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Repetitorium Neurotologie

Frank Waldfahrer

Einleitung

Nachfolgend soll ein aktueller, komprimierter Überblick über die Neurotologie aus klini-scher Hals-Nasen-Ohren-ärztlicher Sicht ge-geben werden.Diese kurze Zusammenfassung der Neuroto-logie kann natürlich nicht das Studium der ein-schlägigen Fachliteratur und vor allem nicht das Sammeln praktischer Erfahrung ersetzen, sondern soll zur Kontrolle und zum Update des eigenen Wissens dienen (z. B. vor der Facharztprüfung HNO-Heilkunde). Daneben dürfte sich auch für Ärzte anderer Disziplinen ein profunder Einblick in dieses überaus in-teressante und vielseitige Spezialgebiet erge-ben.Dieser Text orientiert sich am Kurs „Neu-rotologie“, den der Autor anlässlich des 8. Hennig-Symposiums als Vorbereitungskurs für die Facharztprüfung HNO gehalten hat. Es fl ießen aber auch die Inhalte der im Hauptsymposium gehaltenen Vorträge ein, um dem Anspruch gerecht zu werden, einen aktuellen Überblick über die Thematik zu geben.Zur Erleichterung der Lesbarkeit des Tex-tes und zu dessen Komprimierung wurde bewusst darauf verzichtet, die getroffenen Feststellungen direkt mit Literaturzitaten zu untermauern – es handelt sich hier eher um ein Lehrbuchkapitel und nicht um einen wissenschaftlichen Aufsatz. Im Literaturver-zeichnis fi ndet sich aber eine ausführliche Zusammenstellung der verwendeten und weiterführenden Literatur.

Anatomie des Gleichgewichts-systems

Im paarigen Felsenbein liegt das so genannte Labyrinth, das neben der für die Hörwahr-nehmung zuständigen Cochlea den Bo-gengangsapparat und die Otolithen-organe (= Makulaorgane, Utriculus und Sacculus) enthält.Der Bogengangsapparat besteht aus drei zu-einander senkrecht stehenden Bogengängen:• vorderer vertikaler

(= superiorer, anteriorer) Bogengang• hinterer vertikaler

(= posteriorer) Bogengang• horizontaler

(= lateraler) Bogengang

Beim aufrecht stehenden Menschen ist der Bogengangsapparat um 30° gegenüber der Horizontalen nach unten geneigt.Rechter anteriorer und linker posteriorer Bo-gengang liegen in einer Ebene (RALP-Ebene), ebenso wie linker anteriorer und rechter pos-teriorer Bogengang (LARP-Ebene). Aufgrund der Achsensymmetrie des ZNS werden also die zueinander gehörigen Bogengänge einer Ebene immer gemeinsam beschleunigt (der eine mit positivem Vorzeichen, der andere mit negativem Vorzeichen).In jedem Bogengang befi ndet sich die Crista ampullaris mit der Cupula, die das eigent-liche Rezeptororgan darstellt. Die Sinneszel-len (Haarzellen), die aus Stereozilien und einem Kinozilium bestehen, werden von En-dolymphe umgeben.

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Bei den Otolithenorganen stellt die Makula den Rezeptor dar. Auf den Haarzellen mit je ei-nem Kinozilium und mehreren Stereozilien sind Otolithen in einer Gallertschicht aufgelagert. Bei den Otolithen (Statokonien) handelt es sich um anorganisches Material, konkret um Cal-ciumcarbonatpartikel (CaCO3). Die Otolithen sind vermutlich über Molekülfi brillen mit dem Gelkissen verbunden. Die Haarzellen des Utri-culus sind in Richtung auf die Striola (bogen-förmig verlaufende Grenzlinie zwischen den gegenläufi g orientierten Haarzellen) ausge-richtet, während die Haarzellen des Sacculus von der Striola weg ausgerichtet sind.

Die Bewegungsebenen werden folgender-maßen bezeichnet:• yaw horizontal• pitch sagittal• roll koronar

Der Sacculus liegt näher an der Cochlea als der Utriculus. Vom ovalen Fenster beträgt der Abstand zum Sacculus etwa 1 mm und zum Utriculus etwa 1,2 mm – damit ist leicht erklär-bar, dass ein zu langer Stapes-Piston nach einer Stapedotomie bzw. Stapedektomie zu vestibulären Reizsymptomen im Sinne von Lift-schwindelsensationen führen kann.Von Utriculus und Sacculus führen zwei endo-lymphhaltige Gänge (Ductus utricularis, Duc-tus saccularis) in den Sinus endolymphaticus, der sich über Ductus endolymphaticus in den Saccus endolymphaticus fortsetzt.Der Ductus ut ricularis beginnt hierbei mit ei-ner Gangausstülpung (utrikuloendolymphati-sche Klappe = Bast-Klappe), die eine Rolle bei der Pathogenese des Lermoyez-Syndroms spielt (siehe unten).Vom Sacculus zieht der Ductus reuniens Hen-sen zum Ductus cochlearis.Das endolymphatische Gangsystem ist mit ei-nem hochprismatischen Epithel ausgekleidet.Bei den vestibulären Haarzellen wer-den fl aschenförmige Typ I-Zellen (kelch- bzw. fl aschenförmig von einer dicken afferenten Nervenfaser umschlossen) und zylindrische,

schlankere Typ II-Zellen (mit knopfförmigem Kontakt zu einer dünnen afferenten Nerven-faser) unterschieden. Die Auslenkung der Stereozilien, die untereinander über Tip links in Verbindung stehen, gegenüber dem Kino-zilium aktiviert bzw.deaktiviert Ionenkanäle.Die so genannten „dunklen Zellen“ kom-men sowohl in der Stria vascularis als auch in der Cupula der Bogengänge vor. In der Stria vascularis, einem mehrschichtigen, ka-pillarhaltigem Epithel, lassen sich drei ver-schiedene Zellen unterscheiden: Marginal-zellen (chromophile Zellen, dunkle Zellen), Intermediärzellen (chromophobe Zellen, helle Zellen) und Basalzellen, wobei nur die Mar-ginalzellen epithelialen Ursprungs sind. Die Marginalzellen weisen Vakuloen auf, die sich in den Ductus endolymphaticus öffnen. In den Bogengängen fi nden sich die dunklen Zellen an den Breitseiten der Cristae ampullares und weisen ebenfalls große Vakuolen auf. Die dunklen Zellen sind an der Aufrechterhaltung der Kalium-Konzentration in der Endolymphe beteiligt. Die vestibulären dunklen Zellen sind die primäre Zielstruktur der intratympanalen Gentamicin-Therapie bei Morbus Menière (siehe unten).Das Vestibularorgan wird sensorisch durch die beiden Nervi vestibulares (Nervus vestibularis superior, Nervus vestibularis inferior) innerviert, die zusammen mit dem Nervus cochlearis den achten Hirnnerven (Nervus vestibulocochlearis = Nervus statoacusticus) bilden.Der Nervus vestibularis superior inner-viert den anterioren und den lateralen Bogen-gang (Nervus ampullaris anterior bzw. Ner-vus ampullaris lateralis) sowie den Utriculus (Nervus utricularis).Der Nervus vestibularis inferior inner-viert den posterioren Bogengang (Nervus ampullaris posterior = Nervus singularis) und den Sacculus.

Nervus vestibularis superior:A L U „S A L U“

Nervus vestibularis inferior:P S „I P S“

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Die beiden Nervi vestibulares ziehen zusam-men mit dem Nervus cochlearis und mit dem Nervus facialis sowie den Begleitgefäßen (Ar-teria labyrinthi, Vena labyrinthi) durch den in-neren Gehörgang (Meatus acusticus internus) zum Hirnstamm. Hierbei verlaufen die beiden Vestibularnerven posterior, während Nervus facialis und Nervus cochlearis anterior (N. facialis: oben, N. cochlearis: unten) lokalisiert sind. Vertikal werden die Nervenfächer durch die Crista verticalis separiert, die zu Ehren von William House auch im Jargon als Bill’s Bar bezeichnet wird. In horizontaler Richtung über-nimmt diese Aufgabe die Crista horizontalis.Die A. labyrinthi entspringt in 85 % aus der Arteria cerebelli anterior inferior (AICA), in 15 % aus der Arteria basilaris.Das erste Neuron der Vestibularisbahnen be-fi ndet sich im zweiteiligen Ganglion vestibu-lare Scarpae (Pars superior und Pars inferior), das zweite Neuron in den Vestibulariskernen und das dritte Neuron in den Kernen der oku-lomotorischen Hirnnerven. Die paarigen vier Vestibulariskerne im Hirnstamm sind mit Eigennamen belegt:• Nucleus terminalis superior n. vestibuli

Bechterew• Nucleus terminalis medialis n. vestibuli

Schwalbe• Nucleus terminalis inferior n. vestibuli

Roller• Nucleus terminalis lateralis n. vestibuli

Deiters

Afferente Bahnen des zentral-vestibulären Systems sind:• Tractus spinocerebellaris anterior Gowers• Tractus spinocerebellaris posterior Flechsig• Tractus spinocerebellaris rostralis• Tractus cuneocerebellaris• Tractus vestibulocerebellaris (sensorische

Kleinhirnbahn zu Nodulus und Flocculus)

Efferente Bahnen des zentral-vestibulären Systems sind:direkt• Tractus cerebellovestibulares

• Tractus vestibulospinalis medialis/lateralis• Tractus reticulospinalisindirekt• Tractus corticonuclearis (Nucleus fastigii)

– Tractus fastigiobulbares rectae (ipsilate-ral)

– Fasciculus uncinatus (Russellsches Ha-kenbündel, kontralateral)

• Fasciculus longitudinalis medialis

Flocculus, Nodulus und Uvula sind im Klein-hirn zum zentral-vestibulären System zugehö-rig und haben vor allem integrative Funktio-nen.

Physiologie des Gleichgewichtssystems

Der Bogengangsapparat ist für die Perzep-tion von Winkelbeschleunigungen zu-ständig, der Otolithenapparat für Linearbe-schleunigungen.

Bogengänge WinkelbeschleunigungOtolithenorgane Linearbeschleunigung – Sacculus: vertikal, Utriculus: horizontal

Physikalisch ist in diesem Zusammenhang be-deutsam, dass bei einer linearen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit keine Be-schleunigung auf den Körper einwirkt, wäh-rend es bei einer Rotation mit konstanter Ge-schwindigkeit immer zu einer Beschleunigung kommt.Die drei Bogengänge (anteriorer vertikaler = superiorer Bogengang, posteriorer vertikaler Bogengang, horizontaler = lateraler Bogen-gang) stehen hierbei zueinander senkrecht, so dass im Sinne eines xyz-Koordinatenssys-tems Winkelbeschleunigungen in allen Raum-richtungen wahrgenommen werden können.Vestibuläre Haarzellen weisen (im Gegensatz zu auditorischen Haarzellen und retinalen Sinneszellen) eine Ruheaktivität auf, d. h. die Haarzellen senden auch dann Aktionspoten-

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tiale über die Nervi vestibulares an das Ge-hirn, wenn keine Beschleunigung einwirkt. Diese auf den ersten Blick imponierende Energieverschwendung hat den Sinn, dass die Kodierung der Bewegungsrichtung (positi-ves versus negatives Vorzeichen) möglich ist: ausgehend von der Ruhefrequenz bedeutet eine Reduzierung der Ruhefrequenz die Be-schleunigung in Minus-Richtung = Bremsung, Entschleunigung), eine Erhöhung der Ruhefre-quenz die Beschleunigung in Plus-Richtung. Somit können lineare und anguläre Beschleu-nigungen in alle Raumrichtungen nicht nur nach dem Betrag, sondern auch nach der Richtung bzw.dem Vorzeichen kodiert wer-den. Der Betrag der Beschleunigung wird hierbei über die Änderung der Aktionspoten-zialfrequenz nach zentral weitergeleitet. Eine utrikulopetale Beschleunigung der Cupula an den Bogengängen führt zu einer Exzitation (Zunahme der Aktionspotenzialfrequenz), eine utrikulofugale Beschleunigung zu einer Inhibition (Abnahme der Aktionspotenzialfre-quenz). Aufgrund der Achsensymmetrie des peripheren Vestibularapparats wird bei einer horizontalen Kopfdrehung folglich der hori-zontale Bogengang auf einer Seite aktiviert und auf der Gegenseite inhibiert („pull-push“).Ein regelrecht funktionierender peripherer Gleichgewichtsapparat sendet also in Ruhe auf beiden Seiten von allen Sensoren (pro Seite: 3 Bogengänge, 1 Utriculus, 1 Sacculus) eine konstante und seitengleiche Rate von Ak-tionspotentialen an das zentrale Nervensystem.Als vestibulookulärer Refl ex (VOR) wird die Stabilisierung der optischen Wahrneh-mung während Kopf- und Körperbewegungen durch kompensatorische Augenbewegungen verstanden. Im Vergleich zum Blickfolgesys-tem arbeitet der VOR etwa um den Faktor 5 schneller (15 ms versus 75 ms Reaktionszeit). Je nach beteiligtem Sensor werden lineare und anguläre VORs unterschieden. Ist das Auge im Rahmen des VOR in einer Endstel-lung angekommen, kommt es zu einer re-fl ektorischen Rückstellbewegung des Bulbus, die beispielsweise als „Eisenbahnnystagmus“

beobachtet werden kann – Nystagmen werden bezüglich der Richtung nach dieser schnellen Bewegung benannt. Der beidseitige Verlust des VOR führt zum so genannten Dandy-Phänomen, charakteri-siert durch Oszillopsien, also ein „hüpfendes“ Netzhautbild während Bewegungen.Weitere vom vestibulären System vermittelte Refl exe sind die vestibulospinalen Refl exe (VSR), die die Raumorientierung des Kopfes und des Körpers vermitteln.

Input peripher-vestibuläres System visuelles System somatosensorisches (propriozeptives) SystemOutput vestibulookulärer Refl ex (Blickfeldstabilisierung) vestibulospinale Refl exe (Erhaltung des Körpergleich- gewichts)

Eine Seitendifferenz zwischen den periphe-ren Labyrinthorganen, sei es in Ruhe oder bei Bewegungen, führt zu einer zentralen Tonusdifferenz, die das zentrale vestibuläre System mit dem „Alarmsymptom“ Schwindel beantwortet. Neben dieser subjektiven Symp-tomatik können vestibulookuläre Störungen (Nystagmus) und posturale Störungen (Gang-unsicherheit, Abweichreaktionen) auftreten. Bei sehr starker Seitendifferenz treten über eine Aktivierung der Area postrema im Hirn-stamm Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen auf.

Eine vestibuläre Seitendifferenz in Ruhe führt zu einer Bewegungsillusion.

Horizontale und vertikale Augenbewegun-gen werden in unterschiedlichen Regionen des Gehirns gesteuert: während horizontale Augenbewegungen auf pontiner Ebene gene-riert werden, werden vertikale Augenbewe-gungen höher im Bereich der rostralen For-matio reticularis gesteuert. Auch wenn das periphere Labyrinth wesent-liche Informationen für das zentrale gleich-

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gewichtsregulierende System liefert, so sind auch die von anderen Sensoren stammenden Daten unverzichtbar. Das Auge liefert Infor-mationen über die Bewegung der Umwelt, das somatosensorische bzw. propiozeptive System über die Stellung des Körpers im Gelände (stehend, sitzend, liegend, Rumpf-position, Kopfposition) und die Beschaffen-heit des Untergrunds (fest versus weich, glatt versus holprig). Damit wird klar, dass auch eine Störung dieser Systeme Einfl uss auf die Gleichgewichtsregulierung des Organismus hat.Es sind zahlreiche physiologische Nystagmen bekannt:• Endstellungsnystagmus• Ermüdungsnystagmus• Einstellungsnystagmus• kalorischer Nystagmus• rotatorischer Nystagmus• optokinetischer Nystagmus

Hingegen sind alle unter der Frenzel-Brille erkennbare Spontannystagmen als patholo-gisch anzusehen (siehe unten).

Diagnostische Methoden

AnamneseDie meisten Erkrankungen des Gleichge-wichtssystems lassen sich bereits aufgrund einer dezidierten Anamneseerhebung diag-nostizieren bzw. zumindest vermuten.Im Anamnesegespräch sind folgende Aspekte von besonderer Bedeutung:• Abgrenzung Dauerschwindel von Anfalls-

schwindel• Art des Schwindels: systematischer Schwin-

del (Drehschwindel, Schwankschwindel, Liftgefühl, Lateropulsion) versus unsystema-tischer Schwindel (Unsicherheitsgefühl, Be-nommenheit, Schwarzwerden vor Augen)

• bei Anfallsschwindel: Dauer des Anfalls? Aura? – dies ist die zunächst wich-tigste Information für die Differen-zialdiagnose (siehe Tabelle 1)

• Stabilität des Bildeindrucks bei Bewegun-gen

• Auslösung von Schwindel durch laute Ge-räusche (Tullio-Phänomen, Hinweis auf Dehiszenz des anterioren = superioren Bo-gengangs)

• Auslösung von Schwindel durch Luftzug (Hinweis auf Bogengangsfi stel oder Vorhandensein einer Radikalhöhle)

• Begleitsymptome (Übelkeit, Erbrechen, Hör-minderung, Tinnitus können auf eine peri-pher-vestibuläre oder eine zentral-vestibuläre Läsion hinweisen, während Kopfschmerzen, Paresen, Sensibilitätsstörungen, Sehstörun-gen, Doppelbilder, Persönlichkeitsverände-rungen nur bei zentral-vestibulären Störun-gen vorkommen können)

• Medikation (bradykardisierende Medika-mente wie Betablocker oder Herzglyko-side, Antihypertensiva, Psychopharmaka, Tropfen auf alkoholischer Basis, zentral wirksame Analgetika, Antidiabetika)

• Begleiterkrankungen (neurodegenerative Er-krankungen, Herzrhythmusstörungen, Athe-rosklerose, Diabetes mellitus (Polyneuro-pathie!), entzündliche ZNS-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen)

• Alkoholanamnese (gezielte Nachfrage auch bezüglich „Klosterfrau Melissengeist“ etc.!)

• sonstige Genussmittelanamnese (klassi-sche und moderne Drogen, Kaffee, Tee)

• ophthalmologische Anamnese (Amblyo-pie, Bildgrößendifferenz, Gleitsichtbrille)

• Gehhilfen? Fahrradfahren möglich?• Beschwerden an der Halswirbelsäule?

Die Bárány-Gesellschaft schlägt in einem Kon-sensuspapier (2009) folgende Klassifi kation von vestibulären Symptomen vor:• „vertigo“:

Empfi ndung einer Bewegung im Raum• „dizziness“:

Unsicherheit bei der Raumwahrnehmung• „vestibulo-visual symptoms“• „postural symptoms“:

Instabilität beim Stehen, Gehen oder Sitzen

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Zeit kein begleitender Hörverlust begleitender Hörverlust

Sekunden BPLSVestibularis-Paroxysmien

Perilymphfi stel (Cholesteatom)

Minuten Migräneschwindel –

Stunden – Morbus Menière

Tage akuter einseitiger peripherer Labyrinth-ausfall

Labyrinthitis

Wochen zentral-vestibulärer SchwindelEncephalomyelitis disseminatapsychogener/somatoformer Schwindel

psychogene/somatoforme StörungAutoimmunprozesse

Tabelle 1Differenzialdiagnose von Anfallsschwindel anhand der Anfallsdauer

Das Dizziness Handicap Inventar (DHI) besteht aus 25 Fragen mit jeweils drei Antwort-möglichkeiten. Der Fragebogen wird nach den Strata physiologisch, funktional und emotional ausgewertet, der Gesamtscore liegt zwischen 0 und 100.Die Firma Hennig Arzneimittel stellt einen strukturierten Anamnesebogen für Patienten mit Schwindel zur Verfügung, der auch zur Verlaufskontrolle eingesetzt werden kann.Bei rezidivierenden Schwindelanfällen hilft auch ein vom Betroffenen geführtes Schwin-deltagebuch, das auch zur Therapiekontrolle eingesetzt werden kann.

Diagnostik mit minimalem apparativem AufwandEine orientierende Untersuchung des Gleich-gewichtssystems ist bereits mit einem minima-len Aufwand an „Werkzeugen“ möglich:• Frenzel-Brille• Pupillenleuchte• Kugelschreiber• Untersuchungsliege• Struppscher Eimer

Primär sollte eine Untersuchung der Pu-pillomotorik mit der Pupillenleuchte, ein Cover-Test und der Swinging Flashlight-Test erfolgen. Hierbei lassen sich nicht-vestibu-läre Störungen (z. B. Augenmuskellähmun-

gen, Horn er-Syndrom, relative afferente Pupillenstörung (RAPS), internukleäre Oph-thalmoplegie (Schädigung des Fasciculus longitudinalis medialis), latente Amblyopie) erkennen (Details bei Thömke).

Prüfung auf SpontannystagmusDa viele Nystagmen durch Fixation suppri-miert werden, ist eine Untersuchung ohne Frenzel-Brille nicht sinnvoll. Die Frenzel-Brille mit +15 dpt-Gläsern verhindert eine Fixation und beleuchtet gleichzeitig die Augen. Jeder unter der Frenzel-Brille festgestellter Spontannystagmus ist pathologisch und bedarf einer weiteren Abklä-rung. Bei einem peripheren Labyrinthausfall fi ndet sich regelhaft ein Spontannystagmus zur Gegenseite („Ausfallnystagmus zur an-deren Seite“). Beim Morbus Menière fi ndet sich in der Frühphase ein Spontannystagmus zur kranken Seite (Reiznystagmus, in der Re-gel diagnostisch nicht mehr erfassbar), dann ein Ausfallnystagmus zur Gegenseite und schließlich ein Erholungsnystagmus zur kran-ken Seite.Grundsätzlich müssen Amplitude, Frequenz und Schlagrichtung sowie Erschöpfbarkeit des Nystagmus (horizontal, vertikal, rotato-risch; Richtung der schnellen Komponente = refl ektorische Rückstellbewegung der Augen) dokumentiert werden.

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Prüfung auf ProvokationsnystagmenIn der Routine bietet sich vor allem die Prüfung auf einen Kopfschüttelnystagmus an. Bei die-sem Test wird ebenfalls die Frenzel-Brille ver-wendet. Auch hier müssen Art und Richtung des Nystagmus bewertet werden.Es lassen sich folgende spezielle Nystagmus-formen unterscheiden:• dissoziierter Nystagmus: abduzierendes

Auge schlägt schneller und grobschlägiger als das adduzierende Auge

• Nystagmus alternans: periodischer Wech-sel der Schlagrichtung bei zentral-vestibu-lärer Läsion

• Pendelnystagmus: Geschwindigkeit der Nys-tagmen in beide Richtungen sind gleich (Nystagmusrichtung lässt sich also nicht bestimmen)

Das pressorische Fistelsymptom wird geprüft, während gleichzeitig mit einem Polit-zer-Ballon im äußeren Gehörgang ein Druck oder ein Sog aufgebaut wird. Beim Vorliegen einer Bogengangsfi stel (z. B. im Rahmen eines Cholesteatoms) kommt es charakteristischer-weise zu folgenden unter der Frenzel-Brille zu beobachtbaren Phänomenen:

Druck (Kompression): Nystagmus zur kranken SeiteSog (Aspiration): Nystagmus zur anderen Seite

Als Hennebert-Fistelsymptom wird ein analoger Befund bei intaktem Trommelfell be-zeichnet. Ursächlich ist häufi g eine Lockerung des Ringbandes am ovalen Fenster.

Prüfung auf BlickrichtungsnystagmenBlickrichtungsnystagmen treten auch bei Fi-xation auf, entsprechend erfolgt die Unter-suchung ohne Frenzel-Brille, aber mit einem Kugelschreiber etc. Ein Blickrichtungsnystag-mus ist immer zentraler Genese, eine häufi ge Ursache ist die Encephalomyelitis disseminata (multiple Sklerose). Wichtig ist, dass bei der Prüfung nur Auslenkungen der Augen um etwa 30° getestet werden, da andernfalls

physiologische Endstellungsnystagmen über-lagern können. Die Prüfung erfolgt in acht Richtungen (oben, unten, rechts, links, rechts-oben, rechts-unten, links-oben, links-unten).Als Bruns-Nystagmus bezeichnet man ei-nen divergierenden Blickrichtungsnystagmus, der typischerweise bei einem Kleinhirnbrücken-winkeltumor mit Hirnstammkompression auftritt. Beim Blick zur Seite des Tumors tritt ein grob-schlägiger und niederfrequenter Nystagmus zur Tumorseite auf (als Folge der Hirnstamm-kompression), bei Blick zur Gegenseite fi ndet sich ein feinschlägiger und hochfrequenter Nys-tagmus zur Gegenseite (als Folge der peripher-vestibulären Läsion = Ausfallnystagmus). Iden-tische Effekte treten bei der Lageprüfung auf.Das Gesetz von Alexander besagt, dass ein (Spontan-)Nystagmus bei Blick in die Rich-tung der schnellen Nystagmuskomponente an Intensität und Frequenz zunimmt (Beispiel: bei akutem einseitigem Labyrinthausfall rechts schlägt der Ausfallnystagmus zur Gegenseite, also nach links. Der Spontannystagmus ist bei Blick nach links demnach verstärkt.) Die-ses Phänomen ist Ausdruck der einsetzenden zentral-vestibulären Kompensationsprozesse.

Prüfung der vestibulospinalen ReaktionenBeim Stehversuch nach Romberg wird der Proband aufgefordert, barfüßig (!) auf festem Untergrund zu stehen und die Hände mit den Handfl ächen nach oben vorzustrecken. Der Test wird zunächst mit offenen Augen, dann mit geschlossenen Augen durchgeführt. Die Testdauer beträgt jeweils 30 Sekunden. Beim einfachen Romberg-Versuch werden beide Füße nebeneinander platziert, beim erschwer-ten Romberg-Versuch hintereinander. Der Test kann auch erschwert werden, indem der Pro-band aufgefordert wird, beide Hände inein-ander zu verhaken und auseinanderzuziehen ( Jendrassikscher Handgriff ). Bei diesem Test werden alle an der Gleichgewichtsregulation beteiligten Systeme geprüft, der Test ist sehr anfällig für bewusstseinsnahe Einfl ussfaktoren. Für den Stehversuch nach Romberg existieren keine klaren Normwerte. Als pathologisch gilt

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vor allem ein ungerichtetes Schwanken. Bei peripher-vestibulären Störungen kommt es zu einer Abweichung zur kranken Seite.Beim Tretversuch nach Unterberger muss der Proband bei geschlossenen Augen 50 Schritte auf der Stelle vollführen, wobei die Oberschenkel jeweils zur Horizontalen ge-beugt werden sollen. Der Test kann mit Schu-hen durchgeführt werden.Bei peripher-vestibulären Störungen kommt es hierbei zu einer Drehung zu der Seite mit dem geringeren Tonus (= kranke Seite). Eine Poste-ropulsion gilt als Hinweis auf eine Läsion des Kleinhirns, eine Anteropulsion bis 1 m ist als physiologisch anzusehen. Eine Drehung bis 40° gilt ebenfalls als physiologisch, je nach Händigkeit bis 60° (ein Rechtshänder darf sich also bis 60° nach links und bis 40° nach rechts drehen).

KoordinationsprüfungenKoordinationsprüfungen erfassen vor allem Störungen auf der Ebene des Kleinhirns. Beim Finger-Nase-Test wird der Proband aufge-fordert, wechselseitig bei geschlossenen Au-gen mit dem Zeigefi nger die Nasenspitze zu berühren. Es ist auch auf die Flüssigkeit der Bewegung (Ataxie, Intentionstremor, Aktions-myoklonus) zu achten.Beim Finger-Finger-Versuch müssen beide Zeigefi nger bei geschlossenen Augen in der Körpermitte berührt werden.Beim Knie-Hacken-Versuch muss der Pro-band wechselseitig die Ferse eines Beins vom Knie des gegenseitigen entlang des Schien-beins bewegen.Bei der Prüfung der Diadochokinese soll der Proband beide Hände gleichzeitig sehr schnell rotieren („wie beim Einschrauben einer Glühbirne“). Beim Befund unterscheidet man zwischen einer Eudiadochokinese und einer Dysdiadochokinese (Seitendifferenz, Verlang-samung = Bradydiadochokinese). Pathologi-sche Befunde weisen ebenfalls auf eine Klein-hirnläsion hin.Der Armvorhalteversuch nach Wodak und Fischer ist eigentlich nicht als Koordina-

tionsprüfung anzusehen, sondern testet viel-mehr den zentralen Tonus im Seitenvergleich. Bei vorgestreckten Armen mit nach obn rotier-ten Handfl ächen und geschlossenen Augen achtet man auf eine unilaterale Absenkten-denz, die Hinweis auf eine stattgehabte Lä-sion pyramidaler Bahnen ist.

Kopfi mpulstest (Halmagyi-Curthoys-Test)Der Kopfi mpulstest ist einer der wichtigsten Tests bei der primären Untersuchung von Pati-enten mit akutem Drehschwindel.Das Prinzip des Tests beruht darauf, dass es bei einem einseitigen peripheren Labyrinth-ausfall je nach Richtung der Kopfdrehung zu einer Störung des vestibulookulären Refl exes mit beobachtbaren Korrektursakkaden an den Augen kommt. Der Test wird durchgeführt, indem der Kopf des Probanden ruckartig und schnell hori-zontal rotiert wird – selbstverständlich muss vorher eine Läsion der Halswirbelsäule aus-geschlossen worden sein. Bei dieser Rotation werden beide Augen ohne Frenzel-Brille be-obachtet. Bei intaktem peripher-vestibulärem System beidseits folgen die Augen der Bewe-gung glatt und verzögerungsfrei.Bei einseitiger peripher-vestibulärer Störung kommt es bei der Rotation zur ausgefallenen Seite zu einer Korrektursakkade (catch up-Sakkade).Der physiologische bzw. pathophysiologische Hintergrund dieses Tests lässt sich wie folgt erklären:• bei beidseitig intaktem peripheren Vestibu-

larsystem (symmetrischer Ruhetonus) führt eine Kopfdrehung zu einer Seite zu einer Erhöhung der Aktionspotenzialfrequenz auf dieser Seite und (infolge der Achsensymmet-rie) zu einer Reduktion der Aktionspotenzial-frequenz auf der Gegenseite. Diese Informa-tion kann das zentrale System problemlos verarbeiten, so dass es zu einer prompten Nachführbewegung der Augen im Sinne des vestibulookulären Refl exes kommt.

• bei einseitigem Labyrinthausfall (hier: links) fi ndet sich in Ruhe eine Seitendifferenz zwi-

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schen rechter Seite (normale Ruhefrequenz) und linker Seite (keine Aktionspotenziale). Wird der Kopf nun nach rechts gedreht, wird das intakte rechte Labyrinth aktiviert, d. h. die Aktionspotenzialfrequenz steigt. Damit wird die Seitendifferenz zwischen rechts (höhere Aktionspotenzialfrequenz) und links (weiterhin keine Aktionspoten-ziale) gegenüber der Ruhelage verstärkt. Das zentral-vestibuläre System hat also keine Probleme, die Augenposition im Rahmen des vestibulookulären Refl exes zu steuern. Folglich sind die Augenfolgebewe-gungen glatt.

• in der umgekehrten Situation sieht die Sache anders aus: bei peripher-vestibu-lärem Ausfall rechts bedingt eine Kopf-drehung nach rechts eine Abnahme der Aktionspotenzialfrequenz auf der linken Seite, während auf der rechten Seite wei-terhin keine Aktionspotenziale gesendet werden. Die Kopfdrehung führt also zu einer Verminderung der Seitendifferenz zwischen beiden Seiten. Dies kann das zentral-vestibuläre System nicht mehr adäquat verarbeiten, so dass die Augen nicht glatt der Kopfbewegung folgen kön-nen. Die Augen hängen also zurück, im zeitlichen Verlauf kommt es dann zu einer Korrektursakkade, die klinisch meist deut-lich erkennbar ist.

Diese Zusammenhänge sind eine Interpreta-tion des 2. Ewaldsches Gesetz (für den VOR ist Exzitation effektiver als Inhibition).Ohne apparative Hilfsmittel kann der Kopf-impulstest vor allem die horizontalen Bo-gengänge erfassen (wobei allerdings nur so genannte „overt-Sakkaden“, nicht aber „hid-den-Sakkaden“ erfasst werden), die Prüfung der vertikalen Bogengänge erfordert einen komplexen Bewegungsimpuls.

Skew DeviationAls Skew Deviation bezeichnet man die ver-tikale Divergenzsstellung der Augen bei ei-ner supranukleären Läsion, hierbei steht das

ipsilaterale Auge tiefer. Eine Skew Deviation tritt häufi g im Rahmen der Ocular tilt-Trias auf: Rotation der Augen (unteres Auge nach innen, oberes Auge nach außen), ipsiversive Kopfneigung und Skew Deviation. Skew Deviation und Ocular tilt-Trias sind ein sicherer Hinweis auf eine zentral-vestibuläre Läsion (meist Hirnstammläsion: Ischämie, Blu-tung, Entzündung oder Tumor).

Ocular CounterrollingBei einer Seitneigung des Kopfes kommt es infolge des vestibulookulären Refl exes zu ei-ner gegenläufi gen Rotation der Augen. Dies ist Folge der Reizung der Otolithenorgane, die Bogengänge spielen nur eine unterge-ordnete Rolle. Diese Rotation der Augen bei Kopfneigung lässt sich experimentell am bes-ten fundoskopisch bzw. fundusfotographisch erfassen.

Subjektive visuelle Vertikale (SVV)Das vestibuläre System ermöglicht es dem Organismus, die visuelle Vertikale mit hoher Präzision festzulegen – im Alltag z. B. an der Fähigkeit zu erkennen, ein schiefes Bild an der Band als störend wahrzunehmen und dessen Position auf unter ein Grad genau auszurich-ten. Bei peripher-vestibulären und zentral-ves-tibulären Erkrankungen kann diese Fähigkeit gestört sein.Eine einfache, praxistaugliche Methode zur Prüfung der SVV wurde von Strupp vorge-schlagen: der Boden eines Haushaltseimers wird zentral durchbohrt, dann wird eine Schnur mit einem Gewicht (im Sinne eines Lots) mittels einer Schraube befestigt. Der Proband wird nun aufgefordert, den Eimer so auszurichten, dass der am Boden des Eimers angebrachte Strich genau vertikal ausgerich-tet ist. An der Außenseite lässt sich dann an einer dort angebrachten Skala die Abwei-chung der subjektiven visuellen Vertikalen ablesen. Als Normwert gilt eine Abweichung von unter 2°.Analog lässt sich auch eine subjektive hori-zontale Vertikale bestimmen.

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Repetitorium Neurotologie216

Lagerung Augenbewegunghorizontal

Augenbewegungvertikal

Diagnose

nach rechts mit Kopf 45° nach links gedreht

rotatorischer Nystagmus zum unten liegenden rechten Ohr

UpbeatCanalolithiasis des posterioren Bogen-gangs rechts

nach rechts mit Kopf 45° nach links gedreht

rotatorischer Nystagmus zum oben liegenden linken Ohr

DownbeatCanalolithiasis des anterioren Bogen-gangs links

nach links mit Kopf 45° nach rechts gedreht

rotatorischer Nystagmus zum unten liegenden linken Ohr

UpbeatCanalolithiasis des posterioren Bogen-gangs links

nach links mit Kopf 45° nach rechts gedreht

rotatorischer Nystagmus zum oben liegenden rechten Ohr

DownbeatCanalolithiasis des anterioren Bogen-gangs rechts

Tabelle 2Befundinterpretation beim Dix-Hallpike-Manöver (nach Schmäl)

Lage- und LagerungsprüfungHierbei ist strikt zu unterscheiden zwischen einem Lagenystagmus (eingenommene Lage führt zu einem Nystagmus mit/ohne Schwin-del) und einem Lagerungsnystagmus (Lage-wechsel führt zu einem Nystagmus mit/ohne Schwindel; die Symptome klingen nach einer gewissen Zeit trotz beibehaltener Lage ab).Die Prüfung erfolgt auf einer Untersuchungs-liege und ist weitgehend standardisiert. Es werden folgende Positionen sequentiell ge-prüft: Rückenlage Kopfhängelage Kopf-drehung nach rechts Kopfdrehung nach links Körperdrehung nach rechts Körper-drehung nach links schnelles Aufsetzen.Es können folgende Nystagmen unterschie-den werden:• richtungsbestimmter Lagenystagmus: stets

in die gleiche Richtung, zentrale oder pe-riphere Genese

• regelmäßig richtungswechselnder Lage-nystagmus: in einer Lage stets zur selben Seite, bei Lagewechsel regelmäßiger Rich-tungswechsel, immer zentraler Genese

• regellos richtungswechselnder Lagenystag-mus: immer zentraler Genese

• Lagerungsnystagmus

Das Dix-Hallpixe-Manöver dient zur Dia-gnostik eines benignen paroxysmalen Lage-rungsschwindels des posterioren Bogengangs (p-BPLS), zudem können sich hierbei Hinweise auf einen (seltenen) benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel des anterioren Bogen-gangs (a-BPLS) ergeben. Bei diesem Manöver wird bei der Prüfung auf p-BPLS rechts der Kopf des auf einer Liege sitzenden Proban-den um 45° nach links gedreht. Der gesamte Oberkörper wird dann schnell um 90° nach rechts bewegt. Beim Dix-Hallpike-Manöver links wird der Kopf um 45° nach rechts ge-dreht, bevor der Körper nach links bewegt. Die Interpretation der hierbei möglichen Be-funde kann Tabelle 2 entnommen werden.Der Pagnini-McClure-Test wird durchge-führt, um das Vorliegen eines benignen paro-xysmalen Lagerungsschwindels des horizon-talen Bogengangs (h-BPLS) zu untersuchen. Der Proband liegt hier auf dem Rücken, der Kopf wird zuerst nach rechts, dann nach links gedreht. Treten Nystagmen auf, ist es wichtig, die Nystagmusstärke im Seitenvergleich zu bewerten. Es lassen sich vier typische Be-fundkonstellationen unterscheiden (siehe Ta-belle 3).

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Repetitorium Neurotologie 217

Lagerung Augenbewegunghorizontal

Augenbewegungvertikal

Diagnose

Kopfdrehung nach rechts

intensiver Nystagmus nach rechts

keine Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs rechts (typischerh-BPLS rechts)

Kopfdrehung nach links

schwacher Nystagmus nach links

keine

Kopfdrehung nach rechts

schwacher Nystagmus nach rechts

keine Canalolithiasis des ho-rizontalen Bogengangs links (typischerh-BPLS links)

Kopfdrehung nach links

intensiver Nystagmus nach links

keine

Kopfdrehung nach rechts

intensiver Nystagmus nach links

keine Cupulolithiasis des horizontalen Bogengangs rechts (atypischerh-BPLS rechts)

Kopfdrehung nach links

schwacher Nystagmus nach rechts

keine

Kopfdrehung nach rechts

schwacher Nystagmus nach links

keine Cupulolithiasis des ho-rizontalen Bogengangs links (atypischer h-BPLS links)

Kopfdrehung nach links

intensiver Nystagmus nach rechts

keine

Tabelle 3Befundinterpretation beim Pagnini-McClure-Test (nach Schmäl)

Beim positionalen Alkoholnystagmus (PAN) handelt es sich um einen Lagenystag-mus. Es werden zwei Formen (PAN I und PAN II) unterschieden. Der PAN I tritt in der Re-sorptionsphase auf und hält etwa drei bis vier Stunden an. Der weniger dichte Alkohol dif-fundiert in die Cupula, so dass diese leichter als die Endolymphe wird. Damit wird aus dem ursprünglichen Beschleunigungssensor ein Gravitationssensor. Da der horizontale Bogen-gang empfi ndlicher als die beiden anderen Bogengänge ist, tritt vor allem in Rückenlage ein deutliches Drehschwindelerleben auf. Bei Kopfdrehung zeigt sich ein Nystagmus zum unten liegenden Ohr. Im weiteren Verlauf dif-fundiert der Alkohol auch in die Endolymphe, so dass der Dichteunterschied abklingt. Diese stille Phase ohne Nystagmen wird gefolgt vom PAN II in der Abbauphase, die zwischen fünf und zehn Stunden andauert. Der Alkohol wird länger in der Endolymphe als in der Cupula „gespeichert“, so dass sich die geschilder-

ten Vorgänge umkehren: die Cupula ist nun schwerer als die Endolymphe. Dies führt zu einem „Hangover“-Schwindel mit Nystagmus zum oben liegenden Ohr.PAN II-ähnliche Befunde können auch bei der Ingestion von Glyzerol oder schwerem Wasser (D2O, D=Deuterium, also Atomkern mit einem Proton und einem Neutron) sowie bei der Makroglobulinämie Waldenström ent-stehen.

Apparative DiagnostikZusätzliche Informationen lassen sich durch ap-parative Untersuchungsmethoden gewinnen:• Videonystagmographie• Kalorik• Optokinetik• Drehstuhl• VEMP (vestibulär evozierte myogene

Potenziale): cVEMP, oVEMP• vHIT (Video-Head-Impulse-Test)• Posturographie (statisch, dynamisch)

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Repetitorium Neurotologie218

VideonystagmographieDie Videonystagmographie stellt das aktuelle Standardverfahren zur Aufzeichnung von Nys-tagmen dar und hat die Elektronystagmogra-phie praktisch vollständig abgelöst. Während bei letztgenannter Untersuchung die Dipol-Eigenschaft des Bulbus oculi (Retina = Minus-pol, Vorderkammer bzw. Cornea = Pluspol) zur Aufzeichnung ausgenutzt wird, erfolgt bei der Videonystagmographie eine Aufzeich-nung der Augenbewegungen durch die EDV-gestützte Erkennung der Pupille. Moderne Systeme erfassen neben horizontalen und vertikalen Nystagmen auch rotatorische Nys-tagmen. Lid- und Wimpernkosmetika (Dauer-Make-up!) können die Software irritieren.Die Videonystagmographie kann bei allen Nystagmus basierten Testverfahren (Spontan-nystagmus, Lage- und Lagerungsnystagmus, Kalorik, Optokinetik, Drehstuhl) eingesetzt werden, je nach Test mit offenen oder ge-schlossenem Visier der VNG-Brille.

Es gilt die Konvention, dass Nystagmen nach rechts nach oben und Nystagmen nach links nach unten aufgezeichnet werden.

Der wichtigste Parameter bei der Auswertung eines Nystagmus ist die Geschwindigkeit der langsamen Phase (GLP = SCV = slow component velocity).Eine pathologisch verkleinerte Nystagmus-schrift (petit écriture) weist auf zentrale Stö-rungen hin.

KalorikDie wichtigste apparative Gleichgewichts-prüfung stellt zweifelsohne die kalorische Labyrintherregbarkeitsprüfung dar, vor al-lem weil es sich um eines der wenigen Ver-fahren handelt, bei der eine seitengetrennte Aussage über die Labyrinthfunktion möglich ist. Grundsätzlich ist eine Reizung mittels Was-ser, Luft und Infrarotlicht (nur warm) möglich. Aufgrund der unterschiedlichen Wärmeleitka-pazitäten von Wasser und Luft sind aber nur

Messungen unter Verwendung von Wasser reproduzierbar und quantitativ auswertbar, die Luftkalorisation liefert lediglich qualitative Informationen und sollte Probanden mit Trom-melfellperforation oder Radikalhöhle vorbe-halten bleiben.Zur vollständigen Untersuchung gehören im-mer eine Kaltreizung (30 °C = 37 °C – 7 °C) und eine Warmreizung (42 °C = 37 °C + 7 °C), das Reizvolumen beträgt 100 ml bei ei-ner Zeitdauer von 30 Sekunden. Es empfi ehlt sich der Einsatz eines von diversen Herstellern angebotenen Kaloristats. Im Einzelfall können auch Extremreize mit 20° kaltem Wasser oder mit Eiswasser zusätzliche Informationen liefern. Zur Untersuchung muss der Kopf am sitzenden Patienten um 60° nach hinten bzw. am liegenden Patienten um 30° nach vorne geneigt werden, um die horizontalen Bogen-gänge vertikal auszurichten.Zwar kann die Befunderfassung auch mittels der Frenzel-Brille erfolgen, durch die Video-nystagmographie sind aber Auswertung und Befunddokumentation erleichtert.Es ergeben sich folgende physiologische Be-funde:Heißreiz Nystagmus zum gleichen OhrKaltreiz Nystagmus zum anderen Ohr (Cave: Merksatz funktioniert nur mit „heiß“, nicht mit „warm“)

Die Heißspülung bewirkt eine utrikulopetale Auslenkung der Cupula und damit eine Zu-nahme der Aktionspotenzialfrequenz, die Kaltspülung eine utrikulofugale Auslenkung mit Abnahme der Aktionspotenzialfrequenz. An diesen physiologischen Mechanismen sind folgende drei Mechanismen beteiligt:• Konvektion in der Endolymphe• Veränderungen der Auftriebskraft mit kon-

sekutivem transkupulärem Druck• Ausdehnung der Endolymphe und der

knöchernen Wandung mit konsekutiver (gravitationsunabhängiger) Stimulation der Ampulle

Durch den letztgenannten Faktor ist erklärlich, dass eine thermische Erregbarkeitsprüfung

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Repetitorium Neurotologie 219

auch in der Schwerelosigkeit (wenn auch mit geringeren Reizantworten) funktioniert.Auswertungskriterium ist die Geschwindigkeit der langsamen Phase während der Kulmina-tion, also der Phase der maximalen Reaktion.Bei der Prüfung lassen sich die Parameter Sei-tendifferenz und Richtungsüberwiegen nach folgenden Formeln berechnen:

Seitendifferenz:R44 + R30

L44 + L30

Richtungsüberwiegen: R44 + L30

L44 + R30

(R30 + R44) – (L30 + L44)

R30 + R44 + L30 + L44

Kanalparese(Jongkees-Formel):

Bei der Jongkees-Formel gilt ein Wert > 0,25 als pathologisch.Beim kalorischen Wendetest nach Westhofen wird eine kalorische Kaltrei-zung in liegender Position (Kopf um 30° angehoben) durchgeführt; während der Kulmination erfolgt eine schnelle Drehung in Bauchlage (Kopf um 30° abgesenkt). Hier-durch wird beim Gesunden eine sofortige Umkehr des zuvor zum Gegenohr schlagen-den Nystagmus herbeigeführt. Ein Ausblei-ben der Richtungsumkehr wird als Hinweis auf eine Funktionsstörung der Macula utriculi angesehen.

Pendelblickfolge, OptokinetikDie Prüfung der Pendelblickfolge erfolgt mit-tels eines von einem Beamer projizierten pen-delnden Lichtpunkts, dem der Proband folgen muss. Bei zentral-vestibulären Störung kann eine Sakkadierung auftreten, bei peripher-vestibulären Störungen ist keine Beeinträchti-gung zu erwarten.Bei der optokinetischen Prüfung sitzt der Proband und beobachtet ein bewegtes Ziel in horizontaler Richtung. Im einfachsten Fall handelt es sich um eine Trommel mit einem schwarz-weiß-Streifenmuster, bei den ge-bräuchlichen Diagnostiksystemen wird mittels eines Beamers ein solches Muster auf eine

Leinwand projiziert. Bei Kindern können alter-nativ kindgerechte Symbole (z. B. Flugzeuge) verwendet werden. Die Aufzeichnung der (horizontalen) Nystagmen erfolgt apparativ, es werden Messungen bei Winkelgeschwin-digkeiten von 20°, 40° und 60° vorgenom-men.

DrehstuhlHierbei sitzt der Proband auf einem Dreh-stuhl, der Winkelbeschleunigungen in beide Richtungen zulässt. Bei der Rotation mit konstanter Geschwindigkeit (Drehachse in Körpermitte) entstehen physiologischerweise perrotatorische Nystagmen in Drehrichtung und postrotatorische Nystagmen in entgegen-gesetzte Richtung – leicht erklärbar mit der Trägheit der Endolymphe im (horizontalen) Bogengang. Wichtiger ist die Untersuchung der Nystagmusreaktion bei der Drehstuhlpen-delung, also bei der sinusförmigen Drehung in beide Richtungen. Bei der Auswertung achtet man auf Seitendifferenzen.Die exzentrische Drehung stellt ein ap-parativ sehr aufwändiges Untersuchungs-verfahren dar, das nur an spezialisierten Zentren zur Verfügung steht. Durch die ver-tikale Verschiebung der Drehachse von der Körpermitte in ein Labyrinth nach Erreichen einer konstanten Drehgeschwindigkeit bei einer konzentrischen Rotation wird bei der Rotation nur noch das exzentrische Bogen-gangsystem beschleunigt, während das in der Drehachse gelegene Bogengangsystem praktisch keine relevante Tangential- und Zentrifugalbeschleunigung erführt. Damit mu tiert der Test zur Otolithenfuntionsprüfung am exzentrisch rotierten Labyrinth – es las-sen sich hier torsionale Augenbewegungen registrieren, da praktisch nur die Macula (utriculi) stimuliert wird. Während des Test wird die subjektive visuelle Vertikale be-stimmt. Da inzwischen mittels der VEMP-Messung ein einfacherer und verlässlicher Test zur Verfügung steht, hat die exzentri-sche Rotation nur noch historische und wis-senschaftliche Bedeutung.

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VEMPDie Messung der vestibulär evozierten myogenen Potenziale ist die neueste Errungenschaft in der apparativen Gleich-gewichtsprüfung. Die apparative Grundlage besteht in einer BERA-Messeinrichtung mit entsprechender Aufrüstung.Man unterscheidet zervikale vestibulär evo-zierte myogene Potenziale (c-VEMP) und oku-läre vestibulär evozierte myogene Potenziale (o-VEMP), wobei sich mit beiden Methoden die Funktion beider Otololithenorgane erfas-sen lässt:

c-VEMP Sacculuso-VEMP Utriculus

Bei der Messung der c-VEMPs erfolgt eine homolaterale akustische Stimulation durch ein deutlich überschwelliges Signal, appliziert über Luft- oder Knochenleitung. Die Ableitung erfolgt durch Oberfl ächenelektroden an bei-den Musculi sternocleidomastoidei – die ein-seitige Reizung bewirkt also Reizantworten an beiden Muskeln. Physiologischerweise fi ndet sich ein positives Reiz korreliertes Potenzial bei etwa 13 ms (p13) und ein negatives Po-tenzial bei etwa 23 ms (n23).o-VEMPs lassen hingegen nach akustischer oder vibratorischer Reizung am kontralatera-len Musculus rectus inferior (bzw. Musculus ob-liquus inferior, beide Muskeln lassen sich elekt-romyographisch nur bedingt trennen) ableiten. Maßgeblich sind ein negatives Potenzial nach 10 ms (n10) und ein positives Potenzial nach 15 ms (p15).Die VEMP-Messung ermöglicht es, bei der „Neuropathia vestibularis“ den bzw. die be-troffenen Vestibularnerven zu ermitteln (siehe unten).

vHIT (Video-Head-Impulse-Test)Drei Hersteller bieten inzwischen Systeme an, die eine apparative Auswertung des Kopf-impulstests ermöglichen. Hierbei werden die Augenbewegungen aufgezeichnet und aus-gewertet. Der Vorteil der apparativen Auf-

zeichnung ist, dass neben „overt-Sakkaden“ auch „hidden-Sakkaden“, also Sakkaden, die während der physiologischen Augenbewe-gungen auftreten, erkannt werden können. Die Systeme unterscheiden sich derzeit unter anderem in der Möglichkeit, neben den hori-zontalen Bogengängen auch die beiden an-deren Bogengänge zu untersuchen.

Statische PosturographieBei der statischen Posturographie steht der Pro-band auf einer Druck sensitiven Platte. Aufge-zeichnet wird der zeitliche Verlauf des Kraft-schwerpunkts (Gravitation und Scherkräfte) in einem x-y-Koordinatensystem. Üblicherweise wird die statische Posturographie mit geöff-neten Augen und dann mit geschlossenen Augen durchgeführt. Für die Auswertung rele-vant sind das Zentrum der Körperschwankun-gen (Antero-, Postero-, Lateropulsion) und die Amplitude der Schwankungen. Die Befunde bei offenen und geschlossenen Augen müssen verglichen werden. Relativ neu ist die Analyse der Körperschwankungen mittels Frequenz-analyse (Fourier-Transformation). Anhand der Frequenz der Schwankungen soll ein Rück-schluss auf die Genese der Störung möglich sein (Tabelle 4).Die verschiedenen kommerziell erhältlichen Posturographie-Plattformen (Luzerner Mess-platte, Fa. Otopront; Enke-Platte, Fa. GN Oto-metrics; BR 415, Fa. Interacoustics; Zebris; Sunlight Tetrax) unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Nutzbarkeit für ein vestibulä-res Kompensations- und Feedbacktraining. Auch die Normwerte sind produktspezifi sch.

Dynamische PosturographieBei der dynamischen Posturographie sind die Standfl äche und/oder der Horizont beweglich. Die gebräuchlichsten Systeme sind der Smart Equitest und der Balance Master der Firma Neurocom. Das System ist nicht nur für diag-nostische Zwecke, sondern auch für ein vestibu-läres Rehabilitationstraining verwendbar.In diagnostischer Hinsicht werden typischer-weise folgende Tests durchgeführt:

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Repetitorium Neurotologie 221

• sensorischer Organisationstest (SOT) Hier steht der Proband auf einer in Längs-

richtung kippbaren Plattform mit kippba-rem Horizont. Es werden folgende sechs Konditionen geprüft:– Augen offen, Plattform in Ruhe, Hori-

zont still = statische Posturographie mit offenen Augen

– Augen zu, Plattform in Ruhe, Horizont still = statische Posturographie mit ge-schlossenen Augen

– Augen auf, Plattform in Ruhe, Horizont gekippt

– Augen auf, Plattform gekippt, Horizont still

– Augen zu, Plattform gekippt, Horizont still

– Augen auf, Plattform gekippt, Horizont gekippt

• motorischer Kontroll-Test (MCT) Der Proband steht auf einer in Vorwärts-

Rückwärts-Richtung beweglichen Plattform. Es werden unerwartete Bewegungen der Plattform mit wechselnder Richtung und un-terschiedlichen Amplituden ausgeführt. Der MCT ist am wenigsten bewusst beeinfl uss-bar.

• Adaptationstest (ADT) Die Plattform wird bei diesem Test jeweils

fünfmal aufwärts oder abwärts gekippt. Es handelt sich hier um einen vorwiegend mo-torischen Test. Typischerweise tritt hier ein Lerneffekt auf, d. h. die Reaktionen werden im Verlauf der Tests sicherer.

• Clinical Test for Sensory Interaction and Balance (CTSIB)

Der Proband steht auf einer Plattform bei folgenden vier Konditionen:

Frequenzbereich (Hz) posturales Subsystem

0,03 – 0,1 visuelles System, nigrostriatales System

0,1– 0,5 peripher-vestibuläres System

0,5 –1,0 somatosensorisches System

� 1,0 zerebelläres System

Tabelle 4Korrelation zwischen Frequenz der Körperschwan-kungen und Genese der posturalen Störung (nach Schwesig et al.)

– Stehen auf fester Unterfl äche mit geöff-neten Augen

– Stehen auf fester Unterfl äche mit ge-schlossenen Augen

– Stehen auf weicher Unterfl äche mit ge-öffneten Augen

– Stehen auf weicher Unterfl äche mit ge-schlossenen Augen

Die Tests erlauben in der Zusammenschau eine Beurteilung des Funktionszustands des gleichgewichtsregulierenden Systems unter alltagsähnlichen Bedingungen. Auch liefert die dynamische Posturographie Hinweise auf eine etwaige Aggravation – sie stellt damit ein wertvolles Instrument bei der Begutach-tung dar. Eine topographische Zuordnung ist jedoch allenfalls bedingt möglich.

ZervikalnystagmusDie Frage eines Kausalzusammenhangs zwi-schen einer Funktionsstörung der Halswir-belsäule und Schwindel wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Die wissenschaftlichen Daten lassen derzeit keine abschließende Bewertung zu. Insoweit ist die Aussagekraft von so genannten Zervikalnystagmen nicht unumstritten.Bei dem Test sitz der Proband auf einem dreh-baren Stuhl. Bei fi xiertem Kopf wird der Rumpf in physiologischen Maßen rotiert. Gleichzei-tig erfolgt eine videonystagmographische Aufzeichnung. Pathologische Relevanz hat al-lenfalls eine Seitendifferenz der auch physio-logisch vorkommenden Zervikalnystagmen.

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ElektrokochleographieDie Elektrokochleographie hat nur Bedeutung als fakultatives diagnostisches Instrument bei Morbus Menière. Hierbei wird eine Reizelek-trode transtympanal auf dem Promontorium platziert. Gemessen wird der Quotient aus Summationspotenzial (SP, generiert in der Cochlea) und Summenaktionspotential (AP, generiert im Nervus cochlearis). Dieser Quo-tient SP/AP liegt physiologisch bei etwa 0,3 und ist beim Vorliegen eines endolymphati-schen Hydrops erhöht. Methodisch bedingt ist die Elektrokochleographie bei Hochton-hörminderungen (basale Schneckenwindung) sensitiver als bei Tieftonhörminderungen (api-kale Schneckenwindung).

Klockhoff-Test, Futaki-Test, Urea-TestHierbei handelt es sich um osmotische Tests, die zum Nachweis eines endolymphatischen Hydrops verwendet werden. Voraussetzung für die Testdurchführung ist eine zum Unter-suchungszeitpunkt vorliegende sensorische Tieftonschwerhörigkeit. Am nüchternen Pro-banden wird zunächst ein Ausgangsaudio-gramm gemessen, der Test kann durch die zusätzliche Messung der Distorsionsprodukte otoakustischer Emissionen verfeinert werden. Dann wird eine Glyzerollösung (1,2 ml/kg KG bzw. 1,5 g/kg KG Propantriol = Klock-hoff-Test) oral verabreicht. Dann werden die audiometrischen Untersuchungen (Tonschwel-lenaudiogramm, Sprachaudiogramm, Distor-sionsprodukte otoakustischer Emissionen) im Abstand von 30 Minuten für etwa zwei bis drei Stunden wiederholt. Der Klockhoff-Test ist positiv, wenn es zu einer Hörverbesserung von mindestens 5 dB bei 250 Hz, 500 Hz und 1000 Hz kommt. Details zur Auswertung sind dem Artikel von Basel und Lütkenhöner in diesem Buch zu entnehmen.Anschließend (oder alternativ) kann der Futaki-Test mit 20 mg Furosemid, parenteral verabreicht, durchgeführt werden. Gemäß der Erstbeschreibung sollen repetitive kalori-sche Messungen vorgenommen werden, im Alltag sind aber auch audiometrische Messun-

gen ausreichend. In der eigenen Praxis wird eine Furosemid-Dosis von 40 mg verwendet, wenn der zuvor ausgeführte Klockhoff-Test nicht positiv war.Beim Urea- bzw. Harnstoff-Test werden 20 g Harnstoff oral verabreicht. Die Auswertung erfolgt analog zum Klockhoff-Test.

Bild gebende DiagnostikDie Indikation zur Bild gebenden Diagnostik ergibt sich aufgrund der Anamnese und den klinischen Befunden – keinesfalls muss bei allen Schwindelpatien ten eine Bild gebende Diagnostik erfolgen! Da die relevanten Strukturen des zentral-vestibulären Systems im Hirnstamm und im Kleinhirn lie-gen, ist eine Computertomographie in aller Regel nicht aussagekräftig (Grund: Aufhär-tungsartefakte im Bereich des Hirnstamms = Houndsfi eld-Balken). Das Bild gebende Ver-fahren der Wahl bei Schwindel stellt also die Magnetresonanztomographie dar. Bei (ver-muteten) Felsenbeinfrakturen ist hingegen die Computertomographie zu favorisieren. Das Superior Canal Dehiscence Syndrom lässt sich ebenfalls am besten in der Computerto-mographie erkennen.Bei charakteristischen BPLS-Befunden ist eine Bildgebung verzichtbar.Auch die Unterscheidung zwischen einem aku-ten einseitigen peripheren Labyrinthausfall und einem Hirnstamminsult ist zumeist klinisch mög-lich („HINTS“), in unklaren Fällen ist eine MRT-Untersuchung allerdings empfehlenswert.Der endolymphatische Hydrops beim Mor-bus Menière ist derzeit mit einem Routine-MRT nicht sicher erfassbar. Eine japanische Arbeitsgruppe um Naganawa konnte den Hydrops-Nachweis nach Kontrastmittelinjek-tion in das Innenohr führen. Vorläufi ge Daten der gleichen Gruppe weisen darauf hin, dass auch nach intravenöser Kontrastmittelinjektion am Hochfeld-Gerät ein Hydrops erkennbar sein könnte.Beim Ramsay-Hunt-Syndrom (Varizella zoster-Reaktivierung mit Bläschen an Ohrmu-schel und Gehörgang, neuraler Hörminde-

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Erkrankung Bild gebendes Verfahren

Fehlbildungen des Felsenbeins CT, ggf. MRT

Felsenbeinfrakturen CT

Entzündungen („Neuritis vestibularis“) MRT

Vestibularisschwannom, Fazialisschwannom, Neurofi bromatose II

MRT

Gefäßschlinge im inneren Gehörgang Angio-MRT

Zentral-vestibuläre Störungen (Blutung, Ischämie, Malformation)

MRT

Superior Canal Dehiscence Syndrom CT (evtl. zur Navigation)

BPLS Bildgebung nicht indiziert; bislang nicht mit Bild gebenden Verfahren nachweisbar

M. Menière Bildgebung nicht indiziert; Hydrops unter experimentellen Bedingungen nachweisbar (3T, intralabyrinthäre Kontrastmittelinjektion)

Saccus endolymphaticus-Tumoren MRT, evtl. Navigations-CT

Tabelle 5Bild gebende Diagnostik bei Erkrankungen mit dem Symptom Schwindel

rung, einseitigem peripherem Labyrinthausfall, peripherer Fazialisparese) ist ein Aufl euchten des Ganglion geniculi im T1-Bild mit Kontrast-mittel charakteristisch.Zum Nachweis bzw. Ausschluss eines Vesti-bularisschwannoms besonders geeignet sind auch die CISS-Sequenzen (constructive inter-ference in steady state = extrem T2-gewich-tete Gradientenechosequenz, CIS3D).Grundsätzlich muss auf eine angemessen dünne Schichtdicke im Bereich der rele-vanten Strukturen (Labyrinth, innerer Ge-hörgang, Wurzeleintrittszone des achten Hirnnervs in den Hirnstamm, Kleinhirnbrü-ckenwinkel) geachtet werden – in der Regel ist eine Schichtung im Abstand von 1 mm empfehlenswert.In Tabelle 5 sind einzelne Krankheitsbildern den am besten geeigneten Bild gebenden Verfahren gegenübergestellt.Zusammenfassend lassen sich die nachfol-genden Untersuchungsverfahren folgenden Zielstrukturen des peripheren Gleichgewichts-apparats zuordnen:

• thermische Prüfung:horizontaler Bogengang

• Lagerungsprüfung: alle Bogengänge

• Drehprüfung:horizontaler Bogengang

• subjektive visuelle Vertikale:Otolithen (Utriculus)

• Ocular Counterrolling: Otolithen (Utriculus)

• exzentrische Drehung:Sacculus

• c-VEMP:Sacculus

• o-VEMP: Utriculus

• kalorischer Wendetest: Utriculus

• pressorisches Fistelsymptom:horizontaler Bogengang

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Grundprinzipien der Therapie

Grundsätzlich muss eine kausale von einer symptomatischen Therapie unterschieden wer-den.Folgende Krankheitsbilder können kausal the-rapiert werden:• benigner paroxysmaler Lagerungsschwin-

del: durch richtig ausgewähltes Repositi-onsmanöver

• Dehiszenz des vorderen Bogengangs: durch transtemporale Abdeckung

• Vestibularis-Paroxysmien: durch neurovas-kuläre Dekompression

• Bogengangsfi steln: durch operative Abde-ckung

• kalorische Reizerscheinungen bei Radi-kalhöhle: durch Radikalhöhlenverkleine-rung

Alle anderen Krankheitsbilder lassen sich in der Regel nur symptomatisch behandeln. Je nach Krankheitsbild ist eine solche symptoma-tische Behandlung nur kurzzeitig nötig (z. B. beim akuten einseitigen peripheren Labyrinth-ausfall), bei anderen Erkrankungen ist eine längerfristige Therapie nötig (z. B. Anfallspro-phylaxe beim Morbus Menière, Therapie von Vertikalnystagmen).Für die symptomatische Therapie stehen phar-makologische, physiotherapeutische und psy-chotherapeutische Optionen zur Verfügung.

Medikamentöse TherapieBei der medikamentösen Schwindeltherapie ist es wichtig, zwischen sedierenden und nicht sedierenden Stoffen zu unterscheiden, daneben lassen sich noch Medikamente mit Sonderindikationen (z. B. Setrone zur Be-handlung des Chemotherapie induzierten Erbrechens) abgrenzen. Sedierende Substan-zen stehen im Verdacht, zentral-vestibuläre Kompensationsvorgänge negativ zu beein-fl ussen und sollen daher nur kurzzeitig (d. h. zur Beseitigung der vegetativen Symptomatik bei akutem einseitigem Labyrinthausfall) ein-gesetzt werden. Auf eine erhöhte Unfallge-

fahr beim Einsatz von sedierenden Medika-menten insbesondere bei älteren Patienten mit multisensorischen Defi ziten muss hinge-wiesen werden. Nicht-sedierende Antiverti-ginosa stehen hingegen zur längerfristigen Therapie zur Verfügung (z. B. Betahistin zur Anfallsprophylaxe bei Morbus Menière, Ar-levert® (= Cinnarizin + Dimenhydrinat) bei Schwindel verschiedener Genese).Allgemein gilt, dass alle Wirkstoffe mit sedierender Eigenschaft antiverti-ginös wirken (nur das wache Gehirn emp-fi ndet ein Schwindelgefühl), entsprechend breit ist die Palette von Substanzen, die einen Schwindel positiv beeinfl ussen können: Ben-zodiazepine, niedrig-potente Neuroleptika, zentral-wirksame H1-Antihistaminika und letztlich alle Narkotika. Diese Substanzen greifen an unterschiedlichen Rezeptoren im Zentralnervensystem an – es gibt keinen spe-zifi schen Rezeptor bzw. Neurotransmitter für das vestibuläre System, so dass sich auch die unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Antivertiginosa leicht erklären lassen. Die wichtigsten am vestibulären System beteilig-ten Neurotransmitter sind Acetylcholin, Hista-min, Dopamin, Serotonin, Glutamat und GABA.Nachfolgend soll im Einzelnen auf die wich-tigsten Antivertiginosa eingegangen werden.

BetahistinBetahistin ist ein Histamin-Analogon, das zen-tral schwach agonistisch an H1-Rezeptoren und stark antagonistisch an H3-Rezeptoren wirkt, auf H2- und H4-Rezeptoren besteht kein Einfl uss. Ursprünglich wurde die Substanz zur Therapie des vasomotorischen Kopfschmer-zes entwickelt, bis sich dann ergab, dass Betahistin vor allem bei Morbus Menière prophylaktisch wirksam ist. Betahistin steigert den vestibulären Blutfl uss und moduliert die Ruhefrequenz der vestibulären Haarzellen. Weiterhin wird eine zentrale Wirkung auf Vestibulariskerne diskutiert.Betahistin ist in Form zweier verschiedener Salze auf dem Markt:

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Repetitorium Neurotologie 225

Rechnerisch entspricht eine Einzeldosis von 12 mg Betahistindimesilat etwa 5 mg Wirk-stoff, während eine Einzeldosis von 16 mg Betahistindihydrochlorid 10 mg Wirkstoff ent-spricht.Betahistin ist ausschließlich indiziert zur Anfallsprophylaxe bei Morbus Menière, bei allen anderen Erkrankungen mit Schwindel stehen bessere Therapiealter-nativen zur Verfügung. Beim Morbus Menière wirkt Betahistin vornehmlich auf die anfalls-weise Schwindelsymptomatik, die Hörmin-derung wird durch Betahistin praktisch nicht beeinfl usst.

Sedierende Antivertiginosa (Sedierung dosisabhängig)

• Benzodiazepine (Diazepam, Clonazepam, Lorazepam etc.)• niedrig potente Neuroleptika (Promethazin, Sulpirid, Droperidol)• ZNS-gängige H1-Antihistaminika (Dimenhydrinat, Diphenhydramin, Antihistaminika vom

Benzhydriltyp mit Calcium antagonistischer Wirkung wie Cinnarizin, Flunarizin)

Nicht-sedierende Antivertiginosa (keine Sedierung in üblicher Dosierung)

• Betahistin• Arlevert® (Dimenhydrinat 40 mg + Cinnarizin 20 mg)• Ingwerwurzelextrakt• Cocculus-Zubereitungen* (Wirkstoff: Picrotoxin = GABAA-Antagonist)• 5-HT3-Antagonisten (Serotonin 3-Rezeptorantagonisten, Setrone)* Cave Ethanol als Lösungsmittel bei Tropfen!

Medikamente mit Sonderindikationen

• Migräneschwindel: Triptane, Betablocker, Acetazolamid• Vestibularisparoxysmien: Pregabalin, Gabapentin, Carbamazepin• Vertikalnystagmen: Aminopyridine, Baclofen• Kinetose-Prophylaxe: Scopolamin• Chemotherapie induziertes Erbrechen: Setrone, Neurokinin 1-Antagonisten• akuter einseitiger peripherer Labyrinthausfall, Menière-Anfall: Prednisolon,

Methylprednisolon• somatoformer Schwindel: ggf. SSRI, SSNRI

Tabelle 6Übersicht über antivertiginöse Pharmaka

• Betahistindihydrochlorid:Vasomotal®, Betavert® N

• Betahistindimesilat: Aequamen® und alle anderen Generika

Beide Salze unterscheiden sich im Wirkstoff-anteil und in der Dosierung.Betahistindihydrochlorid wird in Tabletten zu 16 mg und 24 mg angeboten, Betahistindime-silat in Tabletten zu 6 mg und 12 mg.

Betahistindihydrochlorid wird also höher do-siert als Betahistindimesilat.

Der Wirkstoffanteil bei Betahistindimesilat-Präparationen beträgt nur 41,5 %, im Ver-gleich zu 65,1 % bei Betahistindihydrochlorid-Präparationen.

Betahistindihydrochlorid weist also gegen-über Betahistindimesilat einen höheren Wirk-stoffanteil auf.

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Repetitorium Neurotologie226

Die Verträglichkeit von Betahistin ist gut, Nebenwirkungen sind selten (ca. 1:100 000). Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Hista-min sensitivem Asthma bronchiale. Bei einer Komedikation mit Liquor gängigen H1-Antihis-taminika kann es zu Interaktionen kommen, moderne H1-Antihistaminika, die die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, werden in aller Regel problemlos vertragen.

Dimenhydrinat und DiphenhydraminDimenhydrinat ist ein H1-Antihistaminikum der ersten Generation, das die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. Dimenhydrinat wirkt zentral antivertiginös. Die Monosubstanz wirkt in the-rapeutischer Dosierung (3 × 50 –150 mg) se-dierend. Die Substanz kann oral, intramusku-lär und intravenös appliziert werden, bei den Parenteralia muss auf die unterschiedlichen Zubereitungen geachtet werden.Dimenhydrinat ist indiziert zur Akuttherapie des Menière-Anfalls und des Migräneschwin-dels sowie zur Initialtherapie des akuten ein-seitigen peripheren Labyrinthausfalls.Die in der Wirkung vergleichbare Substanz Diphenhydramin ist nur noch als Schlafmittel zugelassen, eine Ausnahme bildet die Injek-tionslösung Diphenhydramin-Hevert® 20 mg.

Cinnarizin, FlunarizinCinnarizin gehört wie Flunarizin zur Gruppe der zentral wirksamen H1-Antihistaminika vom Benzhydriltyp mit zentraler Calcium antago-nistischer Wirkung. Die kardialen Wirkun-gen sind vernachlässigbar. Die Substanzen blockieren den Calcium-Einstrom und verhin-dern somit eine Kontraktion von glatten Mus-kelzellen – es ergibt sich also ein Membran stabilisierender Effekt, vor allem am periphe-ren Gleichgewichtsapparat. Cinnarizin ist in Deutschland als Monosubstanz nicht mehr verfügbar, die übliche Dosierung der Mono-substanz beträgt 3 × 50 mg.Flunarizin ist zugelassen „zur symptoma-tischen Behandlung von fachärztlich abge-klärtem vestibulärem Schwindel infolge von anhaltenden Funktionsstörungen des Gleich-

gewichtsapparates“; die Therapiedauer soll zwei Monate nicht überschreiten.

Arlevert®

Arlevert® ist ein Kombinationspräparat aus Cinnarizin und Dimenhydrinat. Im Vergleich zu den Monosubstanzen sind die Wirkstoffe hier niedriger dosiert: Cinnarizin 20 mg und Dimenhydrinat 40 mg. Das Kombinationsprä-parat ist sowohl peripher- als auch zentral-ves-tibulär wirksam, eine sedierende Wirkung ist selten. Arlevert® wirkt dual bei peripher-ves-tibulären und bei zentral-vestibulären Störun-gen und kann demnach auch bei Schwindel unklarer Genese zur Initialtherapie eingesetzt werden. Eine aktuelle Metaanalyse (Publika-tion in Vorbereitung) ergab, dass Arlevert®

bei Schindel verschiedener Genese den Mo-nosubstanzen Cinnarizin und Dimenhydrinat ebenso überlegen war wie den Vergleichs-substanzen Betahistin und Plazebo (siehe Beitrag Evidenz basierte Schwindeltherapie in diesem Buch).

PicrotoxinPicrotoxin ist die pharmakologisch aktive Sub-stanz in der indischen Kletterpfl anze Amirta cocculus, der Wirkmechanismus besteht in einem GABAA-Antagonismus. Die aus dieser Pfl anze entstehenden Kockelskörner sollen ge-mäß der Legende bereits von mittelalterlichen Seefahrern zur Prophylaxe und Behandlung der Seekrankheit und zum Fischfang verwen-det worden sein. Cocculus steht außerdem in homöopathischen Präparationen (Vertigo-Heel®, VertigoHevert® – Cave Tropfen in alko-holischer Lösung) zur Verfügung. Picrotoxin-Suppositorien (1 mg/3 × wöchentlich) wurden zur Anfallsprophylaxe bei Morbus Menière eingesetzt.

IngwerIngwer (Zingiber offi cinale) fi ndet nicht nur in der asiatischen Küche Verwendung, sondern steht auch als Arzneimittel zur Verfügung. Es wurden prokinetische, anticholinerge, spasmolytische, antioxidative, profi brinoly-

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tische, antiinfl ammatorische (COX, LIP), und 5-HT3-antagonistische Effekte beschrieben, eine zentral-vestibuläre Wirkung ist fraglich. Für Ingwer spricht das weitgehende Fehlen von unerwünschten Wirkungen, Tagesdosen bis 6 g gelten als gut verträglich. Ingwer hat vor allem Bedeutung zur Prophylaxe von Ki-netosen (Tagesdosis 1 g) und zur Behandlung der Hyperemesis gravidarum. Das Handels-präparat heißt Zintona�.

SulpiridSulpirid ist ein Neuroleptikum, das für folgende Indikationen zugelassen ist: Sekundärthera-pie depressiver Störungen, M. Me nière, peripher-vestibulärer Schwindel, Schi-zophrenie. Die Dosierungen unterscheiden sich für die verschiedenen Indikationsgebiete. Die typische Dosierung bei Schwindel liegt bei 3 × 50 –100 mg/d. Sulpirid weist ein brei-tes Interaktionspotenzial mit vielen gängigen Arzneimitteln auf, Herzrhythmusstörungen sind eine nicht seltene Nebenwirkung. Da es regelmäßig zu einem Prolaktin-Anstieg unter einer Medikation mit Sulpirid kommt, sollte die Substanz bei prämenopausalen Frauen nur nach kritischer Abwägung eingesetzt werden. Sulpirid kann demnach nur noch als Reserve-medikament angesehen werden.

Physikalische TherapiePeripher-vestibuläre Störungen können durch das zentral-vestibuläre System kompensiert werden, auch Patienten mit zentral-vestibulä-ren Störungen können von einem Kompensa-tionstraining profi tieren.Das Spektrum eines solchen vestibulären Trai-nings reicht von selbständigen Übungen (un-ter Verwendung von Anleitungsbögen) über ein Training mit einem Physiotherapeuten bis hin zu einem individuellen apparativen Trai-ning.Ein wichtiger Aspekt vor allem bei älteren Patienten ist auch eine Sturzprophylaxe, wo-bei allerdings ein Rollator oder eine Unter-armgehhilfe ohne orthopädische Indikation den Kompensationsprozess behindern kann.

Viel zweckdienlicher ist die Beseitigung von Sturzgefahren im persönlichen Umfeld (z. B. Vorlegeteppiche, Tierfelle, lose Kabel, Boden-schwellen, Duschkabine).In apparativer Hinsicht wurden in den letzten Jahren mehrere neue Geräte vorgestellt, mit denen ein vestibuläres Training durchgeführt werden kann:• mit den meisten zur Diagnostik eingesetz-

ten Posturographieplattformen ist auch ein Trainingsmodus möglich

• Neurofeedbacksysteme: BrainPort® (elektri-sche Stimulation der Zunge in Abhängigkeit von der Kopfposition), SwayStar® (vibratori-sche Reizung über einen Rumpfgürtel), Ver-tiGuard® (vibrotaktile Reizun g über ein an einem Rumpfgürtel angebrachtes Gerät)

Auch mit dem Consumer-Produkt Nintendo Wii kann mit einer als Zubehör erhältlichen „Posturographie“-Plattform ein Übungspro-gramm absolviert werden.Insgesamt scheint es beim vestibulären Trai-ning nicht auf das „wie“, sondern vor allem auf das „überhaupt“ und das „wie oft“ anzu-kommen.

Psychotherapeutische BehandlungNeben primär psychogenen Schwindelfor-men („phobischer Schwankschwindel“, bes-ser: somatoformer Schwindel) kommen vor allem bei Patienten mit Morbus Menière auch sekundäre psychische Störungen vor, die sich manchmal von echten, also somatischen Menière-Anfällen nur schwer unterscheiden lassen. Hierbei drückt sich die Angst vor dem nächsten Anfall sozusagen als Schwindelan-fall aus. Nicht selten fi nden sich auch (koexis-tente oder reaktive?) depressive Störungen und Angststörungen. In psychotherapeuti-scher Hinsicht haben sich vor allem verhal-tenstherapeutische Ansätze bewährt.

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Erkrankungen des peripher-vestibulären Systems

Es gilt, folgende peripher-vestibuläre Erkran-kungen zu unterscheiden:• benigner paroxysmaler Lagerungsschwin-

del (BPLS, BPPV = benign paroxysmal po-sitional vertigo)

• Morbus Menière bzw. Menière-Symptom-komplex

• akuter einseitiger peripherer Labyrinthaus-fall (Neuropathia vestibularis, Neuritis ves-tibularis)

• Vestibularis-Paroxysmien• Dehiszenz des superioren (= anterioren

vertikalen) Bogengangs

Zudem ist in diesem Zusammenhang noch das Vestibularisschwannom zu erwähnen. Hier steht allerdings Schwindel nicht als Leitsymp-tom im Vordergrund (siehe unten).

Benigner paroxysmaler LagerungsschwindelUrsache des benignen paroxysmalen La-gerungsschwindels ist die Dislokation von Otokonien aus den Otolithenorganen (vor-nehmlich aus dem Utriculus, da näher an den Bogengängen gelegen) in die Bogengänge. Aus anatomischen Gründen ist der posteriore vertikale Bogengang am häufi gsten betroffen (80 – 90 %), gefolgt vom horizontalen Bogen-gang (10 – 20 %) und vom anterioren verti-kalen Bogengang (selten). Zumeist kommt es zu einer Canalolithiasis, also zu einem freien Flottieren der Otokonien in einem Bo-gengang. Vor allem beim horizontalen BPLS (h-BPLS) kann es auch zu Cupulolithiasis, d. h. zur Anlagerung der abgesprengten Otoko-nien an der Cupula) kommen.Charakteristisch ist ein durch Lagewechsel re-produzierbar auslösbaren Drehschwindel von etwa 30 s Dauer mit typischem Crescendo-Decrescendo-Muster. Die Symptomatik ist bei wiederholter Prüfung habituierbar, wobei dies für den h-BPLS am wenigsten gilt. Es bestehen keine Hörminderung und kein Tinnitus.

Als Auslöser eines BPLS kommt in Betracht:• posttraumatisch: Kopfanprall (z. B. Schä-

deltrauma), Erschütterung des Schädels (z. B. bei Septorhinoplastik)

• Eingriffe am Mittelohr• degenerative Prozesse• Folgezustand nach einem akuten einseiti-

gen Labyrinthausfall (Lindsay-Hemenway-Syndrom)

• „idiopathisch“

Die diagnostischen Kriterien für die acht un-terscheidbaren BPLS-Formen wurden bereits oben dargestellt. Sobald die Diagnostik abgeschlossen ist, kön-nen die therapeutischen Maßnahmen geplant werden. Grundsätzlich gilt, dass ein BPLS vor-nehmlich durch ein Repositionsmanöver be-handelt werden soll, primäre medikamentöse Behandlungsansätze haben keinen Platz.Je nach Art des BPLS stehen folgende Reposi-tionsmanöver zur Verfügung:• p-BPLS: Semont-Manöver,

Epley-Manöver• a-BPLS: Rahko-Manöver,

(Crevitz-Manöver, Yacovino-Manöver)

• typischer h-BPLS: Barbecue-Rotation zum gesunden Ohr

• atypischer h-BPLS: Brandt-Daroff-Manöver

Beim Semont-Manöver wird der Kopf um 45° zur nicht betroffenen Seite rotiert, dann folgt eine schnelle Lagerung auf die betroffene Seite. Nach drei Minuten folgt der „große Wurf“ um 180° zur Gegenseite. Nach weiteren drei Minuten erfolgt die langsame Aufrichtung.Das Epley-Manöver ähnelt dem Dix-Hallpike-Manöver und ist bei hypomobilen Patienten einfacher durchführbar. Im Sitzen erfolgt zunächst eine Kopfdrehung um 45° zur betroffenen Seite, dann wird der Körper mit überstrecktem Kopf in die Horizontale ge-bracht. Nach 30 Sekunden wird der Kopf um 90° zur Gegenseite gedreht, dann wird nach weiteren 30 Sekunden Wartezeit der Körper

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Repetitorium Neurotologie 229

um 90° zur Gegenseite gedreht. Nach erneu-ten 30 Sekunden erfolgt das Aufrichten. Eine zusätzliche Lagerung des Patienten auf einer vibrierenden Matratze bringt wohl keinen zu-sätzlichen Benefi t.Beim Rahko-Manöver wird der Kopf in lie-gender Position um 45° zur gesunden Seite gedreht. Dann wird der Körper für zwei Mi-nuten in eine Kopfhängelage gebracht. Der Kopf wird dann (bei fortbestehender 45°-Ro-tation) für eine Minute in die Horizontale an-gehoben, sodann erfolgt die Aufrichtung mit Kinn auf der Brust.Die Barbecue-Rotation beginnt im Liegen auf dem erkrankten Ohr. Dann folgt eine Dre-hung auf den Rücken, dann auf das gesunde Ohr und schließlich auf den Bauch. Aus der Bauchlage wird eine kniende Position einge-nommen mit horizontalem Kopf, dann erfolgt die Aufrichtung. Die Rotation um die Körper-achse kann auch mehrmals wiederholt wer-den.Das Brandt-Daroff-Manöver wurde ur-sprünglich zur Selbstbehandlung bei allen BPLS-Formen beschrieben, ist aber nur beim atypischen h-BPLS (Cupulolithiasis) wirklich wirksam. Hierbei lässt sich der anfangs sit-zende Proband abwechselnd zur rechten und zur linken Seite fallen. Die Position wird bis zum Abklingen des Schwindels beibehalten – tritt kein Schwindel auf, ist das Manöver wirkungslos.Die Lagerungsmanöver beim BPLS sind – vor-ausgesetzt, dass das richtige Manöver auf der richtigen Seite eingesetzt wurde, ein höchst effektives Therapieverfahren, in der Literatur sind Erfolgsraten bis zu 95 % bei der ersten Intervention angegeben. Für die sehr seltenen therapierefraktären Fälle stehen zwei operative Verfahren zur Verfü-gung:• bei p-BPLS: Neurektomie des Nervus sin-

gularis• bei allen BPLS-Formen: Bogengangsokklu-

sionAuch nach einem erfolgreichen Repositions-manöver kann es vorübergehend zu residuel-

len Schwindelsensationen kommen. Hier kann für zwei bis vier Wochen mit einem nicht-se-dierenden Antivertiginosum (z. B. Arlevert�) therapiert werden.

Morbus Menière bzw. Menière-SymptomkomplexBeim Morbus Menière handelt es sich um eine isolierte Erkrankung des Labyrinths. Die Erstbeschreibung 1861 geht zurück aus Pro-sper Menière (der vermutlich aber einen Pa-tienten mit akuter Labyrinthitis beobachtete). Als charakteristisch gilt die Menière-Trias:

Menière-Trias:• anfallsweiser Drehschwindel• Tinnitus• fl uktuierende Schallempfi ndungsschwer-

hörigkeit (im Tieftonbereich)

Weitere typische Symptome sind ein tief im Ohr empfundener Ohrdruck und eine Dipla-kusis bzw. Hallempfi ndung.Die Pathophysiologie der Erkrankung umfasst zwei Phasen:• endolymphatischer Hydrops • akuter Anfall mit lokaler Funktionsstörung

von Ionenkanälen mit Verlust des Ionengra-dienten zwischen Endo- und Perilymphe

Der endolymphatische Hydrops ist ge-kennzeichnet durch eine Überblähung des Endolymphschlauchsystems, so dass hydro-statischer Druck auf den Haarzellen lastet. Hierauf reagieren vor allem kochleäre Haar-zellen an der apikalen Windung der Cochlea empfi ndlich, so dass eine Tiefton betonte In-nenohrschwerhörigkeit (mit positivem Recruit-ment) resultiert. Auch die Symptome Ohrdruck und Diplakusis sind hierdurch zu erklären. Die vestibulären Haarzellen reagieren auf den Hydrops durch eine gesteigerte Spontanent-ladungsrate. Die Ursache des endolymphati-schen Hydrops ist weiterhin unklar, diskutiert werden Autoimmunprozesse und allergische Reaktionen. Pathophysiologisch liegt entwe-der eine Überproduktion oder eine Resorp-

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tionsstörung von Endolymphe zugrunde. Es wird angenommen, dass der Saccus endolym-phaticus eine führende Rolle in der Pathoge-nese des endolymphatischen Hydrops spielt. Aktuell wird auch eine Funktionsstörung von Aquaporinen als Krankheitsursache diskutiert (siehe unten).Der Menière-Anfall mit Drehschwindel, Tinni-tus und Hörminderung/ Hörverschlechterung (im Tieftonbereich) wird ausgelöst durch ei-nen Verlust des Ionengradienten zwischen Endo- und Perilymphe. Bildlich spricht man von einem Einriss der Reissnerschen-Memb-ran („Reissnersche Membran reißt“) mit Ver-mischung von Peri- und Endolymphe. Diese Störung hält für einige Stunden an, bis der Ionengradient nach Reaktivierung der Memb-ranfunktion wiederhergestellt ist. Beim Menière-Anfall können drei Phasen ab-gegrenzt werden:• Reizstadium mit Nystagmus zum gesunden

(gleichen) Ohr• Ausfallstadium mit Nystagmus zum ande-

ren Ohr („Membranblockade“)• Erholungsnystagmus zum gesunden Ohr

Der typische Menière-Anfall dauert weniger als 24 Stunden, bei länger dauernden „Anfäl-len“ muss an eine psychogene Überlagerung gedacht werden. Anfangs kommt es zu einer Restitutio ad integrum, im Verlauf können Hörminderung und Tinnitus persistieren. Die Anfallsfrequenz kann zwischen Tagen und Jahren variieren.Bei der Gleichgewichtsprüfung im beschwer-defreien Intervall lassen sich häufi g keine charakteristischen Befunde nachweisen. Wei-terhin beginnt der Morbus Menière häufi g monosymptomatisch, wobei sich dass Vollbild häufi g innerhalb eines Jahres entwickelt. Im zeitlichen Verlauf tritt eine kalorische Min-dererregbarkeit ein.Es gelten folgende diagnostische Kriterien (Tabelle 7).Das wichtigste diagnostische Kriterium für ei-nen endolymphatischen Hydrops und damit möglichen Morbus Menière ist die mulden-

förmige Recruitment positive Tiefton-Innenohrsenke. Liegt eine solche Senke vor, so empfi ehlt sich als nächster Schritt ein osmotischer Test (Klockhoff-Test, Futaki-Test, Urea-Test: s. oben). Im Einzelfall kann die Elektrokochleographie weiterführen, zukünf-tig dürfte der Hydrops-Nachweis im Hoch-feld-MRT möglich sein.Da die Befunde bei der Gleichgewichtsprü-fung im Intervall uncharakteristisch sind, ist die Beobachtung von Nystagmen im Anfall (idealerweise mit Umkehr vom Ausfall- zum Reiznystagmus) für die verlässliche Diagnose-stellung besonders wichtig.Neben dem „klassischen“ Morbus Menière existieren klinisch vier Sonderformen:• Lermoyez-Syndrom• Tumarkin-Anfall• isoliert-kochleärer Morbus Menière• isoliert-vestibulärer Morbus Menière

Beim Lermoyez-Syndrom besteht im an-fallsfreien Intervall eine (typischerweise Tief-ton betonte) Hörminderung. Im Anfall kommt es zu Drehschwindel, während sich das Hörvermögen gleichzeitig verbessert. Patho-hysiologisch spielt hier die utriculoendolym-phatische Klappe (Bast-Klappe) eine Rolle: im Intervall besteht ein endolymphatischer Hydrops, der infolge der Klappenfunktion zu einer Trennung von kochleärem und vestibu-lärem Endolymphraum führt. Im Anfall kommt es zu einem Endolymphkollaps, so dass die kochleären Haarzellen entlastet werden, wor-aus eine Hörverbesserung resultiert.Bei der Tumarkinschen Otolithenkrise beginnt der Anfall mit einem Sturz. Dies ist be-dingt durch eine aktuellen Funktionsverlust des Sacculus: der Körper reagiert hierauf durch einen sofortigen Verlust des Strecktonus. Eine Bewusstseinsstörung tritt hierbei regelmäßig nicht auf.Beim isoliert-kochleären Morbus Me-nière kommt es anfallsweise zu einer (typi-scherweise Tiefton betonten) Hörminderung mit/ohne Tinnitus, aber ohne Schwindelsymp-tome.

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Analog hierzu gibt es einen isoliert-ves-tibulären Morbus Menière, wobei hier differentialdiagnostisch auch eine Dehiszenz des superioren Bogengangs vorliegen könnte.

Bei der Therapie des Morbus Menière sind drei Situationen zu unterscheiden:• Therapie des Anfalls bei unsicherer Diag-

nose (Erstereignis)• Therapie des Anfalls bei sicherer Diagnose• Anfallsprophylaxe

Bei unsicherer Diagnose kommt differentialdiag-nostisch auch ein „Hörsturz“ mit vestibulärer Be-teiligung in Betracht. Leitlinienkonform soll dann eine Gabe von Prednisolon 250 mg an drei Folgetagen erfolgen, fakultativ kann zusätzlich Hydroxyethylstärke infundiert werden. Sofern bei einem „Hörsturz“ eine Tieftonsenke vorliegt, ist die Komedikation mit Betahistin zu erwägen (im Sinne einer frühzeitigen Anfallsprophylaxe).

Diagnostische Sicherheit Symptome& Befundebewiesene Menière-Erkrankung sicherer M. Menière plus histopathologischer Nach-

weis des Endolymphhydropssichere Menière-Erkrankung • � 2 Drehschwindelepisoden von mindestens

20-minütiger Dauer• dokumentierte Hörminderung bei mindestens

einem Schwindelereignis• begleitender Tinnitus und/oder Ohrdruck• Ausschluss anderer Ursachen

wahrscheinliche Menière-Erkrankung • � 1 Drehschwindelepisode• dokumentierte Hörminderung bei mindestens

einem Schwindelereignis• begleitender Tinnitus und/oder Ohrdruck• Ausschluss anderer Ursachen

mögliche Menière-Erkrankung • rezidivierender Drehschwindel ohne dokumen-tierten Hörverlust

• Innenohrschwerhörigkeit (fl uktuierend oder stabil) mit Gleichgewichtsproblemen, aber ohne Drehschwindel

• Ausschluss anderer Ursachen

Tabelle 7Diagnosekriterien für den Morbus Menière der American Academy of Otolaryngology-Head and Neck Surgery

Bei sicherer Diagnose ist zunächst zu klären, weshalb der Betroffene überhaupt ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt, denn üblicherweise lässt sich ein Menière-Anfall durch Selbst-medikation (Dimenhydrinat) adäquat behan-deln. Sofern die Selbstmedikation bereits ausgeschöpft ist, ist eine erneute Gabe von Dimenhydrinat nicht zielführend. Ein Flüssig-keitsverlust durch Erbrechen sollte durch int-ravenöse Zufuhr von kristalloiden Lösungen ausgeglichen werden. Die Gabe von Cor-ticosteroiden weist klar einen zusätzlichen Benefi t auf (Startdosis: 250 mg Prednisolon). Erforderlichenfalls können kurzfristig (d. h. für maximal 24 Stunden) weitere sedierende Me-dikamente (z. B. Diazepam, Droperidol) ein-gesetzt werden; für Flumazenil, Atropin und Glykopyrrolat liegen kasuistische Erfolgsmel-dungen vor.Bei Menière-Patienten müssen individuelle An-fallstrigger wie Kaffee, Schokolade, Chili oder

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Alkohol identifi ziert und konsekutiv gemieden werden. Ein genereller Verzicht auf alle po-tenziellen Trigger ist nicht erforderlich, auch die früher empfohlene Kochsalzrestriktion im Sinne der Fürstenberg-Diät (< 2 g NaCl/d) ist unter Gesichtspunkten der Lebensqualität heute nicht mehr vertretbar.Betahistin ist die Standard-Substanz zur Anfallsprophylaxe bei Morbus Menière. Wie oben dargestellt, muss die Unterschiede zwischen den beiden verfügba-ren Salzen berücksichtigt werden. Die Initialtherapie soll immer innerhalb der Zulassungsgrenzen erfolgen (z. B. Betahis-tindihydrochlorid 3 × 16 mg/d). Der Thera-pieerfolg kann frühestens nach einem Monat beurteilt werden. Bei unzureichendem Thera-pieeffekt kann die Dosierung schrittweise auf bis zu 3 × 48 mg/d, im Einzelfall auch höher gesteigert werden. Es muss berücksichtigt werden, dass Betahistin praktisch nur auf den Vestibularapparat, aber nicht auf das Hörvermögen wirkt. Auch muss klar sein, dass die Dosierungseskalation „off label“ erfolgt.Bei Unverträglichkeit gegenüber Betahistin (z. B. bei Histamin sensitivem Asthma bronchi-ale) stellt Arlevert® eine Therapiealternative dar. In den USA erfolgt die Anfallsprophylaxe bei Morbus Menière primär mit Schleifendiu-retika, vermutlich vor allem deshalb, weil dort Betahistin nicht zugelassen ist. Sofern Schlei-fendiuretika eingesetzt werden (z. B. bei kar-diologischer Indikation), muss die regelmä-ßige Überprüfung des Elektrolytstatus (Cave Hypokaliämie) sichergestellt werden.Picrotoxin erwies sich ebenfalls wirksam zur Anfallsprophylaxe bei Morbus Menière, aller-dings steht die Substanz bislang nur als Sup-positorium zur Verfügung.Sofern auch eine Eskalation der Anfallspro-phylaxe mit Betahistin zu keiner hinreichen-den Anfallsfreiheit führt, stehen mehrere in-vasive bzw. operative Therapieoptionen zur Verfügung:• Einlage eine Paukenröhrchens• intratympanale Corticosteroid-Therapie

• intratympanale Gentamicin*-Therapie• Sakkotomie• Neurektomie der Nervi vestibulares• Labyrinthektomie

Aus randomisierten Studien ergab sich, dass bereits die Einlage eines Paukenröhrchens zu einer Reduzierung der Anfallsfrequenz bei Morbus Menière führen kann. Ein Erklä-rungsmodell für dieses Phänomen wurde von Westhofen entwickelt. Wegen des günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses sollte daher initial diese Therapieoption erwogen werden, zu-mal es sich hier gleichzeitig um die Vorberei-tung einer intratympanalen Therapie handelt. Details zur intratympanalen Anwendung von Pharmaka fi nden sich im Beitrag von Plontke in diesem Buch.Die intratympanale Applikation von Corticosteroiden (zumeist Dexamethason) ist eine relativ junge Therapieoption bei Mor-bus Menière. Die Studienlage ist noch unein-heitlich, vorteilhaft ist aber der nicht-destruie-rende Charakter der Therapie. Damit stellt die intratympanale Dexamethason-Applikation ein Verfahren der Wahl vor allem bei beidsei-tiger Erkrankung dar.Ototoxizität ist eine gruppenspezifi sche Ne-benwirkung aller Aminoglykoside, Genta-micin wirkt hierbei mehr vestibulo-toxisch als cochleotoxisch. Durch die lokale, transtympanale Anwendung von Gen-tamicin kann eine (mehr oder minder) selek-tive Ausschaltung des Gleichgewichtssystems erfolgen, wobei allerdings eine Hörminderung nicht immer vermeidbar ist. In Deutschland hat sich vor allem Lange mit dieser Therapieoption beschäftigt. Während früher höhere Dosierun-gen repetitiv benutzt wurden, bis ein Ausfall-nystagmus beobachtet werden konnte, werden heute niedrigere Dosierungen bevorzugt. Ziel

* Gentamicin ist ein Produkt der Pilzart Micromono-spora spp., die als „micine“ bezeichnet werden: Gentamicin, Sisomicin, Netilmicin. „Mycine“ entstammen Streptomyces-Arten: Kanamycin, Tobramycin. Somit ist die Schreibweise Genta-micin korrekt, Gentamycin ist folglich falsch.

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ren Afferenzen, so dass keine Schwindelat-tacken mehr wahrgenommen werden. Der resultierende peripher-vestibuläre Ausfall wird nach anfänglich heftiger Ausfallssymptoma-tik innerhalb einiger Tage zentral-vestibulär kompensiert. Nachteile der Methode sind der aufwändige Zugang, verbunden mit dem Ri-siko einer Hörminderung bis Ertaubung sowie einer Fazialisparese. Hinsichtlich der Schwin-delsymptomatik beträgt die Erfolgsrate des Eingriffs praktisch 100 %, abgesehen vom Risiko einer beidseitigen Erkrankung.Die Labyrinthektomie stellt den radikal-sten Eingriff bei Morbus Menière dar. Hier wird der Vestibularapparat durch Ausbohren destruiert. Da es zwangsweise zur Ertaubung kommt, ist eine Labyrinthektomie nur bei vor-bestehender Hörminderung ohne sozial nutz-bares Restgehör zu erwägen.

der Gentamicin-Therapie ist also nicht die voll-ständige Ablation des Gleichgewichtssystems, vielmehr scheint eine selektive Ausschaltung der dunklen Zellen, die besonders sensibel auf Gentamicin reagieren, ausreichend zu sein. In der eigenen Klinik wird eine Einmaldosis von 12 mg Gentamicin über ein liegendes Pauken-röhrchen appliziert, die Gentamicin-Therapie wird auf Patienten mit bereits beeinträchtigtem Hörvermögen zentriert.Bei der Sakkotomie wird der Saccus endo-lymphaticus im Rahmen einer Mastoidektomie dargestellt und eröffnet. Die erfolgreiche Sak-kotomie kann durch die Analyse des Sekrets bezüglich Na+ und K+ gegenüber einer Eröff-nung des Liquorraums abgegrenzt werden. In den Saccus endolymphaticus kann dann ein Silikon-Streifen eingelegt werden, früher ver-wendete Ventile (Arenberg-Ventil) sind nicht mehr erhältlich. Der Benefi t einer Sakkotomie gegenüber einer alleinigen Mastoidektomie (und im Vergleich zu der Einlage eines Pau-kenbelüftungsröhrchens) wurde in randomi-sierten Studien von Thomsen et al. untersucht. Hierbei ergab sich kein signifi kanter Benefi t für die Sakkotomie, wobei die Ergebnisse an-schließend kontrovers diskutiert wurden. Da die Sakkotomie keine irreversible Destruktion nach sich zieht, handelt es sich dennoch um eine erwägenswerte Option vor allem bei beidseitiger Erkrankung, wobei vorausge-hend die Einlage von Paukenbelüftungsröhr-chen zu empfehlen ist. Je nach Quelle schwan-ken die Erfolgsraten der Sakkotomie summa summarum zwischen 50 % und 80 %.Die Neurektomie der Nervi vestibu-lares stellt quasi den Goldstandard zur defi nitiven Therapie eines Morbus Menière dar – selbstredend kann das Verfahren nur unilateral angewendet worden (sonst: Dandy-Phänomen). Hierbei werden über einen transtemporalen Zugang die beiden Nervi vestibulares im inneren Gehörgang aufge-sucht und durchtrennt. Es treten dann zwar weiterhin Menière-Anfälle mit Hörminderung und Tinnitus auf (die Krankheitsursache ist nicht beseitigt), jedoch fehlt es an vestibulä-

Exkurs: Aquaporine und Morbus MenièreAquaporine sind Zellmembranproteine, die für den passiven Transport von Wassermo-lekülen in die Zelle und aus der Zelle her-aus zuständig sind, es handelt sich also um Wasserkanäle. Aquaglyzeroporine trans-portieren neben Wasser auch Glyzerin und Harnstoff. Für die Entdeckung der Aquapo-rine wurde Peter Agre 2003 mit dem Nobel-preis für Chemie ausgezeichnet. Aquaporine kommen in vielen Zellen vor, unter anderem in Erythrozyten (Hämolyse!), Niere, Linse, Speicheldrüsen (Sialadenose), Gehirn (Blut-Hirn-Schranke) und Innenohr. Für das Innen-ohr scheint vor allem Aquaporin 2 (AQP2) wichtig zu sein. Aquaporine interagieren mit dem Hormon Vasopressin (=antidiu-retisches Hormon, ADH). Vasopressin wird bei Hyperosmolarität und Volumenmangel aus der Neurohypophyse (Hypophysen-hinterlappen) freigesetzt und bewirkt eine Konzentrierung des Harns. Alkohol hemmt die Vasopressin-Freisetzung, so dass der di-uretische Effekt von Alkohol leicht erklärbar ist. Ein Vasopressin-Mangel führt zum Krank-heitsbild des Diabetes insipidus.

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Es sind derzeit drei Vasopressin-Rezeptoren bekannt: V1 a, V1 b, V2. Diese befi nden sich auch an AQP2-tragende Zellen, der V2-Re-zeptor spielt hier die wichtigste Rolle. Wenn freigesetztes Vasopressin an diesen Rezep-tor von Nierenepithelzellen bindet, führt dies zu einem zunehmenden Einbau von in der Zelle gespeicherten Aquaporinen in die Zellmembran, so dass mehr Primärharn rück-resorbiert werden kann. Hierdurch entsteht die Konzentrierung des Harns.Aktuell wird die Hypothese disku-tiert, dass der endolymphatische Hy-drops beim Morbus Menière Folge einer Fehlfunktion der Vasopressin-AQP2-Achse ist. Hierfür sprechen fol-gende experimentelle Befunde:• Corticosteroide (die beim Morbus Me-

nière wirksam sind) regulieren die AQP- Expression

• Vasopressin bewirkt Volumenzunahme des Saccus endolymphaticus

• V2-Vasopressin-Antagonisten (Vaptane) bewirken Volumenabnahme des Saccus endolymphaticus

• bei Menière-Patienten wurden hohe Vasopressin-Spiegel gemessen

Somit könnte ein Therapieansatz mit V2-Re-zeptorantagonisten beim Morbus Menière vielversprechend sein. Da eine systemische Anwendung aber mit erheblichen uner-wünschten Wirkungen verbunden wäre, wird derzeit eine intratympanale Anwen-dung favorisiert. Die systemische Therapie mit Vaptanen wird verwendet zur Therapie des SIADH, des Aszites, bestimmten Formen der Herzinsuffi zienz und bei polyzystischen Nierenerkrankungen.

Tumoren des Saccus endolympha-ticus (ELST, am häufi gsten: papilläres low grade-Adenokarzinom) können eine Menière-ähnliche Symptomatik verursachen. Die Ver-dachtsdiagnose ergibt sich zumeist aus der Bildgebung mittels CT oder MRT. Therapie der Wahl ist die Operation im Sinne einer Petro-

sektomie nach vorangegangener Biopsie. Die Prognose ist als gut anzusehen.

Akuter einseitiger LabyrinthausfallFür den einseitigen akuten Labyrinthausfall existieren in der Literstur mehrere, mehr oder weniger zutreffende „Synonyma“:• Neuropathia vestibularis• Neuritis vestibularis• Neuronitis vestibularis

Eine simultan aufgetretene Hörminderung ist mit diesen Diagnosen nicht vereinbar, man spricht dann von einer akuten cochleovestibu-lären Störung.Allen diesen drei Synonyma ist gemeinsam, dass hier eine Nervenerkrankung, namentlich der Pars vestibularis des Nervus vestibulo-cochlearis, unterstellt wird. Aus HNO-ärztli-cher Sicht kann ein einseitiger peripherer La-byrinthausfall auf folgende vier Mechanismen zurückgeführt werden:• Funktionsstörung der Pars vestibularis des

N. vestibulocochlearis infolge eines viralen Agens (Herpes-Viren)

• Funktionsstörung des peripheren Rezeptors infolge der Ablösung der Cupula von der Wand des Bogengangs (Scherer 2002)

• Funktionsstörung des peripheren Rezeptors infolge einer Störung der Mikrozirkulation

• Funktionsstörung des peripheren Rezeptors infolge einer Felsenbeinfraktur

Der Betroffene beklagt typischerweise eine starke Drehschwindelsymptomatik mit vege-tativen Begleiterscheinungen (Übelkeit, Er-brechen). Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich ein meist schon ohne Frenzel-Brille erkennbarer horizontaler Spontannystagmus zur Gegenseite des ausgefallenen Labyrinths (Ausfallnystagmus zur anderen Seite). Häu-fi g ist auch eine rotatorische Komponente; vertikale Nystagmuskomponenten werden zentral supprimiert. Akute Hörstörungen und akuter Tinnitus sind nicht mit der Annahme eines akuten einseitigen peripheren Laby-rinthausfalls vereinbar. Der Kopfi mpulstest

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vermag in Zusammenschau mit dem Test auf Blickrichtungsnystagmus und der Prüfung der Skew deviation (HINTS als Hinweis auf eine zentral-vestibuläre Störung: Head Impulse-Test normal, richtungswechselnder Blickrichtungsnystagmus vorhanden, Skew Deviation im Test of Skew) mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zwischen einer peripher-vestibulären Störung und einer zentral-vesti-bulären Störung zu unterscheiden. In der ka-lorischen Prüfung würde sich eine kalorische Unerregbarkeit zeigen, wobei es nicht üblich ist, diesen Test in der Akutsituation durchzu-führen.Durch die Messung der vestibulär evozierten myogenen Potenziale kann zwischen einer Neuropathia vestibularis superior und inferior differenziert werden (Tabelle 8).Konsequenzen ergeben sich aus dieser Unter-scheidung bislang nicht.Auch wenn eine virale Genese (Reaktivierung von Herpes simplex-Viren) der Erkrankung bei einem Anteil der betroffenen Patienten anzunehmen ist, bringt eine diesbezügliche virustatische Behandlung (Aciclovir, Valacic-lovir, Famciclovir) keinen Benefi t – dies ergibt sich aus einer Multicenter-Studie von Strupp et al. (2004). In der gleichen Studie ergab sich aber ein klarer Benefi t für eine systemi-sche Therapie mit Corticosteroiden (gemäß Studienprotokoll: Startdosis 100 mg Methyl-prednisolon, reduziert auf 10 mg im Verlauf von 22 Tagen).Somit besteht beim akuten einseitigen peri-pheren Labyrinthausfall keine Indikation für eine virustatische Therapie, eine systemische Corticosteroidtherapie ist hingegen indiziert.

Eine antivertiginöse Therapie mit sedierenden Antivertiginosa (Dimenhydrinat, Benzodia-zepine, niedrig-potente Neuroleptika) sollte nur initial und nur zur Verminderung der vegetativen „on top“-Symptome erfolgen, da eine übermäßige Sedierung der zentral-ves-tibulären Kompensation entgegenzuwirken scheint. Betroffene Patienten sollten vielmehr frühzeitig einem professionellen vestibulären Kompensationstraining zugeführt werden – idealerweise auch unter Einschluss apparati-ver Verfahren.Hinsichtlich des Outcomes nach einem akuten einseitigen peripheren Labyrinthausfall erge-ben sich zwei Möglichkeiten:• Erholung des Labyrinthausfalls (Restitutio

ad integrum) – etwa 50 %• Fortbestehen des Labyrinthausfalls mit zen-

tral-vestibulärer Kompensation

Beim akuten einseitigen peripheren Labyrint-hausfall bessert sich die Symptomatik zumeist innerhalb mehrerer Tage, bedingt durch die einsetzende zentral-vestibuläre Kompensa-tion. Im klinischen Alltag fi nden sich aber auch Patienten, die akut die klassischen Symptome eines akuten einseitigen Labyrinth-ausfalls zeigen (Ausfallnystagmus, positiver Kopfi mpulstest), am nächsten Tag aber be-schwerdefrei sind und keine pathologischen Befunde mehr aufweisen. Dieser Verlauf ist mit einem Kompensationsprozess nicht erklärbar. Scherer stellte 2002 die Hypothese auf, dass der initialen Symptomatik eine Ablösung der Cupula von der gegenseitigen Bogengangs-wand zugrunde liegt, ausgelöst durch einen Verlust von Adhäsionskräften durch Dehyd-

betroffener Nerv c-VEMP homolateral o-VEMP kontralateral

N. vestibularis superior normal pathologisch

N. vestibularis inferior pathologisch normal

N. vestibularis inferior et superior pathologisch pathologisch

Tabelle 8Topodiagnose des akuten einseitigen peripheren Labyrinthausfalls

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ration. Durch eine Flüssigkeitszufuhr (im Rah-men der üblichen Infusionstherapie) kommt es demnach schnell zu einer Rekonstitution der Adhäsionskräfte mit nachfolgender Restitutio ad integrum.Die zentral-vestibuläre Kompensation nach einem akuten einseitigen peripheren Laby-rinthausfall wird nach Scherer in fünf Stadien eingeteilt (Tabelle 9). Eine genauere Einschät-zung liefert der Vestibularis-Index nach Haid.Der Vestibularis-Index (VI) erfasst folgende Kategorien mit jeweils fünf Ausprägungen:• Ruheschwindel• Belastungsschwindel• Spontan- und Blickrichtungsnystagmus• Blickmotorik• vestibulospinale Reaktionen• Lageprüfung• kalorische Prüfung

Der VI spielt vor allem eine Rolle bei der Ver-laufskontrolle.Als pseudoperiphere Vestibulopathie bezeichnet man ein Krankheitsbild mit ähnli-cher Symptomatik, verursacht durch einen iso-lierten Infarkt im Vestibulariskerngebiet.

Bilaterale VestibulopathieEin beidseitiger peripherer Labyrinthausfall ist selten. Mögliche Ursachen sind:• bilaterale Felsenbeinfraktur (meist Quer-

fraktur)• systemische Therapie mit vestibulotoxi-

schen Medikamenten (zumeist systemische

Stadium Defi nition Charakteristierendes Symptom

0 keine Kompensation keine Änderung der Symptome

I mangelhafte Kompensation Spontannystagmus unter Frenzel-Brille

II fortgeschrittene Kompensation Spontannystagmus nur in ENG/VNG

III befriedigende Kompensation Kopfschüttelnystagmus

IV vollständige Kompensation kein Symptom außer Seitendifferenz der kalorischen Erregbarkeit

Tabelle 9Kompensationsstadien nach einem akuten einseitigen vestibulären Funktionsverlust (modifi ziert nach Scherer)

Gentamicin-Therapie ohne Dosisspiegelbe-stimmung)

• akuter einseitiger peripherer Labyrinthaus-fall bei vorbestehendem Labyrinthausfall auf der Gegenseite

• idiopathisch (20 – 30 %)

Das Leitsymptom des beidseitigen peripheren Labyrinthausfalls ist die Oszillopsie (Dandy-Phänomen, benannt nach dem amerikani-schen Neurochirurgen Walter Edward Dandy), also das „hüpfende“ Bild infolge des Fehlens des vestibulookulären Refl exes. Nystagmen sind nicht präsent, der Kopfi mpulstest ist beid-seits pathologisch. Steh- und Tretversuch fallen bei geschlossenen Augen pathologisch aus. Eine medikamentöse Therapie ist nicht indi-ziert, vielmehr sollte ein intensives vestibuläres Training versucht werden.

Vestibularis-ParoxysmienVestibularis-Paroxysmien werden durch einen Gefäß-Nerv-Kontakt an der Wurzeleintritts-zone des Nervus vestibulocochlearis am Hirn-stamm verursacht. Pathophysiologisch besteht eine Analogie zur Trigeminusneuralgie. Die-ser Gefäß-Nerv-Kontakt ist neuroradiologisch nachweisbar in der MR-Angiographie, wobei aber zu bedenken ist, dass derartige Befunde auch bei asymptomatischen Personen vorlie-gen können. Eine therapeutische Implikation ergibt sich also erst dann, wenn sowohl typi-sche Symptome (anfallsartige Schwindelsym-ptome, mesit wenige Sekunden dauernd) als

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auch kongruente neuroradiologische Befunde vorliegen. In diesem Fall ist primär eine medi-kamentöse Anfallsprophylaxe indiziert, wobei vor allem Pregabalin (Lyrica�) und Gabapen-tin (Neurontin® und Generika) zum Einsatz kommen, Carbamazepin und ggf. Lamotrigin stellen Reservesubstanzen dar. Bei Beschwer-depersistenz kann eine neurovaskuläre De-kompression erwogen werden.

Dehiszenz des superioren BogengangsDieses Krankheitsbild wurde erst 1998 von Lloyd Minor beschrieben. Hierbei ist der supe-riore (=anteriore vertikale Bogengang) nicht knöchern bedeckt, sondern kommuniziert membranös mit der mittleren Schädelhöhle. Dies bedeutet, dass Schallreize nicht nur über das ovale Fenster mit dem runden Fenster korrespondieren können, sondern auch über dieses „dritte Fenster“ mit dem intrakraniellen Raum. Hierdurch resultiert eine kombinierte Schwerhörigkeit, die an eine Otosklerose erinnern kann. Typisch ist auch eine akute Schwindelsymptomatik bei höheren Lautstär-ken (historisch auch als Tullio-Phänomen be-kannt, „noise induced vertigo“, Pietro Tullio, 1881–1941, Cagliari, Sardinien).Diagnostisch wegweisend ist ausschließlich die hochaufl ösende Computertomographie des Felsenbeins.Sofern die Diagnose feststeht, ist eine Bera-tung des Betroffenen erforderlich. Bei hohem Leidensdruck kann eine Abdeckung des supe-rioren Bogengangs über einen transtempo-ralen Zugang in Betracht gezogen werden. Symptomatisch kann mit nicht-sedierenden Antivertigninosa behandelt werden.

VestibularisschwannomDas Vestibularisschwannom (Vestibularisneu-rinom) ist ein gutartiger Tumor, der von den Schwannschen Zellen des achten Hirnnerven (Nervus vestibulocochlearis) ausgeht. Konkret entsteht dieser Tumor allermeist an einem der beiden Nervi vestibulares (wobei der Nervus vestibularis inferior häufi ger betroffen sein soll),

so dass das laienhaft gebräuchliche Sy nonym „Akustikusneurinom“ nicht zutreffend ist.Der Tumor wächst langsam und führt hier-durch zu einer allmählichen Funktionsstörung des peripheren Gleichgewichtssystems auf der betroffenen Seite bis hin zum komplet-ten peripheren Labyrinthausfall. Aufgrund dieses langsamen Tumorwachstums gehen Funktionsverlust und zentrale Kompensation parallel einher, so dass der Betroffene in der Regel keine Schwindelsymptome im Alltag wahrnimmt. Bei besonderer Beanspruchung des Gleichgewichtssystems (z. B. im Dunkeln, Einbeinstand etc.) kann sich aber eine Unsi-cherheit zeigen.Leitsymptom des Vestibularisschwannoms ist demzufolge nicht die Gleichgewichtsstörung; vielmehr sind vorübergehende oder progre-diente Hörstörungen (einschließlich Tinnitus) typisch für diese Erkrankung. Diagnostisch steht die MRT – insbesondere CISS-Sequen-zen (constructive interference in steady state, eine spezielle Gradientenechosequenz mit T2-Gewichtung) im Vordergrund. Mittels VEMP-Diagnostik kann ggf. zwischen einem Schwannom des Nervus vestibularis superior und des Nervus vestibularis inferior unterschieden werden.Es sei noch erwähnt, dass es im Rahmen der Neurofi bromatose 2 (abzugrenzen von der (peripheren) Neurofi bromatose 1 mit kutanen Manifestationen und Lisch-Knötchen an der Iris, Chromosom 17 q11.2) zu bilateralen Tu-moren am achten Hirnnerven kommen kann, die histopathologisch nicht als Neurinome (bzw. Schwannome), sondern als Neurofi b-rome imponieren (Chromosom 22 q 11–13.1, „Merlin“).Pathohistologisch unterscheidet man beim Vestibularisschwannom zwischen einem An-toni A-Muster (geordnete Zellzüge, Pallisa-denstellung der Zellkerne) und einem Antoni B-Muster (sternartig angeordnete Kernforma-tionen, Kernpolymorphien, girlandenförmige Gefäßschlingen). Für die Therapieplanung (wait and scan, Ope-ration, Strahlentherapie) kann der Befund der

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Gleichgewichtsprüfung relevant sein. Dies gilt natürlich vor allem bei beidseitigen Manifesta-tionen im Rahmen einer Neurofi bromatose 2.Nach operativer Therapie besteht regelmäßig ein akuter einseitiger peripherer Labyrinthaus-fall infolge einer Durchtrennung der Nervi vestibulares, im Einzelfall kann einer der beiden Nerven (zumeist Nervus vestibularis inferior) erhalten werden. Je nach Ausmaß der präoperativen Läsion kann es postope-rativ zu Drehschwindel mit vegetativen Sym-ptomen kommen. Medikamentös kann hier in der Akutphase mit Dimenhydrinat und/oder Droperidol behandelt werden, im weiteren Verlauf sollte eine Medikation mit diesen se-dierenden Medikamenten zugunsten eines aktiven vestibulären Kompensationstrainings unterbleiben.

Zentral-vestibuläre Störungen

Pathophysiologie, Ursachen und Therapie zentral-vestibulärer Störungen sind ausführ-lich in dem Beitrag von Lang in diesem Buch abgehandelt.Hier soll nur auf folgende Erkrankungen ein-gegangen werden:• Krankheitsbilder mit vertikalen Nystagmen• Migräneschwindel• Wallenberg-Syndrom• somatoforme Störungen

Vertikalnystagmen (Downbeat, Upbeat) sind immer Symptome einer zentral-vestibu-lären Störung, der Downbeat-Nystagmus ist die häufi gste Form eines erworbenen zentral bedingten Nystagmus. Ursächlich ist eine (beidseitige) Läsion des Flocculus. Leitsym-ptom ist die Gangunsicherheit mit Schwank-schwindel. Neue Therapieoptionen stehen seit kurzem mit der Wirkstoffgruppe der Ami-nopyridine (4-Aminopyridin = Fampridin = Ampyra�, 3,4-Diaminopyridin = Amifampri-din = Firdapse�) zur Verfügung. Die Substan-zen wirken als reversible Kaliumkanalblocker. Bislang wurden bei dieser Indikation Carba-

mazepin, Gabapentin, Pregabalin, Memantin Baclofen sowie Arlevert® (Dimenhydrinat + Cinnarizin) eingesetzt. Amifampridin ist in Deutschland zur Behandlung des Lambert-Eaton-Syndroms zugelassen.Die Diagnose eines Migräneschwindels setzt die Diagnose einer Migräne voraus (siehe IHS-ICHD-II – The International Classi-fi cation Of Headache Disorders, 2nd edition, 1st revision 2005). Hierbei muss es sich nicht zwingend um eine Basilaris-Migräne handeln. Weiterhin müssen Migränesymptome wie Photophobie, Phonophobie, Flimmerskotome und/oder Migräne typische Kopfschmerzen während der Schwindelattacke vorliegen. Der Schwindel selbst imponiert als Drehschwin-del, Lageschwindel, anderen Bewegungsillu-sionen und einer Kopfbewegungsintoleranz.

Migräneschwindel setzt Diagnose Migräne (ICD G43) und Migränesymptome während der Schwindelattacke voraus!

Die akute Attacke eines Migräneschwindels kann mit Triptanen in Kombination mit Dimen-hydrinat behandelt werden. Die Anfallspro-phylaxe erfolgt nach den Regeln der Mig-ränetherapie (Trigger vermeiden, Propanolol oder Metoprolol, Azetazolamid).Der benigne paroxysmale Schwindel des Kindesalters wird als Vorläufer einer Migräne angesehen.Das Wallenberg-Syndrom (dorsolatera-les Oblongata-Syndrom) ist durch folgende Befundkonstellation (die auch inkomplett auf-treten kann) charakterisiert:• ipsilaterales Horner-Syndrom mit Hemian-

hidrose des Gesichts (Läsion der zentralen Symphatikusbahn)

• ipsilateraler Trigeminus-Ausfall (Läsion des Nucleus tractus spinalis n. trigemini)

• ipsilaterale Gaumensegelparese, homola-terale Vagusparese (Läsion des Nucleus ambiguus)

• ipsilaterale Hemiataxie und Asynergie (Lä-sion des Pedunculus cerebellaris inferior und des Tractus spinocerebellaris anterior)

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• ipsilaterale Ageusie (Läsion des Nucleus tractus solitarii)

• kontralaterale dissoziierte Sensibilitätsstö-rung (Läsion des Tractus spinothalamicus lateralis)

• Nystagmen und ipsilaterale Fallneigung (Läsion des Nucleus vestibularis inferior)

• ipsilaterale Hörminderung (Läsion des Nu-cleus n. cochlearis)

• Tachykardie, Dyspnoe (Läsion des Nucleus dorsalis n. vagi)

• Myorhythmien am Velum (Läsion des Trac-tus tegmentalis centralis)

• Singultus (Läsion der Substantia reticularis)

Ursache des Wallenberg-Syndroms ist ein Infarkt im Versorgungsgebiet der Ar-teria cerebelli inferior posterior (PICA).Ein Infarkt im Versorgungsgebiet der Arteria cerebelli inferior anterior (AICA), aus der in 85 % die Arteria labyrinthi entspringt, kann Schwindel mit sowohl peripheren (Labyrinth-ausfall durch Verschluss der Arteria labyrinthi, daneben auch Hörminderung bis Ertaubung) als auch zentralen Zeichen (Infarkt im Bereich der Vestibulariskerngebiete) auslösen.Somatoforme Schwindelsymptome sind in der täglichen Praxis sehr häufi g und müs-sen von organischen Schwindelursachen ab-gegrenzt werden. Richtungweisend ist eine Diskrepanz zwischen Symptomschilderung und objektiven Befunden, wobei die geklag-ten Symptome häufi g nicht mit den bekannten Krankheitsbildern vereinbar sind. Es handelt sich nicht immer um eine Schwankschwin-del, deshalb sollte der Begriff phobischer Schwankschwindel vermieden werden. Häu-fi g fi nden sich anamnestische Hinweise auf eine Angststörung und/oder ein depressives Krankheitsbild. Die Therapie erfolgt in Abstim-mung mit einem Psychiater bzw. Psychosoma-tiker.

Kinetosen

Bei der Kinetose handelt es sich um keine Erkrankung, sondern um eine situative Über-schreitung der individuellen Leistungsfähig-keit des vestibulären Apparats bei einem in Bewegung befi ndlichen Organismus (daher auch die englische Bezeichnung Motion Sick-ness). Von einer Kinetose, die als See-, Flug-, Reise-, Weltraum-, Kamel- oder Wasserbett-„Krankheit“ auftreten kann, ist die Pseu-dokinetose abzugrenzen, die beim im Ruhe befi ndlichen Organismus durch schnell bewegte Bilder (z. B. 3D-Kino, Bewegungs-illusionen, Vexierbilder) ausgelöst wird. Die mildeste Form einer Kinetose ist das Sopite-Syndrom mit den Symptomen Gähnen, Zwangsschlucken, Hyperosmie, Desinteresse, Kopfschmerzen und Übelkeit.Auch das Nicht-Rückwärts-Fahren-Können ge-hört in diesen Kontext.Ursache einer Kinetose ist ein intersensori-scher Datenkonfl ikt (Sensory Rearrangement Theory), neben dem auch eine Subjective Vertical Confl ict Theory diskutiert wird. Ne-ben der Reizqualität (typischerweise rhythmi-sche laterale Bewegungen mit einer Frequenz < 1 Hz) spielen auch eine individuelle Sus-zeptibilität und ein Schwindelgedächtnis eine Rolle.Zur Prophylaxe von Kinetosen eignen sich ei-gentlich alle Antivertiginosa, wobei allerdings in der Regel eine Sedierung nicht gewünscht ist, so dass die Auswahl eingeschränkt wird. Als Mittel der Wahl gilt Scopolamin in Form eines transdermalen Systems (Scopoderm® TTS mit 1,5 mg Reservoir, Priming Dose 140 μg, Freisetzung 5 μg/h für 72 Stunden), wobei zu beachten ist, dass das Pfl aster min-destens acht Stunden vor Expositionsbeginn aufgeklebt werden muss, um einen Steady State der Wirkstofffreisetzung zu erreichen. Scopolamin ist als Belladonna-Alkaloid ein Parasympathikolytikum und blockiert somit muskarinische Acetylcholinrezeptoren. Dies führt zu den typischen Nebenwirkungen Xerostomie und Akkommodiationsstörungen,

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Kontraindikationen bestehen bei Prostatahy-perplasie und Glaukom.Die apothekenpfl ichtigen OTC-Medikamente gegen Kinetosen enthalten als Wirkstoff Di-menhydrinat (Reisefi t Hennig�, Reisetabletten, Superpep�) in niedrigerer Dosierung als in den rezeptpfl ichtigen Pendants. Dennoch ist eine Sedierung möglich – dies gilt vor allem für Kinder. Auch Ingwer (Tagesdosis 1 g) wurde er-folgreich zur Kinetose-Prophylaxe eingesetzt.Quasi das Gegenteil einer Kinetose ist das Mal de Débarquement, auch als Land-sickness bezeichnet (Erstbeschreibung 1987 durch Brown & Baloh). Hier tritt ein Unsicher-heitsgefühl (kein Drehschwindel) im Anschluss an eine (Schiffs-)Reise auf, das bis zu zwölf Monate, kasuistisch auch länger, anhalten kann. Die Pathophysiologie ist unklar (Mig-räne-Variante, Schwindelgedächtnis). Thera-peutisch wurden ein vestibuläres Kompensa-tionstraining, Antidepressiva, Antikonvulsiva und die Reexposition eingesetzt.

Verkehrsmedizinische Aspekte

Schwindel und Gleichgewichtsstörungen kön-nen zu einem Verlust der Fahreignung führen. Die gesetzlichen Regelungen hierzu fi nden sich in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), präzisiert durch die „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“, die von der Bundes-anstalt für Straßenwesen herausgegeben wer-den und derzeit in der Fassung vom 02. 11. 2009 gültig sind. Für die Fahreignung bei Schwindel und Gleichgewichtsstörungen ist die Unterteilung der Fahrerlaubnisklassen in zwei Gruppen relevant:• Gruppe 1: A, A1, B, BE, L, M, S, T• Gruppe 2: C, C1, CE, C1E, D, D1, DE,

D1E, FZF

Zusätzlich ist innerhalb Gruppe 1 zwischen einspurigen (A, A1) und zweispurigen Kraft-fahrzeugen zu unterscheiden.Nach aktuell gültigem Recht ist in beiden Grup-pen gemäß Anlage 4 FeV keine Fahreignung

gegeben, wenn ständige oder anfallsweise Störungen des Gleichgewichts bestehen. In den zitierten Begutachtungs-Leitlinien fi nden sich Konkretisierungen. Demnach bestehen bei fehlenden subjektiven Erscheinungen, aber positiven Befunden bei der experimen-tellen Prüfung Einschränkungen zumindest bei einspurigen Kraftfahrzeugen, bei Nacht usw. Für Fahrerlaubnisbewerber der Gruppe 2 ist der Nachweis von Erfahrung in Gruppe B er-forderlich.Eine Überarbeitung der Leitlinien mit weiteren Konkretisierungen für einzelne Krankheits-bilder (die eine gewisse Liberalisierung der Regeln beinhaltet) hat stattgefunden, wurde aber noch nicht ratifi ziert.Aktuell gilt die Empfehlung, Patienten mit Schwindel und Gleichgewichtsstörungen da-rüber zu informieren, dass eine Fahreignung nicht gegeben ist. Dies gilt insbesondere auch unter haftpfl ichtrechtlichen Gesichtspunkten. Dies sollte schriftlich dokumentiert werden.

Begutachtung bei Schwindel

Die Begutachtung von Schwindelbeschwer-den ist schwieriger und komplexer als die Be-gutachtung von Hörstörungen. Während sich bei Hörstörungen der prozentuale Hörverlust leicht anhand des Sprachaudiogramms oder gegebenenfalls des Tonschwellenaudio-gramms ermitteln lässt, gibt es bei Schwindel keine vergleichbaren einfachen Allround-Tests. Zudem lässt sich bei der Audiometrie eine Aggravation bzw. Simulation zumeist mühelos nachweisen – bei Schwindel ist nicht zwingend eine Korrelation zwischen subjek-tiver Symptomatik und objektiven Befunden (Nystagmen) vorhanden. Hieraus folgt, dass bei der Begutachtung von Schwindel regelmäßig ein Arsenal von Unter-suchungen durchgeführt werden muss, um zu einer umfassenden Beurteilung kommen zu können. Als Standard-Repertoire bei der Begutachtung können folgende Tests angesehen werden:

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Repetitorium Neurotologie 241

Intensitätsstufe Subjektive Angaben

1 weitgehend beschwerdefrei Gefühl der Unsicherheit

2 Leichte Unsicherheit, geringe Schwindel-beschwerden

Schwanken, Stolpern

3 Deutliche Unsicherheit, starke Schwindel-beschwerden

Fallneigung, Ziehen nach einer Seite

4 Erhebliche Unsicherheit, sehr starke Schwindelbeschwerden

fremder Hilfe bedürftig; unfähig, Tätig-keiten allein auszuüben

5 heftiger Schwindel, vegetative Erscheinungen Übelkeit, Erbrechen, Orientierungs-verlust

Tabelle 10Intensitätsstufen nach Stoll

• ausführliche Anamnese• mindestens orientierende audiometrische

Diagnostik• orientierende neurologische Untersuchung

(vor allem Hirnnerven)• Prüfung auf Spontan- und Provokationsnys-

tagmus (Frenzel-Brille, VNG)• Prüfung der vestibulookulären Refl exe• Prüfung auf Blickrichtungsnystagmus• Prüfung des Blickfolgesystems• Lage- und Lagerungsprüfung• Prüfung der vestibulospinalen Reaktionen • Koordinationsprüfungen• kalorische Labyrintherregbarkeitsprüfung

(Kalt- und Warmspülung mit Wasser)

Fakultativ sind folgende Untersuchungen:• Untersuchungen auf dem Drehstuhl• apparative optokinetische Prüfung• Messung der vestibulär evozierten myoge-

nen Potenziale (VEMPs)• statische Posturographie• dynamische Posturographie

Maßgeblich für die Bezifferung von Schwin-del und Gleichgewichtsstörungen sind die Tabellen von Stoll. Diese sind sowohl in der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII, Er-mittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in Vonhundertsätzen), im sozialen Entschä-digungsrecht (SGB IX, „Schwerbehinderten-

recht“, Ermittlung des Grades der Behinde-rung bzw.des Grades der Schädigungsfolgen als absolute Zahl in Zehnergraden) als auch in der privaten Unfallversicherung (Angabe der Invalidität in Prozentsätzen) anerkannt und gebräuchlich.Die Bewertung erfolgt hierbei zweidimensio-nal mit folgenden Skalen:• Intensitätsstufen (Tabelle 10)• Belastungsstufen (Tabelle 11)

Aus diesen beiden Skalen wird nach einer wei-teren Tabelle (Tabelle 12) die MdE bzw. der GdB/GdS abgelesen. In der privaten Unfall-versicherung entspricht der aus dieser Tabelle entnommene Wert in Prozent der „Beeinträchti-gung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit unter ausschließlicher Berück-sichtigung medizinischer Gesichtspunkte“ – Schwindel und Gleichgewichtsstörungen sind nicht in der Gliedertaxe abgebildet.Eine Besonderheit ergibt sich für den Morbus Menière im sozialen Entschädigungsrecht ge-mäß der aktuellen Versorgungsmedizin-Ver-ordnung (VersMedV). Hier wird der Morbus Menière gesondert aufgeführt.Es wird folgende Bewertung vorgenommen:• ein bis zwei Anfälle

im Jahr GdB/GdB 0 –10• häufi gere Anfälle, je

nach Schweregrad GdB/GdS 20 – 40

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Repetitorium Neurotologie242

Stufe Belastung Attribute Beispiele aus dem Alltag

Beispiele aus dem VP-Labor

0 keine Ruhelage keine Belastung1 niedrig alltäglich, ständig,

kaum vermeidbarlangsame Kopf- und Körper-bewegungen, Drehen im Bett, Auf-richten aus sitzender oder liegender Hal-tung, leichte Arbeiten im Sitzen (schreiben)

Romberg, Posturo-graphie: Augen auf

2 mittel alltäglich, häufi g, schwer vermeidbar

Waschen und An-ziehen, Bücken und Aufrichten, Gehen, Treppen steigen, leichte Arbeiten im Stehen

Romberg, Posturo-graphie: Augen zuUnterberger: Augen auf zielorientiertes Gehen

3 hoch nicht alltäglich, selten, vermeidbar

Heben von Lasten, Gehen im Dunkeln, Autofahren (nachts, im Nebel oder auf unebener Straße), Fahren auf vibrieren-den Maschinen (Baggerfahrer)

Unterberger: Augen zu; Kippbühne, Tandem-Romberg

4 sehr hoch ungewöhnlich, absolut vermeidbar (sofern eine derar-tige Belastung nicht mit der Ausübung des Berufs verbun-den ist)

rasche Körperbewe-gungen, Stehen und Gehen auf Gerü-sten (Kranführer), Karussell-fahren, sportliche Übungen (Radfahren, Tanzen, Reiten, Skifahren, Schwimmen usw.)

Seiltänzergang: Augen zuBalancierenRasche Drehbewe-gungen

Tabelle 11Belastungsstufen nach Stoll

• mehrmals monatlich schwere Anfälle GdB/GdS 50

• Bleibende Hörstörungen und Ohrgeräu-sche (Tinnitus) sind zusätzlich zu bewerten.

Wichtig!Diese Bewertung gilt nicht in der gesetz-lichen und privaten Unfallversicherung.

Bei einer Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) ist eine relevante Schwindelsymptomatik unty-pisch. Eine häufi ge gutachterliche Fragestellung ist auch Schwindel nach einem fremd verschulde-ten Verkehrsunfall. Die Begutachtung erfolgt hierbei meist im Auftrag der gegnerischen Haftpfl ichtversicherung, wobei in Analogie zur gesetzlichen Unfallversicherung die Er-

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Intensitäts-stufen

4 100 80 60 40 30

3 80 60 40 30 20

2 60 40 30 20 10

1 40 30 20 10 < 10

0 < 10 < 10 < 10 < 10

0 1 2 3 4

Belastungsstufen

Tabelle 12MdE/GdB-Tabelle nach Stoll

mittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (nach den hierfür geltenden Regeln) gefordert ist. Neben der ausführlichen Gleichgewichts-prüfung müssen hier dezidierte Kausalitätsbe-trachtungen angestellt werden. Wichtig ist die klare Trennung zwischen folgenden Unfallme-chanismen:• Kopfanpralltrauma: in der Regel kein an-

haltender Schwindel• Commotio/Contusio labyrinthi: kann in der

Regel nur in Verbindung mit einer „Commo-tio cerebri“ (= geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma � Grad I) einhergehen

• strukturelle Hirnverletzungen: Schwindel möglich

• Knalltrauma durch Airbag: in der Regel (nur) Hörminderung/Tinnitus, kein Schwin-del

• Non-Kontakt-Trauma = HWS-Distorsion: „Schleudertrauma“ nur bei unerwarteter Heckkollision – Schwindel in diesem Kon-text umstritten – Mitbeurteilung durch Or-thopäde/Unfallchirurgie

Begriffe wie „zervikoenzephales Syndrom“ oder „Hirnstammtaumeligkeit“ sind wissen-schaftlich nicht defi niert und sollten in einem seriösen Gutachten nicht verwendet werden. Auch ergibt sich aus HNO-ärztlicher Sicht keinerlei Relevanz für funktionelle MRT-Auf-nahmen der Halswirbelsäule oder die PET-Diagnostik des Gehirns.

Literatur

Nachfolgend fi ndet sich eine Zusammenstel-lung von Literaturquellen zur Diagnostik und Therapie von Schwindel und Gleichgewichts-störungen.

Die Beiträge in diesem Buch sind hier nicht mehr gesondert aufgeführt!

[1] Brandt T: Vertigo. Its Multisensory Syndromes. Berlin, Springer-Verlag 1999, 2nd edition

[2] Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Versorgungsmedizin-Verordnung. Stand Jan-uar 2009, www.bmas.de

[3] Desmond AL: Vestibular Function: Evaluation and Treatment. New York, Thieme Verlag 2004

[4] Dlugaiczyk J, Schick B: Klinische Differen-zialdiagnose vestibulärer Schwindelsyn-drome. CME Hals Nasen Ohrenheilkd 3; 2010: 128 –149 (www.akademos.de/hno)

[5] Ernst A: Perspektiven der Gleichgewichtsdi-agnostik und –therapie. Laryngo-Rhino-Otol 2011; 90: S35-S43

[6] Hamann KF: Vestibuläre Kompensation HNO 2009; 57: 487– 502

[7] Harris JP, Nguyen QT (eds): Menière’s Dis-esae. Otolaryngol Clin N Am 2010; 43

[8] Haynes DS (ed): Neurotology. Otlaryngol Clin N Am 2007; 40

[9] Kattah JC, Talkad AV, Wang DZ, Hsieh YH, Newman-Toker DE: HINTS to Diagnose Stroke in the Acute Vestibular Syndrome; Three-Step Bedside Oculomotor Examination More Sen-sitive Than Early MRI Diffusion-Weighted Im-aging. Stroke; 2009; 40: 3504 – 3510

[10] Kesser BW, Gleason AT (eds): Dizziness and Vertigo across the Lifespan Otolaryngol Clin N Am 2011; 44

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Repetitorium Neurotologie244

[11] Jackler RK, Brackmann DE: Neurotology. Phil-adelphia, Elsevier-Mosby 2005, 2nd edition

[12] Michel O: Das leichte Kopfanstoßtrauma: Bagatelltrauma oder doch eine „Commo-tio labyrinthi“? HNO-Nachrichten 2011; 41: 26 – 29

[13] Michel O: Morbus Menière. Stuttgart, Thieme Verlag 1998

[14] Michel O: Neue Klassifi kation der vesti-bulären Symptome. HNO Nachrichten 14; 2011: 13

[15] Murofushi T, Kaga K: VEMP Vestibular Evoked Myogenic Potential. Ist Basics and Clinical Applications. Tokyo, Springer-Verlag 2009

[16] Plinkert PK, Klingmann C (Hrsg): Hören und Gleichgewicht – Im Blick des gesellschaftli-chen Wandels. 7. Hennig-Symposium. Wien, Springer-Verlag 2010

[17] Rauber A, Kopsch F (Hrsg): Anatomie des Menschen, Band III: Nervensystem, Sinnesor-gane. Stuttgart, Georg Thieme Verlag 1987

[18] Reiß M (Hrsg): Facharztwissen HNO-Heilkunde. Differenzierte Diagnostik und Therapie. Heidelberg, Springer-Verlag 2009

[19] Reiß M, Reiß, G: Therapie von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Bremen, Uni-Med 2010, 2. Aufl age

[20] Schaaf H: Morbus Menière. Heidelberg, Springer-Verlag 2009, 6. Aufl age

[21] Schaaf H: Psychotherapie bei Schwindeler-krankungen Kröning, Asanger Verlag 2007, 2. Aufl age

[22] Scherer, H: Das Gleichgewicht. Berlin, Springer-Verlag 1997, 2. Aufl age

[23] Scherer H (Hrsg): Der Gleichgewichtssinn. Neues aus Forschung und Klinik. 6. Hennig-Symposium. Wien, Springer-Verlag 2008

[24] Schmäl F: Benigner paroxysmaler La-gerungsschwindel In: Westhofen M (Hrsg): Vestibularfunktion – Brücke zwischen For-schung und Praxis. 5. Hennig-Symposium Wien, Springer-Verlag 2006, S. 87–106

[25] Schwesig R, Lauenroth A, Müller A, Becker S, Hottenrott K: Parametrisierung posturaler Subsysteme mit Posturographie. Manuelle Medizin 2006; 44: 376 – 384

[26] Stoll W (Hrsg): Klinik der menschlichen Sinne. Wien, Springer-Verlag 2008

[27] Stoll W, Most E, Tegenthoff M: Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Stuttgart, Georg Thieme Verlag 2004, 4. Aufl age

[28] Strupp M, Brandt T: Vestibular neuritis. Semin Neurol 2009; 29: 509 – 519

[29] Strupp M, Hupert D, Frenzel C, Wagner J, Hahn A, Jahn K, Zingler VC, Mansmann U,

Brandt T: Long-term prophylactic treatment of attacks of vertigo in Menière’s disease – comparison of a high with a low dosage of betahistine in an open trial. Acta Otolaryngol 2008; 128: 520 – 524

[30] Strupp M, Zingler VC, Arbusow V, Niklas D, Maag KP, Dieterich M, Bense S, Theil D, Jahn K, Brandt T: Methylprednisolone, valacyclo-vir, or the combination for vestibular neuritis. N Engl J Med. 2004; 351: 354 – 361

[31] Thömke F: Augenbewegungsstörungen. Stutt-gart, Thieme Verlag 2008, 2. Aufl age

[32] Volk GF, Guntinas-Lichius O: Diagnostik und Therapie des Schwindels. Laryngo-Rhino-Otol 2011; 90: 301– 324

[33] Waldfahrer F: Medikamentöse Prophylaxe von Kinetosen. In: Scherer H (Hrsg.): Der Gleichgewichtssinn. Neues aus Forschung und Klinik. 6. Hennig Symposium. Wien, Springer-Verlag 2008, S. 135 –147

[34] Waldfahrer F, Iro H: Medikamentöse Therapie bei Schwindel. In: Haid CT (Hrsg) Schwindel aus interdisziplinärer Sicht. Stuttgart, Thieme-Verlag 2002, S. 206 – 216

[35] Waldfahrer F, Iro H: Neurootologische Be-gutachtung nach den Maßgaben der abstrak-ten Gliedertaxe In: Stoll W (Hrsg) Das neu-rootologische Gutachten. Interdisziplinäre Begutachtung von Schwindel und neurootolo-gischen Funktionsstörungen. Stuttgart, Thieme Verlag 2002, S. 22 – 29

[36] Waldfahrer F, Iro H, v. Brevern M, Fetter M, Hamann KF, Holube I, Lenarz T, Lesinski-Schiedat A, Stoll W, v. Stuckradt-Barre S, Westhofen, M: Verkehrsmedizinische Be-gutachtung in der HNO-Heilkunde: Aktuelle Aspekte. HNO 2010; 58: 110 –116

[37] Walther LE, Hörmann K, Pfaar O: Die Ablei-tung zervikaler und okulärer vestibulär evozi-erter myogener Potenziale. Teil 1: Anatomie, Physiologie, Methodik und Normalbefunde. HNO 2010; 58: 1031–1045

[38] Walther LE, Hörmann K, Pfaar O: Die Ablei-tung zervikaler und okulärer vestibulär evozi-erter myogener Potenziale. Teil 2: Einfl ussfak-toren, Bewertung der Befunde und klinische Bedeutung. HNO 2010; 58: 1129 –1144

[39] Westhofen M (Hrsg): Vestibuläre Untersuc-hungsmethoden. Ratingen, PVV Science Pub-lications 2001

[40] Westhofen M (Hrsg): Vestibularfunktion – Brücke zwischen Forschung und Praxis. 5. Hennig-Symposium. Wien, Springer-Verlag 2006