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Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Arbeit für den Frieden Die Rückkehr des kleinen Prinzen und andere Geschichten von Eva Köberle Danke für Ihre Hilfe!

Arbeit für den Frieden€¦ · Freund, den Flieger“, sagte die Blindmaus. Der Prinz nickte. „Mir war, als hätte er im Leuchten eures Sterns nach mir gerufen,“ entgeg-nete

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Page 1: Arbeit für den Frieden€¦ · Freund, den Flieger“, sagte die Blindmaus. Der Prinz nickte. „Mir war, als hätte er im Leuchten eures Sterns nach mir gerufen,“ entgeg-nete

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

Arbeit für den Frieden

D i e R ü c k k e h r d e s k l e i n e n P r i n z e nu n d a n d e r e G e s c h i c h t e n von Eva Köberle

Danke für Ihre Hilfe!

Koeberle_Brosch_22_04_HDN 23.04.2002 12:40 Uhr Seite 1

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V o r w o r t 3

D i e R ü c k k e h r d e s k l e i n e n P r i n z e n 4 – 1 3

D e r E u r o p a b a u m 1 4 – 1 7

H o l z v ö g e l c h e n 1 8 – 2 6

W o l f s f i e b e r 2 7 – 2 9

D e r f r e m d e V o g e l 3 0 – 3 5

I n h a l tG

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Verantwortlich für den Inhalt: Burkhard Nipper, GeneralsekretärRedaktion und Gestaltung: Dr. Martin DodenhoeftDruck: Hofmann Druck, Nürnberg (75/2002)

Koeberle_Brosch_22_04_HDN 23.04.2002 13:43 Uhr Seite 2

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allein einstellt, im Lesen „zwischenden Zeilen“. Wenn sie in einigenihrer Geschichten Tiere sprechenund handeln lässt, so sind dochimmer wir Menschen gemeint.

Eva Köberle hat in ihrer jahr-zehntelangen ehrenamtlichenArbeit für den Volksbund nicht nurdiese Geschichten geschrieben. Siehat selbst immer wieder mit Kin-dern und Jugendlichen, mit Kolle-ginnen und Kollegen und vielenanderen gearbeitet, um ihnen diehumanistische Botschaft derKriegsgräberfürsorge als Arbeit fürden Frieden nahe zu bringen.

Die Begegnung mit den zahl-losen Kriegsgräbern auf den Sol-datenfriedhöfen war es auch, sodie Autorin, die ihr den Anstoßgaben, ihre Gefühle in diesenGeschichten niederzuschreiben.

Ich erinnere mich an eineAufführung des „Europabaums“durch deutsche und französischeGrundschüler anlässlich der Ein-weihung unserer Jugendbegeg-nungsstätte Niederbronn imElsass. Ich sah gestandene fran-zösische Senatoren und deutscheLandräte die Tränen von ihrenGesichtern wischen. Es gab nie-manden, der nicht die einfacheBotschaft dieser kleinen Geschich-te verstand, die ganz ohne hohles

Pathos und feierliche Beschwörun-gen daher kommt: Das Zusam-menleben als gute Nachbarnbraucht die Bereitschaft zumLernen aus der Vergangenheit undden Willen zum Frieden. Esbraucht die Bereitschaft derKriegsgeneration, ihre Erlebnissezu erzählen, eigene Fehler einzu-sehen und daraus zu lernen. Esbraucht die Bereitschaft der je-weils anderen Seite, zu vergebenund zu verzeihen, die Hand zurVersöhnung zu reichen. Es brauchtdie Bereitschaft ihrer Kinder undEnkel, zuzuhören, die Erfahrungender Älteren anzunehmen und sienicht verständnislos abzuurteilen.Es braucht den Willen aller Men-schen, sich nicht erneut verführenzu lassen, die Hand gegen denNachbarn zu erheben - gegen denim anderen Land genauso wenigwie gegen den im eigenen Land.

Eva Köberle gebührt unserDank und unsere Anerkennung,dass sie mit ihrem vielfältigenWirken und mit ihren hiervorgestellten Geschichten dazueinen sichtbaren und wirksamenBeitrag geleistet hat.

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Geschichten von Eva K

öberleDie fünf in dieser kleinenBroschüre zusammengestelltenGeschichten stammen von derAugsburger Pädagogin, Autorinund Künstlerin Eva Köberle. Sieist einer der selten anzutreffendenMenschen, die, mit einem klarenBlick für das Wesentliche begabt,dieses in wunderbaren Worten undBildern auszudrücken und dabeigleichermaßen Jung und Altanzusprechen verstehen.

Das Wesentliche in ihren Ge-schichten, die sie für die Friedens-arbeit des Volksbundes in denSchulen schrieb, wird nicht impädagogisch mahnenden Ton desBesserwissenden vorgetragen. Esfindet sich in einfachen Worten,schnörkellos, in den kurzenSätzen, die sie ihre Hauptfigurensprechen lässt - und es findet sichals Effekt, der sich beim Leser von

Dr. Martin DodenhoeftRedaktion

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Ich widme diese Geschichte

DEN TOTEN SOLDATENUNTER WIND, SAND UNDSTERNENUND DENEN IN DEN TIEFENDES MEERESWIE SAINT-EXUPÉRY

Genauer gesagt schenke ich sienachträglich den kleinen Jungen,die diese Soldaten früher einmalwaren. Man hat es nämlich ver-säumt, ihnen rechtzeitig genügendGeschichten wie diese zu erzählen.Stattdessen hat man ihnen eineUnmenge Geschichten von Kämp-fen und Totschlagen vorgesetzt, bis sie geglaubt haben, solcheGeschichten seien wichtiger undrichtiger als jene von kleinenPrinzen, Füchsen und Rosen.

D i e R ü c k k e h r d e s k l e i n e n P r i n z e n

Beim Schreiben hatte ich vielMühe. Dauernd hatte ich Angst,dem Freund des kleinen Prinzenkönnte mein Geschreibe vielleichtnicht zusagen. Aber immer wennich am Aufgeben war, dann sahich ihn in seiner Fliegeruniformhinter mir stehen und hörte ihnsagen: „Schreib weiter. Ich will,dass die Kinder von heute dieseGeschichte bekommen. Undschreib auch irgendwo hin, dassdas Schaf die Rose doch nichtgefressen hat.“

Eva Köberle

Wie jeden Abend saß der kleinePrinz auch noch nach Sonnen-untergang auf seinem Asteroidenund sah hinunter auf die Erde. Wieimmer ging sie als leuchtenderblauer Punkt in der Weite desWeltalls auf, aber anders als sonstwar in jener Nacht etwas in ihremLeuchten, das den kleinen Prinzennicht schlafen ließ. Er dachte anden Flieger, dem er damals dort imWüstensand be-gegnet war, an dieGespräche mit ihmund an das Blinkender Sterne über ih-rer beider Schwei-gen.

Am Morgenversorgte der kleinePrinz wie immerseine Rose. Als erden Boden auf-lockerte und ihrWasser gab, sagtedie Rose: „Du wirst ihn besuchengehen.“

„Woher weißt du das?“ fragteder kleine Prinz.

„Ich bin eine Rose,“ sagte dieRose, „und Rosen wissen solcheDinge immer.“

„Ich kann dich nicht allein las-sen“, sagte der kleine Prinz, „du

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würdest Läuse bekommen unddich der Käfer nicht erwehrenkönnen.“

„Wenn du zurückkommst, wirstdu mich auch noch lieben, wennich Läuse habe“, sagte die Roseund versuchte, dabei sehr tapferauszusehen.

Auf der Erde angekommen, trafder kleine Prinz zuallererst eineBlindmaus. „Du suchst deinenFreund, den Flieger“, sagte dieBlindmaus. Der Prinz nickte. „Mirwar, als hätte er im Leuchten euresSterns nach mir gerufen,“ entgeg-nete er, „aber nun, da ich hier bin,finde ich ihn nicht. Alles hat sichhier so sehr verändert; ich findemich kaum mehr zurecht.“

„Du hast vielleicht sehr altesLicht gesehen,“ sagte die Blind-

maus, „das Lichtwird alt, wenn es dielange Reise vonStern zu Sternmacht. Es kann Jahr-zehnte her sein, dasser dich rief im Lichteines Morgens.“

„Du weißt sehrviel über das Licht“,sagte der kleinePrinz.

„Ich bin blind“,erwiderte die Maus,

„also habe ich Grund genug, vielüber das Licht zu wissen.“

*

Bis in die Nacht hinein wander-te der kleine Prinz ziellos durchden Sand.

Wieder sah er die Hügel unterdem aufgehenden Mond erstrah-len, aber sie leuchteten nicht wiedamals, als der Flieger an seinerSeite gegangen war.

Plötzlich hörte er eine Stimme.Ein Schatten mit spitzen Ohrenzeichnete sich auf dem Sand ab.

„Guten Abend,kleiner Prinz“,sagte dieStimme.

„Fuchs,“rief der Prinz,„Fuchs, dassdu da bist!Schon dauerndwar mir, als

wärest du in der Nähe, aber ichkonnte dich nicht sehen.“

„Ich bin hinter den Hügelngelaufen“, sagte der Fuchs. „Dumusst wissen, mein Fell ist seitunserer letzten Begegnung rechtalt und grau geworden. Und dahatte ich ein wenig Angst davor,dass du mich so siehst.“

Als der kleine Prinz schwieg,fügte der Fuchs nach einer Weilehinzu: „Weißt du, dein Stern istsehr weit von der Erde entfernt.Da vergeht die Zeit langsamer alshier bei uns. Du wirst kaum umTage älter, während ich hier dieLast der Jahre mehr und mehrspüre.“

„Ich bin doch kein Spiegel, derdir ein paar graue Haare vorzählt,“sagte der kleine Prinz, „ich bindein Freund.“

„Verzeih mir,“ sagte der Fuchs,„aber wir Füchse lernen von Kind-heit auf, um jeden alten Knochenzu streiten, da kommt es uns ebenschwer an zu glauben, dass einereinem von uns so einfach für im-mer sein Herz schenkt.“

*

Die ganze Nacht bewachte derFuchs den Schlaf des kleinen Prin-zen. Er saß aufrecht und dachte

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nach. Beim ersten Sonnenstrahlweckte er den kleinen Prinzen.„Komm mit,“ sagte der Fuchs,„ich muss dir etwas zeigen.“

„Du sagst das so fremd“, sagteder kleine Prinz. „Was ist es, dasdu mir zeigen willst?“

„Ich habe die ganze Nacht übernachgedacht, wie ich es dir erspa-ren könnte,“ antwortete der Fuchs,„aber ich denke, ich muss es dirzeigen.“

Der Weg war nicht weit. Schonbald kamen sie an eine Mauer.„Was ist das?“ fragte der kleinePrinz. „Komm mit ans Tor,“ sagteder Fuchs, „dann wirst du es se-hen.“ Seine Stimme klang etwasunsicher dabei.

*

Am Tor schaute der kleinePrinz hinein. Hinter der Mauerwar eine weite Ebene, auf der sichKreuze dicht an dicht reihten.„Was ist das?“ fragte der kleinePrinz.

„Sie nennen es Friedhof“, sagteder Fuchs. „Was du siehst, sindGräber, Gräber aus vergangenerZeit.“ Er sprach nicht weiter.

„Erzähle,“ sagte der Prinz, „ichmuss es wissen.“ „Du warst nochnicht lange fort“, erzählte der

Fuchs. „Es begann plötzlich.Männer in Uniformen kamen indie Wüste, die einen von Osten,die andern von Westen. Und wosie zusammenstießen, schossen sieaufeinander. Die Hügel hallten ofttage- und nächtelang wider vomDonner der Geschütze. Und zwi-schen den Gefechten begruben sieihre Toten, eilig, oft nicht tiefgenug für die Geier und die Scha-kale. Es war eine schlimme Zeit.“

„Ich muss alles wissen“, sagteder kleine Prinz. „Wieso ist dieMauer da?“

Der Fuchs fuhr fort: „EinesTages schwiegen die Geschütze.Und bald darauf kamen wiederMänner in die Wüste, diesmal mitKarten und Schaufeln. Sie suchtendie Toten und gaben, soweit esnoch möglich war, jedem ein Grabhinter der schützenden Mauer.“

Der kleine Prinz schaute auf dieKreuze. Sie flimmerten in derSonne. „Ich verstehe“, sagte er.„Mein Flieger trug auch eineUniform. Du musstest mich hierher führen.“

„Ich wollte dir nicht weh tun“,sagte der Fuchs.

„Es ist schon gut“, sagte derkleine Prinz. „Wenn ich ihn hierfinde, ist es immer noch besser, alsgar nicht zu wissen, wo er ist.“

*

Vor einem Häuschen saß einMann auf einem Stuhl in derSonne. „Wer bist du?“ fragte ihnder kleine Prinz.

„Ich warte den Friedhof“, sagteder Mann. „Ich bin der Friedhofs-wärter.“

Der kleine Prinz sah auf dieKreuze: „Ihr solltet das hier eherKrieghof nennen: Wenn ihr keineKriege führen würdet, hättet ihrkeine Höfe nötig, so viele Tote zubegraben.“

Der Wärter schwieg. Er schautehinaus auf das Feld.

„Von denen hier“, sagte derWärter, „habe ich viele gekannt.Da war kaum einer, der den Kriegwollte. Sie hatten Frauen undKinder daheim, und Mütter und

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Väter. Sie wollten in Friedenleben, sonst nichts.“

„Warum haben sie dann nichtFrieden gehalten?“ fragte derkleine Prinz. „Auf meinem Sternhat es noch nie Krieg gegeben.“

„Dein Stern ist sehr klein“, sagteder Wärter, „und du bist dort fastallein. Wenn man fast allein aufeinem Stern ist, ist es nicht ganz soschwer, Frieden zu halten.“

*

Unversehens standen Männer inschwarzen Burnussen im Torbo-gen, düstere Gestalten, allen voranein Greis mit wallendem Bart.Ohne sich umzusehen schritten sie geradewegs zu den Gräbern.Den meisten blitzte Zorn aus denAugen, nur der Greis wirkte ruhigund gelassen.

Er führte die Gruppe mitten aufdas Gräberfeld. Dort verharrtendie Männer, die Blicke finster aufdie aufragenden Kreuze gerichtet.

„Wer ist das?“ fragte der kleinePrinz.

„Das ist Scheik Mahmud, derHerrscher aller Stämme hier in derGegend, mit seinen Stammes-führern“, sagte der Wächter. „Erkommt öfter hierher. Die einensagen, er sei wunderlich, die ande-ren sagen, er sei weise.“

„Was tun sie da?“ fragte derPrinz.

„Ich denke, es hat wieder ein-mal Streit zwischen den Stämmengegeben“, antwortete der Wächter.„Die Anführer sind wilde, gefähr-liche Kerle, die gelernt haben,auch kleinste Beleidigungen mitBlut auszuwaschen. Aber ScheikMahmud erlaubt ihnen nicht, einenKampf zu beginnen, bevor sienicht einen halben Tag hier vorden Gräbern verbracht haben.“

Schweigend schauten der kleinePrinz und der Wächter auf dieschwarzen Gestalten im Sand vorden Kreuzen. Die Sonne wanderteund brannte auf sie herab, aber siestanden so still wie die Kreuze.

Endlich reichte einer seinemNachbarn die Hand. Da umarmtenauch die anderen sich und knieten

vor ihrem Scheik nieder und küss-ten ihm die Hände. Es fiel keinWort. Plötzlich, wie sie gekommenwaren, verschwanden sie wieder,und bald kündete nur noch eineSandwolke in der Ferne von demseltsamen Besuch.

Als sie hinter den Hügeln ver-schwunden waren, sagte der kleinePrinz: „Ich habe verstanden. DieKreuze müssen hier stehen. Dashier ist ein Krieghof, der jetzt erstnach Jahren zum Friedhof wird.“

*

„Du bist gekommen, um mitmeinen Toten zu sprechen“, sagteder Wärter. „Nein“, erwiderte derkleine Prinz.

„Ach ja“, sagte der Wärter, „ichvergesse, dass du ein Reisenderbist. Wann weiß schon ein Reisen-der vor dem Ende seiner Reise,warum er gekommen ist.“

Sie gingen über das Gräberfeld.Im Licht der untergehenden Sonnewurden die Schatten der Kreuzegroß und nahmen Gestalt an. Mehrund mehr kam es dem kleinenPrinzen vor, als stünden da nichtKreuze, sondern Hunderte vonMännern, hoch aufgerichtet mitdunklen, wachsamen Augen-höhlen.

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„Du siehst sie auch“, sagte derWärter. „Ich sehe sie,“ sagte derkleine Prinz, „sie sehen aus, alswarteten sie auf etwas.“

„Sie warten darauf, gesehen zuwerden“, sagte der Wärter, „abernicht oft kommt einer hier her.“

„Warum warten sie, dass einersie sieht?“ fragte der Prinz.

„Mancher, der sie sieht, hört sieauch“, antwortete der Wärter. „Sie

wollen, dass man ihre Botschafthört.“

„Was haben sie denn für eineBotschaft?“ fragte der Prinz. DerWärter sah ihn an. „Du wirst esheraus finden“, erwiderte er. „Dubist einer von denen, die sie hören.“

*

„Mein Flieger ist nicht dabei“,sagte der kleine Prinz. „Er kannnicht dabei sein,“ sagte der Wärter,„er kämpfte auf der anderen Seite.Aber die hier sind seine Brüder.“

„Er war ihr Bruder?“ fragte derkleine Prinz. „Und doch haben siegegen einander gekämpft?“

„Sie waren alle Brüder“, sagteder Wärter, „sie wussten es nurnicht.“

„Was weißt du von meinemFlieger?“ fragte der kleine Prinz,als sie in der Dämmerung vor demHaus saßen. Er sah sehr müde undblass aus.

„Ich weiß nur, dass er einesMorgens mit seiner Maschine zueinem Flug über das Meer auf-stieg. Er kam nicht zurück. Mansuchte nach ihm und fand ihnnicht. Das ist alles, was ich weiß“,sagte der Wärter.

„So hat er kein Grab wie diehier?“ fragte der kleine Prinz.

„Nein,“ sagte der Wärter, „dashat er nicht.“

Der kleine Prinz stand auf.Wortlos wanderte er in die Nachthinaus.

„Er sollte hierbleiben“, flüsterteder Fuchs. „Ich habe Angst umihn.“

„Lass ihn gehen“, sagte derWärter. „Er sucht einen Ort, seinHerz auszuschütten.“

„Aber ich habe Angst um ihn“,sagte der Fuchs. „Er ist so klein,und die Nacht kommt hier immerso schnell.“

„Er trauert“, sagte der Wärter.„Und jeder Trauernde brauchteinen Ort für seine Trauer. Hätteder Flieger ein Grab, dann fändeder Prinz dort den Ort für seineTränen. Weil er aber nicht weiß,wo der Flieger liegt, irrt er jetzthinaus in die Wüste.“

„Ich mache mir Sorgen“, sagteder Fuchs. „Lass ihn gehen“,wiederholte der Wärter. „SeinSchmerz begleitet und behütet ihn.Er wird den Ort finden.“

*

Sie warteten lange. Der Wärterging ins Haus, und der Fuchs bliebsitzen und starrte ins Dunkel. Erhört das Scharren von Schuppen

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Geschichten von Eva K

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über den Sand und wusste,dass die Schlange gekom-men war.

„Was tust du hier,Fuchs,“ sagte die Schlange,„das ist kein Ort für dieLebenden in der Nacht. Nurdie Toten, der Tod und ich,die ich den Tod bringe,dürfen nachts hier sein.“

„Ich warte auf den klei-nen Prinzen“, sagte der

Fuchs. „Er ist fort-gegangen, um seinenFlieger zu betrauern,der kein Grab hat.“

„Wozu braucht erein Grab?“ fragte dieSchlange. „Wir Schlan-

gen sterben, undSand und Windverwehen unsereGebeine. Das istgenug.“

„Ihr Schlangenseid kalt“, sagteder Fuchs. „Ihrlebt, von allen ge-

hasst, und sterbt,von allen vergessen. Ihrwerdet es nie verstehen,warum einer ein Grabbraucht.“

Vorsichtig sah der Fuchssich um. Er wartete auf ein

wütendes Zischen der Schlange.Aber in der Schwärze der Nachtwar nichts zu sehen oder zu hören.Die Schlange hatte sich entfernt.Lautlos wie der Tod glitt ihr Schat-ten über die Sandhügel davon.

*

Im Morgengrauen sahen sie denPrinzen bei den Gräbern. Er saßauf einem Stein. Sein Gesicht warimmer noch bleich, aber dieRötung um die Augen ging schonzurück.

„Wann bist du gekommen?“fragte der Fuchs. „Ich habe dichnicht durchs Tor gehen hören.“

„Ich weiß nicht“, antwortete derPrinz, „aber die Schlange warnoch da, als ich kam.“

Als die Sonne höher stand,wanderten sie zum Brunnen. „Ichhabe mit der Schlange gespro-chen“, sagte der Prinz. „Ich werdenoch heute abend zurück reisenauf meinen Stern. Du weißt, dieRose erwartet mich.“

„Es ist wohl sehr schön dort beideiner Rose“, sagte der Fuchs undschniefte dabei ein wenig.

„Durchaus nicht immer“, sagteder Prinz. „Oft mäkelt sie herum,will dies und will das und weißalles besser und früher.“

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„Und dochgehst du zu-rück?“ fragte derFuchs.

„Sie ist eineRose“, erklärteder Prinz, „undsie liebt mich.Rosen sind so.Sie sind sehrstolz und habengewaltige Angst,

mit gewöhnlichen Blumen ver-wechselt zu werden. Also müssensie ständig ihre Dornen zeigen,und besonders dann, wenn sielieben. Es ist eben manchmaletwas anstrengend, von einer Rosegeliebt zu werden.“

„Und doch gehst du zurück?“wiederholte der Fuchs.

„Ich liebe sie“, sagte der Prinz.„Sie ist meine Rose.“

„Und warum liebst du sie?“fragte der Fuchs.

„Ich weiß nicht“, antwortete derPrinz. „Wohl weil ich der einzigebin, der in ihr verletzliches Herzsehen kann.“

*

Kurz vor dem Brunnen stolper-te der Fuchs über einen Schrap-nellrest, der noch aus dem Sand

ragte. „Verstehst du, warum dieMenschen Kriege führen?“ fragteer den Prinzen.

Der Prinz setzte sich in denSchatten des Brunnens. Er nahmeine Handvoll Sand auf und ließsie langsam durch die Fingerrinnen.

„Dieser Sand war einmal Fels“,sagte er. „Es hat unvorstellbarlange gedauert, bis Sonne, Wasserund Wind die Felsen zermürbenkonnten. Aber es ist ein Gesetzdieser Erde: Fels wird zu Steinund Stein wird zu Sand. Und so istes auch mit den Herzen der Men-schen: Heute sind sie noch hartund voll von Bösem. Aber dasBöse ist nicht von Dauer. Es istauch Gutes in den Herzen derMenschen, und die guten Gedan-

ken sind stark wie Sonne, Wasserund Wind. Und sie tun ihr Werk:zuerst fast unmerklich, aber dochmehr und mehr, und es kommt derTag, an dem das Böse zerrinnt undFriede wird, wo vorher noch Kriegsein konnte.“

„Woher weißt du das?“ fragteder Fuchs.

„Sie haben es mir gesagt“, gabder Prinz zur Antwort.

„Wer hat es dir gesagt?“ fragteder Fuchs.

„Die in den Gräbern dort hinterder Mauer, heute nacht, als ich beiihnen wachte“, sagte der Prinz.

„Weißt du“, fuhr er fort, „siestehen nachts auf. Dann sind siealle beisammen, alle, die früherFeinde waren und jetzt endlichBrüder sind. Sie kommen vonüberall her, von allen Orten, wosie gestorben sind. Mein Fliegerwar auch dabei. Er war es, der mirerklärte, dass einmal der Tagkommt, an dem alle Menschenwissen werden, dass sie Brüdersind.“

„Und wann wird das sein?“fragte der Fuchs.

„Das eben wissen sie nicht“,sagte der Prinz. „Und deswegenstehen sie jede Nacht auf undsehen nach, wie weit es schon istmit dem Frieden.“

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Der Fuchs sah den Prinzen an.Er zögerte, als er fragte: „Daskann wohl noch lange dauern?“

„Nicht so lange, wie es dauert,bis Fels zu Sand wird“, gab derPrinz zur Antwort. „Denn dieguten Gedanken sind stärker alsalles auf dieser Welt.“

*

Als die Sonne unterging, saßensie auf einem Felsen draußen inder Wüste. „Es ist Zeit, Abschiedzu nehmen,“ sagte der kleinePrinz, „die Rose wartet auf mich.“

„Du hast vergessen, mir deinenStern zu zeigen“, rief der Fuchs.„Jetzt werde ich, wenn ich zumNachthimmel aufschaue, nichtwissen, wo ich dich suchen kann.“

„Es ist jetzt keine Zeit mehr,“sagte der kleine Prinz, „ich höredie Schlange kommen, es ist soausgemacht. Sie ist pünktlich. Duweißt doch, dass nur das Gift derSchlange mir helfen kann, aufmeinen Stern zurückzukehren.Mein Körper wäre sonst zu schwerfür die Reise.“

„Wirst du zurückkommen?“ riefder Fuchs dem Prinzen nach, alsdieser ein paar Schritte voraus ging.

„Bleib ein Stück zurück“, sagteder Prinz, „die Schlange ist

tückisch.“ Dann hörte man nichtsmehr, nur ein rasches Scharrenvon Schuppen über den Sand undeinen Fall, leicht wie den einesBlattes vom Baum.

„Sag mir, wo dein Stern ist“,rief der Fuchs noch. Doch es kamkeine Antwort mehr.

*

Der Fuchs schaute auf zu denSternen. Ihm war kalt. Sein altes,graues Fell sträubte sich im Nacht-wind. Die Wüste war leer und kaltwie noch nie.

„Er wird wiederkommen“, sagteplötzlich eine Stimme. Es war die Blindmaus. Sie hatte sich ge-nähert, ohne dass der Fuchs siegehört hatte.

„Ich kann es nicht glauben“,sagte der Fuchs. „Er hat mir nichteinmal mehr seinen Stern gezeigt.“

„Doch,“ beharrte die Blind-maus, „er wird wiederkommen.Bis jetzt sind noch alle zurück-gekehrt, die mit den Toten gespro-chen haben. Er wird zurückkehrenund nachts mit den Toten dortwachen und sehen, wie weit esschon ist mit dem Frieden.“

Der Fuchs hatte sich abge-wandt. Er wollte nicht, dass dieMaus ihm ins Gesicht sah. Siehatte es aber doch bemerkt.

„Fuchs, du weinst ja!“ rief dieMaus.

„Unsinn“, knurrte der Fuchs.„Füchse weinen niemals.“

Hastig fuhr er sich mit der Pfoteüber die Augen und starrte tränen-blind auf zu den Sternen. Er sahfast nichts: Die Tränen brachendas Licht und veränderten es. Undplötzlich blinkte, mitten in einerdicken Träne, ein Stern auf: einStern, heller als jeder andere.

„Sein Stern“, rief der Fuchs undtanzte wie wild im Kreis. „Siehstdu ihn, Maus? Da ist er, seinStern. Nun weiß ich, dass erzurückkehrt.“

„Ja“, sagte die Maus langsam.„Da ist er, sein Stern. Er warschon da, aber erst unter Tränen

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konntest du sehen, was der Prinzdir noch sagen wollte: dass derTod nicht alles beendet, sonderneigentlich Anfang ist.“

*

Schuppen kratzten über denSand. Aus dem Dunkel der Nachtkam die Schlange. „Komm nur“,sagte der Fuchs, „ich fürchte dichnicht.“

„Du weißt, dass ich jetzt geradekein Gift habe“, sagte die Schlan-ge.

„Das auch“, entgegnete derFuchs, „aber das ist es nicht.“

„Was ist es dann?“, fragte dieSchlange. „Ich weiß nun, dassimmer dann, wenn die Nacht amdunkelsten ist, ein Stern für unsaufgeht“, sagte der Fuchs.

A n m e r k u n g e n

Wer den „Kleinen Prinzen“ vonAntoine de Saint-Exupéry kenntund liebt, wird zunächst er-schrocken sein, wenn jemand sicherkühnt, diese Erzählung „fortzu-schreiben“; denn dieses literari-sche Kunstwerk ist ein unverän-derbar gültiges Dokument. DieSchlichtheit und die Prägnanzseiner Sprache, die Klarheit seinesAufbaus und seine metaphorischeDichte verleihen ihm den Rangliterarischer Einmaligkeit; mehrnoch: Es ist ein eindringlicherAppell zur Besinnung auf dieGrundwerte der HUMANITAS -jenseits aller räumlicher undzeitlicher Akzidenz.

Die Verfasserin des hier vor-gelegten Textes ist dieses Wagniseingegangen - gewiss nicht, umExupéry zu „aktualisieren“ odersonst in einer wie auch immergearteten Absicht zu erweiternoder gar zu verbessern. Was sie inallem Respekt vor dem WerkExupérys versucht, ist eine An-näherung durch Schreiben, durcheigenes Gestalten. Sie lässt sichauf diesen Dichter ein: nicht imi-tativ, nicht durch bloßes Nach-ahmen von Sprachduktus underzählerischer Grundhaltung,

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„Da weißt du schon etwas!“,höhnte die Schlange.

„Ja“, sagte der Fuchs. „Und ichweiß auch, dass der Tod nicht allesbeendet, sondern eigentlich An-fang ist.“ Er wartete, aber es kamkein Zischen als Antwort.

Der Fuchs stand auf. Mutigerdenn je nahm er eine Pfote vollSand und warf ihn in Richtung derSchlange.

„Hörst du“, rief er laut hinausin die Nacht, „Sand war Fels undFels wird Sand! Und das Böse, dasheute geschieht, ist nicht von Dau-er. Zerrinnen muss es wie Sand,irgendwie, irgendwann, weil dieguten Gedanken ihr Werk tun.“

Er horchte ins Dunkel.„Sie ist weg“, sagte die Blind-

maus und lachte ein wenig. „Siegeht immer, wenn man die Wahr-heit sagt.“

Sie schwiegen.Und über der Wüste strahlte der

Stern des kleinen Prinzen, leuch-tete heller als jeder andere, blinkteund glitzerte und versprühte seinLicht wie sonst keiner unter denvielen.

***

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sondern in lebendiger, produktiverWeise. Sie nimmt die Erzählele-mente Exupérys auf und führt siein einer Weise fort, in der inkeinem Moment der GrundsatzExupérys aus dem Blickfeld gerät,und in der sich gleichwohl dieVerfasserin als eigenständiggestaltende Autorin einbringt.

So ist ein Text entstanden, indem eine Antwort auf die Fragenach dem Sinn des Bewahrens derErinnerung an die unzähligenGefallenen der Kriege gegebenwird. Es ist die Mahnung, ausihrem Schicksal eine Lehre zuziehen: den Frieden zu wahren undden Krieg als trügerische „ultimaratio“ der Konfliktlösung zwischenMenschen und Völkern zu ächten.

Z u r E r z ä h l h a n d l u n g

Der kleine Prinz kehrt auf dieErde zurück, um „seinen“ Flieger,den Freund seines ersten Wüsten-aufenthaltes, zu besuchen. Doch inder Zwischenzeit war der Kriegüber die Erde gezogen: SeinFreund von einst zählt zu den Op-fern. Der kleine Prinz setzt sich inDialogen, die er mit „alten“ Freun-den, dem Fuchs und der Schlange,führt, mit dem Phänomen „Krieg“

auseinander. Er begegnet Men-schen, die das Ihre tun, die Erin-nerung an das Geschehene zubewahren (den Wächter) ... unddie aus dem Vergangenen eineMaxime für ihr Handeln in derGegenwart abgeleitet haben (denScheik Mahmud) ...

D i e A k t e u r e

Der kleine Prinz:Unverändert in seinen Zügen

taucht er in das Geschehen ein:offen, fragend, bereit zum Staunenund zum Lernen; unbeeindruckbarvon Denkschablonen, nicht bereit,Beschwichtigungen als Antwortengelten zu lassen: Kind in ungeheu-rer Ernsthaftigkeit und äußersterKonsequenz.

Die Rose:Auch sie unverändert: In der

Liebe sicher, in der Bindung zum„Kleinen Prinzen“ wie selbst-verständlich lebend und dochunverwechselbar „einzig“.

Der Fuchs:Er bleibt der wissende Wüsten-

führer: Er zeigt, erklärt, rät; als Rat-geber und Freund bleibt er dem Her-zen des Kleinen Prinzen am engsten

verbunden; er wahrt Geheimnisse,und er vermag sie zu offenbaren.

„Mein Flieger“In dieser Gestalt setzt die Auto-

rin dem Ich-Erzähler des „KleinenPrinzen“ ein literarisches Denk-mal: Er lebt in den Erinnerungenseiner Freunde fort, er dauert fortin den Mahnmalen für die unzäh-ligen, namenlosen, vom gleichenSchicksal gezeichneten Kamera-den. Auch als Nicht-Handelnderbleibt er stets gegenwärtig.

Scheik Mahmud:Er steht in der Erzählung für

diejenigen, die die Botschaft derKreuze verstanden haben - und siein ihrem Handeln beherzigen: Siestiften und bewahren den Frieden.

Der Wärter:Auch er: Jemand, der begriffen

hat, der weiß, warum die „Kriegs-höfe“ von einst zu „Friedhöfen“werden müssen. Wie Mahmudkennt er den Weg zu diesem Ziel.

Die Schlange:Wie in der Erzählung Exupérys

steht sie für das Böse, für den Tod -der gleichwohl zum Leben gehört ...

Erich Geibert

D i e R ü c k k e h r d e s k l e i n e n P r i n z e n

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Es war einmal eine Grenze, unddiese Grenze war kahl und öd.Nichts wuchs auf ihr, nicht eineinziger Grashalm, und die Vögelmieden diesen Ort.

Links und rechts der Grenzeaber blühte und grünte es. Dawaren Gärten mit Rosen undLevkojen und Sonnenblumen undKapuzinerkresse, üppig und

strotzend von Leben und säuber-lich gepflegt.

Im Garten links der Grenzewohnte Monsieur Dupont und im

Garten rechts der Grenze HerrMeier.

Monsieur Dupont kannte HerrnMeier, und Herr Meier kannteMonsieur Dupont. Und wenn siesich samstags bei der Gartenarbeitsahen, dann winkte MonsieurDupont und rief herüber:

„Bonjour, M’sieur Meier!“ undHerr Meier winkte zurück und riefhinüber: „Guten Morgen, HerrDüpong!“

Das ging viele Jahre gut, trotzder Grenze zwischen den Gärten.

Im Herbst, wenn er seine Kar-toffeln erntete, versäumte HerrMeier es nie, Monsieur Duponteinen Korb voll der schönstendavon über die Grenze hinüber zureichen, und prompt ließ ihm dannjedesmal Monsieur Dupont eineSchüssel voll Birnen zukommen,die nirgendwo anders so saftig undgoldgelb reiftenwie im Gartenvon MonsieurDupont.

Eines Tagesaber zogenfinstere Wolkenam Himmel derGeschichte auf.Es gab Kriegzwischen denLändern links

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und rechts der Grenze. UndMonsieur Dupont und Herr Meiermussten in den Krieg ziehen, fortaus ihren Gärten, jeder für seinLand.

Die Gärtenverdorrten, dieRosen undLevkojen undSonnenblumenwurden vomUnkraut er-stickt, undRauch vongroßen Feuernschwärzte dieBirnbaumblät-ter und Panzer

kamen und walzten alles nieder:den Garten von Monsieur Dupontund den Garten von Herr Meier.

Als der Krieg zu Ende war,kehrten Herr Meier und Monsieur

Dupont zurück in ihre Gärten, aberdas waren keine Gärten mehr: DieErde war verbrannt und aufge-wühlt von den Panzern und allesLeben im Keim erstickt. Und auchdie beiden Männer waren nichtmehr wie sie gewesen: Herr Meierhatte im Krieg ein Bein verloren,und zwei Söhne von MonsieurDupont waren aus dem Krieg nichtwiedergekehrt.

Nach und nach machten sichMonsieur Dupont und Herr Meierwieder an ihre Gartenarbeit linksund rechts der Grenze.

Sie säten undpflanzten wieder,und wieder gedie-hen Rosen undLevkojen undSonnenblumenund Kapuziner-kresse in denGärten, aber eswar nicht mehrwie früher: KeinGrußwort wurde

mehr über die Grenze gerufen, undim Herbst wurden keine Kartoffelnund Birnen herüber- und hinüber-gereicht.

Die Männer mieden sich eher.Wenn der eine sah, dass der anderein seinem Garten arbeitete, kehrteer möglichst unauffällig denRücken oder unterließ es über-haupt, sich im Garten zu zeigen.

Auch hatten beide jetzt vielweniger Zeit, sich der Gartenarbeitzu widmen, denn jeder hatte inseinem Land nun eine wichtigeStelle einzunehmen: Herr Meierwar in dem Land rechts derGrenze Minister für Land- undGartenbau geworden und Mon-sieur Dupont General der Armeedes Landes links der Grenze.

Der Zufall fügte es aber, dasssowohl Herr Meier als auch Mon-sieur Dupont eines Tages haarge-

nau im selbenAugenblick ihrHaus verließen,in ihrem Gartenin RichtungGrenze lust-wandelten undso am Zaunzusammentrafen,dass jeder vonihnen es alsfeige empfunden

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hätte, nun den Blick zu wendenoder gar den Rücken zu kehren.

So standen sich die Männer ander Grenze gegenüber, Auge inAuge, lange Zeit reglos, überwäl-tigt von ihren Erinnerungen undstumm.

Aber plötzlich, als hätte sie bei-de ein und derselbe Blitz gerührt,schnellten ihre Hände vorwärtsund ergriffen sich. Und Tränenüberströmten die Gesichter der

Männer, die bis zu diesemMoment in allen Schrecken undLeiden vorher keine Träne ver-gossen hatten.

Und tief und brüchig wie auseinem verschütteten Schacht ka-men ihre Stimmen nach oben, und„Bonjour, M'sieur Meier!“ würgteder eine hervor, und, gleichzeitig,wenn nicht noch eher: „GutenMorgen, Herr Düpong!“ derandere.

Und im selben Moment, alssich die Hände der Männer über

der Grenze berührten und ihre Trä-nen links und rechts die Erdenetzten, geschah das Wunder: DerStumpf des alten Grenzpfahlsbegann auszuschlagen, Zweigeund Blätter zu treiben und hochaufzuschießen zu einem mächtigenBaum, der links und rechts derGrenze seine Äste tief auf die Erdesenkte.

Der Baum hörte nicht auf zuwachsen, denn Monsieur Dupontund Herr Meier kamen nun jedenTag und gaben ihm Wasser undNahrung, der eine von links derGrenze herüber und der anderevon rechts der Grenze hinüber.

Und im Herbst, als der Baumanfing, Früchte zu tragen, dakamen die Enkelkinder von HerrnMeier und Monsieur Dupont undmit ihnen noch viele andere Kin-der und kletterten in die Zweige

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und aßen vonden Früchtenund winkten undlachten sich zu,wenn ihnen derSaft der Früchteüber das Kinnlief.

Und sieholten Bretterund Stricke undbauten über der

Grenze ein Baumhaus in denBaum, in das siesich gemeinsamsetzten. Und sieluden noch andereKinder aus ande-ren Ländern einund steckten eineFahne auf ihrBaumhaus und

gaben ihm einen Namen:

„Europa“.

Und Monsieur Dupont und HerrMeier saßen oft abends gemein-sam auf der Bankim Schatten desBaumes und sa-hen den Kindernzu und warenglücklich.

Und wenn sienicht gestorbensind, dann sitzensie heute nochdort.

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In den weltabgeschiedenen, fastvergessenen Dörfern am Saum dergroßen Wälder sind die Winterlang. Und wenn dort in den tinten-blauen, schier endlosen Nächtender Schnee auf die Dächer drückt,dann rücken die Alten auf denOfenbänken zusammen und erzäh-len Geschichten, merkwürdige undmanchmal mehr als unwahr-scheinliche Geschichten von selt-samen Dingen zwischen Himmelund Erde. Die wenigen jungenLeute, die noch in jenen Dörferngeblieben sind, kennen dieseGeschichten längst alle. Sie hörenmeist weg, wenn die zahnlosenMünder der Alten wieder zubrabbeln beginnen. Aber eineGeschichte ist unter den vielen, dieauch die Jüngeren immer wiederin ihren Bann zieht. Die einennennen sie die Geschichte vomfremden Sohn, und manche auchdie Geschichte vom Holzvögel-chen, aber der Name tut wirklichnichts zur Sache, denn wenn sieerzählt wird, dann geht dieGeschichte immer gleich:

Vor dem Ersten Weltkrieg wares noch völlig klar, dass derMuschik Bauer werden sollte. Erwar der älteste Sohn eines Bauernund somit künftiger Hoferbe und

liebte von Kind auf die Bauern-arbeit so sehr, dass die Leute imDorf seinen Namen vergaßen und ihn schon als Halbwüchsigennicht anders mehr nannten als„Muschik“. Dann aber kam derKrieg. Und bis der Muschik ausder Gefangenschaft und den Wir-ren nach dem großen Umsturzheimkehrte, lebte sein Vater nichtmehr, der Hof lag in Schutt undAsche, und die Felder waren ent-eignet. Und der Muschik taugteselbst auch nicht mehr zur Bauern-arbeit. Sein Knie war zerschossen,er lahmte beim Gehen und kam anmanchen Tagen ohne Krückenkaum von der Stelle.

So gab man dem HeimkehrerArbeit als Verkäufer im dörflichenMagazin und wies ihm die letzteKate am Ende des Dorfes alsWohnstatt zu. In den Laden kamenwenig Waren und noch wenigerKunden. So hatte der Muschik vielRuhe, sich mit Schnitzen die Zeitzu vertreiben. Er fertigte Löffelund Schüsseln und allerlei Kinder-spielzeug aus Birken- und Pappel-holz und verdiente sich damitregelmäßig ein kärgliches Zubrot.Trotz seiner Armut fand derMuschik aber schon bald eine guteFrau. Sie kochte und buk undwusch für ihn und gebar ihm nach

einiger Zeit auch einen Sohn, derzur ganzen Freude des Muschiksheranwuchs. Auch die Leute desDorfes liebten den Sohn desMuschiks. Er war ein niedlichesKerlchen: Sein Haar war weiß-blond und bürstenkurz geschoren,und die alten Weiber im Dorf tatenganz närrisch mit dem Jungen.

Wenn er im Laden war und vordem Ladentisch mit Pferdchen undWägelchen spielte, dann kamensie oft zweimal am Tag um einhalbes Tütchen Tee, nur damit siedem Kleinen einmal öfter rasch imVorübergehen verstohlen über dendichten, flaumweichen Haarpelzstreicheln konnten. Als der Sohnachtzehn war, starb die Frau. Undein paar Wochen später brach derZweite Weltkrieg aus, und derSohn des Muschiks zog als einerder ersten fort, sich freiwillig zumelden.

Es war erst Spätsommer, als der frühere Starost, der seit demUmsturz amtlicherseits nur nochGemeindediener war, eines Nach-mittags in das Magazin kam. Erbrachte die Nachricht vom Todedes Sohnes des Muschiks. DerMuschik hörte den Boten an, danngab er ihm nach längerem Schwei-gen die Schlüssel des Ladens undhumpelte heim.

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Es hielt den Muschik nichtlänger im Dorf. Er band noch dieZiege los und ließ wenig späterbeim Weggang in voller Absichtdie Tür seiner Kate den Füchsenund Krähen offen. Der Staroststand mit seiner Enkelin am Zaun,als der Muschik wegging. „Wohingeht der Muschik?“ fragte dasMädchen. Der Starost sah demmühsam Weggehenden lange nachund gab endlich zur Antwort: „Erwird dorthin gehen, wo seine Frauund sein Sohn ihn erwarten.“„Aber die sind doch tot,“ entsetztesich die Enkelin. „Ja,“ sagte derStarost, „und eben deswegen willer dorthin, wo sie sind.“

Der Birkengrund hinter demDorf nahm den Muschik auf undschließlich, jenseits der Felder, einPfad durch die Schwärze desnahen Föhrenwaldes. Im Waldstand eine alte Kapelle. Früher, alsnoch ein Pope im Dorf war und esden Bauern noch erlaubt war, diekleine Kirche instand zu halten,hatte sich dort an hohen Festtagenregelmäßig viel Volk zur Messfeierversammelt. Nun aber war die Ka-pelle sehr verfallen. Der Muschikbetrat den Kirchenraum, schrittüber die verschimmelten Reste deralten Heiligenbilderwand hinwegund legte sich in entschlossener

Feierlichkeit mit Bedacht auf dieSteinfliesen vor dem Altar.

Er befahl seine Seele demHerrn und hoffte, dass die Eises-kühle des Steines nach und nach inseinen Körper eindringen, ihn läh-men und ihm jene bleierne Müdig-keit bescheren würde, die zuerstden Schlaf und zu guter Letzt denTod als dunklen, schmerzlosenBruder des Schlafes mit sichbringt. Doch der Schlaf floh denMuschik. Die Trauer brannte inseinem Herzen. Und dann begannunvermittelt auch noch sein zer-

schossenes Knie wieder einmal zuschmerzen, und vom Knie heraufdurchschüttelten den Daliegendentobende Fieberschauer, gegen de-ren Hitze die Kälte des Steinfuß-bodens keinesfalls ankommenkonnte. Stunde um Stunde bat derMuschik in jener Nacht den Herrnum Gnade des Nimmererwachens.Und Stunde um Stunde zogen dieSterne über der Kapelle ihre stilleBahn und nichts geschah.

Schon graute der Morgen überden Föhrenwipfeln, als unvermit-telt der Lärm eines Motors zur

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Kapelle herauf brummte. DasScheinwerferlicht eines Lastwa-gens stach durch die Mauerlücken,Wagentüren knallten und schwereStiefel knirschten auf dem Kies-weg längs der Kapelle, mehrmalshin- und widereilend. Plötzlichbellte ein Kommando auf undunmittelbar darauf eine Salve vonmehreren Schüssen. Es folgtennoch Geräusche dumpfen Fallensund etliche Male ein schweresPoltern irgendwo hinter derSakristei. Dann kamen die Schrittezurück und der Wagen startetedurch und entfernte sich in rasen-der Fahrt.

Währenddessen blieb derMuschik liegen, wie er lag. Erstals weit und breit nichts mehr zuhören war als das Rauschen derBäume, stand er auf und sah nach.Hinter der Sakristei war die alteAbfallgrube, in die man frühernach jeder Messe die Kerzen- undBlumenreste geworfen hatte. Nunlagen darin, nur schlecht unterReisig versteckt, vier oder fünfLeichen. Der Muschik konnte sienicht genau zählen: Die Körperbildeten ein Gewirr, aus dem selt-sam verwinkelt Arme und Beinenach allen Seiten nahezu ununter-scheidbar hervorstachen. Manhatte den Toten die Uniformen

abgenommen, aber die Hals-schnüre mit den Blechmarkenwaren noch da. So erkannte derMuschik sofort, dass die dortunten in der Grube Soldaten desFeindes gewesen sein mussten.Freischärler hatten sie wohl ir-gendwo in der Nacht aufgegriffenund dann in der Abgeschiedenheitder alten Kapelle zum Erschießenan die Wand gestellt. Den Zu-oberstliegenden hatte der Todes-schuss mitten in die Stirn getrof-fen. Der Muschik starrte auf dashässliche, kleine Pulvermal, dasdie Pistole in das graue Gesichtgeschrieben hatte. Er empfandkein Bedauern. Er dachte anseinen Sohn, und Hass würgte inseiner Kehle auf.

Einen Augenblick lang drängtees den Muschik, noch hinunter zuspucken auf das Leibergewirrunter dem Reisig. Aber da fiel eineblutverschmierte Hand aus demReisighaufen, begann zu flattern,klappte hin und her wie der Flügeleines Schmetterlings, blieb endlichzitternd stehen und wies zum Ent-setzen des Muschiks mit hoch auf-gerecktem Zeigefinger geradewegszu ihm herauf.

Der Muschik wusste späterkaum mehr zu sagen, wie er in dieGrube und wieder aus ihr heraus

gekommen war. Sicher ist nur,dass er irgendwann dann völligentkräftet Kopf an Kopf mit demHeraufgeholten auf dem Wald-boden lag. Er sah, dass der Fremdenoch jung war, kaum zwanzig. Erblickte in das blutverschmierteKnabengesicht und bemerkte mitSchaudern, dass das Haar desJungen weißblond und auch sobürstenkurz geschoren war wieehedem das seines Sohnes. Dannerst entdeckte der Muschik unterdem nachquellenden Blut die tiefeSchramme, die den Scheitel desHalbtoten überfurchte. Er riß seinHemd in Streifen und verband dieWunde, Lage um Lage, aber dieRöte schlug immer wieder durch.Es war schon fast wieder Mitter-nacht, als der Muschik mit demVerletzten in seine Hütte am Endedes Dorfes zurück kehrte. Tragenhatte der Alte den jungen, kräftiggebauten Körper nicht können. Erhatte aus der Sakristei eine deralten, teppichdicken Prozessions-fahnen geholt und die Last zueinem Bündel verschnürt hintersich herschleifen müssen, mitgrößten Mühen und vielen Pausen,den ganzen Weg durch die Wälderund über die Felder.

Mehrere Wochen ging derMuschik nicht in den Laden. Er

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pflegte den Kranken und teilte mitihm seine spärlichen Vorräte. Aberes dauerte lange, bis der Jungewieder aufrecht sitzen konnte, undnoch länger, bis er aufstehen undmit unsicheren Schritten in derHütte umhergehen konnte. Schonhingen die ersten Schneewolkenam Herbsthimmel, da kam einesTages der Starost mit mehrerenDorfbewohnern an den Zaun vordie Kate. Die Leute hatten Dresch-flegel dabei und Mistgabeln, undihre Mienen verhießen nichtsGutes. Der Muschik kam herausund trat vor die Gartentür. „Duverbirgst einen Feind“, sagte derStarost, „gib ihn heraus!“

Der Muschik sah dem Starostengeradewegs ins Gesicht. Blick inBlick standen die beiden, dannbrach der Muschik plötzlich dasSchweigen. „Geht hinein und sehtnach, ob ihr einen Feind findet,“sagte er. Die Männer drängten denMuschik beiseite und betraten dieHütte. Der junge Fremde kauerteauf einem niedrigen Schemel vordem Herd und spielte mit Pferd-chen und Wägelchen. Sein Spielnahm ihn ganz gefangen. Erschwang eine kleine Peitsche undlenkte mit großem Eifer sein kin-disches Gefährt über eine Anhäu-fung von Holzspänen. Dabei lallte

und plärrte und juchzte er abwech-selnd und nahm die Herantreten-den gar nicht wahr.

Erst als der Starost noch näherkam, schaute der Junge hoch undklammerte sich kreischend an denMuschik. Der umfaßte ihn undbarg das Gesicht des Aufschluch-zenden sorglich an seiner Schulter.Der Starost blickte auf die Jam-mergestalt. Er sah die Verstörtheitdes Jungen und sah auch, dassdem Verängstigten eine tiefe, nochkaum vernarbte Scharte über denSchädel lief. Und da begriff derStarost, dass die Narbe von einemStreifschuss herrührte, der denFremden zwar nicht ums Leben,wohl aber völlig um den Verstandgebracht hatte.

„Er ist kein Feind mehr“, sagteder Starost zu seinen Begleitern.„So wie er ist, ist er niemandesFeind mehr.“ Aber dann, zumMuschik gewandt, fuhr er fort:„Und doch kann er hier nichtbleiben. Er muss in ein Lager,sonst wird er zur Gefahr für dasganze Dorf.“ „Du weißt sehr wohl,was in den Lagern geschieht,“entgegnete der Muschik. „Er mussfort“, beharrte der Starost. „Nie-mand darf ihn hier finden. Ganzgleich, ob die unseren kommenoder die anderen: Wenn sie ihn

hier finden, dann werden wir allebestraft.“

Der Muschik drückte denJungen noch fester an sich undrichtete sich hoch auf. Dann riss ermit einem Ruck die Ikone vomHausaltar und hielt sie den Män-nern entgegen. „Ihr werdet ihn mirnicht nehmen“, rief er. „EinenSohn hat mir der Herr genommen,und einen andern hat er mir gege-ben. Den will ich behalten.“

Der Starost sah auf die Bildtafelin den Händen des Muschiks. Siewar alt und rußgeschwärzt, aber inUmrissen erkannte man daraufnoch die Gestalt eines Friedens-königs, der seine Hände segnendüber den Erdball hielt. Unsichersuchte der Starost die Blicke derDorfältesten, die mit ihm gekom-men waren. Die aber starrten wieversteinert auf die Ikone. Dannhob unvermittelt einer von ihnendie Hand und schlug nach Alt-väterweise langsam und feierlichdas große Zeichen des Kreuzeszwischen sich und dem Jungen.Und einer nach dem andern tat esdem ersten nach, und zuletzt auchder Starost. Dann verließen sieschweigend und mit gesenktenBlicken die Hütte. Der Muschikwartete noch, ob vielleicht einerzurück käme, aber es kam keiner

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mehr. Und auch am nächsten Tag,als der Muschik zum erstenmalden Jungen in den Dorfladenmitnahm, sagte keiner im Dorf einWort.

Zwar blieben die Kunden zu-nächst aus, aber nach wenigenTagen fand sich die alte Kathinka-baba, die selber drei Söhne imKrieg verloren hatte, als erste ein.Und nach und nach kehrten auchdie anderen zurück und kauftenein. Sie gewöhnten sich fast daran,dass der große fremde Junge Tagfür Tag vor dem Ladentisch saßund mit Pferdchen und Wägelchenspielte. Zu Weihnachten schenkteder Muschik dem Jungen eineFlöte. Sie brachte nur einige weni-ge Töne hervor, aber dafür war siebesonders kunstvoll geschnitzt.Der Muschik hatte ihr die Formeines Vögelchens gegeben, sierundum rabenschwarz bemalt undSchnabel und Augen mit bunterLackfarbe aufgesetzt.

Niemand wusste, wie es demMuschik gelungen war, in denüberlangen Schwanz des Vögel-chens ein Pfeifchen einzubauenund die Löcher zum Spielen zwi-schen die Flügel einzuschneiden.Zuerst pustete und pfiff der Jungenur ungeschickt auf der Flöte. Biszur Schneeschmelze bekam er das

Instrument jedoch irgendwie inden Griff. Er brachte gelegentlichTonfolgen zustande und spieltemanchmal, wenn er einen gutenTag hatte, auch ein kleinesfremdartig klingendes Lied, daskeiner im Dorf je gehört hatte.

Von da an ging der Junge nieohne seine Holzflöte aus. Undweil er keinen Namen hatte, fiel esden Leuten ein, ihn einfach nachseiner Flöte zu nennen. „Holz-vögelchen“ riefen sie ihn, und derJunge hörte darauf und kamjedesmal lachend und ungelenkangestürmt, wenn einer ihn beidiesem Namen rief. Bis zumSommer war es den Leuten schonganz zur Gewohnheit geworden,dass Holzvögelchen allen altenWeibern die Einkaufstasche nachHause trug. Meist bekam er zurBelohnung ein Zuckerchen. Dasschleckte er oft gleich vor derHaustür und spielte dann artig zumDank auf der Flöte noch schnellsein einziges Lied.

Der Tag, an dem die drei ge-panzerten Wagen ins Dorf einfuh-ren, war ein warmer Sommertag.Der Muschik kramte irgendwoweit hinten im Warenlager undhörte und sah nicht, was auf derStraße vorging. Holzvögelchenwar eben von einer Besorgung

zurückgekehrt und saß vor derLadentür, als die Wagen mitten aufdem Dorfplatz hielten. Die Wagen-türen gingen auf und Männer inden gefürchteten feindlichenUniformen sprangen heraus. DieEinheimischen begriffen sofort,worum es ging. Sie eilten in dieHäuser und versteckten dort inWindeseile sich selbst mitsamtallem Ess- und Trinkbarem in denKellerlöchern unter den Boden-dielen.

Holzvögelchen blieb sitzen. Erlutschte an einer Zuckerstange undhielt wie immer seine Holzflöte inder Hand. Einer der Uniformier-ten, ein junger Mann, dem trotzdes Gewehrs in der Hand nochAngst und Unsicherheit aus denAugen schauten, ging auf denLaden zu. Holzvögelchen sah ihnkommen. Er erblickte die Uniformund die Waffe und plötzlich flogetwas wie ungläubiges Staunenund jähes Erinnern an längst Ver-gessenes über sein Gesicht. Ersprang auf und lief, die Flöteimmer noch in der Hand, mit vor-gestreckten Armen auf den Solda-ten zu. Der sah das schwarz glän-zende, langgestreckte Ding in derHand des Jungen, hielt es für einePistole, riss das Gewehr hoch undschoss augenblicklich. Die Garbe

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aus nächster Nähe schlug Holz-vögelchen in die Luft und ließ ihnfast auf der Stelle niedersacken.

In diesem Moment rannte derMuschik aus dem Laden und warfsich über den Jungen. Er wollteihn mit seinem Körper decken,aber es war schon zu spät. Nocham Boden liegend hob derMuschik die Flöte auf und hielt siein brüllend verzweifelter Anklagedem fremden Soldaten entgegen.Der feuerte abermals, und dannwurde es sehr still auf dem Platz.Auf die Schüsse hin kam der Kom-mandierende des Trupps herbei

und nahm dem toten Muschik daskleine schwarze Vögelchen aus derHand. Er drehte und wendete eslange und warf es urplötzlich ange-widert in den Staub. Dann schnell-te er auf dem Absatz herum, gabdas Zeichen zum Sammeln, und esdauerte kaum eine Minute, bis dieWagen weit hinter dem Dorf in derKurve zum Birkenwäldchen ent-schwanden.

Man bahrte die beiden Toten inder Kate des Muschiks auf. Einerder Leichenträger nahm die Ikonemit dem Christkönigsbild von derWand und stellte sie zwischen

Kerzen auf die obereKante des Toten-brettes. Der Starosthielt die Totenwache.Er muss dabei wohleingenickt sein, dennauf einmal überkamihn ein Traum: Ersah die Welt imKrieg. Sie war einTotenhaus und davorein riesiges Gräber-feld, auf dem an un-zähligen GräbernMütter und Väter denTod ihrer Söhne be-weinten. Und dannsah der Starost ganzweit vom anderen

Ende des Feldes her den Muschikkommen. Zwei Söhne begleitetenihn, und es war in der Ferne kaumauszumachen, welcher der echteSohn war und welcher der ange-nommene. Sie waren sich so ähn-lich, dass der Starost erst beimNäherkommen in dem Sohn zurLinken Holzvögelchen erkannte.Er hatte seine Flöte dabei undspielte darauf sein kleines, klagen-des Lied. Und die Flöte klang sohell und so zwingend, dass dieMütter und Väter die Köpfe hobenund aufstanden und sich über dieGräber hinweg die Hände reichten.Und sie schlossen sich hinter demMuschik und seinen Söhnen zueinem mächtigen Zug, der denErdkreis füllte und unaufhaltsamvoran schreitend sämtliche Gräbenund Dämme zwischen den Völ-kern überwand. Der Starost konntesich kaum satt sehen an dem Wun-derbild des Traumes.

Er wollte hinzu treten und sicheinreihen in den unendlichen Zug,aber da fiel mit plötzlichem Ge-polter eine Kerze vom Totenbrett,und der Starost erwachte. Nochvöllig benommen von seinemTraum richtete der Starost die Ker-ze auf und entzündete sie aufsNeue. Dann setzte er sich wiederund wartete, aber der Traum

Lied des HolzvögelchensEs fiel ein Reif in der Frühlingsnacht. Er fiel auf zarte Blaublümelein. Sie sind gestorben, verdorben. Sie sind gestorben, verdorben.

Ein Sohn war seinen Eltern lieb. Er musste fortziehen in den Krieg. Er ist gestorben, verdorben. Er ist gestorben, verdorben.

Ach weint, ach weint, Ihr Eltern mein, denn Euer Sohn kommt nimmer heim. Ich bin gestorben, verdorben. Ich bin gestorben, verdorben.

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kehrte nicht zurück. Es blieb ganzstill in dem Raum und die Kerzenbeschienen, nun ohne zu flackern,für den Rest der Nacht die blei-chen, im Tode seltsam gelöstenGesichter des Muschiks und seinesfremden Sohnes.

So endet die Geschichte vomMuschik und dem Holzvögelchen.Die alten Leutchen in den weltab-geschiedenen Dörfern, die dieseGeschichte immer wieder erzäh-len, schwören Stein und Bein, dassjedes Wort an ihr wahr sei. Undsie behaupten auch, dass man ingewissen Sommernächten manch-mal den Klang der Holzvögelchen-flöte über den Wäldern hörenkönne.

Die jungen Leute in den Dör-fern haben da ihre Zweifel. Sieglauben nicht so recht an die Er-zählungen von seltsamen Dingenzwischen Himmel und Erde. Aberwenn dann ab und zu aus allerWelt Nachrichten kommen, dassMütter und Väter ihre Söhne vonden Aufmarschlinien zurückholen,damit sie nicht leichtfertig auf dieSöhne anderer Väter und Mütterschießen, dann kommt es schonvor, dass der eine oder der andereins Nachsinnen kommt, besonderswenn der Winter lang ist und der

Schnee in den tintenblauen, schierendlosen Nächten schwer auf dieDächer drückt.

N a c h w o r t

Normalerweise übersetzt manheute das Wort „Muschik“ mit„Bauer“. Im Ursprung des Wortesbedeutet jedoch „Muschik“ nichtsanderes als „kleiner Mann“. Essetzt sich zusammen aus demslawischen Stammwort „muz“ =„Mann“ und der nachgestelltenVerkleinerungsform „-ik“. Erst imRussland der Zarenzeit wurde dasWort zum Spottwort der Groß-grundbesitzer für ihre Kleinbau-ern: Die Muschiks waren für ihreFeudalherrn nichts weiter als„Männchen“, menschliche Pea-nuts, die man auf dem Schachbrettder großen Geschäfte und Kriegebeliebig verschachern konnte undauch ganz gewohnheitsmäßig zum„Bauernopfer“ in die ersteSchlachtreihe stellte.

Ausgehend von dieser Wort-bedeutung ist die Geschichte vomMuschik als Geschichte des klei-nen Mannes in den großen feind-lichen Auseinandersetzungen derMachthaber schlechthin zu lesen:Sie ist die Geschichte des „Bäuer-

leins“ und der Söhne aller„Bäuerlein“ im Irrsinn des einenoder anderen Krieges.

Es war das Motiv vom „Irrsinndes Krieges“, das mich beimfreien Erfinden dieser Geschichteleitete. Der Irrsinn des Kriegeswar darzustellen, jener Irrsinn, deralles Sinnige ins absolut Wider-sinnige verkehrt: Glück kehrt erum in Unglück, Recht in Unrechtund Unschuld in Schuld. DerJunge stirbt im Irrsinn des Kriegeswie Gras im Feuerofen, und derAlte, der unter Qualen den Todherbei sehnt, kann nicht sterben.Der Lebensretter, der einen einzi-gen Fremden rettet, gefährdet mitseiner Tat seine sämtlichen Dorf-genossen. Alle „Normalen“ habenFeinde, und nur der „unnormal“Irrsinnige ist niemandes Feind.Der junge, ängstliche Soldat aufdem Dorfplatz schießt in vermeint-lich gerechter Notwehr underschießt statt eines Feindes einenFreund und dessen Retter. Und dasunschuldigste aller Spielzeuge, diekleine Holzflöte in Form einesTäubchens, wird, weil sie schwarzist und umgekehrt gehalten wird(in der widersinnigen Verkehrungdes Krieges, die selbst das Symbolder weißen Taube umkehren kann)zum Trugbild einer zum Angriff

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erhobenen Pistole und damit zumAuslöser einer Katastrophe, die alsersten den trifft, der eben imAugenblick des Geschehens ausdem Irrsinn seiner Umnachtung indie Ahnung seiner früheren Reali-tät zurückkehrt.

In Konsequenz zu diesemdurchgängigen Irrsinn-Motivmusste ich ans Ende der Geschich-te des kleinen Mannes eine schein-bar ebenso irrsinnige Utopiesetzen: in dem Traum am Ende derMuschik-Geschichte verwischensich die Grenzen des Vernünftigen,die widersinnige Formulierungvom „fremden Sohn“ wird zumsichtbaren Sinnbild dafür, dass derIrrsinn des Krieges wahrscheinlicherst dann überwunden werdenkann, wenn ihm eine Irrealitätentgegen gesetzt wird, die allerbisherigen „vernünftigen“ Realitätdes Meinens widerspricht.

Weil ich irgendwie einen Ortund eine Zeit für die Geschichtevom Muschik wählen musste,habe ich sie in Rußland in der Zeitvor 1945 angesiedelt. Gemeint istsie aber eher zeitlos, denn ich habesie im ersten Jahr des letzten Krie-ges zwischen Serben und Kroatengeschrieben. Ich war damals sehroft in Gedanken bei meinen Freun-den in Kroatien und wartete unge-

duldig darauf, dass die Mächtigender heutigen Welt diesen irrsinni-gen Krieg nicht länger duldenwürden. Die Vorstellung, dass inallen Augenblicken meines War-tens auf kroatischer wie auf serbi-scher Seite wieder einmal unzähli-ge Söhne sinnlos verbluteten,drehte sich in meinem Kopf immerwieder im Kreis, durchmischt mitWortfetzen aus dem slawischenSprachraum, dem Kroaten wieSerben gleichermaßen angehören.So war mir damals gar nichts an-deres möglich, als eine Geschichteim slawischen Kolorit zu schrei-ben, quasi als Denkmal für dieSterbenden in der Ferne.

Und mit dem Traum am Endeder Geschichte habe ich all jenenkroatischen Müttern ein Denkmalsetzen wollen, die zur Zeit derEntstehung der Geschichte untergroßen Gefahren für die Verbreite-rinnen in vielen serbischen Städtenein Flugblatt absetzten, in dem miteinem Gruß an alle serbischenMütter und Väter stand: „Lasst unsdoch lieber statt BegräbnissenHochzeiten vorbereiten für unsereSohne.“

Augsburg, im Frühjahr 1998Eva Köberle

V e r l e t z l i c h e r F r i e d e

Die Geschichte vom „Holz-vögelchen“ macht die Frage nachSiegern und Besiegten ebensonebensächlich wie die Frage nachdem, der „im Recht“ ist. In ein-dringlicher Weise wird hier bei-spielhaft aufgezeigt, wie verletz-lich der Friede ist und dass immerMenschen die Verlierer sind.

Kinder und Jugendliche könnendurch diese Geschichte zur Ein-sicht geführt werden, dass nur dasbedingungslose Eintreten für denanderen, gleich welcher Nationa-lität, Hautfarbe oder Religion undunabhängig davon, auf welcherSeite dieser andere vorher stand,den Kreislauf der Gewalt zudurchbrechen vermag.

Prof. Dr. Jürgen Zöllner,Minister für Bildung, Wissenschaft

und Weiterbildung des LandesRheinland-Pfalz (1998)

K o m m e n t a r

Was erwartet ein Leser voneiner Geschichte, die so beginnt:„In den weltabgeschiedenen, fastvergessenen Dörfern am Saum dergroßen Wälder sind die Winter

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lang ...“; was kann er in einer Ge-schichte erfahren, die so ausklingt:„..., besonders, wenn der Winterlang ist und der Schnee in dentintenblauen, schier endlosenNächten schwer auf die Dächterdrückt“?

Er kann eine eher behagliche,volkstümliche Erzählung erwarten,die eine Episode im Leben ein-facher Menschen aufgreift undentwickelt, eine Episode aus demLeben von Menschen, die in„ihrer“ Ordnung leben, von Men-schen, deren Lebensrhythmus vomunabänderlichen Wandel der Jah-reszeiten bestimmt wird: Der Sohndes Bauern wird wieder Bauer, dieObrigkeit steht auf der Seite derLeute in ihrem bäuerlichen Le-benskreis: der Gute wird belohnt,der Böse findet seine Strafe ...

Dennoch, die Geschichte istkeine Kalendergeschichte, auchwenn sie in der Erzählertraditiondieser volkstümlichen Form steht;sie ist schon gar keine „Heile-Welt-Geschichte“, in der aufwunderbare Weise eine verletzteOrdnung wiederhergestellt wird ...

Nein, der Sohn des Bauern wirdnicht wieder Bauer. Ein fernerKrieg (der Erste Weltkrieg), einpolitischer Umsturz (die Oktober-revolution) machen dies unmög-

lich ... Lakonisch wird festgestellt:„Man wies ihm die letzte Kate amEnde des Dorfs zu“.

Der jähe Wechsel in denLebensumständen löst keine Auf-lehnung aus; er wird hingenom-men - wieder scheint die „heileWelt“ als Möglichkeit auf. Derzum Verkäufer gewordene Bau-ernsohn (der „Muschik“) heirateteine „gute Frau“, die ihm einenvon allen geliebten Sohn gebiert ...

Aber auch dieser neue Ansatzwird vernichtet: Der herangewach-sene Sohn stirbt in einem neuer-lichen fremden Krieg (dem Zwei-ten Weltkrieg).

Nur durch eine besondereFügung gelingt es dem Muschik,sich noch einmal aus der tiefenVerzweiflung zu retten: Er nimmteinen verletzten jungen Soldatendes Feindes an Sohnes Statt an,und es gelingt ihm wieder, in einerallseits „unheilen Welt“ Ordnungund Menschlichkeit zu setzen ...

Aber die Maschinerie der Zer-störung wird nicht aufgehalten:Der Feind tötet den ihm fremdgewordenen Kameraden, auch derMuschik wird in einer beiläufiganmutenden Weise erschossen ...

Aber: Der Muschik erhält überseinen Tod hinaus seinen Mitmen-schen die Möglichkeit der Utopie,

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ohne die Leben nicht möglich ist:Den Traum vom Frieden vonAussöhnung, von Vergebung.

Und wieder leuchtet - diesmalim Traum - die Möglichkeit nichtder „heilen Welt“, sondern dieMöglichkeit des „Heilens derWelt“ auf.

Dies scheint die optimistischeBotschaft der Geschichte: DieWelt ist zerrissen, von Untergangund Zerstörung bedroht. Sie istkeine „heile Welt“ - aber sie isteine „heilbare Welt“. Der unhero-ische Protagonist der Erzählung,der Muschik, gibt beispielhaft vor,wie diese Heilung möglich wird:Durch Standhalten, durch Mensch-lichkeit, durch das Tun des jeweilsNotwendigen jenseits aller Ideo-logien ...

Erich Geiber

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In diesem Grab ...

liegt ein toter Soldat. Er liegt dortschon lange, und dies ist seineGeschichte:

Vor langer Zeit kam ein Jungezur Welt. Er war ein Kind, aufdem Schoß seiner Mutter, an derHand seines Vaters, ein Kind wieso viele damals, vor langer Zeit.

Er wuchs heran und ging ausdem Haus und suchte sein Brotund wurde Soldat, ein Soldat wieso viele: damals, vor langer Zeit.

Aber die Zeit war nicht gut,denn Armut drückte die Dörferund Städte und im Land ging einWolfsfieber um.

Das Wolfsfieber kam aus einerSchlucht tief in den Bergen. Dortlag, mit eisernen Ketten gekettet,in einer Höhle ein riesiger, eis-grauer Wolf.

Der Wolf war der uralte Krieg.Er hatte schon mehrmals das Landverheert, und lag nun gefangen,und die Höhle deckte ein schwererStein, der verhindern sollte, dassder Krieg wieder ausbrach.

Aber der Stein deckte den Ein-gang der Höhle nicht ganz. Und sokam es, dass der Atem des Unge-heuers Nacht für Nacht aus derTiefe der Schlucht stieg und mitden vier Winden weit über Landquoll.

Der Atem des Wolfes war gif-tig. Er drang in die Köpfe vonMenschen und machte sie wölfischfiebern nach den Dingen des Wol-fes: nach Hauen und Stechen, nachBrennen und Morden, nach Land-nahme, Schlacht und Krieg.

Das Wolfsfieber fraß um sichim Land, aber es war so schlei-chend, dass man es kaum erkann-te. So wurde nichts unternommen,das Wolfsfieber aufzuhalten, undes wurde geduldet, dass die An-steckung weiterging.

Viele steckten sich an, und dieZahl der Wolfsfiebrigen nahm Tagfür Tag zu. Und so kam es, dassbald nur noch ein einziges Gesetzim Land galt, das Gesetz desWolfes: im Rudel zu jagen undalles zu hetzen, was weder dieStärke des Wolfes, noch seineGier, noch sein Blut in den Adernhatte.

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Dieses Gesetz war dasSchlimmste: es machte die Men-schen zu Wölfen und ließ es auchzu, dass der Schlimmste von allenWolfsfiebrigen hinging und denWolf des Krieges aufs neue ent-fesselte.

Wie ein riesiger Schatten stiegder alte Wolf aus der Schlucht undsuchte ein Schlachtfeld. Und dortstand er dann wieder und fraß dieSoldaten, fraß wie er immer ge-fressen hatte: mit zwei Köpfen,nach beiden Seiten zugleich.

Der junge Soldat hatte dasWolfsfieber nicht. Und dennoch

musste er fort in die Schlacht undwurde vom Wolf gepackt undgerissen und starb, starb elend imSchmutz wie so viele: damals, vorlanger Zeit.

Als der Soldat nicht mehr heimkam, weinten Mutter und Vater.Sie weinten und weinten, wie soviele Mütter und Väter: damals,vor langer Zeit.

So floß nach und nach eine Flutvon Tränen über das Land. Aberdie Flut war gut: Sie löschte dasbrennende Fieber, und vielewurden vom Wolfsfieber wiedergeheilt. Endlich erkannten sie den

Wolf wieder als Wolf und ver-warfen sein Gesetz und brachtenden Krieg zum Stillstand.

Das war nicht einfach: Nochviele ließen dabei ihr Leben.

Zuletzt lag der Wolf wieder inKetten. Man warf ihn in eine nochtiefere Schlucht als zuvor unddeckte die Höhle fester denn je,und alle schworen, den Krieg niewieder losbrechen zu lassen.

So schworen die Menschen:damals, vor langer Zeit.

Und so endet hier die Geschich-te des toten Soldaten.

Doch niemand soll glauben,dass auch die Geschichte desWolfes hier endet: Er liegt in derHöhle und atmet wie eh und je,und sein Atem streift immer nochüber Land, Nacht für Nacht, ganzunmerklich.

Er quillt in die Ohren derJüngsten und geifert in ihre Her-zen und macht sie wolfsfiebrigträumen: vom Schlagen undTreten, vom Würgen und Zündeln,von Wolfsstärke, Kampf und Sieg.

W o l f s f i e b e r

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Die Geschichte vom Wolfsfie-ber begann in meinem Kopf zuarbeiten, als ich im Spätsommervorletzten Jahres vom Tod dreierjunger Männer hörte. Ich hatte siealle drei von klein auf gekannt. Ofthatte ich ihnen Kaugummi ge-schenkt und ebenso oft ihnen ver-boten, dauernd im Spiel die Mäd-chen an den Haaren zu ziehen.Nun konnte ich beides nicht mehr:Sie waren aus einem Krieg nurnoch in Särgen heimgekehrt injenes Dorf am Meer, das in vielenUrlaubssommern auch mir zurHeimat geworden war.

Als ich vom Tod der Jungenerfuhr, wusste ich, woran sie ge-storben waren: Sie waren an denFolgen eines Buches gestorben.Das Buch hatte einer geschrieben,der an Wolfsfieber litt. Alle Weltverurteilte ihn später als Kriegs-verbrecher, aber das nützte denToten, die an seinem Buch ge-storben waren, dann auch nichtmehr.

Es war ein fürchterliches Buch,das jener Wolfsfiebrige geschrie-ben hatte: Es hetzte das Volk desBuchschreibers zum Krieg undredete ihm ein, dass es nach demGesetz des Wolfes größeres Recht

auf Land und Leben habe als alleBrudervölker ringsum.

Irgendwie war mir dann nachdem Tod der Jungen und demEnde des Krieges, als müsste ichdem Buch des Wolfsfiebrigen eineGeschichte entgegensetzen. Aberes war mir auch klar, dass es sokurz nach Ende dieses Kriegesentweder viel zu spät oder noch zufrüh war für solch eine Geschich-te. Und außerdem konnte ich nichthoffen, dass sich viele Leser fin-den würden, weil die Geschichtezwar neu, aber doch auch sehr altwar. Auch schrieb sich dieGeschichte sehr zäh. Sie ging imKreis und drehte sich wie ein Rad:Immer, wenn ich glaubte, ein Endegefunden zu haben, war da schonwieder ein Anfang.

Hätte mich nicht FreundMichel*), der dem Volksbund undmir schon viel Arbeit gemacht hat,immer wieder ermahnt, endlichweiter zu schreiben, dann gäbe esheute die Geschichte vom Wolfs-fieber nicht. Deshalb gehört sienun auch ihm: Ich schenke sie ihmzum fünfundsiebzigsten Geburts-tag. Und mit ihm schenke ich sieall jenen, die wie er vor fünfzigJahren aus einem schrecklichenKrieg schrecklich verstört nachHause kamen und seither nicht

aufgehört haben, dem Wolfsfieberhier zu Lande entgegenzuwirken.

Gern hätte ich die Geschichteauch den drei Jungen geschenkt,denen ich jetzt keinen Kaugummimehr schenken kann. Und ebensogerne möchte ich sie möglichstvielen anderen Jungen schenkenaus vielen anderen Ländern. Dasheißt aber nicht, dass ich meine,dass möglichst jedes Kind dieGeschichte vom Wolfsfieber lesenmüsste. Für mich ist nur wichtig,dass möglichst viele Kinder dieserErde schon bald das Tränenkrautfinden. Und wenn sie es gefundenhaben, dann wird alles gut, und eswird keine Rolle mehr spielen, obihnen eine Geschichte den Weggewiesen hat oder nicht.

Augsburg, im Frühjahr 1997Eva Köberle

*) Rektor a D. Werner Michel (✝ ),langjähriger Vorsitzender desPädagogischen Arbeitskreisesdes Volksbundes DeutscheKriegsgräberfürsorge, Kriegs-teilnehmer im Zweiten Welt-krieg, über 50 Jahre lang bis zuseinem Tode ehrenamtlicherMitarbeiter des Volksbundes.

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An einem heißen Sommertagsaßen der kleine Tiger und derkleine Bär auf den Stufen ihrerVeranda im Schatten. „Weißt duwas,“ sagte der kleine Bär plötz-lich, „heute möchte ich nichtkochen. Wir gehen jetzt in denSupermarkt und holen uns Vanille-pudding und frische Johannis-beeren, das ist an einem so heißenTag wie heute besser als allesandere zu Mittag.“

„Fein“, stimmte der kleineTiger zu, „und dann nehmen wirnoch zwei Pfund Kirschen mit, fürabends, damit wir uns drunten amFluss unter die Bäume setzen unddie Steine ins Wasser spuckenkönnen.“

Also gingen sie zum Super-markt. Als sie dort ankamen, standam Eingang bei den Einkaufskör-ben ein fremder Vogel. Er sahelend aus: Sein überlanger Schna-bel hing fast auf die Erde, er hatteeinen schäbigen Mantel an und

unter dem Mantelsaum hingennoch sehr zerzaust ein paar langeschwarze Schwanzfedern heraus.

„Was ist denn das für einer?“brummte der Bär. Er war ein biss-chen ungeduldig, weil der fremdeVogel so lange an dem Münzein-wurf für die Einkaufswägen fum-melte und nicht damit zurecht kam.

„Das ist ein Ausländer“, sagteder kleine Tiger, „ein Tukan, derkommt aus Tukanien.“

„Immer diese Ausländer,“zischte eine alte Schlange, dieauch auf einen Wagen wartete,„kommen daher und kennen sichmit nichts aus.“

Der kleine Bär und der kleineTiger gingen weiter zur Obst- undGemüseabteilung. „Für die paarJohannisbeeren und Kirschenbrauchen wir keinen Wagen“,sagte der Tiger. „Schließlich sindwir ja zu zweit und haben vierHände.“

Aber an der Obstwaage trafensie schon wieder auf den Tukan.Er hatte eine viel zu kleine Tütebis oben hin mit Pfefferschotenvollgestopft, und nun war sie ihmgeplatzt und all die Pfefferschotenlagen um die Waage verstreut aufdem Fußboden.

„Wie ungeschickt“, brummteder Bär, dem es gar nicht passte,

dass er schon wieder warten sollte.Und eine Nebelkrähe mischte sichkeifend ein. „Ich weiß nicht, wodas noch hinführen soll mit all die-sen Ausländern. Überall stören sieund halten nur den Betrieb auf.“

„Wozu braucht der auch soviele Pfefferschoten“, brummelteder Bär. „Wenn ich welche esse,dann eine oder höchstens zwei,aber doch nicht zwei Kilo, das hältdoch kein Bär aus.“

„Der Tukan ist ein Pfeffervogel,und Tukanien ist das Pfefferland“,erklärte der kleine Tiger, „undjeder Pfeffervogel braucht in derWoche mindestens zwei KiloPfefferschoten.“ „Igitt!“ rief derkleine Bär, „diese Ausländer sind

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doch wirklich manchmal höchstwunderlich.“

Der kleine Tiger sagte nichts.Er war eine Weile ganz still, undder Bär fragte sich schon, was derTiger denn nun auf einmal habe.

Aber dann sprach der Tigerplötzlich wieder: „Ich bin auch einAusländer,“ sagte der Tiger fastunhörbar, „und ich mag es nicht,wenn du auf die Ausländerschimpfst.“

Dem Bären wurde es heiß unterdem Fell. „Du willst ein Ausländersein?!“ rief er erregt. „Du wohnstdoch seit mehr als sieben Jahrenbei mir in der Hütte. Du hast jedenersten Tag Küchendienst und ichjeden zweiten, und im Sommer ge-hen wir fast jeden Nachmittag zu-sammen fischen und im Herbstholen wir zusammen Holz für denWinter, und ... und ...“. Der Bärkam ins Stottern. „... und über-haupt bist du mein Freund undkein Ausländer!“ brachte erschließlich heraus, nach Luft rin-gend vor Entrüstung.

„Und doch bin ich ein Auslän-der,“ sagte der Tiger, „du weißt esnur nicht. Setz dich dorthin auf dieleeren Obstkisten, dann will ich esdir erzählen.“ „Geboren bin ich inRadjistan,“ begann der Tiger, „dasliegt in Indien ganz weit hinten.

Mitten im dichtesten Dschungelwurde ich geboren, in einer Höhleunter den Stufen eines alten, halbverfallenen Tempels. Meine Mut-ter war die Königin des Dschun-gels. Sie lehrte mich alles, undjeden Abend, wenn der Mondaufging, musste ich zehn Minutenlang brüllen üben. ,Brülle, Tiger-chen, brülle,‘ sagte meine Mutterimmer, ,eines Tages wirst du derKönig des Dschungels sein, unddann muss deine Stimme so lautsein, dass alle Tiere vor dir er-zittern und die Flucht ergreifen.‘“

Der kleine Tiger machte einePause. Man merkte ihm an, dassihn die Erinnerung fast überwäl-tigte.

Schließlich fuhr er fort: „Ichsage dir, Bär, der Dschungel dortbei dem Tempel, das war der

schönste Ort der Welt. Der Tempelwar hoch und hatte noch einigeKuppeln, die glänzten in derMorgensonne an manchen Stellenimmer noch golden, und die Tem-pelmauern zierten auf und aufsteinerne Blumen und Götter-figuren. Der Dschungel hatte einganz neues Dach über die Ruinendes Tempels gebreitet, ein Dachaus Schlingpflanzen und duftendenBlumen, in dem nisteten bunteVögel und sangen mich abends inden Schlaf.“

„Warum bist du dann dort weggegangen, wenn es dort so schönwar?“ fragte der Bär, immer nochein wenig bärbeißig.

„Ich konnte nicht bleiben“, fuhrder Tiger fort, „denn die Men-schen begannen unseren Dschun-gel abzuholzen. Zuerst holten sienur ganz wenig Kleinholz alleTage als Feuerholz, aber dannkamen sie mit großen Maschinenund holten auch die großen, altenUrwaldbäume als Bauholz undMöbelholz, und als die alten Rie-sen weg waren, da konnten ohneihren Schutz auch die kleinerenBäume sich nicht mehr halten. Eswuchs nichts mehr nach und dieRehe, die Hirsche und die Antilo-pen verließen den Wald, und mei-ne gute Mutter musste immer

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Mutter mir sagte, und die Falltürschnappte zu, und meine Mutterwartete im Gras abseits, bis dieMenschen kamen und mich mit-samt der Falle wegtrugen, weitfort von meiner Mutter, meinemDschungel und meinem LandRadjistan.“

Der Bär sagte nichts. Erschluckte und brummte nur einbißchen und wusste nicht, wo erhinschauen sollte, weil ihm dasTigerchen so leidtat.

„Ich bin aber doch nicht zumZoo oder zum Zirkus gekommen,“erzählte der Tiger weiter. „Dennals das Schiff, auf dem sie michhier her brachten, nach langerFahrt an einem großen Kai anleg-te, da kam ein betrunkener Matro-se vorbei, der wollte sich einenSpaß machen und machte meineKäfigtür auf. Da bin ich ausgeris-sen und gewandert und gewandert,bis ich dich traf, Bär.“

„Wie gut es doch ist, wie schön,dass du jetzt hier bei mir bist,Tiger,“ rief der Bär. „Und ich fin-de es auch schön, dass du ein soweit gereister Ausländer bist. Dakannst du mir jeden Abend vordem Einschlafen noch ein wenigvom Dschungel erzählen.“

Sie standen auf und gingendurch die Regalreihen in Richtung

länger und öfter jagen, um wenigs-tens eine Maus oder einen Froschals Abendfressen nach Hause zubringen.“

„Das ist ja furchtbar,“ entsetztesich der kleine Bär, der selber ofteinen Bärenhunger hatte, „da wartihr ja knapp am Verhungern?!“

„So war es“, sagte der Tiger,„aber es kam nicht zum Äußers-ten, denn meine Mutter war klug.Sie holte mich eines Tages vomSpielplatz und richtete sich hochauf über mir. Ich sollte nichtsehen, dass sie geweint hatte, aberich sah doch, dass ihr Fell um dieAugen ganz nass war. ,Tigerchen‘,sagte meine Mutter zu mir,,Tigerchen, es ist Zeit, dass du indie Falle gehst.‘ Und sie führtemich zu einer Stelle im Elefanten-gras, wo die Menschen eine ArtKäfig aufgestellt hatten. Sie hattenversucht, diesen Käfig mit Laubabzudecken, aber meine Mutterund mich konnten sie mit so etwasnicht täuschen. ,Geh in die Falle,Tigerchen,‘ befahl meine Mutter,,hier findest du nichts mehr, nurnoch den Tod. Aber wenn du indie Falle gehst, kommst du, wenndu Glück hast, in einen Zirkusoder einen Zoo. Und dann hast duimmer dein Fressen dein Lebtaglang.‘ Und ich tat, was meine

Ausgang. Als sie hinter der Kassean der Eisbude vorbeikamen, wardort große Aufregung. Die Leutedrängten sich, und mitten in demGedränge stand der UnglücksvogelTukan und ein gefährlich ausse-hender Hase hielt ihm ein leeresEisstäbchen bedrohlich dicht unterden Schnabel.

„Du hast mich geschubst!“schnauzte der Hase den Tukan an,„Du bist schuld, dass mein Eis daam Boden liegt! Das wirst du mirbezahlen, du dreckiger Auslän-der!“ Er rückte immer näher aufden Tukan ein und ein zweiterHase, der den Kopf kahl gescho-ren hatte und eine Lederjacke trug,trat dem Tukan mit seinen Sprin-gerstiefeln fast auf die Zehen undrempelte ihn von der Seite an.

„Ich nicht bezahlen“, flüsterteder Tukan, „ich nichts getan mitEis.“ Der große, dicke Hase gabdem Tukan noch einen Schubs,dass er zur Seite taumelte. DerTukan schluchzte: „Haben keinGeld für Eis, mir sein daheim fünfkleine Kinder und Mama und Papaaus Pfefferland.“

Die Umstehenden standen nurda und schauten zu. Niemand griffein, nur ein kleines Gänschen sag-te ganz leise: „Der Tukan war esnicht. Der Hase hat nicht aufge-

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passt, und da ist ihm das Eis vonselbst von dem Stäbchen gerutschtund runtergefallen.“

Aber keiner hörte auf das Gäns-chen. Manche grinsten sogar, alsder dicke, kahlköpfige Hase nunden kleinen Tukan langsam amMantelkragen hochzog.

Aber da wurde es dem Bärenzuviel. Er kratzte dem Hasen vonhinten nur einmal ganz sachte mitseiner schweren Bärentatze überden Rücken. Und als sich der Haseumdrehte und auf den viel kleine-ren Bären losgehen wollte, dasprang der Tiger auf eine Abfall-kiste vor der Eisbude, richtete sichhoch auf und brüllte so laut undFurcht erregend, dass die beidenHasen auf der Stelle das Hasen-panier ergriffen.

„So habe ich seit meiner Kind-heit im Dschungel nicht mehr

gebrüllt“, sagte der Tiger undschaute den Hasen nach. Erschnaufte noch ein bisschen vorAnstrengung.

„Aber sehr gut geholfen, vielenDanke“, sagte der Tukan undschüttelte dem Tiger und demBären vor Dankbarkeit immerwieder die Pfoten.

„Du essen Pfefferschoten?“fragte er schließlich und bot demTiger und dem Bären aus seinerprallgefüllten Tüte eine Pfeffer-schote an. „Danke,“ sagte der Bär,„wirklich für mein Leben gern undbesonders gern zu Vanillepud-ding.“

Und sie setzten sich auf eineBank vor dem Supermarkt undaßen gemeinsam Vanillepuddingmit Kirschen und Pfefferschoten,und bei der vierten Schote meinteder Bär, dass er doch noch amMorgen nie und nimmer gedachthätte, dass Pfefferschoten mitVanillepudding und Kirschen sogut schmecken könnten.

Und als der Tukan gegangenwar, sagte der Bär zum Tiger:„Weißt du was, Tiger, heute abendgehen wir in den Wald und übenein bisschen brüllen. Man weißdoch nie, ob man es nicht brau-chen kann, wenn man wiedereinmal solchen Hasen begegnet.“

N a c h w o r t

Die Geschichte vom fremdenVogel habe ich in Köthen inSachsen-Anhalt an einem heißenSommertag um sechs Uhr früherfunden. Ich war damals für zweiTage in Köthen zu Besuch undhielt einen Vortrag für Erziehe-rinnen aus Köthen und Umgebung.

Drei Wochen vorher war in dernicht weit von Köthen gelegenenStadt M. ein Ausländer von dreiRabauken grundlos auf der Straßeangegriffen und zu Tode geprügeltworden. Der Tod dieses Auslän-ders ging mir nahe, obwohl ich ihnnicht kannte. Deshalb beschlossich, den Kindern in Köthen undUmgebung auf dem Weg über ihreErzieherinnen eine Geschichte zuschenken, die auch von einemAusländer handelt, aber gutausgeht.

Nun ist diese Geschichteniedergeschrieben und sie wirdsogar gedruckt. Und vielleicht istdas gut so. Ich denke, die Kindervon Köthen und Umgebung habennichts dagegen, wenn auch Kindervon anderswo diese Geschichtelesen dürfen.

Augsburg, im November 1994Eva Köberle

D e r f r e m d e V o g e l

Koeberle_Brosch_22_04_HDN 23.04.2002 12:39 Uhr Seite 33

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„ E i n b i s s c h e nb r ü l l e n ü b e n ! “Kommentar zur Geschichte„Der fremde Vogel“

Fabeln, Märchen und alle Artenvon Tiergeschichten werden vonKindern im allgemeinen gernegelesen: Tiere, die wie Menschenhandeln, sind gewiss ein Faszino-sum. Da solche Texte darüberhinaus sehr oft erziehlich bedeut-same Aussagen enthalten („Men-schen, die wie Tiere handeln“)wurden sie zu allen Zeiten auchunter Pädagogen geschätzt.

Dabei ist die in Fabeln undverwandten literarischen Formenvermittelte Lehre durchausdoppelbödig.

Die Gestaltungsabsicht desTextes („Der Klügere gibt nach!“„Klugheit schützt vor Schaden!“„Misstraue der Freundlichkeit derMächtigen“ ...) mag pädagogischsinnvolle Einsichten vermitteln(wenngleich auch hier sehr ofteine wenig kindgemäße, zynischeWeltsicht vermittelt wird, vgl.etwa „Der Wolf und das Lamm“).Problematisch werden solche Tex-te durch eine strukturelle Eigenart,die den erklärten Absichten der

- Da ist ein Tukan, ein in der Tatfremder Vogel, der gewiss keineVoreinschätzung seines Wesensaus der Kenntnis einschlägigerTierfabeln nahelegt ...

- Und da ist eine Schlange, die dembiblischen Imperativ „Seid klugwie die Schlangen!“ nicht folgt,eine Nebelkrähe, die die Erfah-rung ihrer Kolleginnen aus denFabeln von La Fontaine vermis-sen lässt, und da sind „Leute“...

Allein schon aus dieser Rollen-zuweisung wird eine Grundaus-sage des Textes deutlich: DasWesen von Personen läßt sichnicht aus äußeren Merkmalen, ausGruppen- und Volks- oder gar Ras-senzugehörigkeiten ableiten, son-dern einzig aus der Wahrnehmungihres Handelns in konkreten Situa-tionen.

Eine weitere wichtige Abwei-chung vom Muster der didakti-sierten Tier-Erzählung ergibt sichaus der Veränderbarkeit der dar-gestellten Verhaltensmuster. Amschönsten lässt sich das an derFigur des kleinen Bären aufzeigen.

Er ist anfällig für pauschaleUrteile und Verurteilungen, aber erbewahrt Offenheit: Er ist belehrbarund lernfähig.

Die Handlung der Geschichteknüpft an eine alltägliche Episode

Autoren durchaus entgegen stehenkann.

Tiere werden in Fabeln undMärchen „benutzt“, um mensch-liche Eigenschaften typisierenddarzustellen: Der Fuchs ist listig,der Esel ist dumm, der Hase istängstlich, der Bär ist stark undbrutal, das Gänschen hilf- undahnungslos ... Mit solchen Fest-legungen erreichen - sicherlichohne Absicht der Autoren - solcheDarstellungen mitunter einen ge-fährlichen Nebeneffekt. Sie tragendazu bei, Vorurteile und vorgefass-te Meinungen zu stabilisieren: DieGleichsetzung von Person (z. B.Bär) und Eigenschaft („stark“).Von da aus ist es nicht mehr weitzu anderen, verallgemeinerndenUrteilen und Vorurteilen („Südlän-der sind ..., der Franzose ist...“).

Mit der Geschichte „Der fremdeVogel“ werden solche Vorurteilegewiss nicht bestärkt: - Da ist ein Tiger, der keineswegs,

wie man vermuten sollte, gierig,tückisch und bedrohlich ist ...

- Da ist ein Bär, der keineswegsnur stark ist ...

- Da sind Hasen, die aggressiv undgewalttätig auftreten, bis sie ...

- Da ist ein Gänschen, das keines-wegs dumm ist und das erstaun-lichen Mut beweist ...

D e r f r e m d e V o g e l

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Geschichten von Eva K

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an: den Einkauf im Supermarkt.Bär und Tiger wollen sich selbstetwas Gutes tun (Einkauf vonPudding, Beeren und Kirschen zurVorbereitung eines kleinen „Fes-tes“) und erfahren dabei Irritatio-nen: Sie begegnen dem „fremdenVogel“, beobachten, dass er inseiner Fremdheit als störend emp-funden wird; schließlich lassen siesich in das Geschehen einbeziehenund ergreifen Partei für denSchwächeren ...

Die Handlung bleibt trotz desdüsteren Motivs der Fremden-feindlichkeit wegen dieser - leidergar nicht alltäglichen - Schluss-wendung optimistisch: Verände-rungen sind möglich - wenn Zivil-courage und die Bereitschaft zum„Sich-Einmischen“ gegeben ist,und wenn solidarisches Handelnstattfindet.

Die Geschichte vermeidet sol-che großen Worte. Sie zeichnetstatt dessen kleine Bilder, die inihrer Logik verständlich sind, ohnedass komplexe Zusammenhängedeswegen „zwangsvereinfacht“würden.

So erweist sich der „kleine Bär“als durchaus anfällig für fremden-feindliche Parolen; schließlichfühlt er sich durch die Anwesen-heit des „fremden Vogels“, dessen

Gewohnheiten („Pfefferschotenessen“) ihm unvertraut sind, ver-unsichert. Erst als sein Freund, der„kleine Tiger“, ihm Verständnis fürdas „Fremdsein“ vermittelt, ändertsich sein Bild - und von da aus istes nur ein Schritt, ihn von derlatenten Feindseligkeit abzubrin-gen und zum engagierten Handelnzu bewegen.

Die Haltung des „kleinenBären“, der wohl wichtigstenIdentifikationsfigur des Textes, istveränderbar - wenn ihm entspre-chende Einsichten und Informatio-nen vermittelt werden. Der „kleineTiger“ übernimmt diese Aufgabe:Er kann sie erfüllen, weil seineDarstellung des Fremdenschicksalsauthentisch ist, weil er von sichund seinen Erfahrungen redet, weiler sein Schicksal preisgibt - undsein eigenes Fremdsein offenbart.

So begegnet der Leser in dieserErzählung einem Kaleidoskop vonHandlungsweisen gegenüber „demFremden“.

Damit lässt es der Text zu, eige-ne Einstellungen und Handlungs-weisen gegenüber Fremdem undFremden zu hinterfragen und eineeigene Positionsbestimmungvorzunehmen. ...

Es ist zu wünschen, dass der„fremde Vogel“ vielen Kindern

bekannt wird: So kann der Auftragder Friedenserziehung konkreteGestalt annehmen und wird fürKinder verstehbar und nachvoll-ziehbar.

Und: „Ein bißchen brüllenüben“ kann hierzulande gewissnicht schaden!

Erich Geibert

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D i e A u f g a b e n d e s V o l k s b u n d e s

Aus der Verpflichtung zur Wahrung des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewalt, Frieden zu halten unter den Völkern und die Würde des Menschen zu achten, leiten sich für den Volksbund nachfolgende Aufgaben ab:

> Anlage und Pflege der Kriegsgräberstätten im Ausland im Auftrag der Bundesregierung;

> Erfassung der Kriegstoten und ihrer Gräber im Ausland;

> Suche nach den Kriegsgräbern, Information und Betreuung der Angehörigen;

> internationale Zusammenarbeit in allen Angelegenheiten der Kriegsgräberfürsorge;

> Gestaltung des Volkstrauertages oder Mitwirkung daran;

> Jugend- und Bildungsarbeit an den Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen;

> Förderung der Jugendbegegnung an den Ruhestätten der Toten;

> Beratung inländischer Stellen in allen Fragen der Kriegsgräberfürsorge.

(Nach der Satzung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, § 3 - Aufgaben und Rechtsgrundlagen)

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.Bundesgeschäftsstelle

Werner-Hilpert-Straße 2 · 34112 Kassel Telefon: 01805-7009-99 (€ 0,12/Min.)· Telefax: 0561-7009-221

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Möchten Sie mehr über die weltweite Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge wissen? Dann fordern Sie bitte bei uns das Buch „Deutsche Kriegsgräberstätten im Westen“ an. Für die Förderer desVolksbundes (Mitglieder und Spender) ist das Buch selbstverständlich kostenlos. Wir bitten Sie nur für dieVersandkosten um eine kleine Spende. Danke für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung!

Lay. Köberle-Broschüre 2002a 10.04.2002 17:16 Uhr Seite 36