328
De Gruyter

Annette von Stockhausen, Hanns Christof Brennecke Von Arius zum Athanasianum Studien zur Edition der Athanasius Werke Texte Und Untersuchungen Zur Geschichte der Altchristlichen Studie.pdf

Embed Size (px)

Citation preview

  • De Gruyter

  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

    Texte und Untersuchungenzur Geschichte der altchristlichen Literatur

    Archiv fr die Ausgabe der Griechischen Christlichen Schriftstellerder ersten Jahrhunderte

    (TU)

    Begrndet vonO. von Gebhardt und A. von Harnack

    herausgegeben vonChristoph Markschies

    Band 164

  • Von Arius zum Athanasianum

    Studien zur Edition der Athanasius Werke

    Herausgegeben von

    Annette von Stockhausen und Hanns Christof Brennecke

    De Gruyter

  • Herausgegeben durch dieBerlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

    von Christoph Markschies

    ISBN 978-3-11-021860-2e-ISBN 978-3-11-021861-9

    ISSN 0082-3589

    Library of Congress Cataloging-in-Publication Data

    A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress.

    Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek

    The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie;detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de.

    2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New YorkEinbandentwurf: Christopher Schneider, Laufen

    Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Gttingen Printed on acid-free paper

    Printed in Germany

    www.degruyter.com

  • Vorwort

    Der vorliegende Band vereint Untersuchungen, die an der Erlanger Athanasius-Forschungsstelle im Kontext der Arbeit an der Fortsetzung der von Hans-GeorgOpitz 1934/35 unter dem Titel Urkunden zur Geschichte des arianischen Streitsbegonnenen Sammlung und kritischen Edition der aus dieser Auseinanderset-zung um die Formulierung einer christlichen Trinittslehre berlieferten Do-kumente. Nachdem die Mitglieder der Erlanger Athanasius-Forschungsstelleschon im August 2003 auf der Fourteenth International Conference on PatristicStudies im Rahmen eines Workshop erste Ergebnisse ihrer Edition des abschlie-enden 8. Faszikels von Athanasius Werke II (die sog. Apologien)1 vorstellenkonnten,2 erschien 2007 das erste Faszikel der Fortsetzung der von Opitz als III.Band der Athanasius Werke begonnenen Edition der Urkunden zur Geschichtedes arianischen Streits.3

    Auf der Fifteenth International Conference on Patristic Studies im August2007 konnte die Arbeitsgruppe dann, wieder im Rahmen eines Workshop sowieeiniger Einzelvortrge, philologisch-historische Ergebnisse der Arbeit vorstellen,die in den vorliegenden Band eingegangen sind.

    Christian Mller stellt ab S. 3 erste Ergebnisse seines Dissertationsvorhabensber die lateinische Athanasius-berlieferung vor, die bisher nur in Anstzenwahrgenommen wurde. In mancher Hinsicht parallel zur armenischen Traditionwird deutlich, da es sich dabei nicht nur um bersetzungen echter Athanasianasowie ursprnglich griechischer Pseudathanasiana handelt, sondern da derlateinische Westen in den ursprnglich lateinisch verfaten Ps.-Athanasiana (biszum Athanasianum) eine vllig eigene Athanasius-Rezeption herausgebildethat.

    Anahit Avagyan (jetzt Jerewan) hat im Rahmen ihrer inzwischen abgeschlos-senen Dissertation erstmals die gesamte armenische Athanasiusberlieferungeinschlielich der nur armenischen Ps.-Athanasiana analysiert und auf ihre Be-deutung fr die Herausbildung der Tradition der armenischen Kirche untersucht.

    1 Hanns Christof Brennecke/Uta Heil/Annette von Stockhausen, Athanasius Werke II 8. DieApologien, Berlin/New York 2006.

    2 Verentlicht in ZAC 10 (2006), Heft 1 (vgl. die Einleitung S. 3).3 Hanns Christof Brennecke/Uta Heil/Annette von Stockhausen/Angelika Wintjes, Athanasius

    Werke. Band III/Teil 1: Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites. Lfg 3: Bis zurEkthesis Makrostichos, Berlin/New York 2007. Zur nderung des Titels in Dokumente zurGeschichte des arianischen Streits vgl. das Vorwort.

  • VI Vorwort

    Sie zeigt ab S. 43, da und wie in diesen Prozess die Ps.-Athanasiana einbezogenwerden mssen.

    Unmittelbar aus der Arbeit an der kritischen Edition der Dokumente zurGeschichte des arianischen Streits hervorgegangen sind die Beitrge von HannsChristof Brennecke, Uta Heil und Angelika Wintjes.

    Hanns Christof Brennecke przisiert ab S. 63 die in der Edition von Atha-nasius Werke III 3 vorgelegte neue Chronologie zur Geschichte des arianischenStreites4 und zeigt, da aller Wahrscheinlichkeit nach Arius schon bald nachseiner wohl fr 327 anzunehmenden Rehabilitierung durch Constantin gestorbenist und eine zweite Verurteilung durch Constantin nicht angenommen werdenkann.

    In Auseinandersetzung mit der lteren Forschung und Weiterfhrung undPrzisierung neuerer Anstze von Martin Tetz, Christoph Markschies, MarkusVinzent und Wolfram Kinzig zeigt Uta Heil ab S. 85, da Markell sich in seinemvorgelegten Bekenntnis wohl nicht auf eine alte stadrmischen Bekenntnistraditi-on beruft, sondern auf eine aktuell auf der rmischen Synode von 341 formuliertetheologische Deklaration.

    Angelika Wintjes legt ab S. 105 eine philologische Untersuchung der vonder Synode von Serdika berlieferten Dokumente vor und kann zeigen, daauch die bei Hilarius von Poitiers berlieferten lateinischen Texte nicht das zupostulierende lateinische Original sind, wie bisher meist angenommen wurde,sondern es sich hier um bersetzungen aus dem Griechischen handelt unddiese griechischen Fassungen sich wiederum als bersetzungen erweisen, soda vor allem bei den Dokumenten der westlichen Synode von Serdika voneinem doppelten bersetzungsvorgang Latein Griechisch Latein ausgegangenwerden mu.

    Neue Forschungsperspektiven hinsichtlich der in ihrer Mehrheit wederbis heute in einer kritischen Edition vorliegenden noch geographisch oderzeitlich einzuordnenden groen Zahl von griechischen Ps.-Athanasiana zeigendie beiden Beitrge von Annette von Stockhausen ab S. 133 auf. Fr die hiererstmalig untersuchte Disputatio contra Arium (CPG 2250) erwgt sie Kyrillvon Alexandrien als Autor, was den Text neu zu verstehen und einzuordnenermglicht. Auerdem legt sie die berhaupt erste kritische Edition der ps.-athanasianischen Homilia de semente (CPG 2245) vor.

    Durch die berlieferungsgeschichtlichen Untersuchungen von Anahit Avag-yan und Christian Mller sowie die Untersuchungen zu einigen griechischenPseudathanasiana durch Annette von Stockhausen wird die Notwendigkeit,die bisher von der Forschung noch weithin vernachlssigten Ps.-Athanasianaeinzubeziehen, deutlich. Kritische Editionen und Kommentierungen der groenMenge der Ps.-Athanasiana knnen und werden das Bild der griechischen,

    4 Brennecke/Heil/Stockhausen/Wintjes, Athanasius Werke III/3, xixxxviii.

  • Vorwort VII

    lateinischen, sowie orientalischen (vor allem armenischen) Theologie- und Frm-migkeitsgeschichte vom 5. Jahrhundert bis in das frhe Mittelalter an vielenStellen verndern. Deutlich ist auch, da diese Form der Athanasiusrezeptionim griechischen und lateinischen Sprachraum, sowie dem der verschiedenenorientalischen christlichen Sprachen je ganz eigene Wege geht.

    Die ersten berlegungen zu einer kritischen Edition der Werke des Athanasi-us, die bis heute nicht abgeschlossen ist, gehen auf den Beginn des vergangenenJahrhunderts zurck; durch Krieg und Wirtschaftskrise konnte mit der konkretenArbeit erst ab 1930 begonnen werden. Der Zweite Weltkrieg brachte die Anfngedann fr Jahrzehnte zum Erliegen.5

    Seit 1904 hatte Eduard Schwartz in mehreren Arbeiten die Forderung er-hoben, neben einer unbedingt ntigen kritischen Ausgabe der Schriften desalexandrinischen Patriarchen auch die in seinem Werk und an anderen Stellenberlieferten Dokumente (er spricht von Urkunden) zur Geschichte des ariani-schen Streites losgelst von ihrem sekundren berlieferungskontext kritisch zuedieren und zu kommentieren.6 Diese Forderung von Eduard Schwartz ist dannin engster Absprache mit ihm von Hans-Georg Opitz in Athanasius Werke IIIbegonnen worden. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, die in derMnchener Staatsbibliothek im Nachla von Eduard Schwartz aufbewahrtenBriefe von Hans-Geog Opitz aus den Jahren 19321940 zu verentlichen, diein vieler Hinsicht ein bezeichnendes Licht gerade auch auf Opitz als ganz vonseiner Zeit geprgten Wissenschaftler werfen. Leider mssen die Briefe vonSchwartz an Opitz als in den Wirren des Kriegsendes und der Nachkriegszeitverloren angesehen werden. Dennoch zeigt dieser nur auf einer Seite erhalteneBriefwechsel sehr deutlich, welche grundlegende Rolle Eduard Schwartz undvor allem seine in der Ausgabe der Akten der kumenischen Konzilien ent-wickelten Editionsprinzipien fr die Ausgabe der Dokumente zum arianischenStreit gespielt haben. Annette von Stockhausen hat ab S. 207 die Briefe nicht nurtranskribiert, sondern auch kommentiert und damit eigentlich erst zugnglichgemacht.

    5 Vgl. Brennecke/Heil/Stockhausen, Athanasius Werke II 8, v f. und Hanns Christof Brennecke/Annette von Stockhausen, Die Edition der Athanasius Werke, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Er-langer Editionen. Grundlagenforschung durch Quelleneditionen: Berichte und Studien (ErlangerStudien zur Geschichte 8), Erlangen/Jena 2009, 151171, hier 154165.

    6 Vgl. Eduard Schwartz, Die Aktenbeilagen in den Athanasiushandschriften, NGWG.PH 1904,391401, wiederabgedruckt in Eduard Schwartz, Gesammelte Schriften. Dritter Band: ZurGeschichte des Athanasius, Berlin 1959, 73-85; Eduard Schwartz, Die Dokumente des arianischenStreites bis 325, NGWG.PH 1905, 257299, wiederabgedruckt in Schwartz, Gesammelte SchriftenIII, 117-168; Eduard Schwartz, Von Nicaea bis zu Konstantins Tod, NGWG.PH 1911, 367426,wiederabgedruckt in Schwartz, Gesammelte Schriften III, 188-264; Eduard Schwartz, VonKonstantins Tod bis Sardika 342, NGWG.PH 1911, 469522, wiederabgedruckt in Schwartz,Gesammelte Schriften III, 265-334; Eduard Schwartz, Zur Kirchengeschichte des 4. Jahrhunderts,ZNW 34 (1935), 129213, wiederabgedruckt in Eduard Schwartz, Gesammelte Schriften. VierterBand: Zur Geschichte der Alten Kirchen und ihres Rechts, Berlin 1960, 1-110.

  • VIII Vorwort

    Die Herstellung eines solchen Bandes ist mit mancherlei nicht sofort sicht-baren Arbeiten verbunden. Annette von Stockhausen hat mit der gewohntenSouvernitt und Sorgfalt die Druckvorlage samt aller Register hergestellt. Han-na Bischo und Michaela Durst danken wir fr intensive Untersttzung bei denKorrekturen.

    Christoph Markschies sei fr die Aufnahme dieser Aufstze in die traditi-onsreiche Reihe Texte und Untersuchungen, sowie dem Verlag de Gruyterund besonders Dr. Albrecht Dhnert fr die nun schon viele Jahre andauerndevertrauensvolle und reibungslose Zusammenarbeit gedankt.

    Erlangen, im Mrz 2010Hanns Christof Brennecke und Annette von Stockhausen

  • Inhaltsverzeichnis

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

    Athanasius in bersetzungen

    Das Phnomen des lateinischen Athanasius . . . . . . . . . . . . . . . . 3Christian Mller

    Die armenische Athanasius-berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43Anahit Avagyan

    Studien zu den Dokumenten zum arianischen Streit

    Die letzten Jahre des Arius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Hanns Christof Brennecke

    Markell von Ancyra und das Romanum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85Uta Heil

    Die ursprachliche Fassung der Dokumente von Serdica . . . . . . . . . . . 105Angelika Wintjes

    Studien zu Pseud-Athanasiana

    Die pseud-athanasianische Disputatio contra Arium. Eine Auseinanderset-zung mit arianischer Theologie in Dialogform . . . . . . . . . . . . . . . 133Annette von Stockhausen

    Die pseud-athanasianische Homilia de semente. Einleitung, Text und ber-setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157Annette von Stockhausen

  • X Inhaltsverzeichnis

    Geschichte der Athanasius Werke

    Einblicke in die Geschichte der Athanasius Werke. Die Briefe Hans-GeorgOpitz an Eduard Schwartz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207Annette von Stockhausen

    Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

  • Athanasius in bersetzungen

  • Das Phnomen des lateinischen AthanasiusChristian Mller

    Grundstzliches

    Die erste Formulierung des Themas durch Berthold Altaner

    Im Jahr 1941 hat Berthold Altaner in seinem Aufsatz Altlateinische berset-zungen von Schriften des Athanasios von Alexandreia1 auf eine Gruppe vonTexten in lateinischer Sprache hingewiesen, die unter dem Namen des berhm-ten Bischofs von Alexandria berliefert sind. Der Titel des Aufsatzes ist insofernirrefhrend, als er suggeriert, dass es sich bei allen angefhrten Texten umbersetzungen handelt. Tatschlich stehen neben lateinischen bersetzungengriechischer Texte auch Texte, die original lateinisch sind, also keine griechischeVorlage haben. Der Grund fr Altaners Titelwahl lag in der Ausrichtung sei-nes Aufsatzes begrndet. Altaner wies auf das Desiderat einer Geschichte desantiken christlichen bersetzungswesens hin und wollte mit einer Bestandsauf-nahme zu bersetzungen von Athanasiustexten einen ersten Beitrag leisten. DieExistenz von original lateinischen Texten unter dem Namen des Kirchenvaterswar fr ihn eher ein Nebengleis.

    Dafr schied Altaner durch die Abfolge der aufgelisteten Texte klar zwischenbersetzungen echter Athanasiusschriften und lateinischen bersetzungen grie-chischer Pseudathanasiana. Fr die Erfassung und Einschtzung des Textbe-standes insgesamt fhrte Altaner zunchst literarische Zeugnisse an, alsoTextstellen in antiken Werken, die auf die Existenz von lateinischen Athanasius-bersetzungen hinweisen knnen. In einem zweiten Teil gab er eine bersichtber die erhaltenen bersetzungen, die er jeweils zu datieren suchte. Schlie-lich wies er in einem dritten Teil auf die indirekte berlieferung hin, also aufTexte, die fragmentiert in ein anderes Werk aufgenommen worden waren. Es istAltaners Verdienst, durch eine erste Zusammenstellung den Impuls zur weiterenErforschung dieser Texte gegeben zu haben. Seine Systematik kann zugleich alsmethodischer Vorschlag fr die Aufndung, Klassizierung und Untersuchungvon lateinischen bersetzungen verstanden werden.

    1 Berthold Altaner, Altlateinische bersetzungen von Schriften des Athanasios von Alexandreia,ByZ 41 (1941), 4559.

  • 4 Christian Mller

    Eine bersicht zu Altaners Systematik knnte wie folgt aussehen:

    I. Literarische Zeugnisse II. Erhaltene Texte III. Indirekt berlieferte TexteBelege fr die Existenz vonlateinischen Athanasius-ber-setzungen

    Athanasiusbersetzungen Athanasiusbersetzungen

    Pseudath.-bersetzungen (Pseudath.-bersetzungen)(nach heutigem Stand ist de vir-ginitate unecht)

    original lateinische Texte (keine original lateinischenTexte)

    Altaners Honung, da diese Forschung bald und umfassend erfolgen wrde,blieb indes unerfllt. Auch heute, ber 60 Jahre spter, gibt es keine vollstndigeund systematische Beschreibung des Phnomens des lateinischen Athanasius.

    Methodische berlegungen und Problemanzeigen

    Angesichts der beschriebenen Forschungssituation ist die Hauptfrage natrlich,was es mit dem lateinischen Athanasius berhaupt auf sich hat.

    Altaner hatte sein Hauptaugenmerk auf den Aspekt der bersetzung ge-legt. So sind etwa seine literarischen Zeugnisse durchweg Textstellen, diedie Existenz von bersetzungen belegen sollen.2 Diese Engfhrung erweist sich

    2 Altaner, Altlateinische bersetzungen, 4649; fr die bisher untersuchten Texte ist vor allemdie These Altaners (Altlateinische bersetzungen, 46 f.) von Bedeutung, da wenn Hieronymusin ep. 107,12 fr die Tochter einer vornehmen Rmerin die Lektre von epistulae Athanasiiempehlt, diese bereits ins Lateinische bersetzt worden sein mssten. Danach wre vor 400eine Sammlung von bersetzten Athanasiusbriefen in Rom vorhanden gewesen. Die fraglicheStelle lautet im Original (= CSEL LV, 303): . . . [vorher preist Hieronymus den Wert dereinzelnen biblischen Bcher] . . . Cypriani opuscula semper in manu teneat, Athanasii epistulaset Hilarii libros inoenso decurrat pede. Wirklich zwingend ist Altaners These nun nicht.Letztlich basiert sie auf der allgemeinen Beobachtung, da im 4. Jahrhundert im westlichenTeil des Imperium Romanum eine starke Abnahme der Griechischkenntnisse festzustellen ist.Natrlich lsst sich aber diese allgemeine Beobachtung nicht zwingend fr jeden Einzelfallvoraussetzen. Im Falle des genannten Hieronymusbriefs ist noch zu bedenken, da Hieronymusvor seinen Lektreempfehlungen (107,12) zur Basisausbildung der Tochter das Erlernender griechischen Sprache rechnet. Jedenfalls scheint die Forderung (107,9): ediscat Graecorumversuum numerum eine Einfhrung in die griechische Grammatik vorauszusetzen (dies wirdauch von Altaner, Altlateinische bersetzungen, 47 so verstanden) wodurch Altaners Thesedeutlich geschwcht wre. Letztlich geht es also um die Frage, wie realistisch der Anspruch vonHieronymus Bildungsprogramm in diesem Brief eingeschtzt wird. Sicher lsst sich zunchstnur sagen, da in Rom vor 400 eine Sammlung von Athanasiusbriefen vorhanden und frinteressierte Leser zugnglich war. Altaner wertete die Tatsache, da die epistulae Athanasii ander besagten Stelle zwischen zwei lateinischen Autoren genannt werden, als Argument frseine These.Klar ist zumindest, da es Athanasius als einziger Grieche in den Lektrekanon des

    Hieronymus geschat hat. Whrend also darber diskutiert werden kann, ob es bereits vor 400lateinische bersetzungen von Athanasiusbriefen in Rom gab, ist die zitierte Briefstelle auf jedenFall ein klares literarisches Zeugnis fr das Ansehen des Athanasius im Westen.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 5

    angesichts original lateinischer Texte als ebenso problematisch wie die Vorge-hensweise insgesamt, bei der von sekundren und durchaus der Interpretationbedrftigen3 Textstellen her ein historischer Rahmen fr die Betrachtung dertatschlich berlieferten Texte abgesteckt wird.

    Ebenso handelt es sich bei der starken Betonung von echten und unech-ten Athanasiustexten um eine sekundre, weil anachronistische Betrachtungs-weise. Natrlich ist es fr die neuzeitliche Forschung sinnvoll, die Echtheitsfragezu stellen. Doch fr die sptantiken Rezipienten scheint dies keine relevanteFrage gewesen zu sein. Zumindest deuten die Belege bisher darauf hin, da allelateinischen Texte unter dem Namen des Athanasius von den Lesern unmittelbaroder mittelbar (qua bersetzung) auf ihn zurckgefhrt wurden. Besondersdeutlich ist dies in Fllen wie der Sammelhandschrift des Codex Laurentia-nus San Marco 5844, die (oenbar aus der Feder eines einzigen Compilators)nebeneinander bersetzungen von Athanasiana und Pseudathanasiana enthlt.

    Will man das Phnomen lateinischer Athanasius angemessen beschreiben,so muss m.E. zunchst bei der Entstehungssituation der Texte angesetzt werden.Historisch-kritische Fragen und Systematisierungen knnen hier erst in einemzweiten Schritt Ordnung in die Wirren des Materials bringen, da sie eine erkenn-bar andere Sicht auf die Texte erfordern als die der intendierten Leser, fr diesie geschrieben wurden.

    Nach diesen Negativbestimmungen muss natrlich noch geklrt werden,welche Gesichtspunkte die Texte, die den lateinischen Athanasius bilden,berhaupt einen.

    Direkt erkennbar ist zunchst nur zweierlei:

    1. Alle hier verhandelten Texte wurden in der berlieferung mit dem Namendes Athanasius verbunden.

    2. Alle Texte sind in lateinischer Sprache verfasst.

    Betrachtet man diese beiden Charakteristika nher, so fllt schnell deren Un-schrfe auf:

    Ad 1. Der Name des Athanasius kann zu einem Text ursprnglich gehrenoder im Laufe der berlieferung hinzugefgt worden sein. Letzteres kann sichauf einzelne Handschriften beschrnken. Wenn Athanasius nicht von Anfang anals Verfasser galt, kann der Text seinen ursprnglichen Verfassernamen verlorenhaben oder schon immer anonym gewesen sein.

    Ad 2. Die lateinischen Texte knnen bersetzungen aus dem Griechischenoder lateinische Originale sein.

    Aus den obigen berlegungen lassen sich allerdings noch zwei weitereWesensmerkmale gewinnen:

    3 Dies zeigen nicht zuletzt die berlegungen der vorigen Anmerkung4 Vgl. unten ab S. 15.

  • 6 Christian Mller

    3. Alle Texte setzen ein Lesepublikum voraus, dessen Literatursprache Lateinist. Ein solches Lesepublikum ist in der westlichen Hlfte des sich allmhlichauseinander entwickelnden Imperium Romanum anzusiedeln. Die Vorausset-zung fr die Entstehung von bersetzungen der hier vorliegenden Art ist derweitgehende Verlust der Zweisprachigkeit auch in den gebildeten Schichtendes westlichen Reichsteils. Natrlich gab es auch im stlichen Reichsteil la-teinisch sprechende Bevlkerungsgruppen und Latein hatte als AmtsspracheBedeutung. Aber ein sptantiker Autor, der gem den Erwartungen seinesPublikums schreibt, htte im griechischen Osten kaum zur LiteraturspracheLatein gegrien.5 Dieses westliche6 Lesepublikum rezipierte die Texte alsgeistliche Kulturgter aus dem Osten, um von ihnen zu protieren, ohne sieim Original lesen zu knnen (soweit sie bersetzungen waren). Zwischen diehistorische Bezugsperson Athanasius und den Leser tritt die lateinische Sprache,die einerseits Medium und andererseits Barriere ist.

    Auerdem ist zu bedenken, da im Vergleich zum Gesamtwerk nur wenigeAthanasiusschriften bersetzt wurden. Die Erwartungen des Lesepublikumsfhrten also zu einer bestimmten Auswahl von Texten. Es wird noch zu fragensein, ob und wie sich diese Auswahl zuzglich der original lateinischen Schriftencharakterisieren lsst. Doch erweist sich die Textgruppe so in jedem Fall als einsekundres Phnomen in der Wahl der Sprache wie des Textbestandes.

    4. Mit den berlegungen zum Lesepublikum geht eine geographische Ein-grenzung auf die westliche Hlfte des Imperium bzw. spter auf die entspre-chenden Nachfolgestaaten einher. Diese geographische Eingrenzung verbindetdie Texte in historischer Hinsicht mit den Transformationsprozessen, die vomUntergang des westrmischen Reiches zur Entstehung des christlichen Abend-landes fhren. Der lateinische Athanasius muss also in die Umwlzungen imWesten eingezeichnet werden, die ihn deutlich vom historischen Athanasius, derim Osten des Imperium lebte, zu trennen scheinen.

    Hier wird ein weiteres Dezit von Altaners Ansatz deutlich: Er fragte nichtexplizit nach dem mglichen Verhltnis der lateinischen Texte zum historischenAthanasius und nahm den historischen Kontext nur bezglich des bersetzungs-wesens wahr.

    5 So schreibt etwa Ammianus Marcellinus, ein Mann aus dem Osten, sein in stark grzisiertemLatein verfasstes Geschichtswerk erst in Rom fr das dortige Publikum; vgl. Michael von Al-brecht, Geschichte der rmischen Literatur: Von Andronicus bis Boethius; mit Bercksichtigungihrer Bedeutung fr die Neuzeit, Bd. 2, Mnchen u.a. 21994, 1127 f.

    6 Der Einfachheit halber wird im Folgenden vom Westen bzw. westlichen Lesern die Redesein. Dies spiegelt das terminologische Problem, das sich bei der bersicht ber die Texte ergibt,die ber einen Zeitraum von Jahrhunderten entstanden sind, in denen sich Herrschaftsgebieteverschoben und sich die politische Gesamtsituation nachhaltig vernderte.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 7

    Der historische Athanasius als Ausgangspunkt

    Gleichwohl ist die Frage nach dem Verhltnis des lateinischen zum historischenAthanasius unabweisbar, da letztlich erst die Verbindung mit dem Namen desAthanasius der Textgruppe ihr spezielles Prol gibt.

    Dafr ist zunchst noch ein Punkt zu klren, der bisher nur implizit beachtetworden ist: Wie steht es um die Lateinkenntnisse des historischen Athanasius?

    ber diese Frage ist immer wieder spekuliert worden. Dies ist insofern nichtverwunderlich, als sich Athanasius whrend seines ersten Exils (335-337) in Trierund whrend seines zweiten Exils (339-346) in Rom und an anderen westlichenOrten aufgehalten hat7 und somit mit Latein sprechenden Zeitgenossen konfron-tiert war. Die Interpretation dieser Umstnde ist allerdings schwierig. TimothyBarnes etwa zeigt sich in seiner Monographie Athanasius and Constantius8

    durchaus oen fr die Annahme, Athanasius habe ber gewisse Lateinkenntnisseverfgt.9 Dies ist aber fr den Fokus dieser Arbeit nicht entscheidend. Es istnatrlich plausibel, da ein Exilant, der sich jahrelang in einem fremden Landaufhlt, gewisse Grundkenntnisse in der Sprache des Landes erwirbt. Doch istes m.E. fraglich, ob jemand, der auf diese Weise Latein lernt, es bis zu der Reifebringt, die bentigt wird, um einen literarischen Text zu verfassen. Diese berle-gung ist insofern zentral, als die allgemeine Frage nach den Lateinkenntnissendes Athanasius hier thematisch zugespitzt werden muss: Ist es wahrscheinlich,da Athanasius einen lateinischen Text verfasst hat?

    Die Beantwortung der Frage entscheidet immerhin mit ber die Beurteilungder berlieferung, die auch original lateinische Texte unter dem Namen desAthanasius bietet. Auerdem geht es um die Beurteilung der Mglichkeit, daAthanasius selbst eine bersetzung seiner Texte angefertigt hat.

    Nun hat Gustave Bardy schon 1948 die Frage gestellt, ob sich anhand vonAthanasiustexten Lateinkenntnisse des alexandrinischen Bischofs nachweisenlassen.10 Bardy wies darauf hin, da in zwei Schriften des Athanasius einlateinisches Edikt in griechischer bersetzung dargeboten wurde, wobei diebersetzung in beiden Fllen nicht identisch war.11 Dies fhrte zu Bardys Frage,

    7 Vgl. fr die Exile des Athanasius allgemein Uta Heil, Athanasius von Alexandrien, LACL32002, 6970; im zweiten Exil war Athanasius zunchst lngere Zeit in Rom, bereiste aberzur Sammlung verbndeter Bischfe auch andere Stdte und besuchte zur Vorbereitung dergeplanten Synode von Serdika 343 Maximinus in Trier, der ihn dort whrend seines ersten Exilsfreundlich aufgenommen hatte. Vgl. Andrea Binsfeld, Geschichte des Bistums Trier von denAnfngen bis zum Ende des 4. Jahrhunderts, in: Heinz Heinen/Hans Hubert Anton/WinfriedWeber (Hrsg.), Geschichte des Bistums Trier I. Im Umbruch der Kulturen. Sptantike undMittelalter (Verentlichungen des Bistumsarchivs Trier 38), Trier 2003, 1989, hier 55 f.

    8 Timothy D. Barnes, Athanasius and Constantius. Theology and Politics in the ConstantineEmpire, Cambridge, Mass./London 1993.

    9 Vgl. Barnes, Athanasius and Constantius, 13.10 Gustave Bardy, La question des langues dans lglise ancienne (tudes de thologie historique

    1), Paris 1948, 131.11 Die beiden bersetzungen nden sich in apol.Const. 23 und h.Ar. 24.; zum Text s.u.

  • 8 Christian Mller

    ob sich der Befund am einfachsten dadurch erklren lasse, da Athanasiusdas Edikt auf Latein vorlag und er es in beiden Fllen ad hoc ins Griechischebersetzte.12 Um Bardys berlegung zu prfen, ist ein kurzer Blick auf diebeiden bersetzungen hilfreich:13

    bersetzung 1(h.Ar. 24 [196,313 Opitz]):

    bersetzung 2(apol.Const. 23 [296,15297,9 Brennecke/Heil/Stockhausen]):

    - -. . , - - , . , ,, . . , , - -, , , ,, , , , , - , , - -, . , , , . .

    . , .

    - , .

    Ein erster Blick gengt, um Unterschiede in der bersetzung zu erkennen.Doch bestehen diese Unterschiede nicht etwa nur in der Verwendung verschie-dener griechischer Vokabeln fr ein lateinisches Wort. Dies wre ja bei einerspontanen zweiten bersetzung durchaus denkbar. Daneben unterscheiden sichdie bersetzungen allerdings auch in der Wortstellung deutlich so deutlich,da die Wortstellung in bersetzung 2 die typische Wortstellung der lateini-

    12 Vgl. Anm. 10.13 Hervorhebungen jeweils von mir.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 9

    schen Vorlage nachahmt, whrend bersetzung 1 einen echt griechischen Textbietet.14

    Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen erscheint Bardys Vermutung,die bersetzungen als Produkte von Athanasius Lateinkenntnissen erklren zuknnen, nicht plausibel. Es ist insgesamt kaum vorstellbar, da beide bersetzun-gen von einer Person stammen, da ein bersetzer vielleicht mal die eine, mal dieandere Vokabel verwendet, aber kaum einmal eine zielsprachenorientierte, einandermal eine Wort-fr-Wort-bersetzung anfertigt, wenn dies keinen ersichtli-chen Grund hat. Dies trit dann natrlich auch auf Athanasius zu. Er kann aberauch schwerlich der Verfasser einer der beiden bersetzungen gewesen sein:Beide bersetzungen unterscheiden sich qualitativ deutlich. Wre Athanasiusder Verfasser der eleganteren bersetzung, liee sich nicht erklren, warum erauf eine ungelenkere fremde zurckgegrien haben sollte.

    Doch auch die Annahme, Athanasius habe die hlzerne Wort-fr-Wort-bersetzung verfasst, wre rein spekulativ. Man msste vermuten, Athanasiushabe zunchst selbst eine bersetzung angefertigt, spter eine bessere gefundenund dann diese verwendet. Plausibler ist die Vorstellung, da beide bersetzun-gen nicht von Athanasius stammen. Dafr spricht insbesondere die ununterschie-dene Verwendung beider qualitativ unterschiedlicher bersetzungen. Sie lsstsich, gegen Bardy15, letztlich dann am einfachsten erklren, wenn Athanasius kei-ne weitreichenden Lateinkenntnisse besa. Er htte die bersetzungen einfachverwendet, wie sie ihm gerade zur Hand waren, ohne sich um die Unterschiedezu kmmern.

    Diese These hat auch den allgemeinen Befund auf ihrer Seite, da sich inAthanasius Schriften keine Aussage ndet, die auf literarische Texte des Bischofsin lateinischer Sprache hinweist.

    Ist diese Analyse zutreend, so lsst sich auf ihrer Grundlage das 3. Cha-rakteristikum des lateinischen Athanasius (s.o.) noch etwas schrfer fassen:Weil nach dem bisherigen Stand der Untersuchungen16 davon ausgegangen

    14 Zur Verdeutlichung sind in den oben stehenden Texten Aufflligkeiten im ersten (bersetzung1) bzw. in den ersten beiden Stzen (bersetzung 2) hervorgehoben, die sich entsprechendvermehren lieen.Auf den Qualittsunterschied weisen auch Brennecke/Heil/Stockhausen, Athanasius Werke

    II 8, 296 im historischen Apparat hin.15 Die vorgenommene kritische Sichtung der Texte, auf die Bardy hingewiesen hat, soll nicht

    als Kritik an Bardy selbst verstanden werden. Dieser hat seine Vermutung sehr vorsichtigformuliert. Etwas unglcklich ist m.E. die Rezeption Bardys durch Barnes, Athanasius andConstantius, 244 Anm. 40, der die von Bardy, La question des langues dans lglise ancienne,132 klar geuerte Unsicherheit nicht anfhrt, wodurch Bardy bezglich der Lateinkenntnissedes Athanasius hnlich zuversichtlich erscheint wie Barnes selbst.

    16 Die beiden oben betrachteten bersetzungen bilden allerdings nur das anschaulichste Beispielaufgrund der direkten Vergleichbarkeit. Fr eine sicherere Beantwortung der Sprachenfragewre es ntig, alle ursprnglich lateinischen Dokumente, die Athanasius im Rahmen seinerWerke in griechischer bersetzung bietet, vergleichend zu untersuchen. Geht man von demhier vorgestellten Beispielfall aus, so lsst sich zumindest schon der Befund beschreiben,

  • 10 Christian Mller

    werden muss, da der historische Athanasius dazu nicht in der Lage war, lite-rarische Texte auf Latein zu verfassen, steht notwendigerweise bei allen Textendes lateinischen Athanasius jeweils nicht nur eine Sprache, sondern auch einePerson (der bersetzer) zwischen dem berhmten Namensgeber und seinemPublikum.

    Dieses Publikum verband mit dem Namen Athanasius dennoch gewisseErwartungen. Athanasius war eben wirklich selbst im Westen des Imperiumaufgetreten, er hatte strker als andere stliche Bischfe enge Kontakte zumwichtigen Bischof von Rom geknpft und hatte, wie unten bezglich der VitaAntonii zu vermerken sein wird, auch jenseits der Kirchenpolitik bleibende Ein-drcke hinterlassen. Sein erfolgreicher Kampf fr ein niznisches Christentummachte ihn zu einer orthodoxen Autoritt und zwar einer, die man im Westenkannte.

    Zusammenfassend lsst sich festhalten, da der lateinische Athanasiuseine Gruppe von Texten in lateinischer Sprache fr ein westliches Lesepublikumist, die beim Leser die Erwartung gegenber einer berhmten Autoritt wecken,die mit der konkreten Gestalt der Texte nichts zu tun hat.

    Die Sptantike als historischer Kontext

    Diese etwas verwirrende Kurzbeschreibung ist nur im Rahmen einer Epocheverstndlich, die besondere Rezeptionsbedingungen bot: der Sptantike.

    Die Wertung der Sptantike als Epoche eigener Dignitt ist forschungsge-schichtlich eine relativ neue Tendenz. Die Charakterisierung dieser Epoche istnach wie vor umstritten; sie schwankt zwischen der Betonung der Verfallser-scheinungen17, die die ltere Forschung beherrschte, und dem Hinweis aufstarke Kontinuitten18, die die Epoche als Zeit der Transformation, nicht desNiedergangs charakterisieren.

    der sich ergeben msste, um Athanasius grere Lateinkenntnisse attestieren zu knnen:Die berwiegende Mehrheit der bersetzten Texte msste einen (einigermaen) einheitlichenbersetzungsstil aufweisen, Abweichungen lieen sich dann u. U. situativ erklren. Sollte sichaber auf der breiteren Textbasis eine hnliche Divergenz der einzelnen bersetzungen zeigen,wie sie im Beispielfall erkennbar ist, so drfte sich auch die obige Argumentation besttigen.Denn dass Athanasius je und je den bersetzungsstil gewechselt hat, ist nicht anzunehmen(auch, weil gerade dies von vornherein eine besonders hohe Souvernitt im Umgang mit demLateinischen voraussetzen wrde). Letztlich greifen hier mutatis mutandis hnliche Kriterien wiebei der Echtheitsprfung der griechischen Athanasiuswerke selbst.

    17 Vgl. z.B. die Analyse von Bryan Ward-Perkins, Der Untergang des Rmischen Reiches und dasEnde der Zivilisation, hrsg. v. Nina Valenzuela Montenegro, Darmstadt 2007 (Original Oxford2005).

    18 Vgl. als besonders optimistisches Beispiel Walter Goart, Barbarians and Romans. A.D. 418584. The techniques of accommodation, Princeton, NJ 1980. Aufstze pro und contra Goartnden sich in Walter Pohl (Hrsg.), Kingdoms of the empire. The integration of Barbarians inlate antiquity (The transformation of the Roman World 1), Leiden u.a. 1997.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 11

    Da im Prinzip alle Forscher dasselbe Quellenmaterial zur Verfgung haben,ist die sehr unterschiedliche Bewertung hauptschlich der Fokussierung aufbestimmte Aussagen in den Quellen geschuldet.

    Betrachtet man vor allem die Aussagen ber Grueltaten im Zuge germani-scher Invasionen und die Belege fr den Rckgang technischer Errungenschaften,so wird man das Ende des westrmischen Reiches primr als Niedergang be-greifen.19

    Betont man hingegen die Bewunderung der germanischen Ankmmlinge frberkommene rmische Herrschaftsstrukturen und die langfristige bernahmermischer Kulturelemente durch die neuen Herrscher, so wird man etwa inTheoderich eher einen Fortsetzer als einen Neuerer sehen.

    Ganz im aristotelischen Sinne scheint in historischer Hinsicht eine sinnvolleBeurteilung der Sptantike zwischen diesen Extremen zu liegen.20 Die Epocheder Sptantike sieht sich nach einem Neubeginn unter Diokletian und einerersten kraftvollen Umdeutung unter Konstantin mit einem komplexen Prozesskonfrontiert, in dessen Folge zu Beginn des 5. Jahrhunderts eine Destabilisierungdes westlichen Reichsteils immer weiter Raum greift. In dieser Krisensituationgelangen germanische Stmme, die teils friedlich, teils mit blanker Gewalt indas Territorium des Reiches einwandern, in entscheidende Machtpositionen. Alsspektakulres Krisenjahr wird von den Zeitgenossen 410 mit der PlnderungRoms angesehen, nicht etwa 476 mit der Absetzung des letzten westrmischenKaisers. Die Folgezeit ist von dem Versuch der Germanen (Homer im Gegen-satz zu den rmischen Katholiken) geprgt, auf der Grundlage des rmischenErbes neue Staaten zu schaen. So kommt es zur Fortdauer rmischer Struktu-ren unter vernderten Bedingungen. Erst mit dem Aufstieg des karolingischenFrankenreiches wird eine dauerhafte Verschiebung des Machtzentrums nachNorden erreicht, die den konstitutiven Bezug auf Rom nachhaltig relativiert.Zwar wird gerade unter Karl dem Groen das westliche Kaisertum wiedereingesetzt, doch sind nun die Rahmenbedingungen derart verndert, da eineneue Epoche angebrochen ist.

    19 Ward-Perkins, Untergang des Rmischen Reiches, 145176 et passim weist vor allem auf dieFolgen fr die breite Masse der Bevlkerung hin, die nun kaum mehr Zugang zu hochwertigenMassenprodukten hatte und auch selbst weniger eektiv handwerkliche und landwirtschaftlicheGter herstellen konnte.

    20 Eine allzu optimistische Beurteilung der Sptantike muss letztlich den sozial- und wirtschaftsge-schichtlichen Aspekt ausklammern, fr den die Archologie wichtige Belege bietet (Darin liegtm.E. die Strke von Ward-Perkins Ansatz.). So sehr die neuen Herren rmische Kulturelementeaufnahmen, war doch letztlich klar, da sie eben keine Rmer waren. Der allmhliche Verschmel-zungsprozess mndete in eine romanisierte, keine rmische Gesellschaft ehemaliger Germanen.Auerdem muss eine solche Beurteilung einen sehr weiten Rmerbegri verwenden. Dagegenunterscheidet die nachfolgend eingenommene literaturgeschichtliche Perspektive zwischen derrmischen Literatur, die im 3. Jahrhundert endete, und der nachrmischen, lateinischen Literaturder Sptantike.

  • 12 Christian Mller

    Der lateinische Athanasius entsteht also in einer Zeit groer Vernde-rungen. Dabei ist, unabhngig von der Bewertung der Ereignisgeschichte, dieBetrachtung der lateinischen Literaturgeschichte magebend. Diese ist zwar auchvon Vernderungen geprgt, doch steht ber diesen die Kontinuitt der Rezepti-on eines groen Themas Rom und sein Erbe. Letztlich lsst sich ein Groteilder lateinischen Literatur der Sptantike als Rezeptionsliteratur charakterisie-ren, die sich einem groen Erbe verpichtet wei. Die neu entstehenden Texteentbehren dabei keineswegs der Originalitt, doch sind sie strker als in frherenZeiten auf eine Vielzahl von Vorlagen bezogen.21

    Der Fall des lateinischen Athanasius fgt sich nur scheinbar nicht in die-sen Rahmen. Zwar ist das rmische Erbe hier nicht von Belang, doch dafrsteht Athanasius fr das Erbe von Nicaea, mithin fr das Erbe des orthodoxenChristentums, das das Romthema durch die Sptantike begleitet. Die Produktionvon Texten, die sich auf eine Zentralgur wie Athanasius beziehen, ist beson-ders charakteristisch fr die sptantike lateinische Literatur. Da die Texte nurmittelbar mit dem historischen Athanasius verbunden sind, ist dabei wenigerentscheidend. Kennzeichnend ist ja gerade ein produktiver Rckbezug auf einenAusgangspunkt, der Neugestaltungen gengend Raum lsst. Anders gesagt: Diezunchst befremdliche Beschreibung des lateinischen Athanasius als Textgrup-pe mit nur mittelbarem Bezug auf den historischen Athanasius fgt sich bestensin eine Literaturepoche, die unter prinzipiellem Rckgri auf vorhandene Wertediese neu arrangiert und interpretiert und gerade in dieser Spannung zwischenRezeption und Produktion aus Altem Neues macht.

    Insofern der lateinische Athanasius zunchst ein literarisches Phnomenist, lsst er sich als ein Produktions- und Rezeptionsphnomen der sptantikenlateinischen Literatur beschreiben, das durch den Rckgri auf Gestalt, Wir-ken und Werk des historischen Athanasius sein spezielles Prol gewinnt undeine spezische Auswahl von Texten unter dem Namen des Athanasius einemLesepublikum im Westen des Imperium Romanum prsentiert.

    Ergnzend zu dieser Beschreibung sind noch zwei Gesichtspunkte zu beden-ken:

    5. Die Produktion von lateinischen Texten unter dem Namen des Athanasiusnimmt mit dem Beginn des Mittelalters ab, doch kommt sie zu keinem abruptenEnde. Der lateinische Athanasius hat also seine Wurzeln und sein Wesen in

    21 Als berblick und Ausgangspunkt fr eine weiterfhrende Diskussion der LiteraturepocheSptantike vgl. Reinhart Herzog/Johannes Divjak (Hrsg.), Handbuch der lateinischen Literaturder Antike. V. Restauration und Erneuerung. Die lateinische Literatur von 284 bis 374 n. Chr.(HAW VIII), Mnchen 1989, 144, v.a. 2133. Das dortige Fazit: So ist die lateinische Sptantikeeine Literatur der produktiven Rezeption par excellence, ihr erstes europisches Beispiel. Eshandelt sich um einen Grundzug der Epoche. (HLL V, 33)Speziell fr die literaturgeschichtliche Situation zur Zeit der Entstehung des lateinischen

    Athanasius vgl. Siegmar Dpp, Die Bltezeit lateinischer Literatur in der Sptantike (350430n.Chr.). Charakteristika einer Epoche, Ph. 132 (1988), 1952.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 13

    der Sptantike gewonnen, doch war die Dynamik der Entwicklung oenbar grogenug, um die zeitliche Grenze zum Mittelalter zu berwinden. Zugleich ist dasMittelalter natrlich eine wichtige Phase der Rezeption der in der Sptantikeentstandenen Texte. Nebenbei zeigt sich auch daran, da die Grenzen zwischenSptantike und Mittelalter eben sehr ieend waren.

    6. Da der lateinische Athanasius als Auswahl von Texten mit Bezug zuAthanasius fr ein westlich-christliches Publikum charakterisiert werden kann,muss dieser Charakter in dem Moment verloren gehen, in dem alle griechischenTexte unter dem Namen des Athanasius bersetzt werden und dies auch nichtmehr notwendigerweise fr christliche (theologische, erbauliche, etc.) Belangegeschieht, sondern auch rein humanistische oder philologische Interessen imSpiel sind. Mit dieser berlegung ist auch ein grober zeitlicher Grenzwert frdas Phnomen und seine Untersuchung gewonnen: Der Beginn der Neuzeitbeendet einerseits die Voraussetzungen fr die Entstehung solcher Texte undfhrt zur Abfassung anders intendierter bersetzungen; daneben wird durchdie philologische Echtheitsdiskussion ein Keil zwischen echte und unechteAthanasiusschriften getrieben.

    Natrlich ist dieser Grenzwert relativ vage. So entstanden im 15. Jahrhunderteinerseits schon typisch neuzeitliche Athanasiusbersetzungen22, andererseitswird das unechte Athanasianum in der lioque-Debatte des 15. Jahrhundertsnoch einmal als autoritativer Text verwendet.23 Doch verliert der lateinischeAthanasius als literarisches Phnomen hier allmhlich seine Konturen, auchwenn einzelne Texte dieser Gruppe noch lange von ungebrochener Bedeutungwaren.

    Die bisherige Charakterisierung der Textgruppe des lateinischen Athanasi-us musste fr methodische Klrungen der Textbetrachtung selbst vorgreifen.Diese soll nun folgen, im Horizont der und zugleich als Prfstein fr die ange-fhrten Charakteristika.

    berblick ber die Textgruppe

    Das Problem der berlieferungszusammenhnge

    Die angestellten berlegungen haben ein vorluges Prol der Textgruppe er-bracht, das eine idealtypische Vereinfachung darstellt. Denn die erhaltenen Texte

    22 So zum Beispiel die bersetzungen von contra gentes und de incarnatione des AmbrosiusTraversari im Codex Laurentianus Faesulanus 44; vgl. Benot Gain, Traductions latines de Presgrecs. La collection du manuscrit Laurentianus San Marco 584. dition des lettres de Basile deCsare (EHS XV 64), Bern u.a. 1994, 193 f.

    23 Vgl. John Norman Davidson Kelly, The Athanasian Creed. The Paddock Lectures for 1962-3,London 1964, 4749.

  • 14 Christian Mller

    sind keineswegs alle in einer Handschrift bzw. alle als eine Sammlung in ver-schiedenen Handschriften berliefert. Vielmehr wurden die Texte ursprnglichallein oder in kleinen Gruppen tradiert. Eine Bildung von frhen Athanasius-sammlungen ist nur in einzelnen Fllen erkennbar. Erst mit dem Einsetzender Neuzeit, also just mit dem Ende des denierten Untersuchungszeitraums,werden die vorhandenen Texte und Textgruppen in groen Sammelhandschriftenvereint gewissermaen als Vorstufe zur systematischen bersetzung aller grie-chischen Texte unter dem Namen des Athanasius, wie man sie in der Ausgabeder Mauriner J. Lopin und B. de Montfaucon24 ndet.

    Aus diesem Befund folgt, da von dem lateinischen Athanasius nur als voneiner virtuellen Gre im denierten Sinn gesprochen werden kann; es handeltsich um einen Sammelbegri.

    Die zugehrigen Texte sind ber einen Zeitraum von mehreren Jahrhunder-ten, oenbar in ganz verschiedenen Zusammenhngen entstanden. Da ber-haupt von einer Textgruppe gesprochen werden kann, bekommt erst durch denBezug auf eine konkrete Person, Athanasius, seine Berechtigung. Zugleich wirdhier noch einmal deutlich, da eine vorausgehende Systematisierung der Textenach echten und unechten Athanasiusbersetzungen, etc. das historischeWachstum dieser Gruppe von Texten ignoriert.25

    Stattdessen legt sich methodisch ein Ansetzen bei den berlieferungszusam-menhngen nahe, will heien: Gerade wenn man historisch-kritisch arbeiten will,ist dies am besten mglich, wenn man jeweils die Texte zusammen betrachtet,die in der berlieferung ausschlielich oder teilweise verbunden sind, wobei diehistorisch-kritische Einschtzung der Texte erst nach diesem Schritt erfolgt. Ineinigen Fllen besteht auch nur so die Aussicht auf eine ungefhre Datierungder Texte.

    Angesichts des sehr vorlugen Charakters dieser Arbeit ist darauf hinzuwei-sen, da noch nicht alle berlieferungszusammenhnge vollstndig aufgeklrtsind. Eine vorluge bersicht ber die bisher erkannten berlieferungszusam-menhnge ndet sich im Anhang.26

    Die Methodendiskussion hat fr den Durchgang durch die Texte folgendesErgebnis erbracht:

    24 . . SanctiPatris nostri Athanasii Archiep. Alexandrini Opera omnia quae exstant vel quae ejus nominecircumferuntur, Ad mss. codices Gallicanos, Vaticanos, &c. necnon ad Commelinianas lectionescastigata, multis aucta: nova Interpretatione, Praefationibus, Notis, variis lectionibus illustrata:nov Sancti Doctoris vit, Onomastico, & copiosissimis Indicibus locupletata. Opera & studiomonachorum ordinis S. Benedicti congretatione Sancti Mauri (Bernardi Montfaucon et JacobiLopin). Tribus Tomis in folio Graece et Latine, Parisiis 1698.

    25 ber den Befund im Codex Laurentianus San Marco 584 wurde schon berichtet.26 Vgl. unten S. 38; die dortige bersicht soll primr einem ersten Eindruck dienen und ist

    keinesfalls als ultima ratio anzusehen.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 15

    Der lateinische Athanasius ist ein Konstrukt zur Beschreibung einerGruppe von lateinischen Texten, die durch den Namen des Athanasiusvon Alexandria und damit durch die Erwartungshaltung eines Lesepubli-kums im Westen des Imperium Romanum und seiner Nachfolgestaatenzusammengehalten wird.

    Eine methodisch sinnvolle Untersuchung kann nur von den Texten hererfolgen, d.h. sie muss bei den berlieferungszusammenhngen ansetzen.Texte, die schon frh miteinander berliefert wurden, mssen zuerst alszusammengehrig wahrgenommen werden, unabhngig von Echtheitsdis-kussionen.

    Erst nach einer Betrachtung der Texte in ihrer berlieferten Form kanndann historisch-kritisch nach ihrer Datierung, ihrem historischen Ort, ih-rem Verfasser/bersetzer und ihrem Verhltnis zum historischen Athana-sius gefragt werden.

    Aus den gewonnenen Einzelergebnissen lsst sich eine wenn auchlckenhafte Entwicklungsgeschichte des Phnomens Athanasius lati-nus gewinnen. Erst in dieses Gerst lassen sich interpretationsbedrftigeZusatzinformationen aus anderen Texten (etwa Altaners literarische Zeug-nisse) einfgen.

    Die primr formale methodische Bestimmung des Phnomens Athana-sius latinus muss nach der Untersuchung der Texte um eine inhaltlicheCharakterisierung erweitert werden. Letztlich kann erst nach einer einge-henden Untersuchung geklrt werden, was der lateinische Athanasiuswirklich ist.

    Kurzvorstellung der Texte

    Die folgende bersicht ist im Wesentlichen eine bersicht ber die vorliegendenProbleme, die sich mit der Untersuchung der einzelnen Texte verbinden. Leidersind im Moment mehr Fragen zu stellen als zu beantworten. Zudem mssenhierbei einige bisherige Forschungsergebnisse in Frage gestellt werden.

    Die Geschichte des lateinischen Athanasius nimmt ihren Ausgang beimhistorischen Athanasius, genauer gesagt bei der Vita Antonii27.

    Die genaue Abfassungszeit des Werkes ist umstritten die Datierungenbewegen sich meist zwischen 357 und 365. Hier ist jedoch nur wichtig, dainnerhalb weniger Jahre gleich zwei lateinische bersetzungen entstanden sind,

    27 Vgl. CPG 2101; die bislang beste, sich allerdings auf eine Auswahl von Handschriften be-schrnkende Edition bietet G. J. M. Bartelink, Athanase dAlexandrie, Vie dAntoine (Sourceschrtiennes 400), Paris 1994 (zur Beschrnkung vgl. S. 7), der auch wichtige Beobachtungen zurlateinischen bersetzung des Evagrius gemacht hat.

  • 16 Christian Mller

    eine anonyme28 und eine von Evagrius von Antiochia29. Man geht allgemeindavon aus, da die anonyme bersetzung die ltere der beiden ist.30 Wich-tigstes Indiz ist der deutliche Qualittsunterschied der beiden bersetzungen.Whrend der Verfasser der anonymen bersetzung in einem Epilog selbst seinsprachliches Ungengen zugibt, das sich in einer engagierten, aber doch rechthlzernen bersetzung niederschlgt, kndigt Evagrius in einem Prolog einedezidiert literarische, zielsprachenorientierte bersetzung an, die gerade nichtam Wortlaut kleben, sondern den Sinn treen will. Und tatschlich lsst sich dasWerk des Evagrius als elegante bertragung charakterisieren. In der Frage nachder zeitlichen Prioritt spricht die Wahrscheinlichkeit nun fr die anonyme ber-setzung, da es angesichts des (spt)antiken Stilempndens unwahrscheinlichist, da man nach der gelungenen und bekanntermaen schnell verbreiteten bersetzung des Evagrius noch eine derart rohe Behelfsbersetzung (nacheigener Aussage ihres Verfassers) anfertigt. Zudem fgen sich, ohne da dieszwingend zu erweisen wre, der Epilog des Anonymus und der Prolog desEvagrius wie Aktion und Reaktion zusammen:1. Epilog des Anonymus: Tamen prudentes qui legere voluerint hanc scripturam{oramus} ut dent veniam, si gr{a}ecis sermonibus vim exprimere non potuimustransferentes eam in latinam linguam, licet contra nostrum propositum hocfecerimus, non quasi invidentes facere, sed scientes quantas inrmitatessustinuit graecus sermo translatus in latinitatem. Maluimus tamen hocsustinere quam fraudem pati eos lucri deici qui quomodocumque inter-pretatum sermonem legere possunt. Deus autem omnipotens, qui tantoviro cooperatus ad faciendum talia, et nobis cooperatur ad imitandumipsum vel ex parte, ut in omnibus claricetur nomen ipsius per magistrumet hortatorem nostrum Iesum Christum et Salvatorem Dominum, cumSpiritu Sancto cui est claritas et perpetua potestas in saecula saeculorum.Amen.31

    2. Prolog des Evagrius: Prebyter Evagrius Innocentio charissimo lio in Do-mino salutem. Ex alia in aliam linguam ad verbum expressa translatio,sensus operit et veluti laeto gramine sata strangulat. Dum enim casibus etguris servit oratio, quod brevi poterat indicare sermone, longo ambitucircumacta vix explicat. Hoc igitur ego vitans, ita beatum Antonium te

    28 Vgl. CPG 2101; Edition: Henricus Hoppenbrouwers, La plus ancienne version latine de la viede S. Antoines par S. Athanase. tude de critique textuelle, Diss., Univ. Nimwegen, 1960.

    29 Vgl. CPG 2101; dankenswerterweise liegt fr die bersetzung des Evagrius seit wenigen Jahreneine kritische Edition vor: Pascal Bertrand, Die Evagriusbersetzung der Vita Antonii. Rezeption berlieferung Edition. Unter besonderer Bercksichtigung der Vitas Patrum-Tradition, Diss.,Utrecht, 2005.

    30 So, wie bereits am Titel erkennbar, Hoppenbrouwers, La plus ancienne version, und ohneDiskussion der Priorittsfrage Herzog/Divjak (Hrsg.), HLL V, 536 f. weitere Literatur siehedort.

    31 Text bei Hoppenbrouwers, La plus ancienne version, 194 f.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 17

    petente transposui, ut nihil desit ex sensu, cum aliquid desit ex verbis. Aliisyllabas aucupentur et litteras, tu quaere sententiam.32

    Immerhin wendet sich Evagrius genau gegen den Typus von bersetzung, dender Anonymus verfasst hat.

    Fr die Datierung beider bersetzungen kann man bei Evagrius ansetzen.Er weilte bis 371 bei Eusebius von Vercelli in Italien und ging 372/3 nachAntiochia.33 Angesichts der obigen berlegungen ist anzunehmen, da Evagriusfr ein italisches Publikum schrieb und zwar sptestens im Jahr 372.34 Da dieanonyme bersetzung hchstwahrscheinlich vorher entstand, bleibt angesichtsder zeitlichen Nhe zur Entstehung des Originals nur ein Zeitfenster von etwa365 bis 370.

    Nun ist die Adressierung der griechischen Vita Antonii (an die Mnche in der Fremde)35 interessant. Sind damit Mncheim Westen des Reiches gemeint,36 die Athanasius in seiner Exilszeit kennengelernt hatte,37 so hat der historische Athanasius selbst den Grundstein frden lateinischen Athanasius gelegt. Die anonyme bersetzung ist dann dererste Versuch, ein Werk des Athanasius auch einem interessierten westlichenPublikum zu erschlieen, das keine Griechischkenntnisse besa. Leider ist nur zuvermuten, in welchem Kontext diese erste bersetzung entstand. Aufgrund desfeststellbaren Ringens um eine adquate bersetzung gerade der monastischen

    32 Text bei Bertrand, Evagriusbersetzung, 160.33 371 war das Todesjahr der Eusebius; zur Biographie des Evagrius vgl. Klaudia Balke, Evagrius

    von Antiochien, Lexikon der antiken christlichen Literatur 32002, 255; Herzog/Divjak (Hrsg.),HLL V, 537.

    34 Sollte die bei Herzog/Divjak (Hrsg.), HLL V, 538 geuerte These richtig sein, da Evagriusseine bersetzung auf eine Anregung des Eusebius hin verfasste, so liee sich 371 als terminusante/ad quem annehmen. Allerdings widmet Evagrius seine bersetzung in seiner Praefatiodem Presbyter Innocentius unter anderem mit den Worten . . . vitam beati Antonii, te petente, . . .transposui . . . (Hervorhebung von mir). Innocentius starb erst 374; vgl. Herzog/Divjak (Hrsg.),HLL V, 537.

    35 V.Ant. 1 = PG 26,833. Bisweilen ist die Adresse der Vita Antonii als reine Fiktion abgetan worden;vgl. Richard Reitzenstein, Des Athanasius Werk ber das Leben des Antonius. Ein philologischerBeitrag zur Geschichte des Mnchtums. Eingegangen am 13. Mai 1914 (SHAW.PH 8), Heidelberg1914 und Ludwig Hertling, Antonius der Einsiedler (FGIL 1), Innsbruck 1929, 6 f. Es wre indiesem Fall allerdings zu fragen, wie innerhalb weniger Jahre nach der Abfassung des Originals,das nur fr den Hausgebrauch in Alexandria bestimmt war, zwei lateinische bersetzungenentstehen konnten, deren zweite innerhalb kurzer Zeit weite Verbreitung ndet und die Gattungder Heiligenvita im Westen mit begrndet. M.E. stellen die frhen bersetzungen der VitaAntonii vielmehr ein Indiz fr die Echtheit der Adresse dar.

    36 Bertrand, Evagriusbersetzung, 11 geht im Anschluss an Bartelink von Mnchen in Italien oderGallien als Adressaten aus.

    37 Eine vorausgehende persnliche Begegnung des Athanasius mit seinen Adressaten ist einenaheliegende, aber keine notwendige Voraussetzung. Auch ein rein brieflicher Kontakt wrdean der nachfolgenden Einschtzung wenig ndern. In der Frage nach dem Verhltnis vonAthanasius zu den Mnchen in der Fremde kann vielleicht eine nhere Untersuchungder einzelnen Kontakte des Athanasius whrend seiner Aufenthalte im Westen zu klarerenVorstellungen, zumindest in Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen, verhelfen.

  • 18 Christian Mller

    Termini38 mchte ich die These vorschlagen, da der bersetzer entweder zumursprnglichen Adressatenkreis der Mnche in der Fremde gehrte oder dochmit diesen in engem Kontakt stand. Der Ort ist indes schwer zu bestimmen. Dieeinzige erhaltene Handschrift der anonymen bersetzung stammt aus einemKloster in Mittelitalien.39 Da die bersetzung auch sonst keine sichtbaren Spurenhinterlassen hat, wrde sich eine Verortung in Italien anbieten. Dann knnte sieauch Evagrius gekannt haben.

    Mit Evagrius ndert sich das Publikum der Vita Antonii. Whrend die anony-me bersetzung nur Leser nden konnte, die sich von vornherein fr das ThemaMnchtum interessierten, wollte und konnte Evagrius auch bisher unerfahreneGebildete ansprechen.40 Hatte also Athanasius selbst den Grundstein fr seinelateinische Rezeption gelegt, so arbeiteten die ersten bersetzer tatkrftig ander ersten Sule41 des lateinischen Athanasius: Athanasius als Lehrer derAskese und Hagiographie.

    Es ist bezeichnend, da nach diesen Anfngen keine gleichsam organischeEntwicklung des Corpus, etwa ber die Vermehrung der bersetzungen, er-folgte. Stattdessen entstanden als nchstes die pseudathanasianischen EpistulaeAthanasii ad Luciferum42, die nie eine Vorlage in griechischer Sprache hatten.Ihnen wurde die bersetzung eines echten Athanasiusbriefs, der Epistula ad mo-nachos43, beigegeben.44 Da die Epistulae Athanasii auf Ereignisse aus den 359361anspielen und im libellus precum des Marcellinus und Faustinus erwhnt werden,

    38 Vgl. dazu die Arbeit von Ludovicus Theordorus Antonius Lori, Spiritual terminology in theLatin translations of the Vita Antonii. With reference to fourth and fth century monasticliterature (Latinitas Christianorum primaeva 11), Nijmegen 1955, v.a. 4347.

    39 Es handelt sich um den Codex Capituli S. Petri A2; vgl. Hoppenbrouwers, La plus ancienneversion, 1 mit Anm. 1 und 2.

    40 Hieronymus zitiert in ep. 57,6 Evagrius Prolog als Modell des guten bersetzens; er nenntdabei auch nicht ausdrcklich Evagrius, sondern spricht nur von der bersetzung der VitaAntonii.

    41 Mit Sule sei hier ein grundlegender Aspekt bezeichnet, der sich in mehreren Texten deslateinischen Athanasius ndet und auf dem, wie bei einem antiken Gebude, die westlicheGesamtvorstellung von Athanasius (wie sie sich in den Texten spiegelt) mageblich ruht.

    42 Vgl. CPG 2232/CPL 117; Edition: Gerardus F. Diercks (Hrsg.), Luciferi Calaritani opera quaesupersunt (CChr.SL 8), Turnholti 1978.

    43 Vgl. CPG 2108/CPL 117; Edition: G. de Jerphanion, La vrai teneur d un texte de saint Athanaseretablie par lepigraphie, RSR 20 (1930), 529544.

    44 Die Zweifel an der inhaltlichen Ursprnglichkeit der in lateinischer bersetzung erhaltenenTextfassung (sie ist lnger als die in den Handschriften berlieferte griechische Fassung) istaufgrund der inschriftlich erhaltenen griechischen Textfragmente, die Jerphanion publizierte(siehe vorige Anm.), m.E. unbegrndet. Zustzlich zu diesem berlieferungsbefund kannauch eine strategische berlegung die Annahme eines echten Athanasiustextes in einerluciferianischen Sammlung sttzen: Wenn der Text in seinem originalen Duktus in das Konzeptder Luciferianer passte (deutliche Warnung vor den Arianern), dann mag es gerade in ihremSinne gewesen sein, die geflschten Athanasiusbriefe durch die bersetzung eines echten zuankieren.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 19

    ist ihre Entstehungszeit relativ gut einzugrenzen: Sie mssen auf jeden Fall vor383/84 entstanden sein.45

    Allerdings verloren diese Texte schnell an Bedeutung: Sie wurden in einCorpus Luciferianum integriert und sollten oensichtlich die Interessen derLuciferianer durch die hinter den Briefen stehende Autoritt des Athanasiusuntersttzen. So erscheint in beiden Epistulae Athanasii ad Luciferum Lucifervon Calaris als hchst lobenswerter, von Athanasius bewunderter Mann. Mitdem Ende der Luciferianer gegen Ende des 4. Jahrhunderts ging natrlichauch der Verwendungszweck dieser Gruppenliteratur verloren. Das einseitigeInteresse dieser Briefe verhinderte somit ihre weitere Rezeption. Dies betrafbezeichnenderweise auch die echte Epistula ad monachos, nachdem sie einmal mitden luciferianischen Schriften zusammengespannt worden war.

    Dagegen ist eine (sekundre) Sammlung von zwlf Bchern De trinitate46 ebenfalls original lateinische (und teilweise mit den vorgenannten Briefen ber-lieferte) Texte stark rezipiert worden.47 Schlielich wurden die Texte demVorkmpfer der Orthodoxie gegen den Arianismus zugeschrieben, der auf-grund seiner unbeugsamen Haltung in Fragen der reinen Lehre verbannt undmanchen westlichen Christen bekannt geworden war.

    Historisch gesehen ist es eine hei umstrittene Frage, wer als Verfasser derersten sieben Bcher De trinitate anzusetzen ist. Diese sieben Bcher wurdennachtrglich um kommentierende Hinzufgungen und ein achtes (ebenfalls mitInterpolationen versehenes) Buch erweitert und spter mit den Texten, die in den

    45 Dies ist das Abfassungsdatum des libellus precum; vgl. Louis Saltet, Fraudes littraires desschismatiques lucifriens aux XVe et Ve sicles, Bulletin de littraires ecclsiastique 1906, 300326, hier 314. Die entscheidende Textstelle lautet (Saltet, Fraudes littraires, 315): Quos quidemlibros, cum per omnia ex integro ageret, suspexit et Athanasius ut veri vindicis atque in graecumstilum transtulit, ne tantum boni Graeca lingua non haberet. Parum est: quin etiam proriis litterisidem Athanasius eosdem libros praedicat ut prophetarum et evangeliorum atque apostolorumdoctrinis e pia confessione contextos. Et quamvis plurimis in eum laudibus erigatur, tamen nonaequat ad meriti eius supereminentia quaevis laudans lingua superatur. Fr die Rezeption deslateinischen Athanasius im allgemeinen ist interessant, da hier ganz selbstverstndlich davonausgegangen wird, da Athanasius die lateinische Sprache beherrschte und nach Belieben ausihr ins Griechische bersetzen konnte.

    46 Vgl. CPL 105; Edition: Vinzenz Bulhart (Hrsg.), Eusebii Vercellensis episcopi quae supersunt(CChr.SL 9), Turnholti 1957, VXXXVI.199.113118.127205; daneben fr die Bcher XXII:Manlius Simonetti (Hrsg.), Pseudoathanasii de trinitate ll. XXII. Expositio dei catholicae,Professio arriana et confessio catholica, De Trinitate et de Spiritu Sancto, Bononiae 1956.

    47 So fr die Bcher XXII Simonetti (Hrsg.), Pseudoathanasii de trinitate, 8. Fr eine regeRezeption insgesamt spricht die relativ breite und komplizierte handschriftliche berlieferung.Zu den m.E. noch nicht gnzlich geklrten berlieferungsproblemen vgl. die Praefatio derAusgabe von Bulhart: Bulhart (Hrsg.), Eusebii Vercellensis episcopi quae supersunt, v.a. VVII.Einen quasi zeitgenssischen Beleg fr Erweiterungen der Texte im Laufe der berlieferung,die ja auch ein Indiz fr Rezeption sind, liefert eine Schreibernotiz aus dem 9. Jahrhundert amEnde von Buch VIII: Explicit liber VIII. dei patris et lii et spiritus sancti Athanasii episcopi:hos libellos octo transscripsi, qui multa addita et inmutata continent. (Hervorhebung von mir)Vgl. zu dieser Notiz Gerhard Ficker, Studien zu Vigilius von Thapsus, Leipzig 1897, 63 f.

  • 20 Christian Mller

    neueren Editionen als Bcher IX, X, XI und XII gezhlt werden, zu verschiedenenCorpora vereinigt. 48

    Zwei vehement vertretene Thesen sind die Verortung in den Kreis derLuciferianer49 und die Zuschreibung an Eusebius von Vercelli50, die durchWilliams eine Renaissance erlebt hat, der die Brchigkeit der Luciferianertheseaufzeigen konnte.51 Williams hat seinerseits Widerspruch erfahren, dem ich michhier anschlieen mchte. Neben anderen Bedenken kann Williams These vorallem nicht erklren, warum das Werk eines so unbestritten verdienten Manneswie Eusebius von Vercelli unter dem Namen des Athanasius berliefert wordensein soll.52

    Angesichts der bestehenden Aporie beim Verfasserproblem mchte ich fra-gen, ob dieses nicht methodisch bedingt ist. Stellt man sich auf den Standpunktder zeitgenssischen Leser, so war es eben Athanasius, der die Texte geschriebenhatte, weder Eusebius noch ein Luciferianer. Will man die Texte angemessenverstehen, so sollte man die Verfasserfrage zunchst beiseite lassen. Will mandann dennoch berlegungen zum historischen Verfasser anstellen, sollte manvon vornherein die Honung auf bekannte Namen fallen lassen.53 Bei einem

    48 Soweit ich bisher sehe, bieten die lteren Handschriften nie alle zwlf Bcher. Eine wichtigeFrage fr die weitere Untersuchung dieser Texte ist, ob sich charakteristische Teilsammlungenerkennen lassen, die dann entweder Rckschlsse auf den Entstehungskontext oder auf einenbestimmten Rezeptionskontext ermglichen. Fr dem Augenblick kann nur an die Beobachtungvon Ficker, Studien zu Vigilius von Thapsus, 73, erinnert werden, da im Fall von Teilsammlun-gen in den alten Handschriften oenbar immer die Version De trinitate IVII (kurze Version) mitden Bchern XI und X (sic) und die Version De trinitate IVIII (lange Version) mit den BchernIX und XII zusammengestellt wurde.

    49 So Lorenzo Dattrino, Il de trinitate pseudoatanasiano (Aug.S 12), Roma 1976, 119 f.50 So neben Bulhart (Hrsg.), Eusebii Vercellensis episcopi quae supersunt, auch Daniel H. Williams,

    Ambrose of Milan and the end of the Nicene-Arian conicts (OECS), Oxford 1995, 239-242.51 Vgl. Williams, Ambrose of Milan, 240242.52 M.E. bestnde der einzige direkte Erklrungsversuch darin, da hier ein hnlicher Fall wie bei

    einigen Predigten des Caesarius von Arles vorliegt. Dieser hatte Texte aus seiner Feder unterdem Namen des Augustinus verentlicht, um ihnen (noch) hhere Geltung zu verschaen; vgl.Kelly, Athanasian Creed, 120. Da sich Caesarius theologisch bewusst in die Tradition Augustinsstellte, war dies auch inhaltlich einleuchtend.Nun knnte man mutmaen, da Eusebius selbst oder sptere Tradenten hnlich verfahren

    sind. Doch erstens spielt diese berlegung in der Argumentation von Williams keine Rolleund zweitens wre sie eben nur eine Mutmaung, die erst dann plausibel ist, wenn man eineeusebianische Autorschaft durch andere Argumente gesichert hat.Zudem wre ein solches Verfahren auch bei einem anderen Autor mglich, der sich theolo-

    gisch in die antiarianische Tradition des Athanasius stellen wollte.Alternativ bleibt nur die Annahme einer Laune der berlieferung. Deren gibt es zwar viele;

    aber dann bleibt es bei dem obigen Satz, da der Name des Athanasius in der berlieferungnicht konkret erklrt, sondern nur zur Kenntnis genommen werden kann. An diesem Punktist dann m.E. zu fragen, ob die Annahme eines sonst unbekannten Autors nicht eine einfa-chere Erklrung des berlieferungsbefundes ermglicht (siehe die weiteren berlegungen imObertext).

    53 Im Rahmen der Oxforder Conference on Patristic Studies (6.11.8.2007) konnte ich HerrnWilliams meine Bedenken im Gesprch mitteilen. Er konzedierte, da auch eine andere Person,die ber Kenntnisse zur stlichen Theologie verfgte, gut in Frage kme, so etwa Niceta von

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 21

    talentierten aber unbekannten Autor erklrt sich das Phnomen Pseudepigraphieallgemein. Fr die spezielle Wahl des Athanasius ist auf den oben genanntenEindruck zu verweisen, den der historische Athanasius im Westen machte. Undan dieser Stelle kann m.E. Eusebius von Vercelli eine Rolle gespielt haben. Infolgeseiner Verbannung hatte er den Osten des Reiches und die dortige kirchenpo-litische und theologische Situation kennen gelernt. Er hatte mit Athanasius inAlexandria konferiert, er brachte bei seiner Rckkehr Evagrius mit nach Italienund bekmpfte mit Hilarius von Poitiers den Arianismus im Westen.54

    M.E. ist die Rolle des Eusebius fr mein Thema eher die eines Ideengebers vielleicht fr die zweite bersetzung der Vita Antonii, vielleicht auch fr Detrinitate IVII.55 Er mag auf diese Weise an der zweiten Sule des lateinischenAthanasius mitgearbeitet haben: Athanasius als Lehrer der Orthodoxie.

    Beide Sulen wuchsen in den kommenden Jahrhunderten weiter. Denn sieboten in einem fr die Sptantike charakteristischen, produktiven Rezeptions-vorgang den Ansatz fr eine immer neue bersetzung griechischer oder dieAbfassung original lateinischer Texte unter dem Namen des Athanasius, sobaldeine neue Situation neuer Texte bedurfte. Angesichts des momentanen Untersu-chungsstandes muss ich mich auf ein paar wenige Angaben beschrnken.

    Noch weitgehend unklar ist die Einschtzung einer Enarratio s. Athanasiide symbolo.56 Die wenigen bisherigen berlegungen in der Forschung habenweder einen Konsens zur Datierung noch zur Verortung des Textes gebracht.57

    Remesiana. Damit ist aber klar, da sich fr die Texte kein autorenspezisches Prol erhebenlsst, da sich dieses ja dann nicht einfach auf einen anderen Verfasser bertragen liee. Durchdiese Reduktion ist aber schon der Weg zu einer Textuntersuchung ohne bekannten Autorgeebnet. Denn wenn der Befund so unspezisch ist, geht der Untersuchung nichts verloren,wenn sie ohne einen Autorennamen arbeitet. Namen wie die des Eusebius stecken dann nurmehr das Milieu ab, in dem solche Texte entstehen konnten.

    54 Die Rolle des Eusebius analysiert Williams, Ambrose of Milan, 4968; dort nden sich auchHinweise auf weitere Literatur zum Thema und eine Diskussion mancher strittiger Details inder Biographie des Bischofs von Vercelli.

    55 Vgl. Anm. 53: In diesem Sinne ist eine weitere Beschftigung mit Eusebius und anderenbekannten westlichen Kirchenmnnern und Theologen natrlich sinnvoll, da Informationenber sie auch die Kontexte der anonym arbeitenden Verfasser von Texten wie De trinitate spiegelnknnen. Dies erfordert jedoch methodisch eine andere Arbeitsweise als sie bisher bei den (m.E.zum Scheitern verurteilten) Zuschreibungsdiskussionen der Fall war.

    56 Vgl. CPL 1744a; eine kritische Edition liegt nun gut erreichbar bei Liuwe H. Westra, TheApostles Creed. Origin, History, and some Early Commentaries (Instrumenta Patristica etMediaevalia 43), Turnhout 2002, 459465 vor, die die alte, schwer zugngliche von Bianchiniersetzen drfte.

    57 Immerhin ist die teilweise hundert Jahre alte Literatur durch die umfangreiche Monographievon Westra, Apostles Creed auf einen neuen Stand gebracht worden. Allerdings konzentriertsich auch Westra, dem Schwerpunkt seiner Arbeit entsprechend, hauptschlich auf das imText enthaltene Bekenntnis (auch zur Verortung und Datierung), whrend der Text als enarratioweniger Bercksichtigung ndet. Insbesondere als Teil der Textgruppe Athanasius latinusharrt der Text noch seiner Erforschung, auch was sein zeitweise angenommenes Verhltis zu denBchern De trinitate betrit (vgl. Westra, Apostles Creed, 355357). Aufgrund eines Vergleichsmit anderen Symboltexten verortet Westra die Entstehung des Textes in Norditalien (gegenKattenbusch, der an Gallien dachte). Bei der Datierung zieht sich Westra auf folgende Linie

  • 22 Christian Mller

    Im Moment ist nur klar, da es sich um eine original lateinische Kommentierungdes Apostolicum58 handelt, in die trinittstheologische Reexionen einbezogensind.59 Ansonsten sind hier noch besonders viele Fragen oen. Der Name desAthanasius als Autoritt in Glaubens- und Bekenntnisfragen scheint auf jedenFall passend gewhlt worden zu sein.

    In dieser Hinsicht waren auch authentische Athanasiusschriften von Interes-se. So wurden vielleicht schon vor 40060 die Epistula ad Afros61 und die Epistulaad Epictetum62 ins Lateinische bersetzt. Beide bersetzungen sind nicht beson-ders elegant, aber zielsprachenorientiert abgefasst. Um das Jahr 450 entstandeine weitere bersetzung der Epistula ad Epictetum63, die aufgrund ihrer starkenWrtlichkeit wohl fr den mglichst unmittelbaren Nachvollzug des theolo-gischen Gedankengangs bestimmt war.64 Zumindest fllt bei einem Vergleich

    zurck: It seems impossible to say much about the date. The form of the Creed ts a forth-century North Italian origin, but a fth or even sixth-century date cannot be excluded either.If Kattenbuschs observation of certain dogmatic traits is correct, a fth-century origin seemsto be the most likely (Westra, Apostles Creed, 361 m. Anm. 298). Angesichts dieser relativgroen Ergebnisoenheit setze ich den Text fr den Moment an seine frhestmgliche Stelle. Eingenauerer Datierungsvorschlag ist oenbar erst sinnvoll, wenn der Auslegungsteil der Enarratiogenauer untersucht ist (die berlegungen von Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol.Seine Entstehung, sein geschichtlicher Sinn, seine ursprngliche Stellung im Kultus und in derTheologie der Kirche. Ein Beitrag zur Symbolik und Dogmengeschichte. II. Verbreitung undBedeutung des Taufsymbols, Leipzig 1900 (ND 1962), 451452 m. Anm. 34 sind m.E. anregend,aber einerseits sehr vorsichtig und andererseits doch zu thetisch formuliert, um sie schon alsBasis voraussetzen zu knnen.

    58 Genau genommen ist die Gestalt des Textes, der kommentiert werden soll, nicht vllig klar,da die Enarratio sicher in der Mitte, vielleicht auch am Ende des Textes verstmmelt ist. Hierbin ich noch zu keinem Ergebnis gekommen und kann im Moment nur auf die berlegungenvon Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol. Seine Entstehung, sein geschichtlicherSinn, seine ursprngliche Stellung im Kultus und in der Theologie der Kirche. Ein Beitrag zurSymbolik und Dogmengeschichte. I. Die Grundgestalt des Taufsymbols, Leipzig 1894 (ND 1962),148149 und 202, Anm. 1, und Westra, Apostles Creed, 351354 verweisen.

    59 Fr die sprliche Forschung und eine Kurzbeschreibung vgl. die Angaben bei Herzog/Divjak(Hrsg.), HLL V, 497; zur bisherigen Unklarheit in der Datierungsfrage sei nur noch ergnzenddarauf hingewiesen, da der genannte Band der Herzog/Schmidtschen Literaturgeschichte dieZeit bis 374 behandelt, whrend der Text in PLS 1, 1959, 786790 den auctores saeculi quintiineuntis zugerechnet wird. Zur aktuellen Symboldiskussion vgl. den Beitrag von Uta Heil zumBekenntnis des Markell in diesem Band ab S. 85.

    60 Dies wurde von Altaner, Altlateinische bersetzungen, 46 f. erwogen, vgl. Anm. 2.61 Vgl. CPG 2133; bisher liegt keine kritische Edition vor; der Text selbst ist auch in der Patrologia

    Latina nicht enthalten; immerhin ist inzwischen die handschriftliche berlieferung dieserlateinischen bersetzung aufgearbeitet in: Brennecke/Heil/Stockhausen, Athanasius Werke II8, LXXLXXV.

    62 Vgl. CPG 2095; Edition: Eduard Schwartz (Hrsg.), Acta conciliorum oecumenicorum I 1,5,Berlin/Leipzig 1927, 320334.

    63 Vgl. CPG 2095; Edition: Schwartz (Hrsg.), Acta conciliorum oecumenicorum I 1,5, 320334(sic! Schwartz druckte beide bersetzungen untereinander, so da ein direkter Vergleich derbersetzungen mglich ist.)

    64 Dafr spricht auch der Kontext ihrer Verwendung: Leo der Groe schickte die bersetzung am25.11.452 an Julian von Kos, ne ad conrmandos piorum animos vel ad haereticos confutandosnesessaria aut deesset aut lateret instructio. Das Zitat ndet sich mit Datierung und weiterenAngaben bei Schwartz (Hrsg.), Acta conciliorum oecumenicorum I 1,5, XVI.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 23

    der beiden bersetzungen des Epiktetbriefes auf, da die zweite bersetzungdie Zielsprachenorientierung aufgibt und stattdessen den Wortlaut des griechi-schen Originals bis in die Wortstellung hinein nachzuahmen versucht. Dies kann(wenn es bewusst geschah) nur in der Absicht geschehen sein, einem Leser, derdes Griechischen nicht mchtig war, dennoch einen mglichst authentischenEindruck vom Original zu vermitteln. Da dies aber den formal-sthetischenGewohnheiten des lateinischen Publikums zuwider gelaufen sein muss, legt essich nahe, einen inhaltlichen Grund anzusetzen: Wenn der Athanasiusbrief alsautoritativer Text gelesen wurde, kam dem exakten Wortlaut bzw. dem genauentheologischen Gedankengang eine hohe Bedeutung zu. Daher ist der Text m.E.in die theologischen Debatten des 5. Jahrhunderts einzuzeichnen, wobei dieDetails bisher unklar bleiben.65

    Es ist nun bezeichnend fr die berlieferungszusammenhnge des latei-nischen Athanasius, da nicht etwa die beiden frheren Briefbersetzungenzusammen tradiert wurden, sondern da die bersetzung der Epistula ad Afrosmit der zweiten bersetzung der Epistula ad Epictetum und des weiteren mit denBchern De trinitate I-VII und X-XII zusammengestellt wurde.66 Der Kontextdieser Zusammenstellung ist noch unklar.67 Hier ist jedoch das Entstehen kleinerAthanasiussammlungen greifbar.

    Einen ursprnglichen berlieferungszusammenhang bilden die berset-zungen zweier Briefe des Athanasius an die Kirchen von Alexandria und derMareotis (Epistula ad clerum Alexandriae et paremboles; Epistula ad easdem apudMareotam ecclesias68) und die bersetzung der Historia Athanasii,69 auch bekanntals Historia acephala.70 Der berlieferungszustand dieser Texte, deren griechische

    65 Der einzige konkrete Hinweis ist das Schreiben Leos (siehe Anm. 64).66 Der bisher wichtigste Zeuge hierfr ist der Codex Berolinensis 78, vgl. Altaner, Altlateinische

    bersetzungen, 52, der allerdings zu der irrigen Annahme kam, die berlieferung der berset-zung der Epistula ad Epictetum im Codex Berolinensis 78 stelle eine Sonderberlieferung dar.Dagegen spricht die Praefatio von Schwartz (Hrsg.), Acta conciliorum oecumenicorum I 1,5,XIIII.

    67 In jedem Fall aber ist darauf hinzuweisen, da Altaner die beiden Briefbersetzungen imCodex Berolinensis 78 weder hinsichtlich der Datierung noch hinsichtlich der Eigenart der Textedierenzierte, sondern fr beide die Datierung vor 400 erwog.

    68 Vgl. CPG 2111 und 2112; der griechische Originaltext ist nicht erhalten; Edition: Hanns ChristofBrennecke/Uta Heil/Annette von Stockhausen/Angelika Wintjes, Athanasius Werke. BandIII/Teil 1: Dokumente zur Geschichte des arianischen Streites. Lfg 3: Bis zur Ekthesis Makrosti-chos, Berlin/New York 2007, Dok. 43.8 und 43.10.

    69 Vgl. CPG 2119; Edition: Annick Martin (Hrsg.), Histoire Acphale et index syriaque deslettres festales dAthanase dAlexandrie (SC 317), Paris 1985; zum Vergleich ist hilfreich diealte Edition in der Arbeit von Heinz Fromen, Athanasii historia acephala, Diss., Univ. Mnster,1914, 86 S. Hier 6985.

    70 Diese Sammlung ist nur im Codex Veronensis LX erhalten. Zur Einschtzung dieser Sammlunggrundlegend sind m.E. die berlegungen von Schwartz. Vgl. Eduard Schwartz, Die Sammlungdes Theodosius Diaconus, NGWG.PH 1904, 333356, wiederabgedruckt in Eduard Schwartz,Gesammelte Schriften. Dritter Band: Zur Geschichte des Athanasius, Berlin 1959, 30-72; EduardSchwartz, ber die Sammlung des Codex Veronensis LX, ZNW 35 (1936), 123.

  • 24 Christian Mller

    Originale nicht erhalten sind, ist an manchen Stellen schwierig. Dies ist vor allemfr die Historia Athanasii von Belang, da hier mit spteren Erweiterungen desTextes gerechnet worden ist. Der Kern der Historia Athanasii knnte zu Lebzeitendes Athanasius selbst entstanden sein.71

    Die bersetzung der Texte, die von Alexandria nach Karthago geschicktwurden, ist nach Schwartz zur Zeit des Vandalensturmes erfolgt.72 Es ist m.E.jedoch noch oen, ob sie wirklich erst in Karthago oder bereits in Alexandriains Lateinische bersetzt wurden. Bemerkenswert ist, da neben der Epistulaad Afros nur im Falle der Historia Athanasii ein Athanasiustext73 mit apologe-tischem Charakter ins Lateinische bersetzt wurde. Doch dieser apologetischeCharakter wurde bald durch die Zusammenstellung mit anderen dogmatischenund kirchenrechtlichen Texten, wie sie im Codex Veronensis LX enthalten sind,74

    abgeschlien.75 So wurden diese bersetzungen genauso wie die vorher genann-ten Briefbersetzungen Teil der Sule II (Vorkmpfer der Orthodoxie).

    Vielleicht schon im Laufe des 5. Jahrhunderts wurde ein Text, der demPelagius zugeschrieben wird,76 unter dem Namen des Athanasius berliefert:die Exhortatio ad sponsam Christi (ursprnglich wohl De virginitate77). Dieser Brief,der asketische Themen behandelt, lie sich leicht mit einer bereits etabliertenVorstellung von Athanasius als Lehrer der Askese verbinden. Pseudepigraphiehatte hier zustzlich die Funktion, einen hretisch gewordenen Autor untereinem populren Etikett weiterzutradieren.

    Nach 500 entstand die schon mehrfach erwhnte bersetzungssammlungdes Codex Laurentianus San Marco 584, die bersetzungen griechischer Athana-siana und Pseudathanasiana enthlt.78 Wie schon erwhnt, ist diese Sammlung

    71 So die These von Schwartz, Die Sammlung des Theodosius Diaconus, 66.72 Vgl. Schwartz, Sammlung, 16 f. Annik Martin datiert die bersetzung der Historia Athanasii

    vor 430; vgl. ihre Edition Martin (Hrsg.), Histoire Acphale, 136.73 Die Historia Athanasii stellt insofern einen Grenzfall des Phnomens Athanasius latinus dar,

    als sie nicht die Urheberschaft des Athanasius beansprucht. Allerdings ist der ursprnglicheText m.E. zu Lebzeiten des Athanasius in Alexandria entstanden. Dies geschah sicher nichtohne das Wissen und dem Text zufolge durchaus im Sinne des Athanasius. In diesem Sinneund wegen der urspnglichen berlieferung mit den Athanasiusbriefen erscheint es sinnvoll,den Text zum lateinischen Athanasius zu rechnen.

    74 Zum disparaten Charakter der Sammlung des Codex Veronensis LX in ihrer erhaltenen Formvgl. die Ausfhrungen von Schwartz, Die Sammlung des Theodosius Diaconus, 3072.

    75 Eine hnliche Verwischung des apologetischen Charakters durch die Zusammenstellung mitanderen (strker dogmatischen) Texten kann wohl auch fr die oben erwhnte bersetzung derEpistula ad Afros und ihre berlieferungsgeschichte angenommen werden.

    76 So die These von Robert F. Evans, Four letters of Pelagius (Studies in Pelagius), London 1968,passim, v.a. 4151.

    77 Vgl. CPL 741; Edition: Karl Halm (Hrsg.), Sulpicii Severi libri qui supersunt (CSEL 1), Wien1866, 225250.

    78 In der Reihenfolge der Handschrift sind dies: contra Apollinarium II et I (CPG 2231); De incar-natione et contra Arianos (CPG 2806); Epistula ad Adelphium (CPG 2098); Epistula ad Maximum(CPG 2100); De incarnatione ad Iovianum (CPG 3665); Epistula ad episcopum Persarum (CPG 2294);Epistula Dionysii Alexandriae ad Paulum Samosatensem (CPG 1708; dieser Text ist genau genommen

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 25

    insofern bemerkenswert, als sie die ununterschiedene Rezeption echter und un-echter griechischer Texte unter dem Namen des Athanasius dokumentiert.79 Eskann vor diesem Hintergrund nicht verwundern, da auch original lateinischeTexte nicht kritisch hinterfragt wurden.

    Die Zusammenstellung der Athanasiustexte und der brigen Texte derHandschrift weisen der Sammlung einen Platz in den christologischen Strei-tigkeiten des 6. Jahrhunderts zu. Wo dieser Platz jedoch genau zu suchen ist,ist m.E. (noch) nicht sicher. Die von Gain vorgelegte Monographie zum CodexLaurentianus San Marco 584 verknpft die Entstehung der Sammlung mit derReise des Mailnder Bischofs Datius als Begleiter des rmischen Bischofs Vigiliusnach Konstantinopel im Jahr 537 und mit den dort erfolgten theologischen Dis-kussionen.80 Allerdings muss Gain fr seine These viele unsichere Annahmenkombinieren, so da eine genauere Verortung im 6. Jahrhundert vorerst oenbleiben muss. Klar ist aber, da sich inzwischen der Vterbeweis als argumenta-tives Mittel etabliert hatte und da Athanasius, der Vorkmpfer der Orthodoxie,dabei eine entscheidende Autoritt war.

    Vielleicht an der Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert entstand der originallateinische Text De ratione paschae.81 ber diesen kann hier im Moment kaumVerlssliches gesagt werden, auch weil die bisherige Forschung zu De rationepaschae m.E. nicht nur hilfreiche Anstze erbracht hat.82 So ist De ratione paschaemal Niceta von Remesiana, spter Martin von Braga zugeschrieben worden.83

    Letztlich wiederholt sich hier das bei den Bchern De trinitate angesprochene

    kein Pseudathanasianum, sondern stellt hier oenbar den Teil einer thematisch ausgerichtetenAthanasiussammlung dar); De Trinitate dialogi liber IV (CPG 2284). Diese bersetzungen (bisauf die Epistula ad Episcopum Persarum und die Epistula Dionysii Alexandriae ad Paulum Samo-satensem, da diese sich in PG 28,1559A1566A nden) sind publiziert in zwei Aufstzen vonIvano Costa, Opere di Atanasio in una traduzione latina inedita, Atti della Accademia PontianaNuova Serie 39 (1990), 459506 und Ivano Costa, Opere di Atanasio in una traduzione latinainedita, Atti della Accademia Pontiana Nuova Serie 42 (1993), 221265, wobei der Wortlaut derHandschrift zum Teil durch den Apparat des Herausgebers rckerschlossen werden mu.

    79 Ebenso verhlt es sich auch in der entsprechenden handschriftlichen berlieferung des griechi-schen Athanasius, wie sie sich im Codex Vaticanus graecus 1431 ndet.

    80 Vgl. Gain, Traductions latines, 380390. Die Untersuchung von Gain ist m.E. von bleibendemWert, da Zweifel an seiner Datierungsthese die vorangehenden sprachlichen Untersuchungen,etc. nicht betreen.

    81 Vgl. CPG 2297/CPL 2302 (Hauptreferenz); Edition: Andrew Ewbank Burn (Hrsg.), Niceta ofRemesiana. His Life and Works, Cambridge 1905, 92111.

    82 Wichtig fr die ltere Forschung und generell fr die Einschtzung der erhaltenen Textvariantensind die Arbeiten von Burn (Hrsg.), Niceta of Remesiana. His Life and Works, CXXVCXXXI.92111 davon teilweise abhngig ist die Arbeit von Calogero Riggi (Hrsg.), Niceta di Remesiana,Catechesi preparatorie al battesimo (Collana di testi patristici 53), Roma 1985 und BrunKrusch, Studien zur christlich-mittelalterlichen Chronologie. Der 84jhrige Ostercyclus undseine Quellen, Leipzig 1880, 329 f. Beide Arbeiten wurden m.E. en passant im Rahmen desAufsatzes von Alfred Cordoliani, Textes de comput espagnol du VIIe sicle. Encore le problemedes traits de comput de Martin de Braga, Revista de archivos, bibliothecas y museos 62 (1956),685697, hier 687 erledigt.

    83 Fr die wechselhafte Zuschreibungsgeschichte vgl. die Angaben in CPL 2302.

  • 26 Christian Mller

    methodische Problem. Das Besondere an diesem Text ist die berlieferungslage.Nach den Darstellungen von Burn und Krusch84 gibt es in den Handschrifteneine krzere (dort genannt De pascha) und eine lngere Fassung des Textes (dortgenannt De ratione paschae), wobei mal die eine, mal die andere die ursprnglichesein soll. Dagegen vertritt Cordoliani die m.E. zutreende Auffassung, daman besser von zwei Texten sprechen sollte, wobei ein Text aus dem anderenentstanden ist.85 Hier ist jedoch noch eine genaue Analyse der Texte vonnten.

    Ebenfalls schwer zu verorten ist die bersetzung der pseudathanasianischenDoctrina ad Antiochum ducem86, die bald nach der Entstehung des Originals inZypern Anfang des 7. Jahrhunderts verfasst worden sein knnte.87 In diesemFalle wre der Text, der monastische Fragen behandelt (Athanasius als Expertefr Askese, etc. = Sule I), sozusagen auf dem Weg nach Westen entstanden,auf dem Zypern eine gngige Durchgangsstation bildete.88 Allerdings sieht sichauch der Vertreter dieser These, Michele Bandini, gentigt, eine Reihe andererOrte fr die Entstehung der bersetzung in Erwgung zu ziehen.89 Ebensounscharf bleibt vorerst die Datierung.90 Hier zeigt sich erneut, da viele Textedes lateinischen Athanasius als autoritative Texte ein Stck weit unfassbarsind, insofern als sie an ganz verschiedenen Orten im Westen auf Interessestoen (und bersetzt werden) konnten.

    Ein besonders eindrucksvolles Beispiel fr den wirkmchtigen Rckgriauf die Vorstellung von Athanasius, dem Vorkmpfer der Orthodoxie, ist diesogenannte Fides Athanasii91, das sptere Symbolum Athanasianum. Der Text isttrinittstheologisch der augustinischen Theologie zuzuordnen. Augustin wie-derum hatte sich fr seine Trinittstheologie u.a. auch von De trinitate X und

    84 Vgl. die Diskussion bei Burn (Hrsg.), Niceta of Remesiana. His Life and Works, CXXVCXXIX.85 Vgl. Cordoliani, Textes de comput espagnol du VIIe sicle. Encore le probleme des traits de

    comput de Martin de Braga, 687.86 Der Text ist bisher nur zugnglich im Aufsatz von Michele Bandini, Un inedita traduzione

    latina della Doctrina ad Antiochum ducem pseudo-athanasiana, Studi classici e orientali 46 (1997),439484.

    87 So die These von Bandini, Un inedita traduzione, 441; dahinter steht ein weiterer Aufsatzvon Michele Bandini, La Doctrina ad Antiochum ducem pseudo-athanasiana. Tradizione diretta,struttura, datazione, Prom. 23 (1997), 171187, der das griechische Original bzw. (angesichtsvon zwei Fassungen) die griechischen Originale behandelt.

    88 In diesem Sinne Bandini, Un inedita traduzione, 441 unter Berufung auf Mango.89 Vgl. Bandini, Un inedita traduzione, 442.90 Bandini, Un inedita traduzione, 442 weist darauf hin, da in einer Handschrift aus Toulouse

    vor dem Text eine Schrift des Bischofs von Toulouse Ildefonsus (657667), De virginitate sanctaeMariae, berliefert ist. Allerdings wird dieser Hinweis nicht als Datierungskriterium genommen,sondern als Beleg fr die Mglichkeit, da die bersetzung eben doch nicht auf Zypernangefertigt wurde. berhaupt ist mein bisheriger Eindruck, da Bandinis Datierung ins 7.Jahrhundert insgesamt gut passen kann, eine genauere Einordnung aber auch hier schwierig ist.Insofern ist Bandinis Wortwahl credo bei der Datierungsthese (S. 441) durchaus sinnvoll.

    91 Vgl. CPL 167; im Fall der Fides Athanasii liegen sogar mehrere kritische Editionen vor. Diebeste ist die von Cuthbert Hamilton Turner, A Critical Text Of The Quicumque Vult, JThS 11(1910), 401411.

  • Das Phnomen des lateinischen Athanasius 27

    XI inspirieren lassen.92 Hier ist also die produktive Fortwirkung des lateini-schen Athanasius besonders deutlich. Umstritten ist nun wieder die Datierungund Verortung des Textes, nachdem Volker Henning Drecoll einen Vorschlaggemacht hat, der die relativ etablierten Ergebnisse von Kellys Untersuchungenteilweise erschttert.93 Danach wre die Fides Athanasii ein sptes Produkt einesfortgeschrittenen Augustinismus, das Autoren wie Caesarius von Arles nichtals Zeugen hat (so Kelly), sondern voraussetzt. Der Text wre nicht an derWende vom 5. zum 6. bzw. whrend Caesarius Wirkenszeit entstanden, sondernzwischen ca. 540 und 670,94 also u.U. erst im 7. Jahrhundert und zwar alsDestillat verschiedener Texte in augustinischer Tradition. Drecolls anregende Un-tersuchung hat den Blick auf den Text, der spter Karriere als eines der groenaltkirchlichen Bekenntnisse machen sollte, geschrft. So ist angesichts seinerHa