40
APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 50/2009 · 7. Dezember 2009 Frauen in Politik und Medien Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im internationalen Vergleich Birgit Meyer „Nachts, wenn der Generalsekretär weint“ Isabelle Kürschner Frauen in den Parteien Uta Kletzing Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen Katja Glaesner Angela Merkel – mit „Soft Skills“ zum Erfolg? Reinhard Mohr Moderieren ist alles: Frauen im Polittalk Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament

APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

APuZAus Politik und Zeitgeschichte

50/2009 · 7. Dezember 2009

Frauen in Politik und Medien

Christina Holtz-BachaPolitikerinnen-Bilder im internationalen Vergleich

Birgit Meyer„Nachts, wenn der Generalsekretär weint“

Isabelle KürschnerFrauen in den Parteien

Uta KletzingWege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen

Katja GlaesnerAngela Merkel – mit „Soft Skills“ zum Erfolg?

Reinhard MohrModerieren ist alles: Frauen im Polittalk

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament

Page 2: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

EditorialFrauen in hohen und höchsten politischen und gesellschaftli-

chen Ämtern sind keine Besonderheit mehr: BundeskanzlerinAngela Merkel ist im September 2009 im Amt bestätigt worden,vier weitere Frauen gehören ihrem Kabinett an, und mit MargotKäßmann ist seit Kurzem erstmals eine Frau Ratsvorsitzende derEvangelischen Kirche in Deutschland. Doch gleichzeitig giltauch: Frauen sind in der Politik nach wie vor unterrepräsentiert.Während im Bundestag seit mehreren Legislaturen immerhinetwa jeder dritte Sitz von einer Frau eingenommen wird, beträgtder Frauenanteil auf kommunaler Ebene durchschnittlich nur25 Prozent.

Politisch ambitionierte Frauen müssen sich noch immer ge-schlechterspezifischer Klischees erwehren, die sich in der Gesell-schaft und der massenmedialen Berichterstattung hartnäckig hal-ten. Das Geschlecht und die damit vermeintlich verbundenen Ei-genschaften spielen in der Darstellung von Politikerinnen immerwieder eine große Rolle. Nur allzu häufig gleitet diese Betrach-tungsweise in die unterschwellig gestellte Frage ab: „Kann diedas?“ Sobald sie in der „Männerwelt“ Politik erfolgreich sind,kann es Frauen dagegen passieren, dass ihnen die Weiblichkeitabgesprochen wird.

So oder so wird ein künstlicher Widerspruch zwischen Weib-lichkeit und Politik bzw. politischer Kompetenz konstruiert.Auch Angela Merkel ist in ihrer Karriere häufig mit derartigenGemeinplätzen konfrontiert worden. Inzwischen muss sie sichdie Kompetenzfrage nicht mehr gefallen lassen – und wenndoch, dann nicht, weil sie eine Frau ist. Es wäre also auch ver-fehlt, ihren Führungsstil, nur weil er sich von dem ihrer Vorgän-ger im Amt unterscheidet, als „typisch weiblich“ zu bezeichnen.

Johannes Piepenbrink

Page 3: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Christina Holtz-Bacha

Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich

Angela Merkel, Michelle Bachelet, TarjaHalonen, Cristina Fernández de Kirch-

ner, Pratibha Patil, Gloria Macapagal Arroyo,Luisa Diogo, SégolèneRoyal, Hillary Rod-ham Clinton, SarahPalin – es scheint,dass Frauen auf demVormarsch in diehöchsten politischenÄmter sind. Dennochgilt Politik immernoch als eine Männer-domäne: „Manly men,

doing manly things, in manly ways.“ 1 DassPolitik auch heute noch von Männern be-herrscht wird, zeigt sich bereits auf einenBlick: Die „Familienfotos“ von den G8-Tref-fen und erweiterten Runden zeigen die deut-sche Kanzlerin allein unter Männern. Nichtviel anders sieht es bei den Treffen der Staats-und Regierungschefs im Europäischen Rataus.

Obwohl sich Frauen in allen Teilen derWelt bis an die Spitze durchgesetzt haben,scheinen immer noch Männer die Politik zubestimmen. Überraschend ist das nicht, dennMänner waren einfach früher da: Seit Jahr-hunderten schon haben sie Politik gemachtund hatten Zeit, die Spielregeln festzulegen.Frauen haben es daher schwer in der Politik,und nach wie vor gilt: Je höher die politischeEbene, desto dünner ist die Luft für Frauen.

In ihrer politischen Karriere müssen sichFrauen nicht nur in der Konkurrenz mitMännern durchsetzen, sondern sie kämpfenauch mit gesellschaftlichen Stereotypen. Inder Wählerschaft gibt es bestimmte Vorstel-lungen davon, welche Eigenschaften Politike-rinnen und Politiker mitzubringen und wiesie sich zu verhalten haben. Diese Bilder wei-sen viele Merkmale auf, die üblicherweise

eher Männern als Frauen zugeschrieben wer-den, und sie passen nicht gut zu den typi-scherweise Frauen zugeschriebenen Eigen-schaften. Sie orientieren sich an dem „great-man model of leadership“, 2 das Frauen in dieRolle der „anderen“ verweist: Männer geltenals stark, aggressiv, rational, aktiv, selbstbe-wusst und durchsetzungsfähig, Frauen alsemotional, warmherzig, mitfühlend, sanftund vorsichtig.

Damit hängt auch zusammen, dass Frauenund Männern unterschiedliche Kompetenzenzugeschrieben werden, die sie entsprechendfür verschiedene Politikfelder empfehlen:Männer für Außenpolitik, Sicherheit, Militärund Wirtschaft, Frauen für Soziales, Gesund-heit, Erziehung und Umwelt. Vor diesemHintergrund ist es nicht überraschend, dassdie jeweilige politische Situation Einfluss da-rauf hatte, ob die Wählerinnen und Wählerbereit waren, ihre Stimme einer Frau zugeben oder eben doch einen Mann vorzogen.Wirtschaftlich schwierige Zeiten, internatio-nale Spannungen sowie militärische oder ter-roristische Bedrohungen spielen daher ehermännlichen Kandidaten in die Hände alsihren Konkurrentinnen.

Wollen Frauen also in der Politik aufstei-gen, müssen sie solche gesellschaftlichen Vor-stellungen, die auch die politischen Akteureselbst prägen, berücksichtigen. Das bringtFrauen in eine schwierige Situation, zu derenCharakterisierung der psychologische Begriffdouble bind herangezogen wird. Damit be-zeichnet man eine Situation, die kaum zu ge-winnen ist: Was immer eine Person tut, um inder Situation zu bestehen, ist falsch. Gebensich die Frauen kühl, kalkulierend und ag-gressiv, wie es das politische Geschäft ver-langt, riskieren sie Ablehnung als „Mannwei-ber“; empfehlen sie sich mit vermeintlichweiblichen Eigenschaften, gelten sie als unge-eignet für die schweren Herausforderungender Politik.

Der Zusammenhang zwischen gesellschaft-lichen Geschlechterbildern und den Vorstel-lungen vom politischen Betrieb sowie die

Christina Holtz-BachaDr. phil., geb. 1953; Professorin

für Kommunikations-wissenschaft an der

Friedrich-Alexander-UniversitätErlangen-Nürnberg.

[email protected]

1 Georgia Duerst-Lahti, Masculinity on the campaigntrail, in: Lori Cox Han/Caroline Heldman (eds.), Ma-dam President. Are we ready for a woman in the WhiteHouse?, Boulder 2008, S. 87–112, hier S. 87.2 Ebd., S. 98.

3APuZ 50/2009

Page 4: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

dafür benötigten Eigenschaften und Kompe-tenzen, prägen auch die Medien und diejeni-gen, die für sie arbeiten. Auf die Medien istaber angewiesen, wer in der Politik erfolg-reich sein will: Weil selten Gelegenheit be-steht, Politik direkt zu erfahren, orientierensich die meisten Menschen an den medial ver-mittelten Bildern. Auch die politischen Ak-teure selbst sind keineswegs unbeeinflusstvon dem, was die Medien über die Politik be-richten. Entscheidend für Frauen, die sich indie Politik begeben und dort auch auf höhe-ren Ebenen mitentscheiden wollen, ist also,wie die Medien über Politikerinnen allgemeinund über bestimmte Politikerinnen berichten.

Politikerinnen wissen, dass die Medien fürsie eine bedeutende Hürde darstellen, da überFrauen anders berichtet wird als über Män-ner. Seit Jahrzehnten gilt weltweit die Klage,die Medien seien bei Frauen stets mehr anihrem Aussehen und ihrem Privatleben inte-ressiert als an ihren politischen Anliegen: Washat sie an, wie sitzt die Frisur, muss ihr Mannsein Essen nun selbst kochen und wer küm-mert sich um die Kinder, während sie Politikmacht? Ihre männlichen Kollegen dagegenwerden mit solchen Fragen selten konfron-tiert. Das bedeutet, dass für PolitikerinnenKriterien zur Bewertung herangezogen wer-den, die sich nicht am konkreten politischenStil und Inhalt orientieren und bei Politikernkaum eine Rolle spielen. Solche Unterschiedein der Berichterstattung machen Frauen denAufstieg in der Politik schwer. Wenn sie esgeschafft haben, verschwinden zwar die Un-terschiede nicht unbedingt, aber der Umgangmit den Medien wird leichter. Das ist wohlgemeint, wenn es für die USA heißt: „gettingelected, as opposed to governing, may be thebiggest hurdle that a potential woman presi-dent will face.“ 3

In Deutschland sind Frauen in höchstenRegierungsämtern vertreten, seitdem mit Eli-sabeth Schwarzhaupt 1961 zum ersten Maleine Frau auf einen Bundesministerpostenrückte (für Gesundheitswesen). Aber erst, alszum ersten Mal eine Frau für die Kanzler-schaft kandidierte, setzte hierzulande auchein breiteres Interesse an den Interdependen-zen zwischen der politischen Karriere von

Frauen, der Rolle der Medien und den Ein-stellungen der Wählerschaft ein. Etwa zurgleichen Zeit gab es auch in anderen LändernWahlen, welche die Möglichkeit boten, demThema weiter nachzugehen und Vergleichezwischen verschiedenen Kandidatinnen oderüber mehrere Länder hinweg anzustellen.

Anfang 2006 trat in Chile Michelle Bache-let als erste Frau das Amt der Staatspräsiden-tin an. Cristina Fernández de Kirchner, seit2007 Präsidentin von Argentinien, ist zwarnicht die erste Frau in diesem Amt, aber dieerste, die durch eine allgemeine Wahl in die-ses Amt kam. Zur Präsidentschaftswahl 2007in Frankreich schaffte es mit Ségolène Royalzum ersten Mal eine Kandidatin in den zwei-ten Wahlgang. In den USA kam Hillary Clin-ton bei den Vorwahlen 2008 so weit, wiekeine andere Kandidatin vor ihr. Unabhängigvon den verschiedenen politischen Systemen,Wahlsystemen, politischen Kulturen undauch Mediensystemen zeigten diese Beispiele,dass es über die Grenzen hinweg Ähnlichkei-ten gibt in der Art und Weise, wie Medienmit Politikerinnen umgehen – und dass auchso manche Klage weiterhin ihre Berechtigunghat. Es wurde aber auch deutlich, dass Unter-schiede bestehen, die auf die Persönlichkeitder Kandidatinnen und ihre unterschiedli-chen Strategien der Selbstdarstellung zurück-zuführen sind.

Von „Angie“ bis Hillary

Nur in wenigen Staaten hat es bisher mehr-mals eine Frau im höchsten Regierungsamtoder als aussichtsreiche Kandidatin für einsolches Amt gegeben. Auch Angela Merkelwar „die erste“, als sie Ende Mai 2005 alsKanzlerkandidatin der CDU/CSU nominiertwurde, und alles, was sie im Wahlkampf undschließlich als Kanzlerin tat, geschah „zumersten Mal“. Die Tatsache, dass Frauen „zumersten Mal“ eine Stufe in der politischenHierarchie erreicht haben, wo bislang nochkeine Frau zu finden war, aktualisiert das firstwoman-Etikett. Sachlich ist das nicht falsch,unterwirft die Frauen jedoch einer besonde-ren Aufmerksamkeit. Für die Medien ist einEreignis, das zum ersten Mal oder überra-schend auftritt, allemal Anlass für Berichter-stattung. Sie beobachten genau, was „die ersteFrau“ tut, wie sie sich verhält, ob sie allesrichtig, oder – erst recht – ob sie etwas falschmacht.

3 Lori Cox Han, Is the United States really ready for awoman president?, in: dies./C. Heldman (Anm. 1),S. 1–15, hier S. 8.

4 APuZ 50/2009

Page 5: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Der Neuigkeitswert, der sich mit diesem„Erste Frau-Phänomen“ verbindet, demons-triert allerdings zugleich das Ungewöhnlicheam Aufstieg von Frauen an die Spitze der Poli-tik: Sie sind die Neuen in einem Männerge-schäft, dessen Regeln sie erst einmal lernenmüssen. Geradezu wie eine Überzeichnungdieser Botschaft wirkten die Bilder der hoch-schwangeren spanischen Verteidigungsminis-terin Carme Chacón kurz nach ihrer Ernen-nung 2008 beim Truppenbesuch in Afghanis-tan. Das „Erste Frau-Etikett“ erweist sichinsofern als eine zweischneidige Angelegen-heit: Zwar ist die Aufmerksamkeit der Medienfür politische Akteure wichtig, denn sie ver-schafft Bekanntheit und signalisiert Relevanz;sie bedeutet allerdings auch genaue Beobach-tung und die Erwartung des Fehltritts, der be-stätigt, dass Frauen sich in einer für sie frem-den Sphäre bewegen.

Während Männer für das MännergeschäftPolitik per se geeignet scheinen, werden Frau-en auf dem Weg in ein höheres politischesAmt mit Fragen nach ihrer Kompetenz kon-frontiert. So zeigte sich in den USA, dass Kan-didatinnen oftmals Zweifeln an ihrer viabilityausgesetzt sind. Das ist die Frage danach, obsie dem angestrebten Amt und dem Macht-kampf gewachsen sein würden. Dies geschieht– in den Medien, aber auch durch die männli-chen Konkurrenten – entweder direkt oder in-direkt durch Betonung von (vermeintlichweiblichen) Eigenschaften, die eine Kandida-tin ungeeignet erscheinen lassen.

So hat es auch Ségolène Royal erlebt, dieim Vorfeld der französischen Präsident-schaftswahl oft als unerfahren und inkompe-tent porträtiert und außerdem bevorzugt mitden „weichen“ Politikfeldern assoziiert, beiden „harten“ Themen Außen- und Wirt-schaftspolitik dagegen vorgeführt wurde. 4

Bei der chilenischen Präsidentschaftskandida-tin Michelle Bachelet, die aufgrund der Um-fragewerte in der Presse allerdings schon frühals wahrscheinliche Siegerin der Wahl 2005gehandelt wurde, zeigten sich ähnliche Be-richterstattungsmuster wie bei Royal. DieZeitungen verbanden Bachelet mit den weib-

lichen Stereotypen der Fürsorge und des Mit-gefühls, während ihre männlichen Konkur-renten typisch maskulin, als kompetent undmit Führungsqualitäten dargestellt wurden. 5

Auch im Bundestagswahlkampf 2005 wardie Frage nach Merkels Kompetenz immer-hin so präsent, dass sie später zum Buchtitelwurde: „Kann die das?“ 6 Hier schlug sichnieder, dass es die Regierungsparteien (damalsSPD und Grüne) zu ihrer Strategie machten,Merkels Kompetenz anzuzweifeln. Der da-malige SPD-Parteivorsitzende Franz Münte-fering wurde wiederholt mit seinem Verdiktüber Angela Merkel zitiert: „Die Frau kanndas nicht“. Und auch in der Wahlwerbungwurden der Kanzlerkandidatin Wankelmütig-keit und fragwürdige Sachkenntnisse unter-stellt.

Die Kompetenzfrage verbindet sich mitZweifeln daran, ob Frauen aus eigener Kraftund aufgrund eigener Leistung in eine politi-sche Spitzenposition gekommen sind. Tat-sächlich gibt es international viele Beispielefür Politikerinnen, die Töchter oder Frauenerfolgreicher Politiker sind, wie etwa Indiraund Sonia Gandhi (Indien), Corazon Aquino(Philippinen), Gloria Macapagal Arroyo(Philippinen), Isabel Perón (Argentinien),Megawati Sukarnoputri (Indonesien) oderBenazir Bhutto (Pakistan). Ohne Frage kön-nen bekannte Namen und Familienbande beider politischen Karriere hilfreich sein. Aller-dings wird oftmals der Aufstieg auch danndurch solche Verbindungen erklärt, wo Frau-en bereits auf eine eigene politische Karriereblicken konnten. Aus diesem Grund und umnicht nur als die „Frau von Bill Clinton“ ge-sehen zu werden, hat Hillary Clinton ihrePräsidentschaftskandidatur langfristig vorbe-reitet und ist zunächst als Senatorin in denUS-Kongress eingezogen. Dass CristinaKirchner vor ihrer Wahl zur Präsidentin Ar-gentiniens bereits mehrere politische Posteninnehatte, verschwand in den Medien hinterihrer Rolle als Ehefrau ihres VorgängersNéstor Kirchner.

4 Vgl. Rainbow Murray/Sheila Perry, A right Royalmess: why did the French say ’non’ to the opportunityof having a woman president?, Prepared for delivery atthe 2008 annual meeting of the American Political Sci-ence Association, August 28–31, 2008.

5 Vgl. Sebastián Valenzuela/Teresa Correa, Press co-verage and public opinion on women candidates. Thecase of Chile’s Michelle Bachelet, in: InternationalCommunication Gazette, 71 (2009) 3, S. 203–223.6 Sylka Scholz (Hrsg.), „Kann die das?“ Angela Mer-kels Kampf um die Macht. Geschlechterbilder undGeschlechterpolitiken im Bundestagswahlkampf 2005,Berlin 2007.

5APuZ 50/2009

Page 6: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Die Neigung, die Karriere einer Politikerinihrem Namen und ihrer Familie zuzuschrei-ben, unterstreicht die Zweifel an ihrer politi-schen Kompetenz und unterstellt, dass Frauenihren Weg in die Politik auch ohne Sachkennt-nisse gehen. Die vielen Bilder von HelmutKohl und Angela Merkel aus der Frühzeitihrer politischen Karriere, die vor allem imWahlkampf 2005 wieder veröffentlicht wur-den, vermittelten gelegentlich den Eindruck,dass auch bei „Kohls Mädchen“ der Vater ge-sucht wurde, der für ihren Aufstieg verant-wortlich zu machen war. Doppelt, nämlich als„Tochter von“ und als „adoptierte Tochter“, 7

traf dieses Berichterstattungsmuster MartineAubry, ehemalige Ministerin, mittlerweileBürgermeisterin von Lille und Vorsitzendeder französischen Parti Socialiste. Die Tochterdes Politikers Jacques Delors galt als Protegévon François Mitterrand und Liebling wichti-ger französischer Unternehmer. 8

Verbreitet ist die Klage der Politikerinnendarüber, dass die Medien bei Frauen das Pri-vatleben zum Thema machen und sich bevor-zugt mit ihrem Aussehen (Figur, Kleidung,Frisur) beschäftigen. So müssen sich FrauenFragen gefallen lassen, die Männern nicht ge-stellt werden. 9 Das gilt nicht nur für die Be-richterstattung, sondern ist auch eine Strate-gie männlicher Kollegen im Wettbewerb umdie Macht. „Und wer kümmert sich um dieKinder?“ ist eine Frage, die immer nur Frau-en gestellt wird. Im Kampf um die Kandida-tur für den französischen Präsidentschafts-wahlkampf 2007 richtete sie Laurent Fabiusan seine Konkurrentin Ségolène Royal, dieihn deshalb als sexistisch beschimpfte. 10 DieBeschäftigung der Medien – und der Politi-kerkollegen – mit privaten Aspekten, insbe-sondere dem Aussehen, und damit die Einbe-ziehung sachfremder Kriterien in die Bewer-tung der Politikerinnen aktualisiert dieGeschlechterstereotypen sowie gesellschaftli-che Rollenerwartungen an Frauen und hat die

gleiche Wirkung wie die Assoziation vonKandidatinnen mit „soften“ Themen: Sie un-terstreicht, dass weibliche Kompetenz nichtin der harten Politik gesehen wird.

Playing the gender card?

Dass in der Gesellschaft bestimmte Vorstellun-gen über die Geschlechter bestehen, ist gewiss.Mit ihnen verbinden sich bestimmte Erwar-tungen an Verhalten, Kompetenzen und äußer-liche Erscheinung. Solche Vorstellungsbildersind kulturabhängig. Für Frauen, die in derPolitik Karriere machen wollen, liegt die Her-ausforderung darin, mit den gesellschaftlichenRollenerwartungen umzugehen. Da die Politikbis heute von Männern dominiert ist und Frau-en auf politischen Spitzenpositionen nach wievor die Ausnahme sind, fehlen die Erfahrun-gen für geeignete Strategien. Das bedeutet, Po-litikerinnen, die in den Wahlkampf ziehen,können kaum auf bewährte Rezepte zurück-greifen, sondern begeben sich auf eine unge-wisse Gratwanderung zwischen konkurrieren-den Erwartungen, die sich aus dem doublebind ableiten. Wegen der Kulturabhängigkeitgesellschaftlicher Vorstellungen ist die Orien-tierung an ausländischen Vorbildern ebenfallsnur bedingt möglich. Schließlich ist es auchnicht ein bestimmter Typ Frau, der sich in derPolitik durchsetzt, so dass Karrierestrategienfür Politikerinnen letztlich mehr oder wenigerindividuell ausfallen.

Daran liegt es, dass uns die Medien von denPolitikerinnen, die sich in den vergangenenJahren in der Politik durchgesetzt haben, sehrunterschiedliche Bilder geliefert haben. Zwarlassen sich international bestimmte Konstan-ten in der Berichterstattung über Frauen in derPolitik ausmachen, die oftmals auf die bekann-ten Selektions- und Produktionsstrategien derMedien zurückzuführen sind. Was und wie dieMedien über Politikerinnen berichten, ist aberauch von deren öffentlicher Selbstdarstellungbeeinflusst, die wiederum mehr oder wenigerstrategisch an Umfelderwartungen orientiertund situationsgebunden ist.

Als 2005 der Bundestagswahlkampf star-tete und die Unionsparteien Angela Merkelzur Kanzlerkandidatin machten, waren Me-dien, Wählerschaft, Politiker und Kampa-gnenstrategen mit einer bislang unbekanntenSituation konfrontiert. Beobachter stellten

7 Raylene Ramsey, ,French exception‘ or France-NewZealand connection? Media representations of womenin high political office in France and New Zealand(Aubry, Clark, Shipley), in: European Studies, 21(2005), S. 223–245.8 Vgl. ebd., S. 240–242.9 Vgl. z. B. das dem Text vorangestellte Zitat von Mi-chelle Bachelet in: S. Valenzuela/T. Correa (Anm. 5).10 Vgl. Ben Clift, The Ségolène Royal phenomenon:political renewal in France?, in: The Political Quarter-ly, 78 (2007) 2, S. 282–291, hier S. 285.

6 APuZ 50/2009

Page 7: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

übereinstimmend fest, dass Merkel nicht „alsFrau“ und auch nicht unter Einsatz ihrer pri-vaten Seite in den Wahlkampf ging. Wenn esentsprechende Erwartungen in den Mediengegeben haben sollte, bediente die Kandida-tin sie also nicht. Da es in dieser Positionbislang noch keine Frau gegeben hatte,brachte aber allein der Neuigkeitswert be-sondere Aufmerksamkeit für das Geschlechtmit sich. Die verschiedenen Analysen derMedienberichterstattung während des Wahl-kampfes sind zwar nicht eindeutig, 11 wasunter anderem auch auf unterschiedliche Un-tersuchungszeiträume, untersuchte Medienund Vorgehensweisen zurückzuführen ist.Aber sie haben überwiegend gezeigt, dassüber den Amtsinhaber und GegenkandidatenGerhard Schröder kaum häufiger berichtetwurde als über Angela Merkel. Der inDeutschland beinahe traditionelle „Kanzler-bonus“ schwand so dahin. Auch bei Bewer-tungen ließ sich nicht von einer generell ne-gativeren Berichterstattung über die Kanzler-kandidatin sprechen.

Dennoch ergaben sich einige Hinweise da-rauf, dass das Geschlecht doch eine Rollespielte. So wurden bei Herausforderin MerkelThemen, die sich auf das Privatleben bezo-gen, eher behandelt als bei Schröder, und ihrAussehen wurde häufiger angesprochen alsdas des Kanzlers. Sie wurde öfter im Zusam-menhang mit Geschlechterstereotypen the-matisiert und es traten gender frames auf, dasheißt Berichte, die spezifisch das Geschlechtder Kandidaten ansprechen. Untersuchungender Bildberichterstattung über Angela Merkelbestätigen zum Teil die Gültigkeit dieser Ge-schlechterstereotypen. Andererseits gab es inder Gegenüberstellung von Merkel und

Schröder aber auch ein cross-sex-typing,wobei Merkel eher „männlich“ und Schrödereher „weiblich“ präsentiert wurde. 12

Anders als Angela Merkel stellte SégolèneRoyal im französischen Präsidentschaftswahl-kampf 2007 ihre Weiblichkeit und das Duellzwischen Frau und Mann heraus. Eine Ana-lyse des Wahlkampfes spricht mit Bezug aufRoyal gar von einer „Inkarnation der Wei-blichkeit“, 13 die sich auch im Gegensatz zudem seine Männlichkeit betonenden Haupt-konkurrenten Nicolas Sarkozy herausbildete.In den französischen Medien kam Royal nichtso gut weg, allerdings ist hier oftmals schwerzu entscheiden, ob dabei das Geschlecht eineRolle spielte oder der überlegene Wahlkampfvon Sarkozy seinen Niederschlag fand. 14 Soberichteten die französischen Zeitungen häu-figer über Sarkozy als über Royal, wobei sichauswirkte, dass Sarkozy noch während derKampagne als Innenminister tätig war, wäh-rend Royal nur als Wahlkämpferin auftrat.Beide erfuhren zwar negative Bewertungen,Royal aber im Vergleich noch schlechtere alsihr Opponent.

Die Medien stellten die Sozialistin oft alsunerfahren dar und zogen ihre Führungsqua-lität in Zweifel. Außerdem thematisierten siehäufig ihre äußere Erscheinung und verwen-deten ihren Vornamen oder andere Anreden,die ihr Geschlecht hervorhoben, was beiihren männlichen Rivalen so gut wie garnicht vorkam. Die Anrede von Kandidatin-nen mit dem Vornamen wirkt wie eine Ver-niedlichung, die demonstriert, dass Frauen ineine andere Sphäre gehören und in der Män-nerdomäne Politik nicht ernst genommenwerden. Royal bezog sich im Wahlkampf

11 Vgl. Hajo G. Boomgarden/Holli A. Semetko, DuellMann gegen Frau?! Geschlechterrollen und Kanzler-kandidaten in der Wahlkampfberichterstattung, in:Frank Brettschneider/Oskar Niedermayer/BernhardWeßels (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2005. Analysendes Wahlkampfes und der Wahlergebnisse, Wiesbaden2007; Thomas Koch/Christina Holtz-Bacha, DerMerkel-Faktor – Die Berichterstattung der Printme-dien über Merkel und Schröder im Bundestagswahl-kampf 2005, in: Christina Holtz-Bacha (Hrsg.), Frau-en, Politik und Medien, Wiesbaden 2008, S. 49–71;Bettina Westle/Ina Bieber, Wahlkampf der Ge-schlechter? Inhaltsanalyse von Printmedien im Bun-destagswahlkampf 2005, in: Steffen Kühnel/OskarNiedermayer/Bettina Westle (Hrsg.), Wähler inDeutschland. Sozialer und politischer Wandel, Genderund Wahlverhalten, Wiesbaden 2009, S. 167–197.

12 Vgl. Susanne Kinnebrock/Thomas Knieper, Männ-liche Angie und weiblicher Gerd? Visuelle Ge-schlechter- und Machtkonstruktionen auf Titelseitenvon politischen Nachrichtenmagazinen, in: C. Holtz-Bacha (Anm. 11), S. 83–103; Christina Holtz-Bacha/Thomas Koch, Das Auge wählt mit: Bildberichter-stattung über Angela Merkel, in: C. Holtz-Bacha(Anm. 11), S. 104–121.13 Marlène Coulomb-Gully, Beauty and the Beast:bodies politic and political representation in the 2007French presidential election campaign, in: EuropeanJournal of Communication, 24 (2009) 2, S. 203–218.14 Vgl. Jacob Leidenberger/Thomas Koch, „Bambiund der böse Wolf“. Ségolène Royal und der französi-sche Präsidentschaftswahlkampf in der deutschen undfranzösischen Presse, in: C. Holtz-Bacha (Anm. 11),S. 122–150; R. Murray/S. Perry (Anm. 4).

7APuZ 50/2009

Page 8: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

wiederholt auf ihre Rolle als Mutter, was dieMedien auch aufgriffen, allerdings in einereher abwertenden Weise.

Die Kandidatur von Cristina Kirchner beider argentinischen Präsidentschaftswahl 2007und die Art und Weise, wie die Medien damitumgingen, stellt einen besonderen Fall dar. 15

Die strategische Absprache und die deutlichePräsenz ihres Mannes Néstor Kirchner, demsie im Präsidentenamt nachfolgte, sowie ihreRolle als first lady brachten ihr nicht nur er-höhte Aufmerksamkeit, sondern legten es ge-radezu nahe, sie in Bezug auf ihren Mann zupräsentieren. Cristina Kirchner selbst machteWahlwerbung mit ihrem Vornamen. Zusam-men mit den Kommentaren zu ihrer äußerenErscheinung boten also die spezifischen Be-dingungen der Kampagne Anlass für ge-schlechterstereotype Berichterstattung, beider sich nicht auseinanderhalten ließ, obKirchner eine Andersbehandlung aufgrundihres Geschlechts erfuhr oder eben Situationund Kandidatin diese gewissermaßen provo-ziert hatten.

Im Falle der Präsidentschaftskandidaturvon Hillary Clinton in den USA 2008 lässtsich zeigen, dass das Geschlecht dort in derBerichterstattung – auch – eine Rolle spielte:Denn auch Clinton ging mit der Bürde derehemaligen first lady in den Präsidentschafts-wahlkampf und stand vor der Herausforde-rung, sich als von ihrem Mann unabhängigePolitikerin zu beweisen. Obendrein unterlagsie in beispielhafter Weise dem Druck desdouble bind; sogar innerhalb ihrer Kampag-nenorganisation gab es Uneinigkeit darüber,ob und wie weit sie die gender card, also dasGeschlecht, ausspielen sollte. 16 Sie entschiedsich für eine „harte“ Strategie, um Führungs-stärke und damit Eignung für das Präsiden-tenamt zu demonstrieren. Unabhängigdavon, dass mit der Kandidatur eines Schwar-zen in diesem Wahlkampf eine komplexe Ge-mengelage zwischen Geschlecht und Ethnieentstand, hatte Barack Obama einen Vorteilals Mann. Die Analysen zeigen, dass Clinton

zwar reichlich mediale Beachtung fand, dieBerichterstattung über sie aber deutlich nega-tiver ausfiel als über ihre Konkurrenten. Sieentging der für Politikerinnen sonst üblichenviability-Diskussion, diese wurde jedoch er-setzt durch eine andauernde Spekulation da-rüber, wann sie aus dem Rennen aussteigenwürde. Obwohl ihr auch einige andere Kli-schees erspart blieben, erwies sich die Be-richterstattung als „deeply gendered“, 17 diein den sogenannten neuen Medien noch aus-geprägter ausfiel als in den alten. Die Medienwerden daher auch mitverantwortlich ge-macht dafür, dass die Kandidatin – die, wiesie selbst sagte, der „gläsernen Decke“ 18 Mil-lionen Risse zufügte – es letztlich nichtschaffte.

Fazit

Weltweit befinden sich Frauen, die sich in diePolitik begeben, in einer Zwickmühle: Weib-lichkeit und Machtstreben scheinen nicht zu-einander zu passen. Es gibt kein Rezeptdafür, wieviel Politikerinnen von dem einenund dem anderen demonstrieren sollten. Wiedie wenigen Beispiele hier zeigen, stellt jedeKandidatin einen Einzelfall dar, der sich ausihrer Persönlichkeit und dem spezifischenpolitischen Kontext ergibt.

Allerdings ist es eine Sache, wie eine Politi-kerin sich präsentiert, und eine andere, wasdie Medien daraus machen. Denn diese beto-nen in ihrer Berichterstattung bestimmteAspekte von Ereignissen und Charakterei-genschaften, so dass ein wohlbalanciertes Ver-halten einer Politikerin durch die Mediennicht unbedingt auch so wahrgenommenwird. Da sich aber in Wahlkämpfen und mehrnoch im politischen Alltag nur wenige Gele-genheiten bieten für direkte, also von medi-alen Produktionsroutinen ungefilterte, Kon-takte mit der Wählerschaft, zählt primär dasImage, das die Medien liefern.

15 Vgl. Malvina E. Rodríguez, „Lieber Hillary alsEvita?“ Cristina Kirchner und der argentinische Präsi-dentschaftswahlkampf in der argentinischen und deut-schen Presse, in: C. Holtz-Bacha (Anm. 11), S. 180–207.16 Vgl. Regina G. Lawrence/Melody Rose, HillaryClinton’s race for the White House. Gender politicsand the media on the campaign trail, Boulder 2009.

17 Ebd., S. 203.

8 APuZ 50/2009

Page 9: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Birgit Meyer

„Nachts, wennder General-

sekretär weint“– Politikerinnen

in der PresseEinmal hat eine Freundin ihn verlassen. ZumAbschied sagte sie: „Starke Männer halten soetwas schon aus, ohne Tränen.“ Cornelius

Butt-Jacobi hat ihrgeantwortet: „WeißtDu nicht, dass auchstarke Männer heulen,wenn sie unglücklichsind?“ Ein 53-Jähri-ger, zwei gescheiterteEhen, drei Söhne. DerÄlteste wirft ihm vor,Politik sei ihm immer

wichtiger gewesen als die Familie, der Jüngstelebt lieber bei seiner Mutter als beim Vater.Cornelius Butt-Jacobi muss oft unglücklichgewesen sein. Wir wissen nicht, wie oft er ge-heult hat. Wir ahnen, dass er ein starkerMann ist. Die FDP weiß es. Er wurde zumGeneralsekretär gewählt. Bis zum Märzbleibt er noch Senator für Jugend und Familiein Berlin, seiner Geburtsstadt. Dann geht derehemalige Journalist nach Bonn. Seine Woh-nung in Berlin wird er behalten. Hier findeter leicht Zugang zu Menschen. Frauen?„Auch als alleinstehender Politiker bin ichnicht jenseits von Gut und Böse.“ Seine Weis-heit: „Augen auf und durch.“

Wer kann sich vorstellen, einen so for-mulierten Artikel über einen Mann,

der ein politisches Amt antritt, zu finden?Vermutlich niemand. Es kann sich also nurum eine Politikerin handeln, die hier durchein männliches Auge porträtiert wird. DerArtikel ist überdies vor 20 Jahren gedrucktworden 1 und wir würden ihn heute – dies alsvorsichtige These – so nicht mehr ohne Wei-teres finden.

Immerhin gibt es in Deutschland bereits inder zweiten Legislaturperiode eine Bundes-kanzlerin. Angela Merkel ist seit 2005 die mäch-tigste Frau im Land. Doch noch immer ist dieseTatsache außergewöhnlich, um nicht zu sagenspektakulär, denn das Bild, das Medien von Po-litikerinnen zeichnen, ist für ihre politischenKarrieren oft nicht hilfreich, manchmal sogareher hinderlich. Es ist nach wie vor geprägt vonkonventionellen Geschlechterklischees und tra-ditionellen Rollenzuschreibungen. Die medialeInszenierung von Politikerinnen dreht sich stetsum die Konstruktionen von Weiblichkeit undMännlichkeit bzw. um Bilder, die jeweils his-torisch und kulturell gemacht werden undsomit Normen setzen, wenn auch heute plurali-sierter als früher. 2 Diese These möchte ichnäher beleuchten: Mich interessiert dabei dieDarstellung von Politikerinnen in der Presse. 3

Dabei geht es nicht um einen Vergleich zwi-schen männlichen und weiblichen Politikern,sondern um die Muster der Darstellung in denvergangenen sechs Jahrzehnten: Hat es eineEntwicklung hin zu mehr Sachlichkeit und we-niger geschlechterbezogener Berichterstattunggegeben?

Birgit MeyerDr. phil. habil., geb. 1949; Pro-

fessorin für Politikwissenschaftund Sozialpädagogik an der

Hochschule Esslingen, Flandern-straße 101, 73732 Esslingen.

[email protected] 1 Es war ein Bericht über Cornelia Schmalz-Jacobsen,FDP-Generalsekretärin 1988–1991: Nachts, wenn dieGeneralsekretärin weint, in: Bunte, Oktober 1988.2 Inszenierungen von Weiblichkeit und Männlichkeitsind variabel. Medien transportieren traditionelle Wei-blichkeitsklischees, aber auch Abweichungen. Beharr-lichkeit bzw. Veränderungen von Zuschreibungenskizzieren gesellschaftliche Stereotype und Grenz-ziehungen zwischen akzeptierten Räumen für das je-weilige Geschlecht (des To-do oder Not-to-do) und siewerfen ein Licht auf die jeweils herrschenden Ge-schlechterverhältnisse bzw. den Stand von Geschlech-tergerechtigkeit.3 In Deutschland gibt es erst seit kurzem wissen-schaftliche Studien, welche die quantitative Unter-repräsentanz und die qualitative Diskriminierung vonPolitikerinnen in der Presse belegen. Neben ge-schlechtertypischen Stilisierungen und Trivialisie-rungen wird ein Zusammenhang von Frauen und Un-terhaltung sowie „weichen“ und „privaten“ Themennachgewiesen. Ferner besteht weiterhin eine schwacheRepräsentanz von Politikerinnen im Fernsehen und inTageszeitungen, wo ihr Anteil jeweils 19 Prozent aus-macht. Vgl. Christiane Schmerl, „Tais-toi et soi belle“.20 Jahre Geschlechterinszenierung in fünf west-deutschen Printmedien, in: Publizistik, 2002 (4),S. 388–411; Christina Holtz-Bacha/Nina König-Rei-ling (Hrsg.), Warum nicht gleich?, Wiesbaden 2007;Margreth Lünenborg (Hrsg.), Politik auf dem Boule-vard?, Bielefeld 2009; Petra Pfannes, Powerfrau, Quo-tenfrau, Ausnahmefrau . . .?, Marburg 2004; SylkaScholz (Hrsg.), Kann die das? Angela Merkels Kampfum die Macht, Berlin 2007.

9APuZ 50/2009

Page 10: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Doch fangen wir ein wenig grundsätzlicheran: Bilder in unseren Köpfen sind nicht ein-fach da. Sie werden in einer Art Wettbewerbder „professionellen Beeinflusser“ geschaffen.Das, was wir glauben sollen, und die Art, wiewir etwas sehen und interpretieren, ist viel-fach fremdbestimmt. Um die Oberhoheitüber politische Orientierungen und letztlichüber Wahlentscheidungen wird in einer plu-ralistischen Demokratie hart gekämpft – mitfairen und weniger fairen Mitteln. Medienspielen dabei die zentrale Rolle. Die Beschäf-tigung mit der Darstellung von Politikerinnenin den Medien fußt daher auf der Annahme,dass es in der Macht der Medien liegt, gesell-schaftliche Realität nicht nur abzubilden undzu interpretieren, sondern darüber hinausauch Bilder von Weiblichkeit und Männlich-keit zu konstruieren – abhängig von der poli-tischen Grundausrichtung des jeweiligen Me-diums und seiner Nutzerinnen und Nutzer.

Diese Konstruktionen bedienen sich tradi-tioneller Wissens- und Wertbestände überhierarchische Geschlechterbeziehungen. Me-dien knüpfen an Gewohnheiten an und schaf-fen neue. Ihre Macht wird umso bedeutungs-voller, je einflussreicher die Inszenierung vonPolitik für deren Legitimation wird – beson-ders in Wahlkämpfen. Diese werden zuneh-mend dominiert von Wählerbefragungen,Sonntagserhebungen, Fernsehduellen undPolittalkshows, die vorher und nachher jour-nalistisch breit kommentiert werden. Durchden Wandel der Präsentationsformen von Po-litik – vor allem durch die Privatisierung desFernsehens und Ausbreitung des Internetssowie den Kampf um Marktanteile – wurdedie Konzentration auf einzelne Personen ge-fördert. „Der“ Spitzenkandidat als Kunstfi-gur entstand. Er oder sie steht stets für einganzes Parteiprogramm oder gar für die ge-samte Partei. Diese Personalisierung von Po-litik und die Popularisierung von Wahlkämp-fen fordern von politisch Tätigen neue Fähig-keiten zur medialen Selbstinszenierung. DieSpitzenperson muss Selbstoptimierung undSelbstdarstellung virtuos beherrschen – Fä-higkeiten, die nach verbreiteter Auffassungeher Männern zugeschrieben werden. 4 Poli-tik als in der Öffentlichkeit zu präsentieren-

des Geschäft setzt offenbar Fähigkeiten vor-aus, die Frauen eventuell auf andere Weise er-lernen müssen als Männer.

Was ist einer Frau, die eine politische Kar-riere anstrebt, „erlaubt“? Wie sahen symboli-sche Grenzen und konkrete Grenzüberschrei-tungen in den 1950er und 1960er Jahren aus,als Politik für manche noch als „schmutziges“oder „männliches Geschäft“ galt? Auch die je-weiligen Parteimilieus müssen berücksichtigtwerden. Denn es gibt parteispezifische Spiel-räume der Selbstinszenierung, die den Akteu-rinnen – besonders in Wahlkampfzeiten – zu-gestanden werden. In Bezug auf das Verhältnisvon Weiblichkeit und Männlichkeit gelten fürFrauen und Männer verschiedene ungeschrie-bene Regeln und spezielle Codes.

Meine These lautet: Die in der Medien- undWahlkampflogik zentrale Strategie der Perso-nalisierung und Banalisierung basiert durch-gängig auf quasi-natürlichen Geschlechter-Stereotypen. 5 Aber es gibt auch einen in-teressanten Wandel in sechs Jahrzehnten bun-desrepublikanischer Berichterstattung überPolitikerinnen. Diese lässt sich in fünf Phaseneinteilen: 6 In der ersten Phase der Nach-kriegszeit oszilliert die Berichterstattung zwi-schen Nichtbeachtung und Geringschätzungsowie dem Lob der „guten Mutter“ in der Po-litik. Die zweite Phase der 1970er Jahre ist ge-prägt von anhaltender Trivialisierung und Sti-lisierung als „fleißige Ausnahme-“ oder„kühle Powerfrau“. In der dritten Phase der1980er Jahre findet die „neue“ Generation vonPolitikerinnen mehr Aufmerksamkeit. DieBerichterstattung changiert zwischen Aner-kennung und Spott. Ab den 1990er Jahrenscheint sie gekennzeichnet durch eine symbo-lische Akzeptanz von Politikerinnen und abder Jahrtausendwende durch eine Art Scho-nung von Frauen, die Macht haben.

4 Herausragende Beispiele sind der „Medien-Kanzler“Gerhard Schröder, der französische Präsident NicolasSarkozy oder – besonders schrill – der italienische Mi-nisterpräsident Silvio Berlusconi.

5 Ich stütze mich auf exemplarische Beobachtungenund eigene Archivrecherchen im Rahmen zweier For-schungsprojekte, bei denen die überregionale Bericht-erstattung renommierter Tages- und Wochenzeitungenüber weibliche Bundestagsabgeordnete seit 1949 er-fasst und ausgewertet wurde.6 Die Einteilung in Jahrzehnte folgt forschungs-pragmatischen Überlegungen, entspricht aber nichteins zu eins einem abrupten Perspektivenwechsel derPressebilder. Zeitliche Phasen lassen sich nicht scharfvoneinander trennen, da nicht alle Prinzipien der aus-gehenden Phase in der nächsten ihre Gültigkeit ver-lieren.

10 APuZ 50/2009

Page 11: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Besonders in der Berichterstattung überAngela Merkel seit 2001 zeigen sich Irritatio-nen und Ambivalenzen, die um das Phäno-men „Macht“ kreisen. Vor 2005 äußert sichdie strukturelle Unfähigkeit der Presse, mitFrauen in politischen Führungspositionenumzugehen, in Form von Spott und Häme.Man könnte heute von einer „temporärenZähmung der Medien“ durch Frauen mitMacht sprechen. Allerdings wird an vielenBerichten auch deutlich: Nur wenn Politike-rinnen ihre Weiblichkeit abgesprochen wird,scheint ihre Macht der Presse erträglich zusein. Daher möchte ich vorwegnehmen: Esnützt Politikerinnen nichts, wenn sie versu-chen, Weiblichkeit bzw. ihr Frau-Sein in derPolitik nicht zu thematisieren. Der Versuch,diese Themen von sich zu weisen, wird schei-tern. Politikerinnen sollten mit Geschlechter-stereotypen bewusst umgehen und sie punk-tuell strategisch einsetzen, sonst verschenkensie wichtige Potenziale. In der Konfrontationbzw. Provokation mit dem „Alleinstellungs-merkmal Frau“ liegen auch Chancen.

Berichterstattung in der Nachkriegszeit

In den 1950er und 1960er Jahren werden Po-litikerinnen in der Presse überwiegend ver-schwiegen. Diese Nichtbeachtung ist umsoverblüffender, als dass es auch damals schonzahlreiche prominente Politikerinnen aufhöchster Ebene gibt. 7 Wenn diese allerdingsin den Medien erwähnt werden, wird das Kli-schee der „guten Mutter“ bedient. In derNachkriegszeit gelten die Pflichten der Ehe-frau und Mutter als wesentliche „weiblicheBestimmung“. Dieses Leitbild dominiert dieBerichterstattung und wird teilweise von denPolitikerinnen selbst akzeptiert und weithinnicht in Frage gestellt. „Meine Familie ist mirwichtiger als alle Politik“, so drückt es einePolitikerin im Nachhinein aus. 8 Das Lob der„guten Mutter“ und „glücklichen Hausfrau“,die „zufällig“ Politik macht, ist natürlich ab-hängig von der politischen Ausrichtung desjeweiligen Presseorgans und besonders deut-lich in den christlich-konservativen Medien.

In der sozialdemokratisch ausgerichtetenPresse herrscht das Bild der „mütterlich-sor-genden Genossin und Parteigefährtin“ oderdes „guten Kumpels“ vor, die keine eigenenKarriereambitionen hegt und somit ein gehei-mes Versprechen gibt, den Genossen nichtzur Konkurrentin zu werden.

Das Gebot, die dominante Männerkulturin Regierung und Parlament nicht durch einzu auffälliges Frau-Sein oder durch sichtbare,attraktive Weiblichkeit zu verunsichern (einefrühe Ausnahme ist Annemarie Renger) giltseinerzeit nicht etwa als anachronistisch, son-dern wird von Politikerinnen selbst als sinn-voll angesehen („Ich habe mich nie als Frau-enrechtlerin geriert, da hätte ich gar nichtserreicht. Nur Spott oder Widerstand“ 9). Poli-tikerinnen irritieren und stören qua Ge-schlecht die vorherrschende und medial un-termauerte Geschlechterhierarchie im Politi-schen. Sie werden an der männlichen Normgemessen, und ein ganz besonderes Lob (fürihre Anpassungsbereitschaft) ist, wenn siegar zum „besten Mann der Fraktion“ stili-siert werden. Frauen sind in den ersten bei-den Nachkriegsjahrzehnten in der medialenWahrnehmung in politischen Führungsposi-tionen schlicht nicht vorgesehen. So werdensie in der Presse (und in der Wissenschaft)ignoriert, verleugnet, trivialisiert und mar-ginalisiert. 10 Die Aufmerksamkeit konzen-triert sich lediglich auf klischeehafte Darstel-lungen von Äußerlichkeiten. Statt Politik-konzepte oder Sachverstand zu analysierenund kommentieren, wird eher über dieschwarze Tasche der Adenauer-Vertrautenund einflussreichen CDU-Abgeordneten He-lene Weber berichtet, über das Hüsteln vonLouise Schroeder oder den Hosenanzug vonLenelotte von Bothmer (beide SPD). 11

Medien erwarten in dieser Zeit wie selbst-verständlich, dass Politikerinnen feminin auf-treten, gut aussehen und chic angezogen sind,dabei aber angenehm sanft im Hintergrundbleiben und hart arbeiten, wie folgende Zitateunterstreichen: „Blond, überraschend klein,

7 So z. B. die vier „Mütter des Grundgesetzes“ Elisa-beth Selbert, Helene Weber, Friederike Nadig undHelene Wessel, daneben die Alterspräsidentin desBundestages, Marie-Elisabeth Lüders, oder die beliebteBerliner Oberbürgermeisterin Louise Schroeder.8 Martha Schanzenbach, 1949–1972 Bundestagsabge-ordnete der SPD, zit. in: Birgit Meyer, Frauen imMännerbund, Frankfurt/M.–New York 1997, S. 294.

9 Emmy Diemer-Nicolaus, promovierte Juristin undStrafrechtsexpertin, 1957–1972 Bundestagsabgeordneteder FDP, zit. in: ebd.10 Vgl. C. Holtz-Bacha/N. König-Reiling (Anm. 3).11 Einen Tag, nachdem mit von Bothmer erstmals eineAbgeordnete in einem Hosenanzug im Bundestag ge-sprochen hatte, titelte „Bild“: „So nicht, Frau Abge-ordnete!“ (1969).

11APuZ 50/2009

Page 12: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

zierlich und sehr lebhaft, das ist der erste Ein-druck, den man von Frau Dr. Diemer-Nico-laus (. . .) der neuen Abgeordneten der FDPim Bundestag, gewinnt.“ 12 „Wenn sich eineFrau um ein Mandat bewirbt, dann muss sieaussehen wie 20, einen Kopf haben wie einRathaus und arbeiten wie ein Pferd.“ 13 Auchist es üblich, zu jeder neuen Legislaturperiodeim Parlament die sogenannte „Miss Bundes-tag“ zu küren (Dieser „schöne Brauch“ be-steht übrigens noch immer). Ende der 1960erJahre resümiert eine Journalistin: „Solange 44Prozent der westdeutschen Bevölkerunggegen Frauen eingestellt sind, die Politik be-treiben, und nur 32 von Hundert Frauen eineaktive Politikerin für sympathisch halten,sind wir noch weit, sehr weit davon entfernt,dass aktive Frauen in der Politik eine, wennauch nur bescheidene Macht wären.“ 14

1970er Jahre

Bis weit in die 1970er Jahre hinein spiegeltsich die geringe weibliche Präsenz im kon-ventionellen politischen Bereich in einer nochviel geringeren medialen Repräsentanzwider. 15 Doch findet sich in dieser Phaseüber die nachrückende Generation (vor allemvon jüngeren SPD-Abgeordneten) auch ver-haltene Anerkennung in der Berichterstat-tung. Es wird speziell auf deren hohe Qualifi-kation, ihren politischen Ehrgeiz und Fleiß,aber auch auf das wenig mütterliche Erschei-nungsbild abgehoben: „Die parlamentari-schen Mütter“ kommen „aus der Mode“. 16

Die zeitgenössische Kolumnistin SibylleKrause-Burger vermutet, dass die älteren Po-litikerinnen „vom Schlage der warmherzigen,hilfsbereiten politischen Mutter“ von denMedien lange Zeit in diese Rolle gedrängtwurden: „Nur wenige unter den Älterenhaben diese Rolle abzuschütteln vermocht.So blieb ihnen kaum anderes, als die Mutter-rolle anzunehmen, ja sie nachgerade wie eineMonstranz vor sich herzutragen und eben

damit die eigene Partei und die Wählerschaftin die Knie zu zwingen.“ 17

Im „Jahr der Frau“ 1975 wird über ein-zelne Politikerinnen als „fleißige Ausnahme-frauen“, „kühle Powerfrauen“ oder gar „Ap-parate-Frauen ohne Gefühl“ 18 berichtet, dieauf eine neue Generation von Politikerinnenhindeuteten, nämlich „Karrierefrauen in derPolitik“. 19 Darüber hinaus erscheinen ver-mehrt Artikel von (oftmals freiberuflichen)Journalistinnen. Diese beschreiben Politike-rinnen durchweg positiver als früher undsehen sie im Vergleich zu den meisten ihrermännlichen Journalistenkollegen wenigerspöttisch und selten hämisch, dagegen oftwertschätzend. Es überwiegt das Verständnis,wenn es um die offensichtliche Balanceleis-tung geht, Beruf, Familie und politisches En-gagement in Einklang zu bringen. „Sie weiß,dass sie als Frau immer ein bisschen fleißiger,ein bisschen gewissenhafter, eben ein bisschenbesser sein muss als der männliche Kollege.Als der Kandidat eines benachbarten Wahl-kreises stöhnt: ,Vier Veranstaltungen aneinem Tag!‘ lächelt sie leise. Sie sagt nicht,dass sie am nächsten Tag sieben hat.“ 20

1980er Jahre

In den 1980er Jahren rückt das traditionelleBild von der „guten Mutter“ in der Politikimmer weiter in den Hintergrund. Eine jüngere,besser ausgebildete und selbstbewußtere Frau-engeneration betritt die politische Bühne. 21

Auch diese Frauen werden anfangs, vor allemwenn sie frauenbewegt (wie einige SPD- undFDP-Abgeordnete) und feministisch (wie man-che der Grünen) auftreten, verhöhnt, verspot-tet, nicht ernst genommen und an Äußerlich-keiten statt an Inhalten gemessen. Es finden sichauch Berichte, die Politikerinnen für ihrenhohen Sachverstand loben, ihnen aber gleich-zeitig die Weiblichkeit absprechen, als seienQualifikation und Frau-Sein Widersprüche:

12 Mannheimer Morgen vom 16. 4. 1958.13 So Maria Stommel, 1964–1976 Bundestagsabge-ordnete der CDU.14 Rheinischer Merkur vom 26. 7. 1968.15 So lag der Frauenanteil im Kabinett Willy Brandts1972 bei 7 Prozent und im Bundestag zur gleichen Zeitauf dem historischen Tiefststand von nur 5,8 Prozent.Bis 1987 lag der Frauenanteil im Bundestag bei unter10 Prozent, in den Landtagen sogar noch darunter.16 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 22. 11.1975.

17 Ebd.18 Vgl. Christiane Schmerl (Hrsg.), In die Presse ge-raten, Köln 1985.19 FAZ (Anm. 16).20 Die Zeit vom 3. 11. 1972.21 Zwischen 1980 und 1990 stieg der Frauenanteil imBundestag von 8,5 auf 20,5 Prozent (siehe Grafik aufSeite 28 in diesem Heft) und es spiegelte sich die ge-stiegene Anzahl von vielseitig qualifizierten Frauen(Naturwissenschaftlerinnen, Juristinnen) auch im Par-lament wider.

12 APuZ 50/2009

Page 13: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

„All diesen Frauen ist eines gemeinsam: Sie sind(. . .) keine Konzessionsfrauen mehr (. . .) sie ar-beiten auch nicht in jenen, auf die schier-weibli-che Interessensvertretung beschränkten Berei-chen der Politik, die ihren Geschlechtsgenos-sinnen bisher zumeist vorbehalten waren.Vielmehr gehören sie zu den Fachleuten in ihrerPartei und in ihrer Fraktion. Deshalb (. . .)haben sie Karriere gemacht. Sie sind nicht alsFrauen für andere Frauen in die Politik gegan-gen, sie sind (. . .) wegen ihrer besonderen per-sönlichen und fachlichen Qualifikation da. Siesind schlicht, und jedem Manne vergleichbar,Politiker“. 22

Mitte der 1980er Jahre taucht Rita Süss-muth als „Komet über Kohls neuer Frauen-welt“ 23 auf. In der Berichterstattung über siezeigt sich der Wandel zu einer größeren An-erkennung einer Spitzenpolitikerin als kom-petente Fachfrau. Mit Petra Kelly, AntjeVollmer oder Waltraut Schoppe werden auchbei den Grünen junge, unkonventionell auf-tretende Frauen in Führungspositionen ge-wählt. Auch sie werden durchaus anerken-nend kommentiert – mal wohlwollend, malspöttisch im Ton, je nach der politischenAusrichtung des jeweiligen Presseorgans. Alsmit Herta Däubler-Gmelien 1988 erstmalseine Frau in die Parteiführung der SPD ge-wählt wird, ist das Medienecho mehrheitlichpositiv. Man attestiert ihr übereinstimmendhohe fachliche Qualifikation, Zielstrebigkeit,und – mit kritischem Unterton – den Willenzur Macht: „Sie ist fleißig, weiß sehr viel,setzt sich zielstrebig ein.“ 24 Die „Süddeut-sche Zeitung“ meint dieses stereotype Lobsogar positiv und ergänzt: „Sie ist keineQuotenfrau, keine, die ihr Selbstbewusstseinmit einem Doppelnamen schmückt, sonderneher eine von der Art: ,Selbst ist dieFrau‘“. 25 Die „Frankfurter Allgemeine Zei-tung“ sieht gar ein Matriarchat in der SPDaufziehen: „Herta Däubler-Gmelin ist dieerste Nutznießerin des ,Münsteraner Matri-archats‘ der SPD.“ 26

Doch auch im Jahrzehnt der Quotenbe-schlüsse und neuen Gesichter überwiegen

herkömmliche Zuschreibungen. VerblichenePassepartouts werden zwar ausgewechselt,aber alte Klischees über die Untauglichkeitvon Frauen für das Politische bleiben als Hin-tergrundfolie bestehen. Komplexe Sachfragenwerden oft vereinfacht und besonders im Zu-sammenhang mit Politikerinnen der Grünen,die als „Quotenfrauen“ belächelt oder abqua-lifiziert werden, sekundär behandelt. Demweiblichen Geschlecht haftet in der öffentli-chen Wahrnehmung noch immer ein quasivon Natur aus gegebenes Defizit an, was die„Emma“ 1985 kritisch aufgreift: „Sie musssich anstrengen und fleißig sein – oder durchQuoten in Ämter kommen –, denn: ,Sie kannes nicht!‘ Und wenn sie es kann, dann ist sieeine Ausnahme oder wird als ,karrieregeil‘stilisiert. Als eine bekannte CDU-Politikerin1985 Familienministerin unter Helmut Kohlwerden möchte, wird sie von der Union nahestehenden Zeitungen als ,Horror-Emanze‘abgestempelt. Sie ,wolle wohl selbst Ministe-rin werden‘, vermutete die Kölnische Rund-schau und sprach damit den furchtbarstenVerdacht aus, den man in einer Männergesell-schaft gegen eine Frau hegen kann: Ehrgeiz ineigener Sache.“ 27

1990er Jahre bis heute

Je zahlreicher Politikerinnen im Laufe 1990erJahre in die Parlamente einziehen 28 und jelautstarker Forderungen nach Veränderungenin der Geschlechterhierarchie werden, destoseltener werden in dieser Zeit die offenenFeindseligkeiten oder Tendenzen zur Triviali-sierung in der seriösen Presse. Die inflationäreReproduktion von Geschlechterstereotypenist ins Stocken geraten – oder wird zumindestnett verpackt. Eine vielfältigere Realität gibtdie Vorlage ab für eine differenziertere Be-richterstattung. Aber implizite Ignoranz,Häme, Besserwisserei und Amüsiertheit sindnicht völlig verschwunden, sondern prägenweiterhin viele Berichte über die zunehmendePräsenz und Erfolge von Politikerinnen. DerTrend zur symbolischen Akzeptanz zeigt sichaber zum Beispiel in der auffallend freundli-

22 Stuttgarter Zeitung vom 25. 4. 1981.23 Die Zeit vom 13. 6. 1986. Süssmuth wurde 1985Ministerin für Jugend, Familie, Gesundheit, 1986 auchfür Frauen sowie Vorsitzende der Frauenunion.24 Süddeutsche Zeitung vom 2. 9. 1988.25 Ebd.26 FAZ vom 2. 9. 1988.

27 Emma, April 1985.28 Zwischen 1990 und 2000 stieg der Anteil weiblicherBundestagsabgeordneter von 20 auf 30 Prozent. UnterHelmut Kohl gab es 1994–1998 drei Frauen unter 17Ministern. Während der rot-grünen Koalition 1998–2005 waren rund ein Drittel der Bundestagsabge-ordneten weiblich.

13APuZ 50/2009

Page 14: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

chen Berichterstattung über die erste weibli-che Staatsministerin im Auswärtigen Amt,Ursula Seiler-Albring: „Sie weiß, was siewill!“ 29 – „Die im politischen Managementgeübte Liberale hat sich mit vollem Engage-ment in das außenpolitische Geschäft gewor-fen“. 30

Politikerinnen, die keine frauenpolitischenForderungen erheben, werden durchweg po-sitiver dargestellt als bekennende Feministin-nen. Dieses gilt auch für die linksliberalePresse und betrifft auch CDU-Abgeordnete:„Für die Presse war ich das rote Tuch. Und inmeiner Partei kann man sich mit keiner Poli-tik so unbeliebt machen wie mit Frauenpoli-tik.“ 31 Frauenbewusste Politikerinnen gera-ten damit in eine „Doppelfalle“: Zum einen,weil sie als Angehörige des „anderen“ Ge-schlechts den „Männerbund“ Politik ohnehinschon „stören“, zum anderen, weil sie es da-rüber hinaus auch noch „wagen“, Forderun-gen für ihr Geschlecht zu erheben.

Die 1990er Jahre sind die „Gründerzeit“der Frauenministerien und Gleichstellungs-stellen in Bund, Ländern und Kommunen.Politikerinnen kommen in Ämter, in denensie die Rolle „der Ersten“ bzw. der Pionie-rin spielen. 32 Selbst unkonventionelle Politi-kerinnen, wie zum Beispiel die ehemaligeBundestagsabgeordnete der Grünen, JuttaOesterle-Schwerin, die als Jüdin und beken-nende Homosexuelle nach ihrem Parteiaus-tritt eine feministische Partei gründet, oderHeidi Wieczorek-Zeul (SPD) bekommen inden Medien eher lobende Aufmerksamkeitund Zuspruch als Kritik: „Durchsetzungsfä-hig, zielstrebig, kalkulierend – das ist dieEx-68erin noch immer, auch weicht sie poli-tischem Zoff nicht aus.“ 33 Aber die Fokus-sierung auf Spitzenpolitikerinnen kristalli-siert sich in diesen Jahren bereits deutlichheraus.

„Phänomen Merkel“

Erst mit der Kanzlerkandidatur einer Frauwird die hegemoniale Männlichkeit der Poli-tik in einem bisher unbekannten Ausmaß öf-fentlich thematisiert. Anhand von „KohlsMädchen aus dem Osten“ kann man einenallmählichen aber doch grundsätzlichen Wan-del in der Presseberichterstattung, vor allemin der Zeit zwischen 2001 und 2005, nach-vollziehen. Die Gründe dieses Wandels sindvielschichtig. Sie hängen unter anderem mitvier Faktoren zusammen: Erstens ist die Zeit-spanne offenbar groß genug gewesen, so dasssich Medien und Öffentlichkeit an AngelaMerkels Machtanspruch gewöhnen konnten.Zweitens haben die innerparteilichen Krisenin der CDU eine Rolle gespielt, auch im Hin-blick auf unverbrauchte Kandidaten für dieNachfolge Kohls. Drittens ist Merkel selbstein Faktor: ihre uneitle Selbstpräsentationund ihr kluges Fädenziehen hinter den Kulis-sen, ihr unaufdringlicher, gleichwohl zäherMachtwille und ihre Fähigkeit, geduldig ab-zuwarten und bei passender Gelegenheit zu-zugreifen. Schließlich ist auch das PhänomenMacht ein wichtiges Moment dieser Entwick-lung gewesen.

Denn hinter dem Wandel von einer über-wiegend spöttischen, herablassenden, besser-wisserischen und oft auch hämischen Bericht-erstattung – zum Beispiel über Merkels Klei-dung, Frisur, Mundwinkel oder ihre(wirtschafts)politische Kompetenz und derständigen Frage: „Kann sie das?“ – zu einersachlicheren Tonart und mitunter sogar Be-wunderung, könnte man den Respekt derMedien vor der Macht vermuten. Noch imJanuar 2002 fordert „Die Zeit“ Angela Mer-kel unverblümt auf, die Kanzlerkandidatur anEdmund Stoiber abzugeben. Sie zeige „Ehr-geiz, Machtbewusstsein, Realitätsferne undkeinerlei ökonomische Kompetenz“. 34 Siewird eine Zeit lang medial regelrecht „ge-jagt“. 35 Heute respektiert nicht nur die Wo-chenzeitung den neuen Stil und das neue Ge-sicht Deutschlands in der Welt. 36 Hier deutet

29 FAZ vom 4. 4. 1991.30 Die Welt vom 22. 4. 1991.31 So Renate Hellwig (CDU), zit. in: B. Meyer(Anm. 8), S. 105.32 So wurde Rita Süssmuth 1988 die erste Bundes-tagspräsidentin der Union, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger 1992 Justizministerin, RenateSchmidt 1991 die erste Landesvorsitzende der SPD undAngela Merkel 2001 die erste Bundesvorsitzende derCDU.33 Der Spiegel vom 10. 5. 1993, S. 24 f. über Wieczo-rek-Zeul.

34 Die Zeit vom 10. 1. 2002.35 Man denke an die Art, mit der Moderator ReinholdBeckmann sie am 10. 1. 2005 befragte. Vgl. BirgitKienzle, Isss ja guuut, Frau Merkel!, in: Emma, März/April 2005.36 Vgl. Die Meistersängerin. Angela Merkel hat ihrenFührungsstil gefunden, in: Die Zeit vom 26. 7. 2007.

14 APuZ 50/2009

Page 15: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

sich eine Statusbezogenheit in der Perspekti-venverschiebung an.

Das bislang vorherrschende Stereotyp vonPolitikerinnen als Ausnahmefrauen ist eben-falls aufgeweicht. Sie werden langsam – vorallem sobald sie in Führungspositionen aufge-stiegen sind – als Mitspielerinnen im Spiel umDominanz und Einfluss ernst genommen. 37

Insbesondere Berichte über die MinisterinnenUrsula von der Leyen, Ulla Schmidt, AnnetteSchavan oder über die zweimalige Kandida-tin für das Bundespräsidentenamt GesineSchwan haben die Rezeption von Politikerin-nen in der Presse nachhaltig verändert. Nichtnur dass sie als höchst unterschiedliche Per-sönlichkeiten in Bezug auf regionale Her-kunft, Religion, Familienstand, Kinderzahl,Berufsausbildung und innerparteiliche Veran-kerung kommentiert werden, was zu einerdifferenzierteren Sicht beigetragen hat. Da-rüber hinaus ist auch eine größere Konzentra-tion auf politische Inhalte, Sachthemen undSchwerpunkte festzustellen. Kleidung, Fami-lienstand oder Kompetenz werden zwar nochvereinzelt kommentiert, fallen aber in derGesamtbewertung kaum negativ ins Gewicht.

Fazit

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts findetsich in der Presse eine unterproportionale,verkürzende oder verfälschende Berichter-stattung über Politikerinnen. So ignoriert diePresse sie in der Nachkriegszeit noch über-wiegend oder stilisiert sie als „gute Mütter“.Auch in den 1970er Jahren werden sie margi-nalisiert, trivialisiert oder als Ausnahmefrau-en charakterisiert. Erst in den 1980er Jahrenwerden sie verstärkt zur Kenntnis genommenund in politischer Verantwortung zunächstsymbolisch akzeptiert. Ab der Jahrtausend-wende schließlich werden sie sachlicher unddifferenzierter dargestellt und – sobald sieMachtpositionen inne haben – auch geschont,oft sogar hofiert. Dieses gilt insbesondere fürdie Kanzlerin, die bereits nach kurzer Amts-zeit auch in Deutschland anerkennend undsachlich porträtiert wird.

Dennoch stellt die Presse auch heute nochPolitikerinnen nicht ohne Bezug auf Rollen-

stereotype dar. Es gibt neben einer quantitati-ven Unausgewogenheit vor allem qualitativeBesonderheiten, wie eine geschlechtsbezoge-ne Sicht auf weibliche Politiker und andereZuschreibungen und Erwartungen an sie.Gleichwohl wurde eine Versachlichung fest-gestellt im Sinne einer weniger auf traditio-nelle Rollenzuschreibungen zentrierten undstärker an der Praxis des politischen Ent-scheidungsprozesses orientierten Berichter-stattung. Es gibt eine größere Varianz beiThemen, Problemerörterungen und Perso-nen. Bemerkenswert ist auch, dass sich seitetwa 15 Jahren Journalistinnen und Journa-listen zunehmend differenziert und kritischmit der eigenen Zunft auseinandersetzen undsich mit klischeehaften und stereotypen Dar-stellungen von Politikerinnen nicht zufrie-dengeben. 38

Interessanterweise ist die beschriebene Ver-sachlichung in der Presse just in dem Momentzu konstatieren, in dem die Bedeutung vonseriösen (gedruckten) Tages- und Wochenzei-tungen für die politische Informationsver-mittlung abzunehmen scheint. Die Auflagen-verluste der Qualitätspresse sind nicht nur inDeutschland eklatant. Ferner sind es vorallem junge Leserinnen und Leser, die vonkonventionellen und zugleich anspruchsvol-len (Print)Medien nicht mehr erreicht wer-den. Umfragen zufolge nutzt nur noch etwajeder dritte Jugendliche regelmäßig eine kon-ventionelle Tageszeitung, um sich zu infor-mieren. Privatfernsehen und Internet habenPrintmedien insbesondere bei jungen Men-schen verdrängt. Deshalb lautet meine pessi-mistische Prognose: In dem Maße, in dem dietrivialisierte Mediennutzung steigt, könntentraditionelle Rollenzuschreibungen und Vor-urteile gegenüber Politikerinnen möglicher-weise wieder an Bedeutung gewinnen. Einesolche Retraditionalisierung von Geschlech-terarrangements in der Presse könnte einerAbwertung von Frauen in der Politik eventu-ell den Weg bahnen.

37 Vgl. Birgitta Stauber-Klein, Politikerinnen in denMedien: Erfahrungen aus dem Journalismus, in: H.Holtz-Bacha/N. König-Reiling (Anm. 3), S. 124–132.

38 Vgl. Bettina Schausten, Sind die Politikerinnen reiffür die Medien – sind die Medien reif für die Frauen?,in: C. Holtz-Bacha/N. König-Reiling (Anm. 3),S. 204–212.

15APuZ 50/2009

Page 16: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Isabelle Kürschner

Frauen in denParteien

Nach Angaben des Statistischen Bundes-amtes gehören in Deutschland 1,6 Mil-

lionen Bürger einer Partei an. 1 Das sindknapp 2,7 Prozent derwahlberechtigten Be-völkerung. Geht mandavon aus, dass insge-samt knapp 30 Pro-zent der Parteimit-glieder weiblich sind,entspricht das rund530 000 Frauen inDeutschland bzw.1,6 Prozent der weib-

lichen Wahlberechtigten. Einer ALLBUS-Umfrage zufolge geben fast doppelt so vieleMänner wie Frauen an, schon einmal in einerPartei mitgearbeitet zu haben (15 Prozentbzw. 8 Prozent). 2

Obwohl eine umfassende Untersuchungdieses Phänomens in der Partizipationsfor-schung bisher fehlt, wird davon ausgegangen,dass parteiübergreifend vor allem die männlichgeprägten Organisationsstrukturen sowie dieFormen der parteipolitischen Arbeit Frauenvom Engagement abhalten. Dabei muss be-rücksichtigt werden, dass es den Parteien insehr unterschiedlichem Maße gelingt, weibli-che Mitglieder zu gewinnen. Dies wiederumzeigt, dass die Zurückhaltung von Frauen, inParteien einzutreten, vielfältige Ursachen hatund dass die Angebote der Parteien zur Mitar-beit und Identifikation für Frauen unter-schiedlich attraktiv sind.

Die Frage, warum Frauen in eine Parteieintreten und auf welche Art und Weise siemitarbeiten, ist bislang kaum erforscht wor-den. Nach wie vor „wartet die Parteienfor-schung auf eine große empirische Untersu-chung über Frauen in Parteien.“ 3 Diese For-schungslücke zumindest ein Stück weit zuschließen, war das Ziel meiner Arbeit „DenMännern überlassen wir’s nicht! ErfolgreicheFrauen in der CSU“. 4 Die Ergebnisse be-leuchten sowohl das Partizipationsverhalten

weiblicher Parteimitglieder als auch die inner-parteilichen Mechanismen, die sich auf dieMitarbeit von Frauen auswirken. Im Folgen-den soll die Situation von Frauen in mehrerenParteien dargestellt werden.

Parteibeitritt und Erfahrungenin der Partei

Die Motive, Anreize und Aktivitäten vonParteimitgliedern sind nur selten Gegenstandempirischer Studien. 5 Dies mag erstaunen an-gesichts der Tatsache, dass in der Parteienfor-schung durchaus zur Kenntnis genommenwird, dass es sich bei Parteien um männlichgeprägte Organisationsformen handelt unddass Frauen, die in diesem patriarchalisch or-ganisierten und definierten politischen Sys-tem reüssieren wollen, sich nach wie vormännlichen Gesetzen und Regeln unterwer-fen müssen. 6 Somit stellt sich vor dem Hin-tergrund der noch immer geringeren Anteilean weiblichen Parteimitgliedern die Frage,welche Frauen „überhaupt bereit und willenssind, sich in die vorgegebenen, traditionellenPolitikstrukturen und Handlungszusammen-hänge einzupassen“. 7

Laut Beate Hoecker 8 überwiegt bei denMännern die Selbstrekrutierung, währendFrauen mehrheitlich einer Aufforderung fol-gen, Parteimitglied zu werden. Das stärksteBeitrittsmotiv bei Frauen ist der Wunsch

Isabelle KurschnerDr. phil., geb. 1978; Referentin an

der Akademie für Politik undZeitgeschehen der Hanns-Seidel-

Stiftung e.V., Lazarettstraße 33,80636 München.

[email protected]

1 Bisher bieten die statistischen Daten keinerlei Diffe-renzierung zwischen männlichen und weiblichen Par-teimitgliedern in Deutschland.2 Vgl. Waltraud Cornelißen (Hrsg.), Gender Datenre-port. 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauenund Männern in der Bundesrepublik Deutschland, 2.Fassung, München 2005.3 Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.), Standund Perspektiven der Parteienforschung in Deutsch-land, Opladen 1993, S. 18.4 Vgl. Isabelle Kürschner, Den Männern überlassenwir’s nicht! Erfolgreiche Frauen in der CSU, Baden-Baden 2009.5 Zu den wenigen Studien, die zwischen Männern undFrauen unterscheiden, gehört: Beate Hoecker, Frauenin der Politik. Eine soziologische Studie, Opladen1987. Hoecker befragte 1982 in Bremen 363 männlicheund 197 weibliche Parteimitglieder aus SPD, CDU undFDP. Aktuellere Untersuchungen liegen leider nichtvor.6 Vgl. Oskar Niedermayer, Innerparteiliche Partizi-pation, Opladen 1989.7 Ebd., S. 77 f.8 Vgl. B. Hoecker (Anm. 5).

16 APuZ 50/2009

Page 17: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

nach der Zugehörigkeit zu einer Partei, wäh-rend für Männer der Wille, politische Zieleumzusetzen, im Vordergrund steht. Der Ein-fluss der Familie auf einen Parteieneintritt istbei Frauen deutlich stärker ausgeprägt als beiMännern. Niedrige Werte bei beiden Ge-schlechtern erhalten dagegen die ergebnis-orientierten Motive nach gesellschaftlichenund beruflichen Vorteilen sowie das Strebennach einem politischen Amt. Dennoch istletzteres bei Männern fast doppelt so häufigder Fall wie bei Frauen. Zusammengefasst ba-siert der Parteieintritt von Frauen stärker aufsolidarischen Motiven, während Männerüberwiegend instrumentell und am zwischen-parteilichen Wettbewerb orientiert sind.

Die Bereitschaft zur Übernahme einesAmtes ist bei Männern und Frauen, die be-reits Mitglied einer Partei sind, nahezu glei-chermaßen vorhanden. Unter den passivenMitgliedern befinden sich sogar mehr Frauenals Männer, die sich bereit erklären, ein Amtzu übernehmen. Somit bergen gerade dienicht-aktiven weiblichen Parteimitgliedernoch Potenzial. Genau wie beim Parteibei-tritt überwiegt als Auslöser für Kandidaturenbei Frauen die Fremdrekrutierung gegenüberder Selbstrekrutierung. Gerade am Beginnder politischen Laufbahn geben Aufforde-rung und Ermunterung durch Dritte – in er-ster Linie lokale Verbände und Funktionsträ-ger – häufig erst den Ausschlag für eine Kan-didatur. Da vor allem in Parteien mitQuotenregelungen Frauen ermuntert werden,sich sowohl für innerparteiliche Posten alsauch für kommunale Mandate aufstellen zulassen, bewertet Brigitte Geißel die Ermuti-gung zur Kandidatur als „effektives Mittelzur Erhöhung der politischen Beteiligungvon parlamentarisch wenig vertretenen Grup-pen“. 9

Betrachtet man weiterhin, wann Frauenüberwiegend die Aussicht auf eine erfolgrei-che innerparteiliche Kandidatur eingeräumtwird, bestätigt sich folgendes Muster: Diebesten Chancen bestehen grundsätzlich dann,wenn die Partei oder deren Funktionäre aus-drücklich eine Frau für eine bestimmte Posi-tion in Betracht ziehen. Dies ist insbesondereder Fall, wenn einer Kandidatin bei der Be-werbung um ein Amt bessere Chancen einge-

räumt werden als einem männlichen Bewer-ber, wenn öffentliche Erwartungen den Ein-satz einer „Alibi-Frau“ erfordern oder wennkein anderer Bewerber zur Verfügung steht,weil die Kandidatur von vornherein als wenigaussichtsreich gilt.

Insgesamt zeigt sich, dass die größte Hürdefür Frauen im innerparteilichen Nominie-rungsprozess besteht. So gibt es zahlreicheBeispiele von Politikerinnen, denen nach Be-kanntgabe ihrer eigenen Kandidatur unerwar-tet ein männlicher Gegenbewerber präsentiertwurde, der mitunter auch die Unterstützungder Parteikollegen erhielt. Konnten Kandida-tinnen sich jedoch gegen diesen erfolgreichdurchsetzen, wurden sie meist mit gutenWahlergebnissen für ihre Durchsetzungskraftbelohnt und mit noch besseren Wiederwahl-ergebnissen in ihrer Arbeit bestätigt.

Parteistrukturen

Viele Politikerinnen sind der Meinung, dassdie traditionell männlich geprägten Struktu-ren im Parteienbetrieb kaum veränderbarsind und sich auch durch die zunehmendePräsenz von Frauen nur schwer verändernlassen. Auffällig ist, dass Frauen bei der Fragenach Parteistrukturen in erster Linie an dieVersammlungspraxis zu denken scheinen,denn immer wieder wird zuallererst auf dasfür Frauen bestehende Zeitproblem aufgrundihrer Mehrfachbelastung durch Familienauf-gaben hingewiesen. Empirische Studien bele-gen, dass gerade unsichtbare Hürden, wie diemangelhafte Einbindung in informelle Ent-scheidungs- und Machtstrukturen und subtileDiskriminierung, die man unter Umständenbeim Abstimmungs- und Nominierungsver-halten der Männer beobachten kann, als Kar-rierebremsen für Frauen gelten. 10

Dennoch trauen sich viele Politikerinnenaus Sorge vor persönlichen Nachteilen nicht,an den bestehenden Strukturen und RitualenKritik zu üben. Sie halten es vielmehr für un-erlässlich, sich mit den Abläufen, Spielregelnund Gepflogenheiten des politischen Tagesge-

9 Brigitte Geißel, Politikerinnen, Politisierung undPartizipation auf lokaler Ebene, Opladen 1999, S. 126.

10 Vgl. Helga Lukoschat, Austausch und Vernetzung:Maßnahmen zur Stärkung von Frauen in der Politik,in: Helga Foster/Helga Lukoschat/Barbara Schaeffer-Hegel (Hrsg.), Die ganze Demokratie. Zur Professio-nalisierung von Frauen für die Politik, Pfaffenweiler1998, S. 120–196.

17APuZ 50/2009

Page 18: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

schäftes vertraut zu machen und handelnnach dem „pragmatisch ausgerichtete(n)Defizitansatz“; 11 das heißt, sie kompensierendie sich aus ihrem Geschlecht ergebendenNachteile durch große Motivation und Be-reitschaft zur Anpassung. Damit akzeptierensie allerdings eine einseitige Verengung desProblems zulasten der Frauen und geben denEtablierten keinen Anlass, die Auswirkungender bestehenden Partizipationsformen und-strukturen auf weibliche Mitglieder zu über-denken. Frauen müssen sich also die offiziel-len und inoffiziellen Spielregeln des parteipo-litischen Alltags zu eigen machen. Dazu ge-hören neben den Kenntnissen der formellenStrukturen und Hierarchien des Parteien-und Verwaltungsapparates auch jene der in-formellen Machtverhältnisse und Netzwerke.Die Geschäftsordnung genau zu kennen, istfür den Einfluss auf die Willensbildung eben-so bedeutsam, wie mit den gängigen Diskus-sions- und Versammlungsbräuchen des jewei-ligen Verbandes vertraut zu sein.

Ein weiteres großes Defizit besteht bei derungenügenden Vernetzung von Frauen, so-wohl untereinander als auch mit ihren männli-chen Kollegen. Während viele Frauen erstnach der Familienphase politisch aktiv wer-den, sind Männer auch aufgrund ihres frühe-ren Parteibeitritts und ihrer langjährigen Mit-gliedschaft besser vernetzt und folglich mitden Gepflogenheiten des politischen Ge-schäfts besser vertraut. 12 Viele politisch er-folgreiche Frauen erwähnen Zusammenkünftein Hinterzimmern und das gemeinsame Bier-trinken als unabdingbare Voraussetzungen fürpolitische Zugehörigkeit und verweisengleichzeitig auf die Schwierigkeiten, die Frau-en diese Art der Zusammenkunft häufig berei-tet. Hier werden – meist zu fortgeschrittenerStunde und bei erhöhtem Alkoholkonsum –die wichtigsten Entscheidungen vorbespro-chen oder bereits festgelegt. Frauen, die einepolitische Beteiligung anstreben, müssen sichin die Versammlungsrituale einfügen, obgleichdie spezifische Atmosphäre und die Kommu-nikationsformen im Gasthaus eine wirksameöffentlich-politische Beteiligung von Frauendeutlich erschweren. Obwohl es sich bei den

politischen Versammlungsritualen parteiüber-greifend um für Frauen befremdliche Struktu-ren zu handeln scheint, müssen sich weiblicheParteimitglieder damit arrangieren. 13 Dennhäufig erfährt man bzw. Frau erst nach Endeder offiziellen Veranstaltung und bei zuneh-mendem Alkoholgenuss, „wer wann was ge-macht, unterlassen, gesagt, angekündigt hatoder haben soll“ 14 und wie die einzelnen Mit-glieder zueinander stehen.

Parteien im Vergleich

Der verfassungsrechtliche Auftrag der Parteienist, die aktive Teilnahme der Bürgerinnen undBürger am politischen Leben zu fördern sowiezur Übernahme öffentlicher Verantwortung be-fähigte Bürger heranzubilden. 15 Somit gehörenselbstverständlich auch die Ansprache vonFrauen und die entsprechende Förderung weib-licher Kandidatinnen bis hin zur Übernahmepolitischer Ämter und Mandate zu den Aufga-ben, die eine Parteiorganisation zu erfüllen hat.Obwohl sich alle Parteien über das Ziel einerangemessenen Vertretung der weiblichen Be-völkerung einig sind, ergreifen sie unterschied-liche Maßnahmen, um es zu erreichen.

Als erste Partei beschlossen die Grünen be-reits bei ihrer Gründung 1979 eine Frauenquo-te, nach der mindestens die Hälfte aller Ämterund Mandate weiblich und Wahllisten alternie-rend mit Männern und Frauen zu besetzensind. Die SPD beschloss 1988 eine Frauenquo-te von 40 Prozent für alle Ämter und Mandate.Die CDU plante im Dezember 1994 eineQuote mit einem Anteil von einem Drittel ein-zuführen, was bei der Abstimmung zunächstscheiterte. Stattdessen führte sie 1996 ein soge-nanntes Frauenquorum ein, demzufolge Frau-en und Männer zu mindestens einem Drittelan Parteiämtern und öffentlichen Mandatenbeteiligt sein sollen. 16 Die Linke verpflichtete

11 B. Hoecker (Anm. 5), S. 135.12 In der CSU sind (laut CSU-Mitgliederverwaltung)beispielsweise 55 Prozent der männlichen Mitgliederbeim Parteibeitritt unter 40 Jahre alt, von den Frauensind dies nur 43 Prozent.

13 Vgl. Cathrin Kahlweit, Damenwahl. Politikerinnenin Deutschland, München 1994; Silvana Koch-Mehrin,Gemeinsam an die Macht: Männer und Frauen in Zei-ten der Globalisierung, in: Maybrit Illner (Hrsg.),Frauen an der Macht. 21 einflussreiche Frauen be-richten aus der Wirklichkeit, München 2005.14 Eckhard Colberg/Ursula Männle, Zur Geschäfts-ordnung. Die Praxis der Willensbildung, München1973, S. 23.15 Vgl. Gesetz über die politischen Parteien (Partei-engesetz).16 Diese Vorgabe kann jedoch in einem zweitenWahlgang umgangen werden. Siehe Tabelle 1.

18 APuZ 50/2009

Page 19: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

sich, Vorstände, Kommissionen, Arbeitsgre-mien und Delegationen mindestens zur Hälftemit Frauen zu besetzen. 17 FDP und CSUhaben sich bis heute gegen die Einführungeiner festen Frauenquote ausgesprochen.Beide Parteien setzen auf unverbindlicheEmpfehlungen, wonach die FDP eine „gleich-wertige Repräsentanz von Frauen und Män-nern in allen Gremien der Gesellschaft“ 18 an-strebt, und die CSU fordert, Frauen „bei allenWahlen (. . .) zu berücksichtigen“. 19

An den Frauenanteilen in den entsprechen-den Gremien der Parteien ist zu sehen: Je ver-bindlicher die Quotenforderungen sind,desto höher ist die Beteiligung und die kon-krete Machtverschiebung zugunsten vonFrauen in der jeweiligen Partei auf allen Ebe-nen – von innerparteilichen Ämtern bis hin zuden Parlamentsabgeordneten. Aufgrund derNotwendigkeit, immer ausreichend Kandida-turen von Frauen für quotierte Wahlen zuhaben, werden in jenen Parteien vermehrtFrauen angesprochen und zu Kandidaturenermuntert. Berücksichtigt man das Partizipa-tionsverhalten von Frauen, die häufiger alsMänner erst durch gezielte Ansprache poli-tisch aktiv werden, kann die Verpflichtung zurAufforderung von Frauen unter Umständeneine sinnvolle Maßnahme darstellen.

Auf der anderen Seite halten Quotengegnerund -gegnerinnen diese Art der Unterstüt-zung von Minderheiten für undemokratischund diskriminierend. Derlei Mittel und In-strumente zur Erlangung der Gleichheit wer-den als ungerecht, unwirksam und den Inte-ressen der Frauen geradezu entgegengesetztempfunden. 20 Tatsächlich kommen auch Stu-dien über Politikerinnen zu dem Ergebnis,dass die Organisationsweisen, Strukturen undKommunikationsstile in allen Parteien, ganzgleich ob mit oder ohne Quote, bislang nichtan den Interessen und Bedürfnissen derFrauen ausgerichtet sind. Somit führt dasNebeneinander „von frauenfreundlicher Re-krutierung und männerfreundlichen Stilenund Strukturen zu einer ambivalenten Si-

tuation“: 21 Frauen erfahren gleichzeitig För-derung und strukturelle Behinderung. Hierstoßen Gleichstellungsmaßnahmen in Formvon Quoten offensichtlich an ihre Grenzen.

Grundsatzprogramme

Ein vergleichender Blick auf die Grundsatz-programme der Parteien verdeutlicht, dassden Frauen- und Gleichstellungsbelangen un-terschiedliche Ideologien zugrunde liegen.

Grundsatzprogramm der CDU: Die CDUhat in ihrem aktuellen Grundsatzprogrammvon 2007 auf ein eigenes Frauen- und Gleich-stellungskapitel verzichtet. Dennoch wird dasThema Gleichstellung im Kapitel „Freie Entfal-tung der Person“ angesprochen, mit dem Ziel,„für Frauen und Männer, Mädchen und Jungengleiche Chancen zu schaffen und Benachteili-gungen in allen Bereichen abzubauen“. Dar-über hinaus spricht sich die CDU für eine„nachhaltige Mitwirkung von Frauen“ auf allenEbenen aus, ohne dabei jedoch präzise Forde-rungen zu nennen. Wie auch die CSU tritt dieCDU für die „Aufwertung der Familienarbeit“ein und zwar noch vor der Forderung nach„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Nichts-destotrotz verlangen sie die „partnerschaftlicheAufteilung von Erziehungsarbeit“. 22

Grundsatzprogramm der CSU: Auch dieCSU hat in ihrem aktuellen Grundsatzpro-gramm von 2007 auf ein Frauenkapitel ver-zichtet, in der Annahme, dass die Gleichbe-rechtigung so weit fortgeschritten sei, dasssich ein gesonderter Blick auf Männer undFrauen als weder notwendig noch angemes-sen erweise. 23 Lediglich im Familienteil desProgramms wird immer wieder auf „jungeFrauen und Männer“ eingegangen. Dabeibleibt die CSU zwar ihrer Forderung nachAnerkennung von Familien- und Betreuungs-arbeit treu, bezieht sich dabei jedoch erstmalsnicht mehr ausschließlich auf Frauen. Damitorientiert sich die CSU mehr als je zuvor ander Lebenswirklichkeit junger Menschen,

17 Vgl. Programm von Die Linke (ProgrammatischeEckpunkte) von 2007, § 10 Geschlechterdemokratie.18 Grundsatzprogramm der FDP von 1997.19 Satzung der CSU von 2006, 5. Abschnitt Verfah-rensordnung, § 53 Verfahren für alle Wahlen.20 Vgl. Beate Hoecker, Politische Partizipation vonFrauen – Kontinuität und Wandel des Geschlechter-verhältnisses in der Politik, Opladen 1995, S. 104.

21 B. Geißel (Anm. 9), S. 151.22 Zitate: Grundsatzprogramm der CDU von 2007,S. 11 ff.23 Vgl. hierzu die Aussage eines Mitglieds der CSU-Grundsatzkommission: „Ich bin froh, dass wir unsentschlossen haben, im Grundsatzprogramm keineneigenen Teil Frauenpolitik zu machen, weil dann genaudiese Sondersicht wieder verstärkt worden wäre.“ Zit.in: I. Kürschner (Anm. 4), S. 90.

19APuZ 50/2009

Page 20: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

lässt aber viele Bereiche, die als reale Hinder-nisse bei der Gleichberechtigung betrachtetwerden – wie zum Beispiel das Ehegatten-splitting – unangetastet. 24

Grundsatzprogramm der SPD: Die SPDschlägt in ihrem neuen Grundsatzprogrammvon 2007 deutlich moderatere Töne an als indem vorausgegangenen Programm von 1989.Forderte sie vor 20 Jahren noch ausdrücklicheine Gesellschaft, in „in der nicht mehr eineHälfte der Menschen dazu erzogen wird,über die andere zu dominieren, die anderedazu, sich unterzuordnen“ und bezeichnete

die „herrschende Kultur (als) männlich ge-prägt“, so beschränkte sie sich 2007 auf dieForderung nach Frauenförderung und gendermainstreaming, welches „jede politische Ent-scheidung auf ihre Auswirkungen auf dasLeben von Frauen und Männern, Mädchenund Jungen überprüft und wo nötig verän-dert“. Nachdrücklicher als die Unionspartei-en, die in erster Linie die Wahlfreiheit zwi-schen Familien- und Erwerbsarbeit fordern,verlangt die SPD die Vereinbarkeit von Fami-lie und Beruf durch einen „flächendeckendenund bedarfsgerechten Ausbau von Betreu-ungseinrichtungen für Kinder“ sowie eineUmgestaltung des Steuerrechts in dem Sinne,„dass es für Frauen keine Hürde darstellt, er-werbstätig zu werden“. 25

Tabelle 1: Auswirkung der Quotenregelungen in den ParteienPartei Quotenregelung Frauenanteile

Mitglie-der(Januar2009)

Bundes-tag(17. Wahl-periode)

Partei-vorstand(Oktober2009)

CDU „Frauen sollen an Parteiämtern in der CDU und an öffentlichenMandaten mindestens zu einem Drittel beteiligt sein. (. . .) Wahlgre-mien können Kandidatenvorschläge zurückweisen, die Frauen nurunzureichend berücksichtigen. Wird bei Gruppenwahlen zu Partei-ämtern von der Kreisverbandsebene an aufwärts in einem erstenWahlgang das Frauenquorum von einem Drittel nicht erreicht, istdieser Wahlgang ungültig. Es ist ein zweiter Wahlgang vorzunehmen,zu dem weitere Vorschläge gemacht werden können. Dessen Ergeb-nis ist unabhängig von dem dann erreichten Frauenanteil gültig.“

25 % 18 % 25 %

CSU „Bei allen Wahlen sind Frauen zu berücksichtigen.“ 18 % 13 % 29 %SPD „Wahlvorschläge müssen die satzungsmäßigen Voraussetzungen erfül-

len. Die Personalvorschläge der Vorstände müssen Frauen und Männermindestens zu je 40 % berücksichtigen. (. . .) Um zu erreichen, dassMänner und Frauen zu mindestens je 40 % in den Parlamenten undkommunalen Vertretungskörperschaften vertreten sind, werden aufallen Organisationsebenen satzungsmäßige Vorkehrungen getroffen.“

30 % 38 % 40 %

FDP In der Satzung findet sich keine Erwähnung. Im Grundsatzpro-gramm heißt es: „Die gleichgewichtige Repräsentanz von Männernund Frauen in allen Gremien der Gesellschaft ist anzustreben.“

23 % 25 % 19 %

Grüne „Wahllisten sind grundsätzlich alternierend mit Frauen und Männernzu besetzen, wobei den Frauen die ungeraden Plätze zur Verfügungstehen (Mindestparität). Frauen können auch auf den geraden Plätzenkandidieren. Reine Frauenlisten sind möglich. Sollte keine Frau füreinen Frauen zustehenden Platz kandidieren bzw. gewählt werden,entscheidet die Wahlversammlung über das weitere Verfahren. DieFrauen der Wahlversammlung haben diesbezüglich ein Vetorecht.“

37 % 53 % 56 %

Die Linke „Bei Wahlen von Vorständen, Kommissionen, Arbeitsgremien undDelegierten sind grundsätzlich mindestens zur Hälfte Frauen zuwählen. Ist dies nicht möglich, bleiben die den Frauen vorbehaltenenMandate unbesetzt, eine Nachwahl ist jederzeit möglich. Kreis- undOrtsverbände, deren Frauenanteil bei weniger als einem Viertel liegt,können im Einzelfall Ausnahmen beschließen.“

45 % 53 % 45 %

Quellen: Satzung der CDU von 2007, Satzung der CSU von 2006, Grundsatzprogramm der FDP von 1997, Sat-zung von Bündnis 90/Die Grünen (o. J.), Programm von Die Linke von 2007. Eigene Berechnungen nach Anga-ben auf den Internetseiten der Parteien und der Fraktionen im Deutschen Bundestag.

24 Vgl. Grundsatzprogramm der CSU von 2007, S. 75:„Die Ehe ist ein Wert für zwei Menschen, die auf Dauerfüreinander einstehen wollen. Dieses Füreinandereins-tehen ist Grundlage jeder sozialen Gesellschaft. Dieserhohe Wert der Ehe kommt auch im Ehegattensplittingzum Ausdruck.“

25 Grundsatzprogramm der SPD von 2007, Zitate:S. 40 f.

20 APuZ 50/2009

Page 21: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Grundsatzprogramm der FDP: Fortent-wickelt hat sich auch die FDP, allerdings imGegensatz zur SPD von eher allgemein gehal-tenen Aussagen in den „Wiesbadener Grund-sätzen“, dem Grundsatzprogramm der FDPvon 1997, zu ihrem „Deutschlandprogramm“von 2009. Die Ansprüche von 1997 warensehr unpräzise und eher phrasenhaft und be-schränkten sich auf allgemein gültige Forde-rungen. Wie die Unionsparteien widmenauch die Freien Demokraten in ihrem aktuel-len Programm dem Thema Frauen und Frau-enpolitik zwar kein eigenes Kapitel, kommenaber an verschiedenen Stellen wie dem Steuer-recht, den Menschenrechten, der Arbeits-marktpolitik und bei der Familienpolitikimmer wieder auf die Belange der Frauen zusprechen. Dabei berufen sie sich wie die SPDauf das gender mainstreaming und plädierenfür eine umfassendere und bedarfsgerechteKinderbetreuung von der Krippe bis zurGanztagsschule und die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf, um Frauen gleiche Chan-cen auf den Zugang zum Arbeitsmarkt zubieten und ihre Potenziale für Wirtschaft undGesellschaft optimal zu nutzen.

Grundsatzprogramm der Grünen: Bei denGrünen nimmt das Kapitel „Aufbruch in einegeschlechtergerechte Gesellschaft“ zehn Sei-ten des Grundsatzprogramms von 2002 ein.Gleich zu Beginn wird dabei auf die Frauen-bewegung als „wesentliche Quelle bündnis-grüner Politik“ verwiesen. Die Grünen wol-len „das Verhältnis zwischen Mann und Fraugrundlegend neu bestimm(en)“ und fordernzu diesem Zweck staatliche Eingriffe zurDurchsetzung der Geschlechterpolitik. Sie„treten dafür ein, auch die Wirtschafts- undFinanzpolitik auf ihre Auswirkungen auf dasGeschlechterverhältnis hin zu prüfen“. 26 DerVeränderung des klassischen Familienmodellssoll durch Veränderungen in der Sozialversi-cherungs- und Steuergesetzgebung Rechnunggetragen werden.

Grundsatzprogramm der Linken: DieLinke verfügt über kein Grundsatzpro-gramm, stellt aber auf ihrer Homepage pro-grammatische Eckpunkte dar. Im Kapitel„Geschlechtergerechtigkeit: Anerkennungvielfältiger Formen des Zusammenlebens an-statt Privilegierung der Ehe“ wird eine „femi-

nistische Lesart ökonomischer und gesell-schaftlicher Prozesse und eine entsprechendepolitische Gestaltung“ gefordert. Die Parteitritt für eine staatliche Lenkung der Gleich-stellung in der Privatwirtschaft, der Kinder-betreuung sowie im Sozial- und Steuerrechtein, die Forderungen sind dabei aber wenigerpräzise als bei FDP, SPD oder Grünen.

Ausblick: Es gibt noch viel zu tun

Der schmalen Forschungslage ist es geschul-det, dass die Kenntnisse über Frauen in dendeutschen Parteien eher dürftig sind und aufveraltete Daten zurückgegriffen werdenmuss. Da die aktuellen Studien über die Si-tuation von Frauen fast ausschließlich aufqualitative Untersuchungsmethoden zurück-greifen, können sie keinen Anspruch auf Re-präsentativität oder Verallgemeinerbarkeitder Aussagen erheben, sondern dienen ledig-lich als explorative Untersuchungen, um Hy-pothesen formulieren zu können. Ihre Ergeb-nisse weisen in erster Linie auf Tendenzenhin, die in breiter angelegten Parteimitglie-derbefragungen einer quantitativen Überprü-fung unterzogen werden müssten.

Um die tatsächliche Lage von Frauen inder Politik und den Parteien einschätzen undverbessern zu können, bedarf es eines abgesi-cherten, breiten Fundaments, welches bishernoch auf sich warten lässt. Bis es soweit ist,lässt sich nur mit Gewissheit sagen, dassFrauen in allen Parteien mit einer „politik-immanenten Männerorientierung“ 27 kon-frontiert werden, ganz gleich, wie unter-schiedlich die Ideologien und Instrumentezur Frauenförderung innerhalb der einzelnenOrganisationen auch sein mögen. Parteiüber-greifend bedarf es eines besonders hohenMaßes an Anpassung vonseiten der Frauen,um sich im jahrhundertelang männlich ge-prägten Politikgeschäft zu behaupten.

26 Grundsatzprogramm der Grünen von 2002, Zitate:S. 132–139.

27 B. Geißel (Anm. 9), S. 152.

21APuZ 50/2009

Page 22: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Uta Kletzing

Engagiertvor Ort: Wege

und Erfahrungenvon Kommunal-

politikerinnen

M it einer Bundeskanzlerin an der Spitzeder Regierung und zahlreichen Frauen

in herausragenden Positionen sind Frauen inder Politik selbst-verständlicher ge-worden. 90 Jahrenachdem Frauendas aktive undpassive Wahlrechterrungen haben,und 60 Jahre nachVerankerung desGleichstellungsar-tikels im Grund-gesetz ist somitviel erreicht.

Doch gerät mit diesen öffentlich sichtbarenund erfolgreichen Frauen bisweilen aus demBlickfeld, dass im politischen Alltag nach wievor Vieles zu tun bleibt – gerade im kommu-nalpolitischen Alltag. Nach den Aufbruchs-zeiten der 1980er und frühen 1990er Jahre,wo mit Einführung der Quotenregelungenerstmals die Zehnprozenthürde in den Parla-menten überschritten wurde, stagniert derFrauenanteil in Bund und Ländern seit übereinem Jahrzehnt auf einem Niveau von etwa30 Prozent. 1 In den Kommunalparlamentenliegt der Frauenanteil durchschnittlich sogarbei lediglich 25 Prozent. 2 „Durchschnittlich“heißt auch, dass es immer noch Stadt-, Ge-meinde- und Kreisräte gibt, in denen keineeinzige Frau vertreten ist. Der Blick auf diekommunalen Spitzenpositionen zeigt zudem,dass nur vier Prozent der hauptamtlichen(Ober-)Bürgermeister 3 und weniger als zehnProzent der Landräte 4 Frauen sind.

Was muss passieren, damit sich diese An-teile erhöhen? Um Antworten auf diese Fragezu finden, hat die EAF – Europäische Akade-mie für Frauen in Politik und Wirtschaft imAuftrag des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) etwa1100 ehrenamtliche und hauptamtliche Kom-munalpolitikerinnen aus über 500 repräsenta-tiv ausgewählten Kommunen mit mehr als10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern be-fragt. 5 Den Schwerpunkt bildete die Frage-bogen-Untersuchung von 1036 ehrenamtli-chen Stadt- und Gemeinderätinnen; zur Er-gänzung und Vertiefung wurden zudemIntensivinterviews mit 24 ehren- und haupt-amtlichen Kommunalpolitikerinnen ge-führt. 6

Mit der Studie „Engagiert vor Ort – Wegeund Erfahrungen von Kommunalpolitikerin-nen“ liegt die bisher umfangreichste Untersu-chung über kommunalpolitisch aktive Frauensowie die förderlichen und hinderlichen Fak-toren für ihren Einstieg und Aufstieg vor.Wer sind sie, welche Motive haben sie, werund was hat sie auf ihrem Weg in die Kom-munalpolitik unterstützt? Welche Erfahrun-gen haben sie gesammelt und wo sehen sieHandlungsbedarf?

Uta KletzingDipl.-Psych., MPP, geb. 1975;

Leiterin des BereichsPolitik und Verwaltung der EAF –

Europäische Akademie fürFrauen in Politik und WirtschaftBerlin e. V., Schumannstraße 5,

10117 [email protected] 1 Vgl. Beate Hoecker, 50 Jahre Frauen in der Politik –

Späte Erfolge, aber nicht am Ziel, in: APuZ, (2008) 24–25, S. 10–18.2 Der Durchschnittswert von 25 Prozent ist das Er-gebnis eigener Berechnungen, die auf einer Erhebungdes Deutschen Städtetages basieren: Deutscher Städte-tag, Ratsmitglieder der Gemeinden mit 10 000 undmehr Einwohnern, in: Statistisches Jahrbuch Deut-scher Gemeinden, 93 (2006), S. 102–136.3 Vgl. Bertelsmann Stiftung/Deutscher Städtetag/Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), BerufBürgermeister/in – Eine Bestandsaufnahme fürDeutschland, Gütersloh 2008, online: www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-08FC6F7B-C8AEB645/bst/xcms_bst_dms_23926_23927_2.pdf(31. 7. 2009).4 Im Rahmen der Studie wurden alle amtierendenLandrätinnen recherchiert (Stand: August 2008).5 Vgl. Uta Kletzing/Helga Lukoschat, Engagiert vorOrt – Wege und Erfahrungen von Kom-munalpolitikerinnen, Baden-Baden 2009 (i. E.); imvorliegenden Beitrag werden ausgewählte Ergebnissedargestellt.6 Bei der Auswahl der Befragten für die quantitativeund qualitative Untersuchung wurden die regionaleVerteilung, die Größe der Gemeinden sowie die Par-teizugehörigkeit der Kommunalpolitikerinnen nachQuoten berücksichtigt.

22 APuZ 50/2009

Page 23: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Soziodemographische undzeitliche Ressourcen

Ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen sindFrauen mit hoher Lebens- und Berufserfah-rung. Sie sind zu 89 Prozent über 40 Jahre altund überdurchschnittlich hoch gebildet. Fastjede zweite Kommunalpolitikerin ist Akade-mikerin. Familiäre Aufgaben und Berufstätig-keit mit dem politischen Ehrenamt zu verein-baren, ist gegenwärtig vorwiegend nur imzeitlichen Nacheinander möglich. Die Hälfteder Befragten verbringt mindestens zehn undteilweise sogar mehr als 20 Stunden wöchent-lich mit Kommunalpolitik; die andere Hälfteweniger als zehn Stunden pro Woche. Diezeitlichen Spielräume für das ehrenamtlicheEngagement werden wesentlich von den Für-sorgeverpflichtungen für Kinder oder andereFamilienangehörige einerseits und von derErwerbssituation andererseits bestimmt.

71 Prozent der befragten Stadt- und Ge-meinderätinnen sind Mütter, allerdings sinddie Kinder mehrheitlich „aus dem Gröbstenraus.“ Nur etwa ein Drittel hat Kinder unter16 Jahren im Haushalt, und nur ein sehr gerin-ger Prozentsatz von sieben Prozent hat Kinderbis zu fünf Jahren zu versorgen. 64 Prozent derbefragten Stadt- und Gemeinderätinnen sinderwerbstätig, davon die eine Hälfte in Vollzeitund die andere in Teilzeit. Der größte Teil derNicht-Erwerbstätigen sind Ruheständlerin-nen. Neben dem Mandat in Vollzeit erwerbstä-tig zu sein, gelingt in der Regel nur, wenn dasArbeitsmodell zumindest anteilig flexibel ge-handhabt werden kann oder Unterstützungdurch den Arbeitgeber vorhanden ist. EinViertel der ehrenamtlichen Kommunalpoliti-kerinnen – und damit die größte Gruppe – hatweder Kinder im Haushalt noch eine Erwerbs-tätigkeit. Immerhin 15 Prozent der Ratsfrauenhaben jedoch beides: Kinder im Haushalt undeine Vollzeit-Erwerbstätigkeit.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die Un-terstützung des Lebenspartners. 82 Prozentder Stadt- und Gemeinderätinnen leben ineiner festen Partnerschaft. 80 Prozent der eh-renamtlichen Kommunalpolitikerinnen füh-len sich von ihrem Partner bzw. Partnerinnensehr gut unterstützt. Das Mindestmaß der Un-terstützung besteht darin, dass die Kommu-nalpolitikerinnen seitens ihrer Partner bzw.Partnerinnen nicht vom kommunalpolitischen

Engagement abgehalten werden – der Partnersie also „gewähren“ lässt und Verständniszeigt. Aktiv unterstützende Partner beteiligensich darüber hinaus in einem vergleichsweisehohen Maße an Familien- und Hausarbeitoder stellen sich als Zuhörer und Feedback-Geber zur Verfügung. Die Partnerschaftsmo-delle sind also „klassisch“ und partnerschaft-lich zugleich dahingehend, dass die Partnerüberwiegend einer Vollzeittätigkeit nachge-hen, jedoch gleichzeitig ihren Beitrag zumkommunalpolitischen Engagement der Part-nerinnen leisten.

Motivation und Motivatoren

Die zivilgesellschaftlich engagierten Frauenvon heute sind die Kommunalpolitikerinnenvon morgen. In der Regel haben sich die Kom-munalpolitikerinnen seit Kindheit und Jugend„über den eigenen Tellerrand hinaus“ für etwasengagiert. Der Wunsch, sich für allgemeine In-teressen einzusetzen, drückt sich im Laufe desLebens in verschiedenen Formen des Engage-ments aus: 86 Prozent der Befragten waren un-mittelbar vor der Übernahme des kommunal-politischen Mandates ehrenamtlich in bürger-schaftlichen Zusammenhängen, Parteien oderkommunalpolitischen Gremien tätig.

Zivilgesellschaftliches Engagement undkommunalpolitisches Mandat sind aus Sichtder befragten Ratsfrauen eng miteinander ver-woben: Kommunale Vereine, Verbände oderInitiativen verfolgen aus ihrer Sicht ähnlicheThemen wie der Stadt- und Gemeinderat bzw.der Kreistag, jedoch auf unterschiedlichenEbenen und mit unterschiedlicher politischerSchlagkraft. Mit dem Schritt ins kommunal-politische Mandat verband sich für die befrag-ten Frauen der Wunsch, das Engagement „fürdie Sache“ mit mehr Informationen, Kontak-ten und Entscheidungsbefugnissen zu verbin-den und so effektiver zu machen. Die im zivil-gesellschaftlichen Engagement begonneneEinflussnahme auf „die Welt im Kleinen“,nämlich das unmittelbare Lebensumfeld, setztsich somit in der Kommunalpolitik fort.

Die Idee, in die Kommunalpolitik zugehen, kam jedoch den wenigsten ganz allein.Immerhin 30 Prozent sind in die Kommunal-politik „einfach so hineingerutscht“. Die Stu-die zeigt sehr eindrücklich, wie viel die An-sprache von außen bewegen kann und wienotwendig diese ist, um das vorhandene Po-

23APuZ 50/2009

Page 24: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

tenzial engagierter Frauen in Richtung Kom-munalpolitik zu mobilisieren. Die Parteienmüssen auf die potenziellen Mandatsträgerin-nen zugehen und ihnen Entwicklungsmög-lichkeiten bieten. 62 Prozent der Stadt- undGemeinderätinnen bekamen den entscheiden-den Anstoß von außen: davon 65 Prozent vonPersonen mit politischem Bezug (Partei,Ratsmitglieder etc.), 25 Prozent von Personenaus dem Umfeld (Freunde, Kollegen etc.) undzehn Prozent aus der eigenen Familie.

Kommunalpolitischer Alltag

Die Erfahrungen, die die Kommunalpolitike-rinnen machen, decken sich erfreulicherweisemit ihren ursprünglichen Beweggründen fürdie Kommunalpolitik. Der Wunsch, sich fürdas Gemeinwohl zu engagieren, wird in 87Prozent der Fälle befriedigt. Aber die Befrag-ten wollen mit ihrer Tätigkeit nicht nur etwasfür andere, sondern auch etwas für sich selbsttun. 56 Prozent wollen sich persönlich wei-terentwickeln und 37 Prozent suchen eineneue Herausforderung. Immerhin ein Drittelder Stadt- und Gemeinderätinnen äußert, mitdem kommunalpolitischen Engagement auchtatsächlich etwas für die eigene Weiterent-wicklung tun zu können: Kommunalpolitiksei ein interessantes Lernfeld und gebe demSelbstbewusstsein einen Schub.

Sind Frauen erst einmal in der Kommunal-politik engagiert, wollen sie auch dabei blei-ben. Ihr kommunales Mandat üben sie in derRegel über mehrere Legislaturperioden aus. 76Prozent der Befragten wollen bei der nächstenKommunalwahl wieder kandidieren. Dennochwerden die politische Kultur und die institu-tionellen Rahmenbedingungen als stark ver-besserungswürdig empfunden. Unsere Unter-suchung zeigt sehr deutlich, dass sowohl diepolitischen Umgangsformen als auch die insti-tutionellen Rahmenbedingungen von den inder Kommunalpolitik tätigen Frauen zum Teilsehr kritisch gesehen werden. Die häufigstenAntworten auf die offene Frage „Was gefälltIhnen nicht an Ihrer kommunalpolitischen Tä-tigkeit?“ lassen sich mit 52 Prozent unter derKategorie „politische Kultur“ subsumieren,gefolgt von 39 Prozent Nennungen zumThema „institutionelle Rahmenbedingungen“.

Hinsichtlich der politischen Kultur bemän-geln die befragten Frauen, dass zu häufig par-

teipolitische Orientierungen und persönlicheEitelkeiten die Sachorientierung bei politi-schen Entscheidungen überlagerten. Sie wün-schen sich ein angenehmeres Arbeitsklimaund eine kooperativere Arbeitsweise undmahnen mehr Effizienz in der Sitzungs- undRedekultur an (zum Beispiel ein Ende der„ewigen Endlosdiskussionen“).

Was die institutionellen Rahmenbedingun-gen kommunalpolitischer Tätigkeit betrifft,ist ein knappes Viertel über die Schwerfällig-keit der Bürokratie und den daraus resultie-renden immensen Zeitbedarf des kommunal-politischen Engagements frustriert. Etwa jedeachte Kommunalpolitikerin beklagt, dass ihrdurch fehlende rechtliche Befugnisse oder fi-nanzielle Mittel teilweise die Hände gebun-den sind. Ferner bedauern zehn Prozent derehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen diePolitikverdrossenheit der Bevölkerung; 13Prozent wünschen sich mehr Anerkennungund Wertschätzung der kommunalpolitischenTätigkeit seitens ihres Umfeldes sowie in dermedialen Berichterstattung.

Handlungsbedarf

Was muss passieren, damit es mehr Frauen inder Kommunalpolitik gibt? Die Wege undErfahrungen der befragten Politikerinnen zei-gen, dass eine Perspektive allein ganz sichernicht ausreicht, um den anstehenden Heraus-forderungen gerecht zu werden. Vielmehr be-darf es eines übergreifenden Ansatzes, der so-wohl Parteien und Zivilgesellschaft als auchgesellschaftliche Rahmenbedingungen in denBlick nimmt. 7

Parteien und Zivilgesellschaft: Nach Hin-derungsgründen für das kommunalpolitischeEngagement bei anderen Frauen gefragt, äu-ßert ein Drittel der Ratsfrauen, dass das poli-tische Umfeld die Frauen nicht genügendunterstützen würde. Die Ortsvereine undKreisverbände der Parteien und Wählerge-meinschaften, insbesondere die örtlichen Par-teivorsitzenden und Führungszirkel, spieleneine entscheidende Rolle bei der Aufstellungder Listen für die Kommunalwahlen. Vorallem in kleineren Gemeinden und ländli-chen Regionen müssen Quoten und Quorenin den Parteien konsequenter umgesetzt wer-

7 Vgl. ausführlich und mit konkreten Handlungsemp-fehlungen dazu: H. Lukoschat/U. Kletzing (Anm. 5).

24 APuZ 50/2009

Page 25: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

den. Dass die entsprechende Besetzung vonaussichtsreichen Listenplätzen mit Frauen inden Kommunen gelingt, hängt ganz entschei-dend von dem Willen und der Entschlossen-heit ab, Frauen gezielt anzusprechen bzw. zuwerben und ihnen politische Gestaltungs-möglichkeiten und persönliche Entwick-lungschancen zu bieten. Dazu gehört auchdie Bereitschaft, die eigene Organisationskul-tur zu hinterfragen und den Interessen undErwartungen von Frauen – die längst nichtmehr frauenspezifisch sind, sondern dem ge-nerellen Modernisierungsbedarf im ehren-amtlichen Engagement entsprechen 8 – anzu-passen.

Es geht aber nicht nur um parteiinterneNachwuchs- und Frauenförderung, sondernauch um neue Bündnisse der Zusammenar-beit im kommunalen Raum. Die Untersu-chung zeigt eindrucksvoll, dass kommunal-politisch engagierte Frauen vor dem Mandatin hohem Maße anderweitig ehrenamtlich en-gagiert waren. Zivilgesellschaftliche Organi-sationen sind die Sozialisationsinstanzen fürbürgerschaftliches Engagement 9 und daswichtigste Reservoir für künftige kommunaleMandatsträgerinnen. Deshalb sollten Orts-und Kreisverbände der Parteien und lokalezivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine,gegebenenfalls unter Einbezug der kommu-nalen Gleichstellungsbeauftragten, auch inpersonalpolitischen Fragen den gegenseitigenKontakt pflegen und engmaschiger zusam-menarbeiten. Die Kampagne „Frauen MachtKommune“ hat diesbezüglich erste Möglich-keiten aufgezeigt. 10

Nicht nur, aber auch wegen ihrer zentra-len Rolle als kommunalpolitisches „Personal-Reservoir“, sollten sich vor allem die großenVerbände der Herausforderung einer geziel-ten internen Nachwuchs- und Frauenförde-

rung und den damit verbundenen Verände-rungen der Organisationskultur stellen. 11

Denn auch die zivilgesellschaftlichen Organi-sationen verschenken aufgrund teilweise ver-krusteter Strukturen wertvolles Potenzial.Die Geschlechterverhältnisse im zivilgesell-schaftlichen Engagement ähneln der horizon-talen und vertikalen geschlechtsspezifischenSegregation des Arbeitsmarktes: Zum einensind Frauen überwiegend in anderen Engage-mentfeldern als Männer tätig; zum anderenist nur etwa ein Drittel der ehrenamtlichenLeitungspositionen von Frauen besetzt. 12

Hier kann gezielte Personal- und Organisati-onsentwicklung Abhilfe schaffen.

Moderne und vereinbarkeitsfreundlicheStrukturen: Damit mehr zivilgesellschaftlichengagierte Frauen den Weg in die Politik ein-schlagen, gilt es, die Kommunalpolitik attrak-tiv und zeitgemäß zu gestalten und sie mitmehr gesellschaftlicher Aufmerksamkeit undAnerkennung zu versehen. Dafür muss sie je-doch aus einem Dunstkreis von Vorurteilenherausgeholt werden, die sie vorrangig mit„Kungelei“, „Hinterzimmertreffen“ undmännlich dominiertem „Platzhirschgehabe“in Verbindung bringen. Hier sind die Parteienund ihre Ratsfraktionen gefragt, aber auchder kommunale Rat und die kommunale Ver-waltung mit ihren eigens aufgestellten „Spiel-regeln“, um das Image- und Attraktivitäts-problem der Kommunalpolitik zu lösen.

Angesichts der steigenden Anzahl vonFrauen und Männern, deren LebensentwürfeBeruf und Familie vorsehen, muss Kommu-

8 Vgl. Serge Embacher/Susanne Lang, Lern- und Ar-beitsbuch Bürgergesellschaft, Bonn 2008.9 Vgl. Rudolf Speth, Bürgergesellschaft und kom-munale Politik – Herausforderungen für eine neueAufgaben- und Verantwortungsteilung, Vortrag aufdem Fachforum „Engagiert vor Ort – Strategien fürmehr Frauen in der Kommunalpolitik!“ der EAF am18. 2. 2009, unveröffentlichtes Manuskript.10 Die Kampagne (online: www.frauen-macht-kom-mune.de) lief auf Initiative des BMFSFJ in Zusam-menarbeit mit der EAF – Europäische Akademie fürFrauen in Politik und Wirtschaft Berlin e. V. bundes-weit von November 2008 bis Juni 2009.

11 In einer Studie über die zur Zeit noch besondersstark männlich dominierten Freiwilligen Feuerwehrenzeigen Angelika Wetterer und Margot Poppenhusen,wie sich im Rahmen von Maßnahmen zur Organisa-tionsentwicklung konkrete Angebote für Frauen mitReflexionsprozessen über das Selbstverständnis undüber notwendige Veränderungen der Organisation alsGanze verbinden lassen. Vgl. Angelika Wetterer/Mar-got Poppenhusen, Mädchen und Frauen bei der Feu-erwehr. Empirische Ergebnisse – praktische Maßnah-men, Baden-Baden 2008.12 Vgl. Thomas Gensicke/Sibylle Picot/Sabine Geiss,Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004,hrsgg. vom BMFSFJ, Wiesbaden 2006, online:www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/RedaktionBMFSFJ/Engagementpolitik/Pdf-Anlagen/freiwilligen-survey-langfassung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (4. 11. 2009); Annette Zimmer/HolgerKrimmer, Does gender matter? Haupt- und ehren-amtliche Führungskräfte gemeinnütziger Organisatio-nen, in: Femina Politica, (2007) 2, S. 62–72.

25APuZ 50/2009

Page 26: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

nalpolitik so gestaltet werden, dass sie mitbeidem zu vereinbaren ist. Unnötig langwie-rige Prozeduren und zeitlich schlecht plan-bare Verpflichtungen erschweren denMandatsträgerinnen, ihren Familien und Ar-beitgebern die Vereinbarkeit. Es müssen For-men für das kommunalpolitische Engage-ment gefunden werden, die den vielfältigenLebenssituationen und Zeitbudgets unter-schiedlicher Bevölkerungsgruppen gerechtwerden. Um Familie, Beruf und politischesEhrenamt besser miteinander vereinbaren zukönnen, bedarf es aber auch Veränderungenin der Familienpolitik und in der Arbeits-welt. Denn heute vollziehen die Fraueneinen „Spagat hoch drei“ 13 oder verlagernihr politisches Engagement auf eine Zeit, inder die Kinder bereits Jugendliche oderjunge Erwachsene sind bzw. nehmen Teil-zeit-Erwerbstätigkeit und damit oftmals dieEinschränkung beruflicher Karriereoptionenund geringere Altersbezüge in Kauf.

Die Untersuchungsergebnisse belegen,welch bedeutsame Rolle die moralische undpraktische Unterstützung durch den Partnerfür die Ausübung des kommunalpolitischenMandates spielt. Die Förderung partner-schaftlicher Lebens- und Familienmodellesowie Angebote in Form von Infrastruktur,Zeit und finanzieller Entlastung, 14 um Frau-en und Männer bei der Fürsorgearbeit zu un-terstützen, weisen hier den Weg. Schließlichist zur Frage der Vereinbarkeit von Kommu-nalpolitik mit anderen Lebensbereichen eineengagementfreundliche Unternehmenspolitikzu nennen. Ähnlich wie bei den Rahmenbe-dingungen einer familienfreundlichen Ar-beitsorganisation sind auch hier neben dergrundsätzlichen Unterstützungsbereitschaftdes Arbeitgebers vor allem zeitlich und ört-lich flexible Arbeitsmodelle entscheidend.Flexible Arbeitsmodelle können sich auch für

den Arbeitgeber positiv auswirken, da da-durch gegebenenfalls der Freistellungs- bzw.Arbeitszeitreduktionsbedarf ihrer kommu-nalpolitisch tätigen Beschäftigten gesenktwerden kann.

Daten- und Gesetzesgrundlagen: Um ge-zielt gegen die Unterrepräsentanz von Frau-en in der Kommunalpolitik vorgehen zukönnen, bedarf es einer differenzierten stati-stischen Wissensgrundlage, die einen regel-mäßigen und schnellen Überblick zu Frau-enanteilen an kommunalpolitischen Manda-ten und Ämtern ermöglicht. Die imRahmen des Forschungsprojektes vorge-nommene Sichtung der statistischen Daten-lage zu Frauen in der Kommunalpolitik hatergeben, dass diese unübersichtlich und un-zulänglich ist und hier dringender Hand-lungsbedarf besteht. 15

Der „Atlas zur Gleichstellung von Frauenund Männern in Deutschland“ 16 vomBMFSFJ ist diesbezüglich ein Anfang. Fürdie Frauenfrage in der Kommunalpolitik er-öffnen die Daten des Unterindikators „kom-munale Partizipation“ 17 die Chance für einländerübergreifendes regelmäßiges Daten-Monitoring. Die Daten sollten zum Anlassgenommen werden, die Förderung von Kom-munalpolitikerinnen auf die Agenden ein-schlägiger kommunaler Akteure zu setzen(wie z. B. Deutscher Städtetag, Deutscher

13 Karin Beher/Holger Krimmer/Thomas Rauschen-bach/Annette Zimmer, Die vergessene Elite. Füh-rungskräfte in gemeinnützigen Organisationen, Wein-heim 2008.14 Dieser Dreiklang war das Ergebnis eines Gut-achtens für das BMFSFJ von Hans Bertram/WiebkeRoesler/Nancy Ehlert, Nachhaltige FamilienpolitikZukunftssicherung durch einen Dreiklang von Zeit-politik, finanzieller Transferpolitik und Infrastruktur.Gutachten für das BMFSFJ, Berlin 2005, online:www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Bertram-Gutachten-Nachhaltige-Familienpolitik,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de, rwb=true.pdf (31. 7. 2009).

15 Lars Holtkamp und Elke Wiechmann haben etwazeitgleich zur vorliegenden Studie eine wissen-schaftliche Datenrecherche mit ähnlichem Ziel vorge-nommen und kamen, was die unterentwickelte Situa-tion von statistischen Daten zu ehren- undhauptamtlichen Kommunalpolitikerinnen betrifft, zudenselben Ergebnissen.16 Online: www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/ Redak-tionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/atlas-gleichstellung-deutschland,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (4. 11. 2009).17 Der Unterindikator „kommunale Partizipation“ istTeil des Indikators „Partizipation“ und setzt sich zu-sammen aus den Frauenanteilen an den Mandaten inden Kreistagen der Landkreise und in den Gemeinde-räten der Stadtkreise/kreisfreien Städte für die Flä-chenstaaten sowie aus den Frauenanteilen an denMandaten in den Bezirksparlamenten der Stadtstaatenbzw. in der Stadtbürgerschaft Bremen/SVV Bremer-haven. Vgl. Beschluss der 18. Gleichstellungs- undFrauenministerkonferenz vom 23. Oktober 2008 inKarlsruhe, Ländereinheitliche Gender Indikatoren,online: www.sozialministerium-bw.de/fm7/1442/TOP%205.4%2018.%20GFMK%20Gender%20Indikatoren%20Anlage.pdf (18. 9. 2009).

26 APuZ 50/2009

Page 27: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Städte- und Gemeindebund und DeutscherLandkreistag) und flächendeckend kommu-nale Entscheidungsträger zu sensibilisieren.Neben der aktiven politischen „Vermark-tung“ der Daten zur kommunalen Partizipa-tion ist jedoch auch ihre kontinuierliche Fort-schreibung und wissenschaftliche Vertiefungwichtig.

Auch die Frage gesetzlicher Vorgaben stelltsich wieder verstärkt, seit das 2001 in Frank-reich eingeführte „Parité-Gesetz“ vor allemauf der kommunalen Ebene deutliche Wir-kungen zeigt und die Debatte neu belebt. 18

Es schreibt für die verschiedenen politischenEbenen in Frankreich – von Kommunen überdie Kantone bis hin zur Nationalversamm-lung – die gleiche Anzahl von Frauen undMännern auf einer Wahlliste vor. Die Sinn-haftigkeit und Machbarkeit eines Gesetzesfür die Listenaufstellung auf kommunalerEbene sollte auch für den deutschen Kontextgeprüft werden.

Empowerment und Vernetzung: Solangedie bislang empfohlenen mittel- und lang-fristigen strukturellen Veränderungen, umKommunalpolitik für Frauen zugänglicher,attraktiver und zeitlich besser möglich zu ma-chen, nicht umgesetzt sind, bedarf es unterdem Stichwort empowerment unverändertder Maßnahmen, welche die strukturellen Be-nachteiligungen gewissermaßen auffangenbzw. kompensieren. Frauen müssen zumeinen durch Ansprache und Ermutigung ge-zielt für die Kommunalpolitik gewonnenwerden. Zum anderen muss den bereits in derKommunalpolitik aktiven Frauen der „Rü-cken gestärkt“ werden. Die Maßnahmenmüssen sich somit an potenzielle Nach-wuchskommunalpolitikerinnen, an bereits tä-tige Kommunalpolitikerinnen und an Multi-plikatoren wenden. Die Kampagne „FrauenMacht Kommune“ hat hier erste Ansatz-punkte aufgezeigt. Auch der Helene WeberPreis des BMFSFJ ist ein Beispiel, wie Auf-merksamkeit und Anerkennung für das kom-munalpolitische Engagement von Frauen ge-

schaffen und mit gezielten Unterstützungs-und Vernetzungsangeboten verknüpft werdenkönnen.

Der innerparteilichen und parteiübergrei-fenden Vernetzung von Kommunalpolitike-rinnen kommt eine entscheidende Bedeutungzu, da gleichstellungspolitische Normen eherdort unterlaufen werden, wo aktive undmachtvolle Frauennetzwerke fehlen. Quotenbzw. Quoren allein sind also noch kein All-heilmittel, sondern sie werden vor allem dannwirksam, wenn sie durch öffentlichen Druckeingefordert und durch eine innerparteilichgefestigte und selbstverständliche Gleichstel-lungskultur getragen werden. Die Bereit-schaft der Frauen selbst und ihres Umfeldes,sich diesen Prozessen zu stellen, entsteht nur,wenn sie sich gegenseitig unterstützen. WennFrauen ihren politischen Einfluss quantitativund qualitativ vergrößern wollen, steht außerFrage, dass sie Bündnisse untereinander ein-gehen müssen. Frauennetzwerke sollten dannaber nicht nur „ein weiterer Treff“ von Frau-en sein, sondern sich – inhaltlich wie perso-nell – bestimmten strategischen Zielen ver-schreiben. 19

Mehr Frauen in die Kommunalpolitik!

Die angemahnten strukturellen Veränderun-gen sind längst keine „Frauenfrage“ mehr:Weder sind es nur die Frauen, die von denVeränderungen profitieren würden, noch sindes in Zeiten enger Zeitbudgets und verbreite-ter Parteien- und Politikverdrossenheit nurdie Frauen, die diese Veränderungen einfor-dern. Die Forschungsergebnisse verstehensich folglich nicht nur als Hinweise für einefrauenfreundlichere Kommunalpolitik, son-dern vielmehr als Impulse für eine zukunfts-fähigere Politik.

Denn auf Dauer kann sich kein demokra-tisches Gemeinwesen damit zufriedengeben,dass die Hälfte der Bevölkerung nicht ange-messen repräsentiert ist. Quantitativ gesehen,wird Kommunalpolitik ihr Nachwuchs- undRepräsentativitätsproblem nur lösen, wenn18 Vgl. Yves Sintomer, La Loi sur la parité – Er-

fahrungen mit der Parität im Gleichstellungsgesetz inFrankreich, Vortrag auf der Fachtagung „Gleiche Teil-habe fur alle? – Politische Beteiligung aus Gleich-stellungsperspektive“ des Genderkompetenzzentrumsan der Humboldt-Universitat zu Berlin am 24. 6. 2009,online: www.genderkompetenz.info/w/files/gkompzpdf/sintomer_paritaetsgesetz.pdf (19. 9. 2009).

19 Vgl. Helga Lukoschat, Austausch und Vernetzung –Maßnahmen zur Stärkung von Frauen in der Politik,in: Helga Foster/Helga Lukoschat/Barbara Schaeffer-Hegel, Die ganze Demokratie. Zur Professionalisie-rung von Frauen für die Politik, Herbolzheim 2000,S. 120–195.

27APuZ 50/2009

Page 28: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

künftig mehr Frauen in kommunalpolitischeMandate und Ämter gelangen. Qualitativ ge-sehen, sind Frauen zwar nicht per se die besse-ren Politiker. Aber um die Qualität und Nach-haltigkeit politischer Entscheidungen zu si-chern, ist es wichtig, dass unterschiedlicheSichtweisen miteinander ein produktivesGanzes bilden. Kompetente politische Ent-scheidungen zu treffen, bedeutet vor allem,die unmittelbaren und mittelbaren Auswir-kungen auf die unterschiedlichen Zielgruppenpolitischer Maßnahmen differenziert abzu-schätzen und dadurch Benachteiligungen zuverhindern. Das gelingt am besten, wenn dieBetroffenen – Frauen und Männer unter-schiedlicher Alters- und Berufsgruppen sowieFamilien- und Lebenssituationen – von vorn-herein mit am Tisch sitzen und bei Entschei-dungen mitwirken.

Katja Glaesner

Angela Merkel –mit „Soft Skills“zum Erfolg?Nach meiner Auffassung ist jeder Füh-

rungsstil sehr persönlich geprägt“, er-klärt Angela Merkel. „Wie ich Menschen be-gegne, hat mit meiner Persönlichkeit zu tun,(. . .) sicher auch damit, dass ich eine Frauund eine Naturwis-senschaftlerin bin.“ 1

Ob diese Einschät-zung über ihre Art zuführen zutrifft, wirdhier näher untersucht.Ferner stellt sich dieFrage, ob AngelaMerkel die politischeLandschaft mit einem„weiblichen“ Füh-rungsstil prägt. Dieklare Antwort hieraufist ein zweideutigesJein. Denn sicherlich prägt die Kanzlerin mitihrer Art zu führen die bundesdeutsche Poli-tik, aber nicht mit einem „typisch“ weibli-chen Führungsstil. So zumindest meineThese.

Hierzu gilt zunächst festzuhalten, dass mitdem Begriff Führungsstil die Art und Weisedefiniert wird, wie sich eine Interaktion zwi-schen beteiligten Personen gestaltet. Die Ver-haltensweise einer Führungskraft gegenüberKollegen oder Untergebenen steht dabei imFokus. Somit sind nicht politische Projekteoder die strategische Stoßrichtung der Regie-rungschefin von Interesse, sondern ihre per-sönlichen Kompetenzen im Bereich der vieldiskutierten soft skills.

Es ist wichtig, gleich zu Beginn festzuhal-ten, dass ein explizit weiblicher Führungsstil– bestehend aus einer bestimmten Kombinati-on von soft skills – nicht existiert. Einen ers-ten Hinweis hierauf liefert die Tatsache, dass

Katja GlaesnerM. A., geb. 1980; gibt Seminare zuFührung und Persönlichkeit in Wirt-schaft, Staat und Kultur; Doktoran-din bei ProfessorOlaf-Axel Burow (UniversitätKassel) zum Thema „InnereBilder von Führungskräften“;lebt in [email protected]

1 Angela Merkel im Interview mit Sheryl Pitzen u. a.in: Hamburger Abendblatt vom 16. 9. 2009.

28 APuZ 50/2009

Page 29: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

es in der Forschung zwei sich widersprechen-de Definitionen des weiblichen Führungsstilsgibt. Zum einen herrscht die Idee vor, dassFrauen in Führungspositionen härter führtenals ihre männlichen Pendants, da sie sich stetsbeweisen müssten. Diese Strenge und Autori-tät des harten weiblichen Führungsstils zeigtsich bei Angela Merkel vor allem in ihremRuf als sogenannte Männermörderin. Nachdem „Sturz“ Helmut Kohls (infolge der 1999aufgedeckten CDU-Spendenaffäre), derStandhaftigkeit gegenüber dem damaligenCDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble oderdem Verdrängen des parteiinternen Konkur-renten Friedrich Merz, scheint es sich herum-gesprochen zu haben, dass sie nicht zu unter-schätzen ist. 2

Konträr zu diesem von Härte und Kältegekennzeichneten Bild existiert zum anderendie Annahme, weibliche Führung sei grund-sätzlich weich. Schließlich sei dieser Stil vorallem von sozialer und kommunikativerKompetenz, Empathie sowie Vertrauen in dieMitarbeiter geprägt. Frauen besitzen demge-mäß diese achtsamen Fähigkeiten aufgrundihres Geschlechts, wohingegen Männer vonNatur aus nicht mit ihnen ausgestattet seien.Gerade diese soft skills entsprechen teilweiseden gegenwärtig als renommiert geltendenKriterien modernen Managements. Daherqualifizierten sich Frauen durch diesen weib-lichen Führungsstil als das neue Geheimre-zept für die Führungsetage. 3 Über diesenhohen Stellenwert verfügen weiche Kompe-tenzen aber nicht seit jeher, denn noch vor 30Jahren galt ein autokratischer Stil als aner-kannt und effektiv. Auch in der Politik lassen

sich einige erfolgreiche Beispiele für autokra-tische Führung finden – so waren HelmutKohls und Gerhard Schröders Regierungszei-ten von vergleichsweise herrischem Umganggekennzeichnet. Kanzlerin Merkel kommen-tierte dies einmal mit den Worten: „MeinPrinzip ist nicht ,Basta‘, sondern mein Prin-zip ist Nachdenken, Beraten und dann Ent-scheiden.“ 4 Von autokratischen Vorgehens-weisen weg, fand seit den 1990er Jahren einesukzessive Entwicklung hin zu einem immermehr kooperativen Führungsstil statt.

Im Folgenden werden sieben Kriterien die-ser Führungskompetenzen näher beleuchtet,um zu eruieren, inwiefern Angela Merkel die-sen Bildern weiblicher und moderner Füh-rung entspricht.

Kommunikationsfähigkeit

Kommunikationsfähigkeit zeigt sich darin,dass eine Führungskraft Botschaften klar unddeutlich formuliert. Sie wird von ihren Zuhö-rern verstanden und baut dadurch Nähe auf.Außerdem hört sie zu und interpretiert dieAussagen anderer adäquat. Kommunikations-fähigkeit beinhaltet ebenfalls, sich gerne mit-zuteilen und die Bereitschaft, auf Menschenzuzugehen. Bei Angela Merkel wird Kommu-nikationsfähigkeit in ihrem Kontakt zu aus-ländischen Kollegen immer wieder sichtbar.Denn sie sucht gerne das Gespräch mit ihnenper Videokonferenz und wenn möglich, be-vorzugt sie es, andere Regierungschefs per-sönlich zu treffen. So kommt es immer wie-der zu Besuchen privat anmutender Natur,wie im Sommer 2006, als sie den damaligenUS-Präsidenten George W. Bush zum Wild-schweingrillen lud oder im Jahr 2008, als derschwedische Ministerpräsident Fredrik Rein-feldt die Kanzlerin eigenhändig über den Seezu seinem Landsitz ruderte. Auf diese per-sönliche und menschliche Weise vertieft undfestigt Kanzlerin Merkel ihre Arbeitsbezie-hungen.

Betrachten wir allerdings ihre Kommunika-tion mit der Bevölkerung während der Fi-nanzkrise, könnte ihr der Vorwurf gemachtwerden, sich nicht deutlich genug ausgedrücktzu haben. Denn sie ist dem Volk nicht sehrweit entgegengekommen, um das Konjunk-

2 Da die hier erwähnten Episoden aus Angela MerkelsPolitikalltag allgemein bekannt sind, wird auf detail-lierte Quellenangaben verzichtet. Einige relevante Titelsind u. a.: Margaret Heckel, So regiert die Kanzlerin.Eine Reportage, München 20093; Dirk Kurbjuweit,Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle?, München2009; Michael Schlieben, Angela Merkel – die Königinder Seiteneinsteiger, in: Robert Lorenz/Matthias Micus(Hrsg.), Seiteneinsteiger. Unkonventionelle Politiker-Karrieren in der Parteiendemokratie, Wiesbaden 2009;Nicole Schley, Angela Merkel. Deutschlands Zukunftist weiblich, München 2005.3 Vgl. Katja Glaesner, Geheimrezept weibliche Füh-rung? Hintergründe, Mythen und Konzepte zumweiblichen Führungsstil, Kassel 2007, S. 72 ff.; Ger-traude Krell, Vorteile eines neuen weiblichen Füh-rungsstils. Ideologiekritik und Diskursanalyse; in: dies.(Hrsg.), Chancengleichheit durch Personalpolitik,Wiesbaden 20085.

4 Angela Merkel im Gespräch mit Maybrit Illner imZDF am 28. 9. 2006.

29APuZ 50/2009

Page 30: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

turpaket zu erläutern und mögliche Auswegeaufzuzeigen, sondern zog es vor – sogar in derKrise – als Mensch distanziert und rätselhaftzu bleiben. Vor dem Hintergrund dieses Wi-derspruchs bleibt die Frage bestehen, wie An-gela Merkel tatsächlich tickt. Trotz ihrer Me-dienpräsenz scheint es ihr nicht zu gelingen,Nähe zur Bevölkerung aufzubauen. 5 Dem-nach blieb auch im jüngst erlebten Bundes-tagswahlkampf „alles ein bisschen im vorneh-men Nebel“, wie Kommunikationspsycholo-ge Friedemann Schulz von Thun die fehlendeProfilierung bezeichnete. 6

Vertrauen

Beim Thema Vertrauen rückt die Beziehungzu Kollegen und Untergebenen in denFokus. Hierbei ist es von Bedeutung, dasssich Führungskraft und Mitarbeiter gegensei-tig aufeinander verlassen können. Infolgedes-sen kann eine von Respekt und Loyalität ge-prägte Atmosphäre entstehen. Hierbei spieltauch Teamfähigkeit eine Rolle. Denn alle Be-teiligten sollten die Gelegenheit bekommen,ihren Standpunkt darzulegen. In einem sol-chen vertrauensvollen Klima, können dannneue Ideen entwickelt und Probleme gelöstwerden. Als Angela Merkel 1999 HelmutKohls Entmachtung mit vorantrieb, war dieszwar notwendig, aber als sein „Mädchen“gewann sie durch dieses Vorgehen – von Vie-len als „Vatermord“ bezeichnet –, sicherlichnicht an Vertrauen innerhalb der eigenenPartei.

Ganz im Gegensatz dazu drückt sich inihrer jetzigen Position als Kanzlerin in derfast täglich angesetzten „Morgenlage“ Ver-trauen aus. Bei diesem Treffen engster Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter, darunter auchstets Angela Merkels langjährige Vertrauteund Büroleiterin Beate Baumann, werden ak-tuelle Themen offen diskutiert. Für einehalbe Stunde igeln sich die Beteiligten ein,und nichts des Besprochenen dringt an dieÖffentlichkeit. Eine solche Diskretion schaffteine robuste und belastbare Führungssituati-on.

Lernbereitschaft

Die nächste zu diskutierende Führungskom-petenz konzentriert sich auf die Mentalitäteiner Führungskraft. In der sich immer ra-scher wandelnden Welt ist es äußerst wichtig,mit Neuerungen kontinuierlich Schritt zu hal-ten. Besonders ein Bundeskanzler muss sichohnehin schnell in unbekannte Themengebie-te einarbeiten können. Es ist bemerkenswert,wie Führungskräfte sich dabei nicht entmuti-gen lassen und der Wille dazuzulernen, sie re-gelrecht antreibt.

Die Lernbereitschaft betreffend, kann An-gela Merkel geradezu als Musterbeispiel gel-ten. Vor allem ihr Werdegang von der Bun-desministerin für Frauen und Jugend zurKanzlerin dient hier als ein gutes Beispiel.Wurde sie früher noch als „Angela ahnungs-los“ verspottet oder kamen ihr im Jahr 1995nach Kritik von Helmut Kohl einmal die Trä-nen, gilt sie heute als knallharte Politikerinund weltgewandte Persönlichkeit. Ebenso be-achtlich ist der Wandel ihres Auftretens inder Öffentlichkeit und den Medien. Siescheint erkannt zu haben, dass sie mit adret-ten Haaren, kleidenden Jacketts sowie einemgelegentlichen Lächeln ihr Image verbessernkann. Somit kontrolliert sie inzwischen auchgenau, wie sie von Fotografen abgelichtetwird. Dieses Bewusstsein zeugt von einerhohen und kontinuierlichen Lernbereitschaft.

Eine Vision verfolgen

Wenn eine Führungskraft eine Vision verfolgt,bedeutet dies, dass sie mit klaren Zielen führt.Sie präzisiert, wofür sie eintritt und gibt einegenerelle Richtung vor. Visionen sind oftmalslangfristige Ziele oder Zukunftsbilder, die be-geistern sollen. Diese geben AnhängernOrientierung und stabilisieren die Führungs-situation. Ein solches Potenzial scheint Ange-la Merkel durch ihre pragmatische Art zu füh-ren, nicht aufzuweisen. Die bisherige Realisie-rung der gesetzten Klimaschutzziele etwaverläuft desillusionierend und kann als Bei-spiel für ihre Visionslosigkeit gelten. Dabeischien es beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligen-damm noch, als sei ein Durchbruch gelungen.Denn Angela Merkel erreichte, dass dasThema Klimaschutz ganz oben auf die Agen-da gesetzt wurde. Selbst den damaligen US-Präsidenten George W. Bush konnte sie über-

5 Vgl. D. Kurbjuweit (Anm. 2), S. 53 ff.6 Friedemann Schulz von Thun im Interview mit NeaMatzen, in: tagesschau.de am 1. 9. 2009 (22. 10. 2009).

30 APuZ 50/2009

Page 31: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

zeugen, das Abschlusspapier zu unterzeich-nen, was ihr den schmeichelhaften Titel„Klima-Kanzlerin“ einbrachte.

Ein Jahr später, bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, ru-derte sie jedoch aufgrund der Wirtschaftskrisevon den Klimazielen zurück. So sprach siesich beispielsweise gegen eine CO2-Grenzefür deutsche Autos aus. Ihre Auszeichnung alsKlima-Kanzlerin musste Angela Merkel somitlängst einbüßen, und wir dürfen gespanntsein, was der Kopenhagener Weltklimagipfel(7.–18. Dezember 2009) für Ergebnisse erzielt.Generell wirkt ihre „Politik der kleinenSchritte“ also eher zermürbend, und es stehtder Vorwurf im Raum, Angela Merkel lassekeine klare politische Linie erkennen.

MotivationEine weitere Anforderung an Führungskräfteist ihr Wille, Leistung zu erbringen: die Moti-vation. Sie beschreibt den ganz individuellenAnreiz, zu handeln. Im beruflichen Kontextbedeutet dies, Interesse am Tätigkeitsfeld zuhaben und von innen heraus bestimmte Zieleerreichen zu wollen. Dieser Antrieb ist mitpositiven Emotionen verbunden. Denn nurwer intrinsisch motiviert ist, kann seine Ar-beit dauerhaft gut verrichten.

Dieser Motor eines Menschen lässt sich beiAngela Merkel in ihrem Machtwillen erken-nen. Nach diversen parteiinternen Macht-kämpfen schaffte sie es bis an die Spitze derRegierung der Bundesrepublik und hält sichdort. Sie betont dabei des Öfteren, dass ihreArbeit sie begeistert: „Es macht Freude,Dinge durchsetzen zu können, die (. . .) wich-tig sind“, 7 und: „Ich mache meine Arbeit mitLeidenschaft.“ 8 In der Rolle der Führungs-kraft muss eine Person auch versuchen, einUmfeld zu schaffen, das ihre Mitarbeiter mo-tiviert. Neben einem adäquaten Umfeld wer-den Mitarbeiter auch oft von der Begeiste-rung der Kollegen und Vorgesetzten „ange-steckt“. Ob Angela Merkel mit ihremVerhalten auch andere – wie den Kreis ihrerVertrauten – motiviert und mitreißt, darüberist wenig bekannt. Ihr eigener Leistungswillescheint jedenfalls ungebremst zu sein.

Emotionale Intelligenz

Bei der allgemeinen Diskussion um typischweibliche Fähigkeiten nimmt die emotionaleIntelligenz eine zentrale Stellung ein. Geradedurch sie sollen Frauen angeblich die Füh-rungswelten veredeln. Hierbei handelt es sichaber vielmehr um eine ernst zu nehmendeFührungskompetenz. Denn emotionale Intel-ligenz beschreibt die Handhabung eigenerund fremder Gefühle. Über Einfühlungsver-mögen hinaus, vermag eine Führungskraftdadurch, für einen respektvollen sozialenUmgang zu sorgen. In der Politik ist dies vorallem relevant, weil für die unterschiedlich-sten Kommunikationspartner verschiedeneTöne angeschlagen werden müssen. Es giltstets, zwischen verschiedenen politischen La-gern zu taktieren.

Die Kanzlerin muss sich zum Beispiel inCSU-Chef Horst Seehofer genauso hinein-denken können wie in Oskar Lafontaine vonDie Linke. Bei Angela Merkel spiegelt sichemotionale Intelligenz durchaus anschaulichin ihrem Verhalten gegenüber der Presse imAugust 2008 wider: beim Besuch des damali-gen Präsidenten der Republik Ghana, JohnKufuor. Dieser wurde nach allen Regeln desdiplomatischen Protokolls in Deutschlandempfangen, während parallel der russisch-ge-orgische Krieg im Kaukasus ausbrach. Als aufder Pressekonferenz eine Fülle an JournalistenFragen zum Konflikt um Südossetien stellten,anstatt die deutsch-ghanaischen-Beziehungenzu thematisieren, reagierte Merkel abweisend,denn sie wollte Präsident Kufuor nicht durchIgnoranz herabsetzen oder kränken. 9 Dies er-weckt den Eindruck, dass ihr Verhalten vonAchtsamkeit und Rücksichtnahme geprägtsein könnte.

„Biss“

Zusätzlich zu den genannten sechs eher wei-chen Führungskompetenzen spielen aberauch Tatendrang und Ehrgeiz für Führungs-erfolg eine Rolle. Dieser „Biss“ einer Füh-rungskraft drückt sich in ihrer Energie undihrem Durchsetzungsvermögen aus. Geradein der Politik ist die Forderung nach Stärkeund einem hohen Grad an geistiger Wachheit7 Angela Merkel im Interview mit Alice Schwarzer, in:

Emma vom 27. 8. 2009.8 Angela Merkel im Interview mit Sabine Hoffmannund Natascha Zeljko, in: Myself vom 13. 8. 2009.

9 Vgl. Margaret Heckel, Wie tickt Angela Merkel?, in:www.welt.de, 1. 9. 2008 (8. 9. 2009).

31APuZ 50/2009

Page 32: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

nachvollziehbar. In den vergangenen Mona-ten wurde der Kanzlerin regelmäßig Füh-rungsschwäche vorgeworfen. Immer wiederwurden Stimmen laut, sie müsse härterdurchgreifen. Obwohl sie früher das Renom-mee einer „Männermörderin“ hatte, herrschtheute eher die Befürchtung vor, sie würdesich zu viel gefallen lassen. Dieser Eindrucknahm bereits in der sogenannten Elefanten-runde 2005 beim Schlagabtausch mit Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen An-fang. Seinen aufbrausenden Äußerungen be-gegnete Angela Merkel vor allem fassungslosund in keiner Weise kämpferisch.

Aber vielleicht stimmt es ja, dass sie eherzu gegebener Zeit die Konsequenzen auseiner Auseinandersetzung zieht und sichdann behauptet. So zahlte sie es GerhardSchröder anlässlich der Feier zur Enthüllungseines Porträts im Kanzleramt heim: Sie lobtedie fällige Anbringung des Bildes, weil sienun die Frage vieler Besucher nicht mehr be-antworten müsse, „wann der Schröder end-lich aufgehängt“ würde. Falls Angela Merkeles also vermag, ihre Kontrahenten eher späterzurechtzuweisen und dies vielleicht sogar miteinem gewissen Scharfsinn, dann nimmt dieAllgemeinheit davon in der Regel jedoch nuram Rande Notiz oder weiß das Verhalten derKanzlerin nicht einzuordnen. Kanzlerin Mer-kels Biss wird auf rhetorischer Ebene folglichselten direkt spürbar.

Folgerungen und Fragen

Der erforderliche „Biss“ sowie Kommunika-tionsfähigkeit, Vertrauen, Lernbereitschaft,eine Vision verfolgen, Motivation und emo-tionale Intelligenz bilden die hier beleuchte-ten sieben Kriterien moderner Führungskom-petenz. Die Beispiele aus Angela Merkels Po-litikalltag zeigen auf, dass sie vielerortsangesiedelt werden könnte: Ihr könnte dem-nach der harte weibliche Führungsstil atte-stiert werden, denn ihr Ruf als „Männer“-und „Vatermörderin“ zeugt von der Fähig-keit, sich zu beweisen. Auch die menschlicheUnnahbarkeit der Regierungschefin demons-triert diese Härte. Dennoch könnte ihr eben-falls der eher weiche weibliche Führungsstil –der den derzeit als modern geltenden Füh-rungskriterien entspricht – zugestanden wer-den, wenn wir beispielsweise die vertrauens-volle Atmosphäre der Morgenlage bedenken.

Diese widersprüchlichen Tatsachen im FallAngela Merkel deuten auf eines hin: Einweiblicher Führungsstil ist eine Illusion.Denn Führungserfolg ist schlichtweg nichtgeschlechtsspezifisch prädestiniert.

Es sprechen noch weitere Argumentegegen die Definition eines typisch weiblichenFührungsstils. Wissenschaftliche Studien be-legen, dass Unterschiede im Führungsstilnicht auf das Geschlecht einer Führungskraftzurückzuführen sind. Es gilt hierbei ferner zubeachten, dass Frauen untereinander keinehomogene Gruppe bilden. Eine Frau, diezum Beispiel aus einer bildungsfernen Schichtstammt, ist gänzlich anders geprägt, als eineFrau aus einer Unternehmerfamilie, was sichauf ihre Lebenschancen und persönlichenKompetenzen auswirkt. Überdies ist die Bi-polarität der Begriffe männlich und weiblichmit Schwierigkeiten verbunden. Denn eineFührungskraft kann unabhängig von ihremGeschlecht die sieben oben genannten softskills besitzen oder erwerben. Darüber hinausdefiniert sich eine Person schließlich durchviel mehr als lediglich ihr Geschlecht oderdamit verknüpfte Stereotypen. So kann dieHerkunft, die Erziehung, die Sozialisation,die politische Überzeugung, die Fachrichtungoder auch die Interpretation gemachter Er-fahrungen und Vieles mehr eine Rolle spielen.

Diese Dekonstruktion eines weiblichenFührungsstils beantwortet allerdings nichtdie Frage, warum Frauen – obwohl bestensqualifiziert – in Führungspositionen allge-mein unterrepräsentiert sind. Für diesen Um-stand werden gewisse Karriererestriktionenverantwortlich gemacht, wie unter anderemein token status, Männerbünde oder auch das„think manager – think male“-Phänomen.Auf alle drei Phänomene werde ich im Fol-genden kurz eingehen.

In vielen Führungspositionen sind Frauenimmer noch die Ausnahme und besitzendaher einen Minderheitenstatus. Dieser soge-nannte token status beschreibt ihre Rolle als„Vorzeigefrau“, in der eine weibliche Füh-rungskraft vorsichtig wie eine exotischeOrchidee betrachtet und jedes Verhalten be-urteilt wird. Es kann Vor- und Nachteile ber-gen, derart aus der Menge herauszustechen.Deutlich wird dieser Status auch bei derKanzlerin, wenn wir uns beispielsweise dieFotos des G-8-Gipfels 2007 in Heiligendamm

32 APuZ 50/2009

Page 33: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

in Erinnerung rufen. Dort war sie in ihremgrünen Jackett im Strandkorb zwischen dendunklen Anzügen der männlichen Kollegenein wahrer Blickfang. Bei anderen Zusam-menkünften auf globalem Parkett ist AngelaMerkel allerdings nicht mehr die einzige Poli-tikerin. Dort trifft sie unter vielen anderenauf Pratibha Patil (Staatspräsidentin Indiens),auf Cristina Kirchner (Präsidentin Argenti-niens) oder auf Michelle Bachelet (Präsiden-tin Chiles). Eine weitere Karriererestriktionstellen Männerbünde bzw. seilschaftenähnli-che Zusammenschlüsse langjähriger Mitstrei-ter dar. So sollen sich beispielsweise 1979 einDutzend Mitglieder der Jungen Union aufeinem Flug nach Caracas/Venezuela dazuverabredet haben, ihre Karrieren gegenseitigzu unterstützen – im sogenannten Anden-pakt. Über solch einflussreiche Männerbündehinaus, gilt das „think manager – thinkmale“-Phänomen als weiterer Erklärungsver-such für die Unterrepräsentanz von Frauen inFührungspositionen. Hierbei geht es darum,dass eine Vorstellung vorherrscht, die denMann als Archetyp einer Führungskraft oderauch eines Staatsoberhaupts auffasst. Ein sol-ches Idealbild kann das Emporstreben einerFrau an die Spitze erschweren, was vor allemaus ökonomischer Perspektive bedauerlichist, da Ressourcen vergeudet werden. Dievorherigen Ausführungen über die Bundes-kanzlerin und weitere Regierungschefinnenlassen allerdings vermuten, dass genau dieseRestriktionen vielleicht derzeit im Umbruchbegriffen sind.

Es stellt sich daher die Frage, wie es zueiner solchen positiven Entwicklung kam undwie diese sich weiter fördern lässt. Zunächstgilt es, sie durch strukturelle Veränderungenzu unterstützen. Der Staat, Unternehmen,der öffentliche Dienst und auch Parteienmüssen Strukturen schaffen, in denen vonaufgestülpten Maßnahmen wie Quotenrege-lungen abgesehen werden kann und Chan-cengleichheit sowie die Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf unterstützt werden.

Darauf aufbauend stehen Frauen in derPflicht, selbst aktiv zu werden. Anstatt bei-spielsweise Männerbünde moralisch zu verur-teilen, könnten sie selbst die Vorteile von Netz-werken nutzen. Angela Merkel hat es vorge-macht – trotz ihres relativ späten Seiteneinstiegsin die CDU im Alter von 36 Jahren. Zum einenbesitzt sie einen Kreis enger politischer Vertrau-

ter, der zeitweise als „Girls’ Camp“ betiteltwurde: vorneweg ihre loyale Begleiterin BeateBaumann, ihre Beraterin Eva Christiansen unddie Bundesministerin für Bildung und For-schung Annette Schavan. 10 Zum anderen ste-hen im Zentrum ihres braintrust bürgerlicheDamen eines postfeministisch-konservativenLagers. Durch die Gefolgschaft der Verlegerin-nen Friede Springer und Liz Mohn, der Fern-sehmoderatorin Sabine Christiansen oder derChefredakteurin der „Bunte“ Patricia Riekel,verfügt Angela Merkel über ein beachtlichespublizistisches Potenzial. 11

Neben diesem cleveren Engagement derFrauen ist es von größter Bedeutung, die frü-heren Idealbilder von Führung durch einneues Bewusstsein abzulösen. Dies kann bei-spielsweise geleistet werden, indem es immermehr weibliche Vorbilder gibt. Über AngelaMerkel und die bereits erwähnten politischenKolleginnen hinaus, seien hier zwei weitereFrauen genannt, die sich hinter KanzlerinMerkel in die Liste des US-Magazins „For-bes“ der mächtigsten Frauen der Welt einrei-hen: Sheila Bair, die Vorsitzende der staatli-chen Einlagenfonds der US-Banken (FDIC)und Indra Nooyi, die Chefin von PepsiCo,Inc. Somit lässt sich auch das „think manager– think male“-Phänomen immer mehr ab-schwächen, und es löst sich eher in einem„think politician – think male, female, black,white, privileged, deprived“-Phänomen auf.Denn es gilt zu beachten, dass die meistenFührungspersonen zwar männlich, aber inden meisten Fällen auch eine weiße Hautfarbehaben und einer Oberschicht zugehörig sind.Das heißt, dass neben Frauen andere hochqua-lifizierte Gruppen ebenfalls in Führungsposi-tionen unterrepräsentiert sind. Demnach müs-sen auch Personen mit Migrationshinter-grund, mit Behinderungen oder beispielsweiseaus einer bildungsfernen Schicht gegen die ge-nannten Karriererestriktionen ankämpfen.

Eine Überwindung dieser Unterrepräsen-tanz ist aber nicht nur aus Gründen derChancengleichheit erstrebenswert, sondern

10 Dieser Kreis lässt sich allerdings um einige männ-liche Kollegen wie etwa Planungschef Matthias Grafvon Kielmansegg oder den heutigen UmweltministerNorbert Röttgen erweitern, weswegen die Bezeich-nung „Girls’ Camp“ die Tatsachen verzerrt.11 Vgl. Hajo Schumacher, Die zwölf Gesetze derMacht. Angela Merkels Erfolgsgeheimnisse, München2006, S. 83 ff.

33APuZ 50/2009

Page 34: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

vor allem aus ökonomischer Sicht. Die Poten-ziale diverser Menschen zu nutzen, ist zumeinen wichtig, weil jeder Einzelne über dieoben diskutierten Kompetenzen verfügenkann. Zum anderen können gerade in Grup-pen mit unterschiedlichen Teilnehmern Syn-ergien freigesetzt werden: Vor allem eine Mi-schung an Persönlichkeiten lässt somit Krea-tivität entstehen. 12 Dies scheint auch AngelaMerkel zu unterstützen, wenn sie sagt, dasswir „mehr gemischte Teams aus Frauen undMännern, Älteren und Jüngeren (brauchen).Die Mischung aus Erfahrung und Jugend, ausweiblich und männlich macht’s.“ 13 Eine Ge-sellschaft oder auch Unternehmen und politi-sche Parteien müssen folglich versuchen, allesverfügbare geistige Potenzial zu fördern undzu nutzen. So ist es für eine zukunftsfähigePartei unablässig, von dem Ideenreichtumaller ihrer aktiven Mitglieder, unabhängig vonderen Geschlecht oder Herkunft, Gebrauchzu machen. Durch das Ausbremsen bestimm-ter Personengruppen verschleudert unsereGesellschaft sonst viel Leistungsstärke.

Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass mitBarack Obama erstmals ein Schwarzer US-Präsident und mit Angela Merkel erstmalseine Frau Bundeskanzlerin ist, scheint die Ge-sellschaft im Hinblick auf Stereotypisierungund Schubladendenken bei Führungskompe-tenzen an einem Wendepunkt zu stehen. DieAnerkennung dieser Politiker deutet auf mo-derne Strukturen und ein neues Bewusstseinin der Führungskultur hin. Insofern könnenwir Angela Merkels Eingangszitat beipflich-ten, dass jeder Führungsstil persönlich geprägtist. Eine Person oder ein Führungsstil lässtsich also nicht auf eine Eigenschaft reduzieren.Angela Merkel ist zwar die erste Frau im Bun-deskanzleramt, sie ist allerdings ebenfalls dieerste Naturwissenschaftlerin, die erste Ost-deutsche und mit 51 Jahren bei Amtsteintrittauch die Jüngste, die dieses Amt bekleidet.Folglich wirkt sich ihr facettenreicher Füh-rungsstil auf die politische Landschaft aus,aber nicht primär weil sie eine Frau ist. DieBundeskanzlerin führt hingegen mit ihremganz persönlichen „Merkel-Stil“.

Reinhard Mohr

Moderierenist alles: Frauenim PolittalkEssayFrüher, in den 1950er und 1960er Jahren,

war es noch ganz einfach. Am Sonntag-morgen ging man in die Kirche, zum Fußballoder spazieren, wäh-rend zu Hause dereingelegte Sauerbra-ten schon darauf war-tete, in die Röhre ge-schoben zu werden.Kurz vor zwölf stellteVater den Fernsehap-parat an, währendMutter in der Küche mit den Töpfen klap-perte. Und da es sowieso nur zwei Pro-gramme gab, war auch für die Kinder klar:Jetzt kam der „Internationale Frühschoppen“– mit Werner Höfer und „sechs Journalistenaus fünf Ländern“. Zahlreiche Funkhäuserwaren „angeschlossen“, und so war die Fern-seh-Diskussionsrunde nahezu von Beginn aneine Institution der frühen Bundesrepublik.Sie hielt sich eine kleine Ewigkeit: von Au-gust 1953 bis Ende 1987, über 34 Jahre lang.Höfer fehlte an keinem einzigen Sonntag. Ermachte nie länger als eine Woche Urlaub.Nur ein einziges Mal musste er sich wegeneiner Sturmflut, die ihn am Übersetzen aufsFestland hinderte, telefonisch aus Sylt zu-schalten lassen. Erst als unangenehme Einzel-heiten aus Höfers Vergangenheit in der Nazi-Zeit publik wurden, musste er aufgeben.

Er war ein aktiver Mitläufer (und NSDAP-Mitglied seit 1933) gewesen wie so viele, aberseine journalistische Arbeit nach 1945 bleibtbis heute legendär. Seine politische Sach-kenntnis war so beeindruckend wie sein Ar-beitspensum, darunter die regelmäßige Lek-türe von zwei Dutzend Tageszeitungen. Ingrammatikalisch oft kompliziert konstruier-ten, gleichwohl präzise formulierten Fragen,die auch den ein oder anderen ironisch-sar-

Reinhard MohrGeb. 1955; Autor und freierJournalist, unter anderemRezensent von Fernsehtalk-shows auf Spiegel [email protected]

12 Vgl. Olaf-Axel Burow, Ich bin gut – wir sind besser.Erfolgsmodelle kreativer Gruppen, Stuttgart 2000,S. 71 ff.13 Angela Merkel (Anm. 8).

34 APuZ 50/2009

Page 35: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

kastischen Einschub vertrugen, versuchte er,die jeweils aktuelle Weltlage zu entziffern,besser: seinen Gesprächspartnern deren mög-lichst plausible Interpretation zu entlocken.

Trotz aller nüchternen Lakonie und aus-gleichender Fairness war ein Glutkern politi-scher Leidenschaft deutlich spürbar, eine Artgeschichtsphilosophischer Emphase. Mit sei-ner eigenen Meinung hielt er in der Regelnicht hinter dem Berge. Selbstverständlichwaren fast immer ein sowjetischer und einamerikanischer Kollege mit von der Partie,und zuweilen wehte ein Eishauch des KaltenKrieges durchs Kölner Studio, etwa, wennder sowjetische Kollege mit rollendem R undfinsterer Miene den „unverrückbaren Frie-densstandpunkt“ des Kreml beteuerte.

Natürlich saßen, von ganz seltenen Aus-nahmen wie Marion Gräfin Dönhoff undJulia Dingwort-Nusseck abgesehen, nur Her-ren in der illustren Runde, und es durfteselbstverständlich geraucht werden – auch Zi-garillos. Die einzige Frau im Raum huschteimmer wieder mit gestreifter Schürze kurzdurchs Bild, wenn sie den „MaikämmererHeiligenberg Riesling Spätlese“ nach-schenkte. Denn selbstverständlich durftewährend des Debattierens auch getrunkenwerden. Alles andere, etwa ein Glas Selters-wasser, hätten sich die Herren auch strengs-tens verbeten. Schon diese kleine Reminis-zenz offenbart die dramatischen Veränderun-gen in den vergangenen Jahrzehnten.

Feminisierung und Triumphdes Infotainments

Heute dürfen Frauen nicht nur über alles mit-reden, nein: Sie leiten und dirigieren inzwi-schen die wichtigsten politischen Talkshowsim deutschen Fernsehen, während im Gegen-zug vor allem Männer wie Reinhold Beck-mann, Johannes B. Kerner und Markus Lanzfür den bunten Softtalk zwischen Boris Be-cker und Gräfin Gloria zu Thurn und Taxiszuständig sind. Es ist also viel komplizierterals früher, manchmal auch verwirrend undziemlich unübersichtlich.

Wurde 1973, immerhin fünf Jahre nach derRevolte von 1968 und kurz vor Erscheinenvon Alice Schwarzers „Der kleine Unter-schied und seine großen Folgen“, noch als

Sensation gefeiert, dass eine Frau – CarmenThomas – erstmals das „Aktuelle Sportstu-dio“ des ZDF moderierte, auch wenn sie mit„Schalke 05“ einen legendären Fauxpas lan-dete (so nannte sie versehentlich den Fußball-verein Schalke 04), so ist es anno 2009 völligselbstverständlich, dass mit Anne Will, May-brit Illner und Sandra Maischberger gleichdrei Frauen an vorderster Front fürs großepolitische Theater zuständig sind. Danebenstehen noch Marietta Slomka, Caren Miosga,Bettina Schausten, Susanne Holst, Petra Ger-ster und einige andere in der ersten Reihe derpolitischen Fernsehmoderation. Den ent-scheidenden Durchbruch freilich hatte SabineChristiansen errungen, die 1998 als erste Frauin die Fußstapfen von Männern wie WernerHöfer, Johannes Gross, Günter Gaus, ErichBöhme, Claus-Hinrich Casdorff und HannsJoachim Friedrichs trat, nachdem sie schonjahrelang das Gesicht der ARD-„Tagesthe-men“ gewesen war.

Ist es schon keineswegs übertrieben, voneiner Feminisierung des Fernsehens insge-samt zu sprechen, so kann man mit Fug undRecht eine deutliche Verweiblichung der tele-visionären Politik-Vermittlung konstatieren.Wer sich hier und da noch einmal einen Blickins Fernseharchiv gönnt und – schwarzweißoder in Farbe – all die rasiermesserscharf ge-scheitelten Herrenköpfe betrachtet, die schonästhetisch und körpersprachlich jenseits allenZweifels verkündeten, dass Politik Männersa-che sei, der staunt doch immer wieder, wieheutzutage Anne Will im frechen Minirockoder Maybrit Illner im weißen Hosenanzugihre Fragen an Ministerpräsidenten undKanzlerkandidaten richten, als hätte es Fried-rich Nowottny und Ernst-Dieter Lueg niegegeben.

Jenseits der Frage, was damit womöglichbesser und was schlechter geworden sei alsfrüher, fällt ein struktureller Unterschied zuden „guten“ alten Zeiten ins Auge: Der poli-tische Streit, soweit er im Fernsehen stattfin-det, hat sich, vor allem als Folge der Privati-sierung und Kommerzialisierung der Massen-medien seit den frühen 1990er Jahren, sehrweitgehend als Teil des Unterhaltungspro-gramms etabliert. Auch wenn es bei den öf-fentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDFsamt ihren Programmablegern gern bestrittenwird: Selbst die Präsentation von „Deutsch-landtrend“ und „Politbarometer“, eigentlich

35APuZ 50/2009

Page 36: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

eine Angelegenheit für Politik-affine Freundeder Statistik, liefert eher die emotionalen In-gredienzien von Sport, Spiel, Spannung alsdie seriöse Grundlage einer Debatte über dierichtige Politik der Zukunft. So avanciertetwa der sagenhafte Aufstieg von Karl-Theo-dor Freiherr zu Guttenberg fast schon zurbunten Society-Story, während der atembe-raubende Abstieg der SPD einem süffigenMelodram ähnelt, das man mit wohliger Gän-sehaut konsumiert.

Auch jenseits einer populären Kultur- undMedienkritik ist unabweisbar, dass sich dasInfotainment als medialer Megatrend flächen-deckend durchgesetzt hat: Information istzum Entertainment geworden – auch optisch,wie zuletzt das neue, virtuell-digitale Nach-richtenstudio des ZDF offenbart hat. Perso-nalisierung und Skandalisierung sind die Eck-pfeiler der politischen Berichterstattung – fastso wie im originären Reich der Unterhaltung,wo es um Dieter Bohlen, Shakira und ParisHiltons Unterwäsche geht. Hätte Frank-Wal-ter Steinmeier, Ex-Kanzlerkandidat der SPD,auch nur die Hälfte des Glamours von Schau-spieler Til Schweiger, wäre er umstandsloszum deutschen Obama ausgerufen worden.

In diesem Umfeld, zu dem auch die unge-heure Informationsbeschleunigung durch dasInternet und seine millionenfachen Blog-Bla-sen gehören, haben die politischen Talkshowseine ganz andere Funktion als der „Interna-tionale Frühschoppen“. Wurde damals einekleine, allenfalls nach Hunderttausenden zäh-lende Elite mit Information und Meinung auserster Hand versorgt, so geht es bei demabendlichen Talkshow-Publikum, das bis zusechs Millionen Zuschauer umfasst, um eineMischung aus psychosozialer Selbstvergewis-serung der Gesellschaft und einer mentalenZerstreuung, die am Ende Beruhigung undEntspannung auslösen soll. Unabdingbar istdabei allerdings eine Erregungskurve, die miteiner hysterischen Alarmmeldung beginnt,zum Schluss aber wieder in einen fast thera-peutischen Konsens mündet.

Ob „Anne Will“ am Sonntag-, „Maischber-ger“ am Dienstag- oder „Maybrit Illner“ amDonnerstagabend – genau dies war das Ab-laufschema der Polittalks während der einjäh-rigen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, in der sich die alarmistischen Themen-formulierungen von „Abgrund“, „Zusam-

menbruch“ und „Untergang“ gegenseitig denRang abzulaufen versuchten. Kein negativerSuperlativ war so stark, dass er nicht nochhätte überboten werden können: „Banken inStaatshand – Kapitalismus am Ende?“ hieß esda oder „Krise ohne Ende – Jobs und Wohl-stand in Gefahr“. Fast schon dadaistischeGaga-Qualität hatte ein Talkshow-Titel vonSandra Maischberger im November 2008.Das Thema der Sendung lautete: „Marx hatteRecht! Gebt uns den Sozialismus zurück!“

Zuweilen bewährte sich jedoch die weib-lich geführte Krisen-Talkshow tatsächlich als„Kraftwerk der Gefühle“, frei nach Alexan-der Kluges Diktum über das Wesen der Oper,in dem sich letztlich ein kathartischer Prozessvollzieht: Die teils selbstinszenierte Aufre-gung wurde in einem Wellen- und Wechsel-bad aus Dramatisierung und Entdramatisie-rung gleichsam aufgelöst, ohne dass dazu einegrundstürzend neue Erkenntnis oder auchnur ein noch nicht gehörtes, originelles Argu-ment nötig gewesen wäre.

Das Geheimnis dieser oft zu Recht kriti-sierten Rede-Shows mit den ewig gleichenProtagonisten ist ihre Funktion als virtuellesKaminfeuer einer Gesellschaft, die sichimmer mehr in verschiedene Schichten, Inte-ressengruppen, Milieus und Netzwerke aus-differenziert. Gerade unter dem Schock derso plötzlich ausgebrochenen Finanzkrise ver-sammelten sich viele Zuschauer, die im wah-ren Leben nicht viel miteinander zu tun hät-ten, vor dem Bildschirm, um die Identifizie-rungsangebote eines kollektiv betroffenenWir anzunehmen. Wenn auf gierige Invest-mentbanker und unverantwortliche Bankbe-rater geschimpft wurde, fanden sich alle wie-der, und sei es nur in der Bestätigung vonÄngsten und Befürchtungen, Wut und Empö-rung.

Anne Wills weißes „Betroffenensofa“ –man stelle sich ein derart feminines Möbel-stück in Werner Höfers weinselig paffenderHerrenrunde vor! – repräsentiert symbolhaftdie neue Funktion der Talkshows: Sie sindMess- und Auffangstationen des sozialenGrundrauschens, Seismographen des gesell-schaftlichen Selbstgesprächs und Sprachrohrdiffuser Stimmungen. Mehr denn je erscheinthier der Bürger vor allem als bedauernswertesOpfer gesellschaftlicher Verhältnisse – als un-zufriedener Verbraucher oder Kunde, der von

36 APuZ 50/2009

Page 37: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

der Regierung und ihren (nicht gehaltenen)Versprechungen schwer enttäuscht ist. Vorallem deshalb – und weil es nebenher nochder Einschaltquote in einer alternden Gesell-schaft förderlich ist – dominieren die The-menkomplexe Rente, Pflege und Gesundheitgegenüber globalpolitischen Fragen wieKrieg und Frieden in Afghanistan oder Sinnund Unsinn staatlicher Entwicklungshilfe inder „Dritten Welt“.

Der auf seine Republik stolze Citoyen, derflammende Reden ans Volk halten würde, isteine aussterbende Gattung – ebenso wie derräsonierende Intellektuelle, der im tiefsten In-nern darauf brennt, endlich einmal wiederselbst politisch aktiv werden zu können. Einesubtile Entkernung des Politischen ist alsounverkennbar, zumal markante und streitlus-tige Persönlichkeiten jenseits des üblichenShowgehabes immer seltener werden. Auchdeshalb herrscht in den Talkshows so oft einpubertärer, zuweilen gar infantil quäkenderJammerton, in dessen Vorstellungsweltimmer alle anderen – im Zweifel „die Gesell-schaft“ oder „die Globalisierung“ – schuldam vermeintlichen Elend sind, nur man selbstnicht.

Um dieses emotional belastende Klima ge-genseitiger Beschuldigungen rhapsodisch auf-zulockern, erfinden die Talk-Redaktionenimmer neue Gags und Gimmicks. Längst eta-bliert ist der berüchtigte „Einspieler“, in demin 30 oder 60 Sekunden noch mal erklärtwird, worum es eigentlich geht. Gerne wer-den auch „Experten“ als sidekicks eingeladen,hier und da ein frohsinniger „Comedian“oder ein ehemaliger Fußball- oder Tennisstar;dazu gibt es Chats, interaktive Youtube-Zu-spielungen und die allseits beliebten Straßen-umfragen. Am Ende wird stets die entschei-dende Botschaft ausgesandt: Wir tun wasgegen die Krise, wir kümmern uns. So sehrman sonst die politische Klasse kritisiert, javerachtet – in Gefahr und höchster Not gehtes um den psychosozialen Zusammenhalt.Auf diese Weise wird die Talkshow zum ge-sellschaftlichen Integrations-Anker in unru-higer See. Das Motto der virtuellen Ge-sprächstherapie: Gut, dass man wenigstensmal wieder drüber gesprochen hat – bis zumnächsten Mal.

Zugleich passt sich die Talkshow perfektins restliche Programmschema ein. Der be-

rüchtigte audience-flow etwa, das dringenderwünschte Dranbleiben der Zuschauer,funktioniert reibungslos: Nach „Maybrit Ill-ner“ am Donnerstagabend war man stets reiffür Johannes B. Kerner – und ist es nun fürMarkus Lanz, dieses allerletzte Abklingbe-cken für Körper, Geist und Seele. Danachfolgt nur noch die Bettruhe.

Verständnis für alle

Auch ohne in die Untiefen einer geschlechter-spezifischen Psychologisierung zu geraten,scheint offensichtlich, dass unter diesen Be-dingungen nicht mehr knorrige alte Herrenwie Werner Höfer gefragt sind, sondernhochflexible Moderatorinnen, denen dieRolle der Supervisorin ebenso wie der malenergischen, mal sanften, mal gar ironischreagierenden Dompteuse näher liegt als dieFigur eines Überzeugungstäters mit einemunverrückbaren weltanschaulichen Stand-punkt, der noch im undurchdringlichsten Zi-garrenqualm erkennbar bleibt.

Es ist unbeschadet sonstiger persönlicherGründe kein Zufall, dass ein leidenschaftli-cher „Meinungsberserker“ wie Michel Fried-man, auch wenn er heute ganz neu die Szenebeträte, keine Chance hätte. Andersherumformuliert: Dass Günther Jauch, Deutsch-lands TV-Liebling Nummer 1, vor Jahr undTag das Angebot erhielt, die große Sonntaga-bendtalkshow zu leiten, war nur logisch undkonsequent. Seine durchaus „weiblich“ ein-gefärbte Allrounder-Kommunikationsfähig-keit hatte ihn prädestiniert. Was genau er in-haltlich anders gemacht hätte, weiß freilichniemand.

Doch gerade dieses Ausmaß an Durchläs-sigkeit und sprechfertiger Ausdrucksfähig-keit, Variabilität und Elastizität ist charakteri-stisch fürs moderne Anforderungsprofil beimPolittalk. Welcher Fernsehzuschauer etwawüsste zu sagen, ob Anne Will, SandraMaischberger oder Maybrit Illner überhauptirgendeiner, und wenn ja: welcher politischenPartei oder Gruppierung nahe stehen – zuschweigen davon, wie ihre persönliche Hal-tung zum Krieg in Afghanistan und Hartz IV,zur Integration von muslimischen Migrantenund zur Atomenergie aussähe. In Zeiten, daüber den alten ideologischen Schützengräbenzunehmend biologisch dynamisches Gras

37APuZ 50/2009

Page 38: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

wächst, ist es naheliegend, dass die Moderato-rinnen sich als interaktive Partnerinnen vonZuschauern und Gästen verstehen und nichtals Kombattanten in einem strengen Diskursüber Wirklichkeit und Wahrheit. Selbst beiFrank Plasberg, dem einzigen männlichenMitglied im Kleeblatt der großen Talk-Mode-rator(inn)en, trifft Politik eben nicht alleinauf „Wirklichkeit“, wie es im Werbetrailerseiner Sendung „hart aber fair“ heißt, sondernsehr oft auch auf Inszenierung und Klamauk.Dann wird aus einem Journalisten schon malein Journalistendarsteller.

Doch als es nach Günther Jauchs überra-schender Absage darum ging, ob Plasbergstatt Anne Will den politischen Wochenend-Talk am Sonntagabend leiten solle, schältesich neben anderen Gründen wieder ein wei-ches, aber sehr wichtiges Motiv heraus, ihndoch lieber auf den Mittwochabend zu schie-ben: Männer, selbst so unterhaltsame (undselbstverliebte) Burschen wie Plasberg, über-tragen zu viel männliches Gehabe – ein-schließlich dem notorisch präpotentenKnöpfchendrücken – auf die Fernsehcouchvor den heimischen Flachbildschirmen. Kurz:„hart aber fair“ ist kein zuträgliches Mottofür den niveauvoll-gemütlichen Wochenend-ausklang gleich nach dem „Tatort“. Denn eskommt auf die richtige Mischung aus Aufre-gung und Zerstreuung an – auf den politi-schen Sandmännchen-Effekt für leidgeprüfteErwachsene, die eine schwere Arbeitswochevor sich haben.

Zum Beispiel so, wie am 18. Oktober 2009bei Anne Will. Den Anlass zum boulevar-desk-bildhaften Titel der Sendung „KeineChance für Ali und Ayse – Gemüse verkau-fen statt Karriere machen?“ hatte das wo-chenlang skandalisierte „Kopftuchmädchen“-Interview von Thilo Sarrazin in „Lettre Inter-national“ geboten. Es war eine typische, einerepräsentative Sendung. Irgendwie wurdenfast alle wichtigen Fragen zum Thema „Inte-gration“ formuliert, aber sie wurden gleich-sam chronologisch – eine nach der anderen –abgehandelt und nebeneinander gestellt undeben nicht kritisch-dialogisch aufeinander be-zogen. Jeder Gast durfte seine ideologischePosition darstellen, wobei man sich gegensei-tig gern auch einmal ins Wort fiel – doch derpräzise, punktgenaue Streit um Argumente,um ihre Plausibilität und die Hierarchie ihresGeltungsanspruchs blieb wieder einmal aus.

Stattdessen wurden Einzelschicksale oder ex-treme Einzelbeispiele präsentiert, von denenniemand wissen konnte, wie repräsentativ siewaren.

Wie üblich gab es keinen Versuch, die sehrunterschiedlichen und teils völlig inkompati-blen Argumente zu gewichten, gleichsamihren Platz im Diskursraum zu bestimmen.So war das Ganze tatsächlich eher die Zur-schaustellung eines Gesprächs und nicht dasGespräch selbst – eine Talkshow eben, in derdie prinzipielle Gleichberechtigung aller Po-sitionen dazu führt, dass vom klassischenWahrheitsanspruch kaum etwas übrig bleibt.Aber gewiss: Man hatte wieder einmal dar-über gesprochen, in der Fernsehsprache: dasThema gecovert.

Doch vielleicht entspricht der Haltung, fürpraktisch jede Auffassung ein gewisses Ver-ständnis zu haben oder zeigen zu müssen,nicht unbedingt eine immanente Charakter-oder Persönlichkeitsprägung weiblicher TV-Moderatoren, sondern eine offenbar unerläss-liche mediale Funktion, die Will & Co. sehrprofessionell – und womöglich besser alsMänner – erfüllen. Im persönlichen Gesprächnämlich zeigen sich Maybrit Illner und AnneWill durchaus meinungsfreudig, gedanken-schnell und selbstironisch. Last but not least:Sie sehen deutlich besser aus als WernerHöfer mit Hornbrille und Einstecktuch.

Aber das tut natürlich nichts zur Sache.

BensbergerGespräche

Die Zukunft gestalten.Politik für das 21. Jahrhundert

25. – 27. Januar 2010

www.bpb.de/bensbergergespraeche

38 APuZ 50/2009

Page 39: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

APuZNächste Ausgabe 51/2009 · 14. Dezember 2009

Bundestagswahl 2009

Tissy BrunsMehr Optionen, gesunkene Erwartungen

Peter LöscheEnde der Volksparteien

Matthias Jung · Yvonne Schroth · Andrea WolfRegierungswechsel ohne Wechselstimmung

Frank DeckerKoalitionsaussagen und Koalitionsbildung

Axel MurswieckAngela Merkel als Regierungschefin und Kanzlerkandidatin

Hagen AlbersOnlinewahlkampf

Herausgegeben vonder Bundeszentralefür politische BildungAdenauerallee 8653113 Bonn.

Redaktion

Dr. Hans-Georg GolzAsiye ÖztürkJohannes Piepenbrink(verantwortlich für diese Ausgabe)Manuel Halbauer (Volontär)

Telefon: (02 28) 9 95 15-0

Internet

www.bpb.de/[email protected]

Druck

Frankfurter Societäts-Druckerei GmbHFrankenallee 71– 8160327 Frankfurt am Main.

Vertrieb und Leserservice

� Nachbestellungen der ZeitschriftAus Politik und Zeitgeschichte

� Abonnementsbestellungen derWochenzeitung einschließlichAPuZ zum Preis von Euro 19,15halbjährlich, JahresvorzugspreisEuro 34,90 einschließlichMehrwertsteuer; Kündigungdrei Wochen vor Ablaufdes Berechnungszeitraumes

Vertriebsabteilung derWochenzeitung Das ParlamentFrankenallee 71–8160327 Frankfurt am Main.Telefon (0 69) 75 01-42 53Telefax (0 69) 75 01-45 [email protected]

Die Veröffentlichungenin Aus Politik und Zeitgeschichtestellen keine Meinungsäußerungder Herausgeberin dar; sie dienender Unterrichtung und Urteilsbildung.

Für Unterrichtszwecke dürfenKopien in Klassensatzstärke herge-stellt werden.

ISSN 0479-611 X

Page 40: APuZ - bpb.de · Christina Holtz-Bacha Politikerinnen-Bilder im interna-tionalen Vergleich A ngela Merkel, Michelle Bachelet, Tarja Halonen, Cristina Fernández de Kirch-

Frauen in Politik und Medien APuZ 50/2009

Christina Holtz-Bacha3-8 Politikerinnen-Bilder im internationalen Vergleich

Frauen, die sich in die Politik begeben, müssen sich nicht nur gegen ihre männli-chen Konkurrenten durchsetzen, sondern sie kämpfen auch gegen gesellschaftli-che Stereotype. Internationale Beispiele zeigen, dass in der medialen Berichterstat-tung über Politikerinnen noch immer bestimmte Geschlechterbilder dominieren.

Birgit Meyer9-15 „Nachts, wenn der Generalsekretär weint“

Der Beitrag behandelt die Muster medialer Darstellung von deutschen Politike-rinnen in den vergangenen sechs Jahrzehnten. Trotz der Tendenz hin zu mehrSachlichkeit und weniger geschlechterbezogener Berichterstattung überwiegennach wie vor traditionelle Rollenzuschreibungen.

Isabelle Kürschner16-21 Frauen in den Parteien

Es wird dargestellt, worin sich das Partizipationsverhalten weiblicher Parteimit-glieder von männlichen unterscheidet, welche Mechanismen sich auf die Mitar-beit von Frauen auswirken und warum es den einzelnen Parteien in so unter-schiedlichem Maße gelingt, Frauen als Mitglieder zu gewinnen.

Uta Kletzing22-28 Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen

In den Kommunalparlamenten liegt der Frauenanteil durchschnittlich bei nur 25Prozent. Damit er sich erhöht, müssen die Ortsvereine und Kreisverbände derParteien das Engagement von Frauen entschlossen fördern; die Politikerinnenselbst sollten sich noch besser miteinander vernetzen.

Katja Glaesner28-34 Angela Merkel – mit „Soft Skills“ zum Erfolg?

„Mein Prinzip ist nicht ,Basta‘, sondern Nachdenken, Beraten und dann Ent-scheiden“, erklärt Angela Merkel. Dies scheint einer typisch weiblichen Heran-gehensweise zu entsprechen. Konkrete Beispiele aus dem Politikalltag zeigenaber, was Kanzlerin Merkels Führungsstil wirklich charakterisiert.

Reinhard Mohr34-38 Moderieren ist alles: Frauen im Polittalk

Früher dominierten knorrige alte Herren die politischen Talkshows im deutschenFernsehen, Frauen waren die Ausnahme. Heute dürfen Frauen nicht nur überalles mitreden, nein: Sie leiten inzwischen die wichtigsten Sendungen, währendviele ihrer männlichen Kollegen inzwischen für bunten Softtalk zuständig sind.