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Anthony Giddens Soziologie herausgegeben von Christian Fleck und Hans Georg Zilian übersetzt nach der dritten englischen Auflage 1997 von Hans Gcorg Zilian NAUSNER & NAUSMER Graz-Wien 1999 / I

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Anthony Giddens

Soziologie

herausgegeben von Christian Fleck und Hans Georg Zilian übersetzt nach der dritten englischen Auflage 1997

von Hans Gcorg Zilian

NAUSNER & NAUSMER

Graz-Wien 1999

/

I

Kapile/12 -,-->-~I===:..;;:,,;,====G;."~=•...='=;'=.=..•==,=======:;~

A1uJEIT • ÖKONOMIE

ARBEITSTEILUNG • ARBEITSLOSIGKEIT

B ei den meisten von uns OJmm[ die Arbeit einen größeren Teil unseres Lebens ein als irgendeine andere Aknvitiit. HiufJg aS>1ozueren wir die Idee der Arbeit

mit Mühe und Plage - mir Aufgaben, deren Umfang wir so genng wie möglich balten wollen und denen Wlr uns, soweit möglich, überhaupt entziehen mochten, Eben dieser Gedanke mag Ihnen gerade gekommen sein, als Sie begannen, dieses KapJteJ zu lesen! Ist dies die ElOsteliung der meisten J,eure gegenuher der Arhe1t, und wenn ja, warum? Wir werden uns auf den folgenden Selten datum bemuhen, cLie !\nwort auf tliese Frage herauszu6nden.

Die Arbeit be~teht nichr nur aus Mühsal, denn sonst würden sich dIe Leute nicht so verloren und desorientiert vorkommen, wenn sie arbeitslo.~ werden. Wie wurden Sie empfUlden, wenn Sie glaubten, Sie wUrden niemals eUlen Job bekom, men) In modernen Gesell.'ichaften Ist es wichtig, Arbeit zu haben, um das Selbst­werrgefuhl zu bewahren. Sogar dorr, wo die Arbeitsbedingungen \'ergleichswei~e unangenehm sind und die zu verrichtenden Aufgaben monoton, ptlegt Arbeit on strukturierendes Element der psychologischen Verfassung von Menschen und ihrer ailtäglichen Aktivitäten O':U sem. In djesem Zusammenhang sind mehrere Hauptmerkmale der bezahlten Arbeit von Bedeumng.

Geld Löhne oder Geh:ilter sind die Haupteinkunftsquelle der meisten Leute, 11m ihre Bedürfnisse 7U befrierugen. Fehlt em solches Etnkommen, entstehen vielfaltige Ängste bezüglich der Bewaltigung des alltäglichen Lebens. AktiVltätmitJeall. Die Arbeit liefert oft die Grundlage für den Erwerb und die Ausubung von Fähigkeiten und rertigkeiten. Mag es sich auch nur um Routine­arbeit handeln, bietet sie doch eine struktunerte Vmgebung, in der die Ener­gien der Person aufgehen kannen. Ohne Arbdt kann die Gelegenheit, solche Faiugkeiten und Fertigkeiten auszuüben, eingeschränkt sein. Alnl'l'rhllllrtf,. Die Arbeit verschafft Zugang zu Situationen, die .<;ich von der häuslichen Umgebung unterscheiden. Am Arbeltsplau können IndiVlduen, auch wenn die zu verrichtenden Aufgaben vergleichsweise langweilig sind, Hefnedigung daraus beziehen, daß sie etwas tun, was sich \'on ihren häusli­chen Au fgaben unterscheidet,

Ztilflniktllr. Bei Leuten, die in regelmäßIger Beschäftigung stehen, wird der Tag im allgemeinen im Einklang mit dem Rhythmus der ArbeIt organisiert. Dies mag zwar manchmal als bedrückend empfunden werden, doch verKhafft es ein Gefuhl der Orientierung im alltäglichen Leben. ArbeItslose empfmden die Langeweile meist als g:ravierende.'i Problem und entwickeln ein Gefuhl der Apathie gegenüber der Zeil. \X.;I1~ ein Arheltsloser bemerkte, "tlie Zeit ist jetzt nicht mehr so Wichtig Wle früher ... es gibt.'io viel davon" (Fryer und McKenna 1987).

SOi/alkOfltakte. Der Arbeltsplarz ~chafft häu6gdie Grundlage fur rreundschaften und stellt Gelegenheiten zur Verfügung, Dinge gemeinsam mit anderen zu tun. Ist man aus der Arbeitswelt herausgelöst, dann besteht dte Wamschein-

Arbeit un

lichkeit, daß der Kreis moglieher Freunde und Bekanntschaften SICh verklei­nert. Perlonliebe IdenhtiJI. Arbeit verlernt im allgememen ein Gefühl der stabilen so­zjalen Identltil.t. Besonders bei t,fännern ist die Selbstachtung oft eng ver­knüpft mit dem wirtsehaftlichen Beiuag, den sie zur Erhalrung ihrer Familie leisten.

Vor dem Hintergrund dieser eindrucksvollen Liste ISt es nicht $chwierig einzuse­hen, warum A.rbeitslosigkelt das Vertrauen von Personen in Ihren eigenen gesell­schaftlicheo Wen untergraben kann.

Bezahlte und unbezahlte Arbeit

Wir denken häufig, daß Arben, WJe z.B. der Ausdruck "ohne Beschafti~lJOg"

nahelegc, äquivalent nut bez:-lhlter Besch:iftigung ist, cloeh handelt es sieh hierbei um eine Vereinfachung. Unbezahlte Arheit (wie z.B. das Reparieren des eigenen Autos oder die Hausarheit) spielt im Leben vieler Leute eine bedeursame Rolle. Viele Arten von Arbeit pa~sen nicht in die herkömmlichen Kategorien der be­zahlten Beschäftigung, Ein Großteil der Arbeit, die in der informellen Ökono­mie verrichtet wird, fmdet in der offIziellen Heschäftigungsstatistik keinen direk­ten Niederschlag. Der Ausdruck i4onm/le OkOnIJmJf bezieht sich auf lransaktio­nen außerhalb des regulären Beschaftlgungssystems, wobei manchmal Dienstlei­stungen gegen Geld, oft aber auch Güter und Dienscleistungen duek! getauscht \\'erden.

So kann es elVia vorkommen, wenn jemand vorbeikommt, um &s Fernsehge­r;1.[ zu reparieren, daß cr bar bezahlt wird, ohne daß er eine RedulUng ausstelle (}der daß irgendwelche sonstigen Derails über die Arbeitsleistung aufgezeichnet werden. u::ure tauschen "billige" - also veruntreute oder ge~tohlene- \x"aren mit Freunden oder Bekannten, die .'iich ihnen in anderer Weise erkenntlich zeigen. Die informelle Ökonorrue beinhaltet nicht nur "verborgene" Geld!.nlnsaktionen, sondern auch vide Formen der SelbJhJeriorgunginnerhalb oder außerhalb des Heims. So liefern e[\l,'a die Aktivitäten der HeImwerker und die Tkdienung \"(In Haushalts­maschinen und -geräten Güter und Dienstleistungen, die ansonsten uber den l.\.Iarkt beschaffr werden müßten (Gershuny und .Miles 1983).

HausarbeIt, die uaditionellerweise zumeisr von Frauen verriehter v.urdc, i~(

im allgemeinen unbezahlt. Doch stellt sIe dennoch Arbeit dar, und sehr häufig harre und anstrengende Arbeje, Frdwilligenarbeit für wohltätige und andere Organisationen spielt eme Wlehtige ge5ellschaftliehe Rolle. Einen bezahlten Joh zu haben, isr aus all den angefiüuten Gründen wichtig: - doch die Kategorie der "Arbeit" ist um eIniges wener.

ARBEIT-bezahlte oder unbe:lahlte - kann als die Verrichrung von Aufgaben < definiert werden, bei der geistige und körperliche Energie aufgewendet wird; die­se Aufgaben haben zum Ziel, Güter und Dienstleistungen hervorzuhringen, die SICh an menschliche Bedürfnisse wenden. EIne Beschäftigung oder ein Job ist i\rbeit, die im Austausch g:egen einen regelmäßigen Lohn oder em regelmäßiges Gehalt verrich,ct wird. Arbeit ist in allen Kulturen die Grundlage der ÖKONO- < MIF:. Das Wircschaftssystem besreht aus jenen Institutionen, die llie Erzeugung und Verteilung von Gütern und DlenstleJstungen sieherstellen.

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In dtesem K.1pItcl werden wir die Natur der Arbeit m modernen ]ndustrie­gesellschaften analysieren und die wichtigeren Um\l.ilzun~en erorrern, die der­zeit rue 'J:;'irtsch'lftsverfassung heemAussen. Die Arbeit iSt sters 10 das weitere WIrtschaftssystem eingebenet. In modernen Gesellschaften bängt dieses System von der illdllstrie/len ProdllktirJl1 ab. Wie in anderen Tellen dieses Buchcs betonr wurde, unterscheidet sich die moderne Industrie in fundamentaler W"eise von prämodernen Produktionssystemen, die vor allem auf der Landwirtschaft basier­ren. Die meisten Menschen arbeiteten auf den Feldern oder kümmerten sich um das VIeh. ]n modernen GeseUscbaften arbeitet im Gegensau: dazu nur ein winzi­ger Anteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft, und auch die Landwirtschaft '\lo1.ude indusuia1J.siert und I.\':ird vor allem unter Einsatz von Maschinen ansreUe von menschlicher Körperkraft betrieben.

Auch die moderne Industrie wandelt sich - der [cehnologische Wandel ist elOes ihrer Hauptmerkmale. Der Ausdruck Technologie bezieht sich auf die Anwt:m-lung von Wissenschaft auf Maschinen, um eme hohere Produktivität zu erzielen. Das W'esen der industriellen Produktion wanoelr sich ebenfalls relativ zu aUgemeltlereo wIrrschafilichen und ge.~eUschaftlichenEinflußfaktoren. In ruesem Kapitel befassen wir uns sowohl mit dem rechnologischen als auch mit dem öko­nomischen XX,tandeJ und zeigen, wie diese Wandlungsprozesse heute die Industrie verändern.

Zu Anfang setzen wir uns vor allem mit bezahlter Arbell auseinander - ltUt

Arbeit Ln indusuicllen Kontexten. Wir betrachten Veränderungen der Produkti<Jos­prozesse in der Industrie und deren Auswirkungen auf die Arbdtsplarzsituatlon. DIe IOdusmdle Prnduktion lst keinesfalls immer ewe harmonische Angdegen­heH. In späteren Auschnitten bctraehten wir die Ursprünge des indusmeUen Kon­fliktes, wobei wir uns \'or allem mit der Auswirkung von Saeiks befassen werden. Danach analysieren Wlr die Rolle \'on Frauen in der Industrie. Heure smd vid mehr Frauen 10 bezahlter Beschäftigung. als dIes fruher der Fall war, und wir werden Jie Ursachen und dle Konsequenzen dieser Enrwicklung nachzeichnet! Im tU:'ichließenden Teil des Kapitels betrachtCß wir die Arbeitslosigkeit und std­[en die l'rage nach der Zukunft der I\rbeir.

\Vir beginnen rrut der Analyse der wechselnden Muster der modernen mdu­seriellen Produkrion.

Die Arbeitsteilung und die wirtschaftliche Abhängigkeit

Eines der charakteri.stischsten Merkmale des Winschafcs,<;ystems moderner

1.0

Ge­====:> seIlschaften ist die Herausbildung elOer sehr komplexen und \;elfalngen ARBErr5­

Th7LUNG: Arbeit wird 1fl eine gewaltige Zahl verschiedener Berufe zerlegt, auf die SIch Leure spezialisieren. In den trawtionellen Gesellschafren beruhte die nieht- ,-, landwirtschaftliche Aruell auf der Beherrschung eines Handwerks, und die dazu erforderlichen Fertigkeiten wurden in einer lan~'iengen Lehrzeit e!\Vorben. DeI Arbeiter war Im allgemeinen vom Anfang bis zum Ende für alle Aspekte des Produknonsprozesses zuständig. Der Schmied, der einen Pflug herstcllte, pflegte so das Eisen zu schmieden, zu formen und das Gerät zusammenzubauen. Mit dem Aufstieg der modcrnen industneUrn Produktion sind die meisten Formen dcs (taditionellen Hand'l.l.>erks zur Ganze \Oerschwunden, und durch die Geschick· lichkei[en erserzt worden, die Teil von ProduktIonsprozessen in größerem Maß.. stab darstellen. Ein ElekUlker, der heute in einem Industriebetrieb arbeitet,

Arbeit und Wirtschaftsleben

z.B. nur einige Teilc elOer bestimmten Maschine überprufen und warten, wäh­rend SIeh andere Leute um die anderen Aufgabrn und um andere Maschinen kümmern.

Der Kontrast zwischen der Arhei(stedung In traditionellen und in modernen Gesellschaften ist wahrlich außergeu,öhnlich. Sogar in den größten traditionellen Gesellschaften existierten l.1Tl allgemelOen nicht mehr als zW'lnzig oder dreißig wichtige Formen des Handwerb, zusammen mir etnigen wenigen anderen spe­zialisierten Aktivitäten, wie jenen oes Händlers, des Soldaten oder des Pnesters. In einem modernen industrieUen System gibt es buchscihltch Tausende unter­schiedliche Berufe. Die britische Volbzählung erfaßt um die 20.0r)r) unterschied­liche Berufe als Teil der britischen Winschaft. In trarutionellen Gemeinschaften \\':ar ein GroßteJ.1 der Be\'olkerung (der sich der Land\Virrschafr widmete) wtrt­schaftljch autark; :t\'ahrungsmiael, Kleidung und andere l.ehensnotwendigkeiten \l.'tmlen für den Eigenbedarf erzeugt. Irn Gegensatz dazu ist es em Hauptrncrk­mal moderner Gesellschaften, daß die wirtschaftliche Verflechmng in enor­mem Ausmaß zugenommen hat. Jeder \'on uns hangt von einer Unzahl anderer ArbClrer ab - ein ~etz, das sich heute über die g:lllze Welt erstreckt -, will er über jene Produkte und Dienstleistungen vrrfugen, die zur Erhaltung unseres Lebens notwendig smd. Die große Mehrheit der uute in modernen Gesellschaften ist, bis auf wenige Ausnahmen, nicht damit hefaßr, die Nahrung zu erzeugen, die sie verzehren, die Wbhnungen zu erbauen, m denen sie leben, oder die materiellen Güter herzusteUen, die sie konsurrueren.

Taylorismus und Fordismus

Vorungefahr zwei Jahrhunderten idcntifizierte Adam Srruth, einer der Gründungs­väter der modernen \X·irtschaftsv....issenschaften, verschlcdene Vorteile. die die Arbeitsteilung bei der Erhöhung der ProduktiVItät bietet. Sein berühmtestes Werk, Drr Ir(ll;IsIand der I\IaliOlJm (An Inqsllry info the I'ia/wt and Casms q/ tbe U:.'tülth of iVarlom), beg1nm mir ciner Beschrelb~ng der Arbeitsteilung In einer Nadelfabnk. Ein einzelner Arbelter konnte vielleicht zwanzig Nadeln am Tag herstellen. Durch d.ie Zerlegung des Arbeitsablaufs in eIße Anzahl einfacher Arbeitsgänge waren jedoch zehn Arbeiter, we m Abstimmung aufeinander spezialisierte Arbeitsgänge rrledlgten, in der Lage, 48.000 Nadeln täglich zu produzieren. Der Arbeltsam­Stoß des einzelnen Arbeiters stieg in andeten \XIOrten von 20 auf 4.800 Nadeln, wobei jeder spezialiSIerte Mitarbeiter 240mal so ...ie! produzierte, wie es einem einzelnen Arbeiter od{"I einer einzelnen Arbeiterin möglich gewesen wäre.

Mehr als ein Jahrhundert später erreichten diese Ideen 10 der Arbeit \'on Frederick Winslow Taylor, einem amerikanischen Unternehmensberater, ihre Hochblute. Tarlors Ansatz der, wie er es nannte, wissenJ(haft/rd;m Brtriebifiihnmg, beruhte auf der detaillierten Untersuchung industrieller Ablaufe, um sie in einfa­che Arbeitsgänge zu zerlegen, die zeitlich genau erfaßt und organisiert werden können. Der Taylorismu~. wIe die Wlssensehaftllche Betriebsführung später ge­nannt wurde, war kein bloßes akademlsches Betitigungsfeld. Es war cm Produktionssystem, das den industriellen Output maxirrueren sollte, und hatte in \-ielen Ländern weitverbreitete Ausv..;rkungen auf die Organisation der indusrn­dlcn Produktion und Technologte.

Taylor befaßre sich mir den Resultaten der imlustnellen Effizienz, doch ver­wendete er wenig Aufmerksamkeit darauf, wie Produkte verkauft werden sollten. D1l: Massenproduktion braucht jedoch :\-lassenmarkte, und der Industrielle Hen­

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f)" Ford war einer der ersten, der dies erkanme und sich wßutze machte. Das von Ihm entwickelee Sysrcm der Massenprodukriaß, das mü der Bearbeitung vnn Massenmarkren verknüpft Wlrd, v.;rd Fordismus genannt - eme \\'elterenrwick· lun~ der Taylorschen Prinzipien der wissenschafclichen Beuiebsfilhrung. Fard errichtete seine eme Fabrik in HigHand Park, :M.ich.igan, im Jahr 1908. Dort w\uJe <:;:in c:iuziges Produkt hergesrcUt - der Ford ModeU T -, was e" ermöglich­te, spezialisierte Werkzeuge und Maschinen heranzuziehen, die so konstruiert waren, dafJ Sle schnelle, präzise und einfache Arbeitsginge zulidkn. Eine von Fords bedeutsamSten Innovat..ioncll ~teUoc die Konstruktion eines Fl1eßbandes Jar - von dem es heißt, seme Vorbuder wären die Schlachthoie von Chicago gewesen, wo Tierkörper auf einem Förderband Stuck für Srück "zerlegt" \VU[­

den. Jeder Arbe:lte:r an Ford~ Fheßband hane elnc spezifische Aufgabt:, wi<: etwa rue Mont2.b"'e der linken Türklinke, während skh die Auros am fließband entlang: bewegTen, Bis zum Jahr 1929, als man die Produktion des Modells T einsrellre., WJrden fünfzehn lVlillionen Autm hergesrdlt

Oie Grenzen von Fordlsmus und Taylorismus

Es l2;ab eine Zeit, da der Fordlsmus die wahrscheinliche Zukunft Welrer BereIChr;: der industr;dJen Produkuon darzustellen schien. Die~ ist mchr eingetreren, Das System kann nur m Jenen Industrien angewendet werden, die standardiSIerte Pro­dukt.:: für wone Märkte herstellen; die Errichtung mechanisierter Fließbänder :ist au3ergewühnIich kosrspieLig. Ist ein fordistisches System jedoch einmal einge­richtct, dann Ist es zlcmlich starr - um ;,;,B. ein Produkt zu \'era:ldern, sind im aJlgemeinen bedeutende Neuill.e~I1tionen erforderlich. Darubcrhinaus isr die fonllscische Produktion relativ leicht nachzuahmen, wenn genügend Geld vor­handen ist, um die Fibnk zu errichten. Firmen in Ländern, wo Arbeitskraft teuer isr. haben es dann ziemlich sch\\o·er, mir jenen zu konkurrie[t:II, wu Jle Löhne medn!?;er sind_ Dieser bktor spielte beIm AufsuCK der iapatli~chen Auruindl.lstrie e.ine Rolle (obwuhl die japanischen Lohue heu:e keinesfalls meht n.iedrig sind) unq in deriun~eren VerKanj!;enheit bei ienem Siiclkorf'~s.

Low·trust-Systeme und high-trust·Systeme

Der Fordismus und Jer Taylorismus \l,rurden von eimgen IndustrlcsozlOlogen als low-trust·Sysleme bezeichnet, Die Aufgaben werden vom Management gestellt und mir den Erfordermssen von Maschinen verknüpfL Jene, die sie ausführen, werden ~tn:ng uben.\o'achr und haben wenJK Handlun~autonomle. Wo es viele ]ow-trust-Posirionen 0bt, dorr ist das NIVeau der Unzufriedenheit der Arbeits­kräfte und der Abwe~enheit vom Arbeirsplatz hoch, und industrieUe Koniltkre siml häufiK High-uu8l-Syslc:mc smJ iene, wo es weitgehend lndi\'iduen tiber­Jassen bleibt, daS Tempo und sogar den Inhalt Ihrer Arbeit zu bestlrnmen, inner­halb be~nmmttr allgemelncr Richtlinien. In Industrien, die vom Furdismus oder Taylorismus beeinflußt Sinn, sind derartige Positionen auf die Ebcul.: dt:s Mana­f-,'Cments beschränkt.

SeIt den frühen siebzi~er Jahren unsereS Jahrbunderrs haben Firmen in 'W'esr­t:uropa, den Vcreimgten Staaren und in Japan begonnen, mir AJrc:rnativen zur low.rrust-ürganisatmn zu experimenneren. Hierher gehönen automalisierte Ft:rtigun",.-sbander und die Gruppenproduktlon, bei der elne Arbeltsgruppe die

Arbeit und WirtscJ

Natur der zu verrichtenden Aufgaben verändert, Wir werden diese heiden Strate­gien nun nacheinander bccrachren,

Automatisierung

Der Begnff der Automatisi.erung oder der progtimmlerbuen Maschinen wurde Mitte des 19, Jahrhunderts eingeführt, als der Amerikaner Christopber Spencer den Auromat<~n erfand, eine prowammietbare Drehbank, die Schrauben, Muttern und Zahnrader herstellte. Die Auromatisierung hat bis jetzt vergleichsweise \\o-eni­ge IndUstrien berührt, doch angesichts der fortschrItte bei der Enrwicklung indu­strieller Roboter wird ihr Einfluß SICh sicherlich nachdrücklicher bemerkbar ma­chen. Ein Roborer 1st ein auromatisches Gerät, das Aufgaben erledigen kann, die übllcherweise von menschlichen Arbeitskräfren erledigt werden. Der Ausdruck wurde vor ungefahr 50 Jahren vom Biihncnautor Kare1 Capek geprägt und leitet sich vom tscrechischen ')iorr robofa, Zwangsarbeit, her,

Roboter in nennenswerrer Zahl fanden zum etsten Mal 1946 in die Induscrie Eingang, als die ersten automatischen Sreuerungs\'urricht\l1lgen für Maschinen in einigen einfachen Produkcionsbcrcichen der MaschlneninJusuie t:ingefühn wur­den, Roboter von einiger Komplexitat entsranden jedoch erst mir der Entwick­lung von :Miluoprozessoren - im Grunde seit Begtnn der 7Üet Jahre umeres Jahrhunderrs. Der erste Roboter, der von einem Minicomputer gesteuen u'Utde, wurde 1974 VDn Cincinnaci Milason entv,ickdr. Heutige Roboter können zahlrei­che Aufgaben erledigen, wie schweißen, das Aufbringen von Sprühlacken, heben und traJ'!,en. Eiruge Roboter können Teile unterscheiden, indem sie ..ruHen" oder berühren, während andere "sehen" knnnen, indem sie einen bestimmren Bereich von Gegensränden visuell unterscheiden. \'(-'ie Roben Ayres und Steven Miller hervorgehoben haben,

kann es I..emen hingcbungsvollele.n und uneImudliehaen F~bnhrbcl!er geben fLis den Roboler. Roboter konnrn punhschwclßen und Sprühlacke aufbrinw:n, immer WIeder, bei eint:r Vlelfal! ,'on WerksrUcken und m maJ...cll05cr Welse; und sie können rasch neu pro­gr~tllnue" ...-enkil, unI lo:an~lLdl lieue Aufgaben zu erledIgen .. Fur die nachsten paar Jahre Jillt Sich absehen, dill m mltteigroßcn Erzeugerfirmen \-iele Industneroooter ltJ'-tal· lJer[ wt:nkn. Robuter .....·erden \''{'efkSNcke an Gruppen I·on automatischen Maschinen 10

"Fe.rtigungs:r.el1en" wdterleiten, die ~erlell angeordne~ werdell kannen, um rertigurlgs­sy:;Lcme Jn "geschJo~senenSchielten" zu bIlden, dIe vull J\Iikroprozessoren geSteuen wer­den. (AJ'res und i\til1cr 1985)

Die MehTheit der weiN/eir in rief Industrie eingesetzten Roboter findet sich in der Automobilherstellung. Die Nüulichkdt von Robotern in der Produktion isr der­zeit noch relativemgeschränkt, da ihre Fähigkeit, verschiedene ObJekte zu erken­nen und komphziene Formen w handhaben, sich noch immer auf einem rudi­mcnnren Niveau befindet. Es ist allerdings sICber, daß sieh in den kommenden Jahren die automacisierte Produktion rapid ausbreiten wLrd; Roborer werden im­mer lelstungsfäJuger, während gleichzeing ihre Kl,sten sinken.

Gruppenproduktion

Gruppc:npruJukciun, cLit: Zusammenarbeit von Gruppen iillstelle der Arbeit an Förderbandern, \\-'Urde manchmal zusammen mit der Automatisierung als neuar­tige Form der Arbeirsorganisaoon eingeführr, Es 1st dabei die zugrundeliegende Idee, die Moriv:nion der .l\rbeiter zu verbessern, indem man Gruppen von Be­

schilftigten in Pwdukrionsprozessen zusammenarbeiten Iäßr, sratt von jedem Ar­beiter zu verlangen, daß er den f!;aIlzen Tag mit der Wiederholung einer einzelnen Aufgabe, wIe dem Anschrauben des Türgriffes eines Auros, zubringr.

Ein Beispiel von Gruppenprodukrion sind Qualitärszirke! (QZ), Gruppen von füof his 20 ArbeItern, die sich regelmäßig treffen, um Produkt1Onsprohleme zu

analysieren und zu losen. Arbeitskräfte, die zn QZ gehören, erhalten zusatzliche Schulungen, die sie in dle Lage \'crsCt%en, ihr techrusches \Xr'issen in dJe Erörte­runt!: von Produkcionsfragen einzubringen. QZ entstanden 10 den Vereinigeen Sraaten, wurden von einer Anzahl japanischer firmen aufgegflffen und wurden dann in den achrzlger Jahren fur den Westen wiederentdeckt. Sie hedeuten ein Abgehen von den (;rundannahmen des Taylonsmus, da sie davon ausgehen, daß Arbeitskräfte iJber das Know-how vcrfügen, Lur DefinitlOn und Me,hode der von ihnen ausgefuhrten Aufgabe beizutragen.

Flexible Fertigung

Eine der wIchtigsren Veranderungen In den weltweiren ProJukriunsprozessen stellte wahrend der leu.ren Jahre die Einführung von cof.IJpuler-tJlded dnign (CAD) dar, Während der Taylorismus und der Fordismus bei der Hersrellung von (weit­gehend Identischen) Ma~~enprodukren erfolgreich waren, die fur Massenmärkte hergestellt \l,'lJrden, waren Sie gänzlich unfiliig, kleioe Losgrößen zu erzeugen~

von Gmern, die für cioen individuellen Abnehmer hergcsreUt wurden, ganz zu schwelgen, CAD In Verhindung mit anderen T;r'pen von computergestutzrerTcch­nologie hat diese Situation radikal veränden, Sranley Davis spricht vom Aufrau­chen der "Massen-Maßanferngung": Die neuen Teehnologien gestarte::n die Pro­duktion von Gegensranden, die auf die Bedurfnisse einzelner "unden zugeschnit­teu siod, in großem Maßs.rab. i\n einem rradirioneUen Fließband könnten eventu­cll l':igLch 5.000 Hemden hergestellr wcrden. Es ist nun mögLtch, jedes emzelne dje~er Hemden fur die Bedürfrusse einzelner maßzuschneidern, und diese Hem­den gleich schnell herzustellen wie 5.000 idenriscbe Hemden, ohne dabei höhere Kosren m Kauf oehmeo zu mussen (DaVls 1988).

Vor der Emfiihrung von CAD entwickelten die Japmer die flexible Ferti ­gung, wie Sle es nallnren. Indem sie Produktion~srsleme einführten, die sich J.fl

E:tsr jeder Hinsichr von Jen i\Iassenprodukcionssj'sremen unrer5chieden, die Hen­ry Ford in Detroit entwIekelt harte, gelang es japanischen Aumproduzemen, ihre wdtweiteo Cmsarze ZWischen ~Ii(te der slCb",iger Jahre und AnfanR der neunziger Jahre in bemerkenswerter Weise zu sreigem (Dertouzos 1989). Dle Japaner ha­ben besonders Ge'W.chr auf die Hervotbringung von qualifizierten Belegschaften geJegr, und auf :'fethoden, die Geschwindigkeit zu erhöhen, mit der neue Produkr­designs eingeführt und neue Produkte auf den Markt gebracht werden.

Veränderungen, Jie in deo fruhen achtziger Jahren in europ::iischen oder ame­nkanischen Amofabriken bl~ zu 24 Stunden erforderten, konnten in japanischen fabriken in fünf .i\1inuten erledige werden. Man zielte dahei darauf ab, alles gleich beim erstenmal riehrig %u machen, sodaß man keine spätercn Verbesserungen vornehmen mußte. Die Gruppenproduktion \\·urde auf em hohes Niveau geho­ben; lmegrierte Arbeirsteams bestanden au:,; Monteuren, Zulieferern und f Lilfs­kraften. Gestürzt auf dIese Techniken, konnten die Produktiomplaner von einem ZykJus (die Zeir "-om Erstentwurf eioes neuen Modells biS zur fertigung des leuten fabrzeuges) von slebeneinhalb Jahren ausgehen. Europ'::usche und amen­karusche Produknonsplaner gingell im GelSensatz dazu blS vor kurzem von 11

Arbeit und Wirtschafts

bis 15-Jahre-Zyklen aus. Sie haben nun elniges von ihrem Ruckstand gutgemachr, indem sie un Grunde versucht haben, japanische Praktiken zu imitieren.Aller­dings sind, ....,:ie Lester Thurow unter Bezug auf die USA angemerkr har, "die be~ten amerikanischen Fahriken noch nich, ganz so gut wie die besten japaru­schen fabriken, und die schlechtesren amerikanischen Fabriken sind wesenclich schlechter als die schlechtesren japanischen fabnken" (Thurow 1993).

Trends im Beschäftigungssystem

Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat sich das Beschäftigungssystem in .allen industrialisienen Ländern nachhaltig verändert. Im Jahr 1900 waren mehr als drei Vlerrel der unselbsrimmg Beschäftigten manuell tätig, davon waten ungefihr 28 Prozent Facharbeiter, 35 Prozent waren Angelerme und 10 Prozenr Ungelernre. Angestellteniobs waren vergleichsweise selren. Um die :Mitte des Jahrhunderrs machren die mmuell Arbeitenden weniger als zwel Dnttel der unselbsrändig Re­schfifrigren aus, und die nicht-manuelle Arbeit hatte sich entsprechend ausgewei­

tet. Im Vereinigten Königreich wurden 1971 und 1981 VolksLählungen durchge­

führt. \'("ährend dieses ZelCCaumes sank der Anteil der manuell Arbeitenden bei den Männern von 62 auf 56 Prozent, und bei den Frauen von 43 auf 36 Prozenr. Die Zahl der männlichen Angesrellren und .i\bnager nahm um ungefahr eine ;\.1illion zu. Im Jahr 1981 gab es in untergeordneten Angestelltemätigkeiren um 170.000 Männer weniger als zuvor, doch um 250.000 Frauen mehr. Der Rück­gang der manuellen Jobs fand eine enge Enrsprechung im Ruckgang der Anteile der In der prodUZIerenden lndmtne besehilftigten Leute: Dorr gab es 1981 um 700.000 Mümer und um 420.000 Frauen weniger als vor zehn Jahren.

Diese Trends setzen sich auch heute fon, haben sich abet abgeschwächt. Etne 1990 von der Regierung durchgefuhrte Untersuchung des Arbeitskräftepotentials zeigte, daß knapp über 50 Prozent der MüJOer und 33 Prozent der Frauen in manuellen Berufen lärig waren. Der extremste Kontrast z.....-ischen den Geschlech­tern war jener zwischen Leuten in weniger qualitlzierten Angesrellrenpositionen, verglichen mir Facharbeitern. Im Jahr 1990 hat1en 31 Prozent der Frauen den t:fsten Typus von Job inne, verglichen mit 6 Prozent der Männer, während 25 Prozent der Männer mit Facharbeir beschit'ugt waren, vergllchen mir nur Vler Prozent der frauen. In einigen anderen industrialisierten Ländern sind derartige Veränderungen schon weirer fortgeschritten als in Großbntannien. Nach diver­sen Schärzungen smd in den VSA weniger als 4() Prozent in manuellen Berufen

rätig (Rosside& 1990). Warum diese Wandlun~prozesse stattgefunden haben, \\'Urde Inrensiv disku­

tiett. Es scheine mehrere Gründe dafur zu geben. hner davon isr der unabläSSIge Umstieg auf arbeirssparende Maschinen, der in den lerzten Jahren in der Ausbn·j­tung der Informations technologie und der Complltenslerung der Indusrrie kul­mirucne. Ein anderer ist der Aufsneg der lndustrieUen Produktion außerhalb des Westens, vor allem im Fernen Osren. In den wesclichen Gesellsehaften haben die älreren Indus[rien massive RiJckschlige edieren, da sie unfahig waren, mIt den effizienteren fernostlichen Herstellern, deren Arbeitskosren noch dazu geringer

waren, zu Konkurneren. Unrcr anderem haben diese Ent\1:icklungt"n die Muster des indusrriellell Kon­

fliktes verändere. Wir hetrachten nun dieses Thema etwas genauer.

Gewerkschaften und Arbeitskonflikte

Konflikre zwischen Arbeitern und ienen, die Ihnen gegenüber ökonomische und poliusche Aurorirät ausüben, gibt es schon seir langer Zeir. Aufstände g~gen die .Militirpflichr und hohe Steuern sowie Hungerrevolren zu Zeiten der Mißernren waren in den sräduschen Bereichen Europa~ im ] 8. Jahrhundert an der Tagesord­nung. Diese "vormodernen" Formen des Arbeitskonflikrs finden sich in einigen Ländern noch bis vor wenig mehr als 100 Jahren. Zwn Beispiel gab es 1868 in mehreren großen italienischen Sradten Hungeraufstände (Geary 19HJ). Solche uadltionellen Formen der Konfrontation waren nicht bloß sporadische irrationa­le Ausbrüche; Der Einsatz oder die Androhung von Gewalt hatte zur Folge, daß der Preis von Gerretde und anderen Grundnahrungsmitteln begrenzt wurde.

Oie Entwicklung der Gewerkschaften

Arbeitskonflikte zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern waren 10 der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts häufig nur halb-organisiert. Kam es zur Konfrontati­on, verließeu die Arbeirer nlchr seI ren ihre Arbeitsplärze und rotteten sieh in den Straßen zusammen; sie a.rtikulierren ihre Resseotimems durch Ordnungssrorungen oder durch Gf:\va.ltriitigkeiten gegen Autoritäten und Behörden. In einigen Teilen Frankreichs hielt sich noch bis ins spare 19. Jahrhundert unter den Arbcirern der Brauch, unbeuebre Arbeitgeber mit dem Erhängen zu bedrohen! Der Einsatz von Srreiks., der heute m.ic den organisierten Verhandlungen zwischen Arbeitern und ManaRemenr assozüert wird, entwickelte sich nur langsam und sporadisch. Die COlIJviflahol/ Act.r, rne 1799 und 1800 in Großbrirannien erlassen wurden, erklär­ten die Zusammenkünfte organisierter Gruppen von Arbeitern für illegal und \·erboren öffentliche Demonstrationen. Diese Geserze wurden 20 Jahre später Widerrufen, als offenkundig wurde, daß sie mehr Störungen der öffentlichen Ordnung hervorriefen, als sie unterdrückten. Die Gewerkschaftsbewegung erlangte bald eine Massengefolgschafr; ihre Aktivitäten wurden im letzten Viertel des J9. Jahrhunderts legalisiert, worauf bis zum Jahr 1920 in Großbritannien die Mitgliedschaft auf bis zu 60 Prozenr der männlichen Arbeiter anstieg. Die briti­sche Gewerkschaftsbewegung wird von einem Dachverband koordlOierr, der 1868 gegründet wurde, dem Yrades U",Ofl CmgrrII (11)q, der starke Beziehungen zur ~boJlr Parry entwickelte.

Zur Zeit der Jahrhundertwende gab es kaum einen direkren Zusammenhang z'W1schen der Existenz von Gewerkschaften und der Srreikneigung. Ein GroßteLl der früheren Streiks war spontan, in dem Sinn, daß sie nichr von einer spezifi­schen Arbeimehmerorgarusation ausgerufen \vurden. Ein Bericht des amerikani­schen Arbeitsministeriums aus dem Jahr 1907 zeigte, daß ungefahr die Hälfte aller damaIig~n Streiks nicht von den Gewerkscbaften ausgerufen worden waren (Ross 1954). Ganz Äbnliches traf vermutlich auf Großbritannien zu. Gegen Ende des Ersten Welrkriegs veränderte sich diese Siruacion; seirdem isr der Anrttl der Streiks von gewerkschafrlich nichr organiSIerten Arbeitern sehe klein geworden.

Die EnrwicklunR der G~werksehaftsbewegunghar sieh in verschiedenen Län­dern rccht umersehiedlich gestaltet, wie auch der Einfluß, den die Gewerkschaf­ten auf Arbeimehmerschaft, Arbeitgeber und Regierungen ausüben konnten. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten wurden die Gewerkschaften fruher Regründet als in den mcisten europälschen Gesellschaften. Die deurschen Ge. \,,-crkschaften :t.B. wurden in den 30er Jahren von den Nazis weitgehend zerstort

Arbeit und Wirtschaftsleben

und nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegnindet, während dIe HauprenNlicklung der französischen Gewerkschafrsbewegung tatsächlich er51 in den 30ec Jahren begann, als die Freiheir, Gewerkschaften zu errichten und an Tanfverhandlungen teJ1zunehmen, formell anerkannt wurde.

Warum gibt es Gewerkschaften?

Obwohl sie sich hinslchtlich ihrer Mitgliederstärke und ihrer Macht drascisch Wlrerscheiden, gibt cs orgarusierte Gewerkschaften in allen westl.tchen Ländern. Alle rnese Länder haben das Recht der Arbeiter, in Verfolgung ihrer wirtschaftli­chen Ziele zu streiken, gesetzlich anerkannt. Warum sind rue Gewerkschaften zu emem Grundmerkmal der modernen Gesellschaften geworden? \\:'arum scheint der Konflikt zwischen den Gewerkschaften und der Arbeirgeberseite ein i'nehr oder weniger allgegenwärtiger Zug moderner InduHriegeselischaften zu sein?

Einige Autoren haben rne Auffassung vertreten, daß Gewerkschaften tarsäch­lich nichts anderes sind, als eine Version der mittelalterlichen Zünfte - Verbin­dungen von Personen, die im selben Handwerk rärig sind -, die im Kontext der modernen Industrie wieder aufleben. Diese Deurung könnte verstehbar machen, v,"arum Gewerkschaften häufig zuerst bei Facharbeitern entstanden sind, erklärt aber nicht, warum sIe bescindig mit Lohnverhandlungen und Arbeitskonflikten zu run hatten. Eine :wfriedenstellendere Erklärung muß sich auf die Tatsache stützen, daß sich die Gewerkschaften entwickelt haben, um die materiellen Inter­essen von Arbeirern wahrLunehmen, die in Indusuien eingebunden wurden; dies sciftele zwar Soljdarit:lr, doch vermitrelte es ihnen sehr wenig formale Macht über ihre ArbelrsweJr.

]n der Frühphase der EnN.,cklung der modernen Industrie hatten die Arbei­rer in den meisten Ländern keine politischen Rechte und konmen die Arbeits­bedingungen, denen Sie ausgesetzt waren, kaum beeinflussen. Die Gewerkschaf­ten entwlckelren sich zunächH als Mittel, dem M:1chtungleichgewicht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entgegenzuwirken. Während die Arbeirer als IndlViduen wenig Macht hatren, konnten sie durch kollektive Orgarusatlon ihren Einfluß bemi.cbtlich verstärken, Ein Arbeitgeber kann auf die Arbeit eines ein­zelnen Belegschaftsmirglieds verzIchren, doch nicht a.uf die allet oder der mei­sren Arbeiter einer Fabrik. Gewerkschaften waren ursprünglich hauptsächhch ,,Defensiv"~Organisationen,indem sie die ~-1ittel bereitstellten, durch rue sich die Arbeiter der überwältigenden Mach[ entgegenstellen konnten, die die Arbeirge­ber über ihr Leben ausubten.

Neuere EntwiCklungen

Auch die Gewerkschaften haben sich naturlieh im Lauf der Jahre verändert. Eini.­ge sind sehr groß geworden und wurden als dauerhafte Organisationen bürokra­tisiert. Gewerkschaften verfugen uber vollbeschäftigte Funktionäre, die selbst\l'enig direkte Erfahrungen rrur den Arbeitsbedingungen ihrer l\1itglieder haben magen. Die Tätigkeuen und Auffassungen dcr Gewerkschafrsfuhrer können sich also von jenen der l\1irglieder, die sie verrreten, einigermaßen entfernen. Die in der Gewerkschafr organisierten Betriebsmitglieder geraten gelegentlich m Konflikr mir den Straregien ihrer eigenen Gewerkschaften. Den meisten Gewerkschaften ist es nichr gelungen, elOen großen Anteil weiblicher Arbeiter als l\1irglteder zu ge\liinnen. Obwohl einige von ihnen Kampagnen gestarter haben, um die weibh­

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chc .Mitgliedsehaftanzuhehen, hahcn in der Vcrgangenheit ~lldc voo Ihnen hCltntts­willige Frauen aktiv enunucigt

Heutzutage sind we Gewerkschaften der westlichen Linder durch drei rrut­einander verknüpfte \X'andJungspmzesse bedroht: hohe Arheltslosenraren, die die VerhandJungsmachr der Gewerkschaften schwachen; der Verfall der älteren pro­duzierenden Industrien, in denen die Gewerkschaftsbewegung traditlonell stark verankert war; und die wach~ende ImensIrät des internationalen Wetrbcwcrbs, vor allem seitens a.~iatiseher Länder, wo die Lohne oft niednger sind als im We­sren, In den Vereinigten Sraaren und in mehreren europalschen Ländern, darunter Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Dänemark, kamen in den 70er und 80er Jahren rechtsgerichtete RegJerungen an die Macht, die zumeist entschlossen waren, den, wie sie es wahrnahmen, übertriebenen Einfluß der Gewerkschaften auf we Industrie zuruckzudrangen.

Arbeirsgeser"/.e, die 1l)~(1 und 19~2 10 Großbritannien erlassen \vurden, legten den gesetzüchen Rechten der Gewerkschaften neue Beschränkungcn auf Die offizielle Definicion eines "gewerkschaftlichen Konflikts" wurde eingeengt, um Aktivlräten wie %.R das Aufstellen von Streikposten bei den Zuheferern elOes Arbeitgebers auszuschließen. Das Gewerkschaftsgesetz aus demJahre 1984 schrieb den Gewerkschaften vor, elOe Urabstimmung unter ihren Mitgliedern durchfüh­ren zu lassen, bevor bestlmmte Maßnahmen gesetzt \lr'Urden; gleichzeitig wurden die Vorrechte der Gewerkschaften 10 anderer ,,",,'else beschränkr. Die Beamten des nachrichtendienstlichen Zentrums der Regierung wurden des Rechts beraubt, ei­ner Gewerkschaft anzugehören, ein Schachzug, der mit dem Hinweis gerechtfer­tlgt wurde, daß Arbeirskonfukte im nachnchtendien~rlichen Zentrum eine Be­drohung der nationalen Sicherheit darstellen konnten. Diese Maßnahmen hatten zweifellos hedeutsame AUSWirkungen nuf die Gewerkschaftsbewegung, sowohl auf der nationalen als auch auf der lokalen Ebene. Verbunden mit den weiter oben erwähnten allgemeineren Fakmren, haben sie den Einfhill der Gewerkschaf­ten drastisch reduziert.

In den VerelOigten Staaren sehen Sich die Gcwerbchaften einer Krise von noch größeren Dimensionen gegenübet als ihre Penda!lCS in den meisren europäi­schen ländern. In versduedenen bedeutenden Indusrriezwelgen wurden wäh­rend der letzten zehn Jahre die gewerkschaftlich abgesicherten Arbeitsbed..ingun­gen und l\IindestJohne umermiruert. Während der letzten Jahre hahen die Arbei­ter In der Tram.port-, der Srahl- und der Automobilindustrie allesamt ruedrigere Li.:ihne Jkzeptiert, ab vorher ausgehandelt ,vorden waren. Die Gewerkschaften haben anJäßlich \'eC5duedener größerer Streiks Niederlagen erlitten, deren be­rüchTJgtsres Beisriel vielleiehr jene dcr Gewerkschaft der Fluglotsen Anfang der achtziger Jahre darstellte.

Der Ruckgang der Mirgliederzahlen der Gewerkschaften und das SlOken ihres Eintlusses ist in den IOdusrrialisterten Lindern ein Phanomen von zlemnch weitreichender Bedeutung und sollte nicht zur Gänze auf den politischen Druck zurückgeführt \l:erdcn, den rechtsgeriehtetc Regierungen auf die Gewerhchaf­ten ausgeübt h:tben. Gewerkschaften werden im allgemeinen während Penoden hoher Arbeitslosigkeit gt:schwächt, wie es seit geraumer Zeit in vielen wesUichen Ländern der Fall war (vergleiche weiter unten). Die weiter oben skIzzierten Trends In Richtung flexJbler Produktionsweisen tendieren dazu, we Macht der Cewerk­schaften zu schwachen, die ihre HochbJutc dann erreichen. wenn viele Leute zusammen in großen Fabriken arbejten.

Arbeit und Wirtschaftsleben

Streiks

Was ist ein S[reik? Die Antwort ist weder offensichtlich, noch leicht zu formulie­ren. Können wir z,B, zwischen einem Streik und einer kurzen Arbeitsunterbrechung unterscheiden? Die Streikstatistiken vieler Länder versuchen, diese Unterschei­dung zu treffen, indem als Streik lediglich Unterbrechungen gezählr werden, die langer als eine bestimmte Zeir (wie z.B. einen halben Tag) dauern, oder bei denen mehr als eine bes1imrmc Anzahl von Arbeirern beteiligt ist. Sind die \"elgerung, Uberstunden zu machen, oder der "Dienst nach Vorschrift" Beispiele fu.t Streik­aktivitäten?

.Alles in allem schelm cs angebracht, "Streik" in einem engen Sinn zu defmie­ren, sQ{lal~ der Ausdruck nichr seme ganzc Präzision verhert, Wir können einen Strelk als zeiN,'eüige ArbeLtsunterbrechung einer Gruppe von Beschafcigten defl­nicren, die auf ein Problem aufmerksam machen oder einer Forderung Nach­druck verleihen will (Hyman 1984). .Alle Bestandteile weser Definition sind 'lJltchtig, wer...n man Streiks von anderen Formen der Auseinandersetzung und des Kon­tlikLs abgrenzen möchte. Ein Streik ist tuuporar, da die A.rbeiter die Ahsicht ha­ben, an denselben Arheitspbtz beim selben Arbeitgeber zurückzukehren; wo ,-\..ebelter uberhaupt ihre Arbeitsplätze verlassen, ist der Ausdruck unangemessen, Ns ArlmtJHnterbrechJmg kann ein Streik von ciner Weigerung, Cberstunden zu machen, oder einer Verlangsamungdes ArbeiC5tempos unterschieden werden. Eine Gruppe von Arbeitern muß beteiligt sein, dn em Streik kollektives Handeln ist, und nichr die Reaktion eines einzelnen Arbelrers, Daß jene, gegen die sich die Aktlon richrer, ArbeJtgeber slOd, dient dazu, Streiks von den Protestformen der Mieter oder der Studenten zu unrerscheiden. Schließlich gehl es bei einem Streik darum, a~f ein Problem a~ftJJerksam Zll machm odrr ci"" Fordrnmg Na(hdrJlck ifJ ver/ei­hen; von Arbeitern, die hloß deshalb abwesend sind, wcil sie an einer Sportveran~

staItung teilnehmen, kann man rucht sagen, daß sie .~ich im Streik befIOden. Strciks stellen nur einen Aspekt oder Typ des Konflikts dar, der zwischen

Arbeitern und Management ent~tehen kann. Andere nah verwandte Formen des organisierten Konflikts sind die AN.Jipernlflg (bel der es die Arbeitgeber und nicht die Arbeiter slOd, die eme Arbeirsunrerbrechung verursachen), Produkrions­beschränkungen und Auseinandersetzungen anlänüch von Tarifverhandlungen. Zu den weniger organisierten Formen des Kont1ikts kann man hohe Fluktuation, häufige Abwesenheir vom A..rbcitsplarz lind Sabotage an den 10 der Produktion eingesetzten Masdunen zählen.

Streikstatistik

Da einer genauen Abgrenzung des Streikbegflffs ein Ziemlich grofks Ausmaß vun Willkürlichkeit anhaftet, ist e~ nicht überraschend, daß versehiedene I.ander bei der Erfassung von Streiks in verschiedener Weise vorgehen. Man kann Z\llar

internationale Vergleiche der Streikhaufigkeit anstellen, doch müssen dJese mit VorSICht interpretien werden. \'l;'as in elOem Land als Streik aufgefaßt wird und daher in die Sraristik eingeht, mag in einem nnderen nicht als solcher zählen. 1n Großbrirannien etwa müssen in eine Unterbrechung zumindest zehn Arbeitet lOvolviert sein, bevor Sle als Streik gezählt wird, während in den Vereinigten Sraa­ten (seit 1982) lediglich Unterhrechungen, an denen Tauscnd oder mehr Arbeiter teilnehmen, In die Streiks(atistlk aufgenommen werdcn.

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Ublicherweise werden drei Maße der Screikaktivltaten publizien _ die Anzahl der Streiks pro Jahr, der Prozentsatz der Arbeitnehmer, die im betreffenden Jahr an Streiks teilgenommen haben und die Anzahl der Arbeirstage, we durch Sueiks verlorengmgen. Zusammengenommen liefern diese drei Angaben eine grobe Vorstellung der unrer~chiedlichen Streikbetroffenheit verschiedener Lander. Verbinder man alIe drei Kriterien, dann sind Italien und J...::anada umer den von Streiks am rueisten betroffenen Ländern, während Deutschland und die skanw_ navisehen Länder am wenigsten beuoffen sind. Die Vereinigten Staaten und Groß­britannien liegen im Mmelfeld. Es scheInr kein spezifischer Zusammenhang Z">l.;­

sehen dem Ausmaß der Streikaktivitäten, wie er durch die offizieUen Sratlstiken erfaßt wird, und der allgemeinen WirtschaftssItuation zu bestehen. Lander, die von Streiks wenig berroffen sind, haben mit anderen Worten niehr noru"endJg;er_ weise höhere Wachstumsraten als jene, deren Arbeitgeber häufiger bestreikr wer­den. Das ist nicht sonderlich überraschend; die Aussagekraft tler vergleichenden Srreiksratistiken ist ohnehin zweifelhaft, und industrielle Kont1ikte oder Span­nungen kannen sich noch in vielen anderen Formen als in Streiks manifesneren. Zusätzlich foihT[ aus der Harmorue der industriellen Beziehungen nicht, daß des­halb die Produktivirät unweigerlich hoch sein muß.

Jüngste Trends des industriellen Konflikts

In einem bekannten Werk, das Anfang der sechZIger Jahre \'cröffentLicht wurde, findet man die Aussage, daß Streiks 1m Begriff seien "abzusterben". Nach Auf­fassung der Autoren sind längere und intenSivere Aust'"inandersetzun!/;en ....Or al­lem rur die Frühphasen der Industrialisierung charakteristisch. Existiert einmal em stabiles System mdustrieller Beziehungen und Verhandlungen, so die Behaup_ rung, nimmt die Strelkhäufigkeit ab (Ross und Hartmann 1960). Kaum war diese These verJaurbarr worden, gab es eine Welle des industriellen Kontlikts in "leien westl.ichen Lindern. darunrer auch Großbritannien. Ein bemerkenswerrer Zug der Srreikakti\;t<iren im Großbritannien der 60er und fnihen 70er jahre war der starke Anstieg der Anzahl der inoffIzieUen (,,\\-i..lden'') Streiks. Es schemt, daß d<lmals Viele Arbeiter von ihren offizleUen Gewerkschafrsvertretungen ebenso enttäuscht waren WIe von ihren Arbeirgebern.

In tlen acht7.ig-er und den frühen neunziger Jahren verlagerte Sich das Schwer­ge'\\.'lcht der Streikaktivitäten zuröck zu den offizieUen Gewerkschaften. Gleich­zeItig sank die Strelkhäufigkelt in Großbritannien ganz beträchtlIch, ,tor allem aufgrund des Eur die zu diesem Zeitpunkt fur die Gewerkschafren ziemlich re­~crikti\;en politischen und wirtschaftl.iehen Klimas. Dies scheint Teil eines inter­nationalen Trends zu sein. Mit zwei oder dreI Ausnahmen haben während dieses %eltraum~ alJe we:-dichen Lander eine Verringerung ihrer Streikaktivitäten erfah­ren.

FralIen und Arbeit

Bis \'or kurzem war in den westl.ichen Landern die bezahlre Arbeit vor allem eine Domäne der Männer. Während der letzten jahrzehnte hat sich diese Situation drastisch gewandelt: Mehr und mehr Frauen drängen in die offizielle Ökonomie. In den fOlgenden Abschnitten weses Kapitels berraehten wird die UrsprUnge und

Arbeit und Wirtschaftsleben

die Folgen dieses Phänomens - eine der bedeutendsten Veränderungen, die der­zeit III der modemen GeseUschaft ablaufen.

Frauen in der Arbeitswelt Ein historischer Rückblick

Für die überwältigende Mehrheirder Menschen in \'orinduscrieUen GeseUschafren (und heute noch für viele Menschen in der Drirten Welt) gab es keine Trennung zwischen produktiven Tätigkeiten und Haushaltstätigkenen. Die Produktion er­folgte entweder im Haus oder in der unmirtelbaren Umgebung. Im Europa des Minclahers arbeiteten alle Familienmirglieder auf dem Bauernhofoder im Hand­werksbetrieb nUt. In den Städten waren die Werkstätten normalerweise im Haus, und die Familienmitglieder trugen in mehrfacher Hinsicht zwn Produktions pro­zeß bei. Bei der Tucherzeugung oblag beispielsweise den Kindern das Kardätschen und Kammen, den älreren Töchtcrn und den Müttcrn das Spinnen und den Vä­tern das Weben. Auch in den Schneider- und Schusterwerkstätten und in den Bäckereien arbeiteten die Frauen und Kinder aut den Männern zusammen. Wenn dJ.e Frauen auch von Männerdomanen wie Politik und Krieg ausgeschlossen wa­ren, so sicherte ihnen ihre Stellung im Wirtschafrsprozeß doch einen großen Em­fluß auf Ihren Haushalt. Die Frau des Meisrers und die Bäuerinnen führten oft die Bücher, und Witwen besaßen und leiteten ziemlich häufig Betriebe.

Die Lage änderte sich IIllt der Entwicklung der modernen Industrie, die die Trennung von Wohn- und Arbeitssrätre mir sich hrachte. Die Verlagerung der Produktion in mechanisierte Fabriken war möglicherweise der wichtigste Einzel­faktor. Das Arbeitsrempo \VUrde von der Maschine vorgegeben, und die Arbeit an der Mascrnne \VUrde von Einzelpersonen erledigt, die spezieU fur den betret~

fenden Arbeitsgang eingesteUr wurden. Die Arbeitgeber begannen daher, eher einzelne Arbeiter statt ganze Familien emzusteUen. Familien \VUrden aber noch lange Zeit spater als Einheir behandelr; im frühen neunzehnten Jahrhundert war es in England und in zahlreichen anderen europäischen Ländern noch üblich, daß Arheitgeber ganze Familien einstellten. Wenn der Vater eine Arbeit in der Fabrik bekam, so \VUrden z.B. die Frau und die Kinder als Dienstboten oder Landarbei­ter eingesteUr.

Diese PraxIs wurde aber nach und nach aufgegeben; die Kluft zwischen Haushalt und Arbeitsplatz vertiefte sich. Die Frauen \VUrden jetzt nUt "häusli­chen" Werren In Verbindung gebracht, obwohl der Gedanke, daß "der Platz einer Frau am Herd ist", nichr für alle Frauen gleichermaßen galt. Wohlhabende Frau­en erfreuten sich der Dienste von Mägden, Ammen und Dienstmädchen. Die ärmeren Frauen hanen ein schwereres Leben: Sie mußcen den Haushalt erledigen und gleichzeitig in der Fabnk arbeiten, um das Einkommen ihres Mannes aufzu­bessern.

Der Anteil der aulkrhalb des Heimes arbeitenden Frauen war bis weit m das 20. Jahrhundert hinein bei allen Klassen gleich gering. Sogar noch 1910 waren mehr als ein Drinel der gegen Emgelt arbeirenden Frauen noch Mägde oder Dienst­mädchen. Die weibliche Arbeimehmerschaft besrand hauptsächlich aus jungen unverheirateren Frauen, deren J'ohne, so .~ie in Fabriken oder Buros arbeiteten, oft vom Arbeitgeber direkr an ihre Eltern geschickt wurden. Wenn sie heirateten, zogen sie sich vom Arbeitsmarkt zurück.

Seitdem ist der Anteil der unselbständig beschäftigten Frauen mehr oder we­niger kontinuierlich gestiegen. Ein wichtig-er Faktor dabei war die Zeit des Ar­beitskräftem:mgels im Ersten We[ckrie!/;. Während der Kriegsjahre verrichteten

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die Frauen viele Arbeiten, die zuvor als Männerdomäne ange::oehen würden wa­ren. Als die i\Ü.nner aus dem Krieg heimkehrren, übernahmen sie zumeist wieder ihre ArbeJrSsteJlen, aber das fesre Schema war durchbrachen worden. Heute ste­hen in den meisten eurup;:uschen Lindern ZWischen fünfunddreißig und sechzig Prozent aller Frauen ZWischen sechzehn und sechzig in unselhstandiger Beschäf­rigung. Den signifikantesten Anstieg gab es unter den verheirarecen Frauen: Im VereInigten Korugreich liegt deren Anteil bei drelUndfiinfzig Prozent. Mehr als VIerzig Prozent der verheIrateten Frauen mit Kindern unrer drei Jahren srehen in einem ArheirsverhäJmis. Der Anteil von Frauen an den unselbsrändig Beschäftig­ten liege aber noch Immer deutlich unter dem Anteil der Männer: vierundsiebzig Prozent der männlichen Bevölkerung zwischen funfundzwanzIg und sechzigJah­ren stehen in ewern ArbeJtsverhi1rni~, und diese Zahlen haben sich in den letzten hunderr Jahren nicht wesentlich veränderr.

Ungleichheiten am Arbeitsplatz

Die weiblichen Beschäfrigren erlerngen größtenteils schlecht bezahlre, monotone Arbeiren. An diesem Zusrand sind unter anderem Veränderungen der Beschafti­!-.'1Jngssrruktur und geschlechrsspeziftsche Stereotypen schuld. Die Veränderun­gen im Ansehen und Im Aufgabenbereich von "Büroangestellten" sind ein guces Heisplel. 1850 waren in Großbritannien neunundneunzig Prozent der Büroange­stellten Männer. BüroangesceUter zu sem bedeutete oft, in verantwortlicher Stel­lung tatlg zu sein, In BUChhaltung erfahren und manchmal leitend tatig zu sein. Sogar der niederste Btiroangesccllre hatte in der Öffentlichkeir ein bestimmres Ansehen. Das zwanzigste Jahrhunderr brachte eme generelle Mechanisierung der Buroarbelr (beginnend mIr der Einfuhrung der mechanischen Schreibmaschine gegen Ende des 19. Jal.lrhunderrs), mit der ein markanter Prcstlge- und Qu:ilif1kationsverJust des ..Büroangesrdlren"-Berufes - wie des damit verwand­ten Berufes eInes ..Sekretärs" - einherging; von nun an war er mit einem niedri glt:n SIams und niedrigem Einkommen verknüpft. Frauen konnten nun in diese BerufsroUen, deren Bezahlung und Prestige sich verringerre, nachrücken. 1991 waren nahezu neunzig Pmzenr der Büroarbeirsplmc und achtundneunzig Pro­zent aller Sekretariatsposren In Großbritannien mit Frauen besetzt.

Das Vorhanden~emunversorgter KJnder wtrkr sich stark auf die außerhäusltche Berufstatigkeu der f-rauen aus. Wenn Frauen keitle Kinder haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie ganzrags arbeiten, ungleich höher. Das gilt für alle sozlookonomisehen Schiehren. Frauen mir KJndern gehen jedoch heutzutage viel häufiger an ihre Ganztagsarbeirsstdle und zu ihrem Arbeitgeber zunick, als das zu Beginn der achL~I.!{l.:r Jahre der Fall war. Damals nahmen die meisten Mütter, die wieder in den Beruf zurückkehrren, eine Halbragsarbelt oder einen im Ver­gleich zu Ihrer ursprunglichen Arbeit schlechter bezahlten Posten an. In den frühen neunziger Jahren setzen die Frauen lhre Lautbahn darr forr, wo sie sie unterbro­chen haben, vor allcm wenn es sich um eine gut bezahlre Arbeit handelt (HMSO 19 1J2)

Immer noch verrIchten aber viel mehr Frauen als Männer Teilzeitarbellen (siehe Abbildung 12.1). Die meisten von ihnen Ziehen eine TeilzeirarbClr der Ganz­tagsarbeit vor. AilerdlOgs verfügen sie in einem wiebrigen Sinn kaum über Wahl· moghchkelten. Dle Männer übernehmen im großen und ganzen nichr die Haupt· verantworrung Eur die KindererLlehung. Für Frauen, die solche Verpflichtungen

Arbeit und Wirtschaftsleben

15~ - --- ------~lI:=n:=-Mann-e-'---

'0

vollzellbeschaftigle Flöluen Abb.12.1 Mannerund Frau&n In Vollz9l1- und TelizeLlbeschäftgung Ims-L ~c~_-~ _~~_~_~~--~-~~=-=-, VereinlglEtn Könillreicn,tellzeilbeschal\;gle Frauen 1987-1995

QuellS. UlbOur Force Swvey. Cenval St8~fitlC

__________I~z':lt:.es:n~ftI21~~ä~~ •

OffIce. Aus SOC>.!l1 TrendS",o 1987 1989 1991 1993 1995 1996. Tabelle 4.1

(und andere Pflichten im Haushalt, s.u.) haben, dabei aber arbeiten wollen uder müssen, ist es leichter, eine TeilzeiClCbeir anzunehmen.

Frauen Sind auf dem Arbettsmarkt in jüngster Zeit in sogenannte "Männer­dom;l.Oen" eingebrochen, aber bisher nur bis zu einem gewissen Gr:td. W'eniger als funE Prozent der Vorstandsposten in brit1~chen FIrmen werden von Frauen bekleidet; in Vier von fünf Firmen gibt es uberhaupt keine weiblichen Vorstands­mitglieder. Dasselbe gilr für viele andere Bereiche der Wirtschaft. Die größcen bntisehen Banken z.B. beschaftigen ungefahr eine Million Frauen. Bel der Natio­nal Westrninster Bank sind jedoch nur zwei Prozenr der Manager Frauen, bel der Midland Bank drei Prozent und bei Barclays vier Prozent.

In den anderen höheren Berufen ist es nicht viel anders. Der Anreil der weib­lichen Anwälte ist zwar in den letzren zwanzigjahren angesciegen, liegt aber noch immer bei Vierzehn Prozent. Nur drei Prozent der Mitglieder des Higb Court smd Frauen, und diese arbeiren alle als Familienrichrerinnen. Der Court 0/ /lp/Jfal hat überhaupt keine weiblichen Mitglieder (Grint 1991).

Wir wis~en nicht, ob diese extremen geschlcchtsspezifischen Ungleichheiten in der näheren Zukunft zurückgehen werden. Es ist möglich, daß die Sicuation im Umbruch begnffen ist, aber für die, die jetzt am Anfang ihrer Karriere stehen, 'Il.1rd der Aufsrieg noch eine ganze \X'eile dauern, und man kann erst In einigen Jahren sagen, ob sich e(Was geänderr hat. Ein Blick auf die juristischen Berufe ecwa zeigt, daß Anfang der neunziger Jahre beinahe die Hälfte der britiscl.lcn Jusscudenten weiblich war, was, verglichen mit den achtziger Jahren, ein bedeu­tender Anstieg lSt. Die meiSten von ihnen werden w:a.hrscheinlich einen juristi­schen Beruf ergreifen. Dann werden wtr sehen, wieviele von ihnen schließlich zur Spirze vordringen: Das wird die eigentliche Bewährungsprobe sein.

Die Probleme des Erfolgs

Wenn Frauen wlttschaftlieh erfolgreich sind, dann mÜSSen sie sich heute an eine Welt anpassen, in der sie sich nicht wirklich heimisch fühJen. Die Erfahrungen weiblichcr FührungskräEre wurden mit jenen verglichen, die jemand während ei­nes längeren Auslandsaufenthal[es macht Es ist wichng, sicu gure Führer und Karten zu besorgen und die Regeln der einheimischen Bevölkerung zu befolgen. Die Erfahrungen sind wie ein ,.Kulturschock", und auch wenn ein Ausländer :;tändigin emem Land wohnt, wird er niemals ganz akzepaert. Längerfristig: konmen

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jr:doch Frauen da~ männliche \"'erte~ystem ändern, indem sie familiäre Verpflich­rungen und Zwänge der ArbeitsweJr unter emen Hur bringen.

Einr:r der Hauptfakton~n, die die Karriere yon frauen beeintrachugen, ist der. männliche Sr-..l.ndpunkr, daß für weJbliche Arbeirskräfre die Kinder wichtiger wä­ren als die Arbeit. In einer brieschen Studie \VUrde die Einstellung von Managern untersucht, die Beurerbungsgespräche mir Bewerberinnen um Technikerstellen im Gesundheitsdienst führten: Die Wi~senschaftlerfanden heraus, daß die Perso­nalchefs dIe Frauen Immer fragtcn. ob sie Kinder hätten oder ob sie die Absicht harren, welche zu bekommen. Männlichen Bewerbern wurde diese Frage prak­tisch nie gestellt. Als die Wissenschafcler die Personalchefs auf diesen ~achver­halt aufmerksam machten, brach ren diese im we~enwchen zwei Argumente vor: (a) Frauen mit Kindern brauchen ex.tra Urlaub, wenn ihre Kinder Fcnen haben oder wenn cln Kind krank wird, und (b) die Verantworrung für die Erziehung wird eher als Problem der ~·furter und wertigcr als Problem heider ElternteIle betr.achrer.

Filr eini.hrt' Manager waren die Fragen zu (üesem Thema Ausdruck ihrer "Für­

Arbeit und Wirtschaftsleben

de berucksichtigcn. Das kann einem Mann narurlich nicht passieren, und ich bin der Meinung, daß es irgendwie unfair ist ­ es gibt keine Chancengleichhelt,

weil ein Mann nie in diesem Sinn eine Familie hat" (Homans 1967, S. 92). Wenn auch ein Mann im biolOgischen Sinn keine Kinder bekommen kann, so kann er sich doch an der Kindererziehung bereiligen und dafür Verantwortung überneh­men. Diese Möglichkeir wurde von keinem der Befragten in Betracht gezogen. Thre Einstellung zur Beförderung weiblicher Manager war dieselbe: Prauen, so meinten sie, würden ihre Laufbahn unterbrechen, sobald sie ein Kind hätten, auch wenn sie eine noch so gute Posirion haben. Ein männlicher Topmanager kommentierte das so:

Die Manner habeo rue besseren Stellen, weil rue Frauen Kinder kriegen und dergleichen. Ich glaube nicht, daß Männer unbedmgt selektiv belorden werden, sondern das Lehen bnngt es mit sich, daß Frauen eher weggehen und heiraten und ,ich um ihre Familie kUmmern und deshalb mre Karnere nieht glau verläuft. ""enn sie wieder zu arbeiten be· gionen, mangelt es ihneo an Erfahrung oder an Ausbildung, und letztlich is! bel der Aus· wahl der Bewerber nicht ausschlaggebend, ob es sich um elOe Frau oder einen Mann

sorge" gegenüber Ihren weiblichen Angesrellren, aber dic meIsten Sahen derarnge Fragen als Teil ihrer Aufgabe, herauszufinden, inwleweir die Bewerberin eine \'crJilllichc Kullegin sein wiIrde. So meinte ein Manager: "lch gebe zu, daß diese Frage in den persönlichen BereIch geht, aber ich glaobe, man muß diese Umstän­

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B. TRUDEAU

OOONHSBURYeoPi"rlghe 1985 G. B. Trudt:au. Wit:dergabe mIt Genehmlglln."( dt:s Umvt:rsal Pce5s Srndie3lC. Alle Rechte vorbehalten

handelt, ~ondero wa~ sie in Ihren Joh einhringen hinnen. Es giht z.B. zwei Bewerher, einen Mann und eme Frau. Die Frau war aus familiären Gninden drei Jahre zuhause, der Mann hat durchgehend gearbeJlet. Weno dlt: heiden im ührigen gleich qualifiziert slOd, bekommt ohne Frage der Mann rue Stelle. (Humans 1987, S. 95)

Die wenigen Frauen, die leitende Managememposten innehatten, waren kin­derlos, und einige von denen, dJe später Kinder haben wollten, sagren, daß sie ihren Posten aufgeben und sich dann eventuell umschulen lassen würden.

Eine 1992 ln East Anglia umcr weihlichen Fiihrungskräften durchgeführte Untersuchung brachre :ihnliche Ergebrusse (Verne}' 1992). Praktisch alle zwei­hundert interviewren Frauen nanmen die Prvbleme der Kinderberreuung als schwierigste Herausforderung für hauen, die eine erfolgreiche Managemem­karriere amrreben. Die EinrlchrunK von Kinderknppen am Arbeitsplatz wurde von vIelen als wichtlgsre kurzfristige Verbesserung angesehen. Bel nur zwei Pro­zent der umersuchten Firmen jeduch standen solche Einrichrungen zur Verfü­gunK·

Wie sollen u·ir diese ErgebnIsse JOterpretleren~ \"(.'erden dJe Berufschancen der Frauen vor aUem durch Vururteue der Männer behindert? Eirtige Manager waren der Memung, daß Frauen mit Kindern keine bezahhe Arbeit suchcn, son­dern sIch der KindererzIehung und dcm Haushalt widmen solleen. Die meisten aber akzeptierten das Prinzip. daß Frauen die gleichen Karrierechancen wie Man­ner haben sollren. Ihre Vorbehalte hatten weniger mit der Arbeit selbst als viel­mehr mir den häusuchen Verpflichtungen. die die Elrernschaft mit sich bringt, zu tun. Solange in der Bevölkerung die Meinung vorherrscht, daß die e1tcrlichen Aufgaben ,ticht zu gleichen Teilen von Vater un(l Mutter wahrgenommen werden können, werden sich die PCClbleme der unselb~ündig beschäftigren Frauen nicht ändern. Wie ein Manager bemerkte, "bringt es das Leben mit sich", daß Frauen im Vergleich zu Minnern wesentlich schlechrere Karnerechancen haben (Cockburn 1991).

351

_ Arbeit und Wü1.schaftsleben

Die Gfeichbehandlungsgesetzgebung

1970 ""'lIrdc IJn Verellugten Korugreich ein G1Clchbehandhmgsgeserz verabschie­det. Diesem Gesetz zufolge ist es rucht zulassig, Manner und Frauen für die gleIChe Arbeit uuterscrueooch zu entlohnen. Der Worrlaut, rrut dem dieses Pnn­zip festgcschfleben wurde, war jedoch 50 vage, daB vIele G'nternehmer einfach die SteUenbezeichnungändenen, um "unterschiedlichc" Arbeiten ftir Männer und Frauen zu schaffen; dann war das Gesetz ruchr anwendhar. Die Europäische Ccmdnschaft verabschiedete 1975 ein wirksameres GJeichbezahlungsgeserz, das das sogenannte "Prinzip des gleichen Entgelts" vorsah, NLchr uur die "gleiche Arbeit", sondern "gleichweruge Arbeit" soUte gleich bezahlt werden.

Zwischen den beiden Formulierungen besteh.t ein wesenclicher Unterschied. Die europaischc Ges.erzgebung bedeutet nämlich, daß Frauen, die eine der Man­nerarbelt gleichwcmge, von dieser jedoch getrennte Arben vernchten, rue Gleich­wertigkeit sO'l,l.;e die gleiche Hezahlung für sich 10 Anspruch oehmen können. Die bnrische Regierung wurde tatsächlich vor den Europätschen Gerichrshof "jtien, weil das brinschc GleichbehandJungsgesetz rdanv schwache Bedingungen for­mulierte.

C,:; ist jedoch zweifeJhafi:, inwie\\'Clt diese Gesetze in der Praxis Ausv.ukungen auf die Beschafrigungsstruktur hauen. Die britische Gleichbch.andlungs­kommission har einige Fälle ungesetJ'.licher Diskmninierung weiblicber Arbeits­knifte aufgegrIffen, dIe in der Öffenrlichkeit ziemhches Aufsehen erregten. 1989 hat z_B. eine Gruppe weiblich.er Schreibkräfte und Sekretirinnen der Uoyd's Bank einen Prozeß \'or dem Arbeitsgericht gev.·onneu; die Gruppe hatte gehend ge­macht, daß ihre Arbeit der eines mannliehen Boten gleichwertig sei, der böher eingestufr worden war.

Nur selten jedoch wurdcn solche Prozesse geführt und ge'l,l."Onnen. \,\'ie weit man bei dem Versuch, das Gesetz zu unterlaufen, gehen kann, wird am Beispiel einer rirma deudich, die elOe Scelle fUr einc "rugbyspidende mannliche oder weibliche rührung~kraft Im Markecingberelch" ausschrieb. DIe Annonce ware kelOesf~ll:; diskrimiruerend, argumentierte die Firma, weil e~ in Großbritannien dnch zwc'M weIbliche Rugbyclubs gäbe. Sie hat den Prozeß verloren (Neuberger 1991).

Niednglöhne und die Armutsfalle der Frauen

Es ist wenig überraschend, dar: da~ Durchschruttseinkommen \Con unselbstandig beschaftigt~n Frauen deutlich umer jenem von Männern liegt, obwohl sich der Cmersdued in den JelLten z\l,ranzigjahren etwas vernngert hat. Der Anteil weib­licher Arbeitskräfte in NledrigJohnberufsgruppen ist öberproportJünai hoch, aber :wch innerhalb em und derselben Berofsgruppe verdienen Frauen im Durch­~ch01n weniger als Manner. \'V'eibliche Bumkrafte verdienen z.B. In Großbntanru­en um vierZIg Prozent weruger als ihre männlichen Kollegen, und das Entgelt einer Verkauferin bcmigt nur siebenundfUnfzig Prozent des Gehalts eines Ver­kaufers.

Ein v.:esemlicher Teil der britischen Femen lebe In Armut, besonders j{"ne, die HaushahsvorsLl.Od sind. Der ProzentsalL der Frauen, clJe 10 Armut leben, ist in den letzten J',wei Jahrzehnren ständig gestiegen, obwohl der AnceJ1 der Armen 10

den sechziger jahren 'wruckgegangen und in den SIebziger Jahren gleich geblie­ben (und in den achtziger und fruhen neunzIger jahren wieder an~estiegen) ist.

Ein neuer Job: Hausmann

m Jonathan Rourkc_ 29, iSl seit ZWl:I­einhalh r~bre.n, selt der Geburt sei­nes Su~es Sam, Hausmann. Er h:n eine \'okschuliehrerausbJ1duo)l; und leht In Ilounslo\l', London. ­Warum haben Sie sich rur diellen Job entGchlollllcn? :MeIne [-tau umly hatte cmen Arbeitsplatz, auf den sie zuniekkehren konnte, und Ich harre kemen. Auch haue ich von memen Erfabrungen und WJrn be­ruilichen rumergrund her mehr ffilt

Jungere.n Kmdern zu tun als sie - sie untemchtet m der Unterstufe.

Der alte Job: Haufrau

D] Snezana Taylol, 36, ist seit funf lahren Ilausfr~u. Vorher h:l.t1e sIe CJne VIelfalt von befnsteten uod un befmreten Sekrecirinnenjobs, und sie har einen J(urs fur zwelspracruge Sd.Jelannnen ab~oh'len. Ibre Eltern st:lmruen aus dem früheren Jugosla­wien. Warum haben Sie sich für diese Arbeit entGchieden? leb wollle mir den Kinder daheim sein. Wievicl verdicnen Sie? Fur die

Wieviel verdienen Sie? Dlttkt rucht~. Doch beHiuft siel", dte Nnder­beilulfe auf L 41,20. Wie Gieht die Arbeit allS? Ich wecke Sam um ungef:ihr 7 Uhr fruh '.md Ziehe ihn an. Dtel Vormittage roe \'hche l~t er Ln der Kmdetgruppe; danach bole ich Ihn ;l.b und esse mir lr.rn zu Mlnag. Nach semem Ma­lags$ChJ:ifch~n neffen v.u mancbmal eml~ seiner freunde Im Park. Sam gehl er"."as spiter als andere Kinder seines. .AJters zu Ben, d:mllr Lindy mehr Zelt mir Ihm verbnngcn kann \'t'enn ich ihn zu 'einer Kinder­gruppe bonge, dann ist da Immer dfll:: große Gruppe von Munern, die rruremander reden, und Ich fühle mich dabei ziemlich als Außenseila. Genauso geht es nur bei der Grup­pe, dJe sIe noch immer die .\iuner­und Kinderwuppe nelUlen. W_ für ein Kind ist Sam? Wenn er Fremden begegnet, dann Ist er an­

7wel J(mJer bekommr man, glaube Ich, ungefähr L 70 im MonaL Wie sieht die Arbeit ;lUG? leh muß den Kmdern zu essen geben, ~Ie ",'a­

schen, auch um ihre Kleider kum­mern, SIe m roe Schule bnllßCn. sie zu Ihten Freizeilalui\ir.iten hrin~n,

ibnen beim Lesen oder beI der Auf­gabe helfen, aut ihnen spielen und ,te unterhal~n (~le lacht). Sie 7.U be­treuen, isr eine U1genehme Aufgabe; e~ 1,1 nur der Versucb, mit der Ran­zen HauS:Jrbeit und allem anderen zllre:chl ZlJ ~om'nen, der manchmal ein u·enig StrelI erzeugt. Ich muß mich auch um memen Ehemann Tlffiorhy kümmem; er Ist em Haukosrenkalkul~wr und hat sebr lange Arbeitszeiten. Wenn alle sehrelen und jammern und loben und nach ihrem Essen verlangen, und nut allem anderen. j~1 es manch·

fangs c:m werug ~chiJehrern, er fum­melt dann an einem Fleck auf seinem Finger berum, doch wenn tJ sich an die Sllu;lt!on gewühm haI, dann IST er ZIemlich lebhaft. i\1anehmal nehm~

ich ihn naeh Ilearhrow rrut, weil er von den F]uR":.I~ugen ra,:muen 1St.

Das beste dar<ltl ISt, ihm zuzu5eben, wie er heranw;khst - er plappen nun relativ v,eI, nnd noch vor einem Jabr hatte er nur seht "'·eruge sprachliche Au~druekmJuel zu. Verfugung. Wie würde Ihr idealer Job ausse­hen? Elgemhch mochte ich "nter­ochten, doch es. ISI "'"\mde.bar, zuhause bei Sam zu sem. Wie sieht Ihre Zukunft ;lUG? Im Augenhlick ~mdiere ich die Stellenan­zclgen, doch werden \\ir bald au.< un­serer Mietv.·ohnung in em Elge-n­heim llbersrooe1n; wenn er m die Schule kommt, dann \1-'erde ICh nucb ernsiliafl nm Arbeit umsehen mus­sen

mal ~ar meht so cmfach. Wie sind die Kinder? Tau)a ist funf und geht m die Schule. Sie Lsr ~ehr

~ufgeschlossen und hupft ,><.eme ber­um. Nataseha 1St drelemhajb, sIe "eichnet und malt ~me und 1St tln billchen schuchtemer. SIe Rehen schwimmen und 10 die Ballensthll1e. WaG wäre ihr Tlaumjob? \'I;;a~ Ich jer7t tue, 1St deneit meine beste Opu­on. Wie sieht Ihre Zukunft aus? Näch­sten ~P(embec kommt Narascha In

roe Schule, und lcb konnte \\'1eder eme TeJ1"CIl~rbelt annehmen ouer sonst eme ArbeIt, die Ich nur der Oe­treuung der Kinder vereinbaren kann.

ImervJe"";~ von Peter Cam, Illustra­tionen von Anne i\Iorrow Quelle: G"'t;row/'l, 6. Mirz 1')1)6, S. 3.

353

Von der Armut betroffen sind vor allem Frauen mir Kleinkindern, rue eine ständige Betreuung brauchen. Sie sehen sich einem Dilemma gegenüber: Eine Frau, die eine angemessen bezahlre Stelle bekommt, kann schwere finan/'ielle Einbußf"n erleiden, wenn sie fLir rue Betreuung ihres Kindes bezahlen muß. Wenn sie jedoch eine Teilzeüarbeit annimmt, dann sin kt ihr Einkommen so schnell wie ihre Karriere­chancen, und sie verlierr auch andere wlrtschafdiche Vorteile, wie etv.'a Pensions­leiten, die Vollzeitbeschiiitigten zustehen.

Wie ist die Lage m anderen Lindern? Als Vergleich soll Schweden hernngezo­gen werden, wo umfangreichere MaHnahmen als in Großbritannien ergriffen \.vurden, um zur Stärkung der wirtschaftlichen Srellung von Frauen beizutragen.

Die Lage in Schweden

Was die GcselZgebung zur Forderung der GlelChheit der Geschlechter angehr, ist Schweden in der westlichen Welt fuhrend (Scriven t 984). In Sch-..:r.reden ist der Anteil der unselbstandi~ beschäftigten Frauen besonders hoch: 1986 standen acht­zig Prozent aller Frauen zwischen sechzehn und vierundsechzig in irgendeinem Arbenwerhälmis (Allmän/manad statistik 1987). Wer ein Kind bekommt, erhält wihrend eines ZeitIaumes von einem Monat vor bis sechs Monate nach der Ge­burt neunzig Prozent seines normalen Gehalts. Die sechs Monate nach der Ge­burt können als Karenzzeit zwlschen den Elrern au(geteilt werden. Auch wäh­rend der darauffolgenden hunderrachrzig Tageo können enrweder vom Vater oder von der Mutter Beihilfen in Anspruch genommen -...verden. Zur Betreuung von Schulkindern bis zu zwölf Jahren stehen auch während der Schulferien zahlrei­che Einrichrungen zur Verfügung.

Diese Maßnahmen scheinen im Hinblick auf dic Aufst.ieg~mögliUlkelten von frauen Iß einflußreiche Positionen teilweise erfolgreich gewesen zu sein: Ein Viertel der schwedi~chen Parlamcntsabgeordnelen sind beispielsweise Frauen, was im /ßternationalen Vergleich einen der höchsten Prozentsätze darsrellt. Im Topma­nagcTeßl VOll Unternehmen sind jedoch nur wenige Frauen vertreten, und in den meisten übrigen Berufen ist der Frauenanteil nicht wesend.ich höher als in anderen westlichen Gescllschaften. 1985 waren fUnfundvterzig Prozent der Schwe­dinnen teilzeitbeschäftigt und hatten somit schlechte t\ufstiegschancen, weniger Sozialleistungen und gerinRere Pensionsansprüche als Ganztagsbeschäftij:!;te (nur fünf Prozent der schwedischen Männer zwischen sechzehn und vierundsechzig haben eine Teilzeitarbeit). Viele Frauen wollen ihre Kinder nicht so lange in den KrIppen und Horten las~en. \vi.e es eine ~nztagsa-rbeiterfonkrn würde, und die Frauen tragen nach wie vor die Hauptveranrworrung fur Haushalt und Kinderer­ziehung. Paradoxerweise tragen die Kinderbetreuungseinrichtungen dazu bei, daß die Manner vielleicht das Gefühl haben, sich in geringerem Ausmaß an der Kin­derer/'iehung beteiligen zu müssen, als dies sonsr der Fall wilre.

Die Hausarbeit

Die IIau6arbcil in der K'egenwärtigen Form gibt es seit der TrerUlung von Heim und Arbeitsplatz (Oakley t 978). Das Heim entwickelte SICh eher zu einem 0([ des Konsums und hörte auf, eine Produktionssratte 'lU sein. Die Hausarbeit wur­de "unsichtbar", weil unter "richtiger" Arbeit immer mehr die direkt bezahlte Arheit verstanden wurde. Im Verlaufe det Abspalrung der EI'\1ierbstätigkeit vorn Helm gab es weitere Veranderungen. Ehe die durch die Indus[rialisierung her-

Arbeit und Wirtschaftsleben

vorgebrachren Erfindungen und Geräte in den Haushalt Eingang fanden, war die Hausarbeit hart und mühevoll. Der allwöchentliche Waschtag stellte große kor­perliehe Anforderungen. Die At9'tag WashIng Mafhirrr Ca. füh([e eine Untersu­chung durch, um herauszufinden, \.VaS Waschen im 19. Jahrhunderr bedeutete, und kam zu dem Schluß, daß "ein Waschrag gleich ermüdend war wie fünf Mei­len zügiges BrustschWimmen, wobei die Armbewegungen und die allgemeine Nässe die Parallele venollständigten" (zitiert in Hardymenr t987, S. 6).

Die Einleitung von warmem und kaltem Fließwassec in die Haushalte bedeu­tete döls Ende vieler zeirraubender Arbeiten; 2uvor hane man das Wasser in das Haus tragen und erhitzen müssen, wenn man Heißwasser wollte. Die Einleitung von Elektrizität und Gas machte Kohle- und Holzöfen überflüssig, und lästige, Lmmer wiederkehrende Arbeiten wie Holzhacken, Kohlenschle.ppen und Ofen­reinigen fielen größtenteils weg. Geräte wie Staubsauger und Waschmaschine er­leichterten rue schwere Arbeit. und bei sinkender Familiengröße gab es weruger Kinder 2U versorgen. Überraschenderweise Jedoch ging der durchschnittliche Zeitaufwand von Frauen fur die Hausarbeit nicht wesendich zurLick. Der Zeit­aufwand nicht berufsrätiger britischer Frauen für die Hausarbeit ist in den letzten fünfJ.:ig Jahren ziemlich konstant geblieben. Die mechanischen Ilaushaltsgenite haben z\.Var ein paar schwerere Arbeiten erleichtert, aber dafür sind neue Anfor­derungen hinzugekommen. Die Kindererziehung, das Einkaufen und die Zube­reitung der Mah12eiten sllld zeitaufwendiger geworden.

Die Tarsacbe, daß immer mehr Frauen eIße außerhäusliche Be~ehäftigung

annahmen, hat die Hausarbeit merklich beeinflußt. Verheiratete berufstätige Frauen machen weniger Hausarbeir als andere, obwohl sie beinahe ausnahmslos für den Haushalt hauprveranrwortlkh sind (siehe Tabclle 12.1). Ihre Tätigkeit ist narur­lieh zeidich anders organisiert. Sie verrichten am frühen Abend und an den Wo­chenenden mehr Hausarbeit al5 Nur-Hausfrauen.

Die unbezahlte Hausarbeir stellt einen enormen WinschaftsfaklOr dar: Schät­zungen zufolge werden funfundzv.>anzig bis vierzig Prozent des in den Tndustrie­ländern erworbenen Vermögens durch f Iausarbeir erwirtschaftet. Die Hausarbeit

~~ 1L~

,Das - Bug.eleirell. DIl-bügeln-Hemden. Ich-mit-drn-Madcbell-auJgebe". O.k.?"

355

QmJk BritlshSuCla] ;\tT1tudcs Survey, SocJa: & Communir)' Plan,jJlg Resea:::ch. Au, \',"if/ITrmds,1096. :;. 216.

Tabelle 12.1 ./·iI:f!eil/llt~ der HauJbailspflnhitl1 bei Pa.artn, Großbn/"nmw, 1994 (ilJ Prozent)

?~---~~----~--- Arbeit und Wif1schattsleben

Die Analyse der Arbeitslosigkeit

Die Inrerpretatlon der offiziellen Arbcitslosenstarisriken ist aUetdin~ keineswegs einfach (siehe Ahh 12.2). Arbeitslü~igkeit iSt nicbt kkht zu defirueren. Sie hedeu­tet "keUle Atheit hahen". Do{;h "Arbelt" bedeutet hier "bezahlte Arbeit" und "ArbeiT in ein~r >lnerkanmen Be.~ch:;jFciglln8'" Personen, die als offizieUe Arbeits lose vorgemerkt sind, kannen s;ch dennoch verschiedenen Formen dcr prodllktl~ yen Akovirät widmen, wie erv.·a Arbeiten Im Haus oder im Garten. Viele Lellle sind teilzeitbeschäfrigt oder nur ~elegentlich gegen Entgelt beschafcigt; Pcnsiorusten werden nicht als "arbeitslos" gezählt.

Viele Ökonomen sind der .1\uffassung, daß die ühliche ArbeItslosenrate delrch zwei andere Maße ergänzt werden sollte. "Entmutigte Arbeitskräfte" smd lene, dic gerne einen Job hatten, allerdings die Hoffnung auf bczah:tc Beschäfngung aufgegeben haben, und daher auch ihre Arbeitsuche beendet hahcn. "Unfreiwil­lig Teilzeitbeschäftigte" sind Leute, die keincn Ganzrags;ob finden k()nn~n, oh­wohl sie einen hahen möchten. Der Einschluß dieser Maße liefert ein vollständigercs demographisches ßIld der Arbeitslosigkeit (siehe Abbildung 12.3).

6)IIJO 100 tOO jl!()

100 4

49 25

1) 2) 3) 4~5) Wisd'cn und Dugci" 4/ 32 18 I I ErHschelllung uber das Ahendeo~cn 27~2 35 ] 1 Versorgung .<ranker Familicnmirgüeder 2.2 26 45 Einkauf der LebensmmE[ ZO 21 52 kleine Haushallsrepara!urcll 2 1 18

Die IfJO PrOZeJil H!)f,dlwßrIC ml, dlf 1Ilrht g/I/I//ll'ortel hf/bell, m/{! jr!w Pali" !Je! dm"n tJr( bd"tjJfnM Ali~i1('f !·"Ji f;'l/rr ;/'111"11 Pfl'r~il erifdig1 Il'lmk I) Immer rlie l~r~ll

2j lT.Cl;1 die rr-Ju

J.l ungcfahr l'l gleIChen Anteilen, oder belde ~u5ammc•. 4) mci~[ der .\Ianll :; ,I Immer du i\laon 6) aLe Paare

Es gab im Jahr 1993 in den Ländern der EU 4 Millionen entmutigte Arbeitskräfce

1>rutzt ilie resuiche Wirtschaft, indem sie G!2.tisillensclei::.tu11gen 7Ur Verfügung stellt, von denen der Großced der Enverbstätigen abhängig ist.

Haw:.frauen (und heute. auch gdegemlich Hausmanner) haben keine bezahlte Arbeit. III der Statistik werdcn sie allerdmgs nicht als "arbeit,los" erfaßt. Was hoHt t:jgen~lCh "ArbeItslosigkeit"? Das iSt eine der Fragen, dlC wir im nächsten Ah~dlnirt behandeln werden.

Arbeitslosigkeit

Im Verlauf des 20. jahrhundens haben die Arbeitslosenraten beträchtlich ge­[ > ~ch}Vankt. In den "restlichen Ländt:rn erreichte die ARBEITsL05IGKETT In detl frühen 30er Jahn:n I IllciJslwerte; in Großbr.tannien waren etwa 20 P:ozent der Arbeimehmerschaft ohne Arbeit. In der Nachkriegszeit war die W'lrtschaftspoU_ tik in Europa und In drn Vf'rnnigten Staaten stark VOn den IJecn Jes Ökonomen John Maynard Keynes beeinflußt. Kernes glaubte, daß Arbeirslo~igkeit auf feh­lende Kaufkraft zurückwfuhren 1St; RegJeruugt:n können intervenieren und das Nachtrageru\"eau e!'ner Ökonomie anheben, Was zur Schaffung neuer Arheit:!­plätze föhn. Vlde gelangten Zur überzeugung, d,lß staatliche Eingriffe ins \X'irr­~chaft~[eben bedeutcten, daß hohe Arbeitslosenraten der Vergangenheil angehör­ten. Die VollbuchiijtiglJrI,li wurde in praktisch allen westlichen Ges-dlschalten Ziel der RCglcr1.lngspolirik. Bi~ in di~ 70cr Jahrc schien diese Pond" erfolgreICh zu ,ein, und das \Xlinschaft.'lwachstum WJr mehr oder weniger stetig.

Doch f;cit un~cf'.ihr fI~nfzehn J2.hren sind die Arbeitslosenratcn nach oUen p;esehr.ellt, und der Keynesianismus wurde als wirtschaftliches Steuerungs_ mstrumem weitgehend aufgegeben. ,\\Iihrem\ I.lngefihr eines Viertdjahrh\lnderts nach dem bveitc:n Weltkrieg betrug die Arbeitslosenrare in Großhritannien wem­ger als 2 Prozent. In den frühen aDer Jahren scieg sie auf 12 Prozent an, fiel dann 'l.'ieder, um gegen Ende des Jahrzehnt, wieder anzusteigen. 1995 lag sie bei 11 Prozent.

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de~ A'tlf!lt!lm~""l~ta.us

Quelle Pele, 5moo;r, Unefff)IOjf'fIenl EcorK!mlc Theoly 11M Evtde"cc (O><lord Blilckwell. 1987). S. 2

357

Spanien

IAustrahen

Kanade lbeschafligt . entmuligte GfOßbntanmen I I unfreIWillig ~häl'l:igte als Sd\weden(1992) I Arbeilslmjf· ~erschlede­ USA _.- -1

• Arbellslosendem.1993 BI entmullgte Arbeitskräfte

Daul!OChlllnd:D Aus The JulI. 1995, o unfreiwillige Al'beltskräfle

JapanS.92 .:l

und 15 !'.fillionen unfreIwillig Tei.lzeitbeschäftigte, verglichen mit den 34 Millionen offiziellen l\rbeitslosen (Tht EW/Jl)l1Iisl, 22. Juli 1995, S. 92). Werden in Japan die beiden zusätzlichen Kategorien eingeschlossen, dann steigt die Gesamt­arbeir:;lo:;igkeit auf mehr als das Doppelte.

Die unterschiedliche Berroffenheit durch die offiZiell definierte l\rbeitslosig­keit in Großbritannien ist gut belegt. Die Arbeitslosigkeit ist bei Männern höher als bei Frauen und hei ethnischen Minderheiren höher als bei Weißen. Eilinische Minderheiten haben auch wesentlich höhere Raten der LangzcitarbcirsJosi~kcit

als der Rest der Bevölkerung. Der jüngste Anstieg der Arbeitslosigkeit hat vor aUem junge Leute gel:Ioffen, wIederum bei den Minderheitengruppen in stärke· rem Ausmaß als bei Weißen. Die ArbeitsJosenrate jener im i\1rer zwischen 16 und 19 hegt bei ungefahr 20 Prozent. In gewissem Ausmaß ist die" ein Artefakt, da sich dahinter auch Studenten verbergen, die telJzeitbeschäfrigt sind oder Gele­genheitsarbeiten nachgehen. Allerdings zählr em berri.ichtlicher Anteil der jungen Leute zu den Langzeitarbeit.o;losen, vor allem die Mitglieder von Mjnderheiten­gruppen. Mehr als die fhlfte der männlichen jugendlichen Arbeitslosen ist be­reits ~e.it sechs Monaten oder länger arbeirslos.

Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit kann auf jene, die gewohnt siud, sichere I\rbeitsplätze zu haben, äußerst versrörend wirken. Offensichtlich il'it die unmittelbarste Folge ein EinkornrnensveriusL Dessen Auswirkungen sind auf­grund der unrerschiedlichen Höhe der Arbeitslosenunterstützung in verschiede­nen Ländern unterschiedlich ausgeprägt. In Großbrirannien etwa erhalten we Arbeitslosen Langzeitunterstützungen. Arbeitslosigkeit mag hier zwar akute fi­nanzielle Schwierigkeiren verursachen, beeinträchtigt jedoch nicht den Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu den anderen Leistungen des \X'ohlfahrtsstaa­tes. In d.en Vereinigten Staaten allerdings, in Spanien und einigen anderen west!.J­ehen Ländern \I:i.rd i\rbeit:<ilol'ienuntersriItzung nur für einen kürzeren Zeitraum gewährt, und d..te 'W-utschaft.hche Belasnmgder Arbeitslosen ist entsprechend größer.

Arbeit und Wirtschafts/eben

Warum sind die Arbeitslosenraten gestiegen?

In den letzten Jahren haben die Arbeirslosenraten in westlichen Ländern ge­schwankt, und zwischen verschiedenen Gesellschaften best.anden berrachthche Unterschiede. Außerhalb des \lrestlichen Kulturkreises war die Arbeitslosigkeit In

Japan stets geringer als anderswo. Die hohen Niveaus der Arbeitslosigkeit, d..te man während der letzten belden Jahrzehnte in vielen westlichen Staaten vorfin~

dec, können vermutlich durch eine Komhination von Faktoren erklärt werden.

Ein Wlchtiges Element ist die Verschärfung des internationalen Wettbewerbes in Indus[riezweigen, auf denen der Wohlstand des Westens bisher beruhr hat. 1947 erzeugten die Veremigten Staaten 60 Prozent des auf der g:.utzen W"elr produzierten Stahls. Heute beträgt dieser Wert nur mehr ungefahr 15 Prozent, wahrend die Stahlproduktion in Japan und m Ländern der Dritten Welt um 300 Prozent angestiegen ist. Zu nennen sind hier vor allem Singapur, Taiwan und Hongkong - die heute die japanischen Preise unterbieten. Beginnend mir der "Ölkrise" Im Jahr 1973 (als ~ich die wichtigsten ölprodU1.ierenden Länder zusammentaren und gemeinsam den Ölpreis anho­ben) gab es mehrere Zeitpunkte, zu denen die Weltwirtschaft entwedet einer einschneidenden Rezession oder doch einer Verlangsamung des Wachsrums unterworfen war. Der zunehmende Ein.o;atz der Mikroelektronik in der Industrie hat die Nach· frage nach Arbeitskrafr geschwächt. Mehr Frauen als Jemals zuvor suchen bezahlte Arbeit mit dem Ergebnis, daß mehr Leute um die beschränkte Anzahl verfiigbarer Arbeitsplätze konkurne­ren.

Es ist unklar, ob die gegenwänigen hohen Arbeitslosenraten in der unmittelbaren Zukunft fortbestehen oder sogar noch ansreigen werden. Eiruge Lander scheinen in einer besseren Position zu sem, we Arheitslosigkeit in großem Maßstab zu bekämpfen, als andere. Die Arbeirslosenraten wurden in den Vereinigten Staaten mit mehr Erfolg gesenkt als in Großbritannien und anderen großen europäischen Ländern; vielleicht deshalb, weiJ die schiere U;lirtschaftskraftdes Landes ihm mehr Macht auf dem Weltmarkt verschafft als kleineren und krisenanfaIligeren Öko­nomien. Andererseits konnte es auch scin,daß der außergewöhnlich große Dlenst­leisnmgssektor in den USA ein größeres Reserv.lLr neuer Arbeitsplätze darstellt, als in jenen Läntlern zur Verfügung steht, wo traditionellerwelse ein GroßteiJ der Bevölkerung In Produktionsbetrieben besehäftigt war.

Arbeitslosigkeit in Europa und in den USA

~'ährend der achtziger und der frühen neunziger Jahre brachre die US-amerikani­sche Wirtschaft wesentlich mebr Jobs hervor als die Länder Wesreuropas. Im Gegensatz zu weitverbreiteten Srereotypen waren dies nicht vor allem sogenann­te "f\.bcJobs", schlechtbezahlte Arbeiten, wie z.B. der Verkauf von Hamburgern Vier von fünf der neugeschaffenen Jobs in den USA waren Arbeitsplätze für Mwager odet für profmionals.

Warum entstanden in tlen europäischen Lmdern weniger Arbeitsplätze? Man· ehe argumentieren, daß der wichtigste Faktor dabei der hohe Mindestlohn W:l.t, den einige der führenden europälschen Landern, wie z.B. Franlcreich, gesetzlich

359

2 --'

verankert haben. Ein wichtigerer Grund könnte die Existenz von Besc:hränJruo.., gen der Produhrnärkre sein -der Märkte tUe den Verkauf von Gütern und Dienst­leistungen. So machen z,ß. dIe ArbeirspJätze im Ei.ru;eJhandeJ zehn Prozent aller­

Jobs 10 den industrialisierten Lindern aus. Der Einzelhandel war eIn Wlchtiger Motor der Arbeitsplarzbesl:haffung in den USA; in Frankreich i:;t Im Gegensatz dazu die Beschäftigung im Emzelhandel geschrumpft. Dies ist vermutlich auf die suengen Regulierungen ubet die Ansiedlung von Einkaufszemren und über die Ladenschlußzeircn zurückzuführen - in den USA sind manche Ceschii.fte fund um die Uhr geöftnet.

Hohe ArheitsJosenraten haben Kmiker dazu veranlaßr, üher die Rolle der bezahlten Arbeit In unserem Leben im allgemeinen nachzudenken. Vielleicht werden Ylde von um cine andere Beziehung zur Arbeit gev.:innen, als jene, die bisher vorherrschend war? :\15 Abschluß dieses Kapitels werden 1,l,'U diese Frage­~rellung eröncrn.

Die Zukunft der Arbeit

Portfolio-Arbeit

1m Licht der Auswirkungen der globalisierten Ökonomie und der Nachfrage nach "flexiblen" Arbeitskräften haben manche SozIOlogen und Ökonomen nahege­legt, daß in der Zukunft mehr und mehr Leute zu "Portfolio-Arbeitern" werden könnten. Sie wUrden über ein "SkiJj-Purtfolio" verfugen - eine Anzahl verschie­dener Qualitikationen und Befahigungen -, die sie dazu einsetzen können, um \vährend des Verlauf~ ihres Arbeitslebem sich zwischcrJ verschiedenen Jobs hin­und herzubewegen. Nur ein relativ kleiner Teil der Arbeirskrafte wi~d Habile "Karrieren" im heutigen Sinn haben.

Manche sehen diese Bewegung hin zur Portfolio-Arbeit in emem positiven Lehr: Die Arbeirskräfte werden nicht mehr Jahr für Jahr ein und denselben Jnb verrichren mussen und werden In dJe Lage versetzr, ihr Arbelt~;]eben kreativ zu planen (Handy 1994). Andere vertreten jedoch die Memung, daß "Flexibtlitit" in der Praxis bedeutet, daß Organisationen mehr oder weniger willkürlich Leute einstellen und enclassen können, wobei sie jegliche Gefühle der Sicherhel[ auf seiten der Arbeirskrafte unrerhohlen. Arbeitgeber werden zu ihren Belegsehaften vor allem kurzfrisage Bmdungen eingehen und werden in der Lage sein, Sozial­leistungen und Firmenpensionen auf ein Minimum zu senken.

Eine neuere Unrersuchung des Silicon Valley in Kalifornien behaupret, daß der ökonorrusche Erfolg dieses Gebietes bereits auf den Ponfolin-Skills der dor­tigen Arbeimehmcrschaft beruht. Die Ausfallsrate von Unternehmen im Silicon Valley ist sehr hoch: Alljährlich werden ungef.ihr 300 neue Firmen gegrlindet, doch eine ebenso große Zahl geht pleite. Die Arbeitnehmer, uO[er denen sich ein hoher Anteil von professionaä und Tecumkern befIndet, haben gelernt, damit zu leben. Das Ergebni~, so die Auroren, isr, daß Talente und Geschicklichkeit rasch von einer Firma zur nächsten überwechseln und dabeI anpassungsfahiger wer­den. Techniker werden zu Konsulenrc:n, Konsulenten werden zu Managern, An­gestellte werden zu Selbnän<llgen:'" und wieder zuruck (Bahrami und Evans 1995).

Eine solche Situation ist heute sicherlich eher die Ausnahme als rue Regel. Nach den jüngsten Beschaftigungssrntisriketl verbringetl Vollbeschaftigre in Groß­britanruen und in den USA - die die am meisten dere~.l1Jerren Arbeitsmärkte

Arbeit und Wirtschaftsleben

unter den industriellen Ländern haben - soviel Zeit in jedem einzelnen Job wie vor zehn Jahren (The Economist, 21. Mai 1995); der Grund dafür scheint zu sein, daß die Manager erkannt haben, daß ein hoher Personalumschlag teuer ist und die Arbeirsmoral unrergräbt, und daß sie es vorziehen, ihre eigenen Angestellten umzuschulen statt neue einzustellen, auch wenn dies bedeutet, daß sie über die ortsüblichen I hhne hinausgehen müssen. In ihrem Buch BuHt /0 LasJ (1994) ha­ben james Collins und Jerry POfTas 18 amerikani1:iche Unternehmen analysiert, die seH 1926 ständig eine uberdurchschnittliche Leistung im wirtschaft1Jchen Weubewerb erbracht haben_ Sie fanden, daß diese Unternehmen keineswegs ei­ner hin-and:fin-Pnhtik huldigten, sondern ihre Belegschaften geradezu umsorp;­tl':fl. Nur zwei dieser Firmen brachten im untersuchten Zeirrawn einen L'nterneh­mensleiter von außen in die Firma, verglichen mit 13 der weruger erfolgreichen Unternehmen, die im Rahmen dieses Prolektes ebenfalls untersucht worden wa­ren.

Diese Befunde widerlegen die Ideen jener, die vom Aufstieg der Portfolin­Arbeit sprechen, nicht. Die Verkleinerung von Organisationen ist eine Realität; dadurch werden Tausende von Arbeuskräften, die der Meinung gewesen sein könnten, sie hätten eine Arbeir auf Lebenszeit, In den Arbeitsmarkt entlassen. Um WIcder Arbeit zu fmden, sind sie dann vielleicht gezwungen, ihre Qualifika­tionen 7.U enNrickeln und zu dive~ifizieren. Viele, vor allem ältere, Leme müssen dann vielleicht feststellen, daß sie nie mehr Arbeit fmden, die mit ihrer \'orheri­gen vergleichbar wäre, oder auch, daß sie nie mehr irgendeine bezahlte Arbeit finden können.

Die abnehmende Bedeutung der Arbeit

,Jedermann hat das Reeht auf Arbeit" verkündet die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Vereinten Nationen llilterzeichnet wurde. Damals bedeutete dies das Recht auf einen bezahlten Job. Wenn allerdings der Trend in Richtung MassenarbCltslosigkeit sich als dauerhaft erweist, d:wn könnte es sich hc:raussrellen, daß dieses ZIel in unerreichbare Ferne rückt. Vielleicht sollten wir das Wesen der bezahlten Arbeit neu überdenken, V()f

allem rue zentrale Bedeutung, die Sie sehr häufig im Leben von Menschen hat. ArbeitslOSigkeit wird \'on Arbeirgebern wie von Arbeimehmern als neganves

Phänomen aufgefaßt, doch sollte diese Sichtweise nicht unüberprüft hleiben, Schließtich Hiufr die Gleichsetzung von "Arbeit" mit "bezahlter Be~chaft:igung" auf eine merk\l.-'Ürdige Emsehränkung hinaus. Wenn jemand aus Interesse statt wn materieller Vorteile wegen enorme Anstrengungen auf ein Hobby verwendet, wie etwa die Pflege eines schonen Gartens, warum sollte das dann nicht als Ar­beir aufgefaßt werden? Das Wort "Arbeltslosigkeit" wurde erst im späten 19. Jahrhundert zum Bestandteil unserer Sprache; vielleicht könnre es im sparen 20. jahrhundert verschwinden, wenn man aufhört, jene, die keinen Arbeitsplatz ha­ben, mit den "Arbeitslosen" gleichzusetzen. Warum sollte man nicht, wie einige Beobachter vorschlagen, alle Arbeirslosen als Selbsrandige klassifizieren und die Bedürfngen unter ihnen finanziell unterstützen, damit sie den von ihnen gewähl­ten Aufgaben nachgehen hinnen?

In allen mdustrialisierren Ländern wird die durchschnittliche Länge der Arbeits­woche allmählich reduziert. Viele Arbeiter leisten noch immer sehr viele Übet­stunden, doch einige Regierungen haben neue Beschränkungen der zuläSSigen Höchstarbeitszeit eingeführt. In Frankrcjch etwa sind Überstunden auf ein Mari­

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mum von 130 pro Jahr bcschränkr. In den meiHen Ländern i Rentenaher 65 Jahre, doch scheint es einen Trend in RIchtung ci der durchschnittlichen Arbeüskarriere zu geben (Blyton 1985). VI den mehr Leure aus dem Arbcirskräfrepool im AJter von 60 J fruher ausscheiden, wenn sie es sich leisren könnten.

Wenn die Zeit, die auf bezahlte Beschäftigung aufgewendet schrumpft llnd wenn das Bedürfnis, einen Job zu haben. WeIDl

dann könnten Berufskarrieren in drastischer Weise reorganisiert weise konnten das Teilen eines Vollzeitarbeitsplatzes Oob-sharing)' xible Arbeitszeiten unmer weiter verbreiret werden. Einige Bet beitswelt haben vorgeschlagen, daß t"lnC Are von Freisemesrer {: sie auf den Universitäten existieren, auch den Arbeitern and währe werden, so Jaß jedermann das Recht hätte, sieh zum Zwec' dung oder anderer Formen der PersönJichkeirsenrwickJung ein Jal __ , men. Vielleicht werden mehr und mehr Individuen sich auf dieJ' verlegen, die die Arbeit In den verschiedenen Stadien ihre!> Lebens" ner Welse Hrukturien (bezahlr, unbezahlr, ganzrags oder halbtags ren sich z.B. manche Leute entscheiden, e~t nach einer Periode Ausbildung, gefolgt von einer weiteren, die z.B. dem Reisen gewi, Arbeitskräftereservoir einzutreten. Viele Leute konnten es auch ganzes Leben lang- nur teilzeitbeschäFcigr zu sein, start :;tuf Grund GanzragsarbempJarzen d2zu gezwungen zu sein.

Einjge neuere UmFragen über die Arbeitswelt legen nahe, daß s, existierenden Bcdingungen Teilzeirarbeirer über höllere Arbeitszufri,-~" fugen als \lnJlbeschäftigte. Das m2g deshalb sein, weil die meisteQ bcschiiftigren Frauen sind, die sich von ihren Karrieren weruger c~

Männer oder die besonders froh sind, der Emrömgkeit des Haushalts cn, Ztl k()nnen. Doch scheint Teilzeirarbeh auf viele Personen gerade deshalb­besondere AnZIehungskraft auszutiben, weil sie dadurch in die Lage versetzt den, die bezahlte Arbeir mit anderen Aktivitären zu vereinbaren und daher abWfchs/ungsreicheres Leben zu führen. Einige Leure konnten es vorZIehen, ihtÄ­Leben mit einer Arr "Spitze" zu beschließen, indem sie sich von ihren jugend­,ahren bis zum mittleren Aher gänzhch der bezahlten Arbeit widmen, um sich dann viclleichr auf eme zweite Karriere zu verlegen, dIe ihnen neue Interessens~ gebiete erschließen könnte.

Der französische Soziologe und Sozialkriuker Andre Gorz hat argumemien, daß m der Zukunft die bezahlte Arbeit im Leben der Menschen eine immer weni­ger wichtige Rolle spielen 11,.1rd. Gorz grundet seine Auffassung auf eine kriosche Einschätzung der Marxschen Schriften. Marx glaubre, daß die ArbeirerkJasse _ von der er annahm, daß Ihr immer mehr Leute angehören würden - eine Revolu­tIon herbeiführen würde, die geeignet wäre, eine menschenwürdigere Art von Gesellschaft hervorzubnngen, in der die Arben unter den Dingen des Lebens von zenualer Bedeutung sein würde. Obwohl er einen linken Standpunkt vertritt, weist Gorz diese Auffassung zurück. Statr, wie Man nahelegre, zur graßten ge­sellschaftlichen Gruppierung zu werden und eine erfolgreiche Revolution anzu­führen, schrumpft die ArbeiterkJasse. Manuelle Arbeiter sind nun zu emer - UD­

mer weiter abnehmenden - Minderheit in der Arbeiterschaft geworden. Gorz zufolge ergiht es keinen besonderen Sinn mehr, anzunehmen, die Arbei­

ter könnten jene Unternehmen, denen sie angehören, übernehmen, ganz zu schwei­gen von der Übernahme der Macht im Sraat. Es gibt keine echte Hoffnung auf

Arbeit und Wirtschaftsleben

Natur der bezahlten Arbeit, da diese aufgrund technischer Er­. ,jen ist, denen man sich nicht entziehen kann, soll eine Okono­

sein. "Nichts anderes kann mehr in Berrachr kommen als die ,[ Arbeit ,..", schreibt Gorz (Gorz 1980, S. 62). Das ist besonders

wo die Arbeit nacb tayloristischen Prinzipien organisiert ist anderen Gründen monoton oder unterdrückend ist.

Arbeirslosigkeit zusammen mit der Ausbreitung von Teilzeü­,ben bereits hervorgebracht, was er die ,,Nicht-Klasse der Nicht­

die Seite an Seire mit den stabil Beschäftigten existiert. Tatsäch­bereits die meisren Leute in dieser "Nicht-Klasse", da der An­

bezahlter Beschäftigung zu jedem beliebigen Zeitpunkt rela­wir die Jungen, die Alten, die Kranken und die Hausfrauen

~ Leuten, die teilzeitbeschäftigt oder arbeirslos sind, ausschlie­§tung der Mikroelektronik wird na.ch Gon die Anzahl der verfug­""'-spllitze weiter verringern. Als Ergebnis wird sich zunehmender

n die "produktivistische" Perspektive der westlichen Gesellschaft (kren Be[onung des Wohlstands, des Wirtschaftswachsturns und

üterprodukrion. In kommenden Jahren wird sich die Mehrheu iner Vielfalt von Lebensweisen widmen, die außerhalb der Sphäre ,ezahlten Arbeit liegen werden.

en wir ir, Richtung einer "dualen Gesellschaft". Im einen Sek­lukrion und die politische Verwaltung organisiert sein, um die

Effizienz zu maximieren. Der andere Sektor wird eine Sphäre iuen einer Vielfalt von Beschäftigungen nachgehen, die nicht Ar­

und Vergnügen und Selbstverwirklichung bieten. diese Auffassung zu bewerten? Daß die Natur und die Organisation

.~_eit in den industriellen Ländern großen Wandlungsprozessen unterwor­'find, sreht außer Frage. Es erscheint möglich, daß sich immer mehr Leute vom

'roduktivismus" - der Betonung des beständigen Wirtschaftswachstums und '!'.11&r Anhäufung materieller Besitztümer - abwenden. Es ist sicherlich beherzi­""genswert, Arbeitslosigkeit nicht ausschließlich negativ zu sehen, wie Gon vorge­

schlagen hat, sondern stande~senals einen Zustand, der Individuen die Gelegen­heit eröffnet, ihren lnreressen nachzugehen und ihre Talente zu entwickeln. Doch zumindest bis zum heurigen Zeltpunkt sind in dieser Richtung nur wenige Fort· schrltte erzielt worden; von der Situation, die, Gorz vorhersieht, scheinen ,,,'ir noch weit entfernt zu sein. Da Frauen nach besseren Arbeitsplätzen verlangen, hat es einen Anstieg und nichr ein Sinken der Anzahl vun Leuten gegeben, die ein aktives Interesse an der Erlangung bezahlrer Beschäftigung beweisen. Bezahlte Arbeit bleibt für viele der Schlijs~el zum Erwerb jener materiellen Re:'isourcen, die nmwendig sind, um ein abwechslungsreiches Leben zu fuhren.

ZUsammenfassung

1. Arbeit ist die Verrichtung von Aufgaben unter Aufwendung geistiger und kör­perlicher Energte, die zum Ziel haben, Güter und Dienstleistungen hervorzu­bringen, die sich an menschliche Bedürfnisse wenden. Viele wichtige Arten von Arbeir - wie Hausarbei[ oder freiwillige Aktivitäten - sind unbezahlt. Eine Bescbajtigutlg 1st Arbeit, dIe im Au~tau5ch gegen einen regelmäßigen Lohn

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verrichlet wird. Arbeit ist in aUen Kulturen die Grundlage des Wirtsch:lfmy­sterns.

2. Ein charakrensnsches Merkmal dcs Winschaftssystems moderner Gesellschaften 1sr rne Herausbildung einer sehr komplexen und vielfaltigen ArbedJ/etIJlng.

"' Die Arbeitsteilung bedeutet, daß Arbeir ;mf vencluedene Beschäfligungen aufgeteilt wird, die Spezialisierung verlangen. Em Ergebnis Ist die wlftschaft­liche Verflechtung; Wir hängen alle vonemander ab, um u05eren Lebensunrer­halt enverben zu hinnen.

4. Dies zeigt sich unter anderem auch im Taylorismus, odet im wissenschaftli­chen Managemenr. Der TayJommus zerJeb'1 die Arbelr in einfache EinzeIauf­gaben, die zeidich besrimmt und orgarusiert werden kannen. Der Fordismus weitete die Prim:lpien des wissenschaftbchen r..1anagemems auf die mit Massen­markten verknüpfte Massenproduktion aus. Fordismus und Taylorismus kön­nen als Jo\\--trust-Systeme aufgetant wcrden, die Jie Entfremdung der Arbeit­nehmerschafr maxirruer~. Ein high-rrusr-Sysrem gestattet Arbeitnehmern die Kontrolle Liber den Ort und :.ogar den Inhalt ihrer Arbeir.

5, Im Verlauf des 20. Jahrhunderts har sich das Beschaftigungssystem in \1.;chti. gen HinslChten gewandelt. Von besonderer Bedeutung ist die relatlve Zunah­me nicht-manueller Beschaftigung Im Vergleich zu manuellen Tätigkeiten. Die Interpretation dieser \'\'andJungsprozesse ist allerdings umstritten.

6. Gewerkschaften und Jie AnerkeIUlung des Streikrechts sind charakterisnsche Merkmale des Wirtschaftslebens in aUen westlichen Ländern. Gewerkschaf_ ten enrstanden als D~lIsj1urgan.isanonen, die den .Arbeirern eine gewisse Kon­trolle über ihre Arbejrsbedingungen SIchern sollten. Hcute spielen Gewerk­~chaftsführer nicht selten eine wichege Rolle bei der Formulierung der Wirt­schaftspolitik ihres Landes - obwohl dies z.B. in Großbritannien derzeit in genngerem Ausmaß zutrifft als früher.

7. Die Natur der Frauenarbeit wurde durch die Trennung von Arbeitsplatz und Ha~sha1t srark beeinflußt. Viele verheirntete Frauen werden "Hausfrauen" und als "nicht arbeitend" aufgefaßt - obwohl eLe Anzahl der ArbeHsstunden, die sie den häuslichen Aufgaben \1,'idmen, wesentlich großer scin kann als die ihrer Ehemänner. Heure stehen sehr viel mehr Frauen 10 bezahlter Beschäfti­gung als noch vor einigen Jahrzehnren; doch sind Frauen in schlechr bezahl­ten Beschafngungsverhäluussen überrepnisentiert.

8. W'ährend es Frauen Im großen und ganzen gelang. geschlechts~pezifische Stereotyplsierungen zu überninden, sehen sie sich auch mit der l\nnahme konfrontiert, daß Frauen rne Belange ihrer Familie über ihre Karnere stellen. Gleich:-eicig erledigen Prauen noch immer einen Großteil der Hausarbeit, und zwar unabhangig vom t\nreil der Frauen unter den unselhständig Beschäftig_ tell.

9. ArbeitsloSigkeit war Im 20. Jahrhundert ein stets wiederkehrendes Problem der mdustrialisierten Länder. Da die Arben dJe psychologische Verfassung der Person srruktunen, ist Arbeitslosigkeit häufig rrut einem Orientierungsverlust verknüpft. Die Auswirkungen neuer Technologien dürften die Arbeitslosen­raten weiter ansteigen Jassen,

Arbeit und Wirtschaftsleben

lO,Manche sprechen von der Ents[ehung von Portfolw-.Arbelt - .Arbeit, die mit emem "Portfolio" verschiedener Qualiftkar10nen verknupft ist, die es der Ein­zelperson gestatten, rasch von Job zu Job :-u wechseln. Solche Arbeirskräfre gibt es, doch für \1e1e Beschaftigre isr "FleXIbilität" verm\ltlich eher ein \1erk­mal schlechtbezahlter Jobs mit gerin~en Aufsriegscbancen.

11 Das Wesen und die Organisation der Arbert 1St derzeit einschneidenden Wand­lungsprozessen unterworfen, die in der Zukunft sicherbch noch wichtiger werden durften. Dennoch bleibt bezahlte Arbeit für viele der Schlussel zum Erwerb der Ressotllcen, die not\1:endig sind, um em abwechslungsreiches Le­ben zu fuhren.

Wei!&rfiihr&lld"·I.1Wiitur

Godfried Engbersen er al., ClIlllIm of Unen'P/uynlen/: A Comparal11;V ]J){)k al umg­Term Unemp/qymeflt l1nd Urban Pover(J (Boulder, Colo.: Westvie'll~ 1993). Eine Erbrterung, in welchem Ausmaß die Langzeitarbeitslosen erne "Kultur der Armut" entwickeln.

Keith Grim, The Sod%g 0/ WGrk: An Inh'oJlIchrm (Cambridge: Pontr, 1991). Em sehr mirzliches Lehrbuch, das SICh mit den meisten Aspekten der Soziologie der modernen AJbeitswclt befaßt.

Ray Pahl, DivisiOlls of LabONr (Oxford. BlackweU, 1984). Eine wichtlge Analyse der Arbeit, des Haushaltes und der r3mdie

AndIew Sayer und Richatll Walker, Th~ ,"tlJ' Soda/ Ecrmomy (Oxford: Blackwell, 1992). Eine nurzliche Erörterung der Enrv.icklungen in der heutigen industri­eJ)en Produktion.

Neil j. SmeJser und Richard Swedberg (eds.) Tbe Handbook of Economic Sodolog)' (princeron: Princeron University Press, 1994). Eine gute allgemeine EinfLih­rung In dIe W"imchaftssoziologie.

Hans Georg Zilian, Die Znt der Cn"l/e? eine PbJ"nomeno/ogie der Arlmf (1\msterdam: G+ B Verlag Fakultas, '1999). Eine kritische Auseinandersetzung mir der Idee des "Endes der Arbeitsgesellschaft".

Wichtige Fachausclrüc/(e I .. informelle Ökonomie .. high-trust-Systeme .. Freiwilligenarbeit .. Automatisierung .. Beschäftigung flexible Fertigung .. Wirrschaftssystem Beschäftigungssystem • Technologie Gewerkschaft .. wirtschaftliche Verflechtung Streik .. Taylorismus .. Hausarbeit

Fordismus .. Portfolio-Arbeit .. low-trust-Systeme

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