12
61 Sven Reiß VomWandervogelzurKdF-Gruppe.Jugendbewegte FreundeskreiseinnerhalbdesNS-Systems 75 Karin Stoverock RekontextualisierungbündischerLiederinder Hitlerjugend 83 Justus H. Ulbricht »sopendelnwirzwischenFeld,Wald,Wiese, Wasserund–Buch«.Aspektejugendbewegter Verlagsgeschichte(n) 97 Gideon Botsch ZwischenTraditionundRezeption. VölkischeJugendbündeundnationalistischeJugend- verbändeinderBundesrepublik 108 Autorenverzeichnis Inhalt Tagungsbeiträge »Grauzone. Das Verhältnis zwischen bündischer Jugend und Nationalsozialismus« 9 Vorwort von Alexander Schmidt und Claudia Selheim 11 Uwe Puschner JugendbewegungundvölkischeBewegung 23 Stefan Brauckmann Artamanen–BündischeGemeindenoderNational- sozialistischerArbeitsdienstaufdemLande? 35 Richard Nate »Brito-Germania«:ZudenHintergründenvon RolfGardinerseuropäischemJugendprogrammder Zwischenkriegszeit 45 Christoph Kopke »VomWandervogelundHeimatschutz herkommend…«.DerReichslandschaftsanwaltAlwin SeifertundseineRolleimNationalsozialismus 53 Heinke M. Kalinke VolkskundleraufWanderschaftimöstlichenEuropa. WissenschaftimZeichenvonSammeleifer,völki- scherIdeologieundnationalsozialistischerPolitik

Anzieger des Germanischen Nationalmuseums 2015...Niederländisch-Indien zeigt und besingt (Abb. 7). Die monu-mentale schneckenförmige Muschel stellt sowohl ein her-vorragendes Zeugnis

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Page 1: Anzieger des Germanischen Nationalmuseums 2015...Niederländisch-Indien zeigt und besingt (Abb. 7). Die monu-mentale schneckenförmige Muschel stellt sowohl ein her-vorragendes Zeugnis

61 SvenReißVomWandervogelzurKdF-Gruppe.Jugendbewegte

FreundeskreiseinnerhalbdesNS-Systems

75 KarinStoverockRekontextualisierungbündischerLiederinder

Hitlerjugend

83 JustusH.Ulbricht»sopendelnwirzwischenFeld,Wald,Wiese,

Wasserund–Buch«.Aspektejugendbewegter

Verlagsgeschichte(n)

97 GideonBotschZwischenTraditionundRezeption.

VölkischeJugendbündeundnationalistischeJugend-

verbändeinderBundesrepublik

108 Autorenverzeichnis

Inhalt

Tagungsbeiträge»Grauzone. Das Verhältnis zwischen bündischer Jugend und Nationalsozialismus«

9 VorwortvonAlexanderSchmidtundClaudiaSelheim

11 UwePuschnerJugendbewegungundvölkischeBewegung

23 StefanBrauckmannArtamanen–BündischeGemeindenoderNational-

sozialistischerArbeitsdienstaufdemLande?

35 RichardNate»Brito-Germania«:ZudenHintergründenvon

RolfGardinerseuropäischemJugendprogrammder

Zwischenkriegszeit

45 ChristophKopke»VomWandervogelundHeimatschutz

herkommend…«.DerReichslandschaftsanwaltAlwin

SeifertundseineRolleimNationalsozialismus

53 HeinkeM.KalinkeVolkskundleraufWanderschaftimöstlichenEuropa.

WissenschaftimZeichenvonSammeleifer,völki-

scherIdeologieundnationalsozialistischerPolitik

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Neues zu Objekten im GNM

187 AnjaEbertEineParodiederMelancholie?

ZueinemKupferstichdesJoosvanWingheundden

BezügenzuDürers»MelencoliaI«

199 AnkeKellerGürtler,Sporer,Kettenschmiede.

EinNürnbergerHandwerksschildunddieFrage

nachseinerProvenienz

207 AnnaPawlikDieBildnisbüstedesHansFreiherrnvonundzu

Aufseß.EinNachtrag

210 Autorenverzeichnis

211 Jahresbericht 2014 BerichtederMitarbeiterinnenundMitarbeiter

desGermanischenNationalmuseumszu

Forschungsarbeit,EreignissenundTätigkeiten

sowiezuneuerenErwerbungen

ZusammengestelltvonChristineDippold

Kunst- und Kulturgeschichte

111 FrankMatthiasKammelDasGermanischeNationalmuseumunddie

Niederlande.EingespaltenesVerhältnis

147 DietrichSchubertWilhelmLehmbruchimBlickvonMeier-Graefe

167 MarkusZepf,KlausMartiusunterMitarbeitvonMarkusRaquet»daHolzkeinzuverlässigesMaterialist«

ZweiViolinenausAluminiumvonHeinrichWachwitz

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11 8 FrankMatth ias Kammel

Nicht zuletzt bargen die teilweise beträchtlichen Deposita

der Nürnberger Patrizierfamilien, die dem Museum damals

zugingen, interessante Stücke aus den niederländischen

Territorien: 1870 beispielsweise übergab die Familie Holz-

schuher »einen kostbaren niederländischen Teppich von

1498«,derfortan»einewerthvolleZierdederSammlungder

Gewebe« bildete,48 und 1876 die Conrad-von-Imhoff’sche

Familienstiftung einen mit Bildern und Texten gravierten

Nautilus von1742/43,derdenEinzugGustavWilhelmvon

Imhoffs (1705–1750)alsGeneralgouverneurvonBatavia in

Niederländisch-Indienzeigtundbesingt(Abb.7).Diemonu-

mentale schneckenförmige Muschel stellt sowohl ein her-

vorragendes Zeugnis des holländischen Kunsthandwerks

als auch ein sprechendes Dokument der niederländischen

Handels-undKolonialgeschichtedar.Nichtzuletztwirftdas

StückaberaucheinSchlaglichtaufdieVernetzungsozialer

EliteninnerhalbEuropas.49

BisweilentrafenObjekteniederländischerProvenienzimZu-

sammenhangmitDepositaoderErwerbungenganzerSamm-

lungenoderKonglomerateein.Mitder1873getätigten,aus

927BleiplakettenundMedaillenbestehendenSchenkungdes

Nürnberger Großhändlers und Kunstsammlers Georg Micha-

el Arnold (1811–1893) erlangte das Museum immerhin zwei

solcher Kleinkunstwerke mit niederländischer Provenienz.50

1884 angefertigte Abriebe von gravierten Messinggrabplatten

desSpätmittelalters inderSanSalvatorkathedralezuBrügge,

undderMünchnerAntiquitätenhändlerA.Weilstiftete1902ein

kleinesniederländischesPorträtderBarockzeit.44

Daneben gehörten gelegentlich Gipsabgüsse von Skulptu-

ren und Geräten zu den Geschenken. So gelangte etwa die

Abformung»einesromanischenLeuchtersausAntwerpen«ins

Haus, den Matthias Goebbels (1836–1911), der langjährige,

alsKirchenmalerbekannteKaplanderKölnerPfarrkircheSt.

MariaimKapitol,1871spendete.45DiesewieandereZuwen-

dungendesGeistlichenbasiertenwesentlichaufdemengen

KontaktmitAugustvonEssenwein (1831–1892),derAufseß

1866inderMuseumsleitunggefolgtwarundunteranderem

dieAbgusssammlungdesMuseumssystematischauszubau-

en trachtete.46 Die nötigen Ankäufe zur Komplettierung der

Darstellung der mittelalterlichen Bildhauerkunst in Gestalt

von in Gips reproduzierten Meisterwerken beinhalteten zum

BeispieldieindenJahren1882und1883vomLütticherMaler

JulesHelbig (1821–1906)angefertigtenAbgüssedesTympa-

nonsmitdemMysteriumdesApollausdem12.Jahrhundert

imdortigenMuseumCurtius,desberühmtenvonReinervon

Huy(gest.um1150)um1110/15gegossenenTaufbeckensaus

Saint-Barthélemy sowie einer kleinen Anzahl spätgotischer

BildwerkeausderMetropoleanderMaas(Abb.6).47

Abb.6 MonochromierterGipsabgussdesTaufbeckensvonReinervonHuyinderLütticherStiftskircheSt.Bartholomäus,JulesHelbig,Lüttich,1883.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.Pl.K.164

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11 9DasGermanischeNat iona lmuseumundd ie Nieder lande

Im Zuge der Gründung des Deutschen Handelsmuseums

1879, das dem Germanischen Nationalmuseum inkorporiert

und von der deutschen Kaufmannschaft unterstützt wurde,

kamenebenfallsentsprechendeBeständeindasInstitut,die

beispielsweise merkantile Kooperationen zwischen Deutsch-

land und den Niederlanden auf höchst eigentümliche Weise

abbilden,soetwazwischendeutschenundniederländischen

Handelshäusern ausgestellte Wechsel und Vereinbarungen

(Abb.8).IndiesemKontexterwarbmanauchdaszuBeginn

derzweitenHälftedes18.JahrhundertsentstandeneModell

desniederländischenOstindienfahrers»DeEendracht«,eines

mitdreiMastenalsVollschiffgetakeltenundeinemreichver-

ziertenSpiegelheckausgestattetenSeglers, aufdessenBat-

terie-,Groß-undSchanzdeck44Geschützeangeordnetsind

unddasmitderüberausdetailliertundpräziseausgeformten

Takelagebesticht(Abb.9).51

Eine vom Straßburger Kunsthändler Robert Forrer (1866–

1947)1895angekaufteKollektionhistorischer Zeugdrucke

barg unter anderem ein großes in den Niederlanden 1786

hergestelltes beziehungsweise mit farbigem Bilddruck ver-

ziertes Kattuntuch, das dem Andenken der »Patriotten«

diente,niederländischenFreiwilligen,diebeeinflusstvonder

französischenRevolutionundderamerikanischenUnabhän-

gigkeitsbewegung gegen die Regimenter des Statthalters

WilhelmV.vonOranien(1748–1806)kämpften(Abb.10).52

ImZentrumdesTextilsprangtderstrahlendenSonnegleich

ein Medaillon mit dem über Trophäenbündeln aufgerichte-

temFreiheitshut.IndenEckensindEmblemezusehen,die

Tische mit Schriftstücken zeigen und mit dem 3. August

1786dasDatumdesrevolutionärenTreffenstragen,andem

sich inUtrechtetwa10.000Freiwilligezur»Vaderlandsche

Exercitie Genootschappen« zusammengeschlossen hatten.

Abb.7 NautilusmuschelmitdemEinzugGustavWilhelmvonImhoffsinBatavia,nördlicheNiederlande,um1742/43.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.Pl.O.783,DepositumderAlt-Conrad-von-Imhoff’schenFamilienstiftungNürnberg

Abb.8 Wechselüber1130fl.,ausgestelltvonderGenterFirmaVanDuynfürdasLeipzigerHandels-hausFrege&Co.,Gent,18.2.1808,Papier.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.HM1522

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1 5 2 Dietr ich Schuber t

Abb.9 FoyerimLandhausMeier-GraefesinBerlin,miteinemHagenerTorsoLehmbrucks,Photovor1914(?)

Abb.7 PorträtMeier-GraefeinParis,EugenSpiro,1912.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.Gm1777

Abb.6 BüsteFrauL.,WilhelmLehmbruck,1910,Steinguss.Darmstadt,HessischesLandes-museum,Inv.Nr.Pl.21:26

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1 5 3Wi lhe lmLehmbruck imB l ick vonMeier-Graefe

stand, kaufte der Kritiker vom Künstler den »Hagener Torso«,

ebenfallsinSteinguss.ImTagebuchdesAutorssteht:»7.XI.Im

Herbstsalon,derheutegeschlossenwird.DasBestediePlastik

deskleinenLehmbruck.Fabelhaftversprechend.Obereshal-

tenwird?[…]NunschreiensieinDeutschlandüberden(wegen

derTripolis-Affäre!)verpaßtenKrieg[…].Esistgrauenhaftzube-

obachten,wieDingeFolgenhaben.VonLehmbruck ›füreinen

Freund‹denhübschenkleinenFrauentorso,dengrauenCement,

derimHerbstsalonwar,für150Francsgekauft.«(Abb.8).29

VordemKriegstanddiePlastikimFoyervonMeier-Graefes

HausinBerlin(Abb.9).DerEditordesKunstblatts,PaulWest-

heim,gab1917eineListemitdenWerkenLehmbrucks,welche

sichinMuseenundinPrivatbesitzbefanden,heraus.Dieswar

ein frühesDatum,umdenKünstler–mitten imKriege– zu

würdigen. Unter den Privatleuten rangiertenWilhelmWorrin-

ger,DietrichWelter(Köln),HeinrichKirchhoff(Wiesbaden)und

auchMeier-Graefe(Berlin)mitFrauenbüsteundFrauentorso.30

Hier kann nun der Kunstschriftsteller wiederum zu Wort

kommen. Er ordnete Lehmbruck zwischen Rodin und Maillol

ein, aber: »Maillolwürdeesnieeinfallen, seineFrauenohne

ArmeundFüßezulassen.LehmbrucknimmtdieMethodeRo-

dinsundgehtdarüberhinaus.RodinzerteiltefertigeWerkeund

labtesichandenStücken.Lehmbruckkomponierteganzbe-

wusstaufdasFragmenthin.JenerschönsteseinerTorsos,der

MädchenkörpermitdemkleinenKopfunddenverschiedenab-

geschnittenenSchenkeln, istnichtmitExtremitätendenkbar,

hatniewelchegehabt[…]JedesMehrwürdeunsereVorstel-

lungvondemKörperverringern.MaillolsVollständigkeitent-

springtganzanderenRegungen[…].DieBüstenachderGattin

istimTypusMaillolsehrnaheverwandtundunterscheidetsich

nurdurchdieMonumentalität.«DamithatteMeier-Graefeauch

seinzweitesWerkLehmbrucksnochmalsgewürdigt;daswarin

derverändertendrittenAuflageseiner»Entwicklungsgeschich-

te«von1920.31AberesgibtnochandereTextedesKritikers,

dieumLehmbruckkreisen.NachBesuchenbeidieseminParis

kameinBeitragzumProblemderRodin-oderMaillol-Nachfol-

ge,alsoReaktionenaufdenImpressionismusinderPlastikvon

Jean-Baptiste Carpeaux bis Medardo Rosso. Auguste Rodins

Kunstals»impressionistisch«zubezeichnen,wärejedochganz

abwegig:dietiefsteDeutunggabderPhilosophGeorgSimmel

(1858–1918)inseinemRembrandt-Buchvon1916,32undzwar

als modernen Heraklitismus, als Ausdruck der Lebensströ-

mung.Meier-Graefebetont1912imText»PariserReaktionen«

dieLeichtigkeitfürdieNachahmerMaillols–»MarkeMaillol«

–unddieungleichgrößereSchwierigkeit,wieRodinzugestal-

ten;aneine »massenhafteNachahmungRodins«könneman

nurmitGrauendenken,denndemZeitniveauseieinebreite

Nachahmung Maillols günstiger als eine breite Nachahmung

Abb.8 KleinerweiblicherTorso(sog.Hagener),WilhelmLehmbruck,Paris1910/11,Steinguss.Privatbesitz

Rodins.33DamithatteervollkommenRecht.DieKunstLehm-

brucks stellte er zwischenbeideundkonstatierte, dassdes-

senÜberlegenheitbeziehungsweiseFähigkeitdarinbestünde,

»den Gegensatz Rodin-Maillol tiefer zu erfassen«, in welcher

Hinsicht,bliebfreilichoffen.SchließlichbetonteereineNähe

zudenFigurendesMalersHansvonMarées:»Manspürtden

ZusammenhangamdeutlichstenindenZeichnungen«–gleich-

samHommagenandenMeisterderHesperiden.»Warumhat

MaréesnichtdiesenMenschenzumSchülergehabt?«lautete

dierhetorischeFrageMeier-Graefes1920.34DieseSichtweise

ist durchaus nachvollziehbar und kann mit Vergleichen flan-

kiertwerden:essindLehmbrucksBlätterum1909wie»Blüte

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1 7 2 MarkusZepf , K laus Mar t ius unter Mitarbe i t vonMarkusRaquet

derschweigtaucherzumHerstellerunddessenFirmensitz.24

Überraschend war daher die Entdeckung von Klaus Martius,

dasssowohldieWachwitz-GeigenalsauchdieWagner-Geige

überidentischeMaßeverfügenundfolglichmittelsderselben

Formen gebaut sein müssen (siehe unten). Einziger Geigen-

bauerdiesesNamensistim1940publizierten»Handbuchder

deutschen Musikinstrumenten-Wirtschaft« Kasper Wagner in

Fürth;25das1926veröffentlichte»Welt-AdressbuchderMusik-

Metallgeige« wichtige Hinweise zum historischen Umfeld der

mit Metallsaiten bezogenen »Original-Wagner-Geige«, die auf

Werbeblätternals»Jazzbandgeige«angepriesenwurde:»Esist

eineausKupferblechgepreßteundverlöteteGeigeetwavon

derFormdeskleinenAmati-Typs.Geigenhals,Saitenhalterund

OberchorholzsindausdemüblichenMaterial.DieneueWag-

ner-GeigebesitzteinenvollenKlang,dernur ineinem leisen

NachklingendenSpieleranschwingendesMetallerinnert.«Lei-

Abb.4 Violinemitsilber-undkupferplattiertemAluminium-korpusvonHeinrichWachwitz,Nürnberg,um1913.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.MIR2033

Abb.3 ViolinemitsilberplattiertemAluminiumkorpusvonHeinrichWachwitz,Nürnberg,um1913.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.MIR2032

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1 7 3Zwei V io l inenausA lumin iumvonHeinr ich Wachwitz

instrumenten-Industrie«hingegenlässtdieFirmaJohannDavid

Wagner imsächsischenGrünhainichenalsgeeignetenKandi-

datenerscheinen:SiefertigtenebenerzgebirgischenSpielwa-

renauchKinderinstrumenteundunterhielt inderNürnberger

Hochstraße 8 unter dem Namen D. H. Wagner & Sohn eine

Handelsniederlassung26–aufdembenachbartenGrundstück

der nördlichen Parallelstraße wohnte Heinrich Wachwitz, so-

dasseineVerbindungmitderFirmaD.H.Wagner&Sohnsehr

wahrscheinlichist.

Vorbilder der MetallgeigenWiediePatentschriftenzeigen,lassensichdieAluminiumgeigen

vonHeinrichWachwitzineinengrößerentechnischenKontext

derfrühenAluminiumproduktionstellen.Instrumentenkundlich

reihensiesichindiemeisterfolglosenVersucheein,Streichin-

strumentendurchneueMaterialienmehrKlangkraftzuverlei-

hen. So besitzt das Musikinstrumenten-Museum, Staatliches

Institut fürMusikforschungBerlin–PreußischerKulturbesitz,

eineunsignierteViolineausMessingblech(Kat.Nr.2565),deren

DeckenwölbungansüddeutscheTraditionenerinnert(Abb.6).

Dasvermutlichim18.JahrhundertgefertigteInstrumentwurde

1902mitderSammlungdesGenterAdvokatenCesarSnoeck

(1834–1898) erworben und durch den Zweiten Weltkrieg in

Mitleidenschaftgezogen.FüreineReparaturwurdeesum1955

inseineEinzelteilezerlegt,wasdieBewertungdererkennbaren

Spuren erschwert. Dem Betrachter fallen saubere Ziselierun-

genundfeingliedrigeGravurenaufGriffbrettundSaitenhalter

auf,dernachdenAufzeichnungendesehemaligenLeitersder

BerlinerSammlung,CurtSachs(1881–1959),um1922ergänzt

wordenseinsoll;diePatinasowiebautechnischeDetailsspre-

chenallerdingsgegeneinejüngereErgänzung.27Einevergleich-

bare Violine d’amore befindet sich im Bayerischen National-

museum(Inv.Nr.30/679).DiesesebenfallsausMessingblech

gearbeiteteInstrumentistaufdemBodenmitFederunddicker

Tinte signiert »Johann diderig Luge, fleschner // Meister in

bamberg.1743«.28ImGegensatzzuranonymenBerlinerGeige

habenhierHalsundWirbelkastenwändewahrscheinlicheinen

KernausEisenblech,dassichebensowiederBassbalkenmit

HilfeeinesMagnetenertastenlässt.DenWirbelkastenhatJo-

hannDietrichLugemiteinemgeschnitztenLöwenkopfbekrönt.

BeidenMessinggeigengemeinsinddiequalitätvollenGravuren

aufGriffbrettundSaitenhalter,wobeidieMünchnerViolineauf

dessenUnterseitezusätzlichvieraufgelöteteEisenhakenzum

AnhängenderAliquotsaitenhat.ÜberdasMessingblechhinaus

bestehenzwischenbeiden Instrumenten jedochkeineausrei-

chendenstilistischenGemeinsamkeiten,umauchdieBerliner

Geige dem Bamberger Flaschnermeister zuschreiben zu kön-

nen.Überdasunsignierte InstrumentderBerlinerSammlung

Abb.5a ViolinemitsilberplattiertemAluminiumkorpus,Fa.Wagner,FürthoderGrünhainichen,zwischen1931und1941.München,MünchnerStadtmuseum,Inv.Nr.41-144

Abb.5b StempelaufderUnterzarge,vgl.Abb.5a

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1 7 8 MarkusZepf , K laus Mar t ius unter Mitarbe i t vonMarkusRaquet

Abb.8 QuerschnittderViolineMIR2033,Makro-Computer-tomografie(Auflösung64,79µm),vgl.Abb.4

Abb.7 KonstruktionszeichnungzurPatentschriftNr.1,210,368desUnitedStatesPatentOffice,ausgegebenam26.Dezember1916fürdieFa.HeinrichWachwitz,Nürnberg,zurHerstellungvonResonanzkörpernfürMusikins-trumente

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1 7 9Zwei V io l inenausA lumin iumvonHeinr ich Wachwitz

derZargenzuDeckeundBodendienen)fehlenmaterial-und

konstruktionsbedingt.AmHalsansatzundamunterenKnöpf-

chen,woderSaitenhalterangehängtist,sinddieZargendurch

ein von innen aufgelötetes Blech aufgedoppelt. Zur Verstär-

kung wurde über die Mittelfuge der Zargen ebenfalls innen

senkrechteinweiteresU-Profilaufgesetzt,dasuntendenZug

desSaitenhaltersundobendenDruckdesHalsesauffangen

soll.DieseristmehroderwenigerstumpfaufdenMetallkörper

aufgesetztundmiteinerSchraubedurchdenHalsfuß innen

miteinerimProfilliegendenMutterbefestigt(Abb.9–10).

MaterialienDie Resonanzkörper sind aus Wachwitz-Metall gefertigt. Der

KernbestehtausAluminium,dasbeidseitigmittelspatentierten

VerfahrensmiteinerAuflageausSilberoderKupfer,alsoeinem

MetalldeutlichhöherenspezifischenGewichts,plattiertwurde.

MaterialanalysenmiteinemRFA-Gerät48bestätigendiesenAuf-

bau.DieOberflächenmessungderViolineMIR2032ergabeine

fasthundertprozentigeSilberauflage,währendMesspunktean

beschädigtenStellen,dieLückeninderSilberschichtaufweisen,

einedeutlichhöhereAluminiumkonzentrationzeigen.Messun-

genannachgelötetenFugenderZargenerbrachtenNachweise

vonZinkundBlei,wasalsLötzinninterpretierbarist.

Die Messungen an der Violine MIR 2033 überraschten,

daanSchadstellen inderOberflächeaußerdemAluminium

gleichzeitig das Vorhandensein von Silber detektiert wurde.

Diesentsprichtdem1898vonHeinrichWachwitzpatentierten

Produktionsverfahren,beidemfüreinehaltbareKupferplattie-

rungdasKupferineinemerstenArbeitsschrittmiteinerdün-

nenMetallschichtausZink,ZinnoderSilberüberzogenwird,

umbeimanschließendenGlühprozesseinefesteVerbindung

mitdemAluminiumzuerzeugen.49

InnenkonstruktionWiedieRöntgenaufnahmedeutlichzeigt,sinddieSchalllöcher

derViolineMIR2032vonuntenmiteinemverzweigtenDraht

unterstützt,währenddiebeidenanderenGeigenohnediese

Verstärkungauskommen(Abb.9).DenBassbalkenbildet je-

weils eine aufgelötete Schiene mit nach unten geöffnetem

U-Profil(Abb.8),diezubeidenEndenhinniedrigerwirdund

bei jedem der drei Instrumente individuell gestaltet ist. Da-

beizeigtdieViolineMIR2032diegrößteAbweichung,dahier

dergeradeVerlaufdes»Bassbalkens«oberhalbderSchalllö-

cher in einer Zickzacklinie (4 Zähne) ans Ende geführt wird

(Abb.9).ObdiesausklanglichenGründengeschah,lässtsich

derzeit(sieheunten)nichtbeurteilen.BeimMünchnerInstru-

mentnähertsichdie innerebassseitigeVerstärkung in ihrer

SeitenansichtamehestendemüblichenBassbalkenzuschnitt.

AllerdingsisthieranderhöchstenStelleinderMittedieinne-

reKantenachinnengebogen,sodassdiebeiden»Kufen«des

U-ProfilsandieserStegstellenichtparallelverlaufen.Ähnliche

BesonderheitenfehlenbeiderViolineMIR2033.

AndereimüblichenGeigenbaugattungsimmanenteVerstär-

kungenimInnenraum,Eckklötze,Ober-undUnterklotz,sowie

Reifchen(dieüblicherweisezurVergrößerungderLeimflächen

Abb.9 ViolineMIR2032,Röntgenaufnahme,vgl.Abb.3

Abb.10 3D-RekonstruktiondesOberklotzbereichesvonMIR2033.AngefertigtnacheinerTomosynthese-Computertomografie(Auflösung30µm),vgl.Abb.4

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1 8 8 Anja Eber t

Abb.2 MelencoliaI,AlbrechtDürer,1514,Kupferstich.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,LeihgabederMuseenderStadtNürnberg,Inv.Nr.St.N.2126

Abb.1 DieSchlemmerin,JoosvanWinghe,1593,Kupferstich.Nürnberg,GermanischesNationalmuseum,Inv.Nr.HB14352

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1 8 9EineParodie der Melanchol ie?

Eineweitere InschriftaufdemBaldachindesBettesgibtdas

Themavor:»Rogier[häufigerRoger]Bo[n]temps«isteineinder

französischenLiteraturseitdem15.JahrhundertgeläufigeFi-

gur,diesprichwörtlicheVerbreitungfandundfürSorglosigkeit

undeindemMüßigganggewidmetesLebensteht,einVielfraß,

SchlemmerundbequemerFaulenzer.11Alssolchenkennzeich-

nendenMannhiernichtnurseinbeachtlicherLeibesumfang,

diePantoffeln, die auf seinhäuslichesLeben verweisen, und

diezahlreichenKissen,mitdenenerseinenStuhlausgepols-

terthat,sondernebensodieGestedesaufdieHandgestützten

Kopfes–eintraditionellesMotivausDarstellungenderTrägheit,

aufdasauchDürerinseinerMelencolia-Figurzurückgreift.12

Auch der Gefährtin des Mannes eignen negativ-komische

Konnotationen.DieDarstellungeinervonSpeisenumgebenen

Frau,dieoffenbarineinerKüchesitzt,erinnertandasimspä-

ten16.JahrhundertbeliebteThemaderKüchenmagd.Eswar

geradeinderflämischenMalereipopulär,demkünstlerischen

UmfeldJoosvanWinghes.HäufigfindetsichdasThemaetwa

imŒuvredesvon1535bis1556inAntwerpentätigenPieter

Parma. Nach der Belagerung Antwerpens durch die spani-

schenTruppensiedelteWingheum1585nachFrankfurtüber,

erwarb dort drei Jahre später das Bürgerrecht und lebte in

der Mainstadt bis zu seinem Tod 1603.6 Ein Zusammentref-

fenmitHoefnagelinFrankfurterscheintgutmöglich,daauch

derMalerbekanntermaßeninKreisenflämischerEmigranten

verkehrte.71592–einJahrvordemErscheinendesWinghe-

Stichs–hatteJorisHoefnagelinFrankfurteinumfangreiches

Druckwerk, die »Archetypa« herausgegeben, deren Kupfer-

sticheausweislichderInschriftaufdemTitelblattvonseinem

damals19-jährigenSohnJakob(1573–nach1632)nachVorla-

gendesVatersgestochenwurden.8Fürdiehierzubesprechen-

deGrafikwäreeineähnlicheZusammenarbeitdenkbar,beider

WinghedieVorzeichnungerstellteundJorisHoefnagelalsVer-

leger,seinSohnmöglicherweisealsStecherauftraten.9Darauf

könnteauchderUmstandhinweisen,dassinden»Archetypa«

ebenfalls mehrfach die ungewöhnliche Abkürzung für das

Privileg »cum prae:« oder »cum praevil:« statt des üblichen

»cumprivilegio«erscheint.10

Abb.3 DieSchlemmer,JoosvanWinghe,1593,Kupferstich.Amsterdam,Rijksmuseum,Inv.Nr.RP-P-OB-68.155