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61 SvenReißVomWandervogelzurKdF-Gruppe.Jugendbewegte
FreundeskreiseinnerhalbdesNS-Systems
75 KarinStoverockRekontextualisierungbündischerLiederinder
Hitlerjugend
83 JustusH.Ulbricht»sopendelnwirzwischenFeld,Wald,Wiese,
Wasserund–Buch«.Aspektejugendbewegter
Verlagsgeschichte(n)
97 GideonBotschZwischenTraditionundRezeption.
VölkischeJugendbündeundnationalistischeJugend-
verbändeinderBundesrepublik
108 Autorenverzeichnis
Inhalt
Tagungsbeiträge»Grauzone. Das Verhältnis zwischen bündischer Jugend und Nationalsozialismus«
9 VorwortvonAlexanderSchmidtundClaudiaSelheim
11 UwePuschnerJugendbewegungundvölkischeBewegung
23 StefanBrauckmannArtamanen–BündischeGemeindenoderNational-
sozialistischerArbeitsdienstaufdemLande?
35 RichardNate»Brito-Germania«:ZudenHintergründenvon
RolfGardinerseuropäischemJugendprogrammder
Zwischenkriegszeit
45 ChristophKopke»VomWandervogelundHeimatschutz
herkommend…«.DerReichslandschaftsanwaltAlwin
SeifertundseineRolleimNationalsozialismus
53 HeinkeM.KalinkeVolkskundleraufWanderschaftimöstlichenEuropa.
WissenschaftimZeichenvonSammeleifer,völki-
scherIdeologieundnationalsozialistischerPolitik
Neues zu Objekten im GNM
187 AnjaEbertEineParodiederMelancholie?
ZueinemKupferstichdesJoosvanWingheundden
BezügenzuDürers»MelencoliaI«
199 AnkeKellerGürtler,Sporer,Kettenschmiede.
EinNürnbergerHandwerksschildunddieFrage
nachseinerProvenienz
207 AnnaPawlikDieBildnisbüstedesHansFreiherrnvonundzu
Aufseß.EinNachtrag
210 Autorenverzeichnis
211 Jahresbericht 2014 BerichtederMitarbeiterinnenundMitarbeiter
desGermanischenNationalmuseumszu
Forschungsarbeit,EreignissenundTätigkeiten
sowiezuneuerenErwerbungen
ZusammengestelltvonChristineDippold
Kunst- und Kulturgeschichte
111 FrankMatthiasKammelDasGermanischeNationalmuseumunddie
Niederlande.EingespaltenesVerhältnis
147 DietrichSchubertWilhelmLehmbruchimBlickvonMeier-Graefe
167 MarkusZepf,KlausMartiusunterMitarbeitvonMarkusRaquet»daHolzkeinzuverlässigesMaterialist«
ZweiViolinenausAluminiumvonHeinrichWachwitz
11 8 FrankMatth ias Kammel
Nicht zuletzt bargen die teilweise beträchtlichen Deposita
der Nürnberger Patrizierfamilien, die dem Museum damals
zugingen, interessante Stücke aus den niederländischen
Territorien: 1870 beispielsweise übergab die Familie Holz-
schuher »einen kostbaren niederländischen Teppich von
1498«,derfortan»einewerthvolleZierdederSammlungder
Gewebe« bildete,48 und 1876 die Conrad-von-Imhoff’sche
Familienstiftung einen mit Bildern und Texten gravierten
Nautilus von1742/43,derdenEinzugGustavWilhelmvon
Imhoffs (1705–1750)alsGeneralgouverneurvonBatavia in
Niederländisch-Indienzeigtundbesingt(Abb.7).Diemonu-
mentale schneckenförmige Muschel stellt sowohl ein her-
vorragendes Zeugnis des holländischen Kunsthandwerks
als auch ein sprechendes Dokument der niederländischen
Handels-undKolonialgeschichtedar.Nichtzuletztwirftdas
StückaberaucheinSchlaglichtaufdieVernetzungsozialer
EliteninnerhalbEuropas.49
BisweilentrafenObjekteniederländischerProvenienzimZu-
sammenhangmitDepositaoderErwerbungenganzerSamm-
lungenoderKonglomerateein.Mitder1873getätigten,aus
927BleiplakettenundMedaillenbestehendenSchenkungdes
Nürnberger Großhändlers und Kunstsammlers Georg Micha-
el Arnold (1811–1893) erlangte das Museum immerhin zwei
solcher Kleinkunstwerke mit niederländischer Provenienz.50
1884 angefertigte Abriebe von gravierten Messinggrabplatten
desSpätmittelalters inderSanSalvatorkathedralezuBrügge,
undderMünchnerAntiquitätenhändlerA.Weilstiftete1902ein
kleinesniederländischesPorträtderBarockzeit.44
Daneben gehörten gelegentlich Gipsabgüsse von Skulptu-
ren und Geräten zu den Geschenken. So gelangte etwa die
Abformung»einesromanischenLeuchtersausAntwerpen«ins
Haus, den Matthias Goebbels (1836–1911), der langjährige,
alsKirchenmalerbekannteKaplanderKölnerPfarrkircheSt.
MariaimKapitol,1871spendete.45DiesewieandereZuwen-
dungendesGeistlichenbasiertenwesentlichaufdemengen
KontaktmitAugustvonEssenwein (1831–1892),derAufseß
1866inderMuseumsleitunggefolgtwarundunteranderem
dieAbgusssammlungdesMuseumssystematischauszubau-
en trachtete.46 Die nötigen Ankäufe zur Komplettierung der
Darstellung der mittelalterlichen Bildhauerkunst in Gestalt
von in Gips reproduzierten Meisterwerken beinhalteten zum
BeispieldieindenJahren1882und1883vomLütticherMaler
JulesHelbig (1821–1906)angefertigtenAbgüssedesTympa-
nonsmitdemMysteriumdesApollausdem12.Jahrhundert
imdortigenMuseumCurtius,desberühmtenvonReinervon
Huy(gest.um1150)um1110/15gegossenenTaufbeckensaus
Saint-Barthélemy sowie einer kleinen Anzahl spätgotischer
BildwerkeausderMetropoleanderMaas(Abb.6).47
Abb.6 MonochromierterGipsabgussdesTaufbeckensvonReinervonHuyinderLütticherStiftskircheSt.Bartholomäus,JulesHelbig,Lüttich,1883.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.Pl.K.164
11 9DasGermanischeNat iona lmuseumundd ie Nieder lande
Im Zuge der Gründung des Deutschen Handelsmuseums
1879, das dem Germanischen Nationalmuseum inkorporiert
und von der deutschen Kaufmannschaft unterstützt wurde,
kamenebenfallsentsprechendeBeständeindasInstitut,die
beispielsweise merkantile Kooperationen zwischen Deutsch-
land und den Niederlanden auf höchst eigentümliche Weise
abbilden,soetwazwischendeutschenundniederländischen
Handelshäusern ausgestellte Wechsel und Vereinbarungen
(Abb.8).IndiesemKontexterwarbmanauchdaszuBeginn
derzweitenHälftedes18.JahrhundertsentstandeneModell
desniederländischenOstindienfahrers»DeEendracht«,eines
mitdreiMastenalsVollschiffgetakeltenundeinemreichver-
ziertenSpiegelheckausgestattetenSeglers, aufdessenBat-
terie-,Groß-undSchanzdeck44Geschützeangeordnetsind
unddasmitderüberausdetailliertundpräziseausgeformten
Takelagebesticht(Abb.9).51
Eine vom Straßburger Kunsthändler Robert Forrer (1866–
1947)1895angekaufteKollektionhistorischer Zeugdrucke
barg unter anderem ein großes in den Niederlanden 1786
hergestelltes beziehungsweise mit farbigem Bilddruck ver-
ziertes Kattuntuch, das dem Andenken der »Patriotten«
diente,niederländischenFreiwilligen,diebeeinflusstvonder
französischenRevolutionundderamerikanischenUnabhän-
gigkeitsbewegung gegen die Regimenter des Statthalters
WilhelmV.vonOranien(1748–1806)kämpften(Abb.10).52
ImZentrumdesTextilsprangtderstrahlendenSonnegleich
ein Medaillon mit dem über Trophäenbündeln aufgerichte-
temFreiheitshut.IndenEckensindEmblemezusehen,die
Tische mit Schriftstücken zeigen und mit dem 3. August
1786dasDatumdesrevolutionärenTreffenstragen,andem
sich inUtrechtetwa10.000Freiwilligezur»Vaderlandsche
Exercitie Genootschappen« zusammengeschlossen hatten.
Abb.7 NautilusmuschelmitdemEinzugGustavWilhelmvonImhoffsinBatavia,nördlicheNiederlande,um1742/43.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.Pl.O.783,DepositumderAlt-Conrad-von-Imhoff’schenFamilienstiftungNürnberg
Abb.8 Wechselüber1130fl.,ausgestelltvonderGenterFirmaVanDuynfürdasLeipzigerHandels-hausFrege&Co.,Gent,18.2.1808,Papier.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.HM1522
1 5 2 Dietr ich Schuber t
Abb.9 FoyerimLandhausMeier-GraefesinBerlin,miteinemHagenerTorsoLehmbrucks,Photovor1914(?)
Abb.7 PorträtMeier-GraefeinParis,EugenSpiro,1912.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.Gm1777
Abb.6 BüsteFrauL.,WilhelmLehmbruck,1910,Steinguss.Darmstadt,HessischesLandes-museum,Inv.Nr.Pl.21:26
1 5 3Wi lhe lmLehmbruck imB l ick vonMeier-Graefe
stand, kaufte der Kritiker vom Künstler den »Hagener Torso«,
ebenfallsinSteinguss.ImTagebuchdesAutorssteht:»7.XI.Im
Herbstsalon,derheutegeschlossenwird.DasBestediePlastik
deskleinenLehmbruck.Fabelhaftversprechend.Obereshal-
tenwird?[…]NunschreiensieinDeutschlandüberden(wegen
derTripolis-Affäre!)verpaßtenKrieg[…].Esistgrauenhaftzube-
obachten,wieDingeFolgenhaben.VonLehmbruck ›füreinen
Freund‹denhübschenkleinenFrauentorso,dengrauenCement,
derimHerbstsalonwar,für150Francsgekauft.«(Abb.8).29
VordemKriegstanddiePlastikimFoyervonMeier-Graefes
HausinBerlin(Abb.9).DerEditordesKunstblatts,PaulWest-
heim,gab1917eineListemitdenWerkenLehmbrucks,welche
sichinMuseenundinPrivatbesitzbefanden,heraus.Dieswar
ein frühesDatum,umdenKünstler–mitten imKriege– zu
würdigen. Unter den Privatleuten rangiertenWilhelmWorrin-
ger,DietrichWelter(Köln),HeinrichKirchhoff(Wiesbaden)und
auchMeier-Graefe(Berlin)mitFrauenbüsteundFrauentorso.30
Hier kann nun der Kunstschriftsteller wiederum zu Wort
kommen. Er ordnete Lehmbruck zwischen Rodin und Maillol
ein, aber: »Maillolwürdeesnieeinfallen, seineFrauenohne
ArmeundFüßezulassen.LehmbrucknimmtdieMethodeRo-
dinsundgehtdarüberhinaus.RodinzerteiltefertigeWerkeund
labtesichandenStücken.Lehmbruckkomponierteganzbe-
wusstaufdasFragmenthin.JenerschönsteseinerTorsos,der
MädchenkörpermitdemkleinenKopfunddenverschiedenab-
geschnittenenSchenkeln, istnichtmitExtremitätendenkbar,
hatniewelchegehabt[…]JedesMehrwürdeunsereVorstel-
lungvondemKörperverringern.MaillolsVollständigkeitent-
springtganzanderenRegungen[…].DieBüstenachderGattin
istimTypusMaillolsehrnaheverwandtundunterscheidetsich
nurdurchdieMonumentalität.«DamithatteMeier-Graefeauch
seinzweitesWerkLehmbrucksnochmalsgewürdigt;daswarin
derverändertendrittenAuflageseiner»Entwicklungsgeschich-
te«von1920.31AberesgibtnochandereTextedesKritikers,
dieumLehmbruckkreisen.NachBesuchenbeidieseminParis
kameinBeitragzumProblemderRodin-oderMaillol-Nachfol-
ge,alsoReaktionenaufdenImpressionismusinderPlastikvon
Jean-Baptiste Carpeaux bis Medardo Rosso. Auguste Rodins
Kunstals»impressionistisch«zubezeichnen,wärejedochganz
abwegig:dietiefsteDeutunggabderPhilosophGeorgSimmel
(1858–1918)inseinemRembrandt-Buchvon1916,32undzwar
als modernen Heraklitismus, als Ausdruck der Lebensströ-
mung.Meier-Graefebetont1912imText»PariserReaktionen«
dieLeichtigkeitfürdieNachahmerMaillols–»MarkeMaillol«
–unddieungleichgrößereSchwierigkeit,wieRodinzugestal-
ten;aneine »massenhafteNachahmungRodins«könneman
nurmitGrauendenken,denndemZeitniveauseieinebreite
Nachahmung Maillols günstiger als eine breite Nachahmung
Abb.8 KleinerweiblicherTorso(sog.Hagener),WilhelmLehmbruck,Paris1910/11,Steinguss.Privatbesitz
Rodins.33DamithatteervollkommenRecht.DieKunstLehm-
brucks stellte er zwischenbeideundkonstatierte, dassdes-
senÜberlegenheitbeziehungsweiseFähigkeitdarinbestünde,
»den Gegensatz Rodin-Maillol tiefer zu erfassen«, in welcher
Hinsicht,bliebfreilichoffen.SchließlichbetonteereineNähe
zudenFigurendesMalersHansvonMarées:»Manspürtden
ZusammenhangamdeutlichstenindenZeichnungen«–gleich-
samHommagenandenMeisterderHesperiden.»Warumhat
MaréesnichtdiesenMenschenzumSchülergehabt?«lautete
dierhetorischeFrageMeier-Graefes1920.34DieseSichtweise
ist durchaus nachvollziehbar und kann mit Vergleichen flan-
kiertwerden:essindLehmbrucksBlätterum1909wie»Blüte
1 7 2 MarkusZepf , K laus Mar t ius unter Mitarbe i t vonMarkusRaquet
derschweigtaucherzumHerstellerunddessenFirmensitz.24
Überraschend war daher die Entdeckung von Klaus Martius,
dasssowohldieWachwitz-GeigenalsauchdieWagner-Geige
überidentischeMaßeverfügenundfolglichmittelsderselben
Formen gebaut sein müssen (siehe unten). Einziger Geigen-
bauerdiesesNamensistim1940publizierten»Handbuchder
deutschen Musikinstrumenten-Wirtschaft« Kasper Wagner in
Fürth;25das1926veröffentlichte»Welt-AdressbuchderMusik-
Metallgeige« wichtige Hinweise zum historischen Umfeld der
mit Metallsaiten bezogenen »Original-Wagner-Geige«, die auf
Werbeblätternals»Jazzbandgeige«angepriesenwurde:»Esist
eineausKupferblechgepreßteundverlöteteGeigeetwavon
derFormdeskleinenAmati-Typs.Geigenhals,Saitenhalterund
OberchorholzsindausdemüblichenMaterial.DieneueWag-
ner-GeigebesitzteinenvollenKlang,dernur ineinem leisen
NachklingendenSpieleranschwingendesMetallerinnert.«Lei-
Abb.4 Violinemitsilber-undkupferplattiertemAluminium-korpusvonHeinrichWachwitz,Nürnberg,um1913.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.MIR2033
Abb.3 ViolinemitsilberplattiertemAluminiumkorpusvonHeinrichWachwitz,Nürnberg,um1913.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.MIR2032
1 7 3Zwei V io l inenausA lumin iumvonHeinr ich Wachwitz
instrumenten-Industrie«hingegenlässtdieFirmaJohannDavid
Wagner imsächsischenGrünhainichenalsgeeignetenKandi-
datenerscheinen:SiefertigtenebenerzgebirgischenSpielwa-
renauchKinderinstrumenteundunterhielt inderNürnberger
Hochstraße 8 unter dem Namen D. H. Wagner & Sohn eine
Handelsniederlassung26–aufdembenachbartenGrundstück
der nördlichen Parallelstraße wohnte Heinrich Wachwitz, so-
dasseineVerbindungmitderFirmaD.H.Wagner&Sohnsehr
wahrscheinlichist.
Vorbilder der MetallgeigenWiediePatentschriftenzeigen,lassensichdieAluminiumgeigen
vonHeinrichWachwitzineinengrößerentechnischenKontext
derfrühenAluminiumproduktionstellen.Instrumentenkundlich
reihensiesichindiemeisterfolglosenVersucheein,Streichin-
strumentendurchneueMaterialienmehrKlangkraftzuverlei-
hen. So besitzt das Musikinstrumenten-Museum, Staatliches
Institut fürMusikforschungBerlin–PreußischerKulturbesitz,
eineunsignierteViolineausMessingblech(Kat.Nr.2565),deren
DeckenwölbungansüddeutscheTraditionenerinnert(Abb.6).
Dasvermutlichim18.JahrhundertgefertigteInstrumentwurde
1902mitderSammlungdesGenterAdvokatenCesarSnoeck
(1834–1898) erworben und durch den Zweiten Weltkrieg in
Mitleidenschaftgezogen.FüreineReparaturwurdeesum1955
inseineEinzelteilezerlegt,wasdieBewertungdererkennbaren
Spuren erschwert. Dem Betrachter fallen saubere Ziselierun-
genundfeingliedrigeGravurenaufGriffbrettundSaitenhalter
auf,dernachdenAufzeichnungendesehemaligenLeitersder
BerlinerSammlung,CurtSachs(1881–1959),um1922ergänzt
wordenseinsoll;diePatinasowiebautechnischeDetailsspre-
chenallerdingsgegeneinejüngereErgänzung.27Einevergleich-
bare Violine d’amore befindet sich im Bayerischen National-
museum(Inv.Nr.30/679).DiesesebenfallsausMessingblech
gearbeiteteInstrumentistaufdemBodenmitFederunddicker
Tinte signiert »Johann diderig Luge, fleschner // Meister in
bamberg.1743«.28ImGegensatzzuranonymenBerlinerGeige
habenhierHalsundWirbelkastenwändewahrscheinlicheinen
KernausEisenblech,dassichebensowiederBassbalkenmit
HilfeeinesMagnetenertastenlässt.DenWirbelkastenhatJo-
hannDietrichLugemiteinemgeschnitztenLöwenkopfbekrönt.
BeidenMessinggeigengemeinsinddiequalitätvollenGravuren
aufGriffbrettundSaitenhalter,wobeidieMünchnerViolineauf
dessenUnterseitezusätzlichvieraufgelöteteEisenhakenzum
AnhängenderAliquotsaitenhat.ÜberdasMessingblechhinaus
bestehenzwischenbeiden Instrumenten jedochkeineausrei-
chendenstilistischenGemeinsamkeiten,umauchdieBerliner
Geige dem Bamberger Flaschnermeister zuschreiben zu kön-
nen.Überdasunsignierte InstrumentderBerlinerSammlung
Abb.5a ViolinemitsilberplattiertemAluminiumkorpus,Fa.Wagner,FürthoderGrünhainichen,zwischen1931und1941.München,MünchnerStadtmuseum,Inv.Nr.41-144
Abb.5b StempelaufderUnterzarge,vgl.Abb.5a
1 7 8 MarkusZepf , K laus Mar t ius unter Mitarbe i t vonMarkusRaquet
Abb.8 QuerschnittderViolineMIR2033,Makro-Computer-tomografie(Auflösung64,79µm),vgl.Abb.4
Abb.7 KonstruktionszeichnungzurPatentschriftNr.1,210,368desUnitedStatesPatentOffice,ausgegebenam26.Dezember1916fürdieFa.HeinrichWachwitz,Nürnberg,zurHerstellungvonResonanzkörpernfürMusikins-trumente
1 7 9Zwei V io l inenausA lumin iumvonHeinr ich Wachwitz
derZargenzuDeckeundBodendienen)fehlenmaterial-und
konstruktionsbedingt.AmHalsansatzundamunterenKnöpf-
chen,woderSaitenhalterangehängtist,sinddieZargendurch
ein von innen aufgelötetes Blech aufgedoppelt. Zur Verstär-
kung wurde über die Mittelfuge der Zargen ebenfalls innen
senkrechteinweiteresU-Profilaufgesetzt,dasuntendenZug
desSaitenhaltersundobendenDruckdesHalsesauffangen
soll.DieseristmehroderwenigerstumpfaufdenMetallkörper
aufgesetztundmiteinerSchraubedurchdenHalsfuß innen
miteinerimProfilliegendenMutterbefestigt(Abb.9–10).
MaterialienDie Resonanzkörper sind aus Wachwitz-Metall gefertigt. Der
KernbestehtausAluminium,dasbeidseitigmittelspatentierten
VerfahrensmiteinerAuflageausSilberoderKupfer,alsoeinem
MetalldeutlichhöherenspezifischenGewichts,plattiertwurde.
MaterialanalysenmiteinemRFA-Gerät48bestätigendiesenAuf-
bau.DieOberflächenmessungderViolineMIR2032ergabeine
fasthundertprozentigeSilberauflage,währendMesspunktean
beschädigtenStellen,dieLückeninderSilberschichtaufweisen,
einedeutlichhöhereAluminiumkonzentrationzeigen.Messun-
genannachgelötetenFugenderZargenerbrachtenNachweise
vonZinkundBlei,wasalsLötzinninterpretierbarist.
Die Messungen an der Violine MIR 2033 überraschten,
daanSchadstellen inderOberflächeaußerdemAluminium
gleichzeitig das Vorhandensein von Silber detektiert wurde.
Diesentsprichtdem1898vonHeinrichWachwitzpatentierten
Produktionsverfahren,beidemfüreinehaltbareKupferplattie-
rungdasKupferineinemerstenArbeitsschrittmiteinerdün-
nenMetallschichtausZink,ZinnoderSilberüberzogenwird,
umbeimanschließendenGlühprozesseinefesteVerbindung
mitdemAluminiumzuerzeugen.49
InnenkonstruktionWiedieRöntgenaufnahmedeutlichzeigt,sinddieSchalllöcher
derViolineMIR2032vonuntenmiteinemverzweigtenDraht
unterstützt,währenddiebeidenanderenGeigenohnediese
Verstärkungauskommen(Abb.9).DenBassbalkenbildet je-
weils eine aufgelötete Schiene mit nach unten geöffnetem
U-Profil(Abb.8),diezubeidenEndenhinniedrigerwirdund
bei jedem der drei Instrumente individuell gestaltet ist. Da-
beizeigtdieViolineMIR2032diegrößteAbweichung,dahier
dergeradeVerlaufdes»Bassbalkens«oberhalbderSchalllö-
cher in einer Zickzacklinie (4 Zähne) ans Ende geführt wird
(Abb.9).ObdiesausklanglichenGründengeschah,lässtsich
derzeit(sieheunten)nichtbeurteilen.BeimMünchnerInstru-
mentnähertsichdie innerebassseitigeVerstärkung in ihrer
SeitenansichtamehestendemüblichenBassbalkenzuschnitt.
AllerdingsisthieranderhöchstenStelleinderMittedieinne-
reKantenachinnengebogen,sodassdiebeiden»Kufen«des
U-ProfilsandieserStegstellenichtparallelverlaufen.Ähnliche
BesonderheitenfehlenbeiderViolineMIR2033.
AndereimüblichenGeigenbaugattungsimmanenteVerstär-
kungenimInnenraum,Eckklötze,Ober-undUnterklotz,sowie
Reifchen(dieüblicherweisezurVergrößerungderLeimflächen
Abb.9 ViolineMIR2032,Röntgenaufnahme,vgl.Abb.3
Abb.10 3D-RekonstruktiondesOberklotzbereichesvonMIR2033.AngefertigtnacheinerTomosynthese-Computertomografie(Auflösung30µm),vgl.Abb.4
1 8 8 Anja Eber t
Abb.2 MelencoliaI,AlbrechtDürer,1514,Kupferstich.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,LeihgabederMuseenderStadtNürnberg,Inv.Nr.St.N.2126
Abb.1 DieSchlemmerin,JoosvanWinghe,1593,Kupferstich.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.HB14352
1 8 9EineParodie der Melanchol ie?
Eineweitere InschriftaufdemBaldachindesBettesgibtdas
Themavor:»Rogier[häufigerRoger]Bo[n]temps«isteineinder
französischenLiteraturseitdem15.JahrhundertgeläufigeFi-
gur,diesprichwörtlicheVerbreitungfandundfürSorglosigkeit
undeindemMüßigganggewidmetesLebensteht,einVielfraß,
SchlemmerundbequemerFaulenzer.11Alssolchenkennzeich-
nendenMannhiernichtnurseinbeachtlicherLeibesumfang,
diePantoffeln, die auf seinhäuslichesLeben verweisen, und
diezahlreichenKissen,mitdenenerseinenStuhlausgepols-
terthat,sondernebensodieGestedesaufdieHandgestützten
Kopfes–eintraditionellesMotivausDarstellungenderTrägheit,
aufdasauchDürerinseinerMelencolia-Figurzurückgreift.12
Auch der Gefährtin des Mannes eignen negativ-komische
Konnotationen.DieDarstellungeinervonSpeisenumgebenen
Frau,dieoffenbarineinerKüchesitzt,erinnertandasimspä-
ten16.JahrhundertbeliebteThemaderKüchenmagd.Eswar
geradeinderflämischenMalereipopulär,demkünstlerischen
UmfeldJoosvanWinghes.HäufigfindetsichdasThemaetwa
imŒuvredesvon1535bis1556inAntwerpentätigenPieter
Parma. Nach der Belagerung Antwerpens durch die spani-
schenTruppensiedelteWingheum1585nachFrankfurtüber,
erwarb dort drei Jahre später das Bürgerrecht und lebte in
der Mainstadt bis zu seinem Tod 1603.6 Ein Zusammentref-
fenmitHoefnagelinFrankfurterscheintgutmöglich,daauch
derMalerbekanntermaßeninKreisenflämischerEmigranten
verkehrte.71592–einJahrvordemErscheinendesWinghe-
Stichs–hatteJorisHoefnagelinFrankfurteinumfangreiches
Druckwerk, die »Archetypa« herausgegeben, deren Kupfer-
sticheausweislichderInschriftaufdemTitelblattvonseinem
damals19-jährigenSohnJakob(1573–nach1632)nachVorla-
gendesVatersgestochenwurden.8Fürdiehierzubesprechen-
deGrafikwäreeineähnlicheZusammenarbeitdenkbar,beider
WinghedieVorzeichnungerstellteundJorisHoefnagelalsVer-
leger,seinSohnmöglicherweisealsStecherauftraten.9Darauf
könnteauchderUmstandhinweisen,dassinden»Archetypa«
ebenfalls mehrfach die ungewöhnliche Abkürzung für das
Privileg »cum prae:« oder »cum praevil:« statt des üblichen
»cumprivilegio«erscheint.10
Abb.3 DieSchlemmer,JoosvanWinghe,1593,Kupferstich.Amsterdam,Rijksmuseum,Inv.Nr.RP-P-OB-68.155