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Angriffsziel Terra

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Nr. 2067

Angriffsziel Terra

Zwischen Hoffen und Bangen - diegroße Schlacht im Solsystem droht

von Hubert Haensel

Seit die Menschheit zum ersten Mal ins All vorstieß, wurde sie immer wieder mitfremden Mächten konfrontiert, viele von ihnen stärker, älter und erfahrener als dieMenschheit selbst. Die erste dieser Mächte waren die Arkoniden - und für Perry Rho-dan ist es besonders schmerzhaft, die ehemaligen Freunde nun als erbitterte Feindewahrzunehmen. Zu Beginn des Jahres 1304 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, dasdem Jahr 4890 alter Zeit entspricht, hat sich die Situation weiter verschärft. In derMilchstraße ist eine neue Macht entstanden, und dies ausgerechnet im Zentrum desarkonidischen Imperiums: die junge Superintelligenz SEELENQUELL, die offensicht-lich ihren Einfluß auf die Galaxis ausbreiten will.

Wenn Perry Rhodan nicht will, daß die Terraner unter den Einfluß von SEELEN-QUELL geraten, muß er reagieren. In einer Kommandoaktion gelingt es ihm mit einerGruppe von Agenten, den wichtigsten Mann auf der Seite des Gegners gefangenzu-nehmen: Imperator Bostich I.

Es ist nachvollziehbar, daß die Arkoniden auf diese Aktion schnellstmöglich reagie-ren werden. Deshalb wird sofort ein neuer Imperator eingesetzt. Dieser ist zwar nurein Roboter, aber davon weiß die Öffentlichkeit nichts. Der neue Imperator verkündetprompt das ANGRIFFSZIEL TERRA…

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Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Der Terraner sieht seine Heimat von einer arkonidischen Flotte bedroht.Reginald Bull - In der Solaren Residenz hadert der Verteidigungsminister mit seinem Schicksal.Bostich I. - Der ehemalige Herrscher des Göttlichen Imperiums stellt unglaubliche Forderungen.Kraschyn - Der Mascant führt die größte Raumflotte seit Jahrtausenden in die entscheidendeSchlacht.

Schlaglichter (1)

Yekam Dusik fixierte die holographischeWiedergabe wie eine ihm persönlich gelten-de Kriegserklärung. Überraschung und Un-verständnis spiegelten sich in seiner Miene,und die spärliche Beleuchtung verwandeltesein grobporiges Gesicht in eine faszinieren-de Kraterlandschaft.

»Die Bahndaten verändern sich deutlich«,murmelte Dusik im Selbstgespräch. »Einigehundert Eisbrocken driften in Richtung Solab.« Halb über die Schulter gewandt, rief erin die Düsternis des Kontrollraums: »Ichkann mir nicht vorstellen, daß Masse- undEnergiescan nichts anzeigen, Rosiwa. Gibmir eine neue Ortung mit Feinjustierung!«

Ungeduldig kratzte er seinen kahlen,hochgewölbten Schädel. Silberne Haut-schuppen tauchten, von der schwachenEnergie angezogen, in das Hologramm ein.Sie glommen wie winzige Sternschnuppenauf.

»Separate Steuerfunktion aktivieren!« Ye-kam Dusik winkelte den linken Arm an. Einkubisches Leuchtfeld umfloß die Hand. JedeFingerbewegung wurde nun von der Positro-nik erfaßt und in Befehlssequenzen umge-setzt. Das war ein altertümliches, aber zu-verlässiges Verfahren …

… so alt wie die Station an sich. JAN H.OORT hieß sie und war vor neunhundertJahren erbaut worden, ein filigranes, derForschung dienendes, autarkes Gebilde. ImLaufe der Jahrhunderte hatte sich die Besat-zung von einst sechzig Wissenschaftlern aufnunmehr vier Personen reduziert. Aber sienannten das Konglomerat aus Stahl, Glassitund Energie längst ihre Heimat.

Eineinhalb Lichtjahre außerhalb des Sol-

systems war die Station in das Gravitations-geflecht der Oortschen Wolke integriert. DieCantaro hatten sie weitestgehend ignoriert,von Goedda und den Dscherro wußten diewenigen Besatzungsmitglieder nur vom Hö-rensagen, Und nicht einmal die KosmischeFabrik WAVE hatte Störungen hervorgeru-fen.

Eine Ausschnittsvergrößerung zeigte dieknapp tausend Objekte der potentiellenWIDDER-Kometen. Dusiks Gedankenschweiften ins Jahr 1145 NGZ zurück.

Er war zwölf Jahre alt gewesen, als eineKorvette des Widerstands auf der Flucht vorCantaro-Schiffen beinahe die Entdeckungder Station verursacht hätte. Seine damaligePanik würde er nie vergessen.

Eine ganz knappe Handbewegung bewirk-te die Einblendung der berechneten Bahnab-weichungen. Yekam Dusik fühlte sich inseiner Vermutung bestärkt: Ein undefinier-bares Schwerefeld beeinflußte die bizarrenEisbrocken. In einigen hundert Jahren wür-den sie in Sonnennähe zu Kometen werdenund einen atemberaubenden Anblick bieten.

Er selbst lebte dann nicht mehr. Er warauf JAN H. OORT geboren und würde aufder Station sterben; die Zeit, als er sich da-nach gesehnt hatte, wenigstens einmal aufTerra oder einer der anderen Welten zu lan-den, war längst Vergangenheit.

Von gelegentlichem Funkverkehr abgese-hen, kümmerten sich die Menschen nicht umdie Station. Als schreckten sie vor den mu-tierten Nachkommen der wissenschaftlichenBesatzung zurück. Aber vielleicht war ein-fach nur der richtige Zeitpunkt versäumtworden.

Im Hangar stand eine einzige Space-Jet.Niemand hatte es je für nötig gehalten, mitdem Diskusschiff ins Sonnensystem zu flie-

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gen - Versäumnisse gab es also auf beidenSeiten.

Yekam Dusik spreizte die dürren Finger.Die kosmische Strahlung im Bereich derOortschen Wolke bewirkte ein verstärktesWachstum. Er selbst war mit zwei Metervierzig noch gut einen Kopf kleiner als dienach ihm Geborenen.

Die im Hologramm eingeblendeten Or-tungsdaten zeigten weder außergewöhnlicheMassekonzentrationen noch eine energeti-sche Quelle, ebensowenig fünfdimensionaleStörfronten.

Dusik blinzelte, um die weit aus den Höh-len hervorquellenden Augäpfel zu befeuch-ten. Sie waren in den letzten Jahrzehntenlichtempfindlicher geworden. Von der Be-obachtungskuppel aus erkannte er inzwi-schen ohne Hilfsmittel sogar fernste Nebel.

Ein Aufschrei drängte sich in seine Über-legungen. »Die Erde meldet sich über Richt-funk!« rief Rosiwa. »Das Büro des ErstenTerraners!«

Dusik antwortete nicht. Auch nicht, alsAugenblicke später eine menschliche Stim-me den Raum erfüllte.

»… zwingt die brisante Zuspitzung dergalaktopolitischen Situation zu vorüberge-hend ungewöhnlichen Maßnahmen: AlleForschungs- und sonstigen Stationen im so-laren Außenbereich müssen bis zum 24. Ja-nuar evakuiert werden. Den Heimkehrernweisen wir zunächst Unterkünfte in terrani-schen Orbitallabors zu. Dies ist eine parla-mentarische Anordnung der LFT, unterstütztvon NATHAN. Dem Schutz jedes einzelnengilt absolute Priorität. Diese Aufforderungwird automatisch wiederholt…«

Terra! Vorübergehend war Dusik faszi-niert von dem Gedanken, im hohen Alterendlich die Erde zu sehen, aber schon imnächsten Moment glaubte er zu wissen, daßer dann nie in die Oortsche Wolke zurück-kehren würde.

Rosiwa kam auf ihn zu. »Was glaubstdu?« fragte sie zögernd. »Wie lange wirddieses Zunächst dauern?«

»Es gibt kein Zurück.«

Mit offenem Mund starrte sie ihn an; eingequältes Lächeln erschien um ihre Mund-winkel. »Ich vertraue auf das Ab-schreckungspotential der Flotte. Und hatsich nicht jeder von uns einmal gewünscht,ins Sonnensystem zu fliegen?«

»Terra wahrt nur den Schein, Rosiwa, an-dernfalls hätte man uns längst zurückgeholt.Die Strahlung hier draußen hat uns verän-dert, wir sind Fremde geworden. Weshalbsonst gibt es lediglich ein Quartier im Erdor-bit? - Nein!« Abwehrend hob Dusik die Ar-me, als die Frau zu einer Erwiderung ansetz-te. »Ich rate jedem, auf JAN H. OORT zubleiben.«

»Das hast du nicht zu entscheiden - nichtfür uns alle.«

Dusik griff zu, seine Finger schlossen sichum die Handgelenke der Frau. »Die Wolkeist unser Leben«, stieß er hervor. »Es gibtnichts anderes für uns. Wir gehören hierher«

»Mag sein, daß du recht hast. Vielleichtaber auch nicht.« Rosiwa riß sich los. »Ichrede erst mit den anderen. Weil ich dieseChance nicht einfach wegwerfen will. Wa-rum vergessen wir nicht endlich unsere Be-denken?«

»Weil …« Kopfschüttelnd schaute Dusikder Frau hinterher, die mit weit ausgreifen-den Schritten Richtung Hauptschott hastete.

Wie hatte man früher gesagt? Die Rattenverlassen das sinkende Schiff? Dusiks Ent-schluß stand fest. Auf dem Absatz drehte ersich um. Schotten glitten vor ihm auf undschlossen sich ebenso lautlos hinter ihm.Nur das Geräusch seiner Schritte halltedurch die Korridore.

Die Richtung der Schwerkraft wechselte.Dusik registrierte es nur unbewußt. Schnellerreichte er die Space-Jet, die scheinbar zeit-los im Hangar ruhte.

Fast fühlte Dusik sich wie ein Verräter anden anderen. Falls die anderen wirklich dieStation verlassen wollten, durfte er sie nichtdaran hindern. Andererseits fragte er sich,ob sie auf der Erde die Aufnahme findenwürden, die sie sich erhofften.

Die Bodenschleuse glitt vor ihm auf, und

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ein schwaches Zugfeld hob ihn an Bord. Ergab seine Kommandos, während er die klei-ne Zentrale betrat, und als er im PilotensitzPlatz nahm, öffnete sich schon das Hanga-raußenschott. Zum Greifen nahe schien dieSchwärze des Weltraums.

Den Start übernahm die Automatik. Ye-kam Dusik ignorierte den Interkom und Ro-siwas beschwörenden Tonfall.

JAN H. OORT fiel unter ihm zurück undschrumpfte zu einem winzigen Stern untervielen.

Wie groß war die Reichweite der Space-Jet? Jederzeit konnte er sich aus dem Ho-heitsgebiet der Liga Freier Terraner abset-zen. Er nahm Kurs auf den WIDDER-Schwarm.

Obwohl die Ortungen nach wie vor insLeere griffen, blieb sein Gefühl vager Be-klemmung. Etwas hatte sich verändert. Erstwenn er die Ursache dafür kannte, würde erin die Station zurückkehren und die Space-Jet den anderen überlassen.

Der Energieabf all überraschte ihn. Se-kunden später versagte das Impulstriebwerk.

Als ein Traktorstrahl nach der Space-Jetgriff, wußte Yekam Dusik, daß er am Endeseiner Suche angelangt war. Ein Absorber-feld hüllte sein kleines Raumschiff ein undnahm ihm die Möglichkeit, eine Meldungabzusetzen. Alle Funkkontrollen zeigtenRotwerte.

Jäh wich das Nichts des Weltraums einemgewaltigen stählernen Rund. Dusik sah nureinen vergleichsweise kleinen Ausschnittdes scheinbar aberwitzige eineinhalbtausendMeter durchmessenden Schiffes vor sich.

Die Space-Jet näherte sich dem Äquator-bereich. Metagravblöcke ragten im Wechselmit halb in den Schiffsleib eingedocktenBeibooten auf. Die Erkenntnis war bitter,daß die Arkoniden dem Sonnensystemschon so nahe waren.

Ein kleiner Hangar nahm die Space-Jetauf. Der Anblick ringsum postierterKampfroboter erstickte jeden Gedanken anWiderstand schon im Keim.

Dusik gab sich keinen Illusionen hin, was

ihn erwartete. Endlose Verhöre, wahrschein-lich eine Gehirnwäsche.

Warum? hämmerte es unter seiner Schä-deldecke. Warum können intelligente Wesennicht in Frieden leben?

Schatten über Sol

Mit zwei Fingern der rechten Hand fuhrReginald Bull sich unter den Uniformkra-gen, um die qualvolle Enge ein wenig zulockern. Er räusperte sich verhalten - undöffnete aller militärischen Etikette zumTrotz den obersten Magnetverschluß. Da-nach fühlte er sich ein wenig wohler.

»Meine Damen und Herren Kommandan-ten …« Halblaut murmelte er die Worte undließ ein unwilliges Seufzen folgen. Das warQuatsch. Angesichts der beängstigenden ga-laktopolitischen Lage waren Phrasen fehlam Platz. »Liebe Freunde …«

Bully verzog die Mundwinkel. Solch pa-thetischem Geschwätz hätte er selbst keinezehn Sekunden lang zugehört, das war nichtbesser als die vorgefertigte Ansprache, dieer nach einem flüchtigen Blick in den Müll-schlucker befördert hatte. Nach Feierlichkei-ten war ihm nicht zumute.

Reginald Bull wischte den lästigen Ge-danken beiseite. Noch verfügte die LigaFreier Terraner über ein gewaltiges Militär-potential, das ausreichen sollte, SEELEN-QUELL die Stirn zu bieten.

Leuchtmarkierungen kündeten die zumkleinen Festsaal führende Abzweigung an.Vorher verließ der Korridor den gewachse-nen Fels und wurde zur transparenten Röhre,die einen Seitentrakt der Montagehalle über-spannte.

Bully hielt kurz inne. In den AG-X-Spezialwerften wurde unter Hochdruckgearbeitet, nur durfte niemand Wunder er-warten. Achthundert-Meter-Kugelraumerder WÄCHTER-Klasse waren Präzisionsin-strumente und selbst in Serienfertigung nichtinnerhalb weniger Wochen fertigzustellen.

Dreißig auf zwanzig Kilometer maß diesublunare Werftanlage, in der acht WÄCH-

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TER-Raumer gleichzeitig auf Kiel lagen.Das Areal befand sich dreitausend Meter tiefunter geschichtsträchtigem Mondboden, vonder Erde aus gesehen an der Grenze zurMondrückseite. Hier hatten Rhodan undBull einst den notgelandeten Forschungs-kreuzer der Arkoniden Crest und Thora ent-deckt. Wie unbedeutend klein und unwis-send waren sich die beiden irdischen Astro-nauten damals vorgekommen, und wie be-drohlich waren ihre Ängste erschienen. We-der Perry Rhodan noch er selbst, ReginaldBull, hätten sich in jenen Stunden träumenlassen, daß Menschen und Arkoniden aufgemeinsame Vorfahren zurückblickten.

Bullys Blick wanderte über die mattschimmernden Raumer mit dem schmalenRingwulst und dem von Antennen übersätenOberschiff. Vor eineinhalb Stunden fertigge-stellt und wenigstens notdürftig ausgerüstet,würden sie in Kürze die Werft verlassen, umdie Verteidigung des Sonnensystems zu stär-ken. Die ersten Mannschaften gingen soebenan Bord.

Vier WÄCHTER, ein sogenanntesBlockadegeschwader, erzeugten gemeinsameine Aagenfelt-Barriere. Sechs Blockadege-schwader waren nötig, um ein Sonnensy-stem optimal gegen überlichtschnell einflie-gende Raumschiffe abzuriegeln.

In der Schlacht um Ertrus waren das 21.und das 24. Geschwader vernichtet worden.Die nun fertiggestellten Neubauten würdenmit den aus dem Kreit-System abgezogenenEinheiten als Geschwader 19 bis 24 für dop-pelte Redundanz im Solsystem sorgen. DieUmstände, die den Fall von Ertrus bewirkthatten, durften sich nicht wiederholen. JedesBesatzungsmitglied war erneut auf Herz undNieren überprüft und sein Umfeld von allenSeiten durchleuchtet worden. Dabei hattender Terranische Liga-Dienst und zuständigeRegierungsstellen weitere potentielle Verrä-ter enttarnt, schlafende Befehlsempfänger,die selbst nicht die geringste Ahnung davonhatten, welch tückische Zeitbombe in ihnenschlummerte. Mit Hochdruck wurde zur Zeitversucht, die parapsychische Blockade der

Betreffenden zu durchbrechen.Die Deckensegmente des Felsendoms be-

gannen sich zu öffnen. In Kürze würde daserste der neuen Schiffe an die Oberflächesteigen. Ein Heer von Technikern und Mon-tagerobotern löste sich von den Antennensy-stemen.

Bully wandte sich ab. Leer und ausge-brannt fühlte er sich, halb erdrückt von derLast der Verantwortung, die er mit PerryRhodan und einer Handvoll weiterer Ent-scheidungsträger teilte. Seltsamerweisespürte er keinen Haß gegen Arkon, obwohler die Gefangenschaft im Golkana-Hochsicherheitsgefängnis keineswegs ver-gessen hatte. In seiner Erinnerung schiennicht mehr er selbst betroffen zu sein, son-dern eine dritte Person, mit der ihn wenigverband. Er hatte es geschafft, die durchlitte-nen Schrecken zu verarbeiten.

An die einhundert Personen erwartetenihn - die Führungsmannschaft jedes neuenWÄCHTER-Schiffs. Schon als er unter demSchott stehenblieb, spürte er ihre Blicke wieSeziermesser. Sie fragten sich, was er ihnensagen würde. Erwarteten sie vom Residenz-Minister für Liga-Verteidigung eine lagetak-tische Analyse? Zahlen und Berechnungenüber den Flottenaufmarsch der Angreifer?

Er nickte knapp und ging weiter. Allzubereitwillig wichen die Männer und Frauenvor ihm zur Seite. Ihr Ring schloß sich wie-der, als er die Mitte des Raumes erreicht hat-te. Das von zwei trokanischen Felsrankenflankierte Rednerpodest an der Stirnseiteignorierte er. Dabei galten Felsranken alsSymbol für Lebenskraft unter widrigstenUmständen.

Bully schwieg. Minutenlang. Bis die auf-kommende Unruhe keinen weiteren Auf-schub duldete.

»Genau so fühle ich mich«, begann erendlich. »Ich kann auch nicht behaupten,daß mir dieser Empfang Freude bereitet.Viel lieber wäre ich nicht gezwungen, neueBlockadegeschwader aus dem Boden zustampfen. Ich sehe nicht Raumschiffe undTransformgeschütze vor mir, sondern Müt-

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ter und Väter, Töchter, Söhne und Lebens-gefährten. Kurzum: Schicksale. Es gibtschon zu viel Leid. Eure Aufgabe ist, nochmehr Schmerz und Trauer zu verhindern. Ineinem Krieg, den vermutlich niemand will.Jeder sollte sich vor Augen halten, daß nichtArkon unser wahrer Gegner ist, sondernSEELENQUELL.

Von Merkur bis über die Neptunbahn hin-aus steht die stärkste eigene Flotte versam-melt, die Sol je gesehen hat. Die im Bau be-findlichen stationären Festungsversionen derAagenfelt-Barriere, die das Gros anfliegen-der Kampfschiffe direkt in die Sonne ablen-ken könnten, sind leider nicht einsatzbereit.Bis zu ihrer Fertigstellung fehlen nur wenigeWochen, aber das ist wohl einer der Gründe,weshalb die negative Superintelligenz jetztschon losschlägt… Terra steht mit demRücken zur Wand. Wenn wir kämpfen, dannzuallererst für uns und unsere Lieben - allesandere wäre nur Selbstbetrug -, aber den-noch auch für Freiheit und Selbstbestim-mung aller galaktischen Völker. Das Schick-sal des Solsystems entscheidet letztlich überdie Geschicke der freien Milchstraße.

Daß wir nicht auf uns allein gestellt sind,beweisen die fünfundfünfzigtausend haluti-schen Kampfschiffe, die unter Führung vonMon Vanta eingetroffen sind. Auf eine Frag-mentraumer-Flotte warte ich zudem stünd-lich - die Posbis lassen uns nicht im Stich.Bleibt zu hoffen, daß das Abschreckungspo-tential hoch genug ist. Der heutige 22. Janu-ar 1304 NGZ wird auf jeden Fall als Vor-abend der Entscheidung in die galaktischeGeschichte eingehen.«

»Oder als Vorabend der Ewigkeit«, mur-melte jemand.

»Wir schaffen es«, versicherte Bully.»Wenn der Minister für Liga-

Verteidigung einen Wunsch äußern müßte,welchen?« erklang es laut aus dem Hinter-grund.

Reginald Bull fuhr sich mit einer Handdurch das Stoppelhaar. »Daß wir alle ausdiesem Alptraum aufwachen und feststellen,daß Arkon und Terra nach wie vor dicke

Freunde sind«, antwortete er, ohne zu zö-gern.

Zaghaft begannen einige Personen zuklatschen. Innerhalb von Sekunden wurdelauter Beifall daraus.

*

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trafBully der Schmerz. Als würden Dutzendeglühender Nadeln gleichzeitig durch seineSchädeldecke gestochen, während das Blutin den Schläfen gefror.

Das Zugangsschott zu dem sublunarenTransmitterraum begann sich zu verwinden,und dahinter lauerte ein psychedelischesFlackern.

Reginald Bull taumelte gegen die Seiten-wand. Seine Hände zuckten hoch, die Fingerdrückten fest auf Stirn und Schläfen, aberzugleich spürte er die von der Schulter aus-strahlenden, belebenden Impulse des Akti-vatorchips.

Der Schwächeanfall war ebenso schnellvorbei, wie er begonnen hatte. Zwei tiefeAtemzüge, ein hastiges Blinzeln und dieMassage der Nasenwurzel zwischen Dau-men und Zeigefinger stabilisierten BullysWahrnehmungen wieder.

Wohl oder übel mußte er sich eingeste-hen, daß er mit seinen Kräften Raubbautrieb, daß sogar der Zellaktivator Überan-strengung und fehlenden Schlaf nicht aufDauer kompensieren konnte. Sobald ich Zeitdafür finde, lege ich mich für zwei oder dreiStunden aufs Ohr. Der Vorsatz blieb halb-herzig, weil ein Termin den anderen jagteund unendlich vieles drängte, was Syntroni-ken nicht erledigen konnten.

Krisenfall Karthago, die Verteidigung derErde und damit verbunden die Generalmo-bilmachung, war eingeläutet. Das Menetekelder starken arkonidischen Flottenpräsenz beiOrion-Delta erlaubte kein Zögern, denn300.000 Kampfschiffe des Göttlichen Impe-riums konnten die Erde binnen sechs Minu-ten Flugzeit erreichen.

An Bord der VASCO DA GAMA hatte

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Reginald Bull die Blockadegeschwader auf-gesucht und sich vom perfekten Zusammen-spiel der WÄCHTER überzeugt. Die Vertei-digungsstrategie basierte vorrangig auf derAagenfelt-Barriere. Solange sie Bestand hat-te, konnten Angreifer das Sonnensystem nurim Unterlichtflug erreichen. Die von denSpezialraumern der WÄCHTER-Klasse er-zeugte fünfdimensionale Wellenfront inter-ferierte mit allen bekannten Überlichtantrie-ben und lenkte anfliegende Flotten mit ei-nem Wirkungsgrad von maximal achtzigProzent in die Minenfelder um.

Die Hoffnung, dieses entsetzliche Massa-ker zu verhindern, war verschwindend ge-ring. Bullys Gedanken kreisten immer wie-der um diesen einen Punkt, der ihn innerlichauffraß. Er hätte viel dafür gegeben, nieeinen offenen Kriegsausbruch zwischen Ar-kon und Terra erleben zu müssen.

Die Herreach, die nach wie vor von vielenMenschen mit zwiespältigen Gefühlen gese-hen wurden, aber doch Geschwister derMenschheit waren, Stiefgeschwister eben,hatte er persönlich informiert und etlicheStunden in der Stadt Moond auf Trokan zu-gebracht, war von dort aus zum medizini-schen Zentrum Mimas geflogen und hattesich via Transmittersprung zum Mond bege-ben. Dazwischen lagen jede Menge Detail-planung, Rückfragen, Informationen.

Nächste Station war die LEIF ERIKS-SON, das Flaggschiff der LFT. Eine kurzeLagebesprechung mit Perry Rhodan standan.

Die Automatik regelte die Beleuchtunghöher, als Bull den Transmitterraum betrat.Gleichzeitig entstand eines der Hologram-me, wie sie in den öffentlichen Transmitter-stationen für Werbe- und Informations-zwecke Verwendung fanden. Nur daß derMinister für Liga-Verteidigung schlichtwegvon der wiedergegebenen Information über-rascht wurde.

Terrania News Report brillierte einmalmehr mit exakten Daten. Was wegen der Si-gnatur Gloom Bechner allerdings wenig ver-wunderte.

SEELEN QUELL wird sich die nicht vor-handenen Zähne ausbeißen, stand da zu le-sen. Krisenfall Karthago verwandelt dasSolsystem in das größte Aufmarschgebietseit langer Zeit. Was Rang und Namen hat,findet sich zum Schutz Terras und der Pla-neten ein:

Mit Ausnahme der IBN BATTUTA sindalle sieben 1800-Meter-Riesen der ENT-DECKER-Klasse vor Ort.

Nahezu die gesamte militärische Flotteder LFT befindet sich in Verteidigungsbe-reitschaft und hat an neuralgischen Positio-nen Stellung bezogen. In mehreren Licht-stunden Distanz zur Ekliptik massieren sichdie Verbände und lassen Strukturen erken-nen, die einen Durchbruch potentieller An-greifer im Unterlichtflug verhindern werden.Falls es wirklich zu einem Angriff kommt,was angesichts unseres geballten Potentialsdurchaus zu bezweifeln ist…

Wir begrüßen die Raumschiffe der Hei-matflotten von Olymp, Nosmo, Plophos, Er-trus und Epsal im einzelnen sowie die Ange-hörigen assoziierter Welten und Systeme. Ih-re Solidarität ehrt und verpflichtet Terragleichermaßen. Es ist zudem eine ungeheurelogistische Aufgabe, die sich hier stellt.

Die Flottenstärke war in tabellarischerForm übersichtlich wiedergegeben:

ENTDECKER-Klasse zu 1800 Metern:sieben Einheiten.

NOVA-Klasse zu 800 Metern: 800 Ein-heiten.

ODIN-Klasse zu 500 Metern: 10.000Einheiten.

PROTOS-Klasse zu 200 Metern: 58.000Einheiten.

CERES- und VESTA-Klasse zu je 100Metern: 74.000 Einheiten.

Korvetten - im Flottilleneinsatz, nicht alsBeiboote - zu je 60 Metern: 104.000 Einhei-ten.

Sondergeschwader (Experimentalschiffeund anderes): rund tausend Einheiten.

Das macht insgesamt ziemlich genau247.807 Einheiten.

Unsere Freunde, die Haluter, haben un-

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ter dem Kommando der TANVAN weitere55.000 Kampfraumschiffe entsandt. Wenndas die Lemurer wüßten …

Der Zusatz entlockte Bull ein knappes Lä-cheln. Mit dieser Bemerkung versuchteGloom Bechner eindeutig, die Brisanz derSituation herabzuspielen. Was geschah,wenn der erwartete Angriff ausblieb? Esklang verrückt, doch in dem Moment hoffteer, daß SEELENQUELL bald losschlug. Be-vor die versammelte Flotte zum Problemwurde.

Wie lange würden die Schiffe an ihrenPositionen ausharren? Vier Standardmona-te? Fünf? Sechs vielleicht? Wann würdendie ersten Besatzungsmitglieder unter derpsychischen Belastung zusammenbrechenund wann die ersten Heimatflotten wiederabziehen?

Der Apfel wird von innen heraus faul,schoß es Bully durch den Sinn. Ein solchesPsychospiel konnte Terra nur verlieren.

»Zieljustierung Haupttransmitter derLEIF ERIKSSON!« befahl er. Während sichdas Entstofflichungsfeld aufbaute, dachte erdaran, daß Gloom Bechner in seiner Aufstel-lung die zehntausend Raumer der Nach-schub- und Reparaturflotte sowie die Minen-leger vergessen hatte. Sie waren nicht fürden Kampfeinsatz konzipiert, erhöhten aberdie Zahl aller im Sonnensystem versammel-ten einsatzfähigen Kampfraumschiffe derLFT auf rund neunzig Prozent der Gesamt-flotte.

Wie viele Space-Jets, Minor Globes undJäger in den Hangars standen, konnte selbstReginald Bull nur schätzen. Alles in allemüberschritten sie bei weitem die Zwei-Millionen-Grenze.

*

Minuten später betrat der Verteidigungs-minister die Hauptzentrale der LEIF ERIKS-SON. Sein herzhaftes Gähnen und daß ersich mit dem Handrücken über die Augen-winkel wischte, bemerkte nur die Komman-dantin. Pearl TenWafer bedachte ihn mit ei-

nem bedeutungsvoll aufmunternden Blick.Bully zuckte kurz mit den Achseln und steu-erte auf Rhodan zu, der mit den PilotenRminios und Valerys vor einer dreidimen-sionalen Darstellung des Sonnensystems of-fensichtlich Probleme diskutierte. Aber werhatte derzeit keine Probleme?

Mit einer knappen Geste entließ Rhodandie Piloten aus der Besprechung. Seine Mie-ne wirkte unbewegt, als er sich Bully zu-wandte. »Bostich macht mir Sorgen«, sagteder Terranische Resident leise.

Reginald Bull schnaubte verächtlich.»Das wundert mich wenig. Wenn du michfragst: Du hast dir ein Kuckucksei an Bordgeholt. Aber mich fragt ja keiner.« Er zogdie Stirn in Falten. »Was macht der Kerl?Hat er sich mit dem künstlichen Herzen ab-gefunden - oder schiebt er dir die Schuld da-für in die Schuhe? Bostich soll froh sein,daß er überhaupt noch lebt.«

»Er hat sogar vor, sehr lange zu leben«,sagte Rhodan.

Bully stutzte. »Habe ich das jetzt richtigverstanden?« stieß er hervor. »Soll das hei-ßen…? Nein, das muß ein böser Traum sein.Ich wache gleich auf und …«

»Kein Traum«, bestätigte Rhodan. »DerImperator verlangt für seine Unterstützunggegen SEELENQUELL einen Preis, der ihmangemessen erscheint. Er will nichts weiterals einen Zellaktivator.«

Bull stand wie zur Salzsäule erstarrt. Nurdas Flackern in seinen Augen und die hekti-schen roten Flecken in seinem Gesicht ver-rieten, daß noch Leben in ihm war. Sekun-den später begann er heftig zu schnaufen.

»Nichts weiter … Einen Aktivator …Wirf ihn aus dem Schiff, Perry! Auf irgend-einer unbesiedelten Welt, auf der er genugZeit hat, über sich nachzudenken.« Mit je-dem Wort war er lauter und aufgebrachtergeworden. »Warum hörst du dir diese Un-verschämtheit überhaupt an?« Bullyschluckte schwer, seine Augen schienen denFreund zu durchbohren. »Du hast ihm hof-fentlich nichts versprochen …?«

Rhodan schüttelte den Kopf, und Bully

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zog mit der rechten Hand demonstrativeinen dicken Schlußstrich durch die Luft.

»Dann ist das abgehakt. Schon die Dis-kussion über einen Aktivator für Bostich istgeschmacklos. Willst du ihn für seine Ver-brechen auch noch belohnen?«

»Natürlich dürfen wir eine wandelndeZeitbombe wie Bostich nicht unsterblichwerden lassen …«

Bully ballte die Hände. »Hast du ihm dasso gesagt?«

»… es kommt darauf an, Bostich die Ab-lehnung diplomatisch zu vermitteln. Wir be-nötigen seine Hilfe, um die Freiheit derMilchstraßenvölker und das Leben vonzwanzig Milliarden Menschen im Solsystemzu retten. Er ist der Schlüssel zu einem Zu-griff auf SEELENQUELL.« Reginald Bullstarrte seine Fäuste an. Ihm war anzusehen,daß die gerade erst verheilten Narben seinerGefangenschaft wieder aufzubrechen began-nen.

»Ich will den Mann sehen, der die unver-schämteste Forderung stellt, die diese Gala-xis je gehört hat«, stieß er tonlos hervor.

»Momentan könnte das fatale Folgen ha-ben …«, begann Rhodan, wurde aber sofortunterbrochen.

»Stehst du schon auf seiner Seite, oderwie soll ich das verstehen?« platzte Bull her-aus. »Arn meisten schmerzt mich, daß dudeinem ältesten Freund nicht mehr zutraust,sich unter Kontrolle zu halten. Ich gehe Bo-stich nicht an die Kehle, falls du das be-fürchtest.«

Er hatte sich in Rage geredet. Einige Be-satzungsmitglieder wandten sich überraschtum.

»Warum eigentlich nicht«, sagte Rhodan.»Ein klärendes Gespräch schadet nie.«

»Ausgerechnet Bostich und ein Zellakti-vator.« Reginald Bull war immer noch hoch-gradig wütend. »Das ist ungefähr so, alswürden wir einen Wolf als Schäfer einstel-len.«

Sein Zorn verrauchte dann aber schnell,als sie im nächsten Haupt-Antigravschachtin die Höhe schwebten. Zweimal atmete er

tief ein, bevor er neben Rhodan die medizi-nische Abteilung betrat. Die im Vorraumpostierten Kampfroboter ließen sie ungehin-dert passieren.

Hinter der keimtötenden Strahlen-Sperreblieb Reginald Bull wie angewurzelt stehen.Sein Blick streifte die Medoroboter, wander-te über die medizinischen Apparaturen, dienach dem Austausch eines Herzens unerläß-lich waren, und blieb schließlich an dem Ar-koniden hängen.

Bostich schien zu schlafen. Die halblan-gen Haare umflossen den Schädel wie einStrahlenkranz, und sein Gesicht wirkte ent-spannt. Alle Körperfunktionen lagen, soweitBully dies erkennen konnte, im Normbe-reich.

»Wie die Made im Speck«, raunte er.»Und nun? Aufwecken! Ich habe jedenfallsnicht die Zeit zu warten, bis er aufwacht,und daran ist er keineswegs unschuldig.«

Eine Amplitudenreihe veränderte sich.Die bis eben gleichmäßigen Kurven wurdenzu steilen Zacken.

»Der Herr Imperator ist längst wach«,stellte Bull fest. »Wahrscheinlich brütet erüber der nächsten Schweinerei …« Rhodansverweisender Blick ließ ihn verstummen.

Ohnehin schlug Bostich in dem Momentdie Augen auf. »Rhodan und Bull«, erklanges zufrieden, »die Verwalter meiner terrani-schen Kolonie. Ich höre.«

Schon der Begriff Verwalter ließ Bullynach Luft schnappen wie ein Fisch auf demTrockenen. Trotzdem erschien ein spötti-sches Grinsen um seine Mundwinkel. »Duhast Fieber, Bostich. Das verwirrt denGeist.«

Der Arkonide stemmte sich auf den Un-terarmen hoch. Ein Dutzend Sensoren aufseinem nackten Oberkörper übermitteltenansteigende Meßwerte.

Bostich I. ignorierte den Verteidigungs-minister und wandte sich Rhodan zu. »Duhast den Chip bei dir, Terraner?«

»Nein«, antwortete der Resident. »Ichkann keine Unsterblichkeit verteilen. Dazuist allein Lotho Keraete in der Lage, der Be-

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auftragte von ES.«»Ruf diesen Beauftragten her!«Rhodans hastige Handbewegung schnitt

Bull das Wort ab, bevor er zu einerSchirnpftirade ansetzen konnte. »Lotho Ke-raete befindet sich wahrscheinlich im Kesselvon DaGlausch oder irgendwo sonst im Uni-versum. Ich weiß es nicht.«

»Dann rechne nicht mit meiner Hilfe, Ter-raner. Du kennst den Preis.«

»Woher nimmst du nur die Ignoranz, dieAugen vor allem zu verschließen, was sichin der Milchstraße abspielt?« fuhr ReginaldBull auf.

»Ich beschwöre dich, Bostich da Arkon.«Sogar Rhodans Stimme bebte und ließ er-kennen, daß er soeben über den eigenenSchatten sprang. »Versuch wenigstens, dirdie Folgen von SEELENQUELLS Triumphvorzustellen. Es gibt keine Freiheit mehr.Arkon und Terra werden als eigenständigeMachtblöcke zu existieren aufhören. Undein Krieg kostet Millionen, wenn nicht garMilliarden Opfer. Das wäre Wahnsinn.«

Schmerzverzerrt lächelnd ließ Bostichsich zurücksinken. »Damit sagst du es deut-lich genug, Rhodan: Meine Hilfe ist einenAktivatorchip absolut wert. Selbst wenn dudiesen Keraete nicht erreichen kannst, ichwürde sogar dein Wort akzeptieren. Ver-sprich mir eine spätere Übergabe des Akti-vators, zum frühestmöglichen Zeitpunkt na-türlich.«

Das Schnauben, das Bostichs Forderungbegleitete, hätte jedem Walroß Ehre bereitet.»Mir reicht es!« platzte Reginald Bull her-aus. »Vergiß den Aktivator! Niemals wirdPerry den Mann, der den Feldzug gegen Er-trus befahl, mit der Unsterblichkeit beloh-nen.«

Schlaglichter (2)

Als massiger Fremdkörper hing die PAL-LAS neben den filigran verschlungenenRöhren der Station JAN H. OORT. Such-scheinwerfer entrissen Segmente des Wohn-und Versorgungstrakts der samtenen

Schwärze.Eine flirrende energetische Verbindung

zwischen den Backbordprojektoren des Con-tainerschiffs und der Hauptschleuse der Sta-tion weitete sich in Minutenschnelle zu ei-nem knapp zwei Meter durchmessendenSchlauch.

»Verbindung steht. Wir fluten mit Atem-luft.«

»Danke, Kapitän«, erklang eine Lautspre-cherstimme.

Gleich darauf waren drei schemenhafteGestalten zu sehen, die in gebückter Haltungden Rettungstunnel durchquerten. Minutenspäter betraten sie die Kommandozentraledes Frachters.

Kapitän Reckman kniff die Brauen zu-sammen. Obwohl er selbst mit 2,02 Meternnicht zu den kleinsten Exemplaren der Spe-zies Mensch gehörte, überragten ihn die Be-sucher um gut zwei Kopflängen. Keiner vonihnen maß weniger als zwei Meter sechzig.Hager und mit den kahlen, hochgewölbtenSchädeln ähnelten sie Aras. Aber dazu paßteihre rissig verhornte Haut nicht.

In den Sternkarten gab es keinen Hinweisauf JAN H. OORT, und ohne den zufälligaufgefangenen Notruf wäre die PALLAS inKürze ins Sonnensystem zurückgekehrt.

»Wollt ihr persönliche Gegenstände zurErde mitnehmen?« erkundigte sich der Ka-pitän nach einer formellen Begrüßung.»Allerdings gehe ich davon aus, daß in läng-stens zwei bis drei Wochen die Rückführungerfolgen kann. Falls die Arkoniden es über-haupt wagen, Terra anzugreifen.«

In den Containern auf dem Oberdeck undin den umfunktionierten Longtubes lagertenhochwertige Datenspeicher Sie entstammteneinem halben Dutzend Automatstationen,deren Sensoren die Milchstraße überwach-ten. Der Erste Terraner hatte entschieden,die Aufzeichnungen hyperphysikalischerPhänomene vor den Angreifern zu bergen.

»Wie gut sind die Ortungen der PAL-LAS?« fragte Rosiwa unvermittelt.

»Nicht das Modernste, aber mit achtzigJahren Betriebsdauer auch nicht zum alten

Angriffsziel Terra 11

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Eisen zählend«, antwortete der Kapitän.»Auf jeden Fall besser als die Anlagen

unserer Station, die nach neunhundert Jahrenallmählich Alterserscheinungen erkennenlassen«, sagte Rosiwa. »Wir vermissen einBesatzungsmitglied. Yekam ist mit unserereinzigen Space-Jet verschwunden.«

»Könnte er allein ins Sonnensystem…?«Die Frau wehrte heftig ab. »Yekam redetevon unerklärlichen Veränderungen in denBahndaten etlicher Kometenkerne. Ich gehedavon aus, daß er das Phänomen untersu-chen wollte.« »Wann war das?«

»Ungefähr vor vierundzwanzig Stunden.Deshalb sandten wir den Notruf aus.«

»Dann ist er längst in der Milchstraße un-tergetaucht.« Ein Ausdruck von Mitleidschwang in der Stimme mit. »Während un-seres Anflugs haben wir keine Space-Jet an-gemessen.«

»Trotzdem würde ich es mir nie verzei-hen, Yekam vielleicht hilflos zurückgelassenzu haben.«

Zehn Minuten später reagierten die Ortun-gen der PALLAS. Schemenhaft erfaßten sieeine schwer zu definierende Masse- undEnergieansammlung.

»Distanz knapp vier Lichtminuten. Wasimmer das ist, es hält Kurs auf uns und nä-hert sich mit hoher Geschwindigkeit.«

Der Schemen teilte sich in mehrere ver-waschene Reflexe.

»Arkoniden?« Die Frage stand unvermit-telt im Raum, aber niemand hätte sagen kön-nen, wer sie gestellt hatte.

Erschreckend langsam angesichts der mitknapp Lichtgeschwindigkeit näher kommen-den unbekannten Objekte, schwenkte diePALLAS herum. Sie beschleunigte, kaumdaß die Drehung um annähernd neunzigGrad vollzogen war. Sechshundert Kilome-ter pro Sekundenquadrat ließen JAN H.OORT ruckartig im Sternenmeer verschwin-den.

»Eintritt in den Überlichtflug zwanzig Se-kunden vor errechneter Kollision!« meldeteder Erste Offizier.

»Wiedereintauch-Koordinaten für den Be-

reich Jupiter programmieren!« befahl derKapitän. »Funker: Notsignal und Ankunftavisieren! Ich lasse mich ungern von denTransformgeschützen der eigenen Wach-schiffe aus dem All blasen.«

»Unbekannte Objekte schließen weiterauf. Mittlerweile fünf, fliegen Zangenbewe-gung. Metagrav-Manöver nur zwölf Sekun-den vor dem Zusammentreffen.«

»Kein Funkkontakt! Starke Störfeldersind aktiv.«

Wie zur Bestätigung der Meldung drangein lauter werdendes Prasseln aus dem Emp-fang.

Die umlaufende Glassitfront der Zentraleerlaubte den direkten Blick aufs Vorschiff.Vage zeichneten sich die nächststehendenContainer im Widerschein der Sterne ab,weiter bugwärts verschmolz das Schiff mitder Weltraumschwarze. Hie und da zuckteein greller Blitz auf, wenn Materiebrockenim Frontschirm verglühten.

»Überlichtmanöver in siebzig Sekunden…«

Der Kapitän wies den Besuchern Notsitzean der Rückfront der Zentrale zu.

»Identifikation der Verfolger wird mög-lich; ihr Ortungsschutz wirkt nur ab einergewissen Distanz. Wahrscheinlich haben wirein Superschlachtschiff des Imperiums undabgekoppelte Großbeiboote am Hals. EinWunder, daß sie uns noch nicht abgeschos-sen haben.«

Fünfzig Sekunden…Eine blinkende Anzeige forderte zur Ein-

gabe der aktuellen Tot-Frequenz auf. An-dernfalls würde die PALLAS, von der Aa-genfelt-Barriere erfaßt, mit größter Wahr-scheinlichkeit in einem der Minenfelder ma-terialisieren, die das Solsystem als annähern-de Kugelschale umgaben.

»Kode Abenddämmerung« bestand ausmehreren Komponenten, deren Zusammen-führen eine Reihe von Schaltungen erforder-te.

Noch dreißig Sekunden …Der befürchtete Feuerschlag ließ auf sich

warten. Ebensowenig setzten die auf geringe

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Distanz aufschließenden Tender-Beibooteihre Traktorprojektoren ein.

»… als hätten sie Spaß daran, einen lang-samen Frachter zu jagen«, argwöhnte derKapitän.

Ein überraschter Ausruf erklang von derDistanzortung. »Da war etwas! Viel zuschnell für eine Identifikation. Es muß sichan der Antennenbasis festgesetzt haben. Ge-ringste Massewerte - eine Sonde möglicher-weise.«

»Distanz zu den Verfolgern?«»Gerade ausreichend. Sie können uns

nicht mehr am Überlichtflug hindern.«Vielleicht war das nie ihre Absicht!

durchzuckte es den Kapitän. Sie wollen dieTot-Frequenz!

Die letzten drei Sekunden …»Gott stehe uns bei!« stöhnte der Frach-

terkapitän, als er mit einer hastigen Schal-tung den »Kode Abenddämmerung« löschte.

Die PALLAS glitt in den Hyperraum.Nichts daran war ungewöhnlich. Abgesehenvon den brennenden Blicken, die sich anReckman festfraßen.

»Wir fliegen nicht auf der Tot-Frequenzein«, kündigte er tonlos an. »Ich habe dieEingaben gelöscht. Ich mußte es tun, weilwir vermutlich eine Scanner-Sonde imSchlepp haben.«

Die PALLAS flog mit zweieinhalbmillio-nenfacher Lichtgeschwindigkeit. Das bedeu-tete exakt eine dreiviertel Minute bis zumErreichen des Sonnensystems.

»Wie groß ist unsere Chance?« RosiwasStimme bebte.

»Zwanzig Prozent aller Schiffe kommendurch. Die anderen materialisieren in denMinenfeldern.«

»Also hilft uns nur noch Beten …«»Und falls das mit der Sonde ein Irrtum

war …?« rief der Funker.»Dann werden wir es wohl nie erfahren«,

sagte der Kapitän. »Es tut mir sehr leid.«Die folgende Stille war qualvoll. Obgleich

sie nur drei oder vier hastige Atemzüge langwährte.

Übergangslos veränderte sich die Wieder-

gabe auf den Schirmen. Das Abbild desHyperraums wich dem fernen Glanz derSonne.

Die Stille hielt an, aber die Vielzahl aufdem Panoramaschirm erscheinender Or-tungsimpulse nahm niemand mehr wahr. Ei-ne gewaltige Explosion zerriß das Vorschiffin Atome. Sonnenheiße Glut leckte über dieAufbauten und verbrannte den Stahl in Ge-dankenschnelle. Die Partikelschleier ver-wehten im Vakuum.

Gegnerische Rochade?

Lauter Broch'ts Anruf erreichte PerryRhodan vor dem Transmitterraum. Der Resi-dent hatte bis eben mit Bull geredet und warauf dem Weg zurück zur Zentrale.

Rhodans Blick weitete sich in ungläubi-gem Erstaunen. Gleichzeitig spurtete er los.Sein Ruf hinderte Bully in letzter Sekundedaran, den Transmitter zu durchschreiten.

Reginald Bulls Miene war ein einzigesFragezeichen, als er sich umwandte. De-monstrativ betrachtete er seine Hand unddrehte sie scheinbar unschlüssig hin und her.

»Das nächstemal sag's einer, wenn es waszu bereden gibt«, schimpfte er. »Die Fingerwaren schon auf der VASCO.« Er stutzte.»Was Ernstes? Ich meine, ernster als derFlottenaufmarsch bei Orion-Delta?«

»Bostich ist tot«, sagte Rnodan.»Gaumarol da Bostich?« Bully wußte

plötzlich nicht mehr so recht, wohin mit derHand. »Vor nicht einmal einer Stunde warder Kerl doch ganz munter. Ich hatte nichtden Eindruck, als wolle er in absehbarer Zeitden Löffel abgeben.«

»Laß die Scherze, Dicker !«Bullys Gesicht verdüsterte sich. »Ich

glaube kaum, daß Bostich mich sonderlichamüsiert. Und bei seiner Beisetzung werdeich mit Abwesenheit glänzen.« Er verzogdie Mundwinkel. »Erneutes Herzversagen,nehme ich an.«

»Viel schlimmer: unsere Kampfroboter.«»In der Krankenstation?« Zweifel und

Neugierde standen Reginald Bull ins Ge-

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sicht geschrieben.»Auf Urankan-5 im Hayok-Ster-

nenarchipel«, ergänzte Rhodan. Er ließ einewirkungsvolle Pause folgen. »Wenn das soläuft, wie ich vermute …«

»… haben wir soeben unseren vermeintli-chen Trumpf verloren. Aus und vorbei.«

Von der Hauptzentrale aus betraten sie dieKommunikations- und Ortungszentrale.

»Die Nachrichten von Arkon sorgen fürneuen Sturm in der Milchstraße«, begannBroch't. »Die Bilder kommen auf allen Hy-perfunkfrequenzen herein. Es gibt vermut-lich keinen Sender, der sich nicht an dieseSzenen anhängt.« Flink und nervös zugleichaktivierte der Plophoser die Wiedergabe.

Bostich I. erschien in der Totale. Unddann…

Kein Detail der Katastrophe entging denHolokameras. Plötzlich waren sie da: einHeer von Kampfrobotern. Aus allen Projek-toren feuernd, rückten die Roboter gegenSchirmfelder und Wachmannschaften vor.Und jetzt konnten die kegelförmigen TA-RA-V-UHs selbst von Kindern zweifelsfreider LFT zugeordnet werden.

Eine Kamera zoomte den Gleiter des Im-perators und seiner Eskorte, und das Un-glaubliche geschah in Sekundenbruchteilen.Ein einschlagendes Geschoß zerfetzte dieMaschine, menschliche Leiber wurden her-ausgeschleudert.

Die Optik fraß sich an Körperteilen fest,als gäbe es keine andere Aufgabe, als dengrauenvollen Anblick für alle Ewigkeit zukonservieren. Zitternd huschte das Bild wei-ter und erfaßte einen Schädel, ein erstarrtesGesicht. »Der Begam ist tot«, kommentierteeine bebende Frauenstimme, »ermordet beieinem feigen und hinterhältigen Anschlagder Terraner. Wir alle, die wir Zeugen diesesheimtückischen Mordes wurden, kennen nundie wahre Liga. Ihre Existenz bedroht dieFreiheit der Galaxis …«

»Quod erat demonstrandum«, ächzte Bull.»Damit hat SEELENQUELL Bostichs Ent-führung von Ertrus auf höchst unorthodoxeund unerwartete Weise quittiert.«

»Eine solche Reaktion war nicht vorher-zusehen.« Rhodan machte zwei Schritte,blieb stehen, wandte sich um. Ausgerechneter selbst, sonst ein Vorbild an Besonnenheit,fühlte eine wachsende Unruhe. »Statt des er-warteten Versuchs, seine verlorene HandBostich zurückzugewinnen, erklärt die Su-perintelligenz den Imperator für tot. Bostichist SEE-LENQUELL demnach nicht wichtiggenug. Und es gibt keinen besseren Vor-wand für einen Vergeltungsschlag als diesesAttentat.«

»Niemanden in der Milchstraße interes-siert jetzt noch, daß weit mehr als dreihun-derttausend Kampfschiffe Arkons schon vordiesem Vorfall im Orion-Delta-System sta-tioniert waren«, pflichtete Bully bei. »Dapaßt ein Mosaikstein zum anderen, und einImperator, der keine Befehle mehr gebenkann, weil jeder ihn für tot hält, nützt unswenig. Die Luft ist raus aus dem Plan, Bo-stich könnte die Arkoniden zum Widerstandgegen SEELENQUELL aufrufen.«

Rhodan benötigte genau fünf Minuten,um mit Broch't eine Gegendarstellung auf-zuzeichnen und sich zwischendurch mitMaurenzi Curtiz abzusprechen, der seiner-seits eine Verbindung zur LEIF ERIKSSONgeschaltet hatte.

Über die solaren Relaissatelliten wurdeRhodans Dementi in das galaxisweite Netzeingespeist.

Die Frage war nur, ob in der momentanenErregung die Behauptung einer medialenFälschung überhaupt Beachtung fand.

»Bostich wird Augen machen, wenn er er-fährt, wie wenig wertvoll sein Leben wirk-lich ist. Wer sagt es ihm?«

*

Zunächst sagte es ihm niemand. Es gabWichtigeres zu tun. Die Zeit begann knappzu werden, und nur ein entsprechendes Ab-schreckungspotential konnte SEELEN-QUELLS Lust auf einen Angriffskrieg viel-leicht verleiden. Doch Bullys Hoffnung aufeine Nachricht von Bré Tsinga und den Pos-

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bis erfüllte sich nicht.Schließlich betrat er zum zweitenmal ne-

ben Rhodan die Krankenstation des Flagg-schiffs. Bostich empfing sie mit einem spöt-tischen Lachen.

»Ihr habt es euch überlegt? Terra kannohne meinen Beistand nicht Überleben-Na-türlich ist das mehr als einen Zellaktivatorwert. - Ich höre.«

»Du bist tot!« platzte Reginald Bull wü-tend heraus. »Tote stellen bekanntlich keineForderungen. SEELENQUELL hat dich wieeine heiße Kartoffel fallen gelassen.«

Bostichs Grinsen wurde noch eine Spurbreiter »Wie soll ich das verstehen?«

»Wie ich es sage.« Bully fuhr sich mit derHandkante über die Kehle. »Aus. Vorbei.Arkon wird Imperator Bostich I. ein ehren-des Andenken bewahren, das ist alles.«

Bostich bedachte den Liga-Minister fürVerteidigung mit einem geringschätzigenBlick, bevor er sich Rhodan zuwandte. »EinAktivator ist beileibe kein zu hoher Preis.Entscheide dich bald, Terraner«

»Du verkennst die Situation, Arkonide.«Über sein Kombiarmband und eine Ne-

benfunktion des Interkoms aktivierte der Re-sident die hauchdünne Bildfolie an der Stirn-wand. Minutenlang erfüllte gedämpfterKampflärm aus den Akustikfeldern dieKrankenstation, dann begann die Sprecherinihren flammenden Kommentar.

Bostich nickte nachdenklich, ein genieße-risches Lächeln umfloß dabei seine Mund-winkel. »Ich erinnere mich an diese Stim-me«, sagte er. »Das ist Marchany da Cam-qoa, eine hingebungsvolle Frau. Sie machtdas wirklich sehr gut.« »Mehr fällt dir dazunicht ein?« »Was erwartest du, Rhodan?Daß ich deinen Fehlschlag bedauere? Dubrauchst mich nun mehr als zuvor. Und mei-nen Preis kennst du: schlicht und einfach dierelative Unsterblichkeit!«

Wortlos wandte Reginald Bull sich umund verließ mit polternden Schritten die Sta-tion. Rhodan folgte ihm Augenblicke später.»Die Zeit arbeitet gegen euch«, hörten sieBostich noch rufen. Dann schlug das Schott

zu.»Er ist arrogant, hochnäsig und unbelehr-

bar«, schimpfte Bully. »Außerdem hält ersich für die berühmte Made im Speck. Mehrhabe ich dazu nicht zu sagen.«

»Genau die Reaktion habe ich von dir er-wartet«, bemerkte Rhodan scharf.

Bulls Blick wurde starr. »Er schafft es …er schafft es wirklich, uns gegeneinanderaufzubringen. Dabei haben wir jede Mengeandere Sorgen.«

Auf dem Weg zum Antigrav erreichte siedie neueste von Arkon verbreitete Variante.Es war erschreckend, wie schnell und vor al-lem konsequent SEELENQUELL die Farcefortführen ließ.

Imperator Bostich I. hatte dem Imperiumeinen unehelichen Sohn hinterlassen. DieseTatsache war erst nach seiner Ermordungbekanntgeworden und erwies sich als uner-warteter Glücksfall. Als hätten die Sternen-götter selbst das Schicksal gelenkt.

In Anbetracht der ruchlosen Tat und weildie Handlungsfähigkeit des Huhany'Tussanrasch wiederhergestellt werden mußte, warder erst einundzwanzig Arkonjahre zählendeEnzon nach relativ kurzen Beratungen undeinem abgebrochenen Machtschacher derKhasurn zum Nachfolger des toten Herr-schers ernannt worden. So schnell hatten dieArkoniden wohl noch nie einen neuen Impe-rator erhalten.

»… vom heutigen Tage an, dem 23. Pragodes Tarman 21.423 da Ark, bestimmt derwürdige und legitime Begam Bostich II. dieGeschicke des Imperiums!«

*

Das Solsystem verharrte in einem Zustandder Lähmung. Der neue Imperator war ohneZweifel eine Marionette SEELENQUELLS.Hieß das, daß nun die Zeit des Krieges be-gann?

Reginald Bull verfolgte aufmerksam alleNachrichten aus dem Göttlichen Imperium.Bostich L, dem falschen Bostich, wurde fei-erlich die letzte Erhre erwiesen. Bully mußte

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bis zum 24. Januar 1304 NGZ warten, demTag der offiziellen Thronbesteigung Enzons.Sie wurde in die gesamte Milchstraße über-tragen.

Die Trivid-Aufnahme zeigte einen jungenMann, dessen Ähnlichkeit mit Bostich I. aufAnhieb ins Auge stach.

»Terra hat meinen Vater auf dem Gewis-sen. Terra besetzt seit mehr als tausend Jah-ren die Welten, die dem Huhany'Tussanrechtmäßig zustehen. Ich, Bostich II., werdenicht länger dem Treiben der Emporkömm-linge von Larsaf III zuschauen. Mit mirbricht ein neues Zeitalter an.«

Enzon legte eine kurze, aber wirkungsvol-le Pause ein. »Mit dem heutigen Datum,dem 25. Prago des Tarman 21.423 da Ark,erkläre ich als Imperator von Arkon Terraden Krieg.«

»Verdammt!« entfuhr es Bully. »Wer istdieser Grünschnabel wirklich, daß er eswagt…« Er unterbrach sich, weil der neueImperator ausgeblendet wurde und eine stili-sierte Wiedergabe der Milchstraße erschien.Trotzdem erklang immer noch die Stimmevon Bostich II.

»Die Flotte des Göttlichen Imperiumswird mit dem heutigen Tag den bewaffnetenKampf aufnehmen. Ich selbst werde an Bordmeiner Thronflotte ARK'IMPERION Arkonin den Rachefeldzug führen.«

*

Perry Rhodan zögerte nicht, Vollalarm fürdas Solsystem auszulösen. Damit trat Kri-senfall Karthago in seine letzte und akutePhase.

Mit einem Angriff des Kristallimperiumsmußte nun jederzeit gerechnet werden. Diearkonidische Flotte benötigte im Extremfallsechs Minuten, um von ihrem Aufmarschge-biet aus Sol zu erreichen.

Die LEIF ERIKSSON hatte ihre Wartepo-sition zwischen Terra und Trokan verlassenund die äußere Verteidigungslinie im Be-reich der ehemaligen Plutobahn erreicht.Schnellen Flottenverbänden kam die Aufga-

be zu, mit Unterlicht einfliegende arkonidi-sche Schiffe frühzeitig abzufangen. Wobeidas zu sichernde Areal einer Kugel mit ei-nem Durchmesser von rund zwölf Milliar-den Kilometern und einer Oberfläche vonknapp 390 Quadrat-Lichtstunden entsprach.

Noch imposanter erschien die Zahl inQuadrat-Lichtminuten ausgedrückt, nämlich1,4 Millionen. Unter dem Aspekt, daß jedesterranische Schiff ein Quadrat mit einerLichtminute Seitenlange verteidigte, wärennahezu eineinhalb Millionen Schiffe nötiggewesen. Eine Unmöglichkeit. Schon des-halb stellten die weiträumigen Minenfelderder Aagenfelt-Barriere die praktikabelstetaktische Erwiderung dar. Nach wie vor wa-ren über hundert zu Minenlegern umgerüste-te spezielle Transmitterschiffe außerhalb desSonnensystems im Einsatz.

Während zwölf starke Verbände im Be-reich der Einflugschneisen stationäre Posi-tionen einnahmen, bedeutete die letzte Phaseder Mobilmachung für insgesamt 30.000Schiffe der ODIN- und der PRO-TOS-Klasse, daß sie ab sofort in Pulks vonfünf bis zehn Einheiten Patrouillendienst ab-solvierten und darauf vorbereitet sein muß-ten, innerhalb längstens zwanzig Sekundenin den Hyperraum zu gehen.

Alle übrigen Raumer einschließlich derHaluter hatten in Planetennähe Position be-zogen.

Die dringende Anfrage des Ersten Spre-chers Terras kam für Perry Rhodan keines-wegs unerwartet. Der Vorsitzende des terra-nischen Parlaments wirkte nicht nur ange-spannt, sondern sogar verärgert.

»Es ist untragbar, daß ich erst aus denMedien die Ausrufung der akuten Phase er-fahre. Etliche Mitglieder der parlamentari-schen Kontrollkommission teilen diese An-sicht. Weißt du, was im Augenblick in Ter-rania los ist, Perry? Es brodelt an allenEcken und Enden. Das Parlament wird mitAnfragen zugeschüttet. Du wärst verpflich-tet gewesen…«

»Dazu hatte ich keine Zeit«, unterbrachder Resident unwirsch. »Die Krisensituation

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kulminiert.«»Eben deswegen verlangen eine Reihe

von Abgeordneten, daß du dem Solaren Par-lament Rede und Antwort stehst. Die Son-dersitzung wurde auf 15 Uhr anberaumt.Zeit genug also, dich eingehend vorzuberei-ten.«

Mit dem Zeigefinger massierte Rhodandie kleine Narbe auf seinem rechten Nasen-flügel. »Die Sitzung findet nicht statt«, sagteer. »Es gibt Wichtigeres, als längst bekannteAspekte zum wiederholten Mal durchzukau-en. Die Abgeordneten sollen sich um denBürger auf der Straße kümmern, solange siedazu Gelegenheit haben.«

»Wir fühlen uns auf Terra durchaus si-cher.«

»… weil hier draußen Millionen ihrenKopf hinhalten. - Ich wurde vom Parlamentbevollmächtigt, dringende Entscheidungenallein nach Wissen und Gewissen zu treffen.Genau das tue ich.«

»Das befreit dich nicht von der Verpflich-tung Rechenschaft abzulegen. Die Abgeord-neten erwarten deinen ausführlichen Bemchtzur Lage …«

Rhodan winkte ungehalten ab. »Sage denBürokraten … Ach was, weise sie einfachdarauf hin, daß Handlungen des Residentenunter Berufung auf die Vollmacht innerhalbangemessener Frist zu erläutern sind. In Kri-sensituationen, die den Bestand der LFT be-drohen, erst nach Wegfall des Gefahrenpo-tentials.«

Ein Schatten legte sich auf das Gesichtdes Parlamentsvorsitzenden. Seine Stimmeklang belegt. »Du befürchtest ernsthaft eineOffensive der arkonidischen Flotte? Trotzder Aagenfelt-Barriere und unserer starkenFlotte? Sobald KorraVir und damit der Po-sitronik-Modus zum Einsatz kommt, wirdunsere Flotte den Angreifern zudem im Ver-hältnis 3:1 überlegen sein.«

»Ertrus wurde ebenfalls von einer Aagen-felt-Barriere geschützt…«

»Diese Schwachstellen sind ausgemerzt.«Perry Rhodan antwortete nicht sofort. Er

fixierte den Ersten Sprecher, dem der

Schweiß auf der Stirn stand. »Wir habennicht alle Arkoniden zum Feind«, sagteRhodan ruhig. »SEELENQUELL ist unserGegner. Die Superintelligenz wird in dennächsten Stunden angreifen lassen.«

Er unterbrach die Verbindung. Es warjetzt 12.50 Uhr Standardzeit, also nur nochelf Stunden bis zum Ende dieses Tages.Vielleicht war es gut, daß er nicht in die Zu-kunft schauen konnte.

»Ich wollte, wir hätten schon den neuenMorgen oder die Galornen kämen.« DerTerraner erschrak über sein eigenes Mur-meln.

13.40 Uhr. Perry Rhodan beendete eineLagebesprechung mit den Kommandantender schnellen Verbände. Die Männer undFrauen teilten seine Ansicht über möglicheFinessen des Gegners. Weil sie vor allemnicht glaubten, daß SEELEN-QUELL großeVerluste der arkonidischen Flotte billigendin Kauf nehmen würde.

Nur 76.000 die Aagenfelt-Barriere über-windende arkonidische Kampfschiffe bedeu-teten zwar immer noch eine bedrohlicheStreitmacht, indes hatten die Verteidiger ge-nügend Potential, sie zu binden und aufzu-reiben. Weitaus größer war das Risiko, daßdas heftige Transformfeuer Bahnstörungender Planeten verursachte und das kompli-zierte Gravitationsgefüge des Sonnensy-stems ins Wanken brachte.

Daß der Terranische Resident im VorfeldAngriffe auf die WÄCHTER-Einheiten derBlockadegeschwader erwartete, war die eineOption. Die andere hieß schlicht und ein-fach, daß die Invasionsflotte in einigem Si-cherheitsabstand alle Überlichtmanöver be-endete und den Einflug im Relativitätsbe-reich zurücklegte. Das bedeutete dann sie-beneinhalb Stunden Galgenfrist für die Erde.

Das Gros der schnellen Verbände der ter-ranischen Heimatflotte stand im KursvektorRichtung Orion-Delta.

Um 13.55 Uhr ließ Perry Rhodan Funk-kontakt zu Reginald Bull auf der VASCODA GAMA herstellen. Bully blinzelte in dieOptik; blutunterlaufen und schwer hingen

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seine Tränensäcke herab.»Die neuen Blockadegeschwader haben

ihre Positionen eingenommen. Ein doppelterKordon aus überwiegend Kreuzern und NO-VA-Raumern sowie Jägern sichert jedes Ge-schwader ab. Leistungsstarke Virtuellbildnersind einsatzbereit. Durchbrechende Angrei-fer werden schwerlich zwischen Schein undRealität unterscheiden können. Das sollteuns weiteren Spielraum verschaffen. Ande-rerseits beginne ich mich zu fragen, was BreTsinga zugestoßen sein kann. Sie solltelängst mit den Posbis eingetroffen sein. Je-des zusätzliche Abschreckungspotential isthoch willkommen.« Bully kniff die Augenzusammen. »Ich will auf keinen Fall mit an-sehen müssen, wie sich die Flotten gegensei-tig auslöschen.«

Die Funkverbindung war kodiert. Deshalbstand außer Frage, daß niemand das Ge-spräch mithörte.

»Ich hoffe ebenso verzweifelt wie du, daßdieser schlimmste aller denkbaren Fällenicht eintritt«, gestand Perry Rhodan.»Obwohl die junge Superintelligenz viel-leicht genau das beabsichtigt. Das Kristal-limperium mit seiner weitreichenden Infra-struktur und der hohen Zahl von Industrie-planeten würde Verluste erheblich schnellerausgleichen als die LFT. Selbst bei einerPattsituation ginge die nächste Runde anSEELENQUELL auf Arkon III.«

»Wir haben uns nichts vorzuwerfen«, sag-te Bully. »Alles Menschenmögliche wurdegetan. Falls ich die Möglichkeit dazu hätte…«, mühsam unterdrückte er ein herzhaftesGähnen, »… würde ich mit einem Nullzeit-def ormator in die Vergangenheit gehen undBostichs Zeugung verhindern.«

»Der einzige Ort, an dem ich dich brau-che, ist Terra«, platzte Rhodan heraus.»Nicht irgendwann in grauer Vergangen-heit.«

»Die Forts im Asteroidengürtel stehen alsnächste auf meiner Liste …«

»Bevor du trotz Aktivator vor Erschöp-fung umkippst, will ich dich in der SolarenResidenz sehen. Einige Senatoren werden

unruhig - sie fühlen sich auf der Erde alleingelassen. Es ist psychologisch eminentwichtig, in Terrania präsent zu sein.«

»Ich soll mich also verkriechen? Wennich das jedesmal getan hätte, Perry, könnteich mir heute nicht mehr in die Augenschauen …«

»Du sollst den Terränern mit deiner An-wesenheit zeigen, daß wir sie nicht alleinlassen.«

»Wollen sie das auch schriftlich haben?Schon gut, ist ja schon gut - ich sehe dieNotwendigkeit ein. Aber wohl fühle ichmich in der Etappe nicht.«

»Noch etwas«, drängte Rhodan. »Legdich wenigstens für zwei Stunden aufs Ohr!Ich brauche dich halbwegs handlungsfähig,sobald der Sturm losbricht. - Das ist ein Be-fehl!« fügte er scharf hinzu, als Bully unwil-lig das Gesicht verzog.

Um 14.30 Uhr näherte sich die LEIFERIKSSON den Saturnmonden. Die statio-nären Transformstationen ebenso wie diewesentlich weniger effektiven MVH-Batterien lagen unter starken Paratron-Schirmen.

Im Orbit über Titan schwebten die letztenMunitionstransporter, die Tausende schwe-rer Transformgeschosse löschten. Traktor-strahlen hievten die monströsen Munitions-pakete in die Magazine.

Titan selbst würde ebenso wie Terra undLuna von planetenumspannenden Paratron-feldern abgeriegelt werden. Auf allen ande-ren bewohnten Welten und ihren Mondenexistierten ausreichende, ebenfalls von Pa-ratronschirmen abgesicherte Schutzräume.

Wobei Trokan in letzter Zeit einer gewal-tigen Baustelle geglichen hatte. Natürlichwar für die Herreach gesorgt, die das Pechhatten, in unmittelbarer kosmischer Nach-barschaft zur Erde zu leben. Dennoch wur-den immer wieder Stimmen laut, daß vielzuwenig mit ihnen gesprochen wurde. Ent-wicklungshilfe zu leisten bedeutete nochlange nicht, die Gleichberechtigung zu prak-tizieren.

Rhodan fühlte sich wie Bull müde und ab-

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gespannt, und solche Gedanken trugen we-nig Positives bei. Was immer unternommenwurde, um der Bedrohung wirkungsvoll zubegegnen, es würde stets zuwenig sein.Längst waren die ersten Opportunisten aufden Plan getreten, die in der Krise ihren per-sönlichen Gewinn suchten.

Mit der akuten Phase des Krisenfalls Kar-thago hatte der Exodus der Bevölkerung indie Schutzräume begonnen. Das bedeuteteimmensen volkswirtschaftlichen Schaden,der angesichts der ohnehin angespannten Fi-nanzlage irreparable Folgen nach sich zie-hen konnte. Nur mehr die vollautomatischenFabriken produzierten, das übrige Sozialpro-dukt brach zusehends weg.

Aber auch die Robotfabriken würdenbeim ersten Anzeichen vom Gegner einge-setzter KorraVir-Varianten zentral von NA-THAN abgeschaltet werden. Den Vorkeh-rungen gegen einen KorraVir-Angriff kamgrößte Priorität zu, denn syntronische Schal-telemente beherrschten das Leben bis in denletzten Privathaushalt. Ohne sie funktionier-ten weder Nahrungsmittel- noch Wasserver-sorgung, wurden die Klimaanlagen ebensowie die Frischluftversorgung in den Wohnsi-los lahmgelegt. Vom öffentlichen Personen-verkehr im Nahbereich und den Fernverbin-dungen ganz zu schweigen. Gut drei Viertelaller Haushalte würden schlagartig von allenInformationen abgeschnitten sein.

Ausschließlich das Mondgehirn NA-THAN war durch einen aufwendigen K-Damm gesichert und blieb unbeeinflußbar.

Um 15.03 Uhr wurde der autorisierte Ein-flug einer weiteren kleinen Flotte ins Son-nensystem gemeldet. Es handelte sich um 50Raumer der ODIN-Klasse und 50 Neo-Korvetten, alle Kampfraumer der NeuenUSO, die zudem von zweihundert schwerbe-waffneten 500-Meter-Handelsraumern derOrganisation Taxit begleitet wurden.

Falls das Menetekel der befürchteten Ma-terialschlacht Wirklichkeit werden würde,bedeuteten diese dreihundert Schiffe zwarnur einen Tropfen auf den heißen Stein,doch sie waren zugleich eine unschätzbare

Geste. Die USO war beileibe keine Militär-macht, sondern in erster Linie Geheim-dienst. Monkey war mit der Entsendung die-ser Räumer bis an die Grenze des Machba-ren gegangen.

Die USO-Schiffe wurden in die Verteidi-gungsstrategie integriert und dem Bereichder inneren Planeten zugewiesen.

Währenddessen erreichte Perry Rhodanein privater Hyperkomanruf. Für einen kurz-en Augenblick erschien es ihm, als blicke erin einen Spiegel. Aber das Gesicht auf demMonitor wirkte ausgezehrt, die Lippen blut-leer. Und den hellen Augen haftete einfeuchter Schimmer an.

»Bonjour, mon pere«, erklang eine leichtbelegte Stimme. Der Sprecher gab sich Mü-he, seine Besorgnis zu verbergen, schaffte esaber nicht völlig. »Ich melde mich von Borddes Flaggschiffs LOVELY BOSCYK, undich freue mich, Seite an Seite mit dir zukämpfen. Schließlich ist die Erde auch mei-ne Heimat.«

»Du freust dich?« brachte Rhodanstockend hervor.

»Mon Dieu, quel faux pas. Ich meine na-türlich …«

»Du bist willkommen«, unterbrach derResident. »Mike, ich habe nicht zu hoffengewagt, daß du kommen würdest.«

»Pour la liberte! Bonne chance, mon pe-re.« Michael Rhodan lächelte schief und un-terbrach die Verbindung.

Der Hauch von Nostalgie verflüchtigtesich so schnell, wie er sich aufgebaut hatte.Perry Rhodan hätte fast geglaubt, den RoiDanton aus der Zeit von OLD MAN wiedervor sich zu sehen. Aber seither waren nahe-zu zweieinhalb Jahrtausende vergangen; derRoi Danton heute war reifer, bedächtigerund vom Schicksal geprägt, ganz im Gegen-satz zu dem jungen Draufgänger von einst.

16.20 Uhr. Nichts bewegte sich mehr imSonnensystem. Über 300.000 Raumschiffeder Verteidiger hatten ihre Positionen einge-nommen. Milliarden Menschen, in der Flotteebenso wie auf den Planeten und ihren Mon-den, warteten. Die Zeit kroch nur noch träge

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dahin.Für Perry Rhodan bedeutete die Ruhe vor

dem Sturm ein kurzes Atemholen und Be-sinnen. Mehr nicht. Tief in ihm wuchs dervage Zweifel, ob Thoregon wirklich die be-ste Lösung gewesen war. Längst klang dasWort »Friede« in diesem Zusammenhangwie Hohn.

Es gab kein Zurück … Und falls esstimmte, daß ein Mensch im Augenblick sei-nes Todes sein Leben vor sich vorüberzie-hen sah, dann war der Tod zum Greifen na-he.

Vergeblich versuchte Rhodan, die Bilderder Vergangenheit zu ignorieren, die um sobedrückender in ihm aufstiegen, je mehr ersich gegen sie sträubte.

Thora, seine erste Frau. Stolze und an-fangs arrogante Arkonidin, doch sie hattesich für die Menschen geopfert…

Der Riesenrobot OLD MAN, von Men-schen für Menschen gebaut, zugleich fastder Auslöser einer Katastrophe. Die Dolansder Zeitpolizisten im Sonnensystem und spä-ter die Urmutter der Cappins …

Die Flucht von Erde und Mond durchden Sonnentransmitter Twin-Sol … DieMenschen, die heute die Erde ihre Heimatnannten, waren Nachfahren jener Siedler,die einst ihre Heimat verlassen hatten, umirgendwo im Gebiet des Solaren Imperiumsihr Glück zu finden. Die Erde selbst warwährend des Rücksturzes durch den Schlundentvölkert worden; ES hatte damals zwanzigMilliarden Bewußtseine in sich aufgenom-men …

Wie in einem Kaleidoskop wirbelten dieErinnerungsfetzen durcheinander.

Kosmische Geschichte war geschriebenworden. Die Ritter der Tiefe … die EndloseArmada … der Frostrubin … die Cantaround mit ihnen eine Zeit der Dunkelheit inder Galaxis.

Ein Hangarschott glitt vor Perry Rhodanauf. Erst da wurde ihm bewußt, daß er aufdem Weg von der Hauptzentrale zu seinerKabine in einen Seitenkorridor abgebogenwar.

Vor ihm ruhten zwei der neuen Schwal-benschwanz-Jäger auf ihren Startpodesten.Von der äußeren Form mit ihren halbrundenFlügeln zwar gewöhnungsbedürftig, aber inihren Flugeigenschaften selbst den legen-dären Ligthning-Jets haushoch überlegen.

Es war ein unbändiger Reiz, sich insCockpit zu schwingen und mit dem Abfang-jäger auf Patrouillenflug zu gehen, hautnahden Weltraum zu spüren und nicht im Innerneiner riesigen Kugel gefangen zu sein. InMomenten wie diesem verwünschte PerryRhodan sein Amt. Als Terranischer Residentund zugleich Sechster Bote von Thoregondurfte er sein Leben nicht leichtfertig einset-zen. Aber was waren schon die Planspieleim Hauptrechner der LEIF ERIKSSON odermit NATHANS Unterstützung gegen dasGefühl, aus eigener Kraft etwas tun zu kön-nen?

Rhodan ahnte, daß alle Simulationen ver-gebene Mühe bleiben mußten, daß SEE-LENQUELL sich nie nach terranischenWahrscheinlichkeitsberechnungen richtenwürde.

Er erwartete einen unberechenbaren geg-nerischen Zug - eben die List einer Superin-telligenz …

Schlaglichter (3)

In den letzten Tagen waren die vermintenAreale deutlich ausgeweitet worden. An denGrenzen des Sonnensystems hatten dieTransmitterschiffe der BARBA-ZO-ON-Klasse Dauereinsatz, und ihre Mann-schaften arbeiteten bis zur Erschöpfung.

Knapp 20 Grad über der Ekliptik undrund acht Astronomische Einheiten vonNeptun entfernt, also an der oberen Begren-zung der Transmitterreichweite, erstrecktesich seit dem 22. Januar ein neues Minen-feld. Die ANN ZYKOW und fünf Schwe-sterschiffe hatten in einem Sektor von zwölfLichtminuten Länge, also knapp die DistanzSol-Trokan, rund 210.000 Sprengkörper aus-gebracht. Obwohl schon vor Monaten dieKapazitäten für die Herstellung drastisch er-

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weitert worden waren, gingen die Beständein den planetaren Depots zur Neige.

Im Fünf-Sekunden-Takt materialisiertendie hochbrisanten Minen im Transmitter-Han-gar der ANN ZYKOW. Ebenso präzise stie-ßen die Gravo- und Feldkatapulte die bis zu34 Meter durchmessenden Körper in denRaum. Längst handelte es sich nur um her-kömmliche Sprengsätze, also großkalibrigeTransformgeschosse ebenso wie Antimate-rie- und Gravitationsbomben.

Syntrongesteuerte Korrekturtriebwerkeübernahmen ihre Lagejustierung und wurdenüber Funkkode vom jeweiligen BARBAZO-ON-Raumer aus desaktiviert. Der gleicheImpuls machte die Zünder scharf, die je et-wa zur Hälfte auf Masse-Annäherung oderauf die charakteristischen Energiemuster ar-konidischer Kampfschiffe reagieren würden.

Mit dem inhomogenen Aufbau der Mi-nenfelder wurde zugleich denkbaren Mani-pulationen die Grundlage entzogen. Ledig-lich die nur zehn Meter durchmessenden ku-gelförmigen Mini-Paratronkonverter, diegrößere Aufrißzonen erzeugen und Raum-schiffe unkontrolliert in den Hyperraum ab-strahlen konnten, gab es in den neuen Sperr-zonen nicht.

»Ich möchte den sehen, der das wiederwegputzt. Eine verfluchte Arbeit wird daswerden.« Jerem Hokkas ließ eine deftigeVerwünschung folgen. Längst klebte ihmdie Unterwäsche klatschnaß am Leib, unddie Klimaanlage seines Raurnanzugs arbei-tete auf Vollast.

»Die Rotaugen besorgen das für uns«,knurrte Dipson, ohne von den Gravokontrol-len aufzuschauen.

»Bist du sicher, daß sie kommen? Bostichübt sich in Drohgebärden, aber er holt sichüber Terra keine Abfuhr.«

»Soll ich dir was sagen, Jerem? SEELEN-QUELL schert sich einen Dreck darum, wieviele dabei draufgehen. - He, wo bleibt derNachschub?«

Keine neue Mine materialisierte. Dafürwurde über Funk ein Zwischenfall auf Nep-tun gemeldet. Die Justierung der Zündsperre

hatte bei mehreren Minen versagt.»Mit anderen Worten, die Babys sind

scharf.« Jerem Hokkas hatte plötzlich dasEmpfinden, daß sich alles um ihn herum zudrehen begann.

»Wenn nur eines der Babys hier oben an-gekommen wäre, dann … puff.« Die Laute,die Dipson produzierte, waren ein Mittel-ding zwischen Weinen und Lachen. »Wirbefördern uns auch ohne Arkoniden selbstins Jenseits. Das ist typisch terranischeGründlichkeit.«

»Ist doch scheißegal, ob wir verhungernoder uns in Atome auflösen«, maulte Hok-kas.

»Ich für meinen Teil würde gerne noch ei-nige Jahre leben. Was ist los mit dir, Je-rem?«

»Wenn du's so genau wissen willst: Ichbin pleite. Das ist los. Fünfzigtausend Galax,krisensicher angelegt in Aktien der WhistlerCompany und Tombstone-Triebwerke. Nachdem Crash an allen Börsen springen nichteinmal mehr die Verkaufsspesen raus.«

»Halten«, seufzte Dipson. »Das ist daseinzig Vernünftige.«

»Ich lach' mich tot. Ich …«Hokkas schrie auf, als grelle Helligkeit

den Transmitterhangar überschwemmte. DerBlendschutz des Helms hatte um Sekunden-bruchteile zu spät reagiert.

Dann kam der Ausfall der künstlichenSchwerkraft - und gleich darauf schlug Hok-kas hart zwischen den Verstrebungen desHangars auf. Viel zu langsam tastete er nacheinem Halt.

Trotz des Kreischens im Helmlautspre-cher verstand er die Durchsage, daß nahe derANN ZYKOW ein Frachter im Minenfeldmaterialisiert war. Die Notabschaltung hattegleichzeitig den Transmitter lahmgelegt.

Ein kurzer, verstümmelter Funkspruchwar empfangen worden. Er reichte geradeaus, den Frachter zu identifizieren.

Es handelte sich um die von außerhalb derOortschen Wolke zurückkehrende PALLAS.Warum das Schiff ohne die schützende Tot-Frequenz in den Bereich der Aagenfelt-Bar-

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riere geflogen war, blieb ungeklärt.

Aufmarschgebiet Orion-Delta

Ortungsoffizier Milbur Kane verdrehtedie Augen. Sein Gähnen ließ den Atem wieNebelhauch erscheinen, der sich nur zögerndauflöste. Kane hatte die Arme vor demBrustkorb verschränkt und klopfte sich mitden Händen rhythmisch auf die Oberarme.

Es war unangenehm klamm geworden.Seit mindestens vierundvierzig Stunden ar-beitete in der IB-SJ 50 kein Aggregat mehr,das verräterische Emissionen produziert hät-te. Dafür fraß sich die Weltraumkälte unauf-haltsam in die Space-Jet vor. Das Thermo-meter zeigte minus vier Grad Celsius an.

Ein heller Ton erklang, als würden Eis-zapfen zerspringen. Kane hielt in seinerlängst in Monotonie übergegangenen Bewe-gung inne.

Der Ton wiederholte sich lauter unddurchdringender; die akustische Anzeigeauftreffender fremder Ortungsimpulse wirk-te bedrohlich. Das Aufblitzen in Kanes Au-gen spiegelte sich auf den leicht mit Rauh-reif beschlagenen Schirmen.

»Kein Grund zur Beunruhigung«, behaup-tete Dim Ramien, der Kommandant der vier-köpfigen Mission. »Es war klar, daß sie unsfrüher oder später orten würden. Aber wassoll's - auf den Schirmen haben sie nur dieÜberreste eines Topsid-Frachters.«

»Die in Kürze in der Sonne verglühenwerden«, korrigierte Kane. »Und das ist oh-nehin egal, falls wir bis dahin erfroren sind.«Er blies wärmend auf die Finger-An-schließend wischte er mit der flachen Handüber seine Konsole. »Da draußen wimmeltes von Energieechos. Dreihundertundacht-zigtausend Raumer aller Klassen…«

Das rhythmische Klingen vervielfachtesich und verriet, daß nun mehrere arkonidi-sche Kampfraumer das Wrack abtasteten.

Über eine Distanz von dreißigtausend Ki-lometern erstreckte sich das Trümmerfeld -ein langgestreckter Schwarm kleinster Stahl-splitter und zwischen ihnen Hunderte größe-

rer Brocken, einige massiv genug, um einenDiskus wie die IB-SJ-50 einfliegen zu las-sen.

Mit halber Lichtgeschwindigkeit rastendie Überreste des Frachters der Doppelsonneentgegen und würden in dem kleineren Sternverglühen. Für drei Fragmente zeigte die Si-mulation, daß sie die Sonne nur tangierenund als Vagabunden in Weltraumtiefen ver-schwinden würden. Mit einer größten Annä-herung an Topsid von weniger als fünfhun-derttausend Kilometern war das nach kosmi-schen Maßstäben eine »Beinahe-Kollision«.

Verborgen zwischen einigen tausend Ton-nen Stahl, würde die Space-Jet hoffentlichunbemerkt in den Ortungsschutz der Son-nenkorona gelangen.

Dim Ramien fragte sich, ob der gewaltigeAufmarsch der Arkoniden womöglich nureine Drohgebärde darstellte. Vielleicht denVersuch, Terras Flotte im Heimatsystem zubinden. Eine Reihe bedeutender Liga-Welten konnte dann zur leichten Beute wer-den. Die Erde ihrer Kolonien zu beraubenwäre eine Taktik der Nadelstiche, die Terraüber kurz oder lang isolierte und quasi aus-hungerte.

Andererseits hatte SEELENQUELL mitder Übernahme Arkons zugleich die Proble-me des Kristallimperiums geerbt. Die Zahlder Welten mit unzufriedener Bevölkerungging in die Hunderte. Ohne stete militärischePräsenz waren diese Planeten auf Dauernicht zu halten. Die 380.000 vor Topsid zu-sammengezogenen Kampfraumer entspra-chen etwa drei Vierteln der einsatzbereitenarkonidischen Kampfflotte. Man beschnittalso andernorts Präsenzen, deren Ausdün-nung kaum weniger unangenehme Konse-quenzen nach sich ziehen konnte, als diesfür die LFT galt. SEELENQUELL nahmsolche Folgen garantiert nicht ohne ander-weitigen Vorteil in Kauf.

Fünfzehn Planeten umliefen den weißenHauptstern, sechs seinen violetten Begleiter,sechs umkreisten beide Sonnen, darunterTopsid, der wichtigste Planet des Systems.Die Wrackstücke hatten längst die Bahnen

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der äußeren Welten überquert und rasten mitunmerklich steigender Geschwindigkeit zwi-schen den Schiffspulks hindurch.

Dreißig Minuten lang hallte das Stakkatoder hörbar gemachten Ortungsimpulse durchdie Jet und zerrte an den Nerven. Milbur Ka-ne hatte seinen Uniformkragen hochgeschla-gen und am Hals zusammengezogen. In sei-nem dichten Schnauzbart begannen kleineEiszapfen zu wachsen. Die Temperatur warum weitere zwei Grad gesunken.

Der Feuerschlag eines Großkampfschiffskam überraschend. Kane gurgelte nur noch,als die Optiken eine Salve meterdicker Im-pulsbündel wie Wetterleuchten wiedergabenund zwei der größten Wrackstücke in irrlich-terndem Feuerschein auseinanderbrachen.Ein zweites großes Schiff begann zu feuern.

»Bereitet euch darauf vor, Energie in denParatron und den Metagrav zu pumpen!«kommandierte Dim Ramien. »Notmanövervorbereiten!«

Man mußte kein Hellseher sein, um dieChancen der Space-Jet richtig einzuschät-zen. Aber jeder an Bord hatte gewußt, daßdie Mission geradewegs in die Hölle führte.

Im Salventakt feuerten die Thermoge-schütze - ein deutliches Anzeichen, daß dieArkoniden ebenso unter der Anspannung lit-ten.

»Das gibt Unannehmlichkeiten.« Was Ra-mien salopp als Unannehmlichkeiten be-zeichnete, war weniger euphemistisch dieVernichtung der IB-SJ 50.

»Wenn wir schon draufgehen, warum flie-gen wir nicht wenigstens Kollisionskurs?Das dürfte dann eine nette kleine Explosion…« Kane verstummte, weil in dem Momentdas Tontaubenschießen aufhörte.

In Gedanken zählte der Ortungsoffizierdie nächsten Sekunden. Keine neue Salveschlug ein.

Die Distanz zu den Schlachtschiffen derTender-Klasse vergrößerte sich wieder. Ka-ne warf einen flüchtigen Blick auf sein Arm-bandchronometer. 18.08 Uhr am 2 4. Januar13 04 NGZ - sofern er die nächsten Minutenüberlebte, konnte er das Datum im kommen-

den Jahr vielleicht als seinen zweiten Ge-burtstag leiern.

Er sträubte sich nicht gegen denWachtraum, der ihm die berauschende Illu-sion vermittelte, eine blauhäutige Schönheitim Arm zu halten. Es war verführerisch, dieGedanken treiben zu lassen. Verglichen mitden über seinen Leib wandernden zartenHänden und der samtweichen Berührungfremder Haut, waren die arkonidischenSchlachtschiffe eine krasse Blasphemie.Aber sie waren Realität.

Als Milbur Kane aus dem nur wenige Au-genblicke währenden seligen Dämmerzu-stand in die kalte Gegenwart zurückfiel, hät-te er sich mit seinen halb gemurmelten Ver-wünschungen mühelos für jeden Seelenver-käufer profiliert.

»Warum haben wir sie nicht geschlagen,als wir die Möglichkeit dazu hatten?« fragteer unvermittelt.

»Wen?«»Die Arkoniden. Und nach ihnen Akonen

und Springer, ebenso die Blues. Nur so kannes eine vereinte Galaxis geben…«

»Hör auf mit solcher Uralt-Ideologie!«»… die Arkoniden machen uns vor, was

Rhodan versäumt hat.« Kane redete sich inRage und dachte nicht daran, aufzuhören.Vor allem, weil die Kälte ihm die eigeneHilflosigkeit vor Augen führte. »Die LFT istnur noch der Prügelknabe arkonidischer Pro-paganda. Wer das nicht begreift, den sollensie meinetwegen als Wilden von Larsaf IIIbezeich…« Er verstummte und fuhr sich mitdem Handrücken über die Lippen. »Ich redeBlödsinn, oder? Und habe mich eben selbstziemlich ins Abseits gestellt.«

»Zeig mir den Terraner, den die Situationkaltläßt! Nur militärisch können wir denKnoten lösen.« Der Kommandant schlug mitder zur Faust geballten Rechten in die linkeHandfläche. »Was immer die nächsten Stun-den und Tage bringen, angenehm werden siebestimmt nicht.«

Wieder unbehelligt, stürzte der Trümmer-regen der Doppelsonne entgegen. Es wurdeZeit, das Absprengen der Hülle vorzuberei-

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ten. Der Aufprallwinkel auf die Sonnenat-mosphäre würde der Besatzung einen Hand-lungsspielraum von fünf bis sechs Sekundenlassen, bevor die IB-SJ-50 in der Atomhölledes kleineren Sterns verglühte.

… Energien hochfahren, Paratron akti-vieren und Gegenschub auf alle Triebwerkevorbereiten… Das Risiko lag darin, sichfrühzeitig des Wracks zu entledigen. Allesmußte, falls die Arkoniden überhaupt daraufachteten, so aussehen, als wäre das Frag-ment durch Sonneneinflüsse auseinanderge-brochen.

Knapp vier Minuten vor dem Manöver re-gistrierte die Passivortung den Rücksturzgroßer Schiffe nahe dem Planeten Topsid.Acht 5OO-Meter-Schlachtkreuzer hatten so-eben im Formationsflug ihre Hyperraum-Etap-pe beendet.

Die manuelle Analyse benötigte kurzeZeit für den Nachweis, daß zwischen denSchlachtkreuzern ein 1500-Meter-Riese undeine zwei Kilometer lange, offensichtlich el-liptische Plattform materialisiert waren.

»ARK'IMPERION!« stieß Milbur Kaneungläubig hervor »Das ist die arkonidischeThronflotte.«

Ramiens Miene erstarrte. Fast schien es,als setzten sich erste Eiskristalle in seinemGesicht fest. »Imperator Bostich II. ist überTopsid eingetroffen. Damit steht der Angriffauf Terra wohl unmittelbar bevor.«

Die Chronometeranzeige war soeben auf19.46 Uhr umgesprungen.

»Jetzt ist es egal, ob die Arkoniden unsentdecken. Richtspruch an die IBN BAT-TUTA! Terra muß erfahren, was sich an-bahnt.«

Die Antwort vom Mutterschiff traf ein,als erste Bogenprotuberanzen nach denWrackteilen griffen. Es war der Rückzugs-befehl.

»Sie haben uns!« stieß Kane hervor.»Vier, fünf, sechs Schlachtkreuzer nehmenKurs auf unsere Position. Erreichen Schuß-distanz in wenigen Sekunden …«

In einem irrlichternden Feuerwerk beganndie abgesprengte Wrackhülle aufzuglühen.

Der Paratronschirm wurde unter der anstür-menden Sonnenmaterie zur lodernden Auraaus Aufrißfronten.

Innerhalb von Augenblicken verschwanddie IB-SJ-50 aus dem Einstein-Kontinuum.Nur ihre Spur war noch sichtbar: ein aus derSonnenatmosphäre herausgerissener Parti-kelstrom, der den Kurs der Space-Jet nach-zeichnete und erst allmählich verwehte. Erähnelte den Kondensstreifen am Himmel ei-nes zivilisierten Planeten.

Zwei weitere kurze Überlicht-Etappennach dem Zufallsprinzip folgten, bevor DimRamien Kurs auf die IBN BATTUTA nahm.Exakt elfeinhalb Minuten waren seit demErscheinen der ThronflotteARK'IMPERION bis zum Einschleusen derSpace-Jet vergangen, aber noch hatte die ar-konidische Kampfflotte den Einsatzbefehlnicht erhalten.

Mit zwiespältigen Gefühlen nahmen DimRamien und seine Crew zur Kenntnis, daßPerry Rhodan die IBN BATTUTA ins Son-nensystem zurückbeordert hatte. Die weitereÜberwachung des Orion-Delta-Sektors lagnun bei anderen Einheiten.

Natürlich zogen die Arkoniden aus demGewaltmanöver der Space-Jet in der Son-nenatmosphäre die richtigen Schlüsse. Abereine solche Lappalie änderte nichts an ihrenPlänen.

Die Fernortungen der IBN BATTUTAzeigten ein erschreckendes Bild: Die Zahlder Orterreflexe im System der Doppelsonnewar Legion. Sobald sich diese Lawine in Be-wegung setzte, war sie nicht mehr aufzuhal-ten.

Was noch zum Jahreswechsel kein Terra-ner wirklich befürchtet hätte, nahm von Mi-nute zu Minute erschreckendere Gestalt an.Die Menschheit würde um ihre Erde kämp-fen müssen - und diesmal sprachen die Vor-zeichen gegen sie …

Dim Ramien sprach es nicht einmal an-deutungsweise aus, aber insgeheim hoffte er,daß Perry Rhodan der Flotte der Verteidigerkeinen aberwitzigen Blutzoll abverlangenwürde. Es war mehr als nur ein ketzerischer

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Gedanke, der ihn umtrieb, es war sogar derbittere Beigeschmack von Hochverrat.

Der Kommandant der IB-SJ-50 rechnetmit Rhodans Einsicht. Nur die Kapitulationkonnte Terra wirklich retten.

Für sich selbst traf Dim Ramien eine ein-same Entscheidung. Er würde lieber unterder Herrschaft eines arkonidischen Impera-tors leben, als mit ansehen zu müssen, wiealles zerstört wurde, was Menschen in Jahr-tausenden geschaffen hatten.

*

Während Dim Ramien sich mit selbstquä-lerischen Überlegungen herumschlug, die ervor kurzem noch brüsk von sich gewiesenhätte, wartete Perry Rhodan 815 Lichtjahreentfernt darauf, daß Bostich I. die Augenaufschlug. Zu spät hatte der Terraner vonder neuerlichen Transplantation erfahren. Dader Arkonide für ihn die derzeit wichtigstePerson darstellte, war das Versäumnis denbesonderen Umständen zuzuschreiben, derDatenflut aus allen Teilen der Milchstraße,in der die Information aus der Medoabtei-lung schlicht untergegangen war. Rhodanversuchte gar nicht erst, eine Schuldfrage zustellen.

Anstelle des provisorischen Kunstherzenswar dem Ex-Imperator nun das von Anfangan vorgesehene, aus eigenen Stammzellengeklönte Herz eingesetzt. Dabei, so zeigtendie Befunde, handelte es sich um ein Mei-sterwerk an Präzision und Genauigkeit, dasinnerhalb kürzester Zeit im Brutschrank her-angereift war. Man hatte weder Kosten nochMühen gescheut.

Der Mantar-Aspirant Zheobitt hatte dieTransplantation persönlich vorgenommen,jedoch anschließend kommentarlos und inBegleitung aller Aras die LEIF ERIKSSONverlassen und sich an Bord seines neuenMedoschiffs ZENTRIFUGE II begeben.Nach Zheobitts erstem Eingriff an Bostichwar das auf Archetz wartende Medoschiffauf Perry Rhodans Betreiben schnell bezahltund ins Solsystem geholt worden. Die weite-

re Betreuung des in einen kurzen Heilschlafversetzten Patienten lag in den Händen derMediziner des Flaggschiffs, die unter Lei-tung des Aras Prak-Noy standen.

Nach der ersten Operation war BostichsBrustplatte mit der lokalen Gabe eines dasKnochenwachstum hemmenden Enzyms of-fengehalten worden. Nun spannte sich diesemitransparente Membran des Rekonvales-zenz-Beschleunigers über den nackten Ober-körper.

Der Farbverlauf der Membran zeigte, daßdie Behandlung in wenigen Stunden abge-schlossen sein würde. Bis dahin besaß Bo-stich keine Bewegungsfreiheit.

Er soll mit dem zufrieden sein, was er be-kommen hat, glaubte Rhodan Bullys Stimmein Gedanken zu hören. »Das neue Herz wirdmindestens fünfzig Jahre länger schlagen alsdas alte, damit hat sich der Handel für ihnschon gelohnt. Was will er mehr?«

Bostichs Herzschlag blieb unverändertgleichmäßig, doch seine ID-Kurven zeigtenzunehmende Aktivität. Sekunden späterschlug der Arkonide die Augen auf. Als erRhodan erkannte, drang ein dumpfes Stöh-nen über seine Lippen.

»Bist du enttäuscht, Terraner, mich wie-der unter den Lebenden zu sehen? Aber nein- du brauchst mich ja. Weil du deinen klei-nen Heimatplaneten vor der Vernichtung be-wahren mußt.«

Trotz seiner Schwäche schwang in derStimme des Arkoniden die alte Arroganzmit. Unter seiner Herrschaft war das Imperi-um zu neuem Glanz aufgestiegen, und derAnspruch, die Geschicke der Galaxis und ih-rer Völker zu bestimmen, resultierte aus dervermeintlich göttlichen Zustimmung.

»Niemand vernichtet die Erde«, wider-sprach Perry Rhodan ruhig. »So, wie nie-mand die Welten des Tiga Ranton zerstörenwird. Der Versuch der Imperialen Flotte, insSolsystem einzudringen, wird die Besatzun-gen von dreihunderttausend Raumschiffentöten. - Ist das wirklich deine Vorstellungvon der Geburt eines Göttlichen Imperiums,Bostich? Drei Viertel deiner Flotte sehenden

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Auges ins Verderben zu schicken …?«»Jeder Soldat des glorreichen Huha-

ny'Tussan ist bereit, sein Leben dem großenZiel zu opfern …«

»Phrasen!« fuhr Rhodan auf. »Das sindPhrasen, die immer Leid und Trauer brin-gen, aber nie wirkliche Veränderungen.«

Bostich blieb unbeeindruckt. »Du kennstmeinen Preis, Terraner. Die Entscheidungliegt bei dir.«

»Selbst wenn ich es wollte, kann ich dirkeinen Aktivator verschaffen. Zudem istARK'IMPERION vor ungefähr zwanzig Mi-nuten im Topsid-System erschienen. Impe-rator Bostich II. wird wohl heute noch denAngriff befehlen. Du weißt, daß er garantierteine Hand SEELENQUELLS ist. Jede Mi-nute, die du länger zögerst, hilft der Superin-telligenz, Arkon für ihre Zwecke zu miß-brauchen.«

Ein Schatten huschte über Bostichs Ge-sicht. »Dann ist es für Reaktionen ohnehinzu spät. Terra wird untergehen.« Seine Mie-ne verzerrte sich, als er vergeblich versuch-te, die Membran zur Seite zu stemmen. »Ichwill nicht an deiner Seite sterben, Rhodan.Also gib mir eine Space-Jet, damit ich michaus dem Kampfgebiet zurückziehen kann.Das ist nicht mein Krieg.«

»Du scherzt?« Selten hatte der Terranereine größere Unverfrorenheit erlebt; er wuß-te für einen Moment nicht, ob er lachen oderbesser weinen sollte.

»Mir war nie so ernst mit einer Bitte«,antwortete Bostich. »Ich will nicht auf terra-nischem Gebiet sterben.«

»Der Tod kommt nicht so schnell, Bo-stich. Du wirst schon mit ansehen müssen,was geschieht - aber vergiß dabei nicht: Dubist und bleibst Gefangener an Bord desLFT-Flaggschiffs. Deine satirischen Forde-rungen wären vielleicht eines Operetten-Imperators würdig, aber nicht eines …«

Der Meldeton seines Vielzweck-Arm-bands unterbrach Rhodan. Pearl TenWafersStimme erklang. Die Kommandantin derLEIF ERIKSSON rang hörbar nach Fas-sung.

»Soeben wurde gemeldet, daß bei Orion-Delta die Hölle los ist. Alle dreihundertacht-zigtausend Schlachtschiffe haben Fahrt auf-genommen - die ersten schnellen Einheitendürften in Kürze in den Überlichtflug ge-hen.«

Der Alarm gellte durchs Schiff. Einschauriges Heulen.

Sechs Minuten bis zur Hölle! Perry Rho-dan wußte, daß die schlimmsten sechs Mi-nuten seines Lebens vor ihm lagen.

Terra befand sich im Verteidigungsfall!Die Menschheit konnte dem Krieg nichtmehr entgehen.

Pearl TenWafers Meldung, daß der neueEmotionaut Rock Mozun seinen Platz unterder SERT-Haube eingenommen hatte, regi-strierte Rhodan nur beiläufig. Alles in ihmwar wie taub. Wo lag die Verantwortung fürdiese Entwicklung? Hatte er in seiner Ab-sicht, nur das Beste zu erreichen, Fehler be-gangen, die letztlich das Gegenteil bewirk-ten?

Eine unendliche Müdigkeit wollte vonihm Besitz ergreifen, die Kapitulation vordem Unausweichlichen. Er streifte Bostichmit ausdruckslosem Blick und empfand we-der Trauer noch Haß, nur eine schier gren-zenlose Leere.

»Du wirst einige Tage in medizinischerObhut verbringen müssen, Bostich. Aberkeine Sorge, ich lasse eine Bildverbindungschalten, damit du informiert bist. Du sollstsogar rechtzeitig sehen, falls die LEIFERIKSSON vernichtet wird.«

»Meinetwegen ersticke an deinem Hoch-mut, Terraner«, keuchte der Imperator.

Rhodan reagierte nicht darauf. Er hattesich umgewandt und verließ die Krankensta-tion. Seine Sorge wuchs. Er glaubte nichtmehr daran, daß eine Flotte der Posbis recht-zeitig eintreffen würde.

Schlaglichter (4)

»Ich habe Angst um ihn.« Unbewegtblickte Hendra Ogriss in die untergehendeSonne, die sich nur noch als schmale Sichel

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zeigte. In Minutenschnelle verschwand Solhinter den dräuenden Gewitterwolken, dochdas halbe Firmament glühte in düsteremRot.

»Wann gab es je einen solchen Sonnenun-tergang? Ein böses Omen.« Hendras Stimmekippte, dann stieß sie hervor: »Das ist dasBlut, das vergossen wird - und Hank ist ir-gendwo da draußen.«

Sie zuckte zusammen, als eine Hand nachihrer Schulter griff. »Laß mich in Frieden,Nego! Für einen neuen Anfang ist es längstzu spät…«

Eine zweite Hand umfaßte ihren Oberarmund versuchte, sie herumzuziehen. Die Frauriß sich mit einer harschen Bewegung losund ging mehrere Schritte vorwärts, demRand der inzwischen verlassenen Aussichts-plattform entgegen.

Der letzte Gleiter war vor wenigen Au-genblicken Richtung Stadtzentrum gestartet.Aus der Ferne, vom Säuseln des Windes unddem verhaltenen Knirschen des Sandes fastübertönt, klang der Alarm herüber. Seit fünfMinuten war das eigentlich Unvorstellbareerschreckende Realität.

»Du hast den Ehevertrag gebrochen«,murmelte Hendra.

Langsam wandte sie sich um. Ihre geröte-ten Augen schimmerten feucht. »Wie ist sie,diese Katze? Sag's mir, ist sie wirklich soanschmiegsam …?«

»Hendra, bitte, auf die Weise machst dues nicht besser Dug-Hin-L'oy ist eine Karta-nin …«

»… und vor allem keine hundertachtzehnJahre alt. Das wolltest du sagen? Du bist ge-gangen, ohne dich je nach Hank oder mir zuerkundigen, und nun tauchst du wieder auf,als wäre nie etwas gewesen, und glaubstauch noch, daß ich dich mit offenen Armenempfange.«

»Ich bin hier, weil Sol gefährdet ist. Ver-stehst du, Hendra? Ich will dich und Hank inSicherheit…«

Die Frau riß die Fäuste hoch und rammtesie gegen seine Brust. Aber schon im näch-sten Moment verkrallte sie sich in seiner

Kleidung und begann hemmungslos zuschluchzen. Sie ließ sogar zu, daß Nego sei-nen Arm um sie legte. Mit 105 Jahren stander in der Blüte des Lebens und sah immernoch so gut aus wie vor langer Zeit, als siesich kennengelernt hatten. Einige Falten inden Augenwinkeln waren dazugekommen,ansonsten hatte er sich nicht verändert.

»Die Kadettenprüfung hat Hank vor ei-nem Monat mit Auszeichnung absolviert«,ächzte sie. »Aber wenn die Arkoniden an-greifen … Ich habe wahnsinnige Angst umihn.«

»Es wird bestimmt nicht zum Äußerstenkommen. Und außerdem - Hank fliegt aufeinem Versorgungsfrachter, nicht auf einemKampfschiff.«

Ruckartig löste sich Hendra von ihremehemaligen Ehepartner. Die Verwirrungstand ihr ins Gesicht geschrieben.

Vor zwei Tagen hatte sich Nego nachzehn Jahren Stillschweigen überraschend beiihr gemeldet. Sie hatte vorher nicht einmalin Erfahrung bringen können, ob er über-haupt noch in der Milchstraße weilte. Unddann dieser Treffpunkt im Westen des Gos-hun-Sees. Sie war dennoch gekommen.Nicht, weil sie sich seinerzeit an diesem Ortkennengelernt hatten, sondern aus Neugier-de. Weil sie interessierte, was Nego wirklichwollte. Er hatte während des kurzen Hyper-kom-Gesprächs sehr geheimnisvoll geklun-gen.

»Auf Olymp sind solche Informationenleicht erhältlich«, sagte er Ein geradezu ur-zeitliches Dröhnen rollte über die Metropolehinweg. Raumschiffe hoben im Alarmstartab und verschwanden als glühende Punkte inder Ferne.

»Ich halte es nicht für sinnvoll, daß unserSohn ausgerechnet auf einem Versorgungs-frachter versauern muß«, fügte Nego hinzu.»In den letzten Jahren habe ich einige Galaxin die richtigen Firmen investiert, vor allemhatte ich den Riecher, vor dem verheerendenBörsencrash wieder auszusteigen. Mit demGewinn kann ich Hank bei einer der großenprivaten Reedereien einkaufen. Wenn das

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hier vorbei ist, hole ich ihn von der PAL-LAS herunter …«

»Weiß dein … Kätzchen davon?« Nachwie vor hatte Hendra die Schmach nicht ver-wunden, daß ihr Partner sie mit einer Karta-nin betrogen hatte. Hinzu kam, daß sie Kat-zen nie gemocht hatte, und diese Abneigungübertrug sie aller Vernunft zum Trotz auchauf die Zweibeinigen.

»Dug-Hin-L'oy ist einverstanden. Siewartet in Terrania auf uns - vor allem willsie dich kennenlernen.«

Hendra schüttelte den Kopf. »Nein. Be-stimmt nicht. Vielleicht bin ich in der Hin-sicht altmodisch…«

Zuerst war da nur ein grelles Aufleuchten.Weit im Westen fraß es sich durch dasdunkle Purpur des Firmaments. Eine neuekleine Sonne schien hoch über der Erde auf-zugehen.

Strahlenfinger griffen nach den Seitenund zogen grelle Spuren durch die Atmo-sphäre. Sie fächerten auf wie die Bruch-stücke eines Kometen, die als Sternschnup-pen der Erde entgegenrasten. Offensichtlichwar der Paratronschirm um Terra noch nichteingeschaltet worden.

Ihr Zerplatzen wurde von weiteren Explo-sionen begleitet. Erschreckend daran war diescheinbar völlige Lautlosigkeit. Dann schlu-gen sie ein. Hunderte Kilometer entfernt.

Aus zusammengekniffenen Augen konnteOgriss viele Sterne ausmachen, die in For-mation hoch über die Hauptstadt hinwegzo-gen.

Er streifte den linken Ärmel zurück undaktivierte damit die auf der Innenseite desUnterarms aufgeklebte Bildfolie. Das Logoder lunaren Großsyntronik NATHAN er-schien. Dezent erklang dazu die Hymne derLiga Freier Terraner.

Ogriss hatte es geahnt - seit die vermeint-liche Sternschnuppe auseinanderbrach. Hochüber dem Planeten tobte eine erbitterteRaumschlacht. Das zu erwartende bizarreSchauspiel barg Tod und Vernichtung.

»… du sollst den Mund halten!«Erst als Hendra ihn barsch anfuhr, regi-

strierte Nego, daß er ununterbrochen geredethatte. Im Orbit hatte es lediglich einen Un-fall gegeben, mehr war nicht geschehen.Überrascht blickte er Hendra an. Die Mutterihres gemeinsamen Sohnes war resoluter ge-worden. Früher hatte er ihre mangelnde Ent-schlußkraft verwünscht. Alles, was er sichvon ihr erhofft, aber nie bei ihr gefundenhatte, hatte Dug-Hin-L'oy ihm geboten. Dar-über hinaus das Exotische einer Beziehung,wie Männer sie jeden Tag von neuem er-träumten.

Mittlerweile sah er einiges ernüchtert.Dug-Hins Katzengesicht hatte ihn schnellermüdet, und manchmal, wenn ihre samt-weichen Hände über seinen Körper streiften,fühlte er sich in die Rolle einer Maus ver-setzt.

Außerdem vermißte er seinen Sohn. Daswar ihm mit jedem Jahr fern der Erde deutli-cher bewußt geworden. Deshalb war er zu-rückgekommen. Und weil er noch ein oderzwei Kinder haben wollte, bevor er wirklichalt wurde.

»… haben die ersten arkonidischen Ver-bände ihren Überlichtflug außerhalb desSonnensystems beendet. Noch ist nicht er-sichtlich, ob sie wirklich angreifen werden.Dessen ungeachtet wird die Bevölkerung al-ler solaren Welten aufgefordert, sich in dieSchutzräume zu begeben. Das gilt uneinge-schränkt auch für die von Paratronschirmengeschützten Planeten und Monde. Ich wie-derhole: Es besteht kein Grund zur Panik, je-doch ebensowenig Anlaß für Leichtfertig-keit. In diesen Minuten haben die ersten ar-konidischen Verbände ihren Formationsflugrund zwei Lichtstunden außerhalb des Son-nensystems beendet. Noch wurden keine an-fliegenden Schiffe in die Minenfelder umge-leitet. Der letzte Zwischenfall betraf einenLFT-Raumfrachter. Nach wie vor ist unge-klärt, weshalb die PALLAS von der Barriereerfaßt und zerstört wurde …«

Hendra Ogriss wurde bleich. »Die PAL-LAS…?« wiederholte sie tonlos. »Das glau-be ich nicht, das kann nicht sein. Ein Irrtum,ein anderes Schiff, das so ähnlich heißt …«

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Sie stockte, schluckte schwer. »Hank war soglücklich. Kadett auf einem Frachter wieeinst sein Vater … Die Memos hat er oft an-geschaut und davon gesprochen, dir zu fol-gen. Die Sterne haben es ihm angetan …«Sie verstummte, und einen bebenden Atem-zug später rannen Tränen über ihre Wangen.»Sag mir, daß dasnichtwahrist,Nego!Sagesmir!« Die letzten Worte keuchte sie nurnoch.

Hendra Ogriss ließ es widerspruchslos ge-schehen, daß Nego sie mit sich zum Gleiterzog, der einsam auf dem ausgedehnten Arealstand. Sie krallte sich erst an ihm fest, als ersie auf den Sitz des Copiloten schob.

»Niemand hat mich informiert, Nego. Daswäre doch das erste, nicht wahr? Ich bin sei-ne Mutter, ich muß es wissen. Hank wolltezu den Sternen fliegen. Du wirst sehen,Mum, sagte er immer, eines Tages werde ichan Bord des Flaggschiffs Dienst tun und mitRhodan und den anderen Unsterblichen zuden Thoregon-Galaxien unterwegs sein …«

Nego Ogriss schwieg, als er sich hinterdie Kontrollen schwang und den Antigravhochfuhr.

Weit entfernt hing die Stahlorchidee überder City. Die letzten Strahlen der unterge-gangenen Sonne streiften noch die oberenStockwerke und tauchten die Verglasungenin eine irisierende blaue Aura. Der gewaltigeuntere Teil der Solaren Residenz verschmolzfast mit dem düsteren Hintergrund. TerraniaCity, sonst ein funkelndes Juwel, lag in derAgonie der Düsternis. Die gleißende Lich-terflut der Hochstraßen, Transportröhrenund Panoramalifte war erloschen, und dieGlasfronten des unüberschaubaren Häuser-meers spiegelten nur matt die heraufziehen-de Nacht.

Die Beklemmung war greifbar.Daß er minutenlang nichts anderes getan

hatte, als regungslos in die Nacht hinauszu-starren, wurde Nego Ogriss erst bewußt, alsder letzte Widerschein der Sonne erlosch.Dennoch verschwand die Solare Residenznicht in der Nacht. Zigtausende hell erleuch-teter Fenster, geöffnete Hangars und die

transparenten Seitenflügel verwandelten siein ein lichtdurchflutetes Fanal.

Ogriss ertappte sich dabei, daß er ehr-fürchtig und ergriffen den über der Stadtschwebenden Regierungssitz bewunderte. Esbedurfte einiger tiefer Atemzüge, bis er sichvon diesem Anblick lösen konnte. Solangedie Solare Residenz an, ihrer Position überdem Areal des einstigen HQ-Hanse schweb-te, war die Erde nicht verloren. Ein schwerzu beschreibendes Gefühl von Stärke undZuversicht strahlte von ihr aus.

»Auch wenn nichts mehr wie früher ist«,murmelte Ogriss, »wir schaffen es - du, ichund Dug-Hin …«

Er startete den Gleiter und fädelte ihn ineinen der wenigen noch aktiven Leitstrahlenein.

Sol im Würgegriff

Obwohl die Hologramme nur einenBruchteil der Flotte zeigten, spürte der Mas-cant die nahezu uneingeschränkte Macht, diesich hier vereinte. Seit er zur Hand SEE-LENQUELLS geworden war, hatte sich seinLeben verändert. Es erschien ihm mit ei-nemmal überschaubarer und geradliniger,und letztlich hatte seine eigene Leistung ihnfür diese Aufgabe prädestiniert. Erst die An-nexion von Topsid, danach der glorreicheFeldzug gegen Ertrus, der zweifellos denNiedergang der LFT eingeleitet hatte.

Nie zuvor in den letzten Jahrtausendenwar eine ähnlich schlagkräftige Flotte an ei-nem einzigen Ort versammelt gewesen. Ver-gleichbare Größenordnungen hatte es nurzur Zeit der Methankriege gegeben.

Keinen Gedanken verschwendete HandKraschyn an Mascant Baraschin, dem Top-sid für kurze Zeit unterstellt worden war.Baraschin hatte nicht das Format, einenFeldzug gegen Terra zu führen.

Der 25. Prago des Tarman 21.423 da Arkwürde unauslöschbar in die Geschichte derGalaxis eingehen. Nach einer kurzen Über-lichtphase fiel die AUMOKJON inmitten ei-ner unüberschaubaren Anzahl großer Kampf

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schiffe in den Normalraum zurück, zweiLichtstunden vor der fiktiven äußeren Gren-ze des Solsysterns und damit lächerliche sie-beneinhalb Lichtstunden von Terra entfernt.

Nacheinander trafen die Bestätigungender einzelnen Flottenkontingente ein, daß sieihre Angriffspositionen erreicht hatten.

Noch vor Wochen waren in Stabskreisendie Aspekte terranischer Defensivstrategiensehr konträr diskutiert worden. Die Vermu-tung, daß die gefürchtete Aagenfelt-Barriereim Unterlichtflug umgangen werden konnte,hatte indes erst vor kurzem ihre Bestätigunggefunden. Die letzte Gewißheit verdankteder Mascant SEELENQUELL. Er konnte eskaum erwarten, Terra fallen zu sehen.

Jede Tonta, die verstrich, erschienKraschyn als verlorene Zeit. Andererseitshatte er keine Wahl, als auf SEELEN-QUELLS endgültiges Angriffssignal zu war-ten. Nichts geschah ohne Grund. HandKraschyn ahnte, daß sein Herr auf dem fer-nen Arkon einen Trumpf bereithielt. Erkannte die Terraner oder glaubte dies zumin-dest. Sie würden eher bis zum letzten Atem-zug kämpfen, als zu kapitulieren. Vor allemwaren sie in der Lage, sich ihrer Haut zuwehren. Kein Arkonide hatte das Debakelim System von Boscyks Stern vergessen.Acht Terra-Monate waren vergangen, seitKeon'athor Zeirron achttausend Schlacht-schiffe über Olymp in den Untergang ge-führt hatte.

Mit der Eroberung von Ertrus hatte Mas-cant Kraschyn diese Schmach ausgeglichen.Nicht umsonst hatte SEELEN-QUELL ihnzu seiner Hand und zum Befehlshaber überdie vereinte Imperiumsflotte gemacht, umdie Emporkömmlinge und Plagegeister vonLarsaf III zur Räson zu bringen.

Viele Arkoniden befürchteten über Terraein ähnliches Schicksal wie bei BoscyksStern. Vor allem in den unteren Rängen kur-sierte das Gerücht einer aussichtslosenSchlacht, bei der mehr als die Hälfte allerSchiffe von vornherein auf den Verlustlistenstanden. Vereinzelte Flüsterpropagandasprach sogar von »Kanonenfutter«, was

letztlich bedeutete, daß Raumsoldaten ihr ei-genes Wohlergehen über das Wohl des Hu-hany'Tussan stellten - eine Insubordination,der Hand Kraschyn mit aller Härte begegne-te. Allein während der letzten zehn Tontashatte er vierundzwanzig Arbtanen von ihrenPositionen entfernen und nach Arkon depor-tieren lassen. Gemessen an der Größe derFlotte, waren 24 Fälle ein verschwindendgeringer Promillesatz. Kraschyn hätte wegenAufrufs zur Meuterei und Hochverrats dieTodesstrafe aussprechen können, schon umeventuelle Mitläufer abzuschrecken, aberSEELENQUELL hatte anders entschieden.

Zufrieden betrachtete Mascant Kraschyndas große Hologramm des Solsystems, demeinige untergeordnete Arbeitsplätze in derZentrale der AUMOKJON hatten weichenmüssen. Die Position jedes imperialen Schif-fes war markiert - ein eindrucksvolles, ver-schiedenfarbiges Lichtermeer.

Das Gros bewegte sich augenblicklich mitachtzig Prozent der Lichtgeschwindigkeitaus vier Hauptrichtungen auf das Sonnensy-stem zu. Jeweils 70.000 Kampfschiffe stie-ßen von beiden Seiten nahezu senkrecht aufdie Ekliptik herab, ihr Ziel waren die inne-ren Planeten.

Drei keilförmig gestaffelte Angriffswellenwürden in kurzen zeitlichen Abständen dieTerraner überrennen.

Die erste Linie bestand aus Schweren undLeichten Kreuzern. Ihre Pulks bildeten dieKeilspitze und sollten nicht nur die vermute-ten Minenfelder ausfindig machen, sonderndie Verteidiger in ersten Gefechten binden.

Die Minen, denen im System von Bos-cyks Stern zu viele Einheiten der 17. Impe-rialen Flotte zum Opfer gefallen waren, be-reiteten Mascant Kraschyn Kopfzerbrechen.Es gab eine Handvoll arkonidischer Agentenim Solystem. Wenige Wochen nach demFeldzug gegen Ertrus war an sie der Befehlergangen, die Lage der Minenfelder zu er-mitteln und nach der offiziellen Kriegserklä-rung ein KorraVir auszusetzen.

Die nach Arkon weitergeleiteten Daten-sätze hielt Kraschyn für falsch. Zu glauben,

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daß es tatsächlich nur drei verminte Regio-nen abseits aller Schiffahrtsrouten gab unddie Heimat der Terraner ansonsten ungehin-dert angeflogen werden konnte, fiel ihmschwer. Entweder waren die Celistas geziel-ten Falschinformationen aufgesessen, wasan sich schon schwer zu glauben war, oderdie LFT hatte alle Tarnexistenzen aufge-deckt. Letzteres nötigte Hand Kraschyneinen gewissen Respekt ab, weckte aber zu-gleich Zweifel, ob die Schwächung der Ver-teidiger durch ein frühzeitiges Freisetzenneuer KorraVir-Varianten gelungen war.Die Spezialfrequenzen blieben, abgesehenvon einem leichten Hintergrundrauschen,tot.

Die Kontingente drei und vier rücktennicht aus entgegengesetzten Richtungen ge-gen Sol vor, sondern im rechten Winkel zu-einander. Die Keilformation war hier deut-lich ausgeprägt und hing mit den planetarenKonstellationen zusammen.

Entlastung sollten die Kontingente einsund zwei bringen, deren Aufgabe die Siche-rung der inneren Planeten war. Merkur undVenus erschienen dabei ebenso entbehrlichwie die Jupitermonde. Menschliche Psycho-gramme verrieten genug über die demorali-sierende Wirkung, die zum Beispiel einAtombrand auf einer dieser Welten halsenwürde. Lediglich Terra selbst und Trokanmit dem Zugang zur Brücke in die Unend-lichkeit würden verschont bleiben.

Der zweiten Angriffswelle gehörten dieEliteeinheiten der Flotte an, die schwerstbe-waffneten Superschlachtschiffe der Tender-Klasse, aber auch die Mehrzahl der800-Meter-Schlachtschiffe.

Mit zwei zehntel Tontas zeitlichem Ab-stand würde die dritte Welle mit den schnel-len Tender-Beibooten und einer Vielzahlvon Jägern und Jets folgen. Für sie existiertekeine scharf umrissene Strategie, sonderndie Order, situationsbezogen zu operieren.Das bedeutete Entlastungsangriffe ebensowie die Vernichtung angeschlagener terrani-scher Einheiten.

Die Thronflotte ARK'IMPERION, die für

alle Nichteingeweihten in die Angriffsstrate-gie eingebunden erschien, würde mit demAngriffssignal zurückfallen und bestens ge-sichert erst in den hinteren Linien einfliegen.

Zehn terranische Minuten waren seit demEnde der Überlicht-Etappe vergangen. Im-mer deutlicher erfaßten die Fernortungen diewartenden terranischen Verbände und fügtensie in das Gesamtholo ein. Der Mascant kamnicht umhin, den Terranern zuzugestehen,daß sie ihre Schiffe strategisch optimal pla-ziert hatten.

Nicht nur die besseren Waffensystemeentschieden eine Raumschlacht, sondern dieTaktik, mit eigenen kalkulierten Verlustenden Gegner maximal zu schwächen undschließlich mit den kämpfstärksten Verbän-den die Schlacht zu entscheiden.

Die Minenfelder blieben den Fernortun-gen verborgen. Um die Massetaster zu irri-tieren, bedurfte es nur einfacher Anti-Ortungssysteme.

Zwanzig terranische Minuten … Demdümmsten Terraner mußte bereits klarge-worden sein, daß die Imperiumsflotte denDurchbruch auf normal lichtschneller Basisvollziehen wollte.

Hand Kraschyn gab den Befehl an die ro-botgesteuerten Experimentalschiffe. Fünf-hundert Einheiten unterschiedlicher Größegingen in den Hyperraum - Augenblickespäter registrierten die Ortungen heftigsteExplosionen rund um das Solsystem.

Ein grimmiges Lächeln umspielteKraschyns Mundwinkel. Von nun an wäh-rend der folgenden halben Tonta würdenTausende mit Energie vollgepumpte Transi-tionssonden für ein stetes Feuerwerk in denMinenfeldern sorgen. Dann, so hoffte HandKraschyn, mußte SEELENQUELL den end-gültigen Angriffsbefehl erteilen.

Die Meldung von den Ortungen kamüberraschend.

Eine Flotte aus mindestens vierzigtausendgroßen Einheiten war soeben auf der ande-ren Seite des Solsystems materialisiert.Noch ließen die Auswertungen Details ver-missen, aber Massewerte und energetische

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Signaturen entsprachen den Werten vonFragmentraumern.

Vierzigtausend kampfstarke Schiffe derPosbis? Für einen Augenblick war HandKraschyn versucht, die oberhalb der Ekliptikanfliegende 12. und 13. Imperiale Flotte ausder Strategie herauszulösen und die Frag-mentraumer anzugreifen, doch die erstenPosbis gingen schon wieder in den Über-lichtflug.

*

Seit der Meldung der IBN BATTUTA ausdem Orion-Delta-Sektor stand Pearl TenWafer unbeweglich hinter ihrem Sessel. Die Un-terarme auf der Rückenlehne aufgestützt,wirkte sie so starr wie ein Standbild, was ihrbei der Besatzung des Flaggschiffs frühzei-tig den Spitznamen »Statue« eingebrachthatte. Der kompakte Körperbau mit 1,40Metern Schulterbreite bei einer Größe vonnur 1,55 Metern ließ die Epsalerin fast mitden Umrissen ihres Spezialsessels ver-schmelzen.

Die Aktualisierung der eigenen Ortungs-daten inklusive der extern überspielten Mes-sungen - Raumforts und planetare Stationenscannten mit allen zur Verfügung stehendenMitteln die Umgebung des Sonnensystems -schritt gedankenschnell voran. In den Or-tungs- und Panoramaholos schwoll die arko-nidische Präsenz erschreckend an.

Die schlimmsten Befürchtungen wurdenzur Gewißheit. Dreihundertundachtzigtau-send arkonidische Kampfschiffe aller Klas-sen hatten den Hyperraum zwei Lichtstun-den jenseits der Plutobahn verlassen und for-mierten sich zu kleinen Verbänden, die aufbreiter Front Kurs auf die inneren Planetennahmen.

Detailaufnahmen ließen ahnen, daß dergegnerische Befehlshaber seine schwer ar-mierten Einheiten mit Pulks von kleinerenund wendigen Schiffen umgab. Natürlichschreckte er davor zurück, die größte Feuer-kraft frühzeitig zu binden. Die Strategie warnicht neu und schon gar nicht überraschend.

Schließlich gab es Gesetzmäßigkeiten wieBeschleunigungsvermögen, Wendigkeit, Ar-mierung und Potential der Defensivschirme,die nur ein wahnwitziger Feldherr ignorierenkonnte.

Vom unteren Zentraleniveau aus beobach-tete Perry Rhodan die Hologramme und dievor dem Scheitelpunkt des halbrundenRaumes von allen Plätzen aus einsehbarenAuswertungen. In Lesegeschwindigkeit ver-änderten sich die Darstellungen. Zurücklie-gende Werte konnten von jeder Arbeitsstati-on aus erneut abgefragt werden.

Über Armbandkom stand Perry Rhodan inpermanenter Verbindung mit Reginald Bullund dem Ersten Terraner, Maurenzi Curtiz.In der Kommunikationszentrale des Flagg-schiffs als Relaisstation erfolgten die Ver-schlüsselung und die Raffung.

»… da draußen braut sich das Unheil zu-sammen, und ich sitze hier in der SolarenResidenz, als hätte man mich aufs Altenteilabgeschoben. Perry, ich beschwöre dich…«

»Abgelehnt!« entschied der Residentknapp.

Zum Glück gab es keine Bildverbindung.Bullys Schnauben ließ vermuten, daß er sichin dem Moment puterrot färbte.

»Erzähle mir nichts von nötiger morali-scher Unterstützung. Die braucht kein Terra-ner. Außerdem steht Maurenzi für die Vor-Ort-Betreuung zur Verfügung.«

»Soeben wurde die Befehlsbasis der An-greifer ermittelt«, meldete Lauter Broch'tvon der Ortung. »Die arkonidische Flottewird nicht von ARK'IMPERION kontrol-liert, sondern von einem Superschlachtschiffder 1500-Meter-Trä-ger-Klasse. Die Signa-turen weisen das Schiff als die AUMOK-JON aus.«

»Unter dem Kommando von MascantKraschyn«, folgerte Rhodan. »Wenn er Er-trus verlassen hat, müssen wir davon ausge-hen, daß er ebenfalls eine Hand SEELEN-QUELLS wurde.«

»Kraschyn ist gefährlicher als dieser Ba-raschin, der zuletzt im Bereich Topsid dasSagen hatte«, kommentierte Bully. »Aber

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laß ihn nur kommen - ich habe mit ihm nochein Hühnchen zu rupfen.«

Es war Kraschyn gewesen, der mit der 17.Imperiumsflotte Topsid annektiert und diewirtschaftspolitische Delegation der LFT ge-fangengenommen hatte. In der Folge warBully nach Arkon deportiert worden.

»Ich frage mich, worauf die Arkonidenwarten«, unterbrach Rhodan, als ahne er,was seinen Freund bewegte.»Schätzungsweise zwanzig Prozent ihrerSchiffe vereinen achtzig Prozent der gesam-ten Feuerkraft, den Rest scheint Kraschynals Kanonenfutter opfern zu wollen.«

»Die vorliegenden Daten lassen nur zweiStrategien plausibel erscheinen«, meldetesich Curtiz zu Wort. »Entweder fliegt dieArmada direkt ein - was uns ausreichendZeit gibt -, oder die Schiffe gehen überra-schend in den Hyperraum. Die Verlustedürften in beiden Fällen identisch hochsein.«

»Da SEELENQUELL die Führer derwichtigsten Blues-Völker versklavt hat, be-sitzt er Zugriff auf die vereinigten Blues-Flotten«, sagte Rhodan.

»Also wartet Kraschyn auf Gataser, Ten-tra, Apasos und wie sie alle heißen?« Regi-nald Bull ließ eine deftige Verwünschungfolgen. »Sieht aus, als hätte sich alles gegenuns verschworen.«

»Ich kann dir leider nicht widersprechen,Reginald.«

»He, warum so förmlich? Damit hältst dumich nicht in der Etappe. Wenn es hart aufhart kommt, ist mein Platz an Bord einesSchlachtschiffs und nicht…«

»Es reicht, wenn einer von uns den Halsriskiert. Der andere muß sich um dieMenschheit…«

»Komm mir nicht auf die pathetischeTour, Perry. Ich hasse solchen Pessimismus…«

»Dann befehle …«Reginald Bull lachte heiser. »Befehl ver-

weigert. Es sei denn, du hast eine verdammtplausible Erklärung für mich.«

»Ortung!« dröhnte Pearl TenWafers Stim-

me durch die Zentrale der LEIF ERIKS-SON. Laut genug, daß Bully und Curtiz esüber Funk mithören konnten. »Da kommtwas auf uns zu! Eine neue riesige Flotte!«

»Blues?« ächzte der Erste Terraner Rho-dan antwortete nicht, denn in dem Momentmeldete sich Bre Tsinga über Hyperfunkvon Bord der PAPERMOON: »… es siehtso aus, als hätten wir es gerade noch recht-zeitig geschafft. Vierzigtausend Fragmen-traumer unterstehen meinem Befehl. Sollenwir angreifen, Perry, bevor die Arkoniden…?«

»Nein!« wehrte Rhodan entschieden ab.»Wir eröffnen das Feuer nicht!« Vierzigtau-send Fragmentraumer der Posbis als Ver-stärkung der Verteidigungslinien, das wardie Wende buchstäblich im allerletzten Au-genblick. Bei einem Heimatflotten-Bonusvon drei zu eins, also der Unterstützung derim Positronik-Modus fliegenden Schiffedurch NATHAN, benötigten die Angreiferallein 120.000 Einheiten, um die Posbis zuneutralisieren.

Wie gerne hätte er Bré in den Arm ge-nommen und ihr seine Dankbarkeit gezeigt.Sein Tonfall verriet das aber mit keiner Nu-ance. »Ich lasse dir die aktuelle Tot-Frequenz überspielen, Bré! Sag den Posbis,daß wir uns freuen, sie als Verbündete zuhaben.«

»Richtstrahl wird aktiviert!« meldete dieKommandantin. »Position der PAPER-MOON ist eingepeilt.«

Perry Rhodan hatte die Epsalerin nureinen Moment lang aus den Augen gelassen.Mit einer Behendigkeit, die ihr niemand zu-traute, hatte sie sich in ihren Sessel gewor-fen und die wichtigsten Kommunikations-schaltungen an sich gezogen. Unter ihrenHänden veränderte sich die Wiedergabe derSensorflächen in Gedankenschnelle.

»Verschlüsselung über NATHAN, Deko-dierung auf der PAPERMOON möglich.Kennung der Tot-Frequenz ist raus. Selbstwenn Arkoniden den Impuls auffangen, dieDechiffrierung dürfte ihnen nicht binnenStundenfrist möglich sein.« Sie lachte ge-

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preßt. »Bis dahin ist die Frequenz umge-stellt.«

Binnen Minutenfrist materialisierten dieersten Fragmentraumer im Sonnensystem.Als letztes Schiff fiel die PAPERMOON ausdem Hyperraum.

»Wir haben es geschafft, Perry!« BréTsingas Konterfei stabilisierte sich nur zö-gernd und von Störungen überlagert.

»Danke, Bre. Das war gute Arbeit.«Spontaner Applaus erklang von den Sta-

tionen entlang der Podestrundung.»Okay, Leute«, rief die Kommandantin,

»das war die angenehme Seite! Aber zurückzum Ernst des Tages: SEELENQUELLSFlotte ist nach wie vor präsent.«

Es war 20.34 Uhr terranischer Standard-zeit. Exakt zwölf Sekunden später explodier-te zwischen Jupiter und Saturn die ersteschwere Transformsalve. Zwei VESTA-Kreuzer wurden zu lodernden Sonnen.

Im ersten ungläubigen Aufschrei ver-mochte niemand zu sagen, woher das Trans-formfeuer stammte. Dann brach die Höllelos.

Schlaglichter (5)

Die PHUKET gehörte zu einem Verbandvon 1600 Kugelraumern der PROTOS-Klas-se, die Saturn und seine Monde weiträumigabsicherte. Die Schiffe patrouillierten in ei-nem mittleren Abstand von ein bis zweiLichtminuten.

Einen zweiten, inneren Verteidigungsringbildete eine im Gegensatz zu den PROTOS-Raumern stationäre Flotte. Sie setzte sichvor allem aus Einheiten der ODIN- und derNOVA-Klasse zusammen, aber auch Kor-vetten und schnelle Jagdgeschwader gehör-ten dazu.

Die Order beider Verbände war klar um-rissen: Schutz des Blockadegeschwaders 2.Vernichtung eventuell durchdringender geg-nerischer Einheiten unter allen Umständenund um jeden Preis.

Die Position der vier WÄCHTER-Raumerlag südlich der verlängerten Polachse des

Saturn bei einer Distanz von achtzehnein-halb Millionen Kilometern. Im exakten Zu-sammenspiel schufen die Antennensystemeeine Teilprojektion der Aagenfelt-Barriere,die das Sonnensystem für im Hyperraum an-fliegende Raumschiffe nahezu unerreichbarmachte. Eine Interferenzzone gewisserma-ßen, die in Wechselwirkung mit allen be-kannten Überlichtantrieben einen Rücksturzentlang hyperenergetischen Verwerfungenauslöste.

Tirramy Jenssen, Ortungsoffizier auf derPHUKET, kratzte sich nachdenklich denkahlen, von Farblinien als Sinnbild seinerinneren Überzeugung überzogenen Schädel.Er hatte das hinter der Aagenfelt-Barrierestehende Prinzip nie richtig verstanden, aberdas war für ihn auch nicht wichtig. Solltensich die Hyperphysiker darüber die Köpfezerbrechen; ihm selbst reichte es, eine Auf-gabe zu haben und zwischendurch denKraftströmen dieses Universums nachzuspü-ren.

Manchmal, in ruhigen Stunden, glaubte erdie Kraft wie eine ungeheure Verlockung zufühlen. Das waren die seltenen Augenblickevölligen Glücks, in denen er losgelöst vonaller menschlichen Schwere in höhere Gefil-de aufzusteigen versuchte.

Vor Jahren hatten Freunde ihn dazu über-redet, einen medizinischen Test zu machen.Das Ergebnis war negativ ausgefallen - erbesaß nicht die geringste Veranlagung fürPsi-Fähigkeiten. Das zu erfahren hatte ihneine Stange Geld gekostet.

Heute hatte er die Freunde nicht mehr.Seine Welt war das stählerne200-Meter-Gefängnis der PHUKET, die bisvor kurzem auf Vermessungsmission imMilchstraßenhalo eingesetzt gewesen undvor zwei Standardmonaten ins Solsystemzurückbeordert worden war. Weit draußen,an der Grenze zum Nichts, hatte Tirramy dasLeben und die Einsamkeit genossen.

Die PHUKET war ein überwiegend auto-matisiertes Schiff. Im weitesten Sinn gehörtesie der LFT-Experimentalflotte an, wennauch nicht dem teilautonomen HOST-

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REMOTE-System. Im Gegensatz zu der210köpfigen PROTOS-StammbeSatzungkam »sein« Schiff mit 55 Crewmitgliedernaus. Er konnte stundenlang durch die Korri-dore laufen, ohne jemandem zu begegnen.

Die Schaltflächen veränderten sich ohnesein Zutun. Das war die Standard-Kontrollabfrage durch NATHAN.

Das Verteidigungsministerium hatte ihmfreigestellt, das Schiff zu verlassen. Er hatteabgelehnt. Weil dreieinhalb Jahre Welt-raum-Einsamkeit eine Spanne war, die sichnicht einfach wegwischen ließ. Außerdemhatte er sich an die Crew gewöhnt.

Als hätte Clifton seine Gedanken erraten,wandte er ihm kurz den Blick zu. Cliftonwar der Pilot. Auch er schien längst mit demSchiff verwachsen zu sein; vor allem verließer höchst selten die Zentrale. Jenssen warüberzeugt davon, daß Clifton ihn bis ans En-de des Universums fliegen würde, wenn ernur darum bat.

… in einigen Wochen, sobald wir wiederdraußen im Halo sind, schoß es ihm durchden Sinn. Mit Zeige- und Mittelfinger derrechten Hand tippte er sich an die Schläfeund lächelte. Clifton erwiderte die Gesteebenso wortlos und wandte sich wieder denKontrollen zu.

Das Hauptholo zeigte den Saturn in vollerGröße, umgeben vom filigranen Ringsy-stem, das in der Aufsicht eine unglaublicheFarbenpracht offenbarte. Die Schlagschattender Monde wirkten wie winzige Tunnel -Wurmlöcher in eine andere Zeit. Was sichaußerhalb des Sonnensystems anbahnte, hat-te Tirramy von den Schirmen gelöscht. DieArkoniden demonstrierten Stärke, aber siewürden über kurz oder lang unverrichteterDinge abziehen.

»Nie und nimmer wird Terra ein zweitesErtrus.« Ungewollt hatte er seine Gedankenausgesprochen. In der Stille der Zentrale, inder sich nur das Raunen der Luftumwälzungmit den schwach wahrzunehmenden Trieb-werksvibrationen vermischte, klang seineStimme wie ein Sakrileg. Eine steile Falteerschien auf Cliftons Stirn.

»Ich glaube«, erklärte Tirramy, »wenndieser Tag zu Ende ist, haben wir dasSchlimmste hinter uns.«

Die Zeitanzeige sprang soeben auf 20.34Uhr um.

»Kurskorrektur«, kündete Clifton an.»Abweichung drei Strich neun wird kom-pensiert.«

Fast gleichzeitig reagierte die Distanzor-tung. Schon die ersten Daten ließen Jenssenerkennen, daß eine große Flotte im Sonnen-system materialisierte. Alle Lethargie fielschlagartig von ihm ab, er benötigte nichtlänger als zwanzig Sekunden, um die frem-den Raumer zu identifizieren. Annäherndwürfelförmige Schiffe mit einer Kantenlän-ge von zweitausend Metern und mehr, mitAufbauten und Auswüchsen übersät: Frag-mentraumer. Die auf Terra sehnsüchtig er-warteten Posbis waren endlich da.

Einige dieser Kolosse hielten Kurs aufden Saturn. Tirramy benötigte mehrere Au-genblicke, die Ortungsanalyse umzusetzen.Aber dann brüllte er los:»Ausweichmanöver, Clifton! Die fliegenKollisions…«

Gleißende Lichtfülle sprang von denSchirmen herab. Eines der Schwesterschiffeblähte sich wie eine Nova auf. Daß erlauthals schrie, registrierte Jenssen schonnicht mehr, denn das Chaos griff in dersel-ben Sekunde nach der PHUKET.

Der Raum rings um das Schiff schien auf-zureißen und den Raumer verschlingen zuwollen. Die Energien überluden die sich auf-bauende Paratron-Schirmstaffel. Für einenaußenstehenden Beobachter mußte es denAnschein haben, daß sich ein halbes Dut-zend Aufrißfronten blitzartig dem Schiffentgegenfraßen.

Innerhalb von Sekunden wurde nahezudas halbe Unterschiff verwüstet und vonheftigen Explosionen in den Maschinenräu-men auseinandergerissen. Gierig fraß sichder Atombrand weiter, während diePHUKET, um mehrere Achsen wirbelnd,dem fernen Saturn entgegendriftete.

Tirramy Jenssen hatte vorübergehend das

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Bewußtsein verloren. Unheilvolles Prasselnund beißender Gestank, in dem sich Ozonund die Ausgasungen brennender Kunststof-fe vermischten, weckten ihn. Er blinzelte inden dichten Qualm, der die Zentrale erfüllte,und öffnete die Magnetgurte. Sein Griffnach dem im Nacken zusammengefaltetenRaumhelm blieb vergebens; aus unerfindli-chem Grund schaffte er es nicht, den Helmzu schließen.

Flammen leckten gierig durch den beißen-den Rauch. Die Löschvorrichtungen hattenversagt. Wahrscheinlich sah es nirgendwoim Schiff besser aus.

Erstickend legte sich der Qualm auf dieLungen. Tirramy schaffte es nicht, flacherzu atmen, die Gier nach Sauerstoff drohteseinen Schädel zu sprengen. Haltlos torkelteer weiter durch die beginnende Schwerelo-sigkeit, versuchte sich einigermaßen zu ori-entieren und riß sich an geborstenen Verstre-bungen das Gesicht auf. Warm quoll dasBlut über seine Lippen.

Explosionen erschütterten das Schiff; diePHUKET röchelte und wand sich wie einweidwundes Tier. Nach Luft ringend, warte-te Tirramy Jenssen auf die nächste Trans-formsalve, die allem ein Ende machen wür-de. Trotzdem zog er sich weiter, halb blindund ohne Orientierung. Nur der Wille zuüberleben trieb ihn an.

Eine Hand schloß sich um seinen Arm.»Zurück!« fraß sich eine Stimme in seineGedanken. Einen erschreckten Lidschlagspäter entstand mit ohrenbetäubendem Peit-schen ein Lichtbogen vor ihm. Hätte dieHand sich nicht in seinem Oberarm verkralltund ihn festgehalten, die hochenergetischeEntladung, die den Stahl zur Weißglut er-hitzte, hätte ihn zu Asche verbrannt.

Im flackernden Widerschein sah Tirramyein verzerrtes Gesicht neben sich. Die Hautund das künstliche Fleisch hingen in Fetzenherab, und nur das Metallskelett wirkte un-beschädigt.

»Clifton«, keuchte Tirramy. »Bring unshier raus!«

In seinen Schläfen dröhnte das Blut. Alles

um ihn herum drohte in einem rasendenWirbel zu versinken.

»Die untere Schiffshälfte existiert nichtmehr.« Nur mit Mühe verstand Jenssen, wasder Roboter sagte.

»Ich hätte nie erwartet, daß das Schiff ei-nes Tages sterben könnte. - Wie ist das, Tir-ramy, nicht mehr zu existieren?«

Jenssen spürte die beginnende Ohnmacht.Wie durch einen dichten Schleier hindurchregistrierte er, daß der Roboter das Zentrale-schott öffnen wollte. Aber Feuer und Rauchwaren überall, sie mußten zurück und einenanderen Weg suchen.

»Sterben …« Tirramy entsann sich derFrage. »Das ist… wie ein Energieausfall.Aus … vorbei … du nimmst nichts mehrwahr.«

»Ich habe mich an das Leben gewöhnt.Und an das Schiff. Ich will nicht - abge-schaltet werden.«

Tirramy hustete qualvoll. Der Blutge-schmack im Mund schien auch von der Lun-ge aufzusteigen, die von den Dämpfen zer-fressen wurde.

»Du bist ein Roboter, Clifton, wie vielehier an Bord. Und auf anderen Schiffen…Niemand fragt dich, was du willst…«

»… leben, Clifton. Wie ein Mensch. -Glaubst du, daß ich das jemals kann?«

Sie hatten den Notschacht erreicht. Hierwogte der beißende Qualm weniger dicht.Der Roboter löste die Verriegelung. Es gabSprossen in dem Schacht, an denen sie sichentlanghangeln konnten.

Tirramy verkrallte die Hände um die er-sten beiden Griffe, seine Finger verkrampf-ten sich schier. »Ich … schaffe es nicht. Gehdu voraus…«, brachte er kaum noch ver-ständlich hervor.

»Du bist mein bester Freund«, wider-sprach der Roboter »Entweder gehen wirbeide …«

Die Speicherbänke der PHUKET explo-dierten. Ihre spontan freigesetzten Energienverbrannten das Schiff in einem flirrendenPartikelregen.

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Der Anfang vom Ende

Die hochgezüchtete Technik erwies sichals wertlos. Die Frühwarnstationen an derPeripherie des Sonnensystems zeigten un-verändert das Bild der im Unterlichtflug be-findlichen arkonidischen Armada. Demnachwürden bis zu den ersten Gefechten nochgut eineinhalb Stunden vergehen.

Die Transformsalven im Herzen des Son-nensystems redeten eine andere Sprache.

Perry Rhodan spürte, wie sich alles in ihmverkrampfte. Woher nahm er die Gewißheit,daß Energie- und Masseortungen die Reali-tät zeigten? Wer sagte ihm vor allem, daßdie Verteidiger nicht einem gewaltigen Blufferlagen? Vielleicht gaukelten Virtuellbildnerfalsche Daten vor, und die Imperiale Flottehatte in einem neuartigen Ortungsschutz dieAagenfelt-Barriere längst überwunden.

Diese List wäre einer Superintelligenzwürdig gewesen. Hatte er nicht unterbewußtständig damit gerechnet, von SEELEN-QUELL überrascht zu werden?

Jedes Aufblitzen im großen Hologrammstand für ein vernichtetes terranischesRaumschiff, und die Verteidiger schafften esnicht, den unsichtbar bleibenden Gegner zulokalisieren. Wie ein Flächenbrand weitetesich die Front aus. Das in Saturnnähe statio-nierte Blockadegeschwader geriet in Be-drängnis.

Die eingeblendete Zeitanzeige hatte denAngriff auf die beiden VESTA-Raumer alsBezugspunkt.

Plus eineinhalb Minuten … Die unsicht-baren Angreifer waren endlich identifiziert:Fragmentraumer der Posbis hatten die äuße-re Verteidigungslinie um den Saturn durch-brochen. Im Schutz ihrer Relativschirme umSekundenbruchteile in die Zukunft entrückt,waren sie zu schwer faßbaren Phantomengeworden. Zumal die Verteidiger weiterhinnicht begreifen wollten, daß ihre Freunde ur-plötzlich zu erbitterten Gegnern gewordenwaren.

Perry Rhodan fühlte eine unendliche Lee-

re. Die vierzigtausend Fragmentraumer, diewie Wölfe in eine Schafherde eingefallenwaren, konnten alle Hoffnungen zunichtemachen.

Zehneinhalb Minuten … Der ersteWÄCHTER im Bereich Saturn scherte an-geschlagen aus dem Verband mit den ande-ren Schiffen aus. Die Schlacht wurde mit al-ler Härte geführt, aber selbst einige hundertHaluterschiffe, die soeben eingriffen, konn-ten die Schwächung der Aagenfelt-Barrierenicht mehr verhindern.

Vier weitere Blockadegeschwader wurdenvon den Posbis bedrangt. Im nachhineinzeigte sich, daß ein Viertel aller Fragmen-traumer strategisch exponierte Positionen imSonnensystem angeflogen hatte. Die Vermu-tung, daß die Fernortungen der Imperiums-flotte die Standorte einiger WÄCHTER er-mittelt hatten, lag auf der Hand. Wenn Ar-koniden und Posbis unter SEELENQUELLSFührung gemeinsam angriffen, wurden allestrategischen Planungen zu Makulatur.

Einundzwanzig Minuten … ZwischenMars und Uranus brannte das Sonnensy-stem. Eine andere Umschreibung dafür hattePerry Rhodan nicht.

Die Posbis liefen Amok, sie nahmen aufihre eigene Existenz wenig Rücksicht. Kor-raVir vermochte sie ebensowenig zu stoppenwie die Überlegenheit der Heimatflotte, dievon NATHANS weiterhin vorhandener syn-tronischer Schnelligkeit profitierte. Die vonden ertrusischen Emotionauten gesteuertenENTDECKER schlugen Racheengeln gleichblitzschnell zu und brachten den Posbisschwere Verluste bei - das Blatt wendenkonnten sie indes nicht.

Im Funkäther herrschte ein wirres Durch-einander Die Zahl der Notrufe, von automa-tischen Sendern abgestrahlt, aber auch vonSchiffbrüchigen, die in ihren Schutzanzügeninmitten von Wracks trieben, schwoll unauf-haltsam an.

Fünfunddreißig Minuten … Die Blocka-degeschwader vier und sechs existiertennicht mehr Ihr Ausfall ließ die Aagenfelt-Bar-riere endgültig zusammenbrechen. Schon

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unmittelbar zuvor hatten einzelne Imperi-umsraumer den Metagrav-Überlichtflug un-beschadet innerhalb des Solsystems beendet.

Auch der Opfergang vieler Haluter hatteden Ausfall der Barriere nicht verhindernkönnen. In Kamikaze-Manier hatten sich dievierarmigen Riesen von Halut mit ihren Ku-gelraumern auf die Posbi-Schiffe gestürztund damit Erinnerungen an das fünfzigtau-send Jahre alte Erbe ihrer Ahnen geweckt.

Vierzig Minuten … Für Terra begann derKampf ums nackte Überleben. In zwei An-griffswellen fielen die imperialen Schlacht-schiffe aus dem Hyperraum, eine dritte Wel-le stand zweifellos bevor.

Wer gehofft hatte, diesen Krieg mit demRücken zur Wand führen zu können, mußteerkennen, daß die Heimatflotte zwischenPosbis und Arkoniden aufgerieben wurde.Erschreckend war vor allem, wie schnellsich das Unglaubliche vollzog.

Perry Rhodan hatte es aufgegeben, dieZeitanzeige anzustarren. Der Untergang desSonnensystems geschah entsetzlich konse-quent.

Es war ein Sterben auf Raten, das nichtsund niemand mehr aufhalten konnte.

Nereid, der Neptun-Mond mit derschwankenden Umlaufbahn, wurde zu einerneuen, fahlen Sonne. Eine Arkonbombe hat-te den unlöschbaren Atombrand gezündet.Triton hingegen würde in Kürze auf seineMutterwelt stürzen.

Auch zwei Uranus-Monde, Umbriel undTitania, zeigten Bahnabweichungen. Ursa-che waren ebenfalls die durch Transformsal-ven ausgelösten Stoßfronten.

Die permanent eintreffenden Verlustmel-dungen zu überblicken war unmöglich ge-worden. Es gab keine Blockadegeschwadermehr; und die wenigen Schiffe der WÄCH-TER-Klasse, die der Vernichtung entkom-men waren, wurden von arkonidischen Jagd-geschwadern gehetzt.

Überall brachen die Verteidigungslinien,falls sie überhaupt jemals wirklich Bestandgehabt hatten. Wo immer die einzelnenSchiffe sich noch vom Gegner losen konn-

ten, zogen sie sich mit kurzen Überlicht-Etap-pen in den Bereich zwischen Mars und Ve-nus zurück.

Sie sammelten sich zum letzten Aufgebotgegen SEELENQUELL. Perry Rhodan warsicher, daß jeder an Bord, egal ob Terrage-borener oder Bürger einer Kolonialwelt, dieWiege der Menschen bis zum letzten Atem-zug verteidigen würde.

Die Haluter zogen sich ebenfalls zu deninneren Planeten zurück. Sie hatten schwer-ste Verluste erlitten, und wenn die Daten ei-nigermaßen zuverlässig waren, lebte nichteinmal mehr die Hälfte der Bestiennachfah-ren.

Die Ironie des Schicksals schmerzte. Einezunehmende innere Kälte lahmte Rhodanund hinderte ihn daran, sich von der holo-graphischen Darstellung abzuwenden. Esgab kaum noch eine Koordination, sogarNATHAN schien die Kontrolle völlig ent-glitten zu sein.

Erst vier Stunden war der neue Tag alt,aber das Sonnensystem außerhalb des Aste-roidengürtels befand sich in arkonidischerHand.

Rhea, Titan, Hyperion, 1980S26 - es gabkeine Hoffnung, daß eine der menschlichenSiedlungen oder auch nur eine Forschungs-station die Angriffe überstanden hatte. SEE-LENQUELL dachte offenbar nicht daran,die terranische Wirtschaftskraft dem Huha-ny'Tussan einzuverleiben, er wollte den Wi-dersacher ein für allemal ausschalten.

Thebe, Io, Kallisto, Carme - wie blutrün-stige Insektenschwärme hingen Fragmen-traumer über den Jupitermonden und riegel-ten sie ab.

In all dem Chaos hatte die LEIF ERIKS-SON bislang keine Schäden erlitten. Achtüberschwere Transformkanonen für Kaliberbis zu 4000 Gigatonnen TNT sowie zwanzigGeschütze mit jeweils 2000 Gigatonnen Ab-strahlkapazitat verwandelten das Flaggschiffin eine schwer angreifbare Festung. Hin-sichtlich ihrer Feuerkraft waren die ENT-DECKER den früheren Ultraschlachtschif-fen mit 2500 Metern Durchmesser durchaus

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vergleichbar.Allerdings wurde die Materialschlacht all-

mählich auch hier zum Problem. Nicht ein-mal Schiffe wie die LEIF ERIKSSON ver-fügten über unbegrenzte Munitionsvorräte.Vor allem die großen Kaliber benötigten be-achtliches Lagervolumen, und nach stunden-langem Dauerfeuer gähnte Leere in den Ma-gazinen.

SEELENQUELLS letzte Offensive be-gann. In nicht enden wollender Zahl mate-rialisierten arkonidische Schlachtschiffe in-mitten der neu formierten Reihen der Vertei-diger. Ihre Breitseiten wurden für die Mann-schaften der Heimatflotte zur Apokalypse.Tausende neuer kleiner Sonnen blähten sichhoch über Terra auf. In jedem dieser Feuer-bälle starben Hunderte Männer und Frauen,ihr Leben wurde von einer Sekunde zur an-deren ausgelöscht.

Ungläubig starrte Rhodan auf die Darstel-lung im Hologramm, die sich nur auf einenkugelförmigen Raumsektor mit etwa sechzigLichtsekunden Radius erstreckte. Das warkeine Raumschlacht mehr, sondern ein Mas-saker.

»Alle Kampfhandlungen einstellen!«keuchte er. »Gib den Befehl zum Rückzugunserer Schiffe, NATHAN. Wir geben dasSonnensystem auf.«

Die Antwort bestand aus einer Einblen-dung.

»Kein Funkkontakt möglich. Starke hype-renergetische Störfronten; das Gravitations-gefüge bricht zusammen. Achtung: heftigstetektonische Beben im Bereich Eurasien undentlang der westamerikanischen Küste! DerErdmantel bricht auf; San Francisco und LosAngeles versinken in Magma. Auf Hawaiiwerden die Vulkane aktiv. Die Erdachse be-ginnt zu kippen; das ist ein Polsprung - in-nerhalb von Stunden wird…«

»Aufhören!« keuchte Rhodan. »DiesenWahnsinn akzeptiere ich nicht - keinesfallswerde ich zusehen, wie die Erde untergeht.Das kann nicht einmal SEELENQUELLSAbsicht sein.«

»Die Simulation wird eingestellt«, ver-

kündete NATHAN lapidar.»Ich zweifle die Hochrechnungen an. Sie

sind nicht repräsentativ …«»Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 94,8

Prozent, Resident. Das ist es, was du wissenwolltest.«

Knapp zweieinhalb Minuten hatte NA-THANS Simulation in Anspruch genom-men. Auf den Schirmen der Direktbeobach-tung loderten noch immer die Glutbälle derbeiden VESTA-Kreuzer. Die Ortungen zeig-ten, daß der überraschende Feuerschlag Me-thode hatte. Transformexplosionen markier-ten viele Positionen, an denen Fragmen-traumschiffe den Hyperraum verlassen hat-ten, teils in bedrohlicher Nähe zu denBlockadegeschwadern.

Mit einem unwilligen Kopfschütteln ver-scheuchte Perry Rhodan alle aufkeimendenErinnerungen an Troja und ein hölzernesPferd …

Nahezu die Hälfte aller Posbi-Räumerhatte mittlerweile die Relativschirme akti-viert und verbarg sich Sekundenbruchteile inder Zukunft. Mit den gebräuchlichen Or-tungsparametern waren sie nicht mehr zu er-fassen.

Mancher Kommandant hatte noch vorkurzem die massiven Sicherheitsvorkehrun-gen für die WÄCHTER mit einem Achsel-zucken abgetan. »Vergeudetes Potential …Was soll innerhalb des Systems schon ge-schehen?« Daß die Vorsicht sich auszahlte,wurde jetzt offenbar. Massierte Verbändeder Heimatflotte stellten sich den Fragmen-traumern entgegen.

Schockiert registrierte Rhodan die nüch-ternen Zahlen, die NATHAN übermittelte:achtunddreißig vernichtete terranischeSchiffe innerhalb weniger Minuten. Das be-deutete mehrere tausend Tote. Und dieSchlacht um Terra hatte noch gar nicht rich-tig begonnen. Welch ein Wahnsinn! KeinWunder, daß NATHAN aufgrund dieserEntwicklung den Untergang des Solsystemsvorhersah.

Er hätte es wissen müssen. Zumindest ah-nen, daß SEELENQUELL mit den Posbis

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sein Spiel trieb. Um wieviel effektiver wardieser Schachzug, als eine Blues-Flotte zuentsenden. Die Terraner selbst hatten SEE-LENQUELLS fünfter Kolonne Tür und Torgeöffnet.

Auch diese Überlegungen wischte PerryRhodan heftig beiseite. Für Selbstvorwürfewar nicht die Zeit.

Vierzigtausend Fragmentraumschiffe bil-deten keine unüberwindbare Streitmacht.Solange die Blockadegeschwader ihre Posi-tionen beibehielten und die doppelte Redun-danz wirksam blieb, war der ImperialenFlotte ein wirksames Eingreifen verwehrt.Das bedeutete eine Galgenfrist von weitüber einer Stunde, in der es möglich seinmußte, den Fehler zu korrigieren.

.Selten hatte Rhodan sich ähnlich schlechtgefühlt. Die Posbis waren und bliebenFreunde, die bislang lieber ihre eigene Exi-stenz geopfert hätten, als die Menschheit an-zugreifen. Daß das nicht immer so gewesenwar, gehörte längst der Geschichte an. Jetztexplodierten Fragmentraumer unter dem ge-meinsamen Gegenschlag der LFT und derHaluter.

Die Aagenfelt-Barriere hatte Priorität.Perry Rhodan erteilte Befehl, die vorbereite-ten KorraVir-Varianten abzustrahlen.

Fünf Minuten seit dem überraschendenFeuerüberfall … Den Terranischen Residen-ten interessierte nicht, wie die Arkonidenauf die neuen KorraVir-Abarten reagierenwürden. Hier und jetzt galt es, die Geisterloszuwerden, die man selbst gerufen hatte.Ein Ausfall der syntronischen Elemente aufden Fragmentraumern bedeutete zumindesteine Schwächung ihrer Schlagkraft, und dar-auf kam es an. Alles andere würde sich zei-gen.

*

Die unvermittelt ausgebrochene Raum-schlacht im Solsystem wurde in den Ortun-gen zu einem gewaltigen Leuchtfeuer. Zwei-fellos konnten die Explosionen noch in eini-gen Dutzend Lichtjahren Entfernung ange-

messen werden.Feinmessungen bestätigten die eben erst

eingetroffene Flotte der Posbis als Aus-gangspunkt der schweren Explosionen. Dar-auf hatte SEELENQUELL also gewartet.Die syntronischbiologischen Roboter alsVoraustrupp, der die Verteidigung der Ter-raner von innen heraus lahmlegte.

Ein grimmiges Lächeln erschien aufKraschyns Zügen. So unproblematisch hatteer sich den Feldzug gegen Terra nicht vorge-stellt.

Jäh zuckte er zusammen. Daß SEELEN-QUELL in ihm war, in seinen Gedanken,daran hatte er sich längst gewöhnt - dochdiesmal dröhnte die innere Stimme überlaut.

Die Flotte der Fragmentraumer kämpftauf seiten des Göttlichen Imperiums. JedeFaser seines Körpers vibrierte unter dem un-geheuren Klang, der keinen Platz mehr ließfür sein eigenes Ich. Die Aagenfelt-Barrierewird in der nächsten zehntel Tonta ausge-löscht sein. - Befiehl den Angriff, HandKraschyn! Dir steht ein leichter Sieg bevor.

Nur noch wenige Augenblicke. Der Mas-cant ließ den Kodeimpuls abstrahlen. Nichtmehr als zwei Lidschlage wurden vergehen,bis die glorreiche Flotte ihr Ziel erreichte.

Im Heimatsystem der Terraner wurde hef-tig gekämpft. Aus nicht einmal mehr einein-halb Lichtstunden Distanz hatte es den An-schein, als wären einige Welten dem Unter-gang geweiht.

Umschalten der Bordsyntroniken auf Po-sitronik-Modus… Natürlich hatten die Ter-raner gegen die Posbis KorraVir eingesetzt.Ein daraus resultierender Ausfall eigenerSysteme hätte für Arkon nur unnötige Verlu-ste bedeutet.

Es ist soweit, Hand Kraschyn! dröhnte dielautlose Stimme. Greife an!

*

Die Katastrophe begann in Saturnnahe,als über achthundert Fragmentraumer denäußeren Verteidigungsring sprengten. OhneRücksicht auf eigene Verluste, wie dies nur

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Robotern oder psychisch konditionierten Le-bewesen zu eigen war, folgten sie unbeirrtihrem Kurs.

Mit der Präzision einer tödlichen Maschi-nerie rollte das Geschehen ab. Weitere Frag-mentraumer beendeten ihre Überlicht-Etap-pe nahe dem Ringplaneten und eröffneteneine neue Front.

Im Salventakt feuerten die Transformka-nonen. Aus einiger Distanz hatte es den An-schein, als schiebe sich vom Saturn aus eineFeuerwalze durch den Raum. TerranischeJets und Jäger verglühten in den sonnenhei-ßen Energien wie Motten, die einer offenenKerzenflamme zu nahe gekommen waren.

Über ein zunehmend größeres Gebiet wir-belten im Atombrand verglühende Wracktei-le. Wie Schemen durchpflügten dazwischendie kantigen Fragmentraumer das Areal undnäherten sich unaufhaltsam dem Blockade-geschwader.

Der Funkverkehr zwischen vielen Schif-fen und ihren Beibooten brach weitgehendzusammen. Allein die speziellen Frequenzenzu NATHAN, die der Heimatflotte dieÜberlegenheit im Positronik-Modus sicher-ten, blieben ungestört.

Mitten im Kampfgebiet fiel die LEIFERIKSSON aus dem Hyperraum. IhreSchirmfeldstaffel war dem Zusammenbruchnahe, als ein Trümmerschwarm durchflackernde Strukturrisse abgeleitet wurde.Das Ausweichmanöver beanspruchte dieAbsorber bis an den Rand ihrer Leistungsfä-higkeit.

Aus allen Geschützen feuernd, hatte dasFlaggschiff sich in ein Tod und Verderbenspeiendes Monstrum verwandelt. Das Ru-moren in den Maschinenräumen durch-schlug alle Schallisolierungen und verrietdeutlich, daß der LEIF ERIKSSON das letz-te Quant abgefordert wurde.

Die abgeschirmte Hyperfunk-Standleitungzu NATHAN übermittelte auf extremerBandbreite alle Rechenoperationen der übereinen K-Damm abgesicherten Großsyntro-nik an die Schiffe der Heimatflotte. Die Ge-samtkapazität des Mondgehirns war dafür

abgestellt, mit der Folge, daß auf der Erdeund den anderen Planeten im übertragenenSinn die Lichter erloschen. Nur die wirklichlebensnotwendigen Funktionen hatten wei-terhin Bestand.

NATHANS Rechenoperationen ergabeneine gigantische Simulation der Raum-schlacht, in der die Gesamtfunktionen jedeseinzelnen Raumschiffs bis ins Detail erfaßtwaren. Im Mikrosekundenabstand gingendie aktualisierten Ergebnisse auf mehrerenhunderttausend Hyperfunkkanälen gleichzei-tig an jeden Raumer zurück. NATHANSsyntronische Schnelligkeit verschaffte derHeimatflotte den Vorteil in einem Kampf, indem wegen KorraVir-Gefahr alle Schiffs-syntroniken abgeschaltet wurden.

Lediglich die acht Trägerraumschiffe derENTDECKER-Klasse verfügten über denVorteil der SERT-Steuerung. Jeder Emotio-naut im Pilotensitz verschmolz schier mitseinem Schiff. Die Hirnstrome aktiviertennicht Muskeln, sondern Triebwerke undWaffensysteme und reduzierten Reaktions-zeiten auf ein Minimum.

Rock Mozun offenbarte eine schier un-glaubliche Leichtigkeit im Umgang mit demRaumriesen, die im Vorfeld niemand fürmöglich gehalten hätte. Er wuchs über sichselbst hinaus. Rhodan fragte sich nur, wielange der Ertruser diese Anspannung durch-halten konnte, bevor er zusammenbrach.

Innerhalb weniger Minuten zerstörte dieLEIF ERIKSSON fünf Fragmentraumer.Extremer Punktbeschuß überlastete dieSchirmfelder der Posbis, die jeweils nächsteSalve durchschlug die verwehenden Parat-ronenergien und verwandelte ganze Rumpf-segmente in brodelnde Schmelze.

Rock Mozun begnügte sich damit, dieFragmentraumer kampfunfähig zu schießen.Die im Innern ausbrechenden Brände wür-den die Schiffe ohnehin allmählich ausglü-hen lassen.

Erst siebzehn Minuten waren seit demEintreffen der Posbis vergangen - obwohlsogar Perry Rhodan sich des Eindrucks nichterwehren konnte, die Kämpfe tobten schon

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seit Stundenfrist -, als ein Schiff des Blocka-degeschwaders 2 von einem Fragmentrau-mer gerammt wurde.

Beinahe grotesk wirkten die Versuche derBesatzung, mit Metagrav und Unterstützungder Impulstriebwerke eine Lagestabilisie-rung zu erreichen, während das nahezu zurHälfte aufgerissene Unterschiff von schwer-sten Explosionen erschüttert wurde. Torpe-dos, die der ebenfalls angeschlagene Frag-mentraumer aus kürzester Distanz abfeuerte,ließen den WÄCHTER zeitlupenhaft lang-sam auseinanderbrechen.

»Ich konnte nicht rechtzeitig eingreifen«,stieß Rock Mozun hervor. »Die Posbis fie-len aus dem Hyperraum und …«

Der Fragmentraumer verglühte in einerKettenreaktion. Es war ein schaurigesSchauspiel der Vernichtung.

Mit nicht einmal zweihunderttausend Ki-lometern Distanz zu den anhaltenden Explo-sionen fiel die LEIF ERIKSSON dem Saturnentgegen.

Zwei Posbi-Raumer versuchten, dasFlaggschiff in einer Zangenbewegung zurammen, doch Mozun änderte Sekunden-bruchteile vor der Kollision den Kurs, undseine Transformsalven rissen einen Frag-mentraumer schier auseinander. Der Rumpfdes anderen brach etwas später auf, und ausden meterdicken Rissen quoll atomare Glutwie aus den aufbrechenden Flanken einesVulkans.

Dicker Schweiß stand dem Emotionautenim Gesicht. Er schien es nicht einmal wahr-zunehmen.

Die Hiobsmeldung, daß alle vier Schiffedes sechsten Blockadegeschwaders vernich-tet worden waren, kam keineswegs mehr un-erwartet. Noch konnte der Verlust durch das24. Geschwader kompensiert werden. Aberwohl nicht auf Dauer. Die Posbis schienennur ein Ziel zu kennen, den Fall der Aagen-felt-Barriere.

NATHAN meldete verstärkten Funkver-kehr außerhalb des Sonnensystems, als be-reiteten die Arkoniden sich auf den Zusam-menbruch der Aagenfelt-Barriere vor. Inner-

halb von Sekunden konnten sie dann die Er-de erreichen.

Erkennen zu müssen, daß er sich selbstbelügen, daß er sich an den vermeintlichenSchutz der Hyperraumsperre geklammerthatte wie ein Ertrinkender an einen mor-schen Ast, war für Perry Rhodan die bitter-ste Erkenntnis seit langem. Er hätte es wis-sen müssen. Trotzdem wehrte er sich nochimmer gegen die Vorstellung, das Solsystemaufgeben zu müssen.

Vielleicht blieben den Menschen nur nochMinuten, vielleicht eine halbe Stunde …Stets hatte Perry Rhodan schnelle Entschei-dungen getroffen. Diesmal konnte er esnicht. Er hatte die Augen geschlossen undhorchte tief in sich hinein. Ein unheimlicherDruck schnürte ihm die Kehle zu, und umseinen Brustkorb zogen sich unsichtbareBänder schmerzhaft zusammen. Die Impulsedes Aktivatorchips spürte er als Pochen inder Schulter, das ihn zusätzlich quälte.

Aber nach wie vor zögerte er, die schwer-ste Entscheidung seines Lebens zu treffen.

Durfte er das Leben von Millionen Raum-fahrern opfern, um die Invasion vielleichtnoch aufzuhalten? Auf die Gefahr hin, daßdie freiwerdenden Energien eine Instabilitätdes Sonnensystems heraufbeschworen?

Oder - der Gedanke erschien ihm trotz al-lem unerträglich - war die Kapitulation dereinzige Weg, unglaubliches Leid zu verhin-dern?

Schlaglichter (6)

»Wir müssen handeln«, sagte Vualgomter Hoyes und erschrak selbst über seine be-legte Stimme. »Wenn wir jetzt nichts unter-nehmen, machen wir uns ebenso schuldigwie alle anderen.«

»Das Massaker ist nicht aufzuhalten.«Die Lippen zusammengepreßt und die

Augen zusammengekniffen, schaute terHoyes in die Runde. Dreißig Männer undFrauen hatten sich versammelt. Die spärli-che Beleuchtung zeichnete harte Schattenauf ihre Gesichter. Vualgom spürte ihre An-

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spannung, aber ihm selbst erging es keinenDeut anders.

Was sie vorhatten, grenzte an Wahnsinn.Andererseits würden sie ohnehin sterben -davon war der Dor'athor, Dreimondträgerund Kommandant des Schweren KreuzersKANTH-YRRH, überzeugt. Nur sollte dieGeschichte - sofern diese Galaxis nicht inSchutt und Asche versank und sich niemalsmehr davon erholte - später nicht behauptenkönnen, es hätte keinen Widerstand gege-ben.

An den Fingern einer Hand glaubte terHoyes abzählen zu können, daß seit derAusrufung des Huhany'Tussan einiges nichtmehr so war, wie es den Anschein hatte. Mitdieser Meinung stand er längst nicht mehrallein da. Die Machtergreifung Seiner Erha-benheit Imperator Bostich II. hatte vieleKhasurn vor den Kopf gestoßen. Nicht nurdie verwirrende Schnelligkeit, mit der Bo-stichs I. tragischer Tod im Feuer terranischerKampfroboter akzeptiert worden war, son-dern vor allem der Verstoß gegen jede Tra-dition, der den neuen Imperator an dieMacht gebracht hatte, zwang zur kritischenAuseinandersetzung mit den vermeintlichenTatsachen.

Bis vor wenigen Tagen war der Name En-zon da Bostich auf den Welten des TigaRanton unbekannt gewesen. Niemand hatteje von seiner Existenz gehört. Allein die ver-blüffende Ähnlichkeit mit seinem Vater fielauf. Andererseits waren sie sich fast schonzu ähnlich.

Fragen dieser Art zu stellen war gefähr-lich, weil ihnen der Ruch von Ungehorsamanhaftete. Aber Vualgom ter Hoyes hatteBostich I. Treue geschworen. Er glaubtenicht an das Attentat. Daß ausgerechnet TA-RA-V-UH-Kampfroboter den Mordanschlagverübt haben sollten, warf ein denkbarschlechtes Bild auf die geheimdienstlichenSicherheitsvorkehrungen.

Der Dor'athor ahnte, daß Imperator Bo-stich I. ganz im Gegensatz zu den Verlautba-rungen noch lebte und lediglich ein Opferhöfischer Intrigen geworden war, eines

Machtkampfs hinter den Kulissen wie schonso oft in der wechselvollen Geschichte desarkonidischen Imperiums. Mit dieser Über-zeugung stand er keineswegs allein.

Seine Erhabenheit Imperator Bostich I.hatte Arkons Ruhm und Ehre zu neuemGlanz geführt. Er war der Begründer desneuen Tiga Ranton, des Arkon der DreiWelten.

Hingegen war schon ter Hoyes' erster Ein-druck von Enzon da Bostich sehr zwiespäl-tig ausgefallen. Spontan hatte er geglaubt,die Augen einer Marionette zu sehen. Undwer immer im Hintergrund die Fäden zog,war im Begriff, Arkon im Kampf um Terrazu schwächen.

Der Widerstand umfaßte fünfundzwanzigSchiffe, zu denen sogar zwei Schlachtkreu-zer der 17. Imperiumsflotte gehörten. AberPal'athor nert Neuthel hatte ebenso wie terCorden die Führung Vualgom überlassen.

»… wir dürfen nicht länger zögern. Ent-weder handeln wir sofort oder nie. Ich fürmeinen Teil bin bereit, die Folgen zu tra-gen.« Gumpar nert Neuthel spreizte zur Eh-renbezeigung die Beine und schlug sich mitder zur Faust geballten Rechten auf die linkeBrustseite. »Mein Leben für Arkon. Es lebeSeine Erhabenheit Imperator Bostich I.«

Die grimmige Entschlossenheit aller wardeutlich zu spüren.

»Was ist mit den Besatzungen …?« platz-te ein Orbton heraus.

Ein leicht verächtlicher Zug umfloßPal'athor ter Gordens Mundwinkel. »UnsereVorkehrungen sind ausreichend. Währenddes Angriffs können die Hauptfunktionennicht unterbrochen werden, die Zugänge zuden Zentralen werden abgeriegelt. Zugleicherfahren die Mannschaften, daß wir Enzonda Bostich nicht als Imperator anerkennenund daß Imperator Bostich I. möglicherwei-se nach Celkar deportiert wurde.«

»Für Arkon! Für das Huhany'Tussan!«dröhnte ein vielstimmiger Chor. Augen-blicke später war die Versammlung aufge-löst. Die Befehlshaber der etwas entfernte-ren Raumer verließen die KANTH-YRRH

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auf dem Transmitterweg. Zu den Schiffendes Lakan, also der Zehnergruppierung,wurden die Fähren ausgeschleust.

Vualgom ter Hoyes nickte knapp, als erwieder die Zentrale betrat. Von den achtdiensttuenden Offizieren waren fünf einge-weiht.

Im Solsystem tobten heftige Kämpfe zwi-schen Posbis und Terranern. Der Dor'athorverstand nicht, weshalb. Die syntronischbio-logischen Roboter von der Hundertsonnen-welt galten als treue Verbündete der LFT.Aber das schien das Wirken einer unbekann-ten Kraft im Hintergrund zu bestätigen. Nie-mand glaubte der terranischen Propaganda,die von einer negativen Superintelligenzsprach. Sie sollte in der Galaxis entstandensein und nutzte angeblich das Vakuum, dasES mit seinem Rückzug in den PULS vonDaGlausch hinterlassen hatte.

Die Terraner verschanzten sich schon im-mer hinter übermächtigen Wesenheiten undkosmischen Bestimmungen, aber sie offen-barten damit nur eine fatale Überheblichkeit,mit der sie ihr spätes Erscheinen auf der ga-laktischen Bühne zu kompensieren versuch-ten. Vualgom entsann sich eines tiefschür-fenden galaktopsychologischen Vortragswährend seines Studiums. Demnach hattendie Terraner nie akzeptieren wollen, daß sienur Nachkömmlinge der Lemurer waren, ausdenen lange vor ihnen die Arkoniden her-vorgegangen waren. Anstatt sich wie jünge-re Geschwister dem Wort der Älteren zu fü-gen, strebten sie von Anfang an nach derVorherrschaft.

Wie nannten sie die angebliche Macht imverborgenen? SEELENQUELL …

Ein absurder Name für eine noch absurde-re Behauptung. Vualgom ter Hoyes wischtealle diesbezüglichen Überlegungen beiseiteund konzentrierte sich darauf, die Haupt-funktionen auf seinem Pult zusammenzuzie-hen. Der Angriff auf das Solsystem standunmittelbar bevor.

Wie in Trance gab Vualgom das verein-barte Signal. Wenige Augenblicke bis zumEintauchen in den Hyperraum. Hinter ihm

erklang das typische Fauchen der Schocker,mit denen die nicht eingeweihten Offiziereaußer Gefecht gesetzt wurden. Die Zentralewar bereits abgeriegelt.

Eintritt in den Metagrav-Vortex - undnicht einmal einen Lidschlag später derRücksturz. Knapp eine halbe Million Kilo-meter voraus die gewölbtelliptische Platt-form THEK-LAKTRAN. Zwei Bogengradrechts die 1500-Meter-KugelZHYM'RANTON. Im unmittelbaren Umfeldacht 500-Meter-Schlachtkreuzer.

Aus allen Rohren feuernd, stürzten sichdie Kreuzer der Rebellen auf die Thronflot-te. In der KANTH-YRRH schwoll derLärmpegel an.

Heftiges Abwehrfeuer schlug dem Schiffentgegen und brachte die Schutzschirme anden Rand des Zusammenbruchs.

Die QUERTAN unter nert Neuthel scher-te angeschlagen aus dem Kurs aus und kolli-dierte mit einem anderen Schiff. Zusammen-bruch des Paratrons; ein unheilvolles Pras-seln übertrug sich ins Schiffsinnere.

Wie hatten sie nur so vermessen sein kön-nen, ARK'IMPERION anzugreifen, um mitEnzons Tod die Wahrheit zu erzwingen?

Die Wiedergabe in den Hologrammenund auf den Bildflächen veränderte sich er-neut. Ein riesiger Planet füllten den Erfas-sungsbereich aus. Farbbänder strukturiertenseine Atmosphäre, ein gewaltiger roter Wir-bel unterhalb des Äquators starrte den Arko-niden wie ein monströses Auge entgegen.Davor, fast schon zum Greifen nahe, die Sil-houette eines wild zerfurchten Mondes.

Jupiter, schoß es ter Hoyes durch denSinn, und Europa.

So banal diese Feststellung sein mochte,sie verriet ihm, daß die Aagenfelt-Barrierenicht mehr existierte. Zumal neben derKANTH-YRRH drei weiteren Kreuzern derDurchbruch gelungen war. Waren die ande-ren Schiffe im Abwehrfeuer der Thronflottevöllig verglüht?

Terranische Verbände standen voraus.Akzeptierten sie die Identifikation, die seitdem Rücksturz abgestrahlt wurde?

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»… sind Rebellen gegen Enzon da Bo-stich. Wir glauben nicht an eine legitimeMachtergreifung…«

Ein Schatten, den er aus den Augenwin-keln heraus wahrnahm, erschreckte Vualgo-ni. Im nächsten Moment blickte er in dieflirrende Abstrahlmündung eines Strahler.

Der Funkoffizier schaute ihn unbewegtan. »Du willst die Wahrheit wissen, Vual-gom? Die Terraner haben recht. Bostich I.ist nicht tot - sie selbst haben ihn von Ertrusentführt. Aber SEELENQUELL brauchteinen Imperator für das Volk.«

Die ersten regulären Flotteneinheiten ma-terialisierten. In unüberschaubarer Zahl fie-len die arkonidischen Kampfschiffe aus demHyperraum. Das war der Moment, in demder Erste Pilot vergeblich versuchte, demKommandanten zu Hilfe zu kommen, undvon einem Schuß tödlich getroffen zusam-menbrach.

»Ich Narr habe dir vertraut!« herrschteVualgom ter Hoyes den Funkoffizier an.

»SEELENQUELL will, daß die KANTH-YRRH in vorderster Front gegen die Terra-ner kämpft.«

Einen Aufschrei auf den Lippen, schnellteVualgom hoch. Er schaffte es gerade noch,den Arm mit der Waffe nach oben zu schla-gen. Siedendheiß fauchte der Glutstrahl anseinem Schädel vorbei und verbrannte ihmdas halbe Gesicht.

Ein mörderischer Hieb in die Magengrubeließ Vualgom taumeln. Ein Fußtritt schickteihn endgültig zu Boden. Aus weit aufgeris-senen Augen sah er, daß der Funkoffizier er-neut die Waffe auf ihn richtete - und dannfraß die tödliche Hitze sich in seine Brust.

Der Dor'athor erlebte nicht mehr, daßgleich darauf ein sonnenheißer Feuerball inder Zentrale entstand. Die Sprengkraft desterranischen Transformgeschosses zerfetzteStahlwände wie Papier und ließ den Kreuzerin brodelnder Glut vergehen.

Der Tod kam so schnell, daß viele Besat-zungsmitglieder ihn nicht einmal wahrnah-men.

Karthagos Fall

Es war still geworden in der Verwaltungder Solaren Residenz. Erschreckend still.Als wagten die Anwesenden nicht einmalmehr zu atmen. Dutzende Hologramme lie-ßen das Geschehen an exponierten Koordi-naten des Sonnensystems hautnah miterle-ben. Fassungslos sog nicht nur ReginaldBull die Bilder in sich auf.

»Wir haben den Bock zum Gärtner ge-macht.« Kaum einer verstand, was er mein-te. Allerdings war es keine Schande, die ar-chaischen Redewendungen nicht zu kennen,die Aktivatorträger mitunter von sich gaben.

Alles hatte Terra in den Griff bekommen:das Problem eingeschleuster Celistas ebensowie die Gefahr durch schlafende Agenten anBord der WÄCHTER-Raumer Aber nichteinmal NATHAN hatte in Erwägung gezo-gen, daß die Posbis als fünfte Kolonne SEE-LENQUELLS eine Lawine der Vernichtunglostreten könnten.

Transformsalven erschütterten das Raum-Zeit-Gefüge. Bebenartige Schockwellen ra-sten mit Überlichtgeschwindigkeit durch dasSonnensystem - wie die Wellenfronten, dieein ins Wasser geworfener Stein auslöst.Nur daß im Zentrum dieser Beben TausendeSchiffe Waffenenergien freisetzten, die anden Gravitationskonstanten rüttelten.

Der nach den ersten Zwischenfällen soforterrichtete Paratronschirm über Terra reagier-te mit Aufrissen. Selbst mit dem unbewaff-neten Auge waren sie von der Solaren Resi-denz aus zu sehen. Wie Polarlichter husch-ten flackernde Erscheinungen übers Firma-ment; wo sie aufeinandertrafen und mitein-ander verschmolzen, schien sich der Blick inder lichtlosen Schwarze einer übergeordne-ten Dimension zu verlieren. Sol stieß mehrProtuberanzen aus. Zumindest rasten dieMaterieschleier tiefer in den Raum hinaus.Die Stationen auf Merkur meldeten ein rapi-des Ansteigen der Strahlungs werte.

Aber auch das schien nur die Spitze desEisbergs zu sein, gemessen an der wirkli-

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chen Katastrophe, falls es den 380.000 arko-nidischen Einheiten gelang, ins Sonnensy-stem vorzudringen. NATHANS Simulationhatte die zu erwartenden Folgen drastischaufgezeigt.

Die Vernichtung der ersten WÄCHTERmarkierte den Anfang vom Ende. Nochwährend Reginald Bull das Entsetzen in denGesichtern der Führungsmannschaft las, trafdie Nachricht vom Ausfall des Blockadege-schwaders 6 ein.

»Niemand braucht mich hier wirklich«,stellte er fest. »Ich sitze auf der Erde fest,während nur Lichtstunden entfernt über un-ser Schicksal entschieden wird. Mein Platzist in dieser Situation auf der VASCO DAGAMA. Maurenzi, du übernimmst …«

Ein Hologramm stabilisierte sich. Rhodanwar der Anrufer, und obwohl seine Abbil-dung von heftigen Störungen überlagertwurde, glaubte Bully den Schmerz zu füh-len, der aus Rhodans Augen sprach. »Es istnur noch eine Frage von Augenblicken, bisdie Aagenfelt-Barriere durchlässig wird. Daserste Blockadegeschwader ist vernichtet, dieanderen können ihre Position nicht mehrhalten.«

Bully war selbst überrascht, wie gefaßt erdie Mitteilung aufnahm. Er hatte geahnt, daßes so kommen mußte, sich bis eben aberhartnäckig gegen das unvermeidlich Schei-nende gesträubt.

Rhodans Gesicht zeigte den Schmerz unddie Verzweiflung eines Mannes, der sein Le-ben lang an das Gute geglaubt hatte. Für ihnbrach eine Welt zusammen. »AlternativplanKarthago tritt in Kraft!

Alles Gute, Reginald.«Der Terraner stockte, und nur Bully konn-

te wirklich erkennen, wie es um ihn stand.Zumal er ähnlich fühlte. Alles Gute, Regi-nald - die Worte klangen wie ein Abschied.

»Warte damit«, wollte Bully hervorsto-ßen. »Gib uns noch eine Chance!«. Er konn-te es nicht. Weil er wußte, daß er sich dannselbst hätte belügen müssen.

Sekundenlang stand der Verteidigungsmi-nister wie versteinert. Haß fühlte er nicht,

gleichwohl einen unbändigen Zorn, der ihmeinreden wollte, es wäre besser, mit fliegen-den Fahnen unterzugehen, als die Niederlagehinzunehmen.

Alternativplan Karthago - lange vorberei-tet und durchgerechnet - war ein Eingeständ-nis der eigenen Ohnmacht. Die Preisgabeder Erde. Ohne Chance, die Bevölkerung zuevakuieren. Gleiches galt für die übrigenWelten des Sonnensystems.

Es ging nur noch darum, Sol vor der völli-gen Zerstörung zu retten. Das war die Wahlzwischen Beelzebub und dem Teufel. DieHeimatflotte und alle befreundeten Raum-schiffe würden in Kürze die Flucht antreten,um von einer geheimen Position aus denWiderstand zu organisieren.

Du hast es gewußt, schoß es Bully durchden Sinn. Nur deshalb hast du mich nachTerrania geschickt.

»Laß die Solare Residenz startbereit ma-chen!« sagte Rhodan tonlos. »Ich habe vierENTDECKER angewiesen, sie sicher in denHyperraum zu bringen. - Bully, meinFreund…«

Das Hologramm begann zu verschwim-men. Sekundenbruchteile später starrte derMinister für Liga-Verteidigung ins Leere.

*

Alternativplan Karthagos Fall - bis ebenwar das nicht viel mehr gewesen als eine ab-strakte Größe, die das beruhigende Gefühlvermittelte, alle Eventualitäten bedacht zuhaben. Kaum jemand hatte jedoch ernsthaftin Erwägung gezogen, daß eine solche Si-tuation wirklich eintreten könnte.

Eine ungeheure Anspannung lag in derLuft. Auch ohne sich umzusehen, spürte Re-ginald Bull, daß jeder in der Hauptzentraleder Solaren Residenz auf eine Erklärungwartete.

Er verstand Rhodans Überlegungen.Trotzdem tat er sich schwer, die logischeKonsequenz nachzuvollziehen. Weil sie ihmangst machte. Er hätte eine Maschine seinmüssen, ein seelenloser Roboter, um das zu

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ignorieren.Angesichts der 380.000 Schiffe, die nach

dem Zusammenbruch der Aagenfelt-Barrie-re wie ein gefräßiger Heuschreckenschwarmins Sonnensystem einfallen würden, war nurzu verständlich, daß Perry Rhodan nichtüber dreißig Millionen terranische Raumfah-rer und 55.000 Haluter in den sicheren Todschickte. Die Toten hätten nur hinauszögernkönnen, was letzten Endes nicht mehr zuverhindern war.

Eine Stimme hallte durch die Zentrale,um Sachlichkeit bemüht und zugleich vollEmotionen. Sie meldete, daß die Aagenfelt-Barriere seit wenigen Sekunden nicht mehrexistierte.

Bully wußte in dem Moment, daß auch erkeine andere Entscheidung getroffen hätteals der Resident. Eine Schlacht war so gutwie verloren - aber noch lange nicht derKampf gegen SEELENQUELL, der würdejetzt erst richtig beginnen.

Der eigene Tonfall erschien Reginald Bullfremd, als er Befehl gab, die Antriebsanlagezu aktivieren.

Für den Fall eines vollständigen fünfdi-mensionalen Energieausfalls, der auch denAntigrav betreffen würde, der die Solare Re-sidenz in ihrer stationären Position einen Ki-lometer hoch über der Stadt verankerte, exi-stierte eine Not-Antriebsanlage. Im unterenBereich eines der vier nicht der Allgemein-heit zugänglichen Seitenflügel installiert,konnte das Notaggregat die Residenz sicherzu Boden bringen.

Im Vergleich mit Raumschiffen war dasBeschleunigungsvermögen der Stahlorchi-dee geradezu lächerlich gering; unter Vollastreichte es gerade aus, das Wahrzeichen Ter-ras in langsamem Flug bis in den Orbit auf-steigen zu lassen. Lediglich die Andruck-und Schockabsorber waren schon bei derPlanung für einen anzunehmenden Katastro-phenfall in raumflugtauglicher Kapazitätausgelegt worden.

Einige Senatoren hatten seinerzeit unver-hohlen von einer Überkapazität gesprochen,die jeglicher Rechtfertigung entbehrte, und

davon, daß die maschinelle Ausstattung Ent-scheidungsschwäche widerspiegelte. Für einausschließlich planetares Symbol waren dieAbsorber überdimensioniert, für ein Raum-schiff hingegen die Triebwerkskapazität ge-radezu blasphemisch. Irgendwann, wie sooft, hatten vollendete Tatsachen alle Argu-mente vergessen lassen.

Die Solare Residenz als Symbol ungebro-chenen terranischen Behauptungswillens -das sah der Alternativplan vor.

Minutenlang erschien es, als durchlaufeein unheilvolles Knirschen die schlanke Mit-telsäule. 1010 Meter Stahl und Sichtvergla-sungen, im oberen Drittel von den einwärtsgebogenen Flügeln belastet, neigten sich zurSeite wie eine schwere Orchideenblüte imWind. Der von der Lagestabilisierung ausge-löste Alarm legte die Nerven vieler Besat-zungsmitglieder blank. Die hektischen Ver-suche, die Abdrift zu kompensieren, ließendie Residenz zudem absacken.

Knapp einhundert Meter Höhenverlustwurden angezeigt, als LAOTSE, der aufBiopositronik-Betrieb umgeschaltete Zen-tralrechner, die manuelle Steuerung unter-brach.

Die Zeit wurde knapp. AufkommendeHektik war die Folge, die zu ignorierenmanchem schwerfiel. Mit knappen Befehlenließ Reginald Bull die Techniker ablösen,die die Fehlschaltung verursacht hatten.

Seit fünf Minuten materialisierten die ar-konidischen Kontingente im Sonnensystem.Obwohl die Heimatflotte fast schon ver-zweifelt Widerstand leistete, war die Nieder-lage abzusehen. NATHANS Unterstützungbrachte zwar Zeitgewinn, aber keinesfallsdie Wende. Hinzu kam die stete Bedrohungder Planeten durch Torpedos oder gar eineeinzige Arkonbombe, die den gestaffeltenKordon der Verteidiger durchdringen konn-ten.

Bis in dreißig Kilometer Höhe war dieSolare Residenz schon aufgestiegen, als end-lich die ENTDECKER über Terra erschie-nen. Es gab keine überflüssigen Fragen, kei-ne Abstimmungsprobleme. Die IBN BAT-

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TUTA, die DAVID LIVINGSTONE, dieJAMES COOK und die VASCO DA GA-MA nahmen die Residenz in ihre Mitte. Eswar Maßarbeit vom Feinsten.

Traktorstrahlen verankerten die gewaltigeMasse der Stahlorchidee zwischen den 1800Meter durchmessenden Raumschiffen, dielangsam wieder Fahrt aufnahmen.

Terrania City versank in der Nacht. Nurdie Raumhäfen der Metropole zeigten sichnoch in fahles Licht getaucht, aber auch sieverwischten letztlich zur Bedeutungslosig-keit.

In diesem Moment fragte sich ReginaldBull, ob er die Erde und ihre Menschen je-mals wiedersehen würde. Das Gefühl, Ab-schied nehmen zu müssen, war anders als infrüheren Zeiten. Diesmal waren nicht Larendie Gegner oder kosmische Naturgewaltenwie der Mahlstrom der Sterne, sondern eineWesenheit auf der nächsten Stufe der Evolu-tion.

Eine unangenehme Feuchtigkeit in denAugenwinkeln zwang Bully zum Blinzeln.Mit dem Handrücken fuhr er sich über dieLippen.

Die Grenze zum freien Weltraum war er-reicht. Kalt standen die Sterne in der samte-nen Schwärze. Davor Lichtblitze - fernnoch, aber in ihrer Vielzahl unübersehbarManche flammten auf, überstrahlten sekun-denlang die Sterne und erloschen ebensoschnell wieder, als hätten sie nie existiert.Andere schienen sich aufzublähen, sich aus-zudehnen wie kleine Novae, und ihrFlackern wirkte wie ein stummer Hilferuf.

Dazwischen Explosionen, ein scheinbaresWetterleuchten, das ein heftiger Sturmschnell näher trieb. Nur noch wenige Millio-nen Kilometer entfernt tobten die Kämpfe.Bully war sich klar darüber, daß die in Erd-nähe stehenden Schiffe der Heimatflotte erstdann fliehen würden, wenn der Solaren Re-sidenz der Eintritt in den Überlichtflug ge-glückt war.

Aber genau das wurde zum Wettlauf ge-gen die Zeit. Die Ausweitung des virtuellenHamiller-Punkts zum Metagrav-Vortex und

der gleichzeitige Aufbau der schützendenGrigoroff-Schicht mit einigermaßen vertret-barem Energieaufwand bedingten minde-stens die Hälfte der Licht- als Eintauchge-schwindigkeit.

Falls es zu Kampfhandlungen kam, wardie Residenz ausschließlich von ihren super-starken Schutzschirmen abhängig. Eine Of-fensivbewaffnung besaß das Symbol fürFrieden und Wiederaufbau nicht. Bei einerBeschleunigung von nur 300 Kilometern proSekundenquadrat standen ungemütliche Mi-nuten bevor Ziemlich genau 500 Sekun-den…

*

Mit einer Hand stützte Perry Rhodan sichan der Balustrade ab, die den erhöhten Be-reich der Hauptzentrale vom übrigen Halb-rund trennte, die andere verkrallte er im Ge-sicht, als könnte er auf die Weise seine Wor-te ungeschehen machen. Soeben hatte er dieschwerste Entscheidung seines Lebens ge-troffen. Er hatte die Erde aufgegeben und ih-re Bewohner SEELENQUELLS Zugriffüberlassen.

Sein Magen rebellierte. Unter der Schä-deldecke dröhnte ein gigantisches Hammer-werk, der Atem kam kurz und stoßweise.Das war der Moment, in dem er sich am lie-bsten den Aktivator aus der Schulter geris-sen und ihn an Bostich weitergegeben hätte,wäre es auf diese Weise möglich gewesen,die Zeit zurückzudrehen.

Dennoch hatte er richtig entschieden. MitUnterstützung der Flotte würde er aus demSektor Gamma-Cenix weiterhin Widerstandleisten. Partisanenkampf gegen eine Super-intelligenz - schon der Gedanke daran wäreihm vor nicht allzu langer Zeit aberwitzigerschienen.

Mit dem Zusammenbruch der Aagenfelt-Barriere hatten alle Schiffe der LFT-Heimatflotte das Signal Karthagos Fall er-halten. Den Bordpositroniken war von NA-THAN der bislang geheime Treffpunktübermittelt worden, achthundert Lichtjahre

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von Terra entfernt. Lediglich die Haluterwurden über eine eigene Frequenz und inabgesicherter Form informiert. Gleichzeitigließ Perry Rhodan Instruktionen an NA-THAN überspielen, die speziell für den Falleiner militärischen Okkupation Terras zu-sammengestellt worden waren und aus-schließlich für seinen Zugriff im Hauptrech-ner des Flaggschiffs bereitstanden.

Arkonidische Raumer materialisierten imSonnensystem, während zugleich die erstenSchiffe der Heimatflotte die Flucht ergriffen.Wirklich zum Kampf stellten sie sich nur imBereich der inneren Planeten, und es schienfast, als ahnte der gegnerische Befehlshaberden Start der Solaren Residenz.

Zwei Schlachtschiffe näherten sich derLEIF ERIKSSON. Rock Mozun reagiertemit einem materialzermürbenden Ausweich-manöver.

In dem Moment wurde aus der Medostati-on das Verschwinden Gaumarol da Bostichsgemeldet. Ein orientierungsloser Medorobotmit gelöschten Speichern war der einzigeZeuge.

»Findet ihn!« stieß Rhodan hervor. »Erkann das Schiff nicht verlassen haben.«

Arkonidische Kreuzer materialisiertenvoraus. Mozun riß das Schiff erneut aus demKurs und beschleunigte nahezu senkrechtzur Ekliptik. Die ersten Salven der Arkoni-den lagen zu kurz, zudem behinderten siemit den Explosionen sekundenlang ihre ei-gene Sicht.

Die kurze Zeitspanne genügte der LEIFERIKSSON für den Eintritt in den Hyper-raum… Sie fiel rund fünfzig Millionen Kilo-meter von der Erde entfernt in den Normal-raum zurück.

In Erdnähe gab es schwere Gefechte. Seitknapp fünf Minuten flog die Solare Resi-denz im Schlepp der vier ENTDECKER,aber die erreichte Geschwindigkeit von90.000 Kilometern pro Sekunde war noch zugering für einen Übertritt in den Hyperraum.Dreizehneinnalb Millionen Kilometer hattedie Stahlorchidee inzwischen hinter sich.

Kampfschiffe der Arkoniden eröffneten

das Feuer auf den Konvoi und wurden ihrer-seits von schnellen Verbänden attackiert.Mit jedem Augenblick erschienen weitereSchiffe beider Seiten. Noch 180 Sekunden …Rhodan hatte die Auflösung der verbliebe-nen Blockadegeschwader befohlen und dieKommandanten der WÄCHTER angewie-sen, Kampfhandlungen zu meiden und sichunverzüglich abzusetzen. Mehr als zwanzig-tausend Raumer aller Größenklassen wurdendamit an den bisherigen Standorten derBlockadegeschwader freigesetzt und standenals Fluchthelfer für die Residenz zur Verfü-gung. Mascant Kraschyn zog ebenfalls wei-tere Einheiten zusammen, um die nicht son-derlich flexible Flugroute der Residenz zuversperren. Falls er es noch nicht wußte,schien er zumindest zu ahnen, wie wichtigden Terranern das Symbol war Vorüberge-hend wurde Rhodan abgelenkt. Ein Such-trupp hatte Bostich bewußtlos vor einem Jä-gerhangar aufgefunden. Zweifellos hatte derImperator fliehen wollen. Seine Operations-wunde war aufgebrochen, und er hatte ziem-lich viel Blut verloren. Mehr Probleme be-reitete indes die Tatsache, daß er unterSchockeinwirkung stand. Aber sein Herzschlug noch.

»… wir sind zuversichtlich, ihn bald wie-der auf den Beinen zu haben. Er hat nichtnur die Konstitution eines Ochsen, sondernzugleich einen eisernen Willen. Jeder anderean seiner Stelle wäre schon nach der halbenDistanz zusammengebrochen.«

»Das war sein erster und letzter Flucht-versuch.« Ungewollt hart fuhr Perry Rhodanden Mediker an. »Du bist ab sofort für Bo-stich verantwortlich. Ich hoffe, wir habenuns verstanden.« Noch ehe sein Gegenüberantworten konnte, unterbrach Rhodan vonsich aus die Interkomverbindung.

Die Entfernung der vier ENTDECKERund ihrer Fracht zur Erde hatte sich inzwi-schen nahezu verdoppelt.

Ein Stöhnen hallte durch die Zentrale desFlaggschiffs, als mindestens einhundertfünf-zig arkonidische Schlachtschiffe in der Flug-bahn des Konvois materialisierten. Ihre

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Transformgeschütze feuerten im Salventaktund errichteten eine schier undurchdringli-che Mauer aus Energie, der die Stahlorchi-dee nicht mehr entkommen konnte.

*

So also sah das Ende aus. An einen fried-lichen Tod glaubte Reginald Bull seit einerEwigkeit nicht mehr, genaugenommen seiter den ersten, damals noch eiförmigen Zel-laktivator erhalten hatte. Aber im Feuer ar-konidischer Transformgeschosse und Im-pulsgeschütze zu sterben war eine andereSache.

Die Geschichte von Kain und Abel kamin ihm hoch. Wie Kain seinen Bruder aufdem Feld erschlagen hatte, so schickten dieArkoniden sich an, ihre Geschwister zu be-siegen. In Flugrichtung massierten sich dieimperialen Schlachtschiffe. Es war ein leich-tes, festzustellen, daß die Residenz zu einemjähen Kurswechsel nicht in der Lage war,der die gegnerischen Kräfte noch einmalhätte ins Leere laufen lassen.

45 Prozent der Lichtgeschwindigkeit in-zwischen, das bedeutete 135.000 Kilometerpro Sekunde. Und noch fünfzig Sekunden…

Tausende explodierender Transformge-schosse ließen eine künstliche Sonne entste-hen, einen Glutball, der in Sekundenbruch-teilen bis zu dreihunderttausend KilometernDurchmesser anschwoll und dem weder dieSolare Residenz noch die ENTDECKERentkommen konnten. Vierhundertfünftau-send Kilometer Distanz. Viel zuwenig fürein Ausweichmanöver.

Drei Sekunden Frist. Ein einziger entsetz-ter Gedanke: Überlichtmanöver!

Vergeblich. Die Glut verschluckte die So-lare Residenz. Reginald Bull hörte sich nochschreien, als das alles verzehrende Feuervon den Schirmen herabsprang und dieWände durchdrang.

Dann herrschte Schwärze. Ein seltsamzeitloses Empfinden.

Glockenhelles Lachen erklang von ir-

gendwoher. Hinter den aufgestellten Getrei-degarben lugte für einen kurzen Moment einroter Haarschopf hervor. Bully sog den wür-zigen Duft der Halme ein, der sich mit demschweren Aroma feuchter Erde vermengte.Bis vor einer Stunde hatte es wie aus Kübelngeschüttet, nun stach die Sonne wieder zwi-schen den Wolken hervor, und in der Ferneverblaßten die Reste eines prächtigen Re-genbogens. Bully stapfte los. Er achtetenicht darauf, daß die Stoppeln seine blankenFußsohlen zerstachen.

Bis er endlich die Garben umrundet hat-te, war Tess verschwunden. Sie, die einzigein der Klasse, die ihn nicht den kleinenDicken nannte wie die anderen, und derenSommersprossen ihn seit dem Moment faszi-niert hatten, als sie ihm unter der Schulbankblitzschnell das Science-Fiction-Magazinweggezogen und es somit vor Miss MablesZugriff gerettet hatte. Weit in fremde Weltenentrückt, war ihm entgangen, daß Miss Ma-ble ihn, mit hochrotem Kopf schon zum drit-tenmal aufgerufen hatte.

»Träumst du wieder?« Lautlos hatte Tesssich von hinten angeschlichen und versetzteihm einen freundschaftlichen Stoß zwischendie Schulterblätter. Bully taumelte. SeinVersuch, sich an den Garben festzuhalten,ließ die wacklige Konstruktion zusammen-brechen. Er stürzte… … ein endloses Gefühldes Fallens. Wie lange schon? Die Erinne-rung wurde von jäher Panik verdrängt. Ir-gendwo keimte der Gedanke, daß derSprung in den Hyperraum zwar geglücktwar, aber die übergeordnete Dimension dieResidenz nicht wieder freigab. Eine Ewig-keit schien dieser Zustand schon zu währen.

Andere Erinnerungen brachen in ihm auf.Rote Augen blickten ihn an. Eisig kalt

und arrogant. Thora hieß die Frau, und siewar Arkonidin. Auf dem Mond gestrandet.»Mister Bull, falls Sie und Major Rhodandas Schiff wirklich fliegen wollen, sollten Sieendlich Ihren Platz einnehmen…«

Die Stimme wich dem Aufheulen desAlarms, der dem Rücksturz aus dem Über-lichtflug folgte. Eine Fülle fremder Sterne

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stand im Zentralholo, das Abbild des Sek-tors Gamma-Cenix, daran konnte es keinenZweifel geben.

Tief atmete Reginald Bull ein. Die unmit-telbare Gefahr war vorüber, die Emotionau-ten der Geleitschiffe hatten es geschafft, inexakter Synchronisation die Grigoroff-Schichten ihrer Metagrav-Triebwerke aufdie Solare Residenz auszudehnen und gera-de noch rechtzeitig in den Hyperraum einzu-dringen, ehe die entfesselten Energien dieSchutzschirme überluden und die Schiffe inexpandierende Gaswolken verwandelten.

Rings um den Konvoi materialisiertenRaumschiffe. Tausende innerhalb wenigerMinuten, Einheiten der Heimatflotte ebensowie die schwarzen Kugelraumer der Haluter.

*

Auch Stunden später fühlte Perry Rhodansich innerlich immer noch wie betäubt.Überraschend vielen Schiffen war die Fluchtgelungen, aber der Preis dafür war die Erde,das Sonnensystem, war die Preisgabe derMenschheit.

5823 Raumer wurden vermißt, davon1483 Schiffe der Haluter. Ihre Zerstörungdurch Posbis oder Arkoniden galt als sicher.Gut 200.000 Schiffen war die Flucht nahezuunbeschadet gelungen; nach wie vor einestarke Flotte. Rund 25.000 Einheiten hattenden Sektor Gamma-Cenix zwar schwer be-schädigt, aber aus eigener Kraft erreicht; et-wa zehntausend davon mußten wohl oderübel aufgegeben werden, da eine Reparaturderzeit unmöglich erschien.

In aller Eile wurden ihre Besatzungen aufandere Schiffe verteilt, während Räumer mitweniger schwerwiegenden Schäden von denTendern aufgenommen wurden. Unter ande-rem standen fünfzig Tender der Matrix-Klasse zur Verfügung, jeder mit einer Repa-raturkapazität für acht ODIN- und zweiund-dreißig 100-Meter-Raumer.

Vor dem Weiterzug der terranischen Flot-te meldete sich der Haluter Mon Vanta samtseiner verbliebenen Schiffe ab. Die vierar-

migen Riesen von Halut sahen ihre Aufgabeinzwischen darin, ihr Heimatsystem für denFall vorzubereiten, daß SEELENQUELLauch Halut zu annektieren gedachte. PerryRhodans Angebot, die freigesetzten Blocka-degeschwader für die Verteidigung Halutsabzustellen, lehnte Mon Vanta ab.

»Sie müssen sich nicht verpflichtet füh-len, den Blutzoll wiedergutzumachen, denwir für die Verteidigung der Erde zahlenmußten. Soll und Haben gegeneinander auf-zurechnen, Terraner, ist nicht das, was eineFreundschaft ausmacht. Halut muß seineneigenen Weg finden. Terranische Blockade-geschwader kommen darin jedenfalls nichtvor. Leben Sie wohl, Rhodanos!«

Und als hätten die letzten zehn Stundennicht schon genug Hiobsbotschaften bereit-gehalten, traf zu allem Überfluß von Bordder LOVELY BOSCYK die Meldung ein,daß Major Roi Danton kurz vor dem Rück-zugsbefehl sein Raumschiff mit einem Ein-Mann-Jäger der USO verlassen hatte. SeinFlugziel war unbekannt. Es gab keine Le-benszeichen mehr von ihm.

Die Menschen hatten ihre Heimat verlo-ren. Der Schock darüber saß tief, und dievolle Tragweite der Geschehnisse wurdevielen erst allmählich bewußt, nachdem dieunmittelbare Bedrohung durch Posbis undArkoniden einer distanzierteren Betrachtunggewichen war. Vor allem an Bord der Sola-ren Residenz, deren Besatzung sich nichtnur aus Raumfahrern zusammensetzte, gabes eine Vielzahl psychischer Zusammenbrü-che.

Über Funk erfuhr Reginald Bull von derKommandantin der LEIF ERIKSSON, daßPerry Rhodan sich in seine Kabine zurück-gezogen hatte und wenigstens für kurze Zeitungestört sein wollte.

Zweifellos war auch für ihn eine Welt zu-sammengebrochen.

Epilog

Terrania lag unter einer dichten Wolken-decke, und obwohl die Morgensonne schon

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eine Handbreit über dem Horizont stand, la-stete Düsternis auf den leeren Häuser-schluchten. Seit Stunden regnete es in Strö-men; die verdunstende Nässe deckte Nebel-schwaden wie ein Leichentuch über dieStadt.

Nur wenige Menschen sahen die riesen-hafte Kugel der AUMOKJON, des Flagg-schiffs des Mascanten Hand Kraschyn, überdem Residenzpark niedersinken.

Eine Schleuse im unteren Rumpfdrittelöffnete sich, und ein Traktorstrahl setzte ei-ne einzelne Gestalt auf terranischem Boden

ab. Diese Gestalt war auf eigenartige Weisezweigeteilt: Morkhero Seelenquell, der sei-nen Platz auf dem nackten Rücken des Ter-raners Julian Tifflor gefunden hatte.

Beide achteten nicht auf den strömendenRegen, der ihnen ins Gesicht peitschte.

Es war eine einsame Szene, als Morkherohalblaut verkündete: »Hiermit nehme ichTerra für SEELENQUELL in Besitz!«

E N D E

Das Undenkbare ist geschehen - der Kampf zwischen Arkon und Terra entlud sich in einergroßen Raumschlacht, und SEELENQUELL spielte seinen großen Trumpf aus. Spätestensnach dem Fall Karthago ist klar, daß die junge Superintelligenz ihre neue Macht immer stär-ker ausweiten wird. Wie sich die angeschlagene Menschheit damit auseinandersetzen wird,muß sich noch zeigen.

Mit dem PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche, den H. G. Francis geschriebenhat, wechselt wieder einmal die Handlungsebene - hin zu einer Galaxis, in der die Gescheh-nisse nur auf den ersten Blick keinen Bezug zur Milchstraße haben. Der Roman erscheint un-ter folgendem Titel:

DIE FALLE DER SAMBARKIN

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Kommentar: Krisenfall Karthago

Die Ereignisse überschlagen sich förmlich. Nichteinmal einen Monat nach ihrem Entstehen zeigt diejunge Superintelligenz SEELENQUELL mehr als deut-lich die Krallen: Der Flottenaufmarsch im nur 815Lichtjahre von Terra entfernten Orion-Delta-Systemwird forciert und erreicht schließlich 380.000 Einheitendes Huhany'Tussan.

Überdies kontert SEELENQUELL Imperator Bo-stichs Entführung von Ertrus auf höchst unorthodoxeWeise - die ehemalige Hand wird fallen gelassen wieeine heiße Kartoffel, schlicht und einfach »für tot er-klärt« und mit einer erschreckenden Geschwindigkeitdurch den Nachfolger Enzon da Bostich ersetzt, an-geblich Gaumarol da Bostichs unehelicher Sohn unddesignierter Kristallprinz, fortan Seine ErhabenheitBostich II.

Das fingierte Attentat auf Urankan-5, für die galakti-sche Öffentlichkeit inszeniert und für diese eindeutigvon terranischen TARA-V-UH-Kampfrobotern vollzo-gen, ist zugleich auch der (zusätzliche) Vorwand, dieLFT anzugreifen. Gaumarol da Bostich, den nun allefür tot halten, ist plötzlich keineswegs mehr dieTrumpfkarte, mit deren Hilfe zum Widerstand gegenSEELENQUELL aufgerufen werden könnte, sondernAnlaß, daß Imperator Bostich II. der LFT am 24. Janu-ar 1304 NGZ den Krieg erklärt…

Parallel zu diesen Ereignissen werden im Zuge dermit Krisenfall Karthago verbundenen Generalmobil-machung fast 250.000 Raumer der Liga Freier Terra-ner im Solsystem zusammengezogen, zu denen nochdie 55.000 halutischen Kampfschiffe hinzuzurechnensind. Perry Rhodan hat darüber hinaus die durchausberechtigte Hoffnung, daß weitere Verstärkung in Ge-stalt von Fragmentraumern der Posbis eintreffen wird.

Rechnet man die Drei-zu-eins-Überlegenheit durchNATHANS Unterstützung beim Umschalten auf denPositronikkampfmodus hinzu, sieht die Angelegenheitauf den ersten Blick keineswegs schlecht aus: ZumSystemschutz werden die Blockadegeschwader 1 bis6 von den soeben fertiggestellten, ursprünglich imKreit-System stationierten und nun wieder zur Soll-Stärke aufgestockten Blockadegeschwader 19 bis 24verstärkt; die Aagenfelt-Barriere des Solsystems stehtalso, die Besatzungen der WÄCHTER-Schiffe wurdennatürlich strengstens überprüft, so daß sich»Schwachstellen«, wie sie noch beim Kampf um Er-trus auftraten, nicht wiederholen werden.

Leider sind die im Bau befindlichen stationären Fe-stungsversionen, die in ihrer Funktion nicht auf Minen-gürtel angewiesen sind, sondern einfliegende Raumerzu 80 Prozent direkt in den Kern der Sonne ablenkenkönnen, noch nicht einsatzbereit, obwohl die Indienst-stellung für den Beginn des Jahres 1304 NGZ in Aus-sicht gestellt wurde (was die Frage erlaubt, ob SEE-LENQUELL gerade deshalb jetzt losschlägt - immer-hin ist mit Julian Tifflor ein terranischer Geheimnisträ-ger eine seiner Hände…).

Wie sich die Ereignisse im einzelnen entwickeln,schildert der Roman, deshalb werden wir an dieserStelle einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen

- schließlich wird das Solsystem nicht zum erstenmalbedroht und es gab schon eine Reihe dem KrisenfallKarthago vergleichbarer Planungen, die mit unter-schiedlichem Erfolg zum Einsatz kamen.

Mai 2044: Fall Kolumbus. In Erwartung der(Wieder-)Entdeckung der in jener Zeit noch als zer-stört geltenden Erde waren entsprechende Planungenerstellt und ständig aktualisiert worden; auf einen An-griff von etwa 8000 Schiffen der Druuf war man je-doch nicht vorbereitet, ohne die Hilfe Atlans, damalsImperator Gonozal VIII., wäre es wohl schlecht umdas Solare Imperium bestellt gewesen. Für Terra je-denfalls war die Zeit des Versteckspiels vorbei, eineneue Epoche der galaktischen Politik begann.

Oktober 3430: Fall Laurin. Im Zuge des500-Jahres-Plans hatte man sich auf einen Angriff dervom Solaren Imperium abgefallenen Kolonien undden daraus hervorgegangenen Nachfolgereichen ein-gestellt und den Bau der Anlagen für ein systemum-spannendes Antitemporales Gezeitenfeld vorangetrie-ben. Das Sol- wurde zum Ghost-System, die Attackefuhr ins Leere; die Transmitter-Container-Straße nachOlymp sicherte die Versorgung, als Sekundärplanungwar die Erstellung eines systemumspannenden Parat-ronschirms möglich.

Ab Dezember 3458: Fall Harmonie. Als Folge des»Kosmischen Schachspiels« zwischen ES und Anti-ES wurden weitere Verwicklungen erwartet, die auchprompt mit den Laren und dem Hetos der Sieben ka-men. Der Fall Harmonie sah ein gestaffeltes Reakti-onsschema vor; neben einer erneuten Aktivierung desATG-Felds gehörte dazu eine dezentralisierte Siche-rung des Wissens NATHANS sowie letztlich auch dieVersetzung von Erde und Mond durch den Sol-Kobold-Sonnentransmitter. Daß letztere im Mahlstromder Sterne statt beim angestrebten Ziel des Archi-Tri-Trans-Sonnentransmitters endete, ist ein Themafür sich (das in vielfacher Hinsicht dank der neuen Er-kenntnisse über die Geschichte von ES unter erwei-terten Aspekten zu sehen ist).

Nach diesen Beispielen nun also, im Januar 1304NGZ, Krisenfall Karthago - bei dem es sich nur um ei-ne von einer ganzen Reihe möglicher Einsatz- undReaktionsplanungen handelt, jede davon auf eineganz spezifische Situation abgestimmt. Wer sich aller-dings in der terranischen Geschichte auskennt, demstellt sich zweifellos die Frage: Nomen est omen…?Und kann es da verwundern, daß der zum KrisenfallKarthago bestehende Alternativplan Karthagos Fallheißt?

Karthago wurde von den Phönikern aus Tyros im 9.Jahrhundert vor Christus gegründet, die karthagischeMacht wuchs im Mittelmeerraum zwar beachtlich, dieStadt übernahm den Schutz der phönikischen Koloni-en im Westen, und ein umfassendes System von Ver-trägen verschloß den Handelschiffen anderer Völkerdas nordwestliche Mittelmeer - dann jedoch gerietKarthago in den Konflikt mit Rom, der im dritten Puni-schen Krieg mit der Zerstörung der Stadt und der Ver-sklavung der Bewohner endete …

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54 Hubert Haensel