sinken, sich entweder als „kultiviert" (beispielsweise durch die Kenntnis eines bestimmten Kanons „großer Werke") darzustellen oder als „popu­lär" (beispielsweise durch die Kenntnis der Kulturprodukte einer bestimmten ethnischen Gruppe oder Nachbarschaft) (Garcia Canclini 1995: 224C). Für ein Fortschreiben des Pro­zesses der Dekollektivierung stehen für Garcia Canclini die in den 1980er Jahren neuen Me­dientechnologien, insbesondere der Fotokopierer und Videorecorder (und man kann aus heutiger Perspektive sicherlich auch verschiedenste digitale Medien bzw. das Internet nen-

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nen). Diese Medien gestatten die einfache Herstellung von nach eigenen Kriterien gemisch­ten Bibliotheken symbolischer Güter unterschiedlicher Herkünfte.

2. Deterritorialisierung symbolischer Prozesse: Mit Deterritorialisierung bezeichnet Garcia Canclini den „Verlust der ,natürlichen' Beziehung von Kultur zu geograftschen und sozialen Territorien" (Garcia Canclini 1995: 229). Es geht ihm hier also um den Umstand, dass mit fortschreitender weltweiter kommunikativer Konnektivität durch elektronische Medien spezifische Kulturprodukte immer weniger mit definierten Territorien in Beziehung gebracht werden können. Dieser „kommunikativen Deterritorialisierung" (Hepp 2006: 74) entspricht eine „physische Deterritorialisierung" (ebd.) der fortschreitenden Migration, durch die es ebenfalls zunehmend schwer ist, die Kulturen bestimmter Menschen auf einzelne Ter­ritorien zu beziehen. Gleichzeitig ist es aber so, dass Deterritorialisierung nicht losgelöst von neuen Formen der Reterritorialisierung gesehen werden kann. Als Reterritorialisierung bezeichnet Garcia Canclini „bestimmte relative, teilweise territoriale Relokalisierungen von alten und neuen symbolischen Produktionen" (Garcia Canclini 1995: 229). Diese ist für Garcia Canclini allerdings weitaus relativer als historische Formen territorialisierter Kultur. Reterritorialisierung ist demnach ein Prozess der territorialen Rückbindung von kultureller Bedeutungsproduktion, der für Menschen wichtig ist in Zeiten fortschreitender Globalisie­rung, gleichwohl aber „relativ" bleibt und teilweise zum Fundamentalismus tendiert (Gar­cia Canclini 1992: 167).

3. Verbreitung „unreiner" Genres: Schließlich haben sich für Garcia Canclini die Kom-munikationsformen verändert, entlang derer symbolische Bedeutungsproduktion geschieht. Diese sind „unrein" (Garcia Canclini 1995: 249) in dem Sinne, dass sie Elemente verschie­dener Genres vermischen und damit auch Grenzen kultureller Distinktion überschreiten. Beispiele für solche „unreinen Genres" sind das Graffiti und Comics. Graffiti ist als insbe­sondere urbanes Genre ein „territoriales (Be)Schreiben der Stadt, geschaffen um Präsenz in und Besitz von einer Nachbarschaft geltend zu machen" (Garcia Canclini 1995: 249). Mit dem Graffiti ist ein neues Genre entstanden, das gleichzeitig im Beschreiben der Wände ei­ner Nachbarschaft (re)territorialisiert und als auch im Aufgreifen verschiedener Elemente der visuellen, durch Globalisierung geprägten (Populär-)Kulturen eine territoriale Geschlos­senheit der Sammlung materieller und symbolischer Güter zerstört. Graffiti wird so zu ei­nem „synkreten und transkulturellen Medium" (Garcia Canclini 1995: 251). Ähnliches gilt für Comics, die frühere künstlerische Genres frei mischen und dabei Bezüge entfalten zur Literatur wie auch zu den Massenmedien.

Das anschaulichste Beispiel von den vielen, die Garcia Canclini diskutiert, um solche Zusammenhänge deutlich zu machen, ist das des kulturellen Wandels der mexikanischen Stadt Tijuana, die an der Grenze zu den USA liegt. Diese hatte in den 1950er Jahren nicht mehr als 60.000 Bewohner, heute sind es mehr als eine Million, darunter Migrierte aus al­len Regionen von Mexiko. Einige von diesen gehen täglich in die USA zur Arbeit, andere arbeiten dort in der Saison. Die Stadt selbst hat sich von einer durch Kasino, Kabarett und Vcrgnügungsviertel geprägten und damit auf amerikanische Kurztouristen fixierten Stadt zu einer modernen, widersprüchlichen und kosmopolitischen Stadt gewandelt, die über Hotels, Kulturzentren und Zugang zu internationalen Kommunikationstechnologien verfügt und da­mit durch eine Dekollektivierung kultureller Systeme gekennzeichnet ist (Garcia Canclini 1995: 234). Die Deterritorialisierungstendenzen in dieser Stadt sind darin greifbar, dass ih­re lokale Kultur stark dadurch geprägt ist, dass das Authentische relativiert wird durch ein zunehmendes Spiel mit Zeichen: Touristinnen und Touristen werden beispielsweise auf als

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Zebras bemalten Burros vor „typisch mexikanischen" Landschaftsbildern fotografiert. Gleichzeitig stehen in Werbetafeln und Radiospots Englisch und Spanisch als Sprachen nebeneinander, was so weit gehen kann, dass für einen mexikanischen Likör auf Englisch geworben wird. Überhaupt spielt in der lokalen Kommunikation - beispielsweise in Zei­tungen oder dem lokalen Radio mit ihren „unreinen" Genres - in Tijuana die Beschäftigung damit, wie die „eigene" kulturelle Identität im Kontext des „Fremden" zu definieren sei, ei­ne erhebliche Rolle.

Für die kritische wissenschaftliche Betrachtung solcher sich wandelnder Kulturen for­dert Garcia Canclini zweierlei ein. Dies ist erstens ein Überdenken der Machtanalytik, ent­lang derer eine kritische Analyse erfolgt. Zweitens fordert Garcia Canclini ein Überdenken des methodischen Herangehens an Phänomene des kulturellen Wandels. Im Rückblick kön­nen diese beiden Punkte vielleicht als die zentralen verallgemeinernden Folgerungen aus der Argumentation in „Hybrid Cultures" erscheinen, begreift Garcia Canclini das Buch selbst doch im Nachhinein als „Suche nach einer Methode" (Garcia Canclini 1997a: 22) der kriti­schen Beschreibung von hybriden Kulturen jenseits vereinfachender Dichotomien wie der von modern und traditionell oder urban und ländlich.

1. Im Hinblick auf Fragen der Machtanalytik verweist Garcia Canclini auf die stärker in­direkten Machtverhältnisse („oblique powers", Garcia Canclini 1995: 258) hybrider Kultu­ren. Es geht ihm also um eine Blickverschiebung weg von einer vertikalen (Zentrum vs. Peri­pherie) hin zu einer bipolaren Konzeption von Macht (Machtnetzwerke), die von dezentrierten wie auch mehrfachdeterminierten Machtverhältnissen ausgeht. Es gibt nicht eine einfache Manipulation seitens der politisch Machthabenden in hybriden Kulturen. Vielmehr werden in ihnen unterschiedliche Machtverhältnisse konkret, die es in ihrer Komplexität zu unter­suchen gilt. Dies trifft insbesondere zu, wenn man seinen Blick über einen einzelnen natio­nalstaatlichen Kontext hinaus erweitert und die vielfachen globalisierten Kommunikations­beziehlingen einbezieht:

„What we know today about the intcrcultural operations of the mass media and (he new technologies, and about the reappropriation that makes of them diverse receivers, distances us from the theses about the omnipotent manipulation of the big metropolitan consortia. [...] The increase in processes of hybridisation makes it evi­dent that we understand very little about power if we only examine confrontations and vertical actions. Power would not function if it were exercised only by bourgeoisie over proletarians, whites over indigenous people, parents over children, the media over receivers. Since all these relations are interwoven with each other, each one achieves an effectiveness that would never be able to by itself." (Garcia Canclini 1995: 259)

2. Mit der Forderung nach einer solchen multiperspektivischen Machtanalytik klingt bereits eine spezifische methodische Position an. Dabei schätzt Garcia Canclini für eine kritische Analyse gegenwärtiger hybrider Kulturen die in den Sozialwissenschaften bestehende Fä­cherdifferenzierung insofern als problematisch an, weil es durch sie erschwert wird, das ver­netzte Wissen zu produzieren, das für eine kritische Einschätzung des heutigen kulturellen Wandels notwendig ist. Garcia Canclini weist daraufhin, dass die beiden Disziplinen, die sich bisher insbesondere mit kulturellem Wandel befassen - Soziologie und Anthropologie -beide zu problematischen Einschätzungen im Hinblick auf ihren fachlich-methodischen An­satz kommen (Garcia Canclini: 176ff). Während die Soziologie durch ihren Fokus auf Ge­samtgesellschaften letztlich deren Modernisierung in das Zentrum ihrer Beschreibungen rückte, fokussierte die Anthropologie die Tradition bestehender Kulturen. Beiden Blickwin­keln entsprachen auch die Methoden des wissenschaftlichen Vorgehens, Statistik und Be­fragung auf der einen Seite und ethnografische Feldforschung auf der anderen Seite. Eine

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angemessene kritische Beschreibung des Wandels gegenwärtiger hybrider Kulturen benötigt jedoch beiderlei Vorgehensweisen - sowie die begrifflich-theoretische wie auch methodisch­empirische Expertise weiterer Disziplinen, insbesondere der Kommunikations- und Me­dienwissenschaft, da der Wandel gegenwärtiger Kulturen nicht jenseits von Fragen von Me­dienkommunikation und -technologien analysiert werden kann. Entsprechend fordert Garcia Canclini einen transdisziplmären, sozialwissenschaftlichen Ansatz der Beschreibung hybri­der Kulturen, den er in folgender Metapher fasst:

„The social sciences contribute to this difficulty with their different levels of observation. The anthropologist arrives in the city by foot, the sociologist by car and via the main highway, the communicat ion specialist by plane. Each registers what he or she can and constructs a distinct and, therefore, partial vision. There is a fourth perspective, that of the historian, which is acquired not by entering but rather by leaving the city, moving from its old centre toward the contemporary margins ." (Garcia Canclini 1995: 4)

Wie sind solche Überlegungen García Canclinis nun insgesamt einzuordnen? Geht es hier­bei allein um die Beschreibung des Wandels der Kulturen in Lateinamerika? Zumindest an­satzweise streift Garcia Canclini diese Frage in „Hybrid Cultures", wenn er gegen Ende des Buchs feststellt: „Die Flybridisierung, die dieses Buch durchweg beschrieben wurde, bringt uns zu der Schlussfolgerung, dass alle heutigen Kulturen Grenzkulturen sind" (Garcia Can­clini 1995: 261). Dieser Gedanke der Ausweitung des Konzepts der Hybridisierung zur ge­nerellen Beschreibung kennzeichnet entsprechend auch spätere Veröffentlichungen von García Canclini (überblickend Garcia Canclini 2000). Im Kern bleibt dabei sein Fokus aber der gleiche wie in „Hybrid Cultures": Ihm geht es darum, den mit der Globalisierung beste­henden Wandel gegenwärtiger Kulturen kritisch mit einem angemessenen analytischen An­satz zu fassen. Deshalb begreift er auch - wie gesagt - im Rückblick sein Buch „Hybrid Cul­tures" nicht einfach als Beschreibung des Kulturwandels in Lateinamerika, sondern als Unterfangen, Ansätze für die Machtanalytik und Methodologie einer solchen Beschreibung zu entwickeln.

3. Kulturpolitik der Globalisierung: „cultural citizenship" und supranationale Öffentlichkeiten

Garcia Canclinis Ansatz der Auseinandersetzung mit der Flybridisierung gegenwärtiger Kul­turen wurde von ihm in den letzten Jahren in Richtung einer Kulturpolitik der Globalisie­rung weiterentwickelt. Im Gegensatz zu anderen Theoretikern in diesem Feld wie beispiels­weise Homi Bhabha (1996, 2000) ist für ihn dabei aber weniger die Frage relevant, in welchem Maße I lybridität westliche Rationalität diskursiv untergraben kann (Yüdice 2001: xiii). Vielmehr ist ihm ganz konkret wichtig, wie der mit der Globalisierung bestehende Transformationsprozess von Kulturen demokratisch gestaltet werden kann. Hierbei geht Garcia Canclini in bewusster Abgrenzung zu Bhabha (Garcia Canclini 1997a: 25) davon aus, dass „Kultur" nicht einfach der „Politik" untergeordnet werden kann, diese allerdings in ihrer relativen Autonomie auch politisch zu gestalten ist.

I lybridität ist für Garcia Canclini in einem solchen Prozess keine Frage der Wahl, son­dern eine Herausforderung, die zu vielfältigen multikulturellen Konflikten führt. Diese Kon­flikte lassen sich letztendlich an Deterritorialisierungsprozessen festmachen, die vor allem mit einer beschleunigten Globalisierung von Medienkommunikation einen nachhaltigen Schub erfahren haben. So konstatiert er für das Ende des 20. Jahrhunderts, dass zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte die Mehrzahl der Waren und Nachrichten, die in jeder

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Nation empfangen werden, nicht in deren eigenem Territorium produziert werden und auch nicht Bedeutungen übermitteln, die exklusiv für eine bestimmte Region produziert sind (Garcia Canclini 2001: 127). Bedeutungsproduktion ist durch ein transnationales, deterrito-rialisiertes System der Produktion und Diffusion geprägt. Damit lässt sich eine Veränderung von multikulturellen Konflikten ausmachen (Garcia Canclini 1997a: 28): Multikulturelle Konflikte entstehen nicht mehr nur durch unterschiedliche historische Traditionen innerhalb eines Nationalstaats, sondern auch durch Prozesse der Stratifikation über Staaten hinweg, die darin ihre Ursache haben, dass ein ungleicher Zugang zu verschiedenen Kommunika­tionsmedien und -räumen besteht. Um solche Konflikte zu fassen, b e d a r f es nach Garcia Canclini einer Reformulierung zweier zentraler theoretischer Konzepte, nämlich erstens dem der Bürgerschaft bzw. Zugehörigkeit („citizenship") und zweitens dem der Öffentlich­keit („public sphere").

1. Während „citizenship" bis in die 1980er Jahre mit (nationaler) Staatsbürgerschaft gleichgesetzt wurde, ist mit fortschreitenden Deterritorialisierungsprozessen ein anderes Ver­ständnis von „citizenship" relevant, das einbezieht, dass heutige Zugehörigkeiten vor allem, aber nicht nur, in U r b a n e n Kontexten in hohem Maße auch durch Konsum vermittelt sind:

„Men and womcn increasingly feel that many of the questions proper to citizenship - where do I bclong, what rights accrue to me, how ean I get Information, who represents my interests? - are being answered in the pri­vate realm of commodi ty consumption and the mass media more than in the abstract ruies of demoeracy or coilective participation in public Spaces." (Garcia Canclini 2001 : 15)

Entsprechend wird ein breiter, nicht nur politisch-juristischer Begriff von „citizenship" not­wendig, nämlich der von „cultural citizenship". Dieser Begriff fasst alle Formen von „citi­zenship" im Sinne von kultureller Zugehörigkeit, wozu neben politisch-nationalen Bezug­nahmen auch die auf Rasse, Gender, Ökologie oder weitere zählen (Garcia Canclini 2001: 22). Viele dieser weiteren Aspekte von „cultural citizenship" sind gegenwärtig eher vom Markt als vom Staat vermittelt. Gerade im U r b a n e n Umfeld sind für Jugendliche und j u n g e Erwachsene „transnationale Konsumgemeinschaften" (Garcia Canclini 2001: 43) als „vor­gestellte Gemeinschaften" (Anderson 1983) der Konsumierenden zentraler als die sie um­gebende Nation (siehe auch Hepp 2008). Dies geht Pland in Hand mit einem Wandel der Groß- und Megastädte zur „disintegrating city" (Garcia Canclini 2001: 49; Garcia Canclini 1997b: 349-352) durch fortschreitende Globalisierung und der damit verbundenen Deterri-torialisierung. Die Vielfalt von Lebens- und Konsumformen wie auch von Sprachen lassen das Bild der Stadt als eines geschlossenen, integrierten Raums problematisch erscheinen. Multikulturelle Konflikte sind an der Tagesordnung. Für eine Auseinandersetzung mit die­ser Komplexität von „cultural citizenship" schlägt Garcia Canclini vor, die Menschen gleichzeitig als Bürgerinnen und Bürger („Citizen") und Konsumierende („consumer") zu begreifen. Heutige Formen der „cultural citizenship" bestehen im Schnittfeld von beiden, d.h. Zugehörigkeit ist sowohl durch politische Bürgerschaft (Staat) als auch durch Konsum (Markt) vermittelt.

2. Das zweite Konzept, das nach Garcia Canclini einer Reformulierung bedarf, wenn man aktuelle multikulturelle Konflikte angemessen fassen möchte, ist das der Öffentlichkeit („public sphere"). Auch diese sollte nicht m e h r einfach als national-staatlicher politischer Kommunikationsraum verstanden werden, sondern im Spannungsverhältnis zwischen Staat und der wiederum auch durch Konsum geprägten Zivilgesellschaft (Garcia Canclini 2001: 20; Garcia Canclini 1997a: 28). Dabei ist Öffentlichkeit als Verdichtung von Kommunika-

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tionsprozessen zumindest auf zwei Ebenen zu verorten, nämlich auf der nationalen und der supranationalen. Die Notwendigkeit, zunehmend auch supranationale Öffentlichkeiten in den Blick zu rücken, ergibt sich dadurch, dass mit der Globalisierung soziokulturelle Her­ausforderungen (beispielsweise Migration, Umweltverschmutzung, Drogenhandel) selbst transnational sind und entsprechend kommunikativ verhandelt werden. Auf beiden Ebenen von kommunikativer Verdichtung - der nationalen und der supranationalen - erscheint es allerdings notwendig, die Widersprüche und den Auseinandersetzungscharakter von Öffent­lichkeiten zu fokussieren:

„the public sphere is a ,field of competing tradit ions ' , ,a space of heteroglossia ' , in which .ccrtain mcanings and traditions are reinforced' (the role of the State), ,but, in the process, new forces can attribute different mea-nings or emphases on the same concepts ' (the role of civil society), thus avoiding the danger of exclusivity and authori tar ianism" (Garcia Canclini 2001 : IS4f.)

Hierbei sieht Garcia Canclini deutlich das Problem einer „Amerikanisierung" von Öffent­lichkeiten, womit er - sich durchaus der problematischen Seiten dieses Ausdrucks bewusst - deren zunehmende Prägung durch Produkte von in den USA lokalisierten, transnational agierenden Medienkonzernen bezeichnet (Garcia Canclini 2001: 32). Diese „Amerikanisie­rung" wird für Lateinamerika seit der wirtschaftlichen Krise zu Beginn der 1990er Jahre zu einem Problem, weil es immer weniger gelingt, im Bereich elektronischer Medien den An-schluss an die technologische Entwicklung zu wahren.

Welche politischen Schlussfolgerungen zieht Garcia Canclini nun aus dieser Diagnose? Konkret vertritt er eine mittlere Position, die weder in einem staatlichen Protektionismus (die Grenzen des Nationalstaats als Barriere der Globalisierung) noch in einem neoliberalen Freihandel (keinerlei Grenzziehungen mehr) eine Lösung sieht. Vielmehr plädiert Garcia Canclini das Beispiel Europas aufgreifend für die „Formation eines lateinamerikanischen audiovisuellen Kommunikationsraums" (Garcia Canclini 2001: 132), der politisch gestaltet ist. Dieser sollte der fortschreitenden Deterritorialisierung von Kultur gerecht werden, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit einer „demokratischen multikulturellen Entwick­lung" (Garcia Canclini 2001: 133) gestatten. Das inhaltliche Argument für die Notwendig­keit der Entwicklung einer solchen supranationalen Öffentlichkeit ist für Garcia Canclini, dass es mit fortschreitender Globalisierung in jedem Land positive Bedingungen für die Ex­pansion von regionalen, ethnischen, aber auch weiteren Minderheitenmedienangeboten ge­ben muss. Diese kann aber ein einzelner Staat nicht zur Verfügung stellen - im Gegensatz zu einem umfassenderen, aber dennoch demokratisch und nicht ausschließlich durch den Markt kontrollierten großregionalen Kommunikationsraum. Deswegen muss der Staat seine kulturpolitische Rolle überdenken und zusammen mit transnationalen Organisationen wie beispielsweise der UNESCO auf die „Rekonstruktion einer Öffentlichkeit [zielen], verstan­den als multikultureller kollektiver Raum, in dem diverse Akteure (Staaten, Unternehmen und unabhängige Gruppen) die Möglichkeit haben, Einverständnisse über die Entwicklung öffentlicher Interessen auszuhandeln" (Garcia Canclini 2001: 133f.). Dass für Garcia Canc­lini diese kulturpolitische Argumentation nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, wird u.a. an seinem Engagement bei der UNESCO deutlich, wo er sich beispielsweise an dem „World Culture Report 1998" (UNESCO 1998: 157-18; Garcia Canclini 1998; siehe auch Garcia Canclini 1996) beteiligte.

Was eine solche Argumentation darüber hinaus weiter untermauert, ist die Forderung nach einem überdachten Selbstverständnis der internationalen Cultural Studies. Garcia Canc-

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N. G. Canclini: Hybridisierung, Deterritorialisierung und,, cultural citizenship " 173

lini greift hier seine methodologischen Überlegungen aus „Hybrid Cultures" auf, bezieht diese aber konkreter auf die methodologische Diskussion innerhalb der Cultural Studies. Was Garcia Canclini an deren US-amerikanischen Tradition mit Nachdruck kritisiert, ist ein nur geringer Einbezug von „Daten, Tabellen oder anderen empirischen Daten" (Garcia Canc­lini 2001: 8), vor allem dort, wo es um Fragen von Kommunikation, Konsum und Kom­merzialisierung geht. Hier erscheint ihm ein Rückbezug auf das empirische Unterfangen der britischen Cultural Studies wie auch deren Interesse an der (sich wandelnden) Rolle des Staates in der Gesamtheit des Wandels von Kultur zielfuhrender. Dies erfordert aber eine empirisch offenere Form der Cultural Studies, als sie in der US-amerikanischen Tradition üblich sind:

„we should go beyond cultural studies limited to hermeneutic analyses and open up to a research agenda (hat combines signification and facts, discourses and their empirical groundings. In sum, we should construct a ra-tionality that can encompass everyone 's reasonings as well as the structure of conflicts and negotiations." (Gar­cia Canclini 2001 : 13)

Im Kern können die Arbeiten von Garcia Canclini als ein Beitrag zur Entwicklung eines sol­chen multiperspektivischen Ansatzes der internationalen Cultural Studies begriffen werden, dem es um eine kritische Auseinandersetzung mit Globalisierungsprozessen insbesondere im Bereich von Medien und Kultur geht.

4. Rezeption in den Kommunikations-, Medien- und Kulturwissenschaften Die Arbeiten von Garcia Canclini wurden - wie einleitend festgestellt - innerhalb der Cul­tural Studies zuerst einmal über eine generelle Diskussion um deren Internationalisierung aufgegriffen (Stratton/Ang 1996). In dieser spielte zunehmend die Tradition der lateiname­rikanischen Kulturforschung als ein alternativer Ansatz der kritischen Cultural Studies im Bereich der Medienanalyse eine Rolle. Dabei wurden Garcia Canclinis Arbeiten vor allem dort aufgegriffen, wo es um eine Auseinandersetzung mit dem Stellenwert von Medien für eine kulturelle Globalisierung geht.

Neben allgemeinen Überblicken (beispielsweise Füll 1998; O'Connor 2000) ist vor al­lem auf die Analysen kultureller Globalisierung von John Tomlinson (1999, 2002, 2006) und James Lull (2000, 2002, 2007, sowie den Beitrag von Carsten Winter in diesem Band) zu verweisen. Tomlinson (1999: 138-149) entwickelt seinen Ansatz der Beschreibung der kulturellen Dimension von Globalisierung in direktem Rückgriff auf die Überlegungen von Garcia Canclini. Dabei ermöglicht das Konzept der Deterritorialisierung Tomlinson, den lo­kalen Aspekt der kulturellen Globalisierung zu fassen und damit die Dichotomie von lokal­global analytisch aufzubrechen. Globalisierung bedeutet in diesem Sinne die zunehmende Konnektivität des Lokalen hin zu verschiedenen deterritorialen (Kommunikations-)Räu-men: „deterritorialization cannot ultimately mean the end of locality, but its transformation into a m o r e complex cultural space" (Tomlinson 1999: 149). Die deterritoriale Konnektivität des Lokalen sieht Tomlinson (2006: 70) dabei weitergetragen durch neueste Medien- und Kommunikationstechnologien wie die des Mobiltelefons. Auf ähnliche Weise stellen die Ar­beiten von Garcia Canclini auch einen wichtigen Bezug für Lulls (2000: 238-243; 2002) Auseinandersetzung mit der Globalisierung der Medienkommunikation dar. Auch Lull greift von Garcia Canclini das Konzept der Deterritorialisierung auf, bezieht es allerdings stärker als Tomlinson auf Prozesse der „Transkulturation": Deterritorialisierung führt zu ei­ner (insbesondere medial vermittelten) Bewegung von spezifischen kulturellen Formen

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durch unterschiedlichste Kontexte, wodurch eine zunehmende Dynamisierung der Hybridi­sierung von Kultur besteht.

Solche Bezugnahmen können auch in der deutschsprachigen Medien- und Kommunika­tionsforschung ausgemacht werden (vgl. beispielsweise Hepp 2004; Hepp 2006; Sznaider/ Winter 2003; Winter 2003). Was es dabei aber sicherlich noch stärker zu berücksichtigen gilt, sind einerseits die methodologischen Reflexionen Garcia Canclinis. Dies ist vor allem dessen Forderung nach einem multidimensionalen Aulgreifen unterschiedlicher methodi­scher, sowohl standardisierter als auch nicht-standardisierter Zugangsweisen für eine kriti­sche Auseinandersetzung mit Prozessen der medialen und kulturellen Globalisierung. An­dererseits wurde bisher die auf Fragen der policy - also der inhaltlichen Dimension von Politik - ausgerichteten, jüngeren Überlegungen Garcia Canclinis kaum rezipiert. Diese sind aber insofern bemerkenswert, weil hiermit die Möglichkeit der Re-Definition des inter­ventionistischen Potenzials der Cultural Studies verbunden ist. Insgesamt zeigen die Arbei­ten von Garcia Canclini jedenfalls, welches Potenzial die lateinamerikanische Kultur-, Me­dien- und Kommunikationsforschung fur eine kulturtheoretisch ausgerichtete Medien- und Kommunikationsforschung hat.

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