Auf dem Siegeszug? Politischer Islam in Indonesien

Einige geschichtlich-kulturelle Eckdaten

• Große Teile Indonesiens waren fast dreihundertfünfzig Jahre lang eine niederländische Kolonie

• Nach dem 2. Weltkrieg erklärte sich Indonesien am 17. August 1945 für unabhängig. Die Niederlande erkannten die Unabhängigkeit 1949 an, nach einem mehrjährigen Befreiungskampf.

• Das Gebiet, das sich zu diesem Zeitpunkt unter dem Namen Indonesien zu einem Nationalstaat erklärte, hat weder in der damaligen noch in seiner jetzigen Form historisch jemals zuvor als einheitlicher Nationalstaat existiert.

…• D.h. es wurde 1945/1949 und wird bis zu einem gewissen

Grad noch immer: • weder durch eine gemeinsame Kultur • noch durch eine gemeinsame Sprache • noch durch eine gemeinsame Geschichte • zusammengehalten. Noch nicht einmal in allen Teilen durch

eine gemeinsame Kolonialgeschichte. Ein wichtiges Beispiel ist die Provinz Aceh, die von den Niederländern erst 1908 in ihr Kolonialgebiet eingegliedert werden konnte.

• Das Land besteht aus mehr als 17.000 Inseln, von denen allerdings nicht alle bewohnt sind, und es gibt mehr als 700 lebendige Sprachen.

• Der Name Indonesien ist ein Kunstwort, das von einem deutschen Kartographen geprägt wurde.

Landkarte

ca .87 % Muslimeca. 9 % Christenca. 1.7% Hinduistenca. 0.7% BuddhistenCa. 0.2% KonfuzianerUnd andere

Geschichte kurz

• Der erste Präsident Indonesiens, Sukarno, regierte bis 1965. Er stützte sich in den letzten Jahren seiner Herrschaft vor allem auf die PKI, d.i. die kommunistische Partei Indonesiens sowie ihr nahestehende Organisationen, und das Militär. Die PKI war mit mehr als drei Millionen Mitgliedern die größte kommunistische Partei außerhalb des sozialistischen Blocks und die drittgrößte weltweit insgesamt. Gegen Ende der Herrschaft Sokarnos gab es große Spannungen zwischen rechts- und linksgerichteten Militärs ebenso wie zwischen PKI und islamischen Gruppierungen.

• Sukarno machte den verschiedenen Seiten wechselnd Zugeständnisse. Das Blasphemiegesetz z.B., das heute immer häufiger und schärfer angewendet wird, stammt aus dem letzten Jahr seiner Regierungszeit.

Putsch und Genozid

• 1965 putschten rechtsgerichtete Militärs unter dem General und späteren Präsidenten Suharto. Anlass war die Entführung und Ermordung von sechs Generälen durch –höchstwahrscheinlich - der PKI nahestehende Offiziere. Im Anschluß wurden mehrere hunderttausend angebliche und tatsächliche Kommunisten und chinesischstämmigeIndonesier umgebracht. Die Täter waren neben Militärs auch die Jugendorganisationen und paramilitärischen Gruppierungen der beiden großen islamischen Organisationen Indonesiens, Muhammadiyah und Nadhlatul Ulama (NU).

• Bekannte filmische Bearbeitungen der Umsturzzeit bzw. des Genozids “The Year of Living Dangerously” und “The Act of Killing”

• Suharto regierte von 1965 bis zu seinem Sturz 1998 eines der korruptesten Regime der Welt.

• Die Verantwortlichen für den Massenmord 1965 sind niemals zur Rechenschaft gezogen worden. Das gleiche gilt für weitere Massaker etwa in Ost-Timor und West-Papua.

• Weder Suharto noch seine Familie noch irgendein anderes Mitglied seines Regimes mussten jemals auch nur einen Cent des von Ihnen unterschlagenen Geldes zurückzahlen.

Der korrupteste Diktator aller Zeiten ?

• Head of state Mohammed SuhartoPlace, time Indonesia, 1967-98Amount $15bn-$35bn

• Head of state Ferdinand MarcosPlace, time Philippines, 1972-86Amount $5bn-$10bn

• Head of state Mobutu Sese SekoPlace, time Zaire, 1965-97Amount $5bn

• Head of state Sani AbachaPlace, time Nigeria, 1993-98Amount $2bn-$5bn

• Head of state Slobodan MilosevicPlace, time Serbia, 1972-86Amount $1bn

• ...Quelle: Transparency International2004

Suharto und der Islam

• In den ersten Jahren seiner Herrschaft unterdrückte Suharto den politischen Islam. Insbesondere in den 90er Jahren begann er allerdings dem Islam und dem zumindest kulturellen Islamismus mehr Freiraum zu geben. Teils auf Druck von unten, teils wohl auch, um ihn als Bollwerk gegen liberale Forderungen nach Demokratie zu nutzen.

• In zumindest einem Fall haben Teile des Militärs und der Polizei nach Ende der Herrschaft Suhartos eine islamistische (Schläger-)Gruppe mitgegründet: die FPI, Front Pembela Islam, um sie gegen liberale und linke Gruppen in Stellung bringen zu können.

Islamismus seit Sturz Suhartos

• Die steigende Bedeutung des Islamismus in Indonesien zeigt sich u.a. an folgenden Aspekten

• Der schleichende Einführung der Sharia in Indonesien durch das Einbringen von Elementen der Sharia in die Gesetzgebung auf lokaler Ebene, in einem Fall: Aceh auch auf Provinzebene

• Der Verschlechterung der Situation für religiöse Minderheiten, insbesondere die als Häretiker geltenden Schiiten und Ahmadiyya, wie sie sich nicht zuletzt in der explosionsartigen Steigerung von Blasphemieurteilen zeigt.

• Einer für Indonesien neuen aggressiven Homophobie , einer anti-”LGBT”- Bewegung; die auf lokaler Ebene –die schleichende Einführung der Sharia – bereits gesetzliche Erfolge erstritten hat und zur Zeit mit einem Prozess vor dem Obersten Gericht Indonesiens die nationale Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichem (und jeglichem außerehelichen) Sex erreichen möchte. Diese Bewegung wird mehr oder weniger offen von (Teilen) der Polizei unterstützt.

• Auf die Situation der religiösen Minderheiten und die Anti-LGBT-Bewgung werde ich im Folgenden eingehen.

Der Prozess gegen den christlichen Gouverneur Jakartas

• Im September 2016 hielt der damalige Gouverneur Jakartas, Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, eine Wahlkampfrede auf einer der sog. Eintausend Inseln vor Jakarta. Ahok war der erste christliche und der erste chinesischstämmige Gouverneur der Hauptstadt

• In der Rede sagte er, die Wähler sollten nicht auf Lügen seiner politischen Gegner hereinfallen, denen zufolge der Koran (Sure 5: 51 Al-Ma‘idah) Muslimen verbiete, nicht-muslimische Anführer zu wählen.

Massendemonstrationen

• Nachdem ein Dozent für Kommunikationswissenschaften ein geschnittenes Video dieser Rede mit falscher Transkription im Netz hochgeladen hatte, entwickelte sich schnell eine Kampagne gegen Ahok, er habe den Koran beleidigt.

• Am 4. November 2016 und am 2. Dezember 2016 gab es Massendemonstrationen in Jakarta gegen den Gouverneur, die von islamistischen Hardliner-Gruppen organisiert worden waren, insbesondere der Front PembelaIslam / FPI, und von Teilen der sog. moderaten Gruppen unterstützt wurden

Protest und Prozess• Keine zwei Wochen nach der ersten Massendemonstration wurde

Ahok von der Polizei offiziell zum der Blasphemie Tatverdächtigen erklärt, der Prozess gegen ihn wurde im Dezember eröffnet. Die Polizei hatte sich damit den Blasphemie-Vorwurf der Islamisten zu eigen gemacht.

• Der Protest auf der Straße wurde wie gesagt von Hardlinern organisiert. Es nahmen aber auch Mitglieder und ganze Ortsgruppen der beiden sogenannten moderaten muslimischen Massenorganisationen, Nahdlatul Ulama/NU und Muhammadiyahdaran teil. Mehr noch: Teile von Muhammadiyah, darunter die Jugendorganisation, gehörten zu den Gruppierungen, die den christlichen Gouverneur überhaupt wegen Blasphemie angezeigt hatten.

• Auch der MUI/ Majelis Ulama Indonesia, der „oberste“ muslimische Rat Indonesiens, der von einem NU – Geistlichen geleitet wird, verkündete, Ahok habe Blasphemie begangen.

• Trotz des Prozess erhielt Ahok im ersten Wahlgang der Gouverneurswahlen im Februar 2017 knapp 43 % der Stimmen, d.h. mit Abstand die meisten in einer Runde von drei Kandidaten(paaren).

• Jedoch verlor er dann deutlich in der zweiten Runde im April mit einem Stimmenanteil von gut 42 % gegen seinen politisch unerfahrenen und von Korruptionsvorwürfen belastetetenHerausforderer, Anies Baswedan mit knapp 58 % der Stimmen.

• Baswedan hatte sich im Wahlkampf auch von islamistischen Hardlinern unterstützen lassen und feierte seinen Sieg mit ihnen noch in der Wahlnacht in der größten Moschee Jakartas.

• Im Mai wurde Gouverneur Ahok dann zu zwei Jahren Gefängnis wegen Blasphemie verurteilt. Nach Drohungen gegen seine Familie verzichtete er auf einen Gang in die nächste Instanz.

Versuch einer Einordnung

• Der Blasphemieparagrah, der die Beleidigung “Gottes” und religiöser Gefühle unter Androhung schwerer Strafen stellt, wurde noch unter Sukarno, dem ersten Präsidenten Indonesiens eingeführt. Allerdings wurden in den ersten 40 Jahren nach der Einführung 1965 weniger als 10 Menschen wegen Blasphemie verurteilt.

• Die Zahl der Verurteilungen wegen Blasphemie explodierte erst nach der Demokratisierung des Landes. Wenn man genauer hinsieht, sogar erst seit der Präsidentschaft Susilo Bambang Yudhoyonos („SBY“) zwischen 2004 und 2014. Über 90% der Fälle beziehen sich auf eine Beleidigung des Islams, keiner von diesen hat jemals mit einem Freispruch geendet.

…

• Der einzige Freispruch, den es in einem Blasphemieprozess seit 2004 gab, bezog sich auf eine Beleidung des Hinduismus

• Es gibt Hinweise darauf, dass die Massendemonstrationen und der Prozess gegen Ahok auch ein Versuch von Teilen der alten Elite Indonesiens (SBY, Prabowo) war, religiöse Gefühle auszubeuten, um über Ahok die Reformpolitik des Staatspräsidenten Joko Widodoanzugreifen.

• Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Explosion von Blasphemieurteilen gegen Nicht-Muslime, auch der Ablauf des Prozess gegen Ahok, stark auf ein Voranschreiten des politischen Islams in Staat und Rechtssystem hindeutet; bis zu einem gewissen Grad auch auf eine Durchsetzung islamistischer Denkmuster in der muslimischen Bevölkerungsmehrheit.

• Und zwar auch und gerade unter jungen Leuten. Bereits 2015 hatte eine Umfrage unter Oberschülern in Jakarta und Bandung durch das anerkannte Setara Institutes ergeben, dass 7 Prozent von Ihnen mit den Zielen von ISIS übereinstimmen. 2016 ergab eine Umfrage desselben Instituts in der gleichen Bevölkerungsgruppe, dass 11 Prozent für die Ablösung der demokratischen Republik Indonesien durch ein muslimisches Kalifat sind.

• Eine Umfrage unter Religionslehrern an staatlichen Schulen in 5 indonesischen Provinzen (von 34) ergab, dass annähernd 80 Prozent der Lehrer die Sharia befürworten durch ein Team der UINJ Jakartat

• Aber tatsächlich zeigt auch das Ergebnis der Gouverneurswahlen den allmählich Sieg islamistischer Denkmuster über die traditionelle Toleranz: In Umfragen hatten sich nämlich 70 Prozent der Befragten sehr zufrieden mit der bisherigen Amtsführung des christlichen Gouverneurs gezeigt. Den Hauptgrund dafür, seinen Gegner Anies zu wählen, lag je nach Umfrage für 30 bis 50 Prozent der Wähler von Anies Baswedan in dessen muslimischer Religionszugehörigkeit. igte ein d

X-Men – Skandal

M. Rizieq Shihab/FPI und Prabowo Subianto (Ex-)Militär und Ex-Schwiegersohn Suhartos

• Allerdings kann man auch von einem zunehmenden gesellschaftlichen Autoritarismus sprechen, der immer größere Teile des sozialen Alltags der binären Unterscheidung von halal und haram, religiös erlaubt und verboten unterwürft. Kann man sagen, dass Funktionssystem Religion operiert zunehmend ausschließlich mit dem Code: halal und haram?

• U.A. die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter hat darauf hingewiesen, dass die Durchsetzung dieses kulturellen Islamismus eine erhebliche Einschränkung des alltäglichen Lebens von Muslimen – vor allem Musliminnen - weltweit bedeutet hat; und auch darauf, dass eine bewusste Strategie islamistischer Gruppierungen war, nachdem der Kampf um die Durchsetzung des politischen Islamismus in vielen Ländern zunächst gescheitert war.

Anti-LGBT-Bewegung

• Im Januar 2016 gab es nach Jahren das erste Mal wieder einen Terroranschlag in der Hauptstadt Jakarta, bei dem zum Glück neben den Tätern nur ein weiterer Mensch starb.

• Während einige Liberale und Moderate danach versuchten, eine Debatte über die Verbindungen zwischen einer immer konservativeren, “arabischeren” Interpretation des Islams im Land herbeizuführen, die nicht weit kam, traten verschiedene muslimische Medien und Gruppierungen in einer konzertiert wirkenden Aktion eine Kampagne gegen “LGBT” los, die sich monatelang hinzog.

• Diese Kampagne kam sowohl für lokale Betroffene und Menschenrechtsorganisationen wie auch ausländische Beobachter vollkommen überraschend.

...

• Auf ihrem Höhepunkt bezeichnete der indonesische Verteidigungsminister die bloße Existenz von LGBT als Gefahr für die nationale Sicherheit, während ein früherer Minister straflos dazu aufrief, Schwule und Lesben “zu ermorden, wo man sie auch trifft”.

• Zum Vergleich: Kurzer Gefängnisaufenthalt für Studentin in Yogyakarta, die die Bewohnber der Stadt in einem Post beleidigt hatte, langjähriger Gefängnisaufenthalt für einen Verwaltungangestelltenaus Sumatra, der sich auf Facebook als Atheist bezeichnet hatte.

Anti-LGBT- Bewegung als Beispiel für die (in)direkte Zusammenarbeit islami/sti/scher Gruppen

• Die Kampagne wurde von Republika, einer „sehr konservativen“ Zeitung und Internetseite, und der PKS, einer extremistischen, der Muslimbruderschaft nahestehenden Partei losgetreten. Ihr schlossen sich aber schnell weitere muslimische Mainstreammedien – und -organisationen an.

• So forderte die NU eine Bestrafung von gleichgeschlechtlichem Sex mit Gefängnis; und zwar nur drei Monate, nachdem sie eine nationale und internationale Kampagne für den moderaten indonesischen Islam als Bollwerk gegen den Extremismus angestoßen hatte (“Islam Nusantara”.)

• Der bereits erwähnte MUI erklärte bald darauf Homosexualität für „haram“, für religiös verboten.

…

• Die Führung von Muhammadiyah, die sich damals vergleichsweise moderat geäußert hatte, hat erst vor zwei Wochen eine Boykott-Kampagne gegen Starbucks gestartet, wegen der Unterstützung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch den amerikanischen CEO.

• Eine faktische Koalition sogenannter moderater und islamistischer Gruppen konnte man etwa auch schon bei dem bis 2016 jährlich stattfindenden schwul-lesbischen Filmfestival in Jakarta beobachten: Dort hatte erst der MUI 2010 das Festival für haramerklärt. Dann griff die FPI die Festivalorte an. Daraufhin konnte das Filmfest in den Folgejahren nicht mehr in großen Kinokomplexen stattfinden, sondern nur noch unter quasi-klandestinenBedingungen an im Wesentlichen westlichen Kultureinrichtungen; seit diesem Jahr überhaupt nicht mehr.

Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit !