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Aufklärung und Kritik 4/2010 133 Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (Brühl) Antike Philosophen als Kritiker des Christentums Eine Fallstudie zu Celsus, Porphyrios und Julian 1. Einleitung und Fragestellung Der atheistische Philosoph Joachim Kahl bemerkte in seinem mittlerweile als Klassi- ker der Religionskritik geltenden Buch „Das Elend des Christentums“ 1968, „dass na- hezu die gesamte vernichtende historische Bibelkritik der Neuzeit bereits in der Spät- antike von den Christentumsgegnern Por- phyrius, Celsus und Julian vorweggenom- men wurde“. 1 Dreißig Jahre später schrieb der freie Journalist Alexander Kissler in seiner Schrift „Der aufgeklärte Gott“ von 2008 zu dieser Aussage: „Die Spätmoder- ne ist nicht über den Erkenntnisstand oder das Erregungspotenzial des Jahres 178 hin- ausgekommen.“ Und weiter heißt es in der Polemik gegen die „Neuen Atheisten“: „Cel- sus hält die Fäden, wenn die Neurobiolo- gen und Evolutionstheoretiker des 21. Jahrhunderts eine Zukunft ohne Gott skiz- zieren.“ 2 Handelt es sich bei beiden Aus- sagen – unabhängig von ihrer unterschied- lichen inhaltlichen Wertung – um angemes- sene Behauptungen: Formulierte die anti- ke Kritik am Christentum bereits jene Er- kenntnisse, welche die Basis für die Reli- gionskritik der Gegenwart bilden? Dieser Frage will die vorliegende Abhand- lung nachgehen. Für eine Antwort bedarf es zunächst einer Darstellung und Zuord- nung der Einwände von Celsus und der anderen Gegner des Christentums. Sie sol- len nach einer Aufarbeitung der einschlä- gigen Schriften allgemeinen Argumentati- onsmustern inhaltlich und systematisch zugeordnet werden. Die textliche Grund- lage dafür bilden die Werke von Celsus, Porphyrios und Julian, die hier exemplarisch für die Positionen antiker Philosophen ste- hen. Julian war zwar als römischer Kaiser auch ein politischer Gegner des Christen- tums, hier soll es aber nur um seine intel- lektuelle Kritik an den Grundlagen dieser Religion gehen. Für die Auswahl der ge- nannten drei Personen gibt es unterschied- liche Gründe: Zum einen gelten sie als die einflussreichsten Kritiker des Christentums in der Antike 3 , zum anderen sind die rele- vanten Texte von Celsus 4 , Porphyrios 5 und Julian 6 in deutscher Übersetzung ak- tuell gut greifbar. Deren inhaltliche Analy- se erlaubt auch eine kritische Prüfung der oben erwähnten Auffassungen. Zunächst bedarf es zur Information aber kurzer biographischer Portraits der drei genannten antiken Philosophen (2.). Dem folgt eine Aufarbeitung und Systematisie- rung der von ihnen vorgetragenen Einwän- de gegen das Christentum, bezogen auf die Kritik am Originalitätsanspruch (3.), die Kritik am Auserwähltheitsanspruch (4.), die Kritik des Alten Testaments (5.), die Kritik des Neuen Testaments (6.), die Kri- tik der Gottessohnschaft (7.), die Kritik an den Wundertaten (8.), die Kritik an den Aposteln (9.), die Kritik an der Glaubens- fixierung (10.) und die Kritik an den Mo- ralvorstellungen (10.). Dabei wird jeweils eine allgemeine Darstellung der Positionen geliefert, welcher dann die dazu gehöri- gen Belege mit Verweisen auf die Schrif- ten von Celsus, Porphyrios und Julian fol- gen. Und abschließend wird zum einen nach weiteren Hintergründen für die anti- ke Kritik am Christentum gefragt (12.) und zum anderen eine Einschätzung bezüglich

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Aufklärung und Kritik 4/2010 133

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (Brühl)Antike Philosophen als Kritiker des Christentums

Eine Fallstudie zu Celsus, Porphyrios und Julian

1. Einleitung und FragestellungDer atheistische Philosoph Joachim Kahlbemerkte in seinem mittlerweile als Klassi-ker der Religionskritik geltenden Buch „DasElend des Christentums“ 1968, „dass na-hezu die gesamte vernichtende historischeBibelkritik der Neuzeit bereits in der Spät-antike von den Christentumsgegnern Por-phyrius, Celsus und Julian vorweggenom-men wurde“.1 Dreißig Jahre später schriebder freie Journalist Alexander Kissler inseiner Schrift „Der aufgeklärte Gott“ von2008 zu dieser Aussage: „Die Spätmoder-ne ist nicht über den Erkenntnisstand oderdas Erregungspotenzial des Jahres 178 hin-ausgekommen.“ Und weiter heißt es in derPolemik gegen die „Neuen Atheisten“: „Cel-sus hält die Fäden, wenn die Neurobiolo-gen und Evolutionstheoretiker des 21.Jahrhunderts eine Zukunft ohne Gott skiz-zieren.“2 Handelt es sich bei beiden Aus-sagen – unabhängig von ihrer unterschied-lichen inhaltlichen Wertung – um angemes-sene Behauptungen: Formulierte die anti-ke Kritik am Christentum bereits jene Er-kenntnisse, welche die Basis für die Reli-gionskritik der Gegenwart bilden?Dieser Frage will die vorliegende Abhand-lung nachgehen. Für eine Antwort bedarfes zunächst einer Darstellung und Zuord-nung der Einwände von Celsus und deranderen Gegner des Christentums. Sie sol-len nach einer Aufarbeitung der einschlä-gigen Schriften allgemeinen Argumentati-onsmustern inhaltlich und systematischzugeordnet werden. Die textliche Grund-lage dafür bilden die Werke von Celsus,Porphyrios und Julian, die hier exemplarisch

für die Positionen antiker Philosophen ste-hen. Julian war zwar als römischer Kaiserauch ein politischer Gegner des Christen-tums, hier soll es aber nur um seine intel-lektuelle Kritik an den Grundlagen dieserReligion gehen. Für die Auswahl der ge-nannten drei Personen gibt es unterschied-liche Gründe: Zum einen gelten sie als dieeinflussreichsten Kritiker des Christentumsin der Antike3, zum anderen sind die rele-vanten Texte von Celsus4, Porphyrios5

und Julian6 in deutscher Übersetzung ak-tuell gut greifbar. Deren inhaltliche Analy-se erlaubt auch eine kritische Prüfung deroben erwähnten Auffassungen.Zunächst bedarf es zur Information aberkurzer biographischer Portraits der dreigenannten antiken Philosophen (2.). Demfolgt eine Aufarbeitung und Systematisie-rung der von ihnen vorgetragenen Einwän-de gegen das Christentum, bezogen auf dieKritik am Originalitätsanspruch (3.), dieKritik am Auserwähltheitsanspruch (4.),die Kritik des Alten Testaments (5.), dieKritik des Neuen Testaments (6.), die Kri-tik der Gottessohnschaft (7.), die Kritikan den Wundertaten (8.), die Kritik an denAposteln (9.), die Kritik an der Glaubens-fixierung (10.) und die Kritik an den Mo-ralvorstellungen (10.). Dabei wird jeweilseine allgemeine Darstellung der Positionengeliefert, welcher dann die dazu gehöri-gen Belege mit Verweisen auf die Schrif-ten von Celsus, Porphyrios und Julian fol-gen. Und abschließend wird zum einennach weiteren Hintergründen für die anti-ke Kritik am Christentum gefragt (12.) undzum anderen eine Einschätzung bezüglich

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der oben erwähnten Auffassungen vonKissler im Lichte der vorherigen Darstel-lungen (13.) vorgenommen.

2. Biographische Kurz-PortraitsBezüglich genauer Angaben über das Le-ben des erstgenannten Philosophen mussgleichwohl schon Fehlanzeige gemeldetwerden: Über Celsus7 sind eigentlich kei-ne Angaben überliefert. Es können nochnicht einmal ungefähre Angaben zu seinenLebensdaten gemacht werden. Celsus leb-te im späten 2. Jahrhundert. Seine Schrift„Gegen die Christen“ entstand unter demTitel „Wahre Lehre“ wohl um das Jahr178. Aus deren Text kann man ableiten,dass Celsus als Philosoph Platoniker war,offenbar höher gebildeten Kreisen entstamm-te und über relativ gute Kenntnisse überdas seinerzeitige Christentum verfügte. Da-mit endet aber bereits das Wissen um sei-ne Person. Auch Celsus’ Schrift „Gegendie Christen“ ist im Originaltext nicht er-halten. Gegen 248 verfasste aber Orige-nes, ein bedeutender Gelehrter der grie-chischen Kirche, eine Streitschrift mit demTitel „Gegen die Schrift des Celsus mitdem Titel ‚Wahre Lehre’“, worin sich län-gere Auszüge aus dem Text von Celsusfinden. Aus diesen Passagen konnte mandann die Schrift „Gegen die Christen“ frag-mentarisch rekonstruieren.Etwas besser steht es um das biographi-sche Wissen über Porphyrios8, der um233/234 geboren wurde und zwischen 301und 305 starb. Er entstammte einer ange-sehenen und wohlhabenden Familie ausPhönizien, die ihm auch ein Philosophiestu-dium in Athen ermöglichte. Später siedel-te Porphyrios nach Rom über, schlosssich der Philosophenschule um Plotin anund verfasste zahlreiche Werke zu unter-schiedlichen philosophischen Fragen.

Dazu gehörten auch eine Einführung in dieLogik, eine Philosophiegeschichte undeine Biographie zu Pythagoras. Ob Por-phyrios von Plotin den Auftrag erhielt,seine gegen 270 entstandene Schrift„Fünfzehn Bücher gegen die Christen“ zuverfassen, ist umstritten. Auch von die-sem Text sind nur Fragmente erhalten.Nach Porphyrios’ Tod verfügte KaiserKonstantin die Vernichtung der Schrift.Gleichwohl muss von ihr eine bedeuten-de Nachwirkung ausgegangen sein, ent-standen doch im vierten und fünften Jahr-hundert eine Reihe von Gegenschriften.Noch greifbare Exemplare wurden dannöffentlich verbrannt.Über Julian9 liegen ausführliche Informa-tionen zu seiner Biographie vor, was sichdurch dessen hauptsächliches Wirken alsrömischer Kaiser erklärt. Der 331 gebo-rene und 363 gestorbene Flavius Claudi-us Iulianus wuchs in erzwungener Isolati-on auf und sollte sein Denken und Glau-ben christlich ausrichten. Er wandte sichaber der heidnisch neuplatonischen Philo-sophie zu, was ihm in der christlich ge-prägten Geschichtsschreibung den Beina-men „Apostata“ für „der Abtrünnige“ ein-brachte. Während seiner kurzen Regent-schaft zwischen 360 und 363 setzte Juliansich das Ziel einer Erneuerung der Göt-terverehrung im heidnischen Sinne und derZurückdrängung des mittlerweile zur Staats-religion gewordenen Christentums. Dar-über hinaus betätigte er sich als Philosophund Theologe, was auch an einer Unmen-ge von hinterlassenen Reformplänen undSchriften deutlich wird. Zu letzteren zähl-ten auch Texte wie „Gegen die Galiläer“,die sich dezidiert gegen Anhänger undLehre des Christentums richteten. Nur umderen Inhalte, nicht um die konkrete Poli-tik soll es hier gehen.

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3. Kritik am OriginalitätsanspruchZu den Einwänden gehört als erstes dieKritik am Originalitätsanspruch: Das Chris-tentum sah sich zwar in der religiösen Kon-tinuität zu den im Alten Testament geschil-derten Ereignissen und Inhalten. Gleich-wohl behauptete es eine Eigenständigkeitgegenüber anderen Religionen und Welt-anschauungen, die auf Besonderheiten imalleinigen und ursprünglichen Sinne ver-wies. Demgegenüber zeigt die vergleichen-de Betrachtung mit Glaubensformen, Le-genden, Mysterien und Philosophien ausanderen Kulturkreisen verblüffende Über-einstimmungen. Da die gemeinten Inhalteoder Rituale aber zeitlich vor der Entste-hung des Christentums lagen, kam bereitssehr früh eine kritische Hypothese undspezifische Vermutung auf: Offenbar hat-ten sich die namentlich unbekannten Au-toren der zentralen Texte des Christentumsbei anderen Religionen und Weltanschau-ungen bedient. Aus deren Inhalten und Ri-tualen konstruierten sie im Sinne eines be-wussten und geplanten Aktes in Verbin-dung mit eigenen Auffassungen und Hand-lungen ihre besondere Glaubensauffas-sung.Auf solche Anlehnungen, Parallelen undÜbernahmen verwies bereits Celsus, dersich damit auch früh Methoden einer erstviel später entstandenen vergleichendenReligionsforschung bediente. So bemerkteer etwa über die Christen: „Ihre ethischeGrundlehre ist gemeinsam mit den andernPhilosophen; es ist keine ehrwürdige undneue Wissenschaft.“10 Und über die Judenals Repräsentanten der Mutter- oder Vor-läuferreligion des Christentums heißt es beiCelsus, sie hätten als Erben entlaufenerund unwissender Sklaven ein eigenes Mys-terien- und Religionsbild entworfen, ohnesich aber über schon bestehende Auffas-

sungen in diesem Sinne im Klaren zu sein:„Indessen andre Menschen auf das Alter-thum Anspruch erhoben ... dass einigeErdgeborene bei ihnen entstanden und jeim Einzelnen Beweise dafür darboten, sohaben die Juden, in irgend einem WinkelPalästina’s zusammengeduckt, als völligungebildete und ohne vorher davon ge-hört zuhaben, dass längst diese Dinge vonHesiod und tausend göttlichen Männernbesungen sind, auf’s unwahrscheinlichsteund unfeinste erdichtet ...“11

Die Hinweise auf Fehldeutungen, Plagiateund Übernahmen machen aber auch deut-lich, dass der hier als Repräsentant derphilosophischen Kritik am Christentumbehandelte Celsus keineswegs pauschaldiese Religion verdammte. Stets war eraber der Auffassung, dass die ursprüngli-che Begründung und Entwicklung von Auf-fassungen und Einsichten, Sitten und Weis-heiten bescheidener, niveauvoller und über-zeugender präsentiert worden seien. Soheißt es etwa: „Denn besser und schärfersind diese Dinge bei Hellenen gesagt undohne Aufgeblasenheit und Ankündigungvon Gott her oder vom Sohne Gottes.“12

Dabei sei aber auch immer eine fehlerhaf-te Interpretation auszumachen, wie Celsusanhand einer auch heute noch bekanntenStelle aus dem „Neuen Testament“ ver-deutlichte: „Auch der Ausspruch Jesu ge-gen die Reichen: leichter ist’s, dass einKameel durch ein Nadelöhr eingehe, alsein Reicher in das Reich Gottes, ist gera-deaus von Platon her gesagt worden, in-dem Jesu das Platonische verwarf, woPlaton sagte: dass ein hervorragend Rei-cher sei, ist unmöglich.“13

4. Kritik am AuserwähltheitsanspruchAls zweiter Einwand soll hier nun die Kri-tik am Auserwähltheitsanspruch themati-

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siert werden: Die entsprechenden Auffas-sungen beziehen sich nicht nur auf dieChristen, sondern auch auf die Juden. ImKern geht es in beiden Fällen um die mo-ralische Abwertung und inhaltliche Ver-werfung einer Grundposition, die aus ei-ner bestimmten Argumentationskette be-steht: Demnach gibt es nur einen wahrenGott, er habe sich ein bestimmtes Volkvon Gläubigen ausgesucht, dieses steheim Mittelpunkt des Weltgeschehens, auf-grund seines richtigen Glaubens gilt esanderen Völkern gegenüber als moralischüberlegen, und diese wahrhaft Gläubigensollten auch die dominierende Kraft überden Andersgläubigen sein. Den damit ein-hergehenden Auserwähltheitsanspruch hät-ten die Christen von den Juden übernom-men und auf sich selbst als Anhänger desbeanspruchten einzig richtigen Glaubensübertragen. Durch die damit verbundeneKonkurrenzsituation erklärte man sichnicht allein, aber mit die Konflikte zwischenChristen und Juden in der Antike.Bei Celsus löste der Auserwähltheitsan-spruch einen polemischen Vergleich mitFröschen und Würmern aus: Da man diekulturelle Entwicklung anderer Völker nichtzur Kenntnis nehme, würden die Anhän-ger der beiden Religionen in völliger Ver-kennung ihrer eigenen Bedeutung zumGrößenwahn neigen. Eben dieser letztge-nannte Gesichtspunkt sollte mit dem Ver-gleich mit den als niedrig geltenden Tie-ren verdeutlicht werden. Celsus schriebdenn auch zur behaupteten Nähe von Chris-ten und Juden zu Gott: „Es ist bei ihnenwie bei Würmern, welche sprechen: es istein Gott! Dann nach ihm kommen wir, diewir von ihm geworden sind durchaus Gottähnlich; und uns ist Alles unterworfen,Erde und Wasser und Luft und Gestirneund unsertwegen ist Alles und uns zu die-

nen ist es geordnet! Und jetzt sagen dieWürmer, da Einige unter uns fehlen, wirdGott kommen oder seinen Sohn senden,damit er die Ungerechten verbrenne undwir Uebrigen mit ihm ewiges Leben ha-ben. Da ist aushaltbarer, wenn Würmerund Frösche, als wenn Juden und Chris-ten sich streiten.“14

Auch Julian empörte sich über die Anma-ßung des Auserwähltheitsanspruchs, heißtes doch bei ihm: „Ich will jedoch den Nach-weis liefern, dass sowohl Moses und diePropheten nach ihm als auch Jesus vonNazareth, ja auch Paulus, der alle Gauklerund Betrüger aller Orte und aller Zeitenübertrifft, den Schöpfer nur für den Gottvon Israel und Judäa und die Juden fürseine Auserwählten erklärt haben.“15 Da-nach listete er einschlägige Stellen aus demAlten bzw. Neuen Testament als Belegeauf. Nach Moses habe Gott von Anfangan die Juden auserwählt und sich um siegekümmert. Paulus hätte demgegenüberje nach Lage der Dinge seine Ansichten ge-ändert und zeitweise auch einmal mit inden heidnischen Hellenen Gottes Volk ge-sehen.16 Gegenüber dem exklusiven An-spruch von Christen und Juden, jeweilsAuserwählte eines transzendenten Wesenszu sein, betonte Julian bezogen auf seineGlaubensvorstellungen: Danach sei derSchöpfer gemeinsamer König und Vateraller Völker und habe diesen besondereStadt- und Volksgottheiten zugewiesen.

5. Kritik des Alten TestamentsBei den Einwänden der antiken Philoso-phen gegen das Christentum gerieten auchdessen konstitutive Grundlagenschriftenins Visier der Kritik: das Alte und das NeueTestament. Auch wenn der erstgenannteText eine geringere Bedeutung für dasChristentum hat, gründet es sich doch teil-

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weise auch auf dessen Inhalte. Aus die-sem Grund soll hier als dritter Einwanddie Kritik des Alten Testaments gesonderteBeachtung finden. Dabei lassen sich un-terschiedliche Ansatzpunke ausmachen: Eswird auf die mangelnde Glaubwürdigkeiteinzelner Berichte verwiesen, welche mehrals Legenden und Märchen denn Realitätund Tatsachen gelten müssten. Die Au-torschaft und Entstehungszeit einzelnerTeile des Alten Testaments könne nichtstimmen, sei doch von einer anderen undspäteren Herkunft auszugehen. Und ein-zelne Berichte von zentraler theologischerBedeutung enthielten grundlegende inhalt-liche Widersprüche, womit die Schlüssig-keit und Überzeugungskraft zentraler An-nahmen dieser Religion in Frage gestelltwerden müsse.Für den erstgenannten Gesichtspunkt stehtCelsus, der in vielen Berichten mit ironi-sierendem Unterton eher für Kinder ge-dachte Märchen und Mythen erblickte. Soheißt es etwa bei ihm: „Dann erzählen sieeine gewisse Ueberschwemmung und ei-nen sonderbarlichen Kasten und eine ge-wisse Taube und Krähe als Boten, indemsie Deukalion umgiessen und verfälschen;denn sie erwarteten nicht meine ich, dassdieses an’s Licht hervorkomme, sondernin simpler Manier erzählen sie Mythologieunmündiger Knaben.“17 Porphyrios be-stritt demgegenüber das hohe Alter und diepostulierte Autorschaft zentraler Texte imAlten Testament, bemerkte er doch etwa:„Was aber unter dem Namen des Mosesspäter, nämlich 1180 Jahre nach Moses’Tod, geschrieben worden ist, das ist vonEsra und seinen Leuten geschrieben.“18

Auch das Buch Daniel sei tatsächlich erstJahrhunderte nach seinem angeblichen Ent-stehen durch einen namentlich nicht be-kannten palästinensischen Juden in der Zeit

des Antiochus Epiphanes im zweiten Jahr-hundert geschrieben worden.19

Und bezüglich der Einwände gegen Be-richte im Alten Testament von großer Be-deutung für das religiöse Selbstverständ-nis sei hier exemplarisch auf die kritischeAuseinandersetzung Julians mit der „Sün-denfall“-Darstellung verwiesen. Dabei gehtes gleichzeitig um bedenkliche Gottesauf-fassungen, dubiose Menschenbilder, ein-seitige Moralvorstellungen und inhaltlicheWidersprüche: „Ist es nicht auch in höchs-tem Grade widersinnig, wenn Gott demMenschen, den er selbst geschaffen hat, dieKenntnis des Unterschiedes von gut undböse vorenthält?“ Weiter heißt es: „Denndies vorgebliche Nichtwissen, dass die zurGehilfin erschaffene Frau bestimmt ist, dieUrsache des Falles zu werden, dies verbotder Erkenntnis des Guten und Schlechten,wie es wohl für sich allein imstande wäre,den menschlichen Geist in engen Schran-ken zu halten, und dazu noch die eifersüch-tige Sorge, dass der Mensch nicht vomBaume des Lebens koste und so, dem To-de entrückt zur Unsterblichkeit eingehe:dies alles zeugt von argem Neid und über-großer Missgunst.“20

6. Kritik des Neuen TestamentsAls vierter Einwand gegen das Christen-tum soll hier die Kritik des Neuen Testa-ments als bedeutendstem Grundlagenwerkdieser Religion thematisiert werden. Ein-zelne Gesichtspunkte wie die Kritik an derGottessohnschaft, den Wundertaten oderden Aposteln finden danach noch beson-dere Aufmerksamkeit. Hier soll es zu-nächst nur um die Entstehung und Verän-derung der Texte gehen. Zwar gelten die-se nicht direkt als Gottes Wort, sondernals Berichte von Aposteln und Jüngern.Gleichwohl kommt ihnen als angeblich

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zeitgenössischen Quellen über das LebenJesu und die Entstehung des Christentumsherausragende Bedeutung zu. Genau diedamit verbundene Aussagekraft und Au-thentizität als historische Quelle über diebesagten Ereignisse wird von den genann-ten Philosophen bezweifelt. Damit nahmensie übrigens Erkenntnisse der kritischenBibel-Forschung der Neuzeit vorweg, wel-che etwa die Entstehung der Evangelien-Texte frühestens auf das Jahr 80 beziffer-ten und damit ihren Charakter als zeitge-nössische Berichte widerlegt haben.Aber auch die Einheitlichkeit und Zuver-lässigkeit der Texte des Neuen Testamentsfanden kritische Kommentare. Celsus for-mulierte seine diesbezüglichen Einwändeim Kontext von Analysen, die sich auf dieBerichte über angebliche Weissagungen vonJesu von seinem Tode bezogen. Sie seienvon seinen Jüngern und Schülern erdich-tet worden, um ihm die Kompetenz zu sol-chen Voraussagen zuzuschreiben. Auf-grund des Wissens um Änderungen undNeuzusammenstellungen der Texte heißtes dann bei Celsus ganz allgemein: „Da-her geschieht’s auch, dass manche Gläu-bige ähnlich so wie Betrunkene dazu kom-men, an sich selbst Hand anzulegen, dasEvangelium aus der ersten Schrift dreifachund vierfach und oftfach umformen undumfälschen, um gegen die Ueberführungenleugnen zu können.“21 In den damit ver-bundenen manipulativen Änderungen, dieauf die inhaltliche Anpassung der Texte inRichtung eines jeweils bestehenden ideo-logischen Interesses hinausliefen, sah Cel-sus den Mangel an Zuverlässigkeit derEvangelien begründet.In eine ähnliche Richtung ging die in die-ser Hinsicht noch entschiedenere Kritik vonPorphyrios, der sich kritisch mit den Be-richten über die Todesumstände von Jesu

beschäftigte. Dabei wies er auf eine Reihevon Widersprüchen in den jeweiligen Schil-derungen in vielen Detailfragen hin. AleErgebnis seiner Betrachtungen formulier-te Porphyrios: „Die Evangelisten sind Er-finder, nicht Erzähler der Geschichte Jesugewesen, denn sie haben nicht überein-stimmende, sondern ganz verschiedeneBerichte über das Leiden verfasst.“ Undweiter heißt es: „Wenn aber die Erzähler,außerstande, den wirklichen Hergang desTodes zu berichten, alles wie Fabeldich-ter vorgesungen haben, so haben auchüber die übrigen geschichtlichen Vorgän-ge nichts Zuverlässiges gesagt.“22 Zumeinen hätten die Autoren der Evangelienoffenbar keinen Einblick in die tatsächli-chen Ereignisse ihrer Berichte gehabt, zumanderen dienten die Manipulationen bei derDarstellung der Todesumstände letztend-lich nur zur Stilisierung von Jesu als Got-tessohn.

7. Kritik an der GottessohnschaftUm diesen letztgenannten Gesichtspunktsoll es beim fünften Einwand gegen dasChristentum durch die antiken Philoso-phen gehen: die Kritik an der Gottessohn-schaft. Zuvor bedarf es allerdings des Hin-weises darauf, dass die Person Jesu sehrzurückhaltend kommentiert und kaum kriti-siert wird. Seine historische Existenz stellteman nicht in Zweifel, obwohl es dafür be-züglich außerbiblischer und zeitgenössi-scher historischer Quellen schlecht bestelltwar und ist. Auch findet man bei den ge-nannten Philosophen kaum kritische Wortezu den Jesu zugeschriebenen Auffassun-gen und Handlungen – sieht man einmalvon dem Zweifel an den ihm zugeschrie-benen Lebensumständen und Wunderta-ten ab. Die Einwände zu Jesus konzen-trierten sich bezüglich seiner Person pri-

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mär auf die Kritik an der Gottessohn-schaft, d.h. man bestritt eine göttlicheAbstammung und sah hier nur einen nor-malen Menschen. In diesem Sinne galt Je-sus lediglich als einer von vielen seiner-zeitigen Wanderpredigern, welche mit ethi-schen und religiösen Botschaften auf sichaufmerksam machten.Celsus bemerkte etwa: „Seine Entstehungaus einer Jungfrau hat Jesus erdichtet.“23

Tatsächlich sei seine Mutter von ihremMann als Ehebrecherin verstoßen wordenund Jesus der Sohn eines römischen Sol-daten. Diese Behauptung griff seinerzeitkursierende Gerüchte auf, welche damalswie heute weder beleg- noch widerlegbarwaren oder sind. Celsus argumentierte aberauch mit kritischen Anmerkungen zur in-neren Schlüssigkeit von Annahmen inRichtung einer Gottessohnschaft. Bezüg-lich des christlichen Postulats, Gott wür-de einen Abgesandten oder Sohn als Rich-ter der weltlichen Angelegenheiten auf dieErde schicken, heißt es bei ihm: „Was istdenn der Sinn solcher Herabkunft für Gott,als dass er lerne die Dinge unter den Men-schen? Weiss er denn nicht Alles? Er weisses, saget ihr. Also weiss er’s zwar, er bes-sert’s aber nicht und es ist ihm nicht mög-lich, mit göttlicher Kraft zu bessern, wenner nicht einen leibhaftigen Jemand dazuschickt?“24 Hier wird ein Gegensatz zwi-schen Anspruch an Allwissenheit und derNotwendigkeit einer Entsendung gesehen.Auch Porphyrios wies auf ähnliche Un-gereimtheiten und Widersprüche hin. Hier-bei bezog er sich auf die Erzählungen überdie „Auferstehung“, wonach Jesus nachseinem Tode einfachen Anhängern seinerReligion, aber nicht politisch Verantwort-lichen für deren Unterdrückung erschie-nen sei. Dazu heißt es: „Denn wenn er be-deutenden Personen erschienen wäre, so

wären durch sie alle gläubig geworden undkeiner der Richter hätte (die Christen) alssolche bestraft, die da befremdliche Erzäh-lungen erdichten; denn sicherlich ist esweder Gott noch einem verständigen Men-schen angenehm, dass viele seinetwegenden schlimmsten Straften unterworfen wer-den.“25 Und Julian meinte, die Christenblieben noch nicht einmal der Überliefe-rung ihrer Apostel treu. Diesbezüglich wieser auf die unterschiedlichen Zuschreibun-gen der Gotteseigenschaft im Text desNeuen Testaments hin: „Jesum wenigstenshat weder Paulus noch Matthäus noch Lu-kas noch Markus Gott zu nennen gewagt.Vielmehr hat zuerst der wackere Johan-nes sich erkühnt, diese Bezeichnung zugebrauchen ...“26

8. Kritik an den WundertatenInhaltlich eng verbunden mit der Kritik ander Gottessohnschaft ist als sechster Ein-wand die Kritik an den Wundertaten. Da-bei geht es um die Auseinandersetzung mitjenen Berichten, welche in den meisten Re-ligionen die göttliche Auserwähltheit oderEigenschaft der angesprochenen Personveranschaulichen sollen. Deren Fähigkeit,sich über geltende Naturgesetze durch ei-gene Taten hinwegzusetzen, gilt als Belegfür deren Kompetenz als Religionsstifter.Insofern kommt einschlägigen Erzählungenwie über Dämonenvertreibungen, Engels-erscheinungen, Krankenheilungen, Natur-wunder, Totenerweckungen oder Vorher-sagen hohe Bedeutung zu. Da die behaup-tete Existenz eines Gotteswesens nicht em-pirisch belegbar ist, dienen solche Ge-schichten des indirekten Nachweises da-für. Auffällig bei den Wunderberichten imNeuen Testament ist, dass man in vielenFällen ähnliche Erzählungen auch in denEntstehungsgeschichten anderer Religio-

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nen finden kann. Darauf wurde bereits imKontext der Kritik am Originalitätsan-spruch verwiesen.Celsus’ Einwand in Richtung der behaup-teten besonderen Taten von Jesu richtetsich aber im Kern gar nicht gegen die Auf-fassung von der Authentizität, sonderngegen die Behauptung von der Einmalig-keit. Bei ihm heißt es: „Jesus selbst hatdurch Zauberei die Wunder vermocht, wel-che er gethan zu haben schien, aber auchvorausgesehen, dass auch andre, welchedieselben Kenntnisse erlangt, dasselbethun werden, sich rühmend, es durch dieKraft Gottes zu thun.“27 Kurzum, zur Fra-ge, inwieweit die berichteten Wunderta-ten tatsächlich erfolgten, äußerte sich Cel-sus hier gar nicht. Ähnliche Handlungenseien von anderen Personen überliefert,welche ebenso auf Gott als leitende Kraftabstellten. Weiter heißt es noch: „O Lichtund Wahrheit, mit seiner eigenen Stimmespricht er es in hellen Worten aus, wie ihres selbst beschrieben habt, dass euch auchAndre gegenwärtig sein werden, welcheähnliche Kräfte gebrauchen, Böse und Be-trüger und er nennt einen gewissen Satanals Veranstalter solcher verführenden Kunst-griffe.“28

Wenn also neben Jesus noch andere Per-sonen Wunder vollbringen können, ste-hen solche Taten hier in der Kritik wederallein für einen exklusiven Gottesbezugnoch allein für eine moralische Zielsetzung.Über diese Einwände hinaus verwies Juli-an auf die mangelnde Schlüssigkeit derGrundannahme von solchen Taten im Ver-gleich zu anderen Handlungen. Wenn aufder einen Seite die Fähigkeit zu Wundernin bedeutenden Dimensionen behauptetwerde, sei die Unfähigkeit zu Handlungenin weniger bedeutsamen Dimensionen nichtnachvollziehbar: „Und Jesus, der den Geis-

tern befahl und auf dem Meere wandelte,der die Dämonen austrieb und, wie ihr we-nigstens behauptet, den Himmel und dieErde geschaffen hat ... dieser Jesus wärealso nicht imstande gewesen seine Freun-de und Stammesbrüder umzustimmen,wenn er sie hätte retten wollen?“29 Nachdieser Auffassung ist es nur schwer ver-ständlich, wie eine Person keine Meinungs-änderungen bei Anhänger, aber sehr wohlTaten gegen die Naturgesetze vollbringenkann.

9. Kritik an den ApostelnDie von den genannten Philosophen vor-getragenen Einwände gegen die Protago-nisten des frühen Christentums richtetensich nicht direkt gegen die Person Jesus.Statt ihm standen vor allem Paulus undPetrus im Focus der Aufmerksamkeit, wo-mit es hier beim siebten Einwand um dieKritik an den Aposteln gehen soll. Immer-hin gelten die beiden genannten Personenals die bedeutendsten Figuren in der Früh-geschichte dieser Religion. Während sievon Celsus völlig ignoriert und von Juliannur marginal behandelt wurden, widmetePorphyrios ihnen breiteren Raum. Auf Ba-sis der seinerzeit bekannten Texte desNeuen Testaments stellen diese Betrach-tungen vor allem auf die Persönlichkeits-struktur der beiden Apostel ab: Es gehtum die ausgeprägte Charakterlosigkeit beider Praktizierung des Glaubens, die feh-lende Festigkeit in der Einstellung zu sei-nen Inhalten, die mangelnde Kompetenzzur Führung der Glaubensgemeinschaft,die individuelle Gewinnsucht bei der Aus-übung des Apostelberufs oder die persön-liche Unwahrhaftigkeit bei der Missionie-rung von Nicht-Christen.Bezüglich Petrus verwies Porphyrios inseiner Kritik darauf, dass dieser Apostel

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laut dem Text des Neuen Testaments vonJesus als „Ärgernis“ und „Satan“ bezeich-net wurde. Gleichwohl galt er demReligionsbegründer als jener „Fels“, wor-auf die christliche Kirche gebaut werdensollte.30 Den damit verbundenen Wider-spruch bei der Bewertung des Petrus kom-mentierte Porphyrios in polemischerForm. Gleichzeitig spitzte er seine Ein-schätzung in folgender Position zu: „Dennwie war Petrus imstande, den Grund derKirche zu tragen, da er unzählige Male inGesinnungslosigkeit hin und her schwank-te? Welch feste Überlegung hat man dennan ihm wahrgenommen und wo hat er dieUnerschütterlichkeit der Gesinnung ge-zeigt, er der einer armseligen Sklavin we-gen, als er das Wort ‚Jesus’ hörte, in eineschreckliche Furcht geriet, er, der dreimaleinen Meineid schwor, obgleich ihn durch-aus keine große Not bedrängte?“31 Au-ßerdem habe Petrus sich der Ungerech-tigkeit schuldig gemacht, indem er den Todvon Ananias und Saphira aus nichtigemAnlass verschuldete.32

Hinsichtlich Paulus zeichnete Porphyriosdas Bild von einem von Egoismus, Ruhm-sucht, Sklavenhaltung, Unbildung undWidersprüchen geprägten Charakter. Soheißt es denn auch: „Daß er aber eitlenRuhmes wegen das Evangelium und umGewinnsucht das Gesetz erheuchelte, dasergibt sich aus seinen Worten: ‚Wer ziehtjemals in den Krieg auf seinen eigenenSold? Wer weidet eine Herde und issetnicht von der Milch der Herde?’ Und umdies (für sich) zu bekräftigen, nimmt erdas Gesetz zum Anwalt seiner Habsuchtund spricht: ‚Sagt nicht dieses auch dasGesetz? Denn im Gesetze Mosi steht ge-schrieben: Du sollst dem Ochsen, der dadrischt, nicht das Maul verbinden’. Hier-mit verknüpft er dann den absurden und

läppischen Ausspruch, mit dem er diegöttliche Vorsehung für die unvernünfti-gen Tiere verneint: ‚Sorgt denn etwa Gottfür die Ochsen? Oder spricht er nicht umunseretwillen? Denn unseretwegen ist esja geschrieben!’“.33 Darüber hinaus ver-wies Porphyrios auf Widersprüche in denAussagen des Paulus, vor allem zur Stel-lung gegenüber dem jüdischen Gesetz.

10. Kritik an der GlaubensfixierungAuf einer inhaltlich ganz anderen Ebenebewegt sich der hier zu erörternde achteEinwand gegen das Christentum, der inder Kritik an der Glaubensfixierung be-steht. Gemeint ist damit die schon in derFrühgeschichte dieser Religion auszuma-chende Entgegensetzung von Glauben undWissen – in Verbindung mit einer Abwer-tung von Letzterem gegenüber einer Auf-wertung des Glaubens. Bereits im Kon-text der Kritik des Auserwähltheitsan-spruchs wurde auf die Hervorhebung ei-ner besonderen Exklusivität des Christen-tums verwiesen. Diese bezog sich abernicht nur auf die Gruppe der Gläubigen inAbgrenzung von Anders- und Nicht-Gläu-bigen, sondern auch auf die Absolutset-zung eigener religiöser Auffassungen ge-genüber Kritik und Zweifel. In der Forde-rung nach einem blinden Glauben im er-klärten Gegensatz zu dem überprüfbarenWissen sahen die antiken Philosophen ei-nen geistigen Rückfall hinter den Standder griechischen Philosophie: Nicht demLogos, sondern dem Mythos sollte durchdas Christentum die entscheidende Prio-rität eingeräumt werden.Celsus bemerkte denn auch in diesem Sin-ne: „Einige von diesen wollen weder Re-chenschaft geben noch nehmen über das,was sie glauben; sie brauchen das Stich-wort: Prüfe nicht, sondern glaube! Und:

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dein Glaube wird dich retten! Ein schlim-mes die Weisheit in der Welt, ein Gutesaber die Thorheit!“.34 Die Einwände rich-ten sich demnach gegen die Auffassungder Christen, die Grundlagen ihrer Religi-on inhaltlich zu begründen oder zu belegen.Es soll eben geglaubt und nicht gewusstwerden. Mit dieser Position geht nach Cel-sus die Ignoranz und Missachtung gegen-über Weisheit und Wissenschaft einher.Darin sieht man eine Bedrohung für dieAkzeptanz des Glaubens und damit eineGefahr für die Seele. Ganz in diesem Sin-ne referierte Celsus in polemischer Ab-sicht auch die Auffassungen der christli-chen Lehrer, wofür exemplarisch folgen-des Zitat steht: „Schlimm ist Wissenschaft.Wissenschaft führt die Menschen ab vonder Gesundheit der Seele. Vor Weisheitgehen sie zu Grund. Höret mir zu, ich al-lein sagt er, werde euch retten.“35

Diese Einstellung erklärte für Celsus auch,warum das Christentum auf eine beson-dere soziale Zielgruppe hin orientiert war:„Von der Weisheit unter Menschen sagensie, sie sei Thorheit bei Gott. Die Ursa-che davon ist schon längst gesagt; sie wol-len durch diese Rede allein die Ungebilde-ten und Einfältigen an sich ziehen.“36 Inder Tat war das Christentum in jener his-torischen Phase die Religion der unterensozialen Schichten mit formal geringer Bil-dung. Darauf beziehen sich auch die Ein-wände des Porphyrios: „Hinreichend klarund nicht rätselhaft muss das sein, wasfür die Unmündigen und Unverständigengeschrieben wird. (Denn) wenn die Ge-heimnisse vor den Weisen verborgen sind,für die Unmündigen aber und die Säuglin-ge unvernünftigerweise ausgeschüttet wer-den, so ist es besser, nach Unvernunft undUnbildung zu streben. Und dies ist derHauptgrundsatz der Weisheit des (auf Er-

den) Erschienenen, vor den Weisen denStrahl der Erkenntnis zu verbergen, ihnaber den Unverständigen und den kleinenKindern zu enthüllen.“37

11. Kritik an den MoralvorstellungenMit der Orientierung auf die genannte so-ziale Gruppe, welche die Basis der gläu-bigen Anhänger des Christentums bilde-te, ging aus Sicht der genannten Philoso-phen auch der neunte Einwand einher. Diehier gemeinte Kritik an den Moralvorstel-lungen bezog sich insbesondere auf dieHeilsversprechungen für „Arme“ und „Sün-der“: Den Erstgenannten komme aufgrundihres geringen materiellen Besitzes undnicht wegen ihrer herausragend tugendhaf-ten Einstellung eine besondere Wertschät-zung zu. Die „Sünder“ würden sich ohnesonstige Mühe durch den Akt der Taufevon all ihrer Schuld befreien. Aufgrunddieser Prägungen konnte das Christentumfür dessen antike Kritiker keine Religionfür Menschen mit einer anständigen Le-bensweise sein, schien es sich doch auf-grund der Orientierung an anderen sozia-len Gruppen nicht für derartige Anhängerzu interessieren. In der damit verbunde-nen Abwertung bestehender ethischer Nor-men sah man darin eine Gefahr für dieEntwicklung des sozialen Miteinanders inder Gesellschaft.Celsus beklagte daher auch den Aus-schluss der Guten: „Wer immer, sagen sie,ein Sünder, wer unverständig, wer unmün-dig, und kurz zu sagen, wer immer un-glückselig ist, diesen wird das Reich Got-tes aufnehmen. ... Den Sündern, sagen sie,ist Gott gesendet worden. Was aber? DenSündlosen ist er nicht gesendet worden?Welches Böse ist’s, nicht gesündigt zu ha-ben? Den Ungerechten also zwar, wenner sich selbst wegen Schlechtigkeit gede-

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müthigt haben wird, nimmt Gott an; denGerechten aber, wenn er mit Tugend vonAnfang aufwärts zu ihm geblickt, diesennimmt er nicht an!“38 Diese Denkungsarterkläre auch, warum sich die christlicheGlaubensgemeinschaft aus Personen miteiner moralisch bedenklichen Vergangen-heit zusammensetze. Und das auch heutenoch allgemein bekannte Jesus-Wort, wo-nach es leichter sei, dass ein Kamel durchein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher inden Himmel komme, eröffnete für Celsusdem sündigen Armen, aber nicht dem tugend-haften Reichen den Weg in das „ReichGottes“.In einem ähnlichen Sinne äußerte sich auchPorphyrios, wobei er aber stärker die Fol-gen der versprochenen Reinwaschung vonSünden thematisierte: „Denn wir staunenwirklich über solche Worte und sind intödlicher Verlegenheit, wenn ein Menschdurch eine einzige Abwaschung von sovielen Befleckungen und Schandmalengereinigt erscheinen soll, wenn einer, dervon dem Schmutz so großer Schwelgereibefleckt ist, von Hurerei, Ehebruch, Trun-kenheit, Diebstahl, Männerliebe, Giftmi-scherei und unzähligen schlimmen undabscheulichen Dingen durch eine Taufeund Anrufung des Namen Christi leichtlichbefreit wird und die ganze Schuld abwirftwie eine Schlange die alte Schuppenhaut.“39

Porphyrios sah in solchen Auffassungen na-hezu eine Einladung und Ermunterung,derart unmoralische oder verbrecherischeHandlungen zu begehen. Eine Befreiungund Lossprechung von Schuld und Ver-antwortung erfolge danach durch denGlauben und die Taufe. Insofern könntenauch Interessierte das Wagnis entspre-chender Untaten eingehen.

12. Weitere Hintergründe der KritikBei den genannten neun Einwänden, dievon Celsus, Porphyrios und Julian gegendas Christentum formuliert wurden, han-delt es sich um die direkt gegen die Grund-lagen, Inhalte, Positionen und Repräsen-tanten der Religion gerichtete Kritik. Dar-über hinaus bedarf es aber noch der Auf-merksamkeit für andere Gesichtspunkteund Hintergründe, die sich auf allgemei-nere Aspekte bezogen und von daher hiernicht ausführlicher thematisiert wurden.Dazu gehört auch die Ablehnung des Mo-notheismus als Glaube an nur den eige-nen und einzigen Gott. Die Kritik richtetesich nicht nur gegen die Inkonsequenzseiner Begründung im Christentum, son-dern auch gegen die damit verbundeneFrontstellung gegen den Polytheismus.Die heidnischen Götter wurden von denAnhängern der neuen Religion entwederals Dämonen diskreditiert oder in ihrerExistenz angezweifelt. Aufgrund dieserPosition, die mit der Ablehnung einer Ver-ehrung eben dieser Götter einherging, sa-hen sich die frühen Christen sogar desAtheismus-Vorwurfs ausgesetzt.Als philosophischer Gegensatz kommt dieunterschiedliche Auffassung von der Welthinzu: Während das antike Denken vonder Ewigkeit des Kosmos und der Weltausging, behauptete die christliche Positi-on deren Vergänglichkeit. Im letztgenann-ten Sinne galt nur Gott als ewig und des-sen Schöpfung als endlich. In der heidni-schen Perspektive gehörten die Götter zurWelt, die als ewige Ordnung auch nichtvon ihnen geschaffen wurde. Mit dieserDifferenz hing auch eine gegensätzlicheAuffassung zum Status des Menschen ge-genüber der Welt zusammen: Das antikeDenken sah den Menschen als zwar be-deutsamen, aber nicht herausragenden

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Bestandteil der Natur an. Im Unterschieddazu behauptete die christliche Position,die Erde sei eigentlich um des Menschenwillen geschaffen worden. Bezüglich derMacht Gottes bzw. der Götter bestandendemnach auch Differenzen: Während dasantike Denken in der Natur eine Grenze fürdie Macht der Götter sah, ging die christli-che Position von einer Allmacht Gottesauch über die Natur und Naturgesetze aus.Und schließlich müssen noch die politi-schen Aspekte bei den Einwänden gegendas Christentum angesprochen werden:Aufgrund der engen Beziehung von Ge-sellschaft, Politik und Religion in der an-tiken Welt stand eine abweichende Glau-bensform für mangelnde Akzeptanz undLoyalität gegenüber dem Gemeinwesen.Entscheidend dabei war allerdings nichtder individuelle Glaube oder Nicht-Glau-be, sondern die Teilnahme am offiziellenKultus. Da sich die Christen nun solchenRitualen wie der göttlichen Verehrung desKaisers entzogen, sahen sie sich den unter-schiedlichsten Vorwürfen von einer athe-istischen Gesinnung über eine dekadenteMoral bis zu einer sozialrevolutionärenOrientierung ausgesetzt. Die Abkehr vomStaat und die Isolierung in der Gesellschaftließen den Vorwurf von den „Staatsfein-den“ aufkommen. Man sah in ihnen eineGefahr für den Bestand der gesellschaft-lichen und politischen Ordnung des Rö-mischen Reichs.40 Und diese wie die vor-genannten Positionen teilten auch Celsus,Porphyrios und Julian.41

13. Inhaltliche Aktualität der KritikWie steht es nun aber um die inhaltlicheAktualität der Kritik, die einleitend anhandder Aussagen von Kahl und Kissler ex-emplarisch angesprochen wurde? Der letzt-genannte Autor ging in seiner Auseinan-

dersetzung mit den „Neuen Atheisten“ nurauf Celsus als deren angeblichen Vor-denker ein. Dabei verwies Kissler auf des-sen Geringschätzung der unteren Schich-ten, Glaube an mehrere Götter, Leugnungder menschlichen Willensfreiheit und Un-glaube gegenüber der Wiederauferste-hung.42 Doch sind dies die grundlegen-den Positionen des antiken Celsus und der„Neuen Atheisten“43 ? Davon kann bei ei-ner differenzierten Betrachtung von derenPositionen nicht die Rede sein. Kisslervermischt offenkundig in polemischer Ab-sicht das jeweils Gesagte miteinander undbringt es in einen anderen Sinnzusammen-hang. Allein schon die inhaltliche Identifi-zierung des antiken Philosophen mit denheutigen Evolutionstheoretikern machtdies deutlich, bewegen sich doch die je-weils vorgebrachten Einwände auf ganzunterschiedlichen Themenfeldern.Zunächst aber zu den methodischen Feh-lern bei der Gleichsetzung: Wenn heutigeKritiker des Christentums ähnliche Argu-mente aufgreifen wie die genannten dreiPhilosophen der Antike, dann bedeutetdies keineswegs auch eine Übereinstim-mung mit all ihren sonstigen Positionen.Celsus, Porphyrios und Julian verstandensich nicht als ungläubige Atheisten, son-dern als gläubige Heiden. Wenn man dieEinwände gegen die Gottessohnschaft oderMoralvorstellungen des Christentums derGenannten teilt, dann bedeutet dies nichtnotwendigerweise auch die Akzeptanz vonderen sonstigen Auffassungen. Julian wolltetatsächlich eine neue heidnische Staatsre-ligion einführen und Porphyrios neigte zuesoterischem Dämonen- und Orakelglau-ben. Der Bezug auf ihre Sachargumentezur Kritik des Christentums bedingt nichtdie Akzeptanz solcher und anderer Posi-tionen von ihnen. Dies gilt auch und gera-

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de für die Missachtung von Menschen un-terer sozialer Schicht, welche die seiner-zeitige soziale Basis des Christentums bil-deten.Berücksichtigt man viele der Einwändevon Celsus, Porphyrios und Julian, mussauch konstatiert werden, dass ihnen diespätere Forschung zur Frühgeschichte desChristentums recht gegeben hat. So las-sen sich die inhaltlichen Widersprüche imNeuen Testament kaum verleugnen. Auchoffizielle Bibel-Ausgaben behaupten nichtmehr, dass die Texte der Evangelien vonden namensgebenden zeitgenössischenAutoren stammen.44 Insofern können vie-le Einwände der genannten drei Philoso-phen auch noch heute Aktualität beanspru-chen. Mittlerweile sind sie durch die spä-teren Ergebnisse der Forschung nur ge-nauer belegt, was gleichwohl in der Ge-samtschau eine distanz- wie kritiklose Re-zeption als unangemessen erscheinen lässt.Als inhaltlich völlig unangemessen geltenmuss demgegenüber die von Kissler vor-genommene Gleichsetzung der Argumen-tation von Celsus mit den heutigen Evolu-tionstheoretiker und Neurobiologen. Letz-tere argumentieren primär auf Basis dernaturwissenschaftlichen Forschung, dieCelsus noch nicht einmal ansatzweise be-kannt war.

14. Schlusswort und Zusammenfas-sungEr, Porphyrios und Julian formulierten ihreEinwände gegen das Christentum von ei-ner ganz anderen inhaltlichen Grundlageaus: Sie bestand allgemein gesprochen aufBasis des antiken Denkens, das philoso-phisch platonisch und religiös heidnischausgerichtet war. Damit kann auch eingrundlegender Unterschied bezüglich desMenschen- und Weltbildes konstatiert wer-

den. Er bildet auch den inhaltlichen Aus-gangspunkt für die Entwicklung der Ein-wände gegen das Christentum: Man sahden Kosmos und die Welt als ewig undnicht vergänglich an. Der Mensch galtnicht als Krone der Schöpfung, sondernnur als Teil der Welt. Auch die Götter stan-den in dieser Perspektive nicht für all-mächtige und überirdische Wesen. Genaudiese Merkmale schrieben die Christen aberihrem einen Gott zu. Deren Absonderungin der Gesellschaft und ihre Verweigerunggegenüber Kultushandlungen ließen sie alsAtheisten gegenüber dem heidnischen Glau-ben, Gegner der bestehenden Gesellschafts-ordnung und Minderheit mit absonderli-chen Positionen erscheinen.Gegen diese Auffassungen richteten sichdie Einwände von Celsus, Porphyrios undJulian, die inhaltlich nahezu deckungsgleichsind. Inwieweit die beiden späteren Auto-ren auf Celsus Bezug nahmen, kann ange-sichts der schlechten Quellenlage heutenicht mehr zweifelsfrei eingeschätzt wer-den. Die drei Philosophen wiesen auf fol-gende Gesichtspunkte hin: In Form undInhalt orientierte sich das Christentum anInhalten, Legenden und Ritualen frühererMythen und Religionen, womit der be-hauptete Originalitätsanspruch in Abredegestellt werden muss. Die besondere Ex-klusivität des christlichen Glaubens galtauch als Anmaßung, sollte doch die religi-öse Gruppe der Christen als allein von Gottauserwählt verstanden werden. Sowohl imAlten wie im Neuen Testamen fanden sichnach den Aussagen der Kritiker Berichte,die inhaltlich nicht schlüssig bis völlig wi-dersprüchlich waren. Dies galt ebenso imBesonderen für die Auffassung von derGottessohnschaft und den Wundertaten.In den wichtigsten Aposteln Paulus undPetrus sah man zweifelhafte Charaktere.

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Die spätere kritische Bibel-Forschung, de-ren Ergebnisse mittlerweile auch von vie-len Theologen akzeptiert werden, bestä-tigte diese frühen Annahmen mittlerweile.Dies erklärt auch die bleibende Aktualitätder vorgetragenen Einwände. Sie könnennun gleichwohl viel besser begründet undbelegt werden. Man muss diesbezüglichnicht mehr auf Celsus, Porphyrios und Ju-lian verweisen. Die Betrachtung und Deu-tung von deren Schriften veranschaulichtgleichwohl, dass viele mittlerweile gut be-legte Erkenntnisse im kritischen Sinne be-reits in der Frühphase der Geschichte desChristentums geäußert wurden. Bei derengegenwärtiger Rezeption versteht es sicheigentlich von selbst, dass man damit nichtauch die sonstigen personen- bzw. zeitge-bundenen Auffassungen der drei erwähn-ten Philosophen teilen muss. Einem mitsolchen Deutungen verbundenen geneti-schen oder intentionalistischen Fehlschlussgeht und ginge es um die Immunisierunggegenüber der Kritik, die sich auf die in-haltliche Seite der Einwände gegen dieGrundlagen des Christentums bezieht.

Anmerkungen:1 Joachim Kahl, Das Elend des Christentums (1968),Reinbek 1993, S. 146.2 Alexander Kissler, Der aufgeklärte Gott. Wie dieReligion zur Vernunft kam, München 2008, S. 49.3 Vgl. Karlheinz Deschner (Hrsg.), Das Christen-tum im Urteil seiner Gegner, München 1986, wosich als einzige Repräsentanten der Antike Kurz-Portraits über Celsus (von Klaus Ahlheim, ebenda,S. 16-26), Porphyrios (Wilhelm Halbfaß, ebenda,S. 27-36) und Julian (von Karlheinz Deschner, eben-da, S. 37-51) finden.4 Celsus, Gegen die Christen, München 1991. Eshandelt sich um einen Neudruck der Übersetzungvon Th. Keim aus dem Jahr 1873. Deren Schreib-weise wird bei den Zitaten beibehalten. (Die Anga-ben in Klammern hinter jedem Zitat sollen das Auf-finden in anderen Ausgaben erleichtern.)

5 Porphyrios, Gegen die Christen. Auszüge aus Ma-karios Magnes’ Apokritikos. Bearbeitet und neuherausgegeben von Detlef Weigt, Leipzig 2004. Eshandelt sich um die Übersetzung von Adolf vonHarnack. (Die Angaben in Klammern hinter jedemZitat sollen das Auffinden in anderen Ausgaben er-leichtern.)6 Julian Apostata, Stieropfer gegen das Christen-tum. Ausgewählte philosophische Werke. Heraus-gegeben und bearbeitet von Detlef Weigt, Leipzig2009. Die darin enthaltenen Texte folgen den Über-setzungen von Rudolf Asmus von 1908 und Johan-nes Neumann von 1880. Besondere Bedeutung hatangesichts der formulierten Fragestellung der Text„Gegen die Galiläer“, ebenda, S. 7-50. (Die Anga-ben in Klammern hinter jedem Zitat sollen das Auf-finden in anderen Ausgaben erleichtern.)7 Vgl. u.a. Carl Andresen, Logos und Nomos. DiePolemik des Kelsos wider das Christentum, Berlin1955; Karl Pichler, Streit um das Christentum. DerAngriff des Kelsos und die Antwort des Origines,Frankfurt/M. 1980.8 Vgl. u.a. Heinrich Dörrie, Porphyrios als Mittlerzwischen Plotin und Augustinus, in: Heinrich Dörrie,Platonica Minora, München 1976, S. 454-473;Andrew Smith, Porhyry’s Place in the NeoplatonicTradtion, Den Haag 1974.9 Vgl. u.a. Klaus Bringmann, Kaiser Julian. Der letz-te heidnische Herrscher, Darmstadt 2004; KlausRosen, Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser,Stuttgart 2006.10 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 65 (1,4).11 Ebenda, S. 112 (4, 36).12 Ebenda, S. 137 (6, 1).13 Ebenda, S. 142 (6, 16).14 Ebenda, S. 111 (4, 23).15 Julian Apostata, Gegen die Galiläer (Anm. 6), S.14 (100 A).16 Die Ausführungen bezogen sich auf folgende Bi-belstellen: 2. Mos. 4, 22f; 2. Mos. 5,3; 2. Mos. 7,16, Röm. 3, 29.17 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 113 (4,41).18 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S. 45(Apokrtikos III, 3). Vgl. hierzu 4. Esra 14, 21-25.19 Vgl. Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5),S. 82 (Kritik an Daniel).20 Julian Apostata, Gegen die Galiläer (Anm. 6), S.9f. (82 A, 94 A). Die Aussagen beziehen sich auf

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folgende Stelle im Alten Testament: 1. Mos. 3,22.21 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 83(2, 27).22 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S.38f. (Apokritikos II, 12).23 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 71(1, 28).24 Ebenda, S. 106 (4, 1).25 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S.40 (Apokritikos II, 14).26 Julian Apostata, Gegen die Galiläer (Anm. 6),S. 40 (327 A)27 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 66(1, 6).28 Ebenda, S. 88 (2, 49).29 Julian Apostata, Gegen die Galiläer (Anm. 6),S. 28 (213 B und C).30 Vgl. dazu die Aussagen in folgenden Stellendes Neuen Testaments: Mt. 16, 18 und 23.31 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S.57 (Apokritikos III, 19).32 Vgl. dazu die Aussagen in folgenden Stellendes Neuen Testaments: Apg. 5, 1-11.33 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S.62 (Apokritikos III, 32). Die Ausführungen be-ziehen sich auf folgende Stellen des Neuen Te-staments: 1. Kor. 9, 7 und 9.34 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 67(1, 9).35 Ebenda, S. 105 (3, 75).36 Ebenda, S. 140 (6, 12).37 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S.73 (Apokritikos IV, 9).38 Celsus, Gegen die Christen (Anm. 4), S. 102f.(3, 59; 3, 62).39 Porphyrios, Gegen die Christen (Anm. 5), S.74f. (Apokritikos IV, 19).40 Später erklärten sich Historiker – allerdings ineine doch sehr einseitigen Perspektive – denNiedergang des Römischen Reichs durch denEinfluss des Christentums. Als diesbezüglicher„Klassiker“ gilt: Edward Gibbon, Verfall undUntergang des Römischen Reiches (1776-1788),Köln 2006.41 Über die antike Kritik am Christentum liegenkaum Abhandlungen vor, sieht man einmal vonden oben erwähnten Spezialstudien zu den dreihier behandelten Philosophen ab. Eine Ausnah-me stellt dar: Wilhelm Nestle, Die Haupteinwän-

de des antiken Denkens gegen das Christentum,in: Archiv für Religionswissenschaft, Bd. 36 von1941/42, S. 51-100. Diese Abhandlung erschienzwar zur Zeit des Nationalsozialismus, sie abernicht entsprechend der seinerzeit vorherrschen-den Ideologie inhaltlich geprägt.42 Vgl. Kissler, Der aufgeklärte Gott (Anm. 2),S. 43-61.43 Vgl. u.a. Richard Dawkins, Der Gotteswahn(2006), Berlin 2007; Michael Schmidt-Salomon,Manifest des evolutionären Humanismus. Plä-doyer für eine zeitgemäße Leitkultur,Aschaffenburg 2005.44 So heißt es etwa in der Einleitung zum Evan-gelium nach Matthäus in: Die Bibel Altes undNeues Testament, Einheitsübersetzung, Freiburg1980, S. 1086: „Das Evangelium setzt den Un-tergang Jerusalems (70 n. Chr.) voraus: es istwohl um 80 n. Chr. verfasst worden, und zwarvermutlich in Syrien (eher als in Palästina).“