Argumentepapier Religion und Gesellschaft

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    Grundsatzpapier der Arbeitsgruppe Religion 1des Bereichs Internationale Politik und des Liberalen Instituts

    Religion und Gesellschaft

    Die positive und die negative ReligionsfreiheitDie freie Gesellschaft im Sinne des Liberalismus folgt in Fragen der Religion den Prinzipien derpositiven und negativen Religionsfreiheit. Die positive Religionsfreiheit ist die Freiheit eines

    jeden Menschen, eine Religionsgemeinschaft jederzeit zu grnden oder sich ihr anzuschlie-en und an kultischen Handlungen, Feierlichkeiten oder sonstigen religisen Praktiken teil-zunehmen. Dazu gehrt auch die Freiheit, fr die persnlichen religisen/weltanschaulichenberzeugungen einzutreten, wie auch das Recht, Eidesformeln in einer nicht nur religis/weltanschaulich neutralen Form abzulegen. Die negative Religionsfreiheit ist die Freiheit einesMenschen, zu keiner oder nicht zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu gehren bzw.eine solche verlassen zu knnen und auch nicht zu einer Teilnahme an kultischen Handlungen,Feierlichkeiten oder sonstigen religisen Praktiken gezwungen oder gentigt zu werden. Dazugehrt auch die Freiheit, die persnlichen religisen/weltanschaulichen berzeugungen nicht

    zu offenbaren, wie auch das Recht, Eidesformeln in einer religis/weltanschaulich neutralenForm abzulegen. Auf dieser Grundlage muss das Verhltnis von Staat und Religion in einer frei-en Gesellschaft ausgestaltet werden.

    Die Vereinbarkeit von Religion und liberalen PrinzipienGrundstzlich ist es richtig, Religion nach denselben Mastben zu beurteilen wie alle ande-ren sozialen Gemeinschaften und inhaltlichen berzeugungen auch. Religion umfasst einengeistigen und einen materiellen Bereich. Zum geistigen Bereich gehrt u. a. die Theologie, dazugehrt der individuelle Glaube, die moralischen Einstellungen. Zum materiellen Bereich gehrtdas Eigentum an Grund und Boden, der Bau und die Unterhaltung von Kirchen, Moscheen, Sy-nagogen, Verwaltungsgebuden, die Organisation, die juristische Krperschaft usw. Im Grundauch alles, was mit individuellen, sichtbaren Handlungen zu tun hat, also auch das ffentliche

    Gebet, die Zeremonie, der Gottesdienst. Der erste Bereich, der geistige oder spirituelle Bereich,fllt unter die Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Meinungsfreiheit. Der zweite Bereich,der materielle Bereich, fllt in den Bereich der Eigentumsrechte, der Vertragsfreiheit, der Ver-sammlungsfreiheit, der Freizgigkeit. Alle diese Freiheiten finden dort ihre Grenzen, wo dieFreiheiten anderer verletzt werden. Die Freiheit der Meinung, der Presse und der Kunst sind dieGrundlage fr den Dialog mit religisen Gemeinschaften. Diese liberalen Freiheitsrechte sind

    1 Die Arbeitsgruppe Religion und Freiheit des Bereichs Internationale Politik der FNF traf sich zwischen dem5. und 9. Dezember 2009 in Kairo. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe waren die Basis fr die Formulierung diesesGrundsatzpapiers.

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    zum grten Teil direkt in den allgemeinen Menschenrechten und in Deutschland im Grundge-setz verankert.

    Die Grenzen der Handlungsfreiheit der Religionsgemeinschaften kann man gem der Prin-zipien des liberalen Clubprinzips beschreiben. Dieses Prinzip bedeutet, dass ein Club, der hierals Metapher fr jede nichtstaatliche soziale Vereinigung steht, selbst entscheiden kann, werunter welchen Umstnden in diesem Club Mitglied werden darf; der Club darf aber niemandenhindern auszutreten und niemanden zum Eintritt zwingen. So kann auch eine Religionsge-meinschaft die Bedingungen der Zugehrigkeit zu der Religionsgemeinschaft formulieren, mussaber dem Einzelnen berlassen, ob er ihr unter diesen Bedingungen angehren mchte odernicht. Nicht die Modernitt einer Religionsgemeinschaft, sondern die Unterscheidung zwi-schen Zwang und Freiwilligkeit ist entscheidend, ob eine Religionsgemeinschaft als Organisa-tion angesehen werden kann, die mit liberalen Prinzipien vereinbar ist. Der Rechtsstaat hat dieAufgabe, die Mglichkeit, freiwillig aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten oder sich demEintritt in eine Religionsgemeinschaft zu verweigern, zu garantieren. Ein Verbot zu konvertierenoder seinem Glauben abzuschwren ist ein Eingriff in die individuelle Freiheit des Einzelnen, dermit den Grundrechten nicht vereinbar ist. Intern knnen Religionsgemeinschaften ihre Belange etwa Fragen der Liturgie, der Theologie, der Priester-Ehe, der moralischen und sittlichen Kon-ventionen selbststndig ausgestalten. Fr sie gilt wie fr andere Organisationen das liberalePrinzip der Vertragsfreiheit. Diese Selbstorganisation der Religionsgemeinschaften entsprichtauch dem gesellschaftlichen Ideal der Subsidiaritt.

    Grundrechte und GleichheitsgrundsatzGrund- und Menschenrechte schtzen das Recht auf religise berzeugungen als private Ent-scheidung des Einzelnen, sie sind diesen aber nicht einfach bei- oder gar untergeordnet. Sieknnen unter Hinweis auf Kultur und Religion nicht relativiert werden. Demokratie beruht aufder Anerkennung ideeller und politischer Pluralitt im Rahmen einer Verfassungsordnung, dielediglich den Kern von Grundrechten der Mehrheitsentscheidung entzieht. Die Legitimitt poli-tischer Beschlsse ergibt sich aus dem demokratischen Prozess und nicht aus einer gttlichenOffenbarung. So stellt Robert Haas fest: Es ist mit Demokratie unvereinbar, Offenbarung alseinen Faktor fr konkrete politische Entscheidungen anzusehen, der einen hheren Rang hatals der Mehrheitswille, der sich im Rahmen der Richtlinien, Werte und Einschrnkungen desliberalen, parlamentarischen Systems gebildet hat. Dies, so Haas, unterscheidet die liberale

    Demokratie von der Theokratie. Auch wenn die Offenbarung nicht die letzte Legitimation frdie Grundrechte und die liberale Demokratie bietet, so knnen doch Ideale von Demokratie undFreiheit in der religisen berlieferung und Praxis offengelegt und herausgestellt werden. Mankann Bezug nehmen auf Personen und lokale Traditionen, die liberales Gedankengut auch inreligis geprgten Gesellschaften vorgelebt haben oder noch vorleben.

    Neben den Prinzipien der positiven und negativen Religionsfreiheit steht die Gleichheit vor demGesetz als Grundlage jeder rechtsstaatlichen Ordnung. Fr den Staat darf es keine Brger ersterund zweiter Klasse geben. Das heit, dass jeder Brger vor dem Gesetz gleich behandelt werdenmuss, unabhngig von seiner konfessionellen Zugehrigkeit. Wie auch immer die konkreten Be-ziehungen zwischen dem Staat, seinen Brgern und den Kirchen und Religionsgemeinschaftenausgestaltet sind, die Gesetze mssen so gestaltet sein, dass niemand wegen seiner Zuge-hrigkeit oder Nichtzugehrigkeit zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft bevorzugt oder

    benachteiligt wird. Zugleich muss der Rechtsstaat auch seine Schutzfunktion wahrnehmen,die darin besteht, den Einzelnen vor gesetzwidrigen Einschrnkungen seiner Grundrechte auf

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    Religionsfreiheit zu schtzen und die Garantie der Grundrechte, insbesondere auch der Mei-nungsfreiheit, zu verteidigen und wenn ntig auch gegen religisen und weltanschaulichenExtremismus durchzusetzen.

    Auseinandersetzungen mit religisem ExtremismusEs ist weder die Aufgabe des Staates noch des politischen Liberalismus ber theologische Aus-sagen zu streiten oder sich auf eine Diskussion ber die ersten Dinge im Sinne der Argumenta-tionslogik einer bestimmten religis-historischen berlieferung einzulassen. In seinen Thesenzu Islam und Liberaler Demokratie bringt Haas dies treffend auf den Punkt: Wenn wir sagen,diese oder jene islamische Lehre oder Praxis ist fr uns problematisch oder unakzeptabel, dannheit das nicht, dass wir den Islam kritisieren oder ablehnen was der wahre Islam ist, istunsere Sache nicht sondern dass wir uns mit Lehren oder Handlungen von bestimmten Per-sonen bzw. Gruppen auseinandersetzen, die sich als dieser Religion zugehrig bezeichnen undsich fr ihr Vorgehen zu recht oder unrecht auf den Islam berufen. Dies gilt nicht nur fr denIslam, sondern auch fr den Umgang mit allen anderen Religionsgemeinschaften. Es ist nichtdie Religion als abstrakte Gre, mit der man sich politisch auseinandersetzen sollte, sondernmit konkreten Organisationen und Personen, deren Verhalten und Aussagen man nach ihrerKompatibilitt mit den Menschen- und Brgerrechten bewerten muss, unabhngig vom An-spruch der Betroffenen auf eine transzendente Rechtfertigung fr ihre Position. Dementspre-chend ist der Empfehlung von Haas zu folgen, dass religis-fundamentalistische Bewegungen,

    aber auch andere Gruppierungen mit religiser Agenda in der politischen Auseinandersetzungals parteihnliche Organisationen und nicht als Religion anzusprechen sind. Insoweit verlaufendie Konfliktlinien nicht gem des Musters eines Kampfes der Kulturen zwischen einheitlichreligis-kulturellen Blcken, wie Samuel Huntington angenommen hatte. Sie verlaufen zwi-schen den Krften, die die Menschenrechte achten, sich auf dem Boden der vorhandenen frei-heitlichen Ordnungen stellen oder auf die Verwirklichung einer liberalen Demokratie hinwirken,und solchen, die politische Ziele verfolgen, die diesen Prinzipien entgegenlaufen, die eine Ein-schrnkung von Grundrechten befrworten oder praktizieren oder sogar auf die Bekmpfungoder Beseitigung freiheitlicher Ordnungen ausgerichtet sind. Dort, wo die Konflikte auf einekulturelle und religise Polarisierung hinauslaufen, ist die Arbeit der Stiftung darauf angelegt,dieser entgegenzuwirken.

    Religion im skularen StaatEine wenn auch nicht die einzige konsequente Form der Gleichbehandlung aller Brger undder Gewhrleistung der Neutralitt des Staates ist die konsequente Trennung von Staat undKirche, in dem Sinne, dass Religion tatschlich als reine Privatsache bzw. als Teil der nichtstaat-lichen Sphre begriffen wird, wie dies u. a. auch Thomas Dehler einforderte. Durch die klareTrennung von Staat und Kirche knnte sichergestellt werden, dass niemand in seiner Welt-anschauung durch den Staat privilegiert oder diskriminiert wird, da nach diesem Prinzip alleBrger, egal welcher Religion oder Weltanschauung sie sich zugehrig fhlen, gleich behandeltwerden. Dort, wo aus historischen oder verfassungsrechtlichen Grnden Kooperationen zwi-schen Staat und Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften vorgesehen sind, muss sichergestelltwerden, dass positive und negative Religionsfreiheit trotz dieser Kooperation keine Einschrn-kungen erfahren und kein Brger wegen seiner Religionszugehrigkeit diskriminiert oder pri-vilegiert wird. Das Ziel der Herstellung der Gleichheit aller Brger vor dem Gesetz ist hier dieverbindliche Richtlinie.

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    Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche und nach einem skularen Staat istnicht identisch mit dem Ziel einer skularen, religionsfernen Gesellschaft. Ein skularer Staat istmit einer religis geprgten Gesellschaft durchaus vereinbar, wie das Beispiel der USA zeigt. DieUSA sind eines der wenigen Lnder, in dem das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche durchdie Verfassung garantiert und weitgehend durchgesetzt wird. Ohne Zweifel spielt dort Religionund Kirchenzugehrigkeit nach wie vor eine grere Rolle als in der Bundesrepublik, die dieseklare Trennung nicht kennt, sondern sich zur frdernden Neutralitt bekennt. Wenn Liberaledarauf verweisen, dass Religion Privatsache sein sollte, dann wird dies von den Glubigen oft

    als Abwertung ihrer Glaubensinhalte wahrgenommen. Die Religion solle aus der Gesellschaftverdrngt werden, so der Vorwurf gegenber dem Liberalismus. Hier ist der Unterschied klarzu-machen zwischen der Dichotomie privat/staatlich und privat/ffentlich. Mit der Aussage, dassReligion eine private Angelegenheit ist, ist nicht der Gegensatz von privatem und ffentlichemLeben gemeint; es heit nicht, dass Religiositt nicht ffentlich zum Ausdruck gebracht undim ffentlichen Leben eine wichtige Rolle spielen kann. Es ist das gute Recht der Glubigen,ihr Bekenntnis auch ffentlich zu machen. Diese Aussage zielt vielmehr auf den Gegensatzvon staatlicher bzw. rechtlicher und privater Sphre und bringt zum Ausdruck, dass es keineStaatsreligion oder staatlich bevorzugte Religion geben sollte, die vom Staat gegenber ande-ren Organisationen und berzeugungen besonders privilegiert wird. Noch darf die Religion all-gemein eine Vorzugsbehandlung gegenber nichtreligisen Lebensentwrfen erfahren. Geradefr die Liberalen ist das Private alles andere als eine sekundre Sphre und bezeichnet keine

    Nischenexistenz. Ganz im Gegenteil sollte die auf privater Initiative aufgebaute Brgergesell-schaft der primre Ort der Entfaltung des brgerlichen Lebens sein. Daher ist es treffender, vonReligion als Teil der brgerschaftlichen, nichtstaatlichen Sphre zu sprechen.

    Religion und Brgergesellschaft Ein positives Ideal fr eine freie GesellschaftDer liberale und demokratische Rechtsstaat setzt der Allmacht des Staates ber die Gesell-schaft Grenzen und bietet damit den Rahmen fr die Entfaltung der Brgergesellschaft. Derdemokratische Rechtsstaat muss, um als Sachwalter liberaler Freiheitsrechte glaubwrdig zusein, sich religis neutral verhalten, die einzelnen Teilffentlichkeiten innerhalb der Brgerge-sellschaft mssen das hingegen nicht. Auch in einem skularen Staat kann Religion einen wich-tigen Platz einnehmen. Im Rahmen der sich selbst organisierenden Brgergesellschaft stellt sie

    eine Form von Sozialkapital dar, insbesondere im Hinblick auf soziales und karitatives Engage-ment. Neben Vereinen und Brgerinitiativen sind Religionsgemeinschaften Organisationen, indenen sich brgerschaftliches Engagement konzentriert. Sie knnen den sozialen Zusammen-halt ihrer Mitglieder strken und Aufgaben bernehmen, die oft einseitig beim Staat verortetwerden. Der Historiker Paul Nolte etwa hat in seinem Buch Religion und Brgergesellschaftdarauf hingewiesen, dass die Brger lernen mssten, dass man vom Staat nicht alles erwartenkann und deshalb soziale Netzwerke eine immer wichtigere Rolle spielen werden. ReligiseNetzwerke und die Netzwerke der Kirchen seien wichtige Ressourcen fr das brgerliche Mit-einander geblieben. Im Zuge der Rckfhrung der berbordenden Staatsttigkeit nicht nur inder Bundesrepublik, sondern in fast allen westlichen Industriestaaten, kann die Bedeutung derReligion fr viele Menschen als Sinnstifter und Stifter sozialer Interaktion durchaus wieder zu-nehmen. In vielen nichtwestlichen Staaten knnen im Zuge des Aufbaus des Rechtsstaates undder Marktwirtschaft die positiven Krfte in den Kirchen und Religionsgemeinschaften beimAufbau der Brgergesellschaft eine konstruktive Rolle spielen.

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    Die notwendigen Kompromisse auf dem Weg zur SkularisierungDas von der FDP auf dem Bundesparteitag von 1974 verabschiedete Papier Freie Kirche imFreien Staat war ein konkreter Entwurf in Richtung auf eine konsequente Trennung von Kir-che und Staat und damit auch heute noch ein wichtiges historisches Dokument des Liberalis-mus. In diesem Entwurf sollte die Eigenverantwortung der Kirchen gestrkt werden: Kirchenund weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden ber ihre Angelegenheiten unabhngig vonstaatlichen Einflssen. Viele der damals angesprochenen Punkte, wie die Ersetzung der Kir-

    chensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem, verdienen erneut diskutiert zu werden zumal sich auch innerkirchliche Kritiker dieser berlappung von Staat und Kirchenttigkeit inder Bundesrepublik zu Wort melden. Aber das Dokument ist auch deshalb so aufschlussreich,weil die Vielzahl der konkreten Forderungen zeigt, wie schwierig sich eine Umgestaltung gemdieser Zielsetzung aufgrund der Mehrheitsverhltnisse und dem Vorhandensein vertraglicher

    Verbindlichkeiten der Bundesrepublik darstellt. Da selbst in der Bundesrepublik die absoluteTrennung von Staat und Kirche derzeit nicht vollzogen ist, ist es nicht realistisch, eine solcheTrennung zum Mastab fr Lnder zu verlangen, die einen Prozess der Skularisierung, wieihn Europa in den letzten Jahrhunderten durchlaufen hat, nicht durchlaufen haben. So wie inEuropa das politisch verankerte Glaubens- und Deutungsmonopol der Kirchen vom 18. bis zum20. Jahrhundert schrittweise im Zusammenhang der brgerlichen Emanzipation in die heutigeForm berfhrt werden konnte, die mit der brgerlichen Freiheit vereinbar ist, so wird manauch akzeptieren mssen, dass dies auch in anderen Teilen der Welt in einem lngeren Prozess

    geschehen wird. In der Vielgestaltigkeit der Welt wird sich wahrscheinlich keine Entwicklungzu einem uniformen skularen Modell, sondern eher zu einer Pluralitt der Skularismen voll-ziehen. Kompromissformeln knnen notwendig sein und sind immer dann untersttzenswert,wenn sie den Raum religiser Freiheit fr den Einzelnen erweitern und dem Ziel der Gleichheitaller Brger vor dem Gesetz unabhngig von ihrer Religion und Weltanschauung nherfhren.

    Zusammenfassung:Die Grundlage fr den Umgang mit Religion in einer liberalen Gesellschaft sind die Prinzipiender positiven und negativen Religionsfreiheit und der Gleichheit aller Brger vor dem Gesetz.Die Grundrechte sind fr den Umgang mit den Religionsgemeinschaften und fr die Religions-gemeinschaften im Umgang mit ihren Angehrigen und der brigen Gesellschaft bindend. Indiesem Rahmen knnen Religionsgemeinschaften als freiwilliger Zusammenschluss ihre An-

    gelegenheiten selbststndig regeln. Fr sie als Organisation und ihre Vertreter gelten wie frjeden Brger die Glaubens-, Bekenntnis- und Meinungsfreiheit und die Eigentumsrechte. Grup-pierungen, die auf die Einschrnkung oder Beseitigung liberaler Prinzipien abzielen, sind nichtals Religion, sondern als politische Parteiungen zu behandeln und ebenso zu behandeln wieGruppierungen, die fr sich keine religise Legitimation in Anspruch nehmen.

    Ein Weg, die Gleichbehandlung aller Brger zu garantieren, ist die konsequente Trennung vonStaat und Religion wie in den USA und wie sie in den Thesen der Freien Demokratischen Par-tei Freie Kirche im Freien Staat auf ihrem Parteitag 1974 gefordert wurde. Wo dieser Wegaber aus historischen und verfassungsrechtlichen Grnden nicht oder noch nicht eingeschla-gen werden konnte, wie auch in der Bundesrepublik, muss die Kooperation zwischen dem Staatund den Kirchen und Religionsgemeinschaften so ausgestaltet sein, dass kein Brger wegenseiner religisen Zugehrigkeit oder dem Fehlen einer religisen Zugehrigkeit bevorzugt oder

    benachteiligt wird. Auf dem Weg zum skularen Staat sind im bergang in vielen regionalenKontexten auf dieser Welt Kompromisse notwendig, die danach beurteilt werden knnen, ob sie

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    immerhin ein Schritt in die richtige Richtung zu mehr Religionsfreiheit und Gleichbehandlungdarstellen. Ein skularer Staat ist nicht gleichzusetzen mit einer areligisen Gesellschaft. Wiedas Beispiel der USA, aber auch von Brasilien, zeigt, kann gerade der Wettbewerb zwischenReligionsgemeinschaften im religis neutralen Staat die Bindung von Glubigen zu ihrer Reli-gionsgemeinschaft strken. Im Rahmen der Brgergesellschaft knnen Kirchen und Religions-gemeinschaften eine wichtige Rolle bei der Schaffung und Pflege von Sozialkapital und derSelbstorganisation der Gesellschaft spielen. Dies entspricht auch dem Ideal gelebter Sub-sidiaritt.