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gischen Bedeutung der Forschungsergebnisse und nimmt damit die Kritik einer mangelnden Über- tragbarkeit, die ethnographischen Studien immer wieder angelastet wird, vorweg. Einige der vorge- fundenen Strukturformen sieht die Autorin als für die Wissensgesellschaft typisch an, wobei sie insbesondere diejenigen Arrangements und Me- chanismen betont, die die materielle Kultur zur Darstellung bringen, wie dies beim Labor, den objektzentrierten Management-Methoden oder den beschriebenen Objektbeziehungen der Fall ist. Auch in der zunehmenden Interferenz und Vermischung epistemischer Kulturen, die als Struktur- und symbolische Ordnungen in lokalen Konfigurationen entstehen, ortet Knorr Cetina eine Analogie zu den Transformationsprozessen der Wissensgesellschaft, die im Globalisierungs- kontext durch eine Expansion solch lokaler Paral- lelwelten geprägt seien. Obschon es den Rahmen der Studie sprengen würde, hätte man gerne noch etwas ausführlicher über diese Zusammenhänge reflektiert und gele- sen. Die Stärke des Buchs liegt jedoch nicht nur in diesen analytischen Sicht- und kreativen Dar- stellungsweisen, sondern insbesondere in den – gelegentlich poetisierenden – Beschreibungen der unterschiedlichen Forschungswelten, in die man sich gerne einführen lässt und die auf äußerst aufwendigen und anspruchsvollen Feldforschun- gen basieren. Mit diesem Buch hat Karin Knorr Cetina nicht nur für die Wissenschafts- und Technikforschung neue Perspektiven eröffnet, sondern einmal mehr aufgezeigt, dass sich die all- gemeine Soziologie von dieser inspirieren lassen könnte. Regula Burri KULTURSOZIOLOGIE Joachim Renn, Jürgen Straub und Shingo Shimada (Hg.): Übersetzung als Medium des Kultur- verstehens und sozialer Integration. Frankfurt a.M./New York: Campus 2002. 396 Seiten. ISBN 3-593-37018-2. Preis: 49,–. Andreas Hepp und Martin Löffelholz (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kom- munikation. Konstanz: UVK 2003. 897 Sei- ten. ISBN 3-8252-2371-X. Preis: 24,90. In dem von Renn, Straub und Shimada herausge- gebenen Band geht es um Übersetzung als Medi- um des Kulturverstehens und sozialer Integration. Übersetzung wird dabei nicht primär als ein translationswissenschaftliches, sondern sozialwis- senschaftliches Phänomen verstanden. Die episte- mologischen Grundlagen einer interdisziplinären Erforschung der Praxis des Übersetzens werden nicht in einem substanzialistischen, sondern ei- nem prozessualistischen Verständnis von kultu- rellen Sinngehalten gesehen. Möglich wie not- wendig wird es dadurch, die Generierung von kulturellen Sinngehalten genauso wie den Prozess ihrer Übersetzung an die gesellschaftssystemisch integrierten Praxen des alltäglichen Lebens zu koppeln. In den Beiträgen des Bandes wird das Phänomen der Übersetzung nun in vier verschie- denen – sprachanalytischen, handlungstheoreti- schen, gesellschaftstheoretischen und interkultu- rellen – Perspektiven verhandelt. Mit der Sprachanalyse der Übersetzung setzen sich die Beiträge von Schneider, Pape und Sten- ger auseinander. An Wittgensteins Begriff des Sprachspiels anschließend, weist Schneider darauf hin, dass es nicht darum gehen kann, einen „rei- nen, in verschiedenen Formen identischen Inhalt von einem sprachlichen Ufer zum anderen zu bringen“ (39). Pape hingegen knüpft an die Se- miotik von Peirce an, um ein prozessualistisches Bedeutungsverständnis zur Geltung zu bringen, während Stenger einen phänomenologischen Zu- gang wählt, um die Genese eines Verstehens der Welt vom Vorrang der Differenz nachzuzeichnen. Auf die Übersetzung als Handlung gehen die Bei- träge von Vermeer, Snell-Hornly und Loenhoff ein. In kritischer Absetzung von der traditionel- len translationswissenschaftlichen Vorstellung, ei- nen identischen Bedeutungsgehalt von einem Ur- sprungs- in einen Zielkontext transferieren zu können, weisen sie darauf hin, dass der Prozess der Übersetzung ein Prozess der aktiven Bedeu- tungsgenerierung ist. Der Zusammenhang zwi- schen Sozialstruktur und Übersetzung wird in den Beiträgen von Renn, Cappai und Niesen verhan- delt. Nach Renn wird die Repräsentation der Ge- sellschaft in einem modernen Denken problema- tisch, da sie im Medium individueller Kognitio- nen geleistet wird. Gleichwohl sei es in der all- täglichen Praxis funktional notwendig, die Ge- sellschaft als Einheit zu konzipieren – auch wenn diese Einheit eine Fiktion ist. In der Fragmentie- rung der Grundlagen kulturellen Weltverstehens in der modernen Gesellschaft sieht Cappai den Grund, warum Übersetzung zu einer permanen- ten wie konfliktären Praxis wird. Nissen schließ- lich setzt sich mit dem Problem der Rede- und Äußerungsfreiheit auseinander. Um das Problem der interkulturellen Übersetzung geht es in den letzten Beiträgen. Das zivilisatorisch bedeutsame Lernpotenzial einer Übersetzungskultur, die Brü- che und Schwierigkeiten im interkulturellen Ver- stehen bewusst macht, erörtert Bachmann-Me- Literaturbesprechungen 373

Andreas Hepp und Martin Löffelholz (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation

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gischen Bedeutung der Forschungsergebnisse undnimmt damit die Kritik einer mangelnden Über-tragbarkeit, die ethnographischen Studien immerwieder angelastet wird, vorweg. Einige der vorge-fundenen Strukturformen sieht die Autorin alsfür die Wissensgesellschaft typisch an, wobei sieinsbesondere diejenigen Arrangements und Me-chanismen betont, die die materielle Kultur zurDarstellung bringen, wie dies beim Labor, denobjektzentrierten Management-Methoden oderden beschriebenen Objektbeziehungen der Fallist. Auch in der zunehmenden Interferenz undVermischung epistemischer Kulturen, die alsStruktur- und symbolische Ordnungen in lokalenKonfigurationen entstehen, ortet Knorr Cetinaeine Analogie zu den Transformationsprozessender Wissensgesellschaft, die im Globalisierungs-kontext durch eine Expansion solch lokaler Paral-lelwelten geprägt seien.

Obschon es den Rahmen der Studie sprengenwürde, hätte man gerne noch etwas ausführlicherüber diese Zusammenhänge reflektiert und gele-sen. Die Stärke des Buchs liegt jedoch nicht nurin diesen analytischen Sicht- und kreativen Dar-stellungsweisen, sondern insbesondere in den –gelegentlich poetisierenden – Beschreibungen derunterschiedlichen Forschungswelten, in die mansich gerne einführen lässt und die auf äußerstaufwendigen und anspruchsvollen Feldforschun-gen basieren. Mit diesem Buch hat Karin KnorrCetina nicht nur für die Wissenschafts- undTechnikforschung neue Perspektiven eröffnet,sondern einmal mehr aufgezeigt, dass sich die all-gemeine Soziologie von dieser inspirieren lassenkönnte.

Regula Burri

KULTURSOZIOLOGIE

Joachim Renn, Jürgen Straub und Shingo Shimada(Hg.): Übersetzung als Medium des Kultur-verstehens und sozialer Integration. Frankfurta.M./New York: Campus 2002. 396 Seiten.ISBN 3-593-37018-2. Preis: € 49,–.

Andreas Hepp und Martin Löffelholz (Hg.):Grundlagentexte zur transkulturellen Kom-munikation. Konstanz: UVK 2003. 897 Sei-ten. ISBN 3-8252-2371-X. Preis: € 24,90.

In dem von Renn, Straub und Shimada herausge-gebenen Band geht es um Übersetzung als Medi-um des Kulturverstehens und sozialer Integration.Übersetzung wird dabei nicht primär als eintranslationswissenschaftliches, sondern sozialwis-

senschaftliches Phänomen verstanden. Die episte-mologischen Grundlagen einer interdisziplinärenErforschung der Praxis des Übersetzens werdennicht in einem substanzialistischen, sondern ei-nem prozessualistischen Verständnis von kultu-rellen Sinngehalten gesehen. Möglich wie not-wendig wird es dadurch, die Generierung vonkulturellen Sinngehalten genauso wie den Prozessihrer Übersetzung an die gesellschaftssystemischintegrierten Praxen des alltäglichen Lebens zukoppeln. In den Beiträgen des Bandes wird dasPhänomen der Übersetzung nun in vier verschie-denen – sprachanalytischen, handlungstheoreti-schen, gesellschaftstheoretischen und interkultu-rellen – Perspektiven verhandelt.

Mit der Sprachanalyse der Übersetzung setzensich die Beiträge von Schneider, Pape und Sten-ger auseinander. An Wittgensteins Begriff desSprachspiels anschließend, weist Schneider daraufhin, dass es nicht darum gehen kann, einen „rei-nen, in verschiedenen Formen identischen Inhaltvon einem sprachlichen Ufer zum anderen zubringen“ (39). Pape hingegen knüpft an die Se-miotik von Peirce an, um ein prozessualistischesBedeutungsverständnis zur Geltung zu bringen,während Stenger einen phänomenologischen Zu-gang wählt, um die Genese eines Verstehens derWelt vom Vorrang der Differenz nachzuzeichnen.Auf die Übersetzung als Handlung gehen die Bei-träge von Vermeer, Snell-Hornly und Loenhoffein. In kritischer Absetzung von der traditionel-len translationswissenschaftlichen Vorstellung, ei-nen identischen Bedeutungsgehalt von einem Ur-sprungs- in einen Zielkontext transferieren zukönnen, weisen sie darauf hin, dass der Prozessder Übersetzung ein Prozess der aktiven Bedeu-tungsgenerierung ist. Der Zusammenhang zwi-schen Sozialstruktur und Übersetzung wird in denBeiträgen von Renn, Cappai und Niesen verhan-delt. Nach Renn wird die Repräsentation der Ge-sellschaft in einem modernen Denken problema-tisch, da sie im Medium individueller Kognitio-nen geleistet wird. Gleichwohl sei es in der all-täglichen Praxis funktional notwendig, die Ge-sellschaft als Einheit zu konzipieren – auch wenndiese Einheit eine Fiktion ist. In der Fragmentie-rung der Grundlagen kulturellen Weltverstehensin der modernen Gesellschaft sieht Cappai denGrund, warum Übersetzung zu einer permanen-ten wie konfliktären Praxis wird. Nissen schließ-lich setzt sich mit dem Problem der Rede- undÄußerungsfreiheit auseinander. Um das Problemder interkulturellen Übersetzung geht es in denletzten Beiträgen. Das zivilisatorisch bedeutsameLernpotenzial einer Übersetzungskultur, die Brü-che und Schwierigkeiten im interkulturellen Ver-stehen bewusst macht, erörtert Bachmann-Me-

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dick. Fuchs expliziert die Schwierigkeiten inter-kultureller Übersetzung anhand der indischenGesellschaft, deren Sozialstruktur sich rasant mo-dernisiert, während das kulturelle Weltverständ-nis weiterhin von religiösen, in den Lebenspraxender differenten Religionsgemeinschaften auchnormativ bedeutsamen Denkformen dominiertwird. Am Beispiel eines multinationalen Unter-nehmens untersucht Srubar die Bewältigungsstra-tegien kultureller, bisweilen stark irritierenderFremdheitserfahrungen im deutsch-tschechischenManagement: Personalisierung „kulturellerFremdheit“ wie die „gemeinsame Verpflichtungauf marktökonomische Grundideen“ (339) seienhier bedeutsam. Als besonders hartnäckige Ver-ständigungsbarriere erweist sich ein kulturspezi-fisch geformter Habitus. Ein auf der Basis von„Differenz, Alterität und Alienität“ (352) konzi-piertes Verständnis kultureller Bedeutung wirdschließlich in dem Beitrag von Straub entwickeltund am Beispiel der kognitiven und kommunika-tiven Bewältigungsstrategien von psychischenKonflikten, die bei Angehörigen von Opfern undTätern der Shoa zu Tage treten, expliziert.

In dem von Hepp und Löffelholz herausgege-benen Band „Transkulturelle Kommunikation“stehen die kulturellen Folgeprobleme der gesell-schaftlichen Globalisierung im Mittelpunkt. DieHerausgeber betonen, dass seit dem 11. Septem-ber 2001 deutlich geworden sei, welche Rolle dieMedien im kulturellen Globalisierungsprozessspielten. Zudem hätten die zahlreichen Protestbe-wegungen, die sich gegenüber einer neoliberalenGlobalisierungspolitik formierten, genauso wiedie Ethnisierungsprozesse innerhalb der Migran-tengruppen gezeigt, dass die „Kulturen der Welt... zu keiner homogenen Weltkultur“ (11) ver-schmelzen. Sie schlagen deshalb vor, die Untersu-chung der kulturellen Dimension der Globalisie-rung nicht mehr primär an der internationalenund interkulturellen, sondern der transkulturel-len Perspektive zu orientieren. Im Anschluss andie Arbeiten von Welsch und Hall wird das neu-artige Erkenntnispotenzial dieses Begriffs in derDeterritorialisierung und Prozessualisierung desKulturkonzeptes gesehen. Denn während imKonzept der internationalen oder interkulturellenKommunikation von einem territorial fixierbarenund (zumindest latent) ontologisch konzipiertenVerständnis kultureller Lebensformen und Identi-tät ausgegangen wurde, sei es auf der Grundlagedes transkulturellen Kommunikationskonzeptesmöglich, „Kultur und kulturelle Identität“ (16)als Konstruktionen zu begreifen, die in „einemkomplexen, widersprüchlichen und konfliktärenProzess der mit der Globalisierung verbundenenDeterritorialisierung“ (16) entstehen und „medi-

atisiert, multiethnisch und stark differenziert[sind] nach Milieus, Lebensformen und Lebens-stilen, die über Lokalitäten hinweg bestehen“(17). In diesem Kulturverständnis wird gleichzei-tig ein „gemeinsamer Referenzpunkt“ (17) derBeiträge des Bandes gesehen, der die Problemla-gen transkultureller Kommunikationsforschungin fünf thematisch unterschiedlichen Teilen ver-handelt.

Die sieben Beiträge des ersten, grundlagen-theoretisch orientierten Teils (37ff.) umreißen dieBreite des Forschungsfeldes und markieren dieBezugspunkte für die weiteren Texte des Bandes.Während etwa Rosengreen die Verschiebung vonder internationalen zur interkulturellen Theorieder Kommunikation erörtert, geht es Hess-Lüt-tich um die Öffnung der Medienwissenschaft fürdie interkulturellen Fragen. Hall hingegen hebtauf die empirische Bedeutung von Kultur im ge-sellschaftlichen Globalisierungsprozess und dieepistemologischen Probleme ab, die mit dem cul-tural turn in den Sozialwissenschaften entstandensind. Die Bedeutung, die einer transkulturellenKrisenkommunikationsforschung im gesellschaft-lichen Globalisierungsprozess zukommt, wird vonLöffelholz umrissen. Im zweiten Teil (207ff.) desBandes geht es um Medienpolitik und Institutio-nen der Kulturproduktion, wobei das Spektrumder einzelnen Beiträge von der politischen Reak-tion auf die Globalisierung der Medienkommu-nikation über differente Produktionskulturenund transkulturelle Strategien des Medienmana-gements bis hin zu einer Auseinandersetzung mitder Globalisierung von Journalismus, PR unddem Rundfunk reicht. Mit Medienprodukten,Möglichkeiten ihrer transkulturellen Orientie-rung und ihrem Potenzial im Hinblick auf Öf-fentlichkeiten setzt sich der dritte Teil (375ff.)auseinander. Im Fokus der sieben Beiträge stehtdas Fernsehen als in unterschiedlichen kulturellenKontexten dominierendes Leitmedium sowie dasInternet als Hybridmedium. Beiträge zu kulturel-ler Identität und Medienaneignung finden sichim vierten Teil (533ff.), wobei die Frage nach derErosion alter sowie die Generierung neuer kultu-reller Identitäten durch (globalisierte) Medien-kommunikation von besonderem Interesse ist. Imfünften Teil (725ff.) geht es schließlich um diezukünftigen Perspektiven transkultureller Kom-munikationsforschung. Neben Silverston, der denmit der Globalisierung der Medienkommunika-tion entstandenen digitalen Raum als globale All-mende bestimmt; Lull, der den durch Hybriditätund Transkulturalität gekennzeichneten Begriffder Superkultur in die Kulturanalyse einführt,diskutieren die Beiträge in verschiedenen Per-spektiven die mit der Globalisierung der Medien-

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kommunikation entstandenen sozialen, politi-schen und kulturellen Entwicklungen wie bei-spielsweise Netzwerkbildung, globale Öffentlich-keit, diasporische Identitätsbildung.

Die in den beiden Bänden versammelten Bei-träge leisten einen wichtigen Beitrag dazu, diemit der Globalisierung der modernen Gesell-schaft verbundenen Problemlagen kulturellenWandels einsichtig zu machen. Ebenso belegensie in beeindruckender Weise die Bedeutung, dieeiner interdisziplinären Forschung in der Wissen-schaft der Weltgesellschaft zukommt. Es sindaber auch Probleme auszumachen. Denn wenn esrichtig ist, dass interdisziplinäres Forschen die In-tensivierung der grundlagentheoretischen Refle-xionsarbeit beinhaltet, so ist in beiden Publika-tionen in epistemologischer wie in methodologi-scher Dimension ein hoher Klärungsbedarf aus-zumachen. Denn wie, um ein Beispiel zu geben,mit den Methoden der Philosophie, die latent al-lesamt in ontologischen Erkenntnisprämissengründen, der Wandel von kulturellen Sinnstruk-turen einsichtig zu machen ist, bleibt genausounklar wie die Genese der Prozesslogik als Bedin-gung der Möglichkeit eines „transkulturellen“Denkens in Gesellschaft und Wissenschaft. Eben-so problematisch ist der Mangel an gesellschafts-theoretischer Reflexion, und zwar aus systemati-schen Gründen: Tatsächlich haben die kulturel-len Problemlagen der Moderne und die Möglich-keit ihrer kulturwissenschaftlichen Erforschungihre empirische Basis in der Emergenz der mo-dernen Gesellschaft sowie der aktuellen Globali-sierung ihrer Teilsysteme, Organisationen undMedien. Im Kontext interdisziplinärer Kulturfor-schung ist es deshalb notwendig zu klären, wasunter einer modernen Gesellschaft und einem mo-dernen Denken zu verstehen ist. Es sind diesegrundlegenden Fragen, deren Beantwortung inden beiden Bänden zu kurz gekommen ist.

Andreas Weber

SOZIOLOGIE DES SPORTS

Robert Schmidt: Pop – Sport – Kultur. Praxisfor-men körperlicher Aufführungen. Konstanz:UVK 2002. 311 Seiten. ISBN 3-89669-763-3. Preis: € 29,–.

Die These der Entstehung eines neuen kulturel-len Raums aus der Hybridisierung von Sport hierund Popkultur da belegt Robert Schmidt in sei-ner 2002 im Konstanzer Universitätsverlag er-schienenen Monographie „Pop – Sport – Kultur.

Praxisformen körperlicher Aufführungen“ an-hand einer ethnographisch angelegten Untersu-chung des Berliner Yaam Clubs.

Im Zuge massiver Veränderungen des Sportsseit Mitte der 70er Jahre, die sich durch Prozesseder Expansion, d.h. der absoluten Zunahme derZahl der Sporttreibenden, der Inklusion bishersportfremder sozialer Gruppen sowie der wach-senden Ausdifferenzierung der Sportarten be-schreiben lassen, etabliert sich ein „neues Mo-dell präsentatorisch-inszenatorischer Sportlich-keit“ (31ff.), das Schmidt als Resultat einer Dis-tinktionsstrategie der Mittelschichten interpre-tiert. Nach dem Motto „fit ist man weniger, alsdass man sich so darstellt“ steht demnach beisportlichen Aktivitäten nicht mehr Wettkampfund Leistung, sondern die Demonstration vonKompetenz vor einem Publikum im Vorder-grund. Insbesondere die neuen Sportarten wer-den verstärkt in öffentlichen Räumen ausgeübtund „verschwistern“ (32) sich mit Elementen ausanderen kulturellen Bereichen – allen voranMode und Musik.

Zugleich öffnet sich der „Raum“ der Popkul-tur, dessen Herausbildung Schmidt ab 1945 skiz-ziert und dessen Ausdifferenzierung in „Rock ver-sus Disco“ (mit ihren jeweils zahlreichen Subgen-res) er – wiederum klassentheoretisch – alsDurchsetzung des sozialen Gegensatzes zwischenMittel- und Unterschichten interpretiert, hinzum Sport. Und die beiden Bereiche amalgamie-ren zu einem neuen kulturellen Raum, „in demsich die Spezifika beider Kulturbereiche zu hybri-den, performativen popkulturell-sportlichen Kul-turpraxen vermischen“ (68). Im Rekurs auf Mar-cel Mauss’ anthropologische Überlegungen zuKörpertechniken und auf Bourdieus Habituskon-zept interpretiert Schmidt die durch die neuenSportarten ebenso wie durch die aktuellen pop-musikalischen Genres „bereitgestellten“ Körper-ästhetiken als Mittel zur Darstellung neuer sozia-ler Differenzierungen und als Grundlage für neueFormen der Gemeinschaftsbildung.

Den Hauptteil des Buches bildet die – austeils unstrukturierten, teils systematischen teil-nehmenden Beobachtungen und vielfältigen,mehr oder weniger interviewartig geführten Ge-sprächen, kurz: aus guter ethnographischer Arbeitgeronnene – dichte Beschreibung des BerlinerYaam Clubs, die dem Leser einen plastischenEindruck der hier all sommersonntäglich versam-melten Akteure, ihrer Aktivitäten und ihrerOrientierungen vermittelt, für welche der Clubeine Bühne bildet, auf „der sich die Akteurewechselseitig Darsteller und Publikum sind“(160). Anhand der detaillierten Beschreibung derhier typischen Reggae-Musik und der mit ihr ver-

Literaturbesprechungen 375