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Anwaltspraxis Entwicklung und Regulie- rung des deutschen Media- tionsmarktes Zur Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren Professor Dr. Horst Eidenmüller, Oxford, und PD Dr. Martin Fries, München Am 1. September 2017 tritt die neue Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren in Kraft. Die Verordnung, abgekürzt ZMediatAusbV, soll die Qualität von Mediatonsleistungen und das Vertrauen in Mediations- verfahren stärken. Vor dem Hintergrund verschiedener denk- barer Regulierungsinstrumente skizzieren die Autoren das Regulierungskonzept der ZMediatAusbV. Ihr Fazit: Es wird den deutschen Mediationsmarkt nicht voranbringen. I. Problemstellung und Einführung Die außergerichtliche Mediation hat es in Deutschland zu ei- ner gewissen Bekanntheit gebracht. Mehr als zwei Drittel der Bundesbürger haben davon schon einmal gehört. 1 Gleich- wohl hat sich das Mediationsverfahren in der Praxis noch nicht zu einer gleichwertigen Alternative zum staatlichen Ge- richtsverfahren entwickelt. 2 Vergleichsweise populär ist allein die gerichtsinterne Mediation, das so genannte Güterichter- verfahren nach § 278 Abs. 5 ZPO, das im Jahr 2015 immerhin in knapp 20.000 Fällen zur Anwendung kam. 3 Vor diesem Hintergrund versucht der Gesetzgeber, der Mediation durch die Gestaltung eines Rechtsrahmens Auftrieb zu geben. So ist im Jahr 2008 die europäische Mediationsrichtlinie erlassen worden, 4 die der deutsche Gesetzgeber 2012 mit seinem Me- diationsgesetz umgesetzt hat. 5 In einem weiteren Schritt wird nun der Beruf des Mediators reguliert: Das Bundes- ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat vor kurzem auf der Grundlage des Mediationsgesetzes die Ver- ordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (ZMediatAusbV) erlassen. 6 Deren Ziel ist es, das Vertrauen der Nachfrager in die Qualität der Mediation durch Einführung eines Gütesiegels zu stärken. 7 Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über verschiede- ne Regulierungsinstrumente zur Förderung der Mediation (II.). Anschließend richtet sich das Augenmerk konkret auf die Sicherung der Dienstleistungsqualität eines Mediators durch die nun eingeführte Zertifizierung (III.). Darauf folgt ein Blick auf die weitere Entwicklung des Mediationsmarkts in Deutschland (IV.). Der Beitrag schließt mit einem Fazit (V.). II. Regulierungsinstrumente zur Förderung der Mediation Zur Förderung der Nutzung von Mediationsverfahren gibt es eine Reihe von verschiedenen Instrumenten, die sich in un- terschiedlicher Weise empfehlen. 1. Konzeptionelles Spektrum des Gesetzgebers Der Gesetzgeber kann die Mediation zunächst durch ein me- diationsfreundliches Zivilprozessrecht stärken. So kann er etwa die Parteien eines Rechtsstreits vor der Anrufung eines staatlichen Gerichts auf einen Mediationsversuch verweisen. Eine solche Mediationspflicht kann sich entweder unmittel- bar aus dem Gesetz ergeben oder aber im Einzelfall von ei- nem Richter angeordnet werden. Das deutsche Recht nor- miert gesetzliche Streitbeilegungspflichten etwa für nachbar- rechtliche Ansprüche und Ehrverletzungen in § 15 a Abs. 1 S. 1 EGZPO in Verbindung mit den jeweiligen Länder-Aus- führungsgesetzen. Die richterliche Anordnung eines Media- tionsversuchs kennt das deutsche Recht nicht; die Möglich- keiten des Richters beschränken sich auf den Vorschlag einer (sog. gerichtsnahen) Mediation nach § 278a Abs. 1 ZPO. Eigentlich sollen die Streitparteien nach der Vorstellung des Gesetzgebers freilich schon vor der Anrufung eines Ge- richts durch ihre Rechtsanwälte über die Möglichkeit einer Mediation informiert werden. Um dies sicherzustellen, ver- pflichtet der Gesetzgeber Zivilkläger seit 2012 über § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, sich bei Klageerhebung über ihre Media- tionsbereitschaft zu erklären. 8 Andere Rechtsordnungen sind mit zivilprozessualen Mitteln zur Förderung der Mediation weniger zurückhaltend: Das italienische Recht etwa wartet seit 2011 mit einer weitreichenden Mediationspflicht auf; 9 das englische Recht schafft zumindest starke Anreize zur Me- diation, wenn es die Verfahrenskosten in bestimmten Fällen derjenigen Partei auferlegt, die sich einer Mediation verwei- gert hat. 10 Scheut der Gesetzgeber derart tiefe Eingriffe in das Zivil- prozessrecht, kommt alternativ in Betracht, die Mediation gleichsam von außen zu fördern. Mit einer PKH-analogen Mediationskostenhilfe kann der Staat denjenigen Parteien die Entscheidung zugunsten der Mediation erleichtern, die aus Kostengründen davor zurückschrecken. In Österreich 11 und in der Schweiz 12 gibt es seit kurzem solche Kostenhilfen für bestimmte familienrechtliche Streitigkeiten, und auch das Land Berlin hat sich kürzlich zu einer projektweisen För- derung von Familienmediationen entschlossen. 13 Anwaltspraxis Entwicklung und Regulierung des deutschen Mediationsmarktes, Eidenmüller/Fries AnwBl 1 / 2017 23 1 Roland Rechtsreport 2016, S. 23. 2 Mediationsverfahren finden in Deutschland in aller Regel ohne institutionelle Begleitung statt. Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) beispielsweise hat in den vergangenen Jahren nur ein Mediationsverfahren pro Jahr betreut. Statistiken über die nicht-institutionelle Mediation gibt es nicht. Im Vergleich zur Zahl der Gerichtsverfahren ist diejenige für Mediationsverfahren jedoch verschwindend gering. Im Leben der meis- ten Menschen spielt die Mediation keine Rolle. 3 Vgl. die ausführliche Statistik bei https://www.mediatorenausbildung.org. 4 ABlEUL136v.24.Mai2008,S.3. 5 BGBl 2012 I, S. 1577. Dazu ausführlich Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Me- diationsrecht, 2015, Kap. 4 und Kap. 5. 6 BGBl2016I,S.1994. 7 Siehe Eicher, ZKM 2016, 160. 8 Auch wenn das Gesetz insoweit eine Soll-Formulierung wählt, ist die Angabe doch ver- bindlich; allerdings führt ihr Fehlen nicht zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung, Schellhammer, Zivilprozess, 2016, Rn. 5. 9 Gesetz Nr. 98/13, in Kraft seit dem 20. September 2013. Die etwas weiter gefasste Vor- gängerregelungausdemJahr2010hattederitalienischeVerfassungsgerichtshofimJahr 2012 für verfassungswidrig erklärt. 10 Althammer,JZ2006,69ff.; Bercher/Engel,ZRP2010,126ff.; Eidenmüller, JZ 2015, 539, 547. 11 Rechtsgrundlage sind die österreichischen Richtlinien zur Förderung von Mediation, GZ 42.0500/9-II/2/10. 12 Der Anspruch auf Mediationskostenhilfe folgt aus Art. 218 der Schweizerischen ZPO. 13 Das Land Berlin fördert die Berliner Initiative für Geförderte Familienmediation (BIGFAM) 2016 und 2017 mit insgesamt 200.000 Euro. Aufsätze

AnwBl 2017 01 Umbruch 23. · 2020-04-17 · Entwicklung und Regulierung des deutschen Mediationsmarktes, Eidenmüller/Fries AnwBl 1 / 2017 23 1 Roland Rechtsreport 2016, S. 23. 2

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Entwicklung und Regulie-rung des deutschen Media-tionsmarktesZur Verordnung über die Aus- und Fortbildung vonzertifizierten MediatorenProfessor Dr. Horst Eidenmüller, Oxford, und PD Dr. Martin Fries, München

Am 1. September 2017 tritt die neue Verordnung über dieAus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren in Kraft.Die Verordnung, abgekürzt ZMediatAusbV, soll die Qualitätvon Mediatonsleistungen und das Vertrauen in Mediations-verfahren stärken. Vor dem Hintergrund verschiedener denk-barer Regulierungsinstrumente skizzieren die Autoren dasRegulierungskonzept der ZMediatAusbV. Ihr Fazit: Es wirdden deutschen Mediationsmarkt nicht voranbringen.

I. Problemstellung und Einführung

Die außergerichtliche Mediation hat es in Deutschland zu ei-ner gewissen Bekanntheit gebracht. Mehr als zwei Drittel derBundesbürger haben davon schon einmal gehört.1 Gleich-wohl hat sich das Mediationsverfahren in der Praxis nochnicht zu einer gleichwertigen Alternative zum staatlichen Ge-richtsverfahren entwickelt.2 Vergleichsweise populär ist alleindie gerichtsinterne Mediation, das so genannte Güterichter-verfahren nach § 278 Abs. 5 ZPO, das im Jahr 2015 immerhinin knapp 20.000 Fällen zur Anwendung kam.3 Vor diesemHintergrund versucht der Gesetzgeber, der Mediation durchdie Gestaltung eines Rechtsrahmens Auftrieb zu geben. Soist im Jahr 2008 die europäische Mediationsrichtlinie erlassenworden,4 die der deutsche Gesetzgeber 2012 mit seinem Me-diationsgesetz umgesetzt hat.5 In einem weiteren Schrittwird nun der Beruf des Mediators reguliert: Das Bundes-ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat vorkurzem auf der Grundlage des Mediationsgesetzes die Ver-ordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifiziertenMediatoren (ZMediatAusbV) erlassen.6 Deren Ziel ist es, dasVertrauen der Nachfrager in die Qualität der Mediation durchEinführung eines Gütesiegels zu stärken.7

Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über verschiede-ne Regulierungsinstrumente zur Förderung der Mediation(II.). Anschließend richtet sich das Augenmerk konkret aufdie Sicherung der Dienstleistungsqualität eines Mediatorsdurch die nun eingeführte Zertifizierung (III.). Darauf folgtein Blick auf die weitere Entwicklung des Mediationsmarktsin Deutschland (IV.). Der Beitrag schließt mit einem Fazit (V.).

II. Regulierungsinstrumente zur Förderungder Mediation

Zur Förderung der Nutzung von Mediationsverfahren gibt eseine Reihe von verschiedenen Instrumenten, die sich in un-terschiedlicher Weise empfehlen.

1. Konzeptionelles Spektrum des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber kann die Mediation zunächst durch ein me-diationsfreundliches Zivilprozessrecht stärken. So kann eretwa die Parteien eines Rechtsstreits vor der Anrufung einesstaatlichen Gerichts auf einen Mediationsversuch verweisen.Eine solche Mediationspflicht kann sich entweder unmittel-bar aus dem Gesetz ergeben oder aber im Einzelfall von ei-nem Richter angeordnet werden. Das deutsche Recht nor-miert gesetzliche Streitbeilegungspflichten etwa für nachbar-rechtliche Ansprüche und Ehrverletzungen in § 15a Abs. 1S. 1 EGZPO in Verbindung mit den jeweiligen Länder-Aus-führungsgesetzen. Die richterliche Anordnung eines Media-tionsversuchs kennt das deutsche Recht nicht; die Möglich-keiten des Richters beschränken sich auf den Vorschlag einer(sog. gerichtsnahen) Mediation nach § 278a Abs. 1 ZPO.

Eigentlich sollen die Streitparteien nach der Vorstellungdes Gesetzgebers freilich schon vor der Anrufung eines Ge-richts durch ihre Rechtsanwälte über die Möglichkeit einerMediation informiert werden. Um dies sicherzustellen, ver-pflichtet der Gesetzgeber Zivilkläger seit 2012 über § 253Abs. 3 Nr. 1 ZPO, sich bei Klageerhebung über ihre Media-tionsbereitschaft zu erklären.8 Andere Rechtsordnungen sindmit zivilprozessualen Mitteln zur Förderung der Mediationweniger zurückhaltend: Das italienische Recht etwa wartetseit 2011 mit einer weitreichenden Mediationspflicht auf;9

das englische Recht schafft zumindest starke Anreize zur Me-diation, wenn es die Verfahrenskosten in bestimmten Fällenderjenigen Partei auferlegt, die sich einer Mediation verwei-gert hat.10

Scheut der Gesetzgeber derart tiefe Eingriffe in das Zivil-prozessrecht, kommt alternativ in Betracht, die Mediationgleichsam von außen zu fördern. Mit einer PKH-analogenMediationskostenhilfe kann der Staat denjenigen Parteiendie Entscheidung zugunsten der Mediation erleichtern, dieaus Kostengründen davor zurückschrecken. In Österreich11

und in der Schweiz12 gibt es seit kurzem solche Kostenhilfenfür bestimmte familienrechtliche Streitigkeiten, und auch dasLand Berlin hat sich kürzlich zu einer projektweisen För-derung von Familienmediationen entschlossen.13

Anwaltspraxis

Entwicklung und Regulierung des deutschen Mediationsmarktes, Eidenmüller/Fries AnwBl 1 / 2017 23

1 Roland Rechtsreport 2016, S. 23.

2 Mediationsverfahren finden in Deutschland in aller Regel ohne institutionelle Begleitungstatt. Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) beispielsweise hat in denvergangenen Jahren nur ein Mediationsverfahren pro Jahr betreut. Statistiken über dienicht-institutionelle Mediation gibt es nicht. Im Vergleich zur Zahl der Gerichtsverfahrenist diejenige für Mediationsverfahren jedoch verschwindend gering. Im Leben der meis-ten Menschen spielt die Mediation keine Rolle.

3 Vgl. die ausführliche Statistik bei https://www.mediatorenausbildung.org.

4 ABl EU L 136 v. 24. Mai 2008, S. 3.

5 BGBl 2012 I, S. 1577. Dazu ausführlich Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Me-diationsrecht, 2015, Kap. 4 und Kap. 5.

6 BGBl 2016 I, S. 1994.

7 Siehe Eicher, ZKM 2016, 160.

8 Auch wenn das Gesetz insoweit eine Soll-Formulierung wählt, ist die Angabe doch ver-bindlich; allerdings führt ihr Fehlen nicht zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung,Schellhammer, Zivilprozess, 2016, Rn. 5.

9 Gesetz Nr. 98/13, in Kraft seit dem 20. September 2013. Die etwas weiter gefasste Vor-gängerregelung aus dem Jahr 2010 hatte der italienische Verfassungsgerichtshof im Jahr2012 für verfassungswidrig erklärt.

10 Althammer, JZ 2006, 69ff.; Bercher/Engel, ZRP 2010, 126ff.; Eidenmüller, JZ 2015, 539,547.

11 Rechtsgrundlage sind die österreichischen Richtlinien zur Förderung von Mediation, GZ42.0500/9-II/2/10.

12 Der Anspruch auf Mediationskostenhilfe folgt aus Art. 218 der Schweizerischen ZPO.

13 Das Land Berlin fördert die Berliner Initiative für Geförderte Familienmediation (BIGFAM)2016 und 2017 mit insgesamt 200.000 Euro.

Aufsätze

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Eine dritte Möglichkeit zur Förderung der Mediation liegtschließlich in dem Bemühen, Qualität und Akzeptanz derMediation zu steigern. In diese Kategorie gehören einerseitsex-ante-Regeln zur Verbesserung der Qualifikation von Me-diatoren wie etwa Zulassungsregeln oder Vorschriften zurZertifizierung von Mediatoren. Andererseits sind auch expost ansetzende Regeln wie ein engmaschiges ziviles Haf-tungsrecht oder strafrechtliche Sanktionen bei gravierendemFehlverhalten denkbar.

2. Bewertung der einzelnen Regulierungsinstrumente

Versucht man eine Bewertung der einzelnen Instrumentezur Förderung der Mediation, so ist bei gesetzlichen Media-tionspflichten eher Zurückhaltung geboten. Pauschale Lö-sungen sind selbst dann problematisch, wenn sie – nachdem Muster des § 15a Abs. 1 S. 1 EGZPO – auf einzelneRechtsbereiche begrenzt sind. Denn zu vielgestaltig sind dieeinzelnen streitigen Sachverhalte, und zu wichtig ist ein offe-ner Zugang zu den Gerichten, als dass sich der Gesetzgeberhier systematische Einschnitte leisten könnte. Erwägenswertsind allerdings einzelfallbezogene Anordnungen eines Me-diationsversuchs und vor allem eine Flexibilisierung des Kos-tenrechts im Sinne einer Möglichkeit, wie in England vorpro-zessual unvernünftiges (kompromissloses) Verhalten berück-sichtigen zu können.14 Auch dieser Mittel sollte sich der Ge-setzgeber aber nur dann bedienen, wenn zurückhaltendereInstrumente versagen. Als milderes Mittel kommt insbeson-dere eine rigidere Durchsetzung des § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPOin Betracht, der Rechtsanwälte indirekt für die Verfahrens-wahlberatung in die Pflicht nimmt: ein Rechtsanwalt, der sei-nem Mandanten „blind“ zum Prozess rät, obwohl im Einzel-fall eine Mediation eine rasche und interessengerechte Kon-fliktlösung verspricht, sollte für etwaige Nachteile des Man-danten haften.

Im Vergleich zu den teilweise problematischen Eingriffenin das Zivilprozessrecht erscheint die Einführung einer Me-diationskostenhilfe prima facie als ein vergleichsweise zurück-haltender und insofern sympathischer Weg.15 Immerhin in-vestiert der Staat auch an anderer Stelle erhebliche Summenin die finanzielle Unterstützung der alternativen Streitbeile-gung.16 Problematisch ist freilich, dass eine Kostenhilfe zwarmanche Streitpartei zur Mediation führen mag, sie aber vonderen Vorzügen nicht unbedingt inhaltlich überzeugt. Zu-dem bergen Kostenhilfen stets die Gefahr einer Wettbewerbs-verzerrung zugunsten bestimmter und zulasten anderer Kon-fliktbehandlungsformen. Und schließlich ist es auch rechts-praktisch schwierig, die Voraussetzungen für die Inanspruch-nahme einer Mediationskostenhilfe so zu formulieren, dassdiese einerseits von der Anrufung eines Gerichts unabhängigist, andererseits aber nicht für jeden Streit am Küchentischgewährt wird.17

Diese Schwierigkeiten bei der Förderung der Mediationdurch die Ausgestaltung des Zivilprozessrechts oder durchKostenhilfen könnten den Gesetzgeber dazu bewogen haben,stattdessen ein Qualitätssicherungsmodell zu etablieren undüber das Mediationsgesetz die Grundlage für den zertifizier-ten Mediator als ein freiwilliges Qualitätssiegel für Media-toren zu schaffen. Ein ähnliches Modell findet sich in einigenUS-Bundesstaaten, die eine Zertifizierung für gerichtsnaheMediatoren etabliert haben.18 Die auf Basis des § 5 Abs. 2 Me-diationsG ergangene Verordnung über die Aus- und Fortbil-dung von zertifizierten Mediatoren regelt nunmehr die Ein-zelheiten des zertifizierten Mediators in Deutschland. Dabei

muss sich die Verordnung freilich auch an dem Ziel der Qua-litätssicherung messen lassen.

III. Der zertifizierte Mediator nach derZMediatAusbV

Die ZMediatAusbV definiert Voraussetzungen für die Be-zeichnung „zertifizierter Mediator“. Wer diese Bezeichnungführen will, muss künftig einen Ausbildungslehrgang imUmfang von mindestens 120 Präsenzzeitstunden absolvierenund binnen eines Jahres nach dessen Abschluss einen prakti-schen Mediationsfall akquirieren und supervidieren lassen(§ 2). In den zwei darauf folgenden Jahren muss er weiterevier Mediationsfälle akquirieren und supervidieren lassen(§ 4) und sich fortan in Vierjahresintervallen jeweils im Um-fang von 40 Zeitstunden fortbilden (§ 3).

Dieser Regulierungsansatz des Bundesgesetzgeber kranktan drei zentralen Defiziten: Es fehlt schon an einem Befundmangelhafter Qualität in der gegenwärtigen Mediationspra-xis; darüber hinaus ist der Ansatz der ZMediatAusbV aberauch weitgehend ungeeignet zur Erreichung des verfolgtenZiels, und schließlich erweist sich die Regelung in erhebli-chem Umfang als unbestimmt und inkohärent.

1. Kein Befund mangelhafter Mediationsqualität

Zunächst erstaunt es, dass der ZMediatAusbV als einer Qua-litätssicherungsmaßnahme kein Befund vorausging, wonaches an der Qualität von Mediationsdienstleistungen mangele.Nach dem konzeptionellen Ansatz des Verordnungsgebers,der offenbar eine Mindestausbildungsstundenzahl als Quali-tätssicherungsinstrument begreift, ist mit Blick auf die ge-genwärtige Ausbildungslandschaft eher eine Überqualifikati-on von Mediatoren zu konstatieren, denn die Mehrzahl derAusbildungsinstitute geht bereits heute weit über die nun-mehr geforderten 120 Stunden hinaus. Es gibt sogar Media-tionsstudiengänge mit Masterabschluss, die in Summe ver-mutlich ein Vielfaches der nun zum Standard erhobenenAusbildungszeit erreichen. Einen Ausbildungsrückstandwird man den Absolventen dieser Lehrgänge kaum vorwerfenkönnen. Aber auch für Teilnehmer kürzerer Ausbildungenexistiert keinerlei rechtspraktischer Befund, dass es ihnen anzureichendem Mediationsgeschick fehle. Es gibt keine ein-zige Entscheidung eines deutschen Gerichts, die einen Me-diator für mangelhafte Mediationsleistungen haftbar gemachthätte.19 Offenbar funktioniert der Markt als Kontrollinstru-ment also gut.

Anwaltspraxis

24 AnwBl 1 / 2017 Entwicklung und Regulierung des deutschen Mediationsmarktes, Eidenmüller/Fries

14 Eidenmüller, JZ 2015, 539, 546f.

15 Dafür Mähler, ZKM 2003, 73, 76; Proksch, ZKM 2010, 39, 42 f.; Proksch, ZKM 2011, 173,176f.

16 Das betrifft namentlich die Förderung des Zentrums für Schlichtung im Bereich der Ver-braucherstreitbeilegung nach § 43 Abs. 1 VSBG. Dazu etwa Eidenmüller, Online DisputeResolution (ODR) und Consumer ADR, Bitburger Gespräche 2016 [im Druck].

17 Engel/Hornuf, ZZP 124 (2011), 505, 509. Weiterführend Engel, in: Eidenmüller/Wagner (o.Fn. 5), Kap. 10 Rn. 73 ff.; Steffek, RabelsZ 74 (2010), 848, 870f. m.w.N.

18 Dazu zählen etwa Florida mit den Florida Rules for Certified and Court-Appointed Me-diators und Virginia mit den Guidelines for the Training and Certification of Court-ReferredMediators.

19 Eidenmüller, in: Eidenmüller/Wagner (o. Fn. 5), Kap. 4 Rn. 3.

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2. Fehlende Eignung der ZMediatAusbV zur Qualitäts-sicherung in der Mediation

Auch wenn es insofern schon an einem Anlass für ein Tätig-werden des Verordnungsgebers mangelt, so wiegt nochschwerer, dass die Regelungen der ZMediatAusbV das Ziel ei-ner Qualitätssicherung praktisch vollkommen verfehlen.20

Die Rolle eines Trainers für zertifizierte Mediatoren kannnach § 5 ZMediatAusbV jeder übernehmen, der über ein be-liebiges Hochschulstudium oder eine abgeschlossene Berufs-ausbildung verfügt; insbesondere müssen die Ausbilder nichtselbst zertifizierte Mediatoren sein.

Anders als der Begriff einer Zertifizierung suggeriert, siehtdie Verordnung sodann keine Kontrolle der theoretischenKenntnisse oder handwerklichen Fähigkeiten eines Aspiran-ten vor. Es ist vielmehr ausreichend, 120 Ausbildungsstundenabzusitzen; das individuelle Mediationswissen und -könnenspielen keine Rolle. Sicherlich: Eine echte Leistungskontrolleim Sinne einer theoretischen und praktischen Prüfung, diewohlüberlegten Kriterien folgt und grundlegenden Gerechtig-keitsmaßstäben genügt, wäre mit einer erheblichen Prü-fungsbürokratie verbunden. Nicht ohne Grund hat etwa derösterreichische Gesetzgeber auf einen zertifizierten Mediatorverzichtet und sich auf die Einführung eines eingetragenenMediators beschränkt.21 Wenn man angesichts dessen von ei-ner Prüfung absieht, sollte man konsequenterweise aber auchnicht von „Zertifizierung“ sprechen. „Zertifizieren“ heißtdem Wortsinn nach „versichern“ – und ohne eine Leistungs-kontrolle lässt sich eben nicht versichern, dass ein Kandidatüber bestimmte Fähigkeiten verfügt. Das aber werden dieNachfrager von Mediationsleistungen bei einem „zertifizier-ten Mediator“ denken und erwarten.

3. Unbestimmtheit und Inkohärenz der ZMediatAusbV

Ein dritter Kritikpunkt betrifft die Unbestimmtheit und Inko-härenz der ZMediatAusbV. Nach der Lektüre des ohne erläu-ternde Erwägungen ergangenen Verordnungstextes bleibtvieles unklar. Dazu zählen etwa die Frage nach Art und Um-fang der Einzelsupervisionen22 oder auch die Kontur der „er-forderlichen“ Fachkenntnisse der im Rahmen der Media-tionsausbildung eingesetzten Lehrkräfte. Abseits dessen war-tet die ZMediatAusbV mit einer handfesten Inländerdiskri-minierung23 auf: Wer seine Mediationsausbildung „im Aus-land“ absolviert, kann sich statt mit 120 mit nur 90 Ausbil-dungsstunden begnügen und in diese Rechnung sogar auchnoch Fernunterricht mit einbeziehen.24 Das setzt für Ausbil-dungsinstitute einen klaren Anreiz, ins Ausland abzuwan-dern. Dabei genügt – mutmaßlich entgegen den Vorstellun-gen des Gesetzgebers25 – schon eine Umwandlung der Aus-bildungsinstitution in eine ausländische Rechtsform, denndiese bestimmt den Regulierungszugriff der jeweiligen staat-lichen Behörden.26

IV. Weitere Entwicklung des deutschenMediationsmarktes

Wie wird sich der deutsche Mediationsmarkt unter Geltungder ZMediatAusbV künftig entwickeln? Zunächst einmalsteht zu erwarten, dass viele Ausbildungsinstitute ihre An-gebote nunmehr an der neuen Rechtsverordnung ausrichten.Manche Einrichtungen werden ins Ausland abwandern, umeinen billigeren zertifizierten Mediator offerieren zu können.Nicht ausgeschlossen ist auch eine Verfassungsbeschwerde

gegen die offene Inländerdiskriminierung, deren Erfolg letzt-lich die Architektur der gesamten Verordnung gefährdenwürde.27 Sollte die Verordnung dagegen weiter Bestand ha-ben, wird das Gros der Mediatoren wohl eine Zertifizierunganstreben, weil sie sich davon eine bessere Marktposition ver-sprechen. Gleichwohl wird dies weder zu einem Aufschwungder außergerichtlichen Mediation in Deutschland noch zu ei-ner Steigerung der individuellen Mediationsqualität führen.Den Profit aus der Verordnung ziehen in erster Linie Ausbil-dungsinstitute, die den zertifizierten Mediator nunmehr alsnotwendiges Ausbildungsminimum verkaufen. Indirektkönnten sich dadurch auch die Kosten von Mediationsverfah-ren erhöhen. Das wiederum könnte den Wettbewerbsvorteilder gerichtsinternen Mediation weiter stärken, denn diese istfür die Parteien eines Rechtsstreits bis auf Weiteres kostenloszu haben.28

V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die kürzlich ergangene Verordnung über die Aus- und Fort-bildung von zertifizierten Mediatoren will die Qualität vonMediationsdienstleistungen und die Akzeptanz von Media-tionsverfahren stärken. Indes trägt die Verordnung zur Quali-tätssicherung in der Mediation nur sehr wenig bei. Sie leitetdas Vertrauen potenzieller Verfahrensnutzer sogar eher indie Irre, weil sie eine Prüfung der Fähigkeiten von Media-toren suggeriert, die es tatsächlich nicht gibt. Der zertifizierteMediator in der nun vom Verordnungsgeber gewählten Formist insofern eine Fehlentwicklung. Gleichwohl ist unwahr-scheinlich, dass die neue Regulierung alsbald eine Überarbei-tung erfährt. Fällt der zertifizierte Mediator als Qualitätssie-gel effektiv aus, bleibt es immerhin bei einer Qualitätskon-trolle, die auch in der Vergangenheit stets funktioniert hat:Wer sich eine Mediation leisten kann und sich bewusst fürdieses Verfahren entscheidet, wählt seinen Mediator schonbisher in der Regel nach Empfehlung oder mit Blick auf des-

Anwaltspraxis

Entwicklung und Regulierung des deutschen Mediationsmarktes, Eidenmüller/Fries AnwBl 1 / 2017 25

20 S. insoweit bereits Eidenmüller, Zertifizierte Mediatoren, NJW Aktuell 46/2016, 15.

21 Rechtsgrundlage ist die österreichische Verordnung des Bundesministers für Justiz überdie Ausbildung zum eingetragenen Mediator. Für die sonstige Ausgestaltung des öster-reichischen Modells gelten freilich einige der hier angeführten Überlegungen entspre-chend.

22 Nach dem Wortlaut der ZMediatAusbV müsste insoweit ein fünfminütiges Telefon-gespräch mit dem Ausbilder genügen.

23 Rechtsfolge einer Inländerdiskriminierung müsste eine Verwerfung der diskriminierendenNorm nach Art. 3 Abs. 1 GG sein. Das BVerfG hat diese Frage bisher offen gelassen; vgl.BVerfG v. 5. Dezember 2005, 1 BvR 1730/02. Weiterführend Schilling, JZ 1994, 8 ff.;Bösch, JURA 2009, 91ff.

24 Dies ergibt sich aus einem Gegenschluss zu § 2 Abs. 4 S. 1 ZMediatAusbV: Wenn dortvon Präsenzzeitstunden die Rede ist, müssen die bloßen Zeitstunden des § 6 Nr. 1 ZMe-diatAusbV offenbar nicht in Präsenz absolviert werden.

25 Der deutsche Verordnungsgeber geht offenbar irrtümlich davon aus, dass der rechtlicheSitz der Ausbildungsinstitution und der Ort der Ausbildung stets zusammenfallen. Sieheauch § 2 Abs. 6 Nr. 3 ZMediatAusbV, wonach der Ort der Ausbildung eine wichtige (ent-scheidende?) Bedeutung haben soll.

26 Das ergibt sich auch aus der europäischen Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 ff. AEUV.Eine Kontrollüberlegung: Würde der London Court of International Arbitration eine Aus-oder Fortbildung am Tegernsee organisieren, würde man ihn hinsichtlich der dadurcherworbenen Berufsqualifikationen sicher nicht dem Regulierungszugriff des deutschenStaats unterwerfen wollen.

27 Siehe bereits oben Fn. 23.

28 Eine gerichtsinterne Mediation löst neben den bereits angefallenen Kosten für das strei-tige Verfahren keine zusätzlichen Kosten für die Beteiligten aus; siehe etwa Engel, in: Ei-denmüller/Wagner (o. Fn. 5), Kap. 10 Rn. 39 ff.

Aufsätze

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sen anderweitige Reputation aus. Diese wird auch durch dieunterschiedliche Qualität von Ausbildungslehrgängen ver-mittelt. Wenn der Gesetzgeber und die Gerichte das Media-tionsverfahren darüber hinaus stärken wollen, sollten sie ihrAugenmerk eher darauf richten, dass die Parteien einesRechtsstreits vor Erhebung der Klage sorgfältig abwägen, obnicht ein konsensorientiertes Verfahren ihre Interessen bes-ser verwirklicht. Eine Unterstützung durch eine kluge anwalt-lichen Verfahrenswahlberatung, wie sie bereits in § 253Abs. 3 Nr. 1 ZPO angelegt ist, ist hier eine willkommene Hil-fe. Anwälte, die „blind“ den Weg zu Gericht empfehlen, han-deln pflichtwidrig.

AAnnwwaallttsspprraaxxiiss

„Zertifizierung light“ –Verbraucher und Mediatorenin der Zertifizierungsfalle?Bestandsaufnahme und Anregungen für einenAuswegRechtsanwalt und Mediator Michael Plassmann, Berlin

Ab dem 1. September 2017 wird es einen neue Bezeichnungin der Konfliktbeilegung geben: Der „zertifizierte Mediator“wird dann den Rechtsdienstleistungsmarkt bereichern. DieVerordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifiziertenMediatoren (ZMediatAusbV) wird in Kraft treten. Der Autorerläutert, wie nicht nur Anwältinnen und Anwälte „zertifzier-te Mediatoren“ werden (und bleiben) können. Zugleich unter-zieht die Verordnung einem Praxis-Check. Sein Fazit: Der„zertifizierte Mediator“ könnte am Ende den Erwartungendes Publikums nicht entsprechen.

Es ist kein Geheimnis, dass auch Minister nicht immer ihrWort zu halten pflegen. Überlastungen im Ministerium, poli-tische Stimmungsschwankungen oder eine neue Bewertungder Lage haben so manche gesetzgeberische Ankündigungin der Versenkung verschwinden lassen – das gilt ressort-übergreifend. Bundesjustizminister Heiko Maas hat indesmit seinem Versprechen im Anwaltsblatt1, sich im Nachgangzur Umsetzung der ADR-Richtlinie2 mit dem Verbraucher-streitbeilegungsgesetz (VSBG) auch der Verordnung überdie Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren3

(ZMediatAusbV) zu widmen, Wort gehalten: Nach langemSchweigen zum Thema wurde am 21. August 2016 die ent-sprechende Verordnung4 – für viele mit dem Thema Vertrau-ten – ebenso überraschend wie leise erlassen. Damit hat dasBundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz(BMJV) rund zweieinhalb Jahre nach Vorlage des umstritte-nen5 Referentenentwurfs6 und rund vier Jahre nach Erlassdes MediationsG von der dort bereits in § 6 angelegten Ver-ordnungsermächtigung Gebrauch gemacht.

Anwaltspraxis

26 AnwBl 1 / 2017 „Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann

Professor Dr. Horst Eidenmüller, OxfordDer Autor hat im Januar 2015 den Statutory Chair for Com-mercial Law der Universität Oxford übernommen. Er ist Pro-fessorial Fellow am St. Hugh’s College in Oxford. Zuvor warer Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches,Europäisches und Internationales Unternehmensrecht an derLudwig-Maximilians-Universität München.

Leserreaktionen an [email protected].

PD Dr. Martin Fries, MünchenDer Autor ist Privatdozent an an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Leserreaktionen an [email protected].

1 Anwaltsblattgespräch mit Heiko Maas, AnwBl 2015, 64, abrufbar unter https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/magazin/anwaltsblattgespraech-mit-heiko-maas.

2 BGBl. I 2016, 253.

3 Der Autor spricht nachfolgend im Einklang mit der Verordnung von Mediatoren, Media-torinnen werden vor diesem Hintergrund um Nachsicht gebeten.

4 Die Verordnung wurde am 31.08.2016 im Bundesgesetzblatt verkündet, BGBl. I, 1994.

5 Exemplarisch insbesondere für die Vorbehalte wegen der fehlenden Anforderungen andie Praxiserfahrung und die ungeklärten Dokumentations- und Kontrollpflichten BRAK-Stellungnahme Nr. 18/2014, Mai 2014.

6 Verordnungsentwurf, Bearbeitungsstand: 31.01.2014.

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I. Rahmenbedingungen für den „zertifiziertenMediator“

1. Startschuss für die Zertifizierung im VSBG gelegt

Mit dem Erlass der Rechtsverordnung, die mit einer Jahres-frist7 zum 1. September 2017 in Kraft tritt, hat das BMJV zu-gleich auch jene Lücke geschlossen, die das am 1. April 2016in Kraft getretene VSBG8 offenbarte: Im VSBG (§ 6 Abs. 2)hatte der Gesetzgeber auf der Zielgeraden die noch vage Fi-gur des „zertifizierten Mediators“ bereits ermächtigt, nebenPersonen mit der Befähigung zum Richteramt ebenfalls alsSchlichter in einer Verbraucherschlichtungsstelle zu fungie-ren.

Ein nicht unambitioniertes Unterfangen, zumal einegesetzgeberische Regelung für die Zertifizierung nochausstand. Zudem war bereits aus dem Entwurf derZMediatAusbV absehbar, dass eine Voraussetzung für die Er-langung der Zertifizierung zumindest nicht die Befähigungzum Richteramt sein würde. In der Abwägung9 hatte sichder Gesetzgeber im VSBG damit entschieden, den Konfliktlö-sungskompetenzen eines Schlichters den Vorrang gegenüberden von ihm ebenfalls zu gewährleistenden Rechtskenntnis-sen gemäß §§ 6 Abs. 2, 14 VSBG zu geben.

Das Ministerium war infolgedessen unter Zugzwang:Unter dem Druck, der Figur des zertifizierten Mediators inseiner Rolle als Streitschlichter nun auch ein konkretes Ge-sicht zu geben, war das BMJV damit der nicht unklugenÜberlegung beraubt, die Zertifizierungsverordnung zu-nächst aus gutem Grund auf Eis zu legen. Dahinter standdie Option, die beabsichtigte Verordnung stattdessen erstauf der fundierteren Grundlage der Erkenntnisse des biszum 26. Juli 2017 anstehenden Evaluierungsberichtes10 derBunderegierung zur Qualitätsentwicklung in der Mediationzu erlassen.

2. Die grundsätzliche Bedeutung einer Verordnung zurZertifizierung

Was somit auf den ersten Blick wie das ledigliche Schließeneiner Gesetzeslücke oder die Abrundung des bewusst sehrschlank gefassten MediationsG wirkt, entfaltet aufgrund derkonkreten Ausgestaltung der nun vorliegenden und nachfol-gend erläuterten ZMediatAusbV jedoch eine besondere Di-mension: Eine Dimension, die aufgrund der ebenso typi-schen wie berechtigten Erwartungshaltung der Verbraucheran Standards einer „Zertifizierung“ der Mediation gleicher-maßen Schubkraft wie Schaden zufügen könnte.

Dieses Gegensatzpaar mag bereits verdeutlichen, dassdie Sorge des Autors vor der nun vorliegenden „Zertifizie-rung light“11 nicht das Bemühen des Ministeriums, zur„Qualität der Mediation auf dem Markt“12 beitragen zu wollen,in Frage stellen will. Vielmehr sollen die nachfolgendenAusführungen dafür werben, die mit Bedacht angesetzteFrist bis zum Inkrafttreten (1. September 2017) gegebenen-falls zu verlängern: Eine Verschiebung des Inkrafttretensböte nämlich die Möglichkeit, mit den Erkenntnissen der se-parat vom Ministerium in Auftrag gegebenen Evaluation13

auf einer fundierteren Basis eine vom Verbraucher erwarteteund von den Mediatoren zu gewährleistende Praxiserfah-rung besser miteinander zu verzahnen. Ein mögliches Be-seitigen der in der Folge aufgezeigten Defizite der Verord-nung könnte zugleich einen nachhaltigen Beitrag dazu leis-ten, durch erhöhte Praxisanforderungen im Rahmen der

Zertifizierung die Nachfrageseite, das Mediationsverfahrenund nicht zuletzt die unerfahrenen Mediatoren gleicherma-ßen zu schützen.

3. Ausgangslage: Zweistufigkeit in der Mediatoren-qualifikation

Um die zum Ausdruck gebrachte Sorge über die vorliegende„Zertifizierung light“ besser einordnen zu können, mussman vorab einen Blick auf die Struktur des MediationsG14

werfen: Hatte der ursprüngliche Regierungsentwurf nocheine „detaillierte Regelung des Berufsbildes mit einheitlichenAus- und Fortbildungsstandards“ für „nicht erforderlich“15 gehal-ten, drehte sich das Meinungsbild nach der Sachverständi-genanhörung16 im Rechtsausschuss des Bundestages: An dieStelle der zunächst angedachten alleinigen Eigenverantwor-tung des Mediators für eine „angemessene“ Ausbildung er-schien § 5 MediationsG (Aus- und Fortbildung des Mediators;zertifizierter Mediator) nun in einem zweistufigen Modell17.Dieses unterscheidet zwischen zwei Mediatorentypen: einer-seits der (einfache) „Mediator“ (§ 5 Abs. 1 MediationsG), ande-rerseits der Mediator mit einem qualifizierenden Adjektiv,den „zertifizierten Mediator“ (§ 5 Abs. 2 MediationsG). Wäh-rend die Ausbildung- und Fortbildung des (einfachen) Media-tors bereits sinnvoll im Gesetz (§ 5 Abs. 1 MediationsG) kon-kretisiert wurde, erging zugleich an das BMJV die Ermächti-gung (§§ 5 Abs. 2, 6 MediationsG), für den „Branchenstar“18,den zertifizierten Mediator, die entsprechenden Detailanfor-derungen im Rahmen einer – der nun verzögert vorgelegten– Rechtsverordnung (ZMediatAusbV) zu regeln.

Anwaltspraxis

„Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann AnwBl 1 / 2017 27

7 Die zeitliche Verzögerung soll einerseits Aus- und Fortbildungsträgern die Option eröff-nen, ihre Lernpläne entsprechend anzupassen und zu entwickeln. Andererseits soll denVerbänden und Kammern die Möglichkeit eröffnet werden, sich über ein Gütesiegel fürAusbildungsinstitutionen zu verständigen.

8 Siehe Fn. 2.

9 Greger sieht gar in der Beschränkung auf die beiden Schlichtertypen einen Verstoß ge-gen Art. 12 und eine Benachteiligung von Streitmittlern aus anderen EU-Staaten,qm-cube, abrufbar unter: http://www.qm-cube.de/blog/entry/25-stellungnahme-von-prof-dr-reinhard-greger-zu-%C2%A76-des-verbraucherstreitbeilegungsg/.

10 Mit dieser bereits in § 8 MediationsG angelegte Evaluation wurde 2015 das Institut fürGesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in Speyer beauftragt.

11 Plassmann aus Sorge vor einer Zertifizierung ohne ausreichende Praxiserfahrung, diefalsche Erwartungen beim Verbraucher weckt, abrufbar unter: https://www.mediationaktuell.de/news/erste-stimmen-zur-neuen-zmediatausbv-zertifizierungsverordnung.

12 So eine ausdrücklich formulierte Zielsetzung in der nicht mitveröffentlichen Begründungder Schlussfassung des Referentenentwurfs.

13 Siehe Fn. 11.

14 In Kraft seit dem 26. Juli 2012, BGBl Jahrgang 2012 Teil I Nr. 35.

15 Gesetzesbegründung zu den äußerst liberalen Anforderungen zu § 5 MediationsG-E.

16 Stellungnahmen der Sachverständigen abrufbar unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=2180&id=1174 ; Protokoll der Anhörung abrufbar unter: http://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Gesetzesmaterialien/17_wp/mediationsg/wortproto.pdf?__blob=publicationFile.

17 Henssler sah darin einen Mediator „erster und zweiter Klasse“, Henssler, Rechtsboard,Handelsblatt, 15.11.2011.

18 Wie Henssler die Mediatoren der „ersten Klasse“ mit Humor beschreibt, s. Fn. 17.

Aufsätze

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4. Gesetzgeberische Weichenstellung: Selbstzertifizierungstatt Verleihung

Eine Besonderheit, die man bei der Bewertung der Rechtsver-ordnung und der in ihr statuierten Anforderungen zu berück-sichtigen hat, ist die Tatsache, dass die Zertifizierung nichtetwa durch eine unabhängige Stelle, sondern im Rahmen ei-ner sogenannten Selbstzertifizierung erfolgt. Infolgedessendarf sich nach § 5 Abs. 2 MediationsG „als zertifizierter Media-tor bezeichnen, wer eine Ausbildung zum Mediator abgeschlossenhat, die den Anforderungen der Rechtsverordnung nach § 6 (Me-diationsG) entspricht“. Der Rechtsausschuss war zudem vomVerständnis19 getragen, den maßgeblichen Verbänden, Kam-mern und Interessengruppe durch die Einräumung eineszeitlichen Fensters bis zum Inkrafttreten der Verordnungdie Chance zu eröffnen, auf „freiwilliger Basis sich auf eine Vor-gehensweise zu verständigen“, über eine „privatrechtliche Stelle“die „Zertifizierung von Ausbildungsinstituten“ voranzutreiben.Über dieses „Gütesiegel-Modell“ – so die Idee – sollte derSelbstzertifizierung der Mediatoren ein seriöser Ausbil-dungsrahmen flankierend zur Seite gestellt werden. Mögli-che Verstöße der Titelträger – ob bei der unberechtigten Titel-führung oder dem Nichtbeachten von Fortbildungspflichten– sollten im Übrigen mangels ausdrücklicher Ermächtigungim MediationsG nicht durch ein festgeschriebenes Sanktions-modell, sondern im Wege des Wettbewerbs- und Zivilrechts20

durch Kollegen und Ausbildungsinstitute zu ahnden sein.Zu Recht sind im Rahmen der Gesetzgebung zur Media-

tion und bei Vorlage der Rechtsverordnung Bedenken gegendiesen „Bruch im bestehenden System“21 der Zertifizierung er-hoben worden. Auch wenn die Idee der liberalen Selbstzerti-fizierung berechtigte Bedenken gegen diesen Systembruchim Rahmen der Zertifizierung nicht auszuräumen vermag,erschließt sich diese Grundüberlegung leichter beim Blickauf den Mediationsmarkt: Trotz zunehmender Bekanntheitund entsprechend steigender Nachfrage besteht in Deutsch-land immer noch eine zögerliche Nachfrage nach Mediation,die die Schaffung eines echten Berufsbilds für den Mediatoraktuell noch nicht wirklich zu befördern vermag. Infolgedes-sen haben Ministerium und Rechtspolitiker von einer Über-regulierung – zum Beispiel in Form einer hoheitlichen Zerti-fizierungsstelle – bis heute bewusst Abstand genommen undauf eine Selbstregulierung22 der beteiligten Kräfte vertraut.Dieser Hintergrund mag die Zurückhaltung beim ThemaZertifizierung zunächst erklären. Ob er als Legitimation aufDauer ausreicht, muss mit Sorgfalt beobachtet werden. Esstände der Mediatorenschaft in jedem Fall gut zu Gesicht,dieses Vertrauen in ihre Eigenverantwortung – übrigens einKernelement der Mediation – mit einer Qualitätsoffensivevertrauensvoll aufzugreifen, anstatt über fehlende Nachfragenach Mediation zu klagen.

II. Detailregelungen im Rahmen der ZMediatAusbV

1. Die ZMediatAusbV im Spiegel der Erwartungshaltung aneine „Zertifizierung“

Nachdem bereits der Referentenentwurf viel Kritik23 erfahrenhatte, durfte man nach der großzügigen Bedenkzeit gespanntsein, ob der „Überraschungscoup“ des BMJV den berechtig-ten Erwartungen standzuhalten vermag? Gerade im Lichte ei-nes Systems der Selbstregulierung hätte als Korrektiv den in-haltlichen Anforderungen an eine Zertifizierung im Rahmennun erlassenen ZMediatAusbV eine besondere Verantwor-

tung zukommen müssen. Daher zunächst ein Blick auf diezentralen Eckpunkte der Verordnung, die gegenüber dem Re-ferentenentwurf bei der Grundqualifikation, dem Ausbil-dungslehrgang, der Fortbildungsverpflichtung und den Pra-xisfällen relevante Änderungen und Präzisierungen erfahrenhat:

a) Verzicht auf Grundqualifikation

Sah der Referentenentwurf noch vor, an den zertifiziertenMediator persönlichkeitserweiternde Grundqualifikationen(abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Hochschulstudi-um sowie eine zweijährige Berufstätigkeit) zu stellen, wurdehiervon Abstand genommen. Die Grundqualifikation – mitder Ausnahme der Berufstätigkeit – gilt nunmehr stattdessenlediglich für die von den Ausbildungsinstituten eingesetztenLehrkräfte (§ 5 ZMediatAusbV).

b) Zweigliedriges Ausbildungsmodell

aa) Ausbildungslehrgang über mindestens 120 Präsenzstun-den

Einen wichtigen Beitrag – und zugleich wohl mediatorischeMeisterleistung – hatten die Verantwortlichen24 des BMJVim Rahmen der Experteneinbindung zum MediationsG ge-leistet: im Rahmen eines „AK Zertifizierung“ war es ihnenunter Einbeziehung von Vertretern der Mediatorenverbände,Richterschaft, Anwälte, Notare, Versicherungswirtschaft undder Industrie- und Handelskammern interessensübergrei-fend gelungen, sich einvernehmlich über die wesentlichenzu vermittelnden Ausbildungsinhalte einer zertifizierten Me-diationsausbildung zu verständigen. Nachdem dieser Kon-sens auch vom Rechtsausschuss aktiv unterstützt wordenwar, wurde auf diesen Ausbildungskatalog nun auch in derVerordnung unverändert zurück gegriffen (§ 2 Abs. 3 ZMe-diatAusbV). Der detaillierte Ausbildungskatalog, der zudemin einer Grobstruktur stundenmäßig aufgegliedert wurde,soll durch einen Dreiklang von theoretischer Vermittlung,praktischen Übungen und Rollenspielen eine solide Grund-ausbildung des zertifizierten Mediators gewährleisten (§ 2Abs. 2 und 3 ZMediatAusbV).

Das Ministerium hat trotz der etwas starren Zuordnung25

von exakten Stundenzahlen zu einzelnen Inhalten gut darangetan, diesen hart erarbeiteten Kompromiss inhaltlich nichtmehr anzurühren. Gleichwohl hat es durch eine wichtige Prä-zisierung und Klarstellung potentiellem Missbrauch bei derAusbildung vorgebeugt und zugleich der besonderen Bedeu-

Anwaltspraxis

28 AnwBl 1 / 2017 „Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann

19 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), Drucksache17/8058, S. 18.

20 Einmal mehr umfassend: Greger in Greger/Unberath, MediationsG, § 5, RN 2, 21–24; Ei-denmüller/Wagner, Mediationsrecht, Kapitel 9, Rz. 50, 51.

21 Exemplarisch für die Kritik und insbesondere auch erhellend zur Struktur von Zertifizie-rungsmodellen ist das „Positionspapier“ des DIHK vom 10. April 2014.

22 Die entsprechenden Gespräche waren im Lichte der ausstehenden ZMediatAusbV zu-nächst vertagt worden und werden im Dezember 2016 fortgesetzt.

23 Offen eingeräumt von Eicher, ZKM 5/2016, 160.

24 Abteilungsleiterin Marie Luise Graf-Schlicker und der damaliger Leiter des Referats Me-diation, Schlichtung und Internationale Kindschaftssachen, Eberhard Carl.

25 Auf die Problematik weist Röthemeyer zutreffend hin: Röthemeyer, Mediation, RN 533.

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tung des praktischen Erlernens von Techniken Rechnung ge-tragen: Nunmehr ist von 120 Präsenz-, statt Zeitstunden dieRede, so dass klar gestellt ist, dass die wesentlichen Tools ei-nes seriösen Mediators nicht im Heim- oder Selbststudium,sondern in der praktischen Anwendung im Rahmen der Aus-bildung zu erlernen sind. Ließ zudem der Entwurf noch zu,sich die Ausbildung gegebenenfalls auch bei verschiedenenAnbietern zusammenstellen zu können, ist nun von einem„Ausbildungslehrgang“ die Rede, der typischerweise von einemAusbildungsträger durchgeführt wird.

bb) Supervidierte Mediationserfahrung an einem Praxisfall

Eine wichtige Neuerung enthält die Verordnung in punctoPraxis und Supervision: Hatte noch der Entwurf die Praxis-erfahrung erst im Anschluss an die Ausbildung und lediglichin Form einer Eigendokumentation gefordert, wird nun einreflektierter Praxisfall – im Nachgang zu einer vom Mediatordurchgeführten Mediation – unabdingbarer Bestandsteil derzu absolvierenden Ausbildung: Ergänzend zum Ausbildungs-katalog „müssen“ Lehrgangsteilnehmer damit zukünftig be-reits „während des Ausbildungslehrgangs oder innerhalb ei-nes Jahres nach dessen erfolgreicher Beendigung an einerEinzelsupervision im Anschluss an eine als Mediator oderCo-Mediator durchgeführte Mediation teilgenommen haben“(§ 2 Abs. 5 ZMediatAusbV).

Offen lässt die Regelung indes, wer berechtigt oder geeig-net ist, die Supervision durchzuführen. Um den gewünsch-ten Effekt zu erzielen -das Gelernte nicht nur zeitnah an-zuwenden, sondern auch die dabei zu erwartenden Anfangs-schwierigkeiten angemessen reflektieren zu können – be-dürfte es sinnvollerweise eines auch mit umfangreicher Me-diationspraxis ausgestatteten Supervisors. Fern des formellenErfordernisses dürfte hier für die zu Zertifizierenden auchaus Eigeninteresse eines gelten: In Eigenverantwortung heißtes, dafür Sorge zu tragen, dass durch die Auswahl eines ge-eigneten Supervisors ein Rahmen geschaffen wird, um sodie im Nachgang gewünschte „Qualitätssicherung der Media-tion“26 für die Medianden und den Mediator gleichermaßenzu gewährleisten. Nur so kann der in der Begründung27 zuRecht formulierte Anspruch, „Mediationsverfahren hinsicht-lich der Konfliktdynamik und der gewählten mediatorischenIntervention mit dem Supervisor zu reflektieren und ana-lysieren“, erfüllt werden. Vor dem Hintergrund, dass leiderimmer noch zu viele Ausbilder nicht auf eine umfangreichePraxiserfahrung zurückgreifen können, bedarf es gerade beidiesem wichtigen Teil der Zertifizierung Supervisoren, diedie gewünschte „kollegiale Beratung“ zur „Qualitätsverbes-serung der mediatorischen Tätigkeit“ auch persönlich gewähr-leisten können.28

cc) Nachweis: Bescheinigung über erfolgreiche Absolvierungdurch Ausbildungseinrichtungen

Verantwortung erhalten auch die Ausbildungsinstitute29: Ge-mäß § 2 Abs. 6 ZMediatAusbV sind die Ausbildungseinrich-tungen, an die mit Ausnahme der Beschreibung der Qualifi-kation ihrer Lehrkräfte keine weiteren Anforderungen gestelltwerden, zukünftig verpflichtet, „über den erfolgreichen Ab-schluss der Ausbildung eine Bescheinigung auszustellen“.Das darf jedoch erst geschehen, wenn der Ausbildungskatalogabsolviert und die geforderte Einzelsupervision durchgeführtwurde. Offen30 bleibt indes, was unter einem „erfolgreichenAbschluss“ zu verstehen ist. Reicht die Präsenz oder ist einewie auch immer gestaltete Prüfung erforderlich? Nicht explizit

geregelt – aber zu schlussfolgern ist –, dass dem Zertifiziertenerst das Vorliegen der Bescheinigung durch die Ausbildungs-einrichtung das Recht zur Titelführung eröffnet (Umkehr-schluss aus § 2 Abs. 6 und 1 ZMediatAusbV).

c) Fortbildungsverpflichtung in Theorie und Praxis

Das Grundverständnis, Qualitätssicherung durch Fortbil-dung und Supervision zu gewährleisten, hat das Ministeriumindes konsequent in einer zweigeteilten Fortbildungsver-pflichtung umgesetzt:

aa) Vier supervidierte Praxisfälle innerhalb von zwei Jahrennach Zertifizierung

So hat der (bereits) zertifizierte Mediator innerhalb von 2 Jah-ren nach seiner erfolgreichen Ausbildung vier weitere Praxis-fälle im Wege der Einzelsupervision zu reflektieren. Ob manin diesem Konzept schon eine Form der Rezertifizierung se-hen möchte, oder die damit mehr als notwendige Praxiserfah-rung im Nachgang zur Ausbildung implementiert, kann andieser Stelle offen bleiben. In jedem Fall hat das BMJV mitdem Format der Einzelsupervision zumindest die zunächstangedachte (unkontrollierte) Dokumentationspflicht in einqualitätssteigerndes (mangels Kontrolle jedoch sanktions-loses) kollegiales Supervisionssystem überführt. Um einenseriösen Anknüpfungspunkt für die Fristenberechnung zuschaffen, hat das BMJV zudem die weitere Empfehlung31 auf-gegriffen, das Datum der entsprechenden Bescheinigung desAusbildungsinstitutes über den erfolgreichen Abschluss derAusbildung und die absolvierte Einzelsupervision (§ 2 Abs. 6ZMediatAusbV) als Fristbeginn zugrunde zu legen.

bb) 40 Stunden Fortbildung innerhalb von vier Jahren

Auf der gleichen Grundlage zur Fristenberechnung hat sichder zertifizierte Mediator zukünftig in einem zeitlich flexi-blen Rahmen innerhalb von vier Jahren über insgesamt 40Stunden fortzubilden. Es ist ihm dabei freigestellt, ob er dieFortbildung, die der Vertiefung und Aktualisierung bekann-ter Ausbildungsinhalte oder der Vertiefung besonderer Be-reiche der Mediation dienen kann, in einer Blockveranstal-tung oder aufgesplittet wahrnimmt (§§ 3, 2 Abs. 6 ZMedia-tAusbV).

Anwaltspraxis

„Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann AnwBl 1 / 2017 29

26 Ministeriumsmitarbeiterin Constanze Eicher erläutert – im eigenen Namen – die wohl demMinisterium zugrunde liegenden Überlegungen: Die neue Zertifizierungsverordnung,ZKM 5/2016, 160–163 (161).

27 Zu § 4 in der – nicht veröffentlichten – Begründung des abschließenden Referentenent-wurfs zur ZMediatAusbV.

28 Ebenso zutreffend anmerkend Thomas in: Eidenmüller/Wagner, Mediationsrecht, Kapi-tel 9, Rz. 71.

29 Aus Praktikabilität vorgeschlagen durch die Anwaltschaft: BRAK-Stellungnahme 18/24,Mai 2014, S. 6.

30 Einmal mehr zutreffend gesehen von Röthemeyer, ZKM 5/2016, S. 2.

31 Siehe BRAK-Stellungnahme 18/2014, Mai 2014, S. 6

Aufsätze

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Während die Verpflichtung zur Supervision nach den so-mit insgesamt fünf Praxisfällen (ein Fall vor, vier Fälle nachder Zertifizierung) erlischt, handelt es sich bei der Pflichtzur Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen um eine „re-gelmäßig“ (§ 3 Abs. 1 ZMediatAusbV) durchzuführendeMaßnahme, die somit alle vier Jahre wiederauflebt. Die nahe-liegende Frage, wer die Einhaltung der Vorgaben kontrolliertund welche Sanktion eine mögliche Missachtung nach sichzieht, lässt die Verordnung – hierzu später mehr – leider un-beantwortet.

d) Übergangsbestimmungen

aa) Mediationsausbildung vor Inkrafttreten des MediationsG(„Alte Hasen“)

Mediatoren, die vor dem Inkrafttreten des MediatonsG (26.Juli 2012) eine „mindestens 90 Zeitstunden“ umfassende Me-diationsausbildung abgeschlossen (von Erfolg ist hier nichtdie Rede) haben und „anschließend“ als Mediator oder Co-Me-diator mindestens vier Mediationen durchgeführt haben, er-füllen ebenfalls die Zertifizierungsvoraussetzungen, ohnedass einer der Praxisfälle supervidiert werden müsste.

bb) Ausbildung vor Inkrafttreten der ZMediatAusbV

Mediatoren, die nach dem Inkraftreten des MediationsG,aber noch vor dem Inkrafttreten der Verordnung (1. Septem-ber 2017) eine zumindest dem Katalog der Zertifizierung ent-sprechende Ausbildung absolviert haben, können die für sieindes ebenfalls notwendige Einzelsupervision ohne zeitlicheVerknüpfung mit der Ausbildung bis spätestens zum 1. Sep-tember 2018 nachholen.

Im Nachgang obliegen beiden Gruppen dieselben zuvorskizzierten Fortbildungsverpflichtungen in Theorie und Pra-xis. Zeitlicher Anknüpfungspunkt ist dabei das Inkrafttretender Rechtsverordnung32.

e) Im Ausland erworbene Qualifikationen

Europa fordert auch bei den Mediatoren die Gleichbehand-lung: Der Umsetzungspflicht33 über die Anerkennung vonBerufsqualifikationen ist die Verordnung in der Weise nach-gekommen worden, dass es zur Erlangung des Titels „zertifi-zierter Mediator“ ausreicht, wenn Mediatoren im Auslandeine Ausbildung abgeschlossen haben, die der „Alten-Hasen-Regelung“ entspricht. Warum jedoch die auf diese Weisegleich gestellten (Auslands)Mediatoren nach Absolvierungvon 90 Zeitstunden und vier „anschließend“ zu absolvierendenPraxisfällen als einzige Gruppe in der Weise privilegiert34 wer-den, dass sie der für alle anderen Fallgruppen detailliert ge-schilderten Fortbildungsverpflichtung in Theorie und Praxisnicht nachkommen müssen, erschließt sich nicht. Der sichergebende Vorteil – „Einmal zertifizierter Mediator – immerzertifizierter Mediator“ – könnte findige Ausbildungseinrich-tungen und – teilnehmer animieren, darüber nachzudenken,ihre Ausbildung in grenznahen Orten anzubieten bzw. zu ab-solvieren.

f ) Grundsätzliches: Titelführung erst ab 1. September 2017zulässig

Ambitionierte Mediatoren seien an dieser Stelle ausdrücklichgewarnt: Vor dem 1. September 2017 ist kein Mediator – auchwenn er bereits jetzt alle Voraussetzungen erfüllt – berech-tigt, sich als „zertifizierter Mediator“ zu bezeichnen. Die Be-zeichnung ist seit dem Inkrafttreten des MediationsG und

vor dem Inkrafttreten der ZMediatAusbV durch § 5 Abs. 2MediationsG geschützt. Verstöße können als irreführendeWerbung (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG) von Mittbewerbern und Ein-richtungen (§ 8 Abs. 3 Nr. 1–4 UWG) im Wege eines Unter-lassungsanspruches (§ 8 Abs. 1 UWG) geltend gemacht wer-den35. Letzteres dürfte jedoch nicht gelten, wenn ein Mediatorlediglich darauf hinweist, dass bei ihm die formellen Voraus-setzungen bereits gegeben sind. Daneben haben die Median-den im Missbrauchsfall die Möglichkeit, den Mediatorvertragaufgrund der vorgenommenen Täuschung über die (fehlen-de) Qualifikation (§ 123 BGB) oder den entsprechenden Ei-genschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB) anzufechten und zivil-rechtliche Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens beiVertragsschluss (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB)geltend zu machen36.

(Anwalts)Mediatoren, die möglicherweis die Qualifikationfür die Zertifizierung erfüllen, aber vor den formellen Anfor-derungen zurückschrecken, steht es natürlich frei, sich wiebisher schlicht im Einvernehmen mit § 7a BORA iVm § 5Abs. 1 MediationsG als „Mediator“ zu bezeichnen.

III. Verbraucher und Mediatoren in derZertifizierungsfalle?

Ob die vorgelegte Rechtsverordnung der Mediation im Ergeb-nis eher Schaden oder Schubkraft zu geben vermag, wird erstdie Zukunft zeigen. Um jedoch den vom Gesetzgeber undden Mediatoren gewünschten Rückenwind für außergericht-liche Konfliktlösungsmethoden zu entfalten, müssen sichdiese Verfahren trotz einer Zertifizierung in erster Liniedem Wettbewerb stellen: Das bedeutet, dass allen Beteiligtenbewusst sein muss, dass sich Verbraucher bei der In-anspruchnahme alternativer Konfliktlösungsverfahren anden (bewährten) Standards orientieren, die von den beteilig-ten Organen der Rechtspflege im Rahmen von streitigen Ver-fahren als Maßstäbe gesetzt worden sind37. Diesem Anspruchmüssen sich auch das Mediationsverfahren, jeder dabei agie-rende Mediator und alle, die zur Qualitätssicherung beitragenwollen, gleichermaßen stellen.

Aus genau diesem Grund liegt die Frage auf der Hand, obdie angedachte Zertifizierung geeignet ist, mögliche Vor-behalte gegen die Mediation – gerade auch durch Vertreterder Anwaltschaft – auszuräumen oder eher zu befeuern ver-mag?

Anwaltspraxis

30 AnwBl 1 / 2017 „Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann

32 Sofern ein Mediator aus der zweiten Gruppe die Supervision erst innerhalb eines Jahresnach Inkrafttretens absolviert, gilt für den Fristbeginn das Datum der Bescheinigung überdie im Nachgang erfolgten Einzelsupervision.

33 Richtlinien 2005/36 EG, 2013/55/EU, Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 („IMI-Verordnung“).

34 Greger spricht von „Inländerdiskriminierung“, abrufbar unter: https://www.mediationaktuell.de/news/erste-stimmen-zur-neuen-zmediatausbv-zertifizierungsverordnung.

35 Umfassend hierzu Greger in Greger/Unberath, § 5 Rz. 19–24; Thomas in Eidenmüller/Wagner, Kapital 9 Rz. 50, 51; Fritz/Pielsticker, Mediationsgesetz, § 5, Rz. 35.

36 Unstreitige Auffassung, siehe Fn. 34.

37 Zutreffend skizzierend Risse, ZKM 03/2012, 16.

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1. Systembruch: Fokus der Verordnung zielt aufRezertifizierung

Bei der Betrachtung der Rechtsverordnung springt zunächstins Auge, dass die zur Qualitätssicherung vorgenommeneWeichenstellung den primären Fokus auf die Zeit nach dererlangten Zertifizierung – im Sinne einer nachfolgenden Re-zertifizierung – legt. Sowohl die regelmäßige Fortbildungs-verpflichtung wie auch die im Nachgang zur Ausbildung zuabsolvierenden Einzelsupervisionen sind zweifelsohne einebenso wichtiger wie gelungener Beitrag, nicht nur die Quali-tät der angebotenen Dienstleistung zu sichern, sondern diesegerade auch dauerhaft zu verbessern. Gerade die Reflektionund Analyse der in der Mediation gemachten Erfahrungenund gewählten mediatorischen Interventionsoptionen in ei-ner Einzelsupervision mit einem erfahrenen Praktiker kön-nen dem Mediator dauerhaft die notwendige Sicherheit ver-mitteln und zukünftige Verfahren des Mediators bereichern.

a) Problem Nr. 1: Einstiegshürde zu niedrig – Praxis erst imNachgang

Unter dieser Prämisse stellt sich jedoch die Frage, warum die-se wichtige Erkenntnisse nahezu über Bord geworfen wird,indem man in der Verordnung als Voraussetzungen für dieErlangung der Zertifizierung lediglich einen supervidiertenPraxisfall und eine Ausbildung von zumindest 120 Stundenverlangt. Wäre es nicht wichtiger gewesen, den sorgfältigenBlick auf jenen Zeitpunkt zu legen, an dem sich die Fragestellt, ob der Mediator tatsächlich bereits die Fähigkeit und Er-fahrung besitzt, über eine besondere („zertifizierte“) Qualifi-kation auf dem Gebiet der Mediation zu verfügen?

aa) BGH eindeutig: zwei Praxisfälle nicht ausreichend fürZertifizierung

Diese Ansicht teilte übrigens der BGH bereits im Jahre 2011,ein Jahr vor Inkrafttreten des MediationsG: Ob nämlich einsolches Modell – Zertifizierung ohne nennenswerte Praxis-erfahrung – nachhaltig und vertrauensfördern sein mag, hat-te der BGH an einem ähnlichen Fall in aller Deutlichkeit ver-neint: Zwei Praxisfällen seien nicht ausreichend für eine Zer-tifzierung. Zu Recht hat der Bundesgerichtshof in dieser Ent-scheidung38 zum „zertifizierten Testamentsvollstrecker“ aufden Horizont des Verbrauchers abgestellt und bestätigt, dassbei einer Zusatzbezeichnung beim „angesprochenen Verkehrdie Vorstellung über eine besondere Qualifikation (des Titelträ-gers) auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung geweckt wird“.Als Zertifizierung werde „ein Verfahren bezeichnet, mit dessenHilfe die Einhaltung bestimmter Anforderungen an Produkteoder Dienstleistungen (…) nachgewiesen werden kann. Zertifizie-rungen werden von unabhängigen Stellen vergeben und müssensich nach festgelegten Standards richten“. Ausdrücklich wird je-doch vom BGH klar gestellt, dass der Begriff Zertifizierungnicht besage, „dass sie von einer amtlichen Stelle vergeben wor-den ist“ oder der Verkehr das erwarte. Diese Vorstellung kon-kretisierend hat der BGH ausgeführt, dass der Verbraucherannehmen werde, „dass ein ‚zertifizierter‘ Testamentsvoll-strecker, auch wenn er Rechtsanwalt ist, entsprechend derfür viele andere Berufsgruppen erforderlichen Voraussetzun-gen über praktische Erfahrungen auf dem Gebiet verfügt, aufdas sich die Zertifizierung bezieht“. Die Bezeichnung „Zerti-fizierter Testamentsvollstrecker“ könne daher nicht ohne ent-sprechende Erfahrungen geführt werden. Ein klares State-ment.

Interessant dabei auch der in der Entscheidung gezogeneVergleich zum Mediator: Der Einschätzung stehe geradeauch nicht entgegen, dass ein Rechtsanwalt die Bezeichnung„Mediator“ bereits nach einer Ausbildung und ohne Praxisführen darf. Der ohne Zusatz verwendete Begriff „Mediator“sage nur etwas darüber aus, dass „der Betreffende die für dieseBezeichnung vorausgesetzte Qualifikation erfüllt“. Dem gegen-über vermittele „das Adjektiv ‚zertifiziert‘ den Eindruck, dass dievom Betroffenen angebotene Dienstleistung im Rahmen eines Zer-tifizierungsverfahrens überprüft worden sei“ (…) und nahelege,dass der Anbieter „über entsprechende praktische Erfahrungen“verfüge. Der Gebrauch des Titels führe hingegen bei „einem nichtunerheblichen Teil der Verbraucher zu einer Fehlvorstellung“.Bei der Absolvierung von lediglich zwei praktischen Fällen könnedaher von einer „regelmäßigen Ausübung“ – so der BGH eindeu-tig – „nicht ausgegangen werden“.

Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Rechtspre-chung und der der im Vorfeld formulierten Bedenken39 ge-gen den in diesem Punkt sogar noch schlankeren Referen-tenentwurf40 überrascht es, dass das BMJV hier sehendenAuges für die Mediation eine Ausnahme von bekannten Zer-tifizierungsstandards macht. Das gilt um so mehr, als dieZertifizierung – und das ist nicht der Verordnung, sondernder Konzeption im MediationsG geschuldet – im Wege derSelbstzertifizierung erfolgt. Gerade weil dadurch gewissnicht zur Marktransparenz beigetragen wird, hätte die Ver-ordnung eine goldene Brücke bauen können, in dem siedie zur Rezertifizierung eingezogenen Praxisstandards be-reits zusätzlich als Einstiegshürde für die Zertifizierung im-plementiert hätte.

bb) Empfehlung Nr. 1: Nachhaltige Praxiserfahrung alsEinstiegshürde

Die nun vorgesehene Weichenstellung, lediglich einen ein-zigen Praxisfall zur Zertifizierung ausreichen zu lassen, stehtdamit im Widerspruch zu Verbrauchererwartungen und denmit Bedacht entwickelten Grundsätzen des BGH. Das Fest-halten an dieser niedrigen Einstiegshürde würde den Grund-gedanken einer Zertifizierung in der Konsequenz ad absur-dum führen. Folgerichtig sollte überlegt werden, die Rege-lung in § 2 Abs. 2 dahingehend zu ändern, Mediatoren nachder Absolvierung des Ausbildungskataloges im Sinne von § 2Abs. 3 ZMediatAusbV zunächst vier Praxisfälle absolvierenund supervidieren zu lassen, bevor sie überhaupt und erst-mals berechtigt sind, sich als „zertifizierte“ Mediatoren imSinne des § 5 Abs. 2 MediationsG zu bezeichnen. Diese so-dann im Vorfeld der Zertifizierung erfolgte wiederholte Su-pervision der Praxisfälle würde aufgrund der Reflektion und

Anwaltspraxis

„Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann AnwBl 1 / 2017 31

38 Urteil des BGH vom 09.06.2011 – I ZR 113/10 –, AnwBl 2012, 93, in Übereinstimmung mitden Auffassungen des AGH Nds., Beschl. vom 12.01.2009, Az. AGH 2308 und AGHNRW, Urt. v. 07.01.2011, Az. 2 AGH 36–38/10.

39 Ausdrücklich angemerkt im Rahmen der BRAK-Stellung 18/2014, Mai 2014.

40 Zunächst wurde gar kein Praxisfall für die Zertifizierung vorgesehen.

Aufsätze

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Analyse zu einer deutlichen Erfahrungserweiterung des zuZertifizierenden führen und zusätzlich qualifizieren. InKombination mit den weiteren vier im Rahmen der Fortbil-dung zu absolvierenden Praxisfällen hätte man so zum einenauch ein transparentes Abgrenzungskriterium zum „ein-fachen“ Mediator geschaffen. Zudem hätte der kombinierteAnforderungskatalog an den „zertifizierten“ Mediator einFundament, das dem der Zertifizierungsanspruch an die ge-wünschte Praxiserfahrung durch die elegante Verzahnungmit der Supervision Rechnung trägt. Auf diese Weise würdeman Mediatoren nicht nur leichtfertig mit einem einen Qua-litätsanspruch verkörpernden Titel versehen, sondern diesenein fundiertes fachliches Ausbildungsangebot an die Seitestellen.

cc) Gefahr: Inflation von zertifizierten Mediatoren ohneadäquaten Qualitätsnachweis

Anderenfalls würde man gerade im Rahmen der Zertifizie-rung beim Thema Mediation sehenden Auges eine Ausnah-me von der Regel machen, dass auch die beste Theorie diePraxis nicht zu ersetzen vermag. Berücksichtigt man zudem,dass die jeweilige Konfliktdynamik der Mediationsbeteiligtenohnehin eine ganz besondere Herausforderung für den Me-diator darstellt, wäre es fatal, diesen ohne umfassenden Pra-xisnachweis mit einem qualifizierenden Titel zu versehen. Ei-nen Titel, der eine besondere Erwartung der Konfliktbeteilig-ten provoziert, die ein „Einsteiger“ gerade regelmäßig nichtzu erfüllen mag. Das gilt um so mehr, als das BMJV im Rah-men der Begründung zur Verordnung selbst vorsorglich da-von ausgeht, dass alle in Deutschland tätigen Mediatoren41

eine Zertifizierung anstreben könnten.

b) Problem Nr. 2: Fehlende Kontrolle und Sanktions-möglichkeiten

Durch die erhöhten Praxisanforderungen würde man hin-gegen der berechtigten Sorge begegnen, dass es zu einer In-flation von zertifizierten Mediatoren im Markt kommt, ohnedurch diese die mit der Zertifizierung eigentlich beabsichtig-te Qualitätssicherung zu gewährleisten. Auch wenn man die-ser Sorge noch mit dem Hinweis auf einen sich selbst regu-lierenden Markt begegnen mag, stellt sich die zentrale Folge-frage: Wer kontrolliert, ob der nun bereits „zertifizierte Me-diator“ im Nachgang innerhalb von zwei Jahren die in § 5ZMediatAusbV geforderten vier Mediationsfälle tatsächlichabsolviert und supervidiert hat?

Mangels entsprechender Überprüfungs- und Sanktions-regelung der Praxisanforderungen darf man wohl kaum da-von ausgehen, dass ein „zertifizierter Mediator“, dem es nichtgelingt, vier Mediationsverfahren innerhalb von zwei Jahrenzu leiten, diesen Titel freiwillig ablegt. Das gilt insbesonderevor dem Hintergrund, dass sich aktuell der Mediationsmarktin Deutschland noch als ein Ausbildungsmarkt darstellt. In-folgedessen dürften zahlreiche der allein durch die theoreti-sche Ausbildung qualifizierten zertifizierten Mediatorennicht in der Lage sein, die geforderten vier Praxisfälle in dervorgegebenen Zeit zu erlangen. Man darf vermuten, dass in-folge der nicht vorgesehenen Sanktions- und Kontrollmecha-nismen kaum einer der Zertifizierten aus Eigeninitiative aufdie Führung der Bezeichnung verzichtet. Damit würde dievom Verordnungsgeber beabsichtigte Qualitätssicherung desMediators unterlaufen und der mit der Titelführung eigent-lich beabsichtigte Verbraucherschutz sehenden Auges aus-gehebelt. Gerade diese im Moment ohne jegliche Kontrolle

auferlegte Fortbildungsverpflichtung birgt eine weitere großeGefahr, die ein auf Qualität ausgerichtetes Zertifizierungssys-tem dauerhaft auszuhöhlen vermag.

aa) Empfehlung Nr. 2: Verantwortliche Einbindung derAusbildungsinstitute

Damit korrespondiert die Frage, wie einem Missbrauch derTitelführung begegnet werden kann: Nachdem der Verord-nungsgeber – im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung –sinnvollerweise bereits den Ausbildungsinstituten die Verant-wortung übertragen hat (§ 2 Abs. 6), durch eine entsprechen-de Bescheinigung die notwendigen Ausbildungsinhalte fürdie Zertifizierung zu bestätigen42, könnte diese Legitimationproblemlos im ersten Schritt auf das Bestätigen der vier (statteinem) vorab zu supervidierenden Ausgangsfälle erweitertwerden. Dieses bereits angelegte Verfahren ließe sich imzweiten Schritt – und in Einklang mit § 6 Abs. 6 MediationsG– dann zudem auf die vier weiteren im Nachgang zur Zertifi-zierung zu supervidierenden Praxisfälle erweitern. Damit hät-te der zertifizierte Mediator die Pflicht, dieser Fortbildungs-verpflichtung nicht nur in der Praxis nachzukommen, son-dern diese auch bei der faktisch die Zertifizierung auslösen-den Stelle dokumentiert einzureichen und von dieser bestäti-gen zu lassen.

Mit dieser Variante geht zwar eine in der Verordnungs-ermächtigung in § 6 MediationsG nicht ausdrücklich angeleg-te, aber dennoch mögliche Sanktion43 noch nicht einher.Gleichwohl ließen sich auf diese Weise mögliche Verstößeüber das Wettbewerbsrecht deutlich leichter überprüfen undsanktionieren. Noch wichtiger indes: Jedem Mediator würdeaufgrund dieser Einreichungsverpflichtung gegenüber derAusbildungsstelle klar, dass eine – vorzeitige oder fortgesetzte– Titelführung ohne die entsprechende Bescheinigung einenvorsätzlichen Missbrauch des Titels darstellen und dieserUmgehung zugleich vorbeugen würde.

Auch aus einer anderen Überlegung heraus erscheint eswünschenswert, dass ein im Nachgang zumMediationsG ver-abschiedetes Zertifizierungssystem nicht etwa Angriffsflä-chen liefert, sondern sich aufgrund seiner qualifizierendenMerkmale als Förderinstrument für die Etablierung der au-ßergerichtlichen Mediation Wirkung entfaltet. Nur ein von ei-ner breiten Akzeptanz getragenes Zertifizierungssystem ver-mag zu verhindern, dass sich weitere Ausbildungs- und Qua-lifizierungssysteme zur Mediation im Ausbildungsmarktetablieren, die die Mediatorenwahl für den Verbrauchernoch intransparenter machen und zugleich das im Gesetzmit Bedacht angelegte Zweistufenmodell vollständig entwer-ten. Gelänge es hingegen, durch die nachzuweisenden Pra-xiserfahrungen den Titel „Zertifizierter Mediator“ als echtesGütesiegel im Markt zu etablieren, könnte dies nicht nur dergewünschten Qualitätssicherung dienen, sondern darüber hi-naus auf drei Feldern eine Schubwirkung für die außer-gerichtliche Mediation entfalten:

Anwaltspraxis

32 AnwBl 1 / 2017 „Zerti f iz ierung light“ – Verbraucher und Mediatoren in der Zerti f iz ierungsfal le?, Plassmann

41 Unter Bezugnahme auf das Statistische Bundesamt geht das BMJV aktuell von 7.500ausgebildeten Mediatoren aus.

42 So bereits in BRAK-Stellungnahme 18/2014, Mai 2014 angeregt.

43 Schließlich wurde dem BMJV in § 6 MediationsG lediglich ein nicht abschließender(„insbesondere“) Regelungskatalog an die Hand gegeben.

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IV. Ausblick: (Anerkanntes) Zertifizierungssystemals Förderinstrument für die außergerichtlicheMediation

1. Rückgriff und Sicherheit für die Rechtsschutzbranche

So könnte man beispielsweise den von den Rechtsschutzver-sicherungen – die grundsätzlich einen wichtigen Beitrag zurEtablierung der Mediation zu leisten vermögen – im Gesetz-gebungsverfahren wiederholt geäußerten Wunsch, auf klareMaßstäbe bei der Auswahl eines Mediators im Rahmen ihresDeckungsschutzes zurückgreifen zu können, erfüllen.Gleichzeitig würde das Selbstverständnis eines zertifiziertenMediators eine gute Gelegenheit bieten, im Dialog mit denRechtsschutzversicherungen zu erörtern, wie die zahlreichenvon der Rechtsschutzbranche initiierten Vermittlungsverfah-ren auf Dauer idealerweise ausgestaltet werden sollten. Wäh-rend sich die Telefonvermittlung in Einzelfällen als ebensoangemessen wie effektiv erweist, dürfte in vielen Fällen erstdie persönliche Präsenz aller Beteiligten einerseits und dievollständige Informiertheit der Medianden durch Einbrin-gung der Parteianwälte andererseits dem angebotenen Me-diationsprodukt die allseits gewünschte Akzeptanz verleihen.

2. Anknüpfungspunkt für Etablierung gerichtsnaherMediation (§ 278 ZPO)

Zugleich erhielten Richter durch die Zertifizierung die oftvermissten Standards, auf die sie als Kriterien für eine mögli-che – in der Praxis leider kaum genutzte – Verweisung imSinne des § 278a ZPO an außergerichtliche Mediatoren zu-rückgreifen könnten. Damit würde dem eigentlichen An-spruch des Gesetzes zur Förderung der Mediation und ande-rer Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung und derWertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes44

gleichermaßen Folge geleistet.

3. Hebel zur Etablierung von Kosten- und Gebührenanreizen

Auch wäre durch die Zertifizierung eine Basis gelegt, denLändern Kriterien an die Hand zu geben, um den Parteienim Rahmen der noch nicht genutzten Öffnungsklauseln der§§ 69b GKG und 61a FamGKG Gebühren- und Kostenanrei-ze für den Versuch einer außergerichtlichen Streitbeilegungin Aussicht zu stellen.

Auf diese Weise könnte ein in der skizzierten Weise nach-justiertes Zertifizierungssystem die Basis dafür legen, denAnspruch auf Qualitätssicherung und Markttransparenz mitdem eigentlichen Anliegen der EU-Mediationsrichtlinie

„den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichternund die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, in-dem zur Nutzung der Mediation angehalten und für ein aus-gewogenes Verhältnis zwischen Mediation und Gerichtsver-fahren gesorgt wird“,45

effektiv zu verzahnen.

V. Fazit

Die Ausführungen mögen deutlich gemacht haben: Die vor-gelegte Rechtsverordnung bietet die Basis mit nur wenigen,jedoch wichtigen Weichenstellungen dem unstrittigen Anlie-gen, eine hohe Qualität in der Breite der Mediatorenschaftzu gewährleisten, Schubkraft zu geben. Eine „Zertifizierunglight“ hingegen läuft Gefahr, einen Flurschaden für dasImage von außergerichtlichen Konfliktlösungsmethoden an-zurichten, den gerade ein so effizientes, strukturiertes undnachhaltiges Verfahren wie die Mediation nicht im Ansatzverdient.

Anwaltspraxis

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Michael Plassmann, BerlinDer Autor ist Rechtsanwalt und Mediator. Er ist Vorsitzenderdes Ausschusses Außergerichtliche Streitbeilegung derBundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Er gehörte einer vomBMJ einberufenen Expertengruppe zum Mediationsgesetzan und war Mitglied des vom Ministerium geleiteten Arbeits-kreises Zertifizierung. Im Gesetzgebungsverfahren wurde erals Sachverständiger vom Rechtsausschuss des DeutschenBundestags angehört.

Leserreaktionen an [email protected] Vgl. 1 BvR 1351/01 vom 14.02.2007.

45 Artikel 1 Abs. 1 RL 2008/52/EG.

Aufsätze