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Seewlfe 121 Fred McMason 1 Auf fremden Meeren 1. Es war immer der gleiche Rhythmus, der den schwarzen Bug von Eiliger Drache über den Wassern leicht und schwankend aus der See hob, ihn sanft wieder ins nasse Element zurücksetzte und das Spiel von Wind und Wellen wiederholte. Das schwarze Schiff segelte über Backbordbug, und mit jedem Heben und Senken des Bugs nherte es sich dem Reich des Groen Chan. Nur noch ein paar Tage würde es so weitersegeln, dann war das Land erreicht, jenes Land in dem Siri-Tong, die Rote Korsarin, geboren war. Die Frau mit den schwarzen, leicht geschlitzten Mandelaugen, aus denen eine tiefe Sehnsucht sprach, stand auf dem Achterdeck des schwarzen Schiffes. Ihr entrückter Blick suchte den fernen Horizont, suchte, vielleicht auch unbewut, die vertrauten Umrisse der Isabella VIII., die so weit voraussegelte, da sie nicht mehr zu sehen war. Das Reich des Groen Chan! Shanghai, die Stadt, die von buntem Leben erf üllt war, geheimnisvoll, drohend und doch so vertraut. Jahre waren vergangen, lange Jahre, seit die Rote Korsarin ihre Heimat verlassen hatte. Was mochte inzwischen alles geschehen sein, was hatte sich verndert, wie sah es heute dort aus? Siri-Tong lehnte sich leicht auf die Schmuckbalustrade, bis ihre kleinen festen Brüste das Holz berührten. Das Gluckern des Wassers, das der Bug zerteilte, erreichte ihre Ohren nicht. Sie vernahm weder das Rauschen des Windes noch das Knarren der Bl cke oder das tiefe Seufzen des Schiffes, wenn es in die See tauchte. Ein seltsames Gefühl erfate die Rote Korsarin. Sie kehrte heim, nach langen Jahren, getrieben von Sehnsucht und Unrast, mit jenem beklemmenden Gef ühl im Herzen, wie es nur ein Mensch verspürte, der erwartungsvoll nach Vertrautem ausspht und es nicht mehr erwarten kann, den Boden seiner Heimat zu küssen. Ob ihre Mutter noch lebte? Ob sie ihr verziehen hatte, als sie Hals über Kopf Shanghai verlassen hatte? Würde man sie für den Tod Fei Lins zur Rechenschaft ziehen, weil der schmierige Kerl sie entehren wollte und er sich, nach einem harten Schlag von ihr, an einem Bambustisch das Genick gebrochen hatte? Tausend Fragen stürmten auf Siri-Tong ein, bange Fragen, auf die sie keine Antwort fand. Jetzt schrieb man das Jahr 1584, und in den Zaubergrten des Groen Chan würde wie immer um diese Jahreszeit der Lotos blühen. Fast neun Jahre waren seitdem vergangen, und diese Zeit hatte die Rote Korsarin geprgt. Aus dem jungen Mdchen war eine bildhübsche Frau geworden, geachtet bei ihren Freunden, gef ürchtet und gehat bei ihren Feinden. Ihr Name war in der Karibischen See zu einem Begriff geworden. Man kannte sie von Cayman bis Tortuga, von den Inseln unter dem Winde bis weit hinunter nach Südamerika, und inzwischen hatte es sich bestimmt herumgesprochen, da sie mit Eiliger Drache über den Wassern unterwegs ins Reich des Groen Chan war. So etwas wurde schnell bekannt, obwohl die Schiffe mitunter Jahre brauchten, um die Kunde zu verbreiten. Es sprach sich herum, und jeder dichtete etwas hinzu. So war es nicht nur schlicht und einfach die Rote Korsarin, die hier aufkreuzte, sondern ein Weib, das das Blut vom Sbel leckte, das über ein unverwund- bares Schiff verf ügte, das keine Gnade kannte, das unbezwingbar war, das in die tiefsten Schlünde der Hlle fuhr, um dem Teufel ein Ohr abzusegeln. Ja, sie war hart geworden die Rote Korsarin; verteufelt hart, aber dennoch war sie eine Frau geblieben, eine Frau mit menschlichen Schwchen und Sehnsüchten, eine zrtliche Geliebte und auch eine wilde und rei ende Korsarin.

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Seewölfe 121 Fred McMason 1 Auf fremden Meeren

1. Es war immer der gleiche Rhythmus, der den schwarzen Bug von �Eiliger Drache über den Wassern� leicht und schwankend aus der See hob, ihn sanft wieder ins nasse Element zurücksetzte und das Spiel von Wind und Wellen wiederholte. Das schwarze Schiff segelte über Backbordbug, und mit jedem Heben und Senken des Bugs näherte es sich dem Reich des Großen Chan. Nur noch ein paar Tage würde es so weitersegeln, dann war das Land erreicht, jenes Land in dem Siri-Tong, die Rote Korsarin, geboren war. Die Frau mit den schwarzen, leicht geschlitzten Mandelaugen, aus denen eine tiefe Sehnsucht sprach, stand auf dem Achterdeck des schwarzen Schiffes. Ihr entrückter Blick suchte den fernen Horizont, suchte, vielleicht auch unbewußt, die vertrauten Umrisse der �Isabella VIII.�, die so weit voraussegelte, daß sie nicht mehr zu sehen war. Das Reich des Großen Chan! Shanghai, die Stadt, die von buntem Leben erfüllt war, geheimnisvoll, drohend und doch so vertraut. Jahre waren vergangen, lange Jahre, seit die Rote Korsarin ihre Heimat verlassen hatte. Was mochte inzwischen alles geschehen sein, was hatte sich verändert, wie sah es heute dort aus? Siri-Tong lehnte sich leicht auf die Schmuckbalustrade, bis ihre kleinen festen Brüste das Holz berührten. Das Gluckern des Wassers, das der Bug zerteilte, erreichte ihre Ohren nicht. Sie vernahm weder das Rauschen des Windes noch das Knarren der Blöcke oder das tiefe Seufzen des Schiffes, wenn es in die See tauchte. Ein seltsames Gefühl erfaßte die Rote Korsarin. Sie kehrte heim, nach langen Jahren, getrieben von Sehnsucht und Unrast, mit jenem beklemmenden Gefühl im Herzen, wie es nur ein Mensch verspürte, der erwartungsvoll nach Vertrautem ausspäht und es nicht mehr

erwarten kann, den Boden seiner Heimat zu küssen. Ob ihre Mutter noch lebte? Ob sie ihr verziehen hatte, als sie Hals über Kopf Shanghai verlassen hatte? Würde man sie für den Tod Fei Lins zur Rechenschaft ziehen, weil der schmierige Kerl sie entehren wollte und er sich, nach einem harten Schlag von ihr, an einem Bambustisch das Genick gebrochen hatte? Tausend Fragen stürmten auf Siri-Tong ein, bange Fragen, auf die sie keine Antwort fand. Jetzt schrieb man das Jahr 1584, und in den Zaubergärten des Großen Chan würde wie immer um diese Jahreszeit der Lotos blühen. Fast neun Jahre waren seitdem vergangen, und diese Zeit hatte die Rote Korsarin geprägt. Aus dem jungen Mädchen war eine bildhübsche Frau geworden, geachtet bei ihren Freunden, gefürchtet und gehaßt bei ihren Feinden. Ihr Name war in der Karibischen See zu einem Begriff geworden. Man kannte sie von Cayman bis Tortuga, von den Inseln unter dem Winde bis weit hinunter nach Südamerika, und inzwischen hatte es sich bestimmt herumgesprochen, daß sie mit �Eiliger Drache über den Wassern� unterwegs ins Reich des Großen Chan war. So etwas wurde schnell bekannt, obwohl die Schiffe mitunter Jahre brauchten, um die Kunde zu verbreiten. Es sprach sich herum, und jeder dichtete etwas hinzu. So war es nicht nur schlicht und einfach die Rote Korsarin, die hier aufkreuzte, sondern ein Weib, das das Blut vom Säbel leckte, das über ein unverwund- bares Schiff verfügte, das keine Gnade kannte, das unbezwingbar war, das in die tiefsten Schlünde der Hölle fuhr, um dem Teufel ein Ohr abzusegeln. Ja, sie war hart geworden die Rote Korsarin; verteufelt hart, aber dennoch war sie eine Frau geblieben, eine Frau mit menschlichen Schwächen und Sehnsüchten, eine zärtliche Geliebte und auch eine wilde und reißende Korsarin.

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Die bunten Gestalten an Deck sahen ihren verträumten, fast weltentrückten Blick, und sie räusperten sich die Kehlen frei, denn auch sie wußten nicht, was sie im Reich des Großen Chan erwartete. Sicher, sie brachten die Mumie des toten Kapitäns zurück, des Mandarins, der schon zu Lebzeiten zu einer Legende geworden war, hatte er doch als erster immerhin die Reise ins Endlose gewagt, eine Reise, die bis ans Ende der Welt gehen sollte. Der legendäre Mandarin wurde wie ein Gott verehrt, und mit der Rückgabe seiner gesalbten Leiche hoffte Siri-Tong, sich die Freiheit zu erkaufen. Doch bis dahin war es noch ein langer Weg. Am Ruder stand der Boston-Mann, ein schwarzhaariger von der Sonne dunkel gebräunter Mann mit einem kühnen Gesicht, an dessen linkem Ohr ein großer goldener Ring baumelte, dem an der rechten Hand der Daumen fehlte und der ein rotes Kopftuch und eine rote Schärpe über dem Hemd trug. Die Rote Korsarin wandte sich ihm ruckhaft zu. Das Verträumte war aus ihrem Gesicht gewichen, sie kehrte wieder in die Wirklichkeit zurück. �Gib mir die Karte, Boston-Mann�, sagte sie. �Juan wird dich ablösen. Wir wollen unsere Position bestimmen.� Der schweigsame Boston-Mann nickte. Aus der Truhe, die an Deck stand, holte er jene geheimnisvolle Karte hervor, die keiner an Bord lesen konnte, weil sie mit unverständlichen Schriftzeichen bedeckt war. Nur die Rote Korsarin und der Wikinger Thorfin Njal verstanden sich darauf, diese Zeichen zu entziffern. Der Boston-Mann wurde von dem bulligen vierschrötigen Juan abgelöst. Vom Vorschiff kam der Wikinger, der in rauchgraue Felle gehüllte riesige Nordmann. Siri-Tong breitete die Karte aus. Sie kniete sich auf die Planken, strich die Seekarte glatt und deutete mit dem Finger darauf. �Wir befinden uns annähernd eine Tagesreise von dieser Insel entfernt, grob geschätzt natürlich. Der Seewolf wird sie

inzwischen erreicht haben, Proviant und Wasser nehmen und dort auf uns warten. In etwa zwanzig Stunden haben wir ihn eingeholt.� Thorfin Njal warf einen langen Blick auf die Karte, ehe er sich der Roten Korsarin zuwandte. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. �Ein wildfremdes Meer�, sagte er leise. �Man sieht ab und zu fremde Menschen und unbekannte Schiffe. Und doch sind die Spanier auch schon lange hier. Sie scheinen sich auf der ganzen Welt ausgebreitet zu haben.� Siri-Tong gab keine Antwort. Ihr Blick war auf den Großmars gerichtet, in dessen Ausguck Jonny hockte, der jüngste Mann an Bord, ein Kreole, der Sohn eines Negersklaven aus Sierra Leone. Er renkte sich fast den Hals aus, blickte immer wieder zum achteren Horizont und kniff die kohlschwarzen Augen zusammen. �Ein Schiff, Madam!� brüllte er laut. �Es läuft genau achternaus hinter uns her!� Da der Kreole taub war, begnügte sich die Rote Korsarin mit einem Kopfnicken und dem leichten Heben, der rechten Hand zum Zeichen, daß sie verstanden hatte. Weit hinter ihnen, an der Kimm, war tatsächlich undeutlich der Schattenriß eines anderen Schiffes zu erkennen. Es konnte ein Drei- oder Viermaster sein, wie die Korsarin feststellte. Genau ließ sich das jedoch noch nicht erkennen, dafür war die Entfernung noch zu groß. Ohne ein Wort zu verlieren, griff sie nach dem Spektiv, setzte es an die Augen und blickte lange hindurch. Thorfin sah, wie ihr hübscher Mund schmal wurde, wie sich ihre Stirn leicht umwölkte und ihre Augen eine noch dunklere Färbung annahmen. Etwas begriffstutzig sah er sie an. �Was ist mit dir, Mädchen? Was ist das für ein Schiff?� Der Wikinger erhielt keine Antwort. Siri-Tong reichte ihm lediglich das Spektiv und beobachtete ihn, als er durch das Glas blickte. Als Thorfin Njal es absetzte, hob er hilflos die Schultern.

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�Es sieht fast wie das Drachenschiff aus�, sagte er. �Eine zufällige Ähnlichkeit!� �Es ist das Drachenschiff�, erwiderte Siri-Tong leidenschaftslos. �Es hat drei versetzte Masten und in seinem Großmast weht die Flagge des Drachen. Ich habe sie deutlich gesehen.� Thorfin kratzte nachdenklich seinen rötlichgrauen Bart. �Aber � Es kann noch nicht hier sein�, murmelte er, �ausgeschlossen, es wurde damals so zusammengeschossen, daß es eine Weile braucht, um uns einzuholen.� Die Rote Korsarin gab sich kühl und beherrscht. Aber dem Wikinger entging das nervöse Flackern in ihren Augenlidern dennoch nicht. Auch in ihren Pupillen glaubte er kleine goldene Punkte zu erkennen, ein sicheres Zeichen, daß die Korsarin innerlich aufgewühlt war. �Wir irren uns bestimmt�, sagte er. �Es ist kein Irrtum, Thorfin�, widersprach sie fest. �Wir haben das Eisland umsegelt, lagen lange Zeit dort fest und mußten uns den Weg mühsam nach Norden bahnen, über die Insel der Steinernen Riesen bis zu dem Eiland der Drachen. Bedenke diesen langen Weg. Das Drachenschiff hat vermutlich den Kurs durch die Magellanstraße genommen und ist auf geradem Weg zum Land des Großen Chan weitergesegelt.� �Dann wird sich gleich die Hölle auftun�, sagte Thorfin düster. �Diese schlitzäugigen gelben Burschen haben es auf die Mumie abgesehen, und sie werden alles dransetzen, um in ihren Besitz zu gelangen. Sie werden mit Brandsätzen auf uns feuern.� Statt einer Antwort blickte die Rote Korsarin wieder durch das Spektiv. Ihre Augen waren jetzt ganz schmal. Sehr langsam wandte sie sich ihrem nordischen Partner zu. �Ich glaube nicht, daß sie es riskieren und Brandsätze auf uns abfeuern�, sagte sie. �Wenn sie die Mumie haben wollen, müssen sie entern. Was nutzt ihnen ein brennendes Schiff? Laß alles in Gefechtsbereitschaft versetzen, Boston-Mann!�

�Aye, aye, Madam!� Während der Boston-Mann den Befehl der Roten Korsarin weitergab, blickte Siri-Tong wieder zum Horizont. Nein, sie hatte keine Angst vor dem Drachenschiff, aber sie fühlte sich auch längst nicht mehr so frei und unbeschwert wie noch vor einigen Stunden. Der Boston-Mann und Bill, the Deadhead, trieben die Crew mit wilden Flüchen an, weil ihnen die Vorbereitungen zu langsam gingen und ihnen außerdem der Schreck in den Knochen saß, als sie hörten, wer ihnen am Horizont folgte. Im Spektiv war die lange Fahne am Großmast jetzt deutlich zu erkennen, und damit war auch der letzte Zweifel ausgeräumt, um welches Schiff es sich handelte. Schwarz und unheimlich segelte es heran. Mit seinen schwarzen Segeln ähnelte es entfernt �Eiliger Drache über den Wassern�. �Sollen sie nur kommen�, brüllte der Portugiese Pedro Ortiz, an Bord Pedro ohne Tagen genannt, der alles versprach, aber nie etwas hielt. �Denen werden wir es zeigen, in Grund und Boden werden wir diese gelbe Brut stampfen, und verdammt will ich sein, wenn ich den Kapitän nicht eigenhändig in der Luft zerreiße!� �Halt dein loses Maul und arbeite lieber�, fuhr ihn der Boston-Mann an. �Das gilt auch für die anderen. Später könnt ihr die Mäuler aufreißen, wenn es hart auf hart geht. Aber euch Kneipenhockern flattern ja schon vorher die Hosen.� Niemand muckte auf. Die rauhen Gesellen bedachten den Boston-Mann lediglich mit giftigen Blicken, denn sie kannten ihn. Der Kerl war härter als Eisen, geschmeidiger als eine Raubkatze und flinker als ein angriffslustiger Hai. Niemand verspürte Lust, sich mit ihm anzulegen. Die wenigen, die es getan hatten, fuhren längst nicht mehr auf dem Schwarzen Segler. Sie hatten die irdischen Meere hinter sich gelassen und lagen auf Höllenkurs. Das Drachenschiff war jetzt deutlich mit bloßem Auge zu erkennen. Sein Bug tauchte scharf in die See, erhob sich wild

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und rückte unter der Last seiner prallgefüllten Segel rasch näher. Die zwölf Kanonen auf der Steuerbordseite waren geladen. Auf Backbord wurde noch klariert. Der Wikinger selbst kümmerte sich um die Bronzegestelle auf dem Vor- und Achterkastell, mit deren Hilfe man die unheimlich wirkenden Brandsätze verschießen konnte. Diego Valeras, ein enger Freund Pedro sin obras, verteilte Musketen, Schiffshauer und Enterbeile an die Männer. Barry Winston lud die Waffen, stopfte die Bleikugeln in die Läufe und rammte sie fest. Vom Achterkastell aus überwachte Siri-Tong die Arbeiten. Ab und zu warf sie einen Blick achteraus, und immer wieder zuckte sie unwillkürlich zusammen, wenn sie die in schwarzes Tuch gehüllten Gestalten auf dem Drachenschiff sah. Stumm und drohend lehnten sie am Schanzkleid � wie Tote, die sich nicht rührten, wie unheilvolle Geister aus einer anderen Welt. Der Anblick der stummen Gestalten erinnerte die Korsarin an die erste Begegnung mit dem Drachenschiff, als sie die Karavelle mit den roten Segeln verloren hatte. Auch damals hatten die unheimlichen Kerle nur stumm herübergeblickt und zur Warnung zwei Brandsätze über ihr Schiff gefeuert. Bei der zweiten Begegnung wollten sie die Mumie rauben, die sich noch immer an Bord von �Eiliger Drache über den Wassern� befand. Durch den schnellen Entschluß des Seewolfs war auch dieser Versuch fehlgeschlagen. Jetzt erschienen sie zum dritten Male, und diesmal würden sie ganz sicher nicht nachgeben. �Sie segeln schneller als wir�, sagte der Wikinger. �Wir haben den letzten Fetzen Leinwand gesetzt, aber sie holen uns ein.� �Sind alle Geschütze feuerbereit?� fragte Siri-Tong. �Sind die Brandsätze in den Halterungen fest?� �Ja, alles ist in Ordnung. Wollen wir das Feuer eröffnen, wenn sie dicht genug heran sind?�

Siri-Tong hatte diese Möglichkeit eines blitzschnellen Angriffs schon lange erwogen, aber jetzt schüttelte sie den Kopf, so daß ihre schwarzen Haare wild hin und her flogen. �Nein, Thorfin�, sagte sie bestimmt. �Wir feuern erst, wenn sich Anzeichen ergeben, daß sie entern wollen, oder falls sie uns zum Stoppen auffordern.� �Dann könnte es zu spät sein�, meinte Thorfin. �Angriff ist immer noch die beste Verteidigung. Wir haben nicht viel zu verlieren, und die Kerle werden nicht lange fackeln.� ' �Wir haben eine Menge zu verlieren, Thorfin, viel mehr, als du glaubst. Denkst du, ich möchte ohne den Mandarin nach Hause zurückkehren? Man würde mir dort sofort den Prozeß machen, aber mit der Übergabe der Mumie besteht die Möglichkeit, daß ich mich freikaufe.� Der Wikinger schwieg, er kannte die Einstellung der Roten Korsarin. Eine Diskussion darüber erübrigte sich, sie würde am Ende doch wieder ihren hübschen Kopf durchsetzen. Er drehte sich um und starrte zu dem Drachenschiff. Die schwarze, gelb eingefaßte lange Fahne mit dem Ungeheuer darauf, flatterte wild im Wind. Ebenso sah man am Untersegel des Großmastes überdeutlich den in blauer Farbe eingewebten Drachen, der so aussah, als würde er schreckliche Worte auf die See hinausbrüllen. Zornig und fauchend hatte ihn das starke Segel zu einem wilden Ungeheuer aufgebläht. Das Drachenschiff schien über das Wasser zu schweben, so schnell rückte es näher. Als sei es mit dem Satan persönlich im Bunde, segelte es halb über den Wellen, um sich auf das nächstbeste Schiff zu stürzen. Es kam von Steuerbord achtern auf und würde in kurzer Zeit auf Parallelkurs mit �Eiliger Drache� liegen. Die Rote Korsarin erkannte nicht, ob man auf dem Drachenschiff feuerbereit war. Die in schwarzes Tuch gehüllten Gestalten an dem Schanzkleid rührten sich noch immer nicht, wie erstarrt standen sie da. Man sah ihre Gesichter mit den

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herabhängenden Lippenbärten jetzt ganz deutlich, und man erkannte die schwarzlackierten Zöpfe, die von ihren Hinterköpfen baumelten. Während sie alle nach achtern blickten, taten die Männer so unbekümmert, als sei nichts geschehen. Jeder versuchte krampfhaft zu verbergen, daß sich das Schiff in höchster Alarmbereitschaft befand. Die schweren Fünfundzwanziger waren geladen, an Deck hatte man Sand gestreut, Wasserpfützen standen herum, und Lunten lagen neben den Bronzebecken, in denen Holzkohle schwelte. �Die sehen aus wie die Teufel persönlich�, sagte Hilo, ein schlanker, fast dünn wirkender Neger mit einem durchdringenden Blick in den kohlschwarzen Augen. �Ich wette, daß die Kerle irgendeine Teufelei gegen uns aushecken.� �Denen werden wir jetzt ständig begegnen, diesen Fratzen mit ihren Bärten und Zöpfen�, sagte Mike Kaibuk. �Und dieses fremde Land wird verdammt unser Untergang sein. Mir ist es schon vor der Küste nicht geheuer.� Ein paar andere wie Muddi und Diego Valeros murmelten Zustimmung. Ihnen war es schon lange nicht mehr geheuer. Sie hatten Angst, denn dieses fremde Land, dem sie entgegensegelten, würde eine' Menge höllischer Überraschungen für sie bereit halten, das ahnten sie. Die Nerven. der Männer waren zum Zerreißen gespannt, als sich das Drachenschiff in einem Abstand von knapp fünfzig Yards auf gleiche Höhe schob. Immer wieder griffen sie nach ihren Musketen, blickten in die kalten abweisenden Gesichter der anderen und erwarteten jeden Augenblick, daß sich etwas Entscheidendes anbahnte. Siri-Tong stand unbeweglich auf dem Achterkastell. Sie sah in die grausamen Augen Li-Chengs, des Kapitäns, der sie höhnisch und überlegen musterte. Neben ihm lehnte die ausgemergelte Gestalt des alten Chronisten an der Schmuckbalustrade, jenes Mannes, der die

Mumie des Mandarin versteckt und die Reise ins Endlose von �Eiliger Drache über den Wassern� schriftlich fixiert hatte. Sie hatten Siri-Tong dem �Rauch der Wahrheit� ausgesetzt, und unter der Wirkung dieser Droge hatte sie bereitwillig alles ausgeplaudert. Li-Cheng wußte, wo sich die Mumie des toten Kapitäns befand, und er wußte auch, was sie damit vorhatte. Dennoch unternahm er nichts weiter als stumm herüberzublicken. Das beunruhigte die Rote Korsarin mehr als alles andere. Sie wußte nicht, was er plante, aber sie fühlte, daß bald etwas Furchtbares geschehen würde. Eine Zeitlang sahen sie sich stumm an. Zu hören war nur das Seufzen des Schiffes, das Knarren der Masten und Blöcke und das Rauschen und Tosen des vorbeigurgelnden Wassers, wenn es an die Bordwände klatschte. Dann hatte das Drachenschiff sie überholt und zeigte ihnen das Heck. Es wechselte leicht den Kurs, bis es vor �Eiliger Drache über den Wassern� lag. Der Wikinger kratzte ausgiebig seinen Kupferhelm. �Ich hätte nicht übel Lust, diesen Burschen achtern eins aufzubrennen�, sagte er. �Aber damit ...� Weiter sprach er nicht, denn vom Drachenschiff löste sich ein heulendes Etwas, zischte über das Schiff weg und jaulte weit hinter ihnen ins Wasser. Beim Aufschlag auf die Wasseroberfläche krepierte das Ding unter bestialischer Geräuschentwicklung. Dabei entfaltete sich ein purpurroter Teppich, der sekundenlang auf dem Wasser zu schweben schien. Die gesamte Crew starrte erschrocken und hilflos ins Wasser, das jetzt auf der Oberfläche wild zu brennen begann. Wie eine riesige große Blase sah es aus. Im Meer schien sich ein Trichter zu bilden, das Wasser brannte wie Öl. Nach knapp einer Minute war der Spuk vorbei. Das rote Lohen sank in sich zusammen und wurde vom Wasser verschlungen.

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Die Rote Korsarin war blaß, und der Wikinger mußte sich mehrmals räuspern, bis er wieder etwas sagen konnte. �Sie wollen wieder einmal ihre Macht und Stärke demonstrieren�, brach es grollend aus ihm heraus. �Vermutlich haben sie eine andere Art der Teufelsdinger erfunden. Wenn sie uns getroffen hätten, wäre der Brand mit keinen Mitteln der Welt zu löschen gewesen.� �Sie wollten uns nicht treffen�, murmelte Siri-Tong. �Sie wollen die Mumie und nichts anderes. Deshalb werden sie uns in eine Falle locken, und ich habe das verdammte Gefühl, als würden wir schon sehr bald in diese Falle laufen.� Der Wikinger sagte nichts mehr. Nachdenklich sah er dem schnell segelnden Drachenschiff nach, das schon bald eine Kabellänge voraus war. Immer noch sah er die stummen Gestalten am Schanzkleid stehen und finstere Blicke herüberwerfen. Der Nordmann hob in hilfloser Wut die Fäuste und schüttelte sie. Es würde noch Ärger geben, dachte er, mehr Ärger als ihnen allen lieb war. Länger als zwei Stunden sahen sie das Drachenschiff noch, dann verschwand es als kleine Silhouette an der Kimm. Die Beklemmung an Bord aber blieb.

2. �Land zwei Strich Backbord voraus!� Stenmark, der blonde Schwede, rief es aus dem Hauptmars zum Deck hinunter. Er hatte sich hinter die Segeltuchverkleidung gelehnt und deutete mit der Hand zum Horizont, wo sich im nebligen Dunst ein kaum sichtbarer Streifen abzeichnete. Philip Hasard Killigrew, der Mann, den sie den Seewolf nannten, schüttelte fast unmerklich den Kopf, als er in die von Stenmark angegebene Richtung blickte. �Wenn das die in der Karte verzeichnete Insel ist�, sagte er zu Ben Brighton, der schweigend neben ihm auf dem Achterdeck stand, �dann weicht unser Kompaß allerdings beträchtlich ab. Woran mag das nur liegen? Diese Insel hätte nach

meinen Berechnungen auf Steuerbord erscheinen müssen.� Brighton war ebenso ratlos. Natürlich war die Navigation in diesen unbekannten Gewässern immer ein Problem, aber vielleicht hatte sie auch nur eine Abdrift in diese Richtung versetzt. Oder der Kompaß funktionierte wirklich nicht richtig. Die meisten der Seewölfe blickten in die Richtung, die Stenmark ihnen gewiesen hatte. Land! Das verhieß fast immer etwas Neues, Abwechslung aus dem täglichen Einerlei des Bordlebens, raus aus dem Trott. Smoky sah den Profos an, der mit vorgeschobenem Rammkinn in der Kuhl stand und mißtrauisch den Horizont absuchte. Der Decksälteste stieß den Profos an. �Wenn du die Insel suchst, Ed�, sagte er, �die ist da drüben. Backbord hat Stenmark gesagt.� �Das weiß ich selbst, du Heringskopf�, brummte der Profos. �Oder traust du mir nicht zu, daß ich Land riechen kann, eh?� �Dann frage ich mich, warum du dauernd nach Steuerbord glotzt.� �Weil dort etwas in der Luft ist, du Stint!� Smoky warf einen fragenden Blick auf den Profos, der immer angestrengter in den Himmel starrte. Er fragte sich, was, zum Teufel, der gute Ed wohl wieder einmal sah. Es dauerte auch eine ganze Weile, ehe er den schwachen Punkt erkannte, der aus dem Himmel zu stürzen schien, schräg in die See fiel und gleich darauf wieder emportauchte. Batuti, Blacky und Jeff Bowie hatten sich mittlerweile in der Kuhl versammelt und starrten auf den Punkt. Für einen kurzen Augenblick erkannte Smoky etwas, das silbrig glänzte und in der Sonne hell glitzerte. Es schien inmitten des dunklen Punktes zu hängen. �Was, bei allen Geistern der See, kann das nur sein, Ed?� Carberrys Antwort klang absolut sicher: �Das ist ein Albatros, Mann! Einer jener Vögel, die auf ihren Schwingen fliegend schlafen. Ein sehr großer Vogel. Erinnerst

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du dich nicht mehr? Wir hatten doch einmal einen an Bord.� Smoky und Jeff Bowie nickten gleichzeitig. Ja, sie erinnerten sich. Es war schon eine verdammt lange Zeit her. Ein Albatros hatte sich in der Karibik auf dem Schiff niedergelassen, und von da ab hatte sie das Pech verfolgt. Sie brachten Unglück, diese Riesenvögel, und dieser Albatros mit seinen mächtigen Schwingen hielt genau auf die �Isabella� zu, nachdem er sich schnell aus der See erhoben hatte. Er wurde größer und deutlicher. Smoky kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um besser sehen zu können. Old O'Flynn stelzte mit seinem Holzbein von der Back in die Kuhl. Jedesmal erklang ein �Klack�, wenn sein Holzbein auf die Planken stieß. Neben dem Profos lehnte er sich ans Schanzkleid. Scharf traten seine Wangenknochen aus der pergamentartigen Haut hervor. Old O'Flynn sah verwittert aus. Sonne und Wind hatten seine Züge lederartig gegerbt. Das alte Rauhbein lachte stoßartig auf. �Der will zu uns, der Unglücksbringer�, sagte er dumpf. �Das hat nichts Gutes zu bedeuten, Männer. Denkt an den alten Burschen, den wir damals an Bord hatten.� Ja, sie dachten alle daran und sahen, wie der Alte sich heimlich bekreuzigte und leise �Misericordia� murmelte. Blacky tat es ihm ebenso heimlich nach, als der Vogel jetzt mit direktem Kurs auf die �Isabella� zuflog. Für lange Augenblicke war die Insel Backbord voraus vergessen. Der Albatros behielt seinen Kurs bei, wurde immer größer, immer mächtiger, und es bestand nicht der geringste Zweifel daran, daß er beabsichtigte, .sich auf dem Schanzkleid niederzulassen. Als die mächtigen Schwingen wild durch die Luft hieben, wichen die Männer angstvoll zurück. Der Profos duckte sich, denn auf ihn als einen der größten hatte es der Vogel abgesehen. Noch einmal flatterten die mächtigen Schwingen, dann griffen die Krallen des Vogels nach dem Wulstrand des Schanzkleides und hielten das Holz fest.

Niemand sprach ein Wort. Ausnahmslos jeder schaute verdutzt auf den Riesenvogel, sogar der Seewolf war sprachlos und schüttelte nur stumm den Kopf, als könne er das 'nicht begreifen. An sich eine Ungeheuerlichkeit, daß der Bursche sich hier so frech niederläßt, dachte Carberry. Er war überhaupt nicht scheu. Aber die zweite Ungeheuerlichkeit mutete ihn noch schlimmer an. Der Albatros hielt in seinem Schnabel einen Fisch, einen sechs bis acht Pfund schweren Seebarsch, der wild zappelte. Die Augen des Albatros musterten gleichgültig den erstarrten Profos, dann öffnete das Biest den großen Schnabel, spuckte den zappelnden Barsch dem Profos direkt vor die Stiefel und breitete wieder die Schwingen aus. Gleich darauf spürte Carberry den Wind, den die Riesenschwingen verursachten. Fast torkelnd erhob sich der Albatros und schwang sich mühsam in die Luft. Der Fisch lag in der Kuhl und zappelte. Carberry wischte sich mit der Hand über die Augen. Mit offenem Mund sah er dem Vogel nach, der jetzt an Höhe gewann. �Hölle�, würgte er schwach hervor. �Ich hab's doch mit meinen eigenen Augen gesehen, oder ist das kein Fisch an Deck, Smoky?� �Ein Fisch�, stammelte der Decksälteste, �äh, so 'ne Art Zackenbarsch oder so was. Aber er lebt und zappelt.� �Gibt's das denn?� fragte Ed verstört. �Seit wann beliefert ein Albatros eine Schiffsmannschaft Fisch? Der ist doch ewig hungrig und frißt die Dinger selbst.� Dan O'Flynn, der Pete Ballie vor einer halben Stunde am Ruder abgelöst hatte, kriegte glasige Augen, aber er riß sich schnell wieder zusammen, als er sah, daß das schnurgerade schäumende Kielwasser der �Isabella� einen kleinen Zickzackkurs aufwies. Bisher hatte er die Galeone noch sanfter und besser gesegelt als der erfahrene Rudergänger Pete Ballie. In der Kuhl aber erhitzten sich die Gemüter weiter, und in die Debatte mischte sich immer wieder Old O'Flynns Organ, dem eine seiner Schauergeschichten einfiel, die

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immer mit dem Satz begannen: �Einen ähnlichen Fall hatten wir damals auch gehabt, ich glaube, auf der ,Empreß of Sea` war es.� Während also über das seltsame Gebaren weiter palavert wurde, nahm der Kutscher in aller Seelenruhe den Fisch von den Planken, nickte anerkennend und klopfte Smoky auf die Schulter. �Sehr gut�, lobte er den Decksältesten, �noch drei von diesen Seekameraden, und es gibt Fisch in Kräutersoße. Glotz mich nicht so an, paß lieber auf deine Angel auf!� Damit entschwand er aufs Vordeck in Richtung Kombüse. Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der �Isabella�, hatte von der ganzen Angelegenheit nicht das geringste mitgekriegt. �Eh, Kutscher, den Fisch hat ein Vogel gebracht�, brüllte Smoky dem Koch nach, um die Neuigkeit loszuwerden. Aber mit solchen miesen Witzen konnte er beim Kutscher nicht landen. Der tippte sich nur grinsend an die Stirn und rief vom Vordeck zurück: �Dann bestell ihm einen Gruß, er soll noch ein paar bringen!� Auf der �Isabella� brach ein Heiterkeitssturm los, doch der wurde wieder jäh unterbrochen. Gar nicht weit von ihnen entfernt fiel der Albatros plötzlich wie ein Stein vom Himmel ins Wasser, beschrieb dicht unter der Wasserlinie einen eleganten Bogen und tauchte dann auf, sich erneut schwerfällig in die Luft schwingend. Wieder nahm er direkten Kurs auf die �Isabella�. Dieses Schauspiel war nicht normal, alle empfanden das. Es war unwirklich und mutete gespenstisch an, und diesmal empfanden sie fast noch mehr Scheu vor dem Vogel. Der Fisch, den er brachte und würdevoll an Deck spie, nachdem er sich an derselben Stelle niedergelassen hatte, hatte in etwa das gleiche Gewicht wie der erste, nur war er schmaler und länger.

Carberry lehnte jetzt am Mast, sein narbiges Gesicht war rötlich angelaufen. Er stand da, als hätte man ihn angenagelt. Den Albatros schienen die Menschen nicht zu stören, er scherte sich den Teufel um sie. Nur ab und zu drehte er schwerfällig den Kopf, als unterzöge er einen nach dem anderen einer genauen Musterung. Carberry überwand sich schließlich. Er wollte dieses Biest nicht an Bord haben, jeder wußte, daß es Unglück brachte, mochte er die Crew auch zentnerweise mit Fisch versorgen oder sie für seine Jungen halten, die gefüttert werden mußten, um nicht zu verhungern. Diese liebevolle Fürsorge ging dem Profos auf die Nerven, und so gab er sich einen Ruck, schritt auf das Schanzkleid zu, hob die Arme und fuchtelte herum, dabei brüllte er ein paar Worte, die kein Mensch verstand. Fast beleidigt sah der Vogel ihn an. Dann - richtig verächtlich sah es aus - breitete er die Schwingen aus, um träge weiterzuflattern. Zum Entsetzen des alten O'Flynn ließ er sich auf der Schmuckbalustrade nieder, mit seinen mächtigen Flügeln das Gleichgewicht ausbalancierend. Hasard betrachtete den Vogel ohne Emotionen. Vorerst hatte er auch keine Erklärung für diesen seltsamen Vorgang, aber er sann darüber nach, warum das Tier buchstäblich im Meer angelte und seine Beute dann den Menschen überließ -wie ein abgerichteter Hund, der Wild apportiert. In seine Überlegungen erklang das Rauschen der Schwingen. Der Albatros erhob sich zum drittenmal und flatterte wie ein dunkles Ungeheuer davon. �Aller guten Dinge sind drei�, unkte Old O'Flynn, und knuffte den ehemaligen Schmied von Arwenack, Big Old Shane, in die Rippen. �Wetten; daß er zurückkehrt?� fragte der Alte. Old Shane nickte düster. �Ja, ich glaube es auch, aber ich bin mir nicht sicher, daß er Unglück bringt. Weshalb sollte er auch?� �Weshalb sollte er auch?� fragte Old O'Flynn zurück. �Ist doch ganz klar, Mann, eben weil er ein Unglücksbringer ist.�

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Dieser Logik konnte Shane nicht so recht folgen, deshalb schüttelte er den Kopf, daß seine weißgrauen Haare wild flatterten. �Man sagt, diese Vögel beweisen nur, daß in der Nähe Land zu finden ist, Donegal, und das stimmt ja auch.� �Ha! Wir hatten das auch einmal gehabt, einen ganz ähnlichen Fall. Auf der ,Empreß of Sea' war es, glaube ich. Da kam so ein Biest angeflogen, setzte sich oben auf die Rah und flatterte wild mit seinen Flügeln, die so groß waren wie die Flügel von einer Windmühle. Wir wußten gleich, daß ein Unglück passieren würde, und was soll ich dir sagen � es gab ein Unglück.� �Schlimm?� �Schlimm genug. Etwas später gab es einen fürchterlichen Sturm, und die Wellen gingen haushoch. Ein Brecher schlug uns die Kombüse weg, die mit lautem Krachen über Bord flog. Aber weil sie aus Holz war, schwamm sie natürlich neben dem Schiff her. Und der Koch glotzt doch zu uns herüber, öffnet noch ein Bullauge und fragt, was das für ein Schiff sei, und ob die Idioten denn so dicht heransegeln müßten. Ja, so war das damals�, schloß O'Flynn, �und schuld war nur der Kormoran.� �Ich denke, das war ein Albatros�, wandte Old Shane ein. �Äh, natürlich, manchmal bringe ich das ein bißchen durcheinander, weißt du! Ein Albatros, sicher!� �Solange du die Tatsachen nicht durcheinanderbringst, ist ja alles gut�, murmelte der hünenhafte Schmied. O'Flynn wollte empört aufbrausen, doch er kuschte, als er den Albatros zum drittenmal heransegeln sah. Wieder trug er in seinem gelblichen langen Schnabel einen Fisch, den er auf Deck plumpsen ließ, und der pausenlos in die Höhe sprang, bis Smoky dem Fisch seine Faust an den Schädel knallte. Der Vogel hatte etwas Menschliches an sich, wie er so da hockte auf der Schmuckbalustrade und das Schiff beäugte. Neugier war in diesem Blick zu lesen, aber er schien auch Unwillen oder Hunger auszudrücken.

�Jetzt reicht's aber!� rief Carberry und ging laut mit den Händen klatschend auf den Albatros zu, bis ihn Hasards Zuruf stoppte. �Halt, Ed! Laß ihn, er trägt etwas um den Hals.� Unter dem Gefieder fiel das kaum auf, doch Hasard sah jetzt deutlich einen schmalen Lederriemen, den der Albatros um den Hals trug. Der Lederriemen war ziemlich fest zugezogen. Vorsichtig näherte er sich dem großen Vogel, der ihm furchtlos entgegensah. Der Schnabel öffnete sich etwas, doch er schloß sich gleich wieder, als der Seewolf leise auf ihn einredete. Alle blickten zur Schmuckbalustrade, dem Abschluß des Achterkastells. Hasard hatte sich dem Vogel noch weiter genähert, bis er auf Reichweite heran war. �Er hat keine Angst vor Menschen�, sagte er leise zu Dan, der Schritt für Schritt dem Seewolf gefolgt war. Pete Ballie hatte ihn am Ruder abgelöst. �Aber weshalb trägt er einen Lederriemen um den Hals?� Hasard war seiner Sache ganz sicher. �Es ist ein abgerichteter Vogel. Irgendwelche Eingeborenen oder Küstenfischer haben ihn gezähmt, damit er Fische fängt und sie den Leuten bringt. Eine bequeme Art, sich die Beute aus dem Meer holen zu lassen. Den Lederriemen trägt er, damit er die Fische nicht selbst schluckt. Wahrscheinlich wird er dafür mit kleinen Bissen belohnt.� Hasard sprach immer leiser. Dann berührte er vorsichtig mit der ausgestreckten Hand den kalten Schnabel des Vogels. �Vermutlich hat er sich verflogen und sucht jetzt die Nähe der Menschen, um nicht zu verhungern. Ich bin sicher, daß er auf seine Belohnung wartet.� Hasard ergriff den Hals des Vogels und hielt ihn fest. Der Albatros wehrte sich nicht. Damit der Vogel nicht verhungerte, löste Hasard vorsichtig den Lederriemen, der so eng um den Hals lag, daß der Vogel kaum schlucken konnte. �Dan, hol ein Stück von dem Fisch�, sagte Hasard. Der Vogel blieb immer noch

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sitzen, nur sein Hals bewegte sich, als hätte er Krämpfe. Dan brachte ein Stück von dem Fisch und hielt es dem Albatros auf der ausgestreckten Hand hin. Fast hätte er die Hand wieder zurückgezogen, so gierig riß ihm der Vogel den Fisch aus der Hand. Dann schluckte und würgte er, bis der Brocken unten war. Das zweite Stück wurde zu spät geholt. Dan hatte es noch in der Hand, als der Albatros sich erhob, sich gewaltig von der Schmuckbalustrade abstemmte und davonflog. Diesmal dachte er allerdings nicht mehr daran, seine erbeuteten Fische an Bord zu bringen, er fraß sie lieber selbst, denn er war ausgehungert wie noch nie in seinem Leben. Er begleitete die �Isabella� noch ein kurzes Stück, dann schraubte er sich hoch in den Himmel und ließ sich nicht mehr blicken. An Bord ging der Gesprächsstoff nicht aus. Die Abwechslung war interessant gewesen. Allem Anschein nach würde es in Kürze noch interessanter werden, denn jetzt rückte die Insel näher. �Wir ankern dort vorn in der Bucht, Profos�, sagte der Seewolf. �Aye, Sir�, erwiderte Carberry und reckte die gewaltige Brust vor. �Wird Zeit, daß ihr triefäugigen Arschgeigen mal wieder auf andere Gedanken gebracht werdet�, sagte er dann zu Gary Andrews, der am Großmast lehnte und die Insel in Augenschein nahm. �Sieht lieblich aus, das Eiland�, sagte Gary. �Ob's da wohl Weiber hat?� �Weiß ich doch nicht�, schnauzte Ed kurz angebunden zurück. �Ich weiß nur, daß du gleich an der Nagelbank stehst und dich anstatt mit Weibern erst mit Fallen beschäftigst. Außerdem ist die Insel nicht zum Rumhuren gedacht.� �Ich hab noch nie mit 'ner Insel rumgehurt�, entrüstete sich Gary. �So was würde mir nicht im Traum einfallen.� Dem eisernen Carberry verschlug es glatt die Sprache. Drehten ihm diese lausigen Kerle doch einfach das Wort im Mund herum.

Mit schwacher Fahrt lief die �Isabella� in eine sanft geschwungene Bucht ein. Die Segel wurden aufgegeit, der Anker klatschte ins Wasser, und die �Isabella� schwoite um den Anker herum, bis sie zur Ruhe gelangte.

3. Sie hatten schon viele Inseln gesehen und in unzähligen Buchten geankert. Mal hatten die Inseln eine üppige Vegetation aufzuweisen, mal waren sie karg und öde, mal gab es Eingeborene, die friedlich waren, ein anderes Mal wieder welche, die ihnen mit offener Feindseligkeit begegneten. Aber so etwas wie hier hatten sie noch nie erlebt. Nein, Sir, das gab es nicht oder höchstens im Traum. Stenmark drückte das mit Worten aus, was die anderen empfanden. Der Schwede hatte helle, glänzende Augen. �Das Paradies muß dagegen ja direkt beschissen sein�, meinte er überrascht. �Seht euch das nur an!� Dazu bedurfte es keiner Aufforderung. Von sehen konnte keine Rede mehr sein. Die Kerle standen am Schanzkleid und stierten sich die Augen aus. Sam Roskill, Luke Morgan, Bob Grey und Matt Davies hingen mit verzückten Blicken am Strand oder hauptsächlich an dem, was sich am Strand tat. Ferris Tucker und der Profos stießen sich an und grinsten. �Wetten, daß bei denen der Verstand beim Teufel ist?� fragte Ed. �Die Wette hast du gewonnen. Mann, ich glaube, bei mir ist das nicht viel anders.� �Na ja�, gab der Profos zu. Es klang ziemlich lahm, folglich war es bei ihm auch nicht anders. Hellhäutige Eingeborene säumten den Strand. Sie schrie; lachten und winkten. Die Freundlichkeit blitzte ihnen nur so aus den fröhlichen Augen. Die Crew achtete aber kaum auf die eingeborenen Männer. Die Gegenstücke waren viel interessanter. Schlanke, schwarzhaarige Mädchen, die nichts weiter

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trugen als nur ein kleines Grasröckchen, hüpften und tanzten übermütig am Strand herum und umarmten die Seewölfe schon aus der Ferne. �Mann, die Bombarden hängen ja völlig frei in der Luft�, sagte Blacky heiser. �Das muß ich mir unbedingt aus der Nähe ansehen.� Hasards kühle Stimme ließ ihn zusammenzucken. �Nur nicht drängeln, meine Herren. Wir bleiben schön gesittet und anständig, auch wenn es schwerfällt. Ist das ganz klar verstanden worden, oder hat jemand Einwände?� Einwände hatten sie schon, aber das sagten sie dem Seewolf natürlich nicht, dessen blaue Augen die Männer mit leichtem Spott musterten. Er kannte seine Helden, und er nahm es ihnen auch nicht übel, doch sie konnten nicht wie eine wilde Horde am Strand aufkreuzen und sich nehmen, was ihnen gefiel. Drüben wurden Auslegerboote ins Wasser geschoben. Männer und Frauen sprangen in so beängstigender Zahl hinein, daß es aussah, als würden die Boote jeden Augenblick kentern. In einem Boot stand � das war auf Anhieb zu erkennen � der Inselhäuptling. Sein nackter Oberkörper war farbenprächtig bemalt, auf seinem glücklichen Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. �Mann, die bringen Geschenke mit�, sagte Smoky fassungslos. Die Eingeborenen winkten mit geflochtenen Körben voller verlockender Früchte. Einige trugen Holzmasken in der Hand, ein paar dunkelhaarige Mädchen brachten geflochtene Taschen, kleine Aufmerksamkeiten der Freundschaft. Hasard schaute dem bunten Treiben zu. �Fier die Leiter über Bord, Sten!� rief er dem blonden Schweden zu, der eilfertig der Aufforderung nachkam und die Jakobsleiter über die Bordwand fierte. Die schwarzhaarigen Mädchen riefen etwas hinauf, das niemand verstand. Aber die Worte klangen freundlich. Vielleicht hießen sie �Willkommen�.

Hasard musterte den Häuptling, einen etwas dicklichen Mann, dessen Auslegerboot als erstes die Jakobsleiter erreichte. Mit seinem breiten Gesicht ähnelte er einem Hawaiianer. Er stand kaum an Deck, als er sich auch schon dreimal hintereinander tief vor dem Seewolf verneigte, seine .Hände dann auf die Brust legte und mit einer guturalen Stimme sagte: �Amigo, me Kanaki Jama. Amistad.� �Amistad�, antwortete Hasard verblüfft. Woher kannte dieser Mann die spanische Sprache? �Freund, ich bin Kanaki Jama, Freundschaft�, hieß das. Kanaki Jama war also sein Name. Kanaki bedeutete auf den Inseln Mann, und Jama vielleicht glücklich oder zufrieden. Hasard nannte seinen Namen, doch dann unterbrach ihn Gekicher und Gelächter. Die jungen Mädchen, hübsch und biegsam gewachsen, hatten das Deck geentert und behängten die grinsenden Seewölfe mit feuerroten Blumenkränzen. Himmel, alle Lüsternheit dieser Welt stand den Kerlen wieder in den Augen geschrieben. Wie zufällig lehnten sie sich an die dargebotenen Busen, die kein Tuch verhüllte. Und wie natürlich und ungezwungen sich die Mädchen gaben! Kanaki Jama drehte sich stolz um, zeigte mit seiner Hand auf die Eingeborenen und verkündete: �Jama! Todo jama.� Ja, alle sind glücklich, dachte Hasard und lächelte dem Häuptling freundlich zu. Mit dessen Spanisch war es aber nicht weit her, er sprach nur ein paar Brocken, die er mit unverständlichen polynesischen Ausdrücken würzte. Doch seine Gesten waren fast so gut und verständlich wie Worte. Hier schien sich überhaupt alles bestens zu verstehen. Spanier mußten diese Insel angelaufen haben, überlegte der Seewolf, aber diese Spanier hatten ganz sicher nicht ihre übliche Visitenkarte hinterlassen, auf der Mord, Plünderung, Feuer, Unterdrückung und Ausbeutung stand. Hier hatten sie sich ausnahmslos einmal anständig benommen, sonst wären diese Eingeborenen nie so überschwänglich nett gewesen.

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Etwas an dieser völligen Harmonie störte den Seewolf, ohne daß er zu sagen gewußt hätte, was es war. Die Insel einschließlich ihrer Bevölkerung war zu vollkommen. Hier gab es offenbar keine Trauer, keinen Schmerz, nichts Böses, nur nette freundliche und in ewiger Glückseligkeit lebende Menschen. Sie schnatterten auf die Seewölfe ein, behängten sie immer wieder mit Blumenkränzen und umarmten sie. Sam Roskill hatte sich gleich mit zwei Schönheiten geschmückt, die sich links und rechts bei ihm eingehängt hatten und ihn strahlend ansahen. �Hier machen wir ein Faß auf�, verkündete er begeistert, und die anderen nickten, als wäre das ganz selbstverständlich. Kanaki Jama, der glückliche Mann, wollte von Hasard wissen, ob er Spanier sei. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Seewolf die Frage begriff. �Nein, Engländer�, sagte er und versuchte, Kanaki Jama zu erklären, wo England liege. Aber das begriff der glückliche Mann nicht. Er war erfreut über seine Gäste und brachte das immer und immer wieder zum Ausdruck, Das Deck glich einem Blumenmeer. In Körben standen Früchte, und manche dieser Früchte hatte noch kein Seewolf je in seinem Leben gesehen. Auch der Bengel Bill schäkerte mit einer Schönen herum und reckte stolzgeschwellt seine magere Hühnerbrust heraus, um zu demonstrieren, was er doch für ein Kerl sei. Kanaki Jama schnatterte weiter auf den Seewolf ein. Er redete mit Händen und Füßen, und Hasard verstand ihn auch. �Was will er?� fragte der Schiffszimmermann Tucker. �Ich werde nicht schlau daraus.� �Er sagt, wir können alles haben was wir wollen. Frisches Trinkwasser, Früchte, Fleisch und � na ja.� �Was noch?� fragte Tucker lauernd. �Er meint, die Mädchen würden sich freuen, ganz besonders für uns da zu sein.�

�Verstehe�, sagte Ferris Tucker knapp. �Und was meint er mit seinem Händewedeln?� Daraus wurde Hasard auch erst nach und nach schlau. Kanaki Jama wollte den Seewölfen zu Ehren ein Strandfest geben, mit Tanz, Gesang, Essen und Trinken. Hasard konnte schlecht ablehnen, er wollte auch nicht, denn warum sollten sich seine Männer nicht auch wieder einmal amüsieren? Also sagte er zu, und Kanaki Jama sagte wortreich, daß er jetzt der glücklichste Mann von allen sei.

* Auf die Männer wirkte das alles fast wie ein Rausch. Es war eine vollkommene Harmonie, die glücklichen Leute, die zufriedenen Gesichter und der üppige Reichtum dieser Insel. Am späten Nachmittag pullte ein großer Trupp an Land, der von Hasard geführt wurde. Trinkwasser und Proviant wollte man erst am nächsten Morgen an Bord nehmen. Ir der Zwischenzeit war es möglich, daß die Rote Korsarin hier aufkreuzte. Sie konnte nicht mehr weit von der Insel entfernt sein. Obwohl hier alles in bester Ordnung zu sein schien, beschlich den Seewolf wieder jenes merkwürdige Gefühl, für das er keine Erklärung fand. Eine innere Stimme schien ihm ständig etwas zuzuflüstern. Immer wieder drehte der schwarzhaarige Mann sich um. Aber da war nichts. Am Strand standen die Eingeborenen und riefen ihnen etwas zu. Ein paar waren ins warme Wasser gesprungen und schwammen dem Beiboot der �Isabella� entgegen. Danach begleiteten sie es wie eine Horde Delphine, lachend, glücklich, erwachsene Kinder, die sich am Leben erfreuten. Carberrys Blick streifte Hasards Gesicht. Er war sich nicht im klaren, darüber, was der Seewolf dachte. Ob er an die Wilden dachte? Damals, vor mehr als zwei Jahren, war es gewesen, als sie zuerst freundlich

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empfangen und dann mit Pfeilen beschossen worden waren. Nein, hier gab es das nicht, entschied der Profos, hier war alles lieblich und nett. Niemals hätten diese Eingeborenen etwas im Schilde geführt. �Ist dir nicht gut, Sir?� fragte der Profos etwas später halblaut und sah Hasard besorgt an. Der Seewolf gab sich frei und ungezwungen. �Mir fehlt nichts, Ed. Wir sind doch hier mitten im Paradies gelandet, was wollen wir mehr?� �Na, ich weiß nicht so recht. Dein Gesicht wirkt jedenfalls nicht gerade fröhlich.� Die anderen hatten von der leise geführten Unterhaltung nichts mitgekriegt. Ihre Blicke waren nach vorn gerichtet, dort, wo übermütige junge Mädchen einen Tanz aufführten. Das Boot lief knirschend auf den Strand, der fast weiß war. Ein paar Auslegerboote folgten ihnen. Hasard sah nirgendwo einen Bogen oder eine andere Waffe. Dafür wurden sie zum Zeichen der Freundschaft und des Friedens wiederum mit Blumenkränzen behängt. Der Strand war etwa fünfzig Yards breit. Dahinter begann ein kleiner flacher Dschungel, am Rand von Palmen eingesäumt, einer größeren Lichtung und wildem Buschwerk. Faustgroße purpurrote Blüten wuchsen zwischen den Büschen, genau jene Blüten, die man ihnen um den Hals gehängt hatte, und die so verlockend dufteten. Hinter der Lichtung waren ein paar Hütten zu erkennen, aus denen lärmende Kinder rannten und die Seewölfe bestaunten. Kanaki Jama zeigte auf die Hütten, holte mit beiden Armen aus und kreiste symbolisch sein Reich ein. Es gab kaum jemanden, der nicht ein paar Worte Spanisch sprach. Jeder kannte ein paar Brocken und wandte sie bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten an. Batuti reckte seinen mächtigen Brustkasten und grinste nach allen Richtungen.

�Hier sein gut�, sagte er laut, �hier nette Leute, viel singen und lachen, kein Ärger.� Kanaki Jama betrachtete den riesenhaften Neger wohlwollend. �Nachher viel essen�, drückten Worte und Gesten des Häuptlings aus. Er wies auf die Lichtung und bat die Seewölfe, ihm zu folgen. Dort hatte man eine lange Tafel errichtet. Halbnackte Frauen hatten Bananenblätter abgeschnitten, und wickelten Fleisch- und Fischstücke hinein. Das Ganze wurde zusammengerollt, ein paar Kräuter kamen dazu und dann legten sie es auf einen schwach qualmenden Haufen Asche und heiße Steine. Auf der flachen Tafel waren in geordnetem System Obstsorten und Früchte ausgerichtet. Aufgeschlagene, halbierte Kokosnüsse standen da, und in flachen Holzschalen schimmerte ein grünliches Gesöff, das nach Pfefferminze roch. Kanaki Jama führte . sie weiter, zeigte ihnen die Hütten und auch die Quelle gleich dahinter und erklärte umständlich, hier könnten sie Wasser holen, soviel sie wollten. Nein, sie sollten es nicht holen, man würde es selbstverständlich mit den Auslegerbooten an Bord bringen. Hasard bedankte sich. Er ließ blitzende Messer an den Häuptling und die eingeborenen Männer verteilen. Die Frauen erhielten geschliffene und polierte Glasstücke, die mit dünnem Silber bemalt waren. Einfache Spiegel, die helles Entzücken hervorriefen. Nach und nach verschwand Hasards Unruhe. Er sah, daß seine Männer sich ausgesprochen wohlfühlten, und auch der Moses Bill betonte immer wieder, daß es hier schöner wäre als im Paradies. Matt Davies und Dan pullten zur �Isabella� zurück, um die anderen Männer zu holen. Zurück an Bord blieben freiwillig der Kutscher, Old O'Flynn, Big Old Shane und der alte Segelmacher Will Thorne. Wieder gab es lautes Hallo, als der zweite Trupp an Land ging. Ungeniert hängten die halbnackten Mädchen sich bei den Seewölfen ein. Von Seiten der eingeborenen Männer gab es keinen

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scheelen Blick und keine Anzeichen von Eifersucht. �Ich hätte nicht übel Lust, die Insel ein wenig zu durchforschen�, sagte Dan. �Weiter links gibt es eine kleine Bucht, da sieht es wie in einem Tal aus. Merkwürdigerweise scheint dort gar nichts zu wachsen.� �Das verschieben wir auf morgen, wenn wir Trinkwasser an Bord nehmen, Dan�, erwiderte der Seewolf. �Wir können auch noch einen Tag zugeben, falls Siri-Tong dann noch nicht hier ist.� �Von mir aus können wir hier noch ein paar Monate bleiben�, sagte Roskill mit lüsternen Augen und musterte ein Mädchen, das hüftenwackelnd direkt provozierend dicht an ihm vorbeiging. Kleine Holzschalen wurden herumgereicht. Die Männer nahmen auf dem Boden Platz und verschränkten die Beine, wie es die Eingeborenen auch taten. Das Zeug in den Schalen roch ungemein verlockend, aber der erste Schluck zog dem abgebrühten Profos fast die Stiefel aus. Er glaubte, von innen heraus zu explodieren. Aber er ließ sich nichts anmerken, denn jetzt griff der Schiffsjunge nach der Schale, verdrehte die Augen, bis die Männer grinsten und nahm dann einen großen Schluck. Hinterhältig grinsend sah der Profos zu, wie der Bengel senkrecht nach oben schoß, wie seine Lippen wild zuckten und aus seinem Mund ein heiserer Schrei brach. Er kriegte glasige Augen und schnappte verzweifelt nach Luft. �So was�, keuchte er heiser, �ich glaube, ich glaube, ich ...� �Scheint verdammt heiß zu sein�, sagte Matt Davies ahnungslos und griff ebenfalls nach der hölzernen Schale, der so ein lieblicher und verlockender Duft entströmte. Als er getrunken hatte, setzte er die Schale hart ab. In seinem Gesicht begann es verhalten zu zucken. Er sagte gar nichts. Sollten die anderen das Zeug doch selbst probieren. Er schielte nur immer wieder nach seiner Hakenprothese und glaubte

jeden Moment, der Haken würde blau anlaufen, so scharf war das Zeug. Einer der Eingeborenen ging auf den Tisch zu und stellte einen großen Holzkübel mit Wasser darauf. Dann griff er nach dem grünen Gesöff und wollte es hineinschütten. Erstaunt riß er die Augen auf, als in der Schale nur noch ein kleiner Rest übrig war, und er die belämmerten Gesichter der Männer sah, die davon getrunken hatten. �O Mann, das Giftzeug muß wohl erst eins zu hundert verdünnt werden�, sagte Jeff Bowie, der neben Davies saß. �Kein Wunder, daß es wie Schwarzpulver brennt.� Unter den Eingeborenen gab es Heiterkeitsausbrüche und Gelächter. Selbst Kanaki Jama begann dröhnend zu lachen, lachte immer mehr, bis er sich den Bauch hielt, Tränen in seine Augen traten und er lachend zur Seite kippte. Bis er sich erholt hatte, verging eine Weile. Dann führte er den voreiligen Männern vor, wie das Zeug getrunken wurde. In die Schale wurden zwei oder drei Tropfen gegossen, der Rest mit Wasser aufgefüllt. Jetzt schmeckte das Zeug ganz manierlich, und immer noch hatte es trotz der hohen Verdünnung eine gewisse Schärfe. Etwas später trugen barbusige Mädchen die Speisen auf. Fisch in Bananenblättern zart gebacken, gedünstete Bananen, Fleischbrocken mit scharfschmeckender Soße, durchsichtige Nudeln und in einer Holzschale eine ganz besondere Überraschung. Dort lag ein fein säuberlich zusammengeringelter weißer Wurm von Fingerdicke. Er erinnerte an eine weiße Raupe, der man die Haut abgezogen hatte. Die Seewölfe hieben rein, was das Zeug hielt. Dazwischen wurden immer wieder Früchte gereicht, gelacht, getrunken und geschwatzt. Nur um den weißen Wurm versuchten sich fast alle herumzumogeln. �Das Vieh kommt mir nicht geheuer vor�, sagte Gary Andrews. �Kann man den nicht unauffällig irgendwo verbuddeln?� �Wir haben schon einmal in Guayana solche Biester gegessen, als wir nichts

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anderes mehr hatten�, meinte der Stückmeister Al Conroy. �Geschmeckt hatten sie nicht, aber sie haben uns am Leben erhalten. Was soll's also? Davon stirbt keiner.� Mit spitzen Fingern griff er nach dem weißen Ungeheuer, ignorierte die entsetzten Gesichter seiner Kameraden und schlang den Wurm hinunter. Carberry steckte seinen unauffällig in die Hosentasche, als niemand hinsah. Er konnte sich nicht überwinden. Später, so schwor er sich, würde er das Biest irgendwo beerdigen, wo es niemand von den Eingeborenen fand. Ferris Tucker entglitt das gute Stück �aus Versehen�, und es verschwand im Sand. Verständlicherweise konnte er es danach nicht mehr essen. Auch die anderen erwiesen sich als geschickte Taschenspieler. Sie lenkten ab, zeigten in die Bucht, und schon verschwand unauffällig ein Wurm nach dem anderen. Hasard versuchte, Kanaki Jama ein wenig über die Spanier auszuhorchen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die sich hier so manierlich benommen hatten. Die Antwort des Häuptlings erstaunte Hasard. In seinem Gemisch aus Polynesisch, Spanisch und Händewedeln drückte Kanaki Jama das so aus: �Ein spanisches Schiff war hier, viele Sonnenaufgänge lang. Sehr nette Leute waren das, sehr, sehr freundlich. Sie wollten Wasser, wir gaben ihnen Wasser, sie wollten Essen, wir gaben ihnen essen. Immer lachen, immer froh, dann bestiegen sie ihr Schiff und fuhren weg. Wir. nicht mehr haben gesehen.� �Waren noch mehr Spanier hier?� wollte Hasard wissen. Kanaki Jama überlegte, dann nickte er. �Noch einmal ein Schiff hier. Auch sehr frohe Leute. Aber dann wieder weg mit Schiff von fröhliches Land.� �Entweder gibt's hier nichts zu holen�, sagte Ben Brighton, der neben Hasard saß, �oder beide Schiffe waren so vorbildlich, und die Männer haben sich so einwandfrei benommen, daß es fast schon zum Himmel stinkt.�

Während Hasard noch darüber nachgrübelte, ging das Fest weiter. Ab und zu bemerkte er, daß einer aus seiner Crew fehlte. Er war still und heimlich irgendwo mit einem der Mädchen in den Büschen verschwunden. Auch den Seewolf umgarnte ständig eine der Schönen. Sie hatte sich an ihn geschmiegt und himmelte ihn ganz offen an. Spät in der Nacht pullten die Seewölfe zurück, begleitet von Kanaki Jama und vielen Eingeborenen, die am Strand immer noch übermütig herumtollten. Kanaki Jama deutete zum Himmel in die sternklare Nacht, wo der Mond sich schon fast zu einer Scheibe gerundet hatte. �Bald werden Mond voll sein�, sagte er etwas traurig. Hasard verstand nicht. �Richtig�, entgegnete er. �Aber das ist doch kein Grund zur Traurigkeit.� Der Häuptling sah ihn lange an. Dann zuckte er hilflos mit den Schultern, seine Augen wirkten irgendwie verzweifelt, fand der Seewolf. Er nickte den Leuten noch einmal zu, hob dann matt die Hand, drehte sich um und schlurfte davon, als sei er plötzlich um Jahre gealtert. �Haben wir uns falsch benommen?� fragte Stenmark, als sie im Boot saßen und zur �Isabella� hinüberpullten. �Dieser Kanaki Jama wirkte plötzlich so veränderte Ich kann mir das nicht erklären.� �Dann geht es dir wie mir�, sagte Hasard. �Aus seiner Bemerkung, daß es bald Vollmond sein werde, bin ich nicht schlau geworden. Ich wüßte auch nicht, daß wir einen Fehler begangen haben. Es muß etwas anderes sein.� Von Bord aus warfen sie noch einen langen Blick zum Strand hinüber, an dem sich die Silhouetten der Eingeborenen abzeichneten. Niemand winkte mehr, stumm und reglos standen sie da und sahen zum Schiff. Eist nach einer geraumen Weile gingen sie schweigend auseinander und verstreuten sich. Hasard ließ trotz aller paradiesischen Ruhe in dieser Nacht vier Mann Wache gehen. Er wußte immer noch nicht, was es war,

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aber etwas lag in der Luft, das fühlte er ganz deutlich.

4. Am nächsten Morgen hatte der Himmel eine so intensive Bläue, wie man sie selten sah. Am Horizont stieg das Flammenrad der Sonne hoch. Die Männer hatten ausnahmslos gut geschlafen und waren beim ersten Sonnenstrahl wach. Sie gossen sich kühles Wasser über die Körper und blickten zum Strand hinüber. Das ausgelassene Völkchen war ebenfalls schon wach. Sie riefen winkten und lachten. Einige stürzten ins Wasser und schwammen auf die �Isabella� zu. Ein paar andere badeten unbekümmert nackt, . andere hockten in Auslegerbooten und angelten. Es war ein Bild des Friedens, der Behaglichkeit und der freundlichen Ruhe, die durch nichts getrübt war. Hasard suchte vom Achterkastell aus mit dem Spektiv die See ab. Von der Roten Korsarin war immer noch nichts zu sehen. Kein vertrautes Segel erschien am Horizont. �Eiliger Drache über den Wassern� schien es diesmal nicht eilig zu haben. Oder das Schiff steckte in einer Kalme, genau wie hier, wo augenblicklich nicht der leiseste Lufthauch zu spüren war. �Holt endlich die Fässer, ihr lahmen Heringe!� ertönte Carberrys lautes Organ vom Vorschiff. �Wir wollen noch heute Wasser mannen, nicht erst zu Weihnachten.� Die leeren Fässer wurden an Deck gebracht und von dort ins Beiboot gegeben, wo Batuti sie entgegennahm. Sie würden ein paarmal fahren müssen, um die unter Deck stehenden Hundertgallonenfässer zu füllen. Aber sie hatten Zeit. �Dan schlug gestern einen kleinen Inselspaziergang vor, Ed�, sagte Hasard zu seinem Profos. �Willst du mit?� �Gern. Ferris fragte an, ob er auch ...�

�Genehmigt. Die anderen bringen Proviant und Wasser an Bord. Wer später nochmal an Land möchte, kann gehen.� Vom Strand fuhren ihnen schon wieder die Auslegerboote entgegen. Da kein Wind ging, bewegten sie die Boote mit den Händen durch das Wasser. Freundliche Worte klangen ihnen entgegen, Blumen wurden in das Beiboot geworfen. Kanaki Jama stand im warmen Sand und breitete die Arme aus. Auf seinem breitflächigen Gesicht lag Freude. Hasard sprang an Land, gefolgt von den anderen. �Hat Kanaki Jama etwas dagegen, wenn wir uns ein wenig die Insel ansehen?� fragte Hasard. Er sprach absichtlich schlechtes und verzerrtes Spanisch, denn so verstand der Häuptling ihn noch am besten. �Männer gehen, gern�, radebrechte er. Hasard gelangte zu der Überzeugung, daß die Spanier doch eine ganze Weile hier gewesen sein mußten, sonst hätte Kanaki Jama nicht so viele Worte gekannt. Der Häuptling fragte nicht, ob er sie begleiten solle, und das wunderte den Seewolf. Er nickte ihm dankend zu und ging mit Carberry, Dan und Ferris Tucker den Strand entlang zu jener Stelle, die Dan gestern entdeckt hätte und auf der angeblich nichts wuchs. Kanaki Jamas Zuruf stoppte die Männer. Seine Hand beschrieb seltsame Zeichen, und er erklärte umständlich, daß jener Teil nicht gut sei. Dort gäbe es Geister, es spuke dort, und ab und zu erschienen dort auch Götter. �Jetzt reizt es mich noch mehr�, sagte Hasard zu seinen Gefährten. Ebenso umständlich erklärte er dem Häuptling, daß sie keine Angst vor Geistern hätten. Kanaki Jama ließ sie ziehen. Aber sein Gesicht schien deutliches Unbehagen auszudrücken. Unterdessen waren die anderen dabei, aus der Quelle hinter den Hütten frisches Trinkwasser in die Fässer zu füllen. Die ersten Fässer waren schon gefüllt und wurden zum Boot getragen.

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Vor ihnen, im Wasser, plantschten Frauen, Männer und Kinder und winkten ihnen zu. Ab und zu sprang einer aus dem Wasser und deutete in die Richtung der kleinen Bucht. Dann sagte er etwas mit sehr besorgtem Gesicht und schüttelte wiederholt den Kopf. �Sie drücken anscheinend das gleiche aus wie der Häuptling�, sagte Dan. �Bei fast allen Eingeborenen gibt es eine Stelle, die nicht geheuer ist. Gehen wir trotzdem weiter?� �Natürlich, sie haben ja nichts dagegen. Merkwürdig finde ich nur, daß uns niemand folgt.� Der Seewolf wandte sich um, doch keiner der Eingeborenen dachte daran, sie zu begleiten. Sie plantschten weiter im Wasser, warfen den Männern aber immer wieder verstohlene Blicke hinterher. Die kleine Bucht wurde von einer Hügelkette abgeschlossen. Die Hügel waren wild bewachsen, daher schlug Hasard vor, am Wasser entlangzugehen, um so in die kleine Bucht zu gelangen. Das ersparte ihnen einen Umweg und vor nassen Füßen hatte niemand Angst. �Genau wie in der Karibik sieht es hier aus�, sagte Tucker. Er hatte diesmal auf seine Axt verzichtet, ebenso wie keiner der anderen eine Waffe trug. Für die friedlichen Eingeborenen wäre das sicher einer Beleidigung gleichgekommen. Selbst der Seewolf hatte seine Radschloßpistole nicht dabei. Was Tucker sagte, stimmte. Vor den Hügeln wuchsen hohe Palmen mit dunkelgrünen Wedeln. Der Strand war lang und weiß, der Himmel hatte die gleiche durchdringende Bläue, und das Meer war am Strand flaschengrün, bis es zum Horizont hin eine tiefblaue, fast dunkle Farbe annahm. Ein paar Yards marschierten sie am Wasser entlang, dann hatten sie die kleine. Bucht erreicht. Dieses Stück Strand war halbmondförmig und von dicken Steinen übersät. Eine natürliche Barriere aus Fels schloß die Bucht ab. Sie war kaum höher als ein Yard.

Kurz dahinter begann der Einblick, von dem Dan erzählt hatte. Vormals war dieses Stück Land wahrscheinlich vom Meer überspült gewesen, heute war es eine Geröll-wüste, die sich mehrere hundert Yards ins Inselinnere ausdehnte. Auf dem steinigen kargen Boden wuchsen nur ein paar winzige verkrüppelte Büsche und hellblaue Gräser. Diese Senke beschrieb nach knapp hundert Yards einen leichten Knick nach rechts. Was dahinter lag, war nicht einsehbar. �Lohnt es sich überhaupt noch, weiterzugehen?� fragte der Profos. Er blieb stehen und sah sich um. Dies mußte der trostloseste Flecken der Insel sein. Hasard hatte auch schon den Gedanken erwogen, einfach wieder umzukehren, und wollte gerade etwas sagen, doch dann fielen ihm die Worte Kanaki Jamas und die versteckten Andeutungen der anderen Eingeborenen wieder ein. �Ich würde zu gern mal den Göttern oder Geistern begegnen, die hier herumspuken sollen�, sagte er trocken. �Vielleicht haben wir das Glück und treffen einen von ihnen.� Carberry und Tucker lachten spöttisch. Da blieb Donegal Daniel O'Flynn plötzlich stehen und griff sich an den Kopf. Mit der flachen Hand schlug er sich gleich darauf nachdrücklich gegen die Stirn. Was er sagte, gab den anderen zu denken. �Ist euch auf dieser lieblichen Insel schon etwas aufgefallen?� fragte er. �Überlegt mal, etwas fehlt hier doch!� Vergebens sann der Seewolf darüber nach. Es fiel ihm nicht ein. Auch der Profos und der Schiffszimmermann schüttelten die Köpfe. �Was, zum Teufel, soll hier fehlen?� fragte Ferris. �Hier gibt's doch nette, junge Mädchen und junge Kerle und Kinder. Auch die Mütter sind jung, selbst der Häuptling ist sehr jung, oder stimmt das nicht?� �Sicher stimmt das!� �Wo sind dann die Alten?� fragte Dan. �Habt ihr auch nur ein einziges altes Weib oder einen alten Kerl gesehen?�

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�Tatsächlich, Dan, du hast recht�, murmelte der Seewolf. �Ich wußte die ganze Zeit, daß hier etwas nicht stimmt, aber an die Alten habe ich nicht gedacht. Nein, ich habe weder alte Frauen noch alte Männer gesehen.� �Vielleicht leben sie im Innern der Insel�, meinte Carberry. �Das gibt es ja bei einigen Stämmen. Da haben die Alten eine Gemeinschaft für sich und dürfen die Jungen nicht behelligen.� �Bei diesen freundlichen Leuten?� sagte Hasard. �Hier ist doch alles im Lot, hier herrscht Frieden.� �Ich weiß nicht�, sagte Dan, �diese Insel, so schön und friedlich sie auch ist, ich habe das Gefühl, sie birgt ein Geheimnis. Hier liegt etwas in der Luft, das sich unsichtbar über unseren Köpfen zusammenbraut. Der Ausspruch stammt übrigens von meinem Alten. Er sagte gestern nacht, daß wir hier noch unser blaues Wunder erleben würden.� Unter ihren Sohlen knirschten die Steine, als sie weitergingen und sich dem Knick aus Felsen, Steinen und Geröll näherten. Die Sonne stach jetzt heiß vom Himmel, und immer wieder wischten sie sich über die Stirn. Hier, in dieser kleinen Senke, strahlten die Steine die Wärme hundertfach zurück. Vom nahen Meer kam nicht der kleinste Hauch Kühlung. Sie hatten den Knick gerade gerundet, als alle vier wie vom Donner gerührt stehenblieben. Sprachlos starrten sie das Ungetüm an.

5. Es war eine Statue, die inmitten der Geröllsenke stand. Mehrere Yards hoch erhob sich der hölzerne Rumpf. Diese Statue, die grell von der Sonne beschienen wurde, sah herrlich aus, sie war liebevoll geschnitzt. Der Künstler, der sie erschaffen hatte, verstand sein Handwerk. Ein gutmütiges Gesicht sah sie freundlich an. Es trug die Züge des Häuptlings Kanaki Jama. Das freundliche Lächeln, der milde Blick, es konnte genauso gut jeder andere junge Mann der Insel sein, denn sie

waren alle gleich freundlich und hatten dieses unbeschwerte Lächeln. Es war das Gesicht eines Mannes, der keine Bosheit kennt. �Merkwürdig�, sagte Hasard. �Eine Statue mit zwei Gesichtern. Auf der Rückseite des Kopfes ist noch einmal ein Gesicht zu erkennen.� Er ging weiter auf die Statue zu. Aus den Augen schien es zu blitzen, je näher er heranging. Irgendein geschliffener Stein, der Augen darstellte, warf das Sonnenlicht in hellen springenden Reflexen zurück. Carberry, Tucker und der junge O'Flynn folgten ihm neugierig. Diesmal überlief sie allerdings trotz der Hitze ein unangenehmer kühler Schauer, als sie das andere Gesicht der Statue mit dem Januskopf sahen. Dieses Gesicht war grimmig, bösartig und von unbeschreiblicher Hinterlist und Heimtücke. Es drückte alle Bösartigkeit dieser Welt aus, und die vier Männer, fragten sich beklommen, wie es dem Künstler möglich gewesen war, so etwas Unheilvolles zu schaffen. Die heimtückische Fratze brannte sich ihnen in die Seele, dieses gemeine häßliche Gesicht. Das war kein Götze mehr und auch kein Dämon, der sie voller Verachtung anblickte, das war die Fratze des Teufels, der Menschengestalt angenommen hatte. Aber das Seltsame an dieser Fratze war der Umstand, daß Hasard auch hier wieder Kanaki Jama zu erkennen glaubte. Eigentlich jeden Mann der Insel. Etwas lag in diesen hinterhältigen Zügen, das sich mit den Eingeborenen identifizieren, ließ, im Guten und im Bösen. Lange Zeit sprach niemand ein Wort. Hasard mußte sich erst die Kehle freiräuspern, so unangenehm überrascht war er noch immer. �Wem ähnelt das gutmütige Gesicht?� fragte er rauh. �Dem Häuptling�, sagte Carberry prompt und auch Tucker und Dan pflichteten ihm bei. �Und die Fratze auf der anderen Seite?� �Einem Teufel vielleicht!� �Seht es euch mal ganz genau an!�

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Das taten sie, und dabei lief ihnen wieder dieser kalte Schauer über den Rücken. Tucker griff sich an den Schädel und zog an seinen roten Haaren. �Es erinnert mich an jemanden, aber es fällt mir nicht ein.� �Sind es nicht Kanaki Jamas Züge?� fragte der Seewolf sanft. �Vergleiche die beiden Gesichter einmal!� �Du hast recht, Sir, verdammt, es sind seine Züge, oder sie könnten es sein, wenn sich sein Ausdruck zur Boshaftigkeit verändert. Allerdings könnte es auch jeden anderen Mann dieser Insel darstellen, glaube ich.� �Das wollte ich nur wissen. Genau den gleichen Gedanken habe auch ich. Alle Eingeborenen dieser paradiesischen Insel verkörpern einmal das gute und einmal das böse Gesicht. Ich möchte nur wissen, was es zu bedeuten hat.� Ratlos umstanden sie die Statue, gingen einmal zur Vorderseite, dann wieder zur Rückseite und zuckten mit den Schultern, Einen vernünftigen Sinn ergab das Bildnis nicht. Oder doch? Weiter hinten erhoben sich kahle Felsen, die die Senke nach Süden hin abschlossen. Man konnte nur hinaus, wenn man die nicht sehr hohen Felsen erkletterte, einen anderen Weg gab es nicht. �Was starrst du dauernd auf die Wand dahinten?� fragte Carberry und knuffte Dan den Ellenbogen sachte in die Rippen. �Da liegt etwas in der Mulde�, murmelte Dan abwesend und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Wenn Dan O'Flynn etwas sah, dann stimmte es. Er hatte ungewöhnlich scharfe Augen, ihm entging nichts, keine Bewegung, kein noch so kleiner Gegenstand, und so sah er wieder einmal etwas, was die anderen noch nicht entdeckt hatten. �Knochen�, murmelte er heiser, und er wiederholte das Wort noch einmal, weil es nicht so richtig aus der Kehle wollte. �Knochen?� fragte Hasard. �Irrst du dich nicht?� �Bestimmt nicht.� O'Flynn setzte sich in Bewegung. Er ging wie in Trance in Richtung der Felswand.

Davor gab es noch einmal eine kleine Einbuchtung die etwas tiefer lag als das übrige Land. Wenn hier nicht das Meer gestanden hatte, dann mußte hier vormals ein großer Teich oder eine Quelle gewesen sein. Carberry folgte ihm langsam. Er warf noch einen Blick auf die Statue, die ihn höhnisch und wissend anzustarren schien. Die Augen auf dieser Seite funkelten nicht, sie lagen tief in den Höhlen, wirkten aber umso schlimmer. Inmitten des Gerölls stolperte Tucker und stieß einen leisen Fluch aus. Als er sich bückte, zuckte er zusammen. Vor ihm, zwischen den grauen Steinen nur schwer zu erkennen, lag ein Knochen. Die Sonne hatte ihn gebleicht, und es ließ sich nicht bestimmen, wie lange er schon hier lag. Hasard war neben ihn getreten, der junge O'Flynn ging immer noch weiter, ohne sich umzublicken. �Der Knochen eines Menschen�, sagte Hasard tonlos. �Die Eingeborenen werden doch keine Kannibalen sein?� �Um Himmelswillen, das fehlte noch�, erwiderte der Profos mit belegter Stimme. �Nein�, entschied er dann, �so benehmen sich keine Menschenfresser. Die hätten uns blitzartig überfallen.� �Das kann auch Tarnung sein, eine Maske. Ich muß immer an die zwei verschiedenen Gesichter denken.� Dans Ausruf klang erstickt. Er war schon dreißig Yards weitergegangen und bückte sich ständig. �Totenschädel!� rief er. �Kommt her und seht euch das an!� Ja, es stimmte. Der Ort glich einer Schädelstätte. In der Mulde lagen Knochen, Schädel, so viele, daß man sie gar nicht mehr zählen konnte. Und ringsumher war ebenfalls alles mit Knochen übersät. �Vielleicht tue ich diesen Eingeborenen unrecht�, sagte der Seewolf, �und alles findet eine ganz harmlose Erklärung. Es könnte ein Friedhof sein. Viele Naturvölker bestatten ihre Toten abseits so wie hier in einer großen Mulde und lassen die Leichen einfach verwesen, ohne sie zu

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begraben. Weshalb nehmen wir eigentlich gleich das Schlimmste an?� �Daran habe ich noch gar nicht gedacht�, sagte Dan. �Klar, das hier ist eine offene Grabstätte, deshalb gehen hier angeblich auch Geister um, und das Gesicht dieser Statue drückt nur aus, daß die Lebenden sich von den Toten abwenden.� Er wirkte richtig erleichtert, und auch die anderen atmeten auf. Doch das hielt nicht lange an. Diesmal entdeckte der Seewolf etwas, das alle Theorien und Vermutungen wieder über den Haufen warf: Er fand ein Stück halbvermoderter und gebleichter Uniform, einen kleinen Rest nur, aber er genügte völlig, um ihn als das Uniformteil eines Spaniers zu klassifizieren. Wieder sahen sie sich an, ratlos, schulterzuckend. �Der Teufel hole diese lausige Insel�, fluchte der Profos. �und diese lausigen Affenärsche von Eingeborenen gleich mit. Ihre Freundlichkeit ist nur gespielt, sie lauern nur auf eine Gelegenheit, um uns genauso abzumurksen wie die Dons. Da!� er stieß mit dem Stiefel einen Lendenknochen zur Seite. �Da liegt noch mehr, Reste von Kürbishosen, eine Halskrause, ein Stück Uniform, seht euch das an!� �Und außerdem sitzen wir hier prächtig in der Falle�, sagte Ferris Tucker. �Wenn es denen jetzt einfällt, uns heimlich abzumurksen, dann haben sie hier doch die beste Gelegenheit dazu. Wir haben keine Waffen und können nicht schnell genug verschwinden!� Lauernd sahen sie sich um. Aber es zeigte sich kein Gesicht hinter den Hügeln. Alles blieb unwirklich und still. Nur ein leises Knistern war zu hören, aber das lag an der Hitze, die diese Senke ausdörrte und kleine Risse in die Felsen zauberte, Es bedurfte von Seiten Hasards keiner Aufforderung an den jungen O'Flynn. Der war schon wie der Affe Arwenack blitzschnell nach oben geklettert und sah sich nach allen Seiten um.

�Niemand zu sehen!� rief er. �Aber da, neben dir, Hasard, da liegt ein Stück Holz oder ein verbrannter Knochen. Zwei Strich Steuerbord!� Hasard, der immer noch auf die Schädel, Uniformteile und Knochen geblickt hatte, wandte sich jetzt um. Zwischen den großen Steinen lag ein yardlanges stark angekohltes Stück Holz. Er hob es auf und reichte es Tucker, der es fachmännisch von allen Seiten betrachtete. �Kein Zweifel, das stammt von einer Schiffsplanke, und zwar von unterhalb des Bugspriets. Da drüben liegt noch mehr!� Jetzt begriffen sie gar nichts mehr. Das Rätsel, das sie anfangs gelöst glaubten, wurde nur noch größer. Allerdings ließ sich auch dafür eine Theorie oder Vermutung erbringen. Hier konnte vor langer Zeit, ein Spanier gestrandet sein - zu einer Zeit, als noch Wasser in der Senke stand. Die Wellen hatten das Schiff über die Barriere gehoben, an Bord war ein Brand ausgebrochen und niemand mit dem Leben davongekommen. Das war sogar eine ganz natürliche Erklärung, überlegte Hasard. Dabei fiel ihm gleich noch etwas ein, die Worte Kanaki Jamas nämlich, der betrübt sagte, es würde bald Vollmond sein. Hatte sich dieses Unglück bei Vollmond zugetragen, und trauerten die Eingeborenen den toten Spaniern nach? �Ich weiß nicht, aber diese Vermutung gefällt mir auch nicht, Hasard.� Tucker schüttelte stur den Kopf. Für ihn paßte vieles nicht zusammen. Daher stocherte er in den Überresten herum, wozu er die angekohlte Planke zu Hilfe nahm und förderte weitere Knochen, Schädel und Holzteile zutage. �Wir werden den Häuptling fragen�, sagte er, �ich bin auf seine Erklärung sehr gespannt.� �Ja, das werden wir�, bekräftigte Hasard, und wieder sah er den Januskopf mit den zwei Gesichtern an. Er hatte das Gefühl, als würde ihm der Himmel auf den Kopf fallen und er müßte unter der strahlend blauen Glocke ersticken. Was braute sich

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hier über ihren Köpfen nur zusammen, von dem sie keine Ahnung hatten. Tucker wühlte mit eifriger Besessenheit in den Holzteilen herum. Manche bestanden nur noch aus Holzkohle, andere wieder waren gut erhalten und ab und zu fand sich eine zwei Yards lange Planke, die nur. leicht angekohlt war. �Hör auf!� sagte Hasard. �Das Herumstochern bringt uns auch nicht weiter. Kanaki Jama wird uns eine Antwort geben.� �Ich habe die Antwort schon gefunden�, erwiderte Ferris grimmig. Voller Wut schleuderte er angekohlte Planken auf die Steine, und dann fand er ein Stück des Bugspriets und etwas später zwei Teile des Holzkreuzes, das die Spanier als Galionsfigur führten. �Hier�, sagte er erbost, �das sind zwei Kreuze gewesen, man sieht es noch ganz deutlich. Ich habe noch keinen Spanier gesehen der mit zwei Kreuzen fährt. Am Bugspriet hängt immer nur eins.� �Bist du sicher, daß es zwei Kreuze sind, Ferris?� �Ich irre mich nicht�, erwiderte der Schiffszimmermann. �Ich habe mir auch die Mühe bereitet, die Schädel zu zählen. Manche sind eingeschlagen, man sieht noch die Löcher darin, und es sind fast achtzig oder noch mehr. Dabei haben wir noch nicht alle gefunden.� Hasard war wie betäubt. Er konnte und wollte es nicht glauben, aber die Tatsachen bewiesen das Gegenteil. Ja, das waren die kläglichen Überreste von mindestens zwei Schiffsbesatzungen, daran gab es keinen Zweifel, das ließ sich einfach nicht von der Hand weisen. Also zweimal der gleiche Zufall? Nein, das war ausgeschlossen, hier war etwas anderes passiert. In Gedanken versuchte er, das Geschehen zu rekonstruieren. Es gab noch einmal eine andere Möglichkeit. Die Spanier waren hier gelandet, man hatte sie freundlich empfangen und dann ganz überraschend niedergemetzelt und ihre Schiffe verbrannt. Die Reste hatte man in alle Winde

zerstreut. Konnte man das den Eingeborenen zutrauen? Er wußte es nicht, er stand vor einem Rätsel, an dem sie sich die Zähne ausbissen. �Wir gehen zurück�, entschied er. Dabei fiel sein Blick wieder auf die Statue, die wissend und höhnisch zu ihnen herablächelte. Beklommen folgten sie dem Seewolf, sahen sich immer wieder um und erwarteten einen heimtückischen Überfall, doch alles blieb bis auf das leise Knistern der Felsen unheimlich ruhig. �Wir werden uns nichts anmerken lassen�, sagte Hasard. �Aber von nun an müssen wir höllisch aufpassen.� �Wollen wir Kanaki Jama nicht fragen, was passiert ist?� erkundigte sich Dan. �Doch, das werden wir, aber ich denke, er wird uns mit irgendeiner faulen Ausrede abspeisen, wenn er ein schlechtes Gewissen hat. Wir finden es gleich heraus.� Sie schwiegen, jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Jeder grübelte über die freundlichen Leute nach. Es war unvorstellbar, daß die sich über Nacht zu grausamen Mördern verwandeln konnten. Am Strand und im Wasser tummelten sich immer noch die Eingeborenen. War ihr Lachen nicht gekünstelt, fragte sich Hasard. Stand die Scheinheiligkeit nicht in ihren Gesichtern, und sahen sie in Wirklichkeit nicht alle so aus wie die häßliche mörderische Fratze der Statue? Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. In seinem Kopf ging alles drunter und drüber. Matt Davies rollte gerade ein Faß über den Strand. Zwei junge Männer halfen ihm dabei, es ins Beiboot zu laden. Davies hob seine Hakenprothese, die bei den Eingeborenen schon ungeheures Aufsehen erregt hatte und lachte. �Schon wieder zurück? Na, das hat aber nicht lange gedauert. Wir holen gerade das letzte Faß an Bord. Die Eingeborenen haben uns schon Früchte gebracht, Fleisch und ein Zeug, das wie Mehl aussieht.�

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Er stutzte, sah die Männer scharf an und wunderte sich. �Was ist denn mit euch los, Sir? Sind euch Kokosnüsse auf den Kopf gefallen?� �Wo ist der Häuptling?� fragte Hasard statt einer Antwort. �Eben war er noch bei den Hütten.� Die Seewolf-Crew, die an Land war, scharte sich um Hasard und die drei anderen Männer. Auch ihnen fiel auf, daß hier eine Veränderung vorgegangen war. Hasards Gesicht war kantig und verschlossen, nicht die Andeutung eines Lächelns lag auf seinen Lippen. Er hatte auch kein Scherzwort für die Männer übrig. Stumm sahen sie ihm nach, als er sich wortlos abwandte und zu den Hütten ging, um Kanaki Jama zu suchen. Er fand ihn auf dem Boden hockend vor einer Hütte, die Augen halb geschlossen, ein Grinsen im Gesicht. Ja, verdammt, schrie es innerlich in Hasard, er grinst genauso hinterhältig wie die verfluchte Statue. Und wenn sich seine Züge entspannten, dann sah er so aus wie das friedliche Gesicht, dieser glückliche Mann. Hasard musterte ihn eisig. �Kanaki Jama�, sagte er schwer und unterstützte seine Worte mit Gesten und Zeichen. �Wir waren dahinten, wo die Geister umgehen. Aber wir fanden nur tote Spanier. Zwei Schiffe sind dort verbrannt, und überall liegen Knochen auf dem Boden.� Kanaki Jama sprang auf und lachte. Er klopfte Hasard auf die Schulter, doch gleich darauf trat ein wehmütiger Ausdruck in sein Gesicht. �Spanier segeln fort�, sagte er traurig. �Gute Mann, aber alle segeln fort.� �Sie sind nicht fortgesegelt�, sagte Hasard scharf. �Man hat ihnen die Schädel eingeschlagen und ihre Schiffe verbrannt. Wer hat das getan?� Da der Häuptling seinen Ausführungen nur sehr schwer folgen konnte, wiederholte Hasard seine Frage, und malte Zeichen in den Sand vor der Hütte. Erst nach und nach begriff der Häuptling. Er nickte mehrmals. �Vor fröhliches Land

zwei Schiffe�, radebrechte er, und zeigte mit Gesten an, was er meinte. �Ein Schiff Feuer, ein zweites Schiff immer Bumm-Bumm, dann auch Feuer. Kehren zurück nach fröhliches Land. Alle kaputt. Kanaki Jama bringen zu große Gott, Kanaki Jama bringen auch Holz zu große Gott. Viele Kinder viel traurig, kein fröhliches Land mehr.� Hasard blickte den Häuptling an, als sähe er einen Geist. Himmel, das war die Erklärung! Eine Erklärung, an die er nicht gedacht hatte. Eine einfache und banale Erklärung. In diesem Augenblick fühlte er sich wie ein Verräter an den fröhlichen Menschen. Er hatte ihnen unrecht getan. Natürlich, vor der Küste hatte es einen Kampf gegeben, vielleicht Spanier gegen Engländer, Portugiesen oder Holländer. Die hatten die Dons in Grund und Boden geschossen, geentert und ihnen die Schädel eingeschlagen, bis die Schiffe brennend zur Küste trieben. Kanaki Jama und sein fröhliches Völkchen hatten diese toten Leute und die Überreste der Schiffe geborgen und sie zum großen Gott gebracht. Die sterblichen Überreste hatte man dann sich selbst überlassen. So einfach war das, dachte der Seewolf betäubt. �Ist schon gut�, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen. �Genauso habe ich es mir vorgestellt.� Aber da war noch eine Frage offen, die den Seewolf bewegte und ihm schon seit geraumer Weile auf der Zunge lag. �Wo sind eure alten Leute, Kanaki Jama?� wollte er wissen. Er mußte es mehrmals wiederholen, bis Kanaki Jama auch diese Frage begriff. �Nicht alte Leute hier, ki-li-gru. Sterben, wenn noch jung, dann gehen zu große Gott.� �Es gibt keine alten Leute hier?� �Nicht gibt. Bald krank, wenn noch jung, dann sterben.� Er demonstrierte das, indem er sich in den Sand legte und sein ganzer Körper zu zucken begann.

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Gab es das, fragte sich Hasard verwundert, oder sah man ihnen das Alter nicht an? Wie alt mochte Kanaki Jama sein? Er fragte ihn danach, doch der Häuptling konnte diese Frage nicht beantworten. Er hatte kein Verhältnis zu den Jahreszahlen. Er rechnete nur nach Sonnenaufgängen, und auch dabei hörte das Zählen ziemlich schnell auf. Gibt es noch Widersprüche? fragte sich Hasard. Er wußte es selbst nicht. Irgendwie war diese ganze Insel ein Widerspruch. Hier geschahen so merkwürdige Dinge, und dennoch hatten sie eine so verblüffend einfache Lösung. Sehr nachdenklich kehrte er zurück, gefolgt von Kanaki Jama und einer jungen Frau, die einen Säugling trug. Im weißen Sand standen schweigend die Seewölfe. Ihre Gesichter waren verschlossen, fast feindselig, und niemand sprach ein Wort. Nur die Eingeborenen gaben sich so freundlich wie zuvor. Hasard ließ sich nachdenklich zur �Isabella� zurückpullen.

* �Natürlich ist die Erklärung glaubhaft�, sagte Ben Brighton, als Hasard mit seiner Erzählung geendet hatte, �aber rein gefühlsmäßig kann ich mich nicht damit abfinden. Ich traue diesen Burschen nicht mehr.� �Und was glaubst du, rein gefühlsmäßig?� fragte Hasard. �Man hat sie überfallen und abgeschlachtet, das ist meine Meinung darüber.� �Aus welchem Grund?� �Das weiß ich nicht.� �Wenn sie etwas zu verbergen haben, dann hätten sie alles getan, um uns daran zu hindern, diese Bucht aufzusuchen�, sagte der Seewolf. �Vom logischen Standpunkt zeigt das ihr ruhiges Gewissen, andererseits könnten sie sich bewußt so naiv geben und sind in Wahrheit höllisch durchtrieben.� �Demnach bist du immer noch nicht restlos überzeugt.�

�Ich spüre nur, daß sich etwas zusammenbraut, und deshalb muß ich jedem einzelnen Mann erhöhte Wachsamkeit einschärfen. In Zukunft werden die nächtlichen Wachen verdoppelt. Der Ausguck wird von nun an auch tagsüber wieder besetzt. Wir wissen nicht, von welcher Seite etwas auf uns zukommt, aber es wird etwas passieren, da bin ich sicher.� Der alte O'Flynn zog ein mißmutiges Gesicht. �Ich will nicht unken�, sagte er und klopfte mit dem Knöchel seiner rechten Hand ans Schanzkleid. �Aber dies ist eine Insel des Grauens, das sage ich euch.� Carberry stieß den Alten leicht an. �Sag um Himmelswillen nicht, daß ihr das auch schon auf der ,Empress of Sea` gehabt habt, oder wie der alte Kasten hieß.� �Habe ich das behauptet?� brauste das Rauhbein auf. �Ich habe ein Gespür für Unheil. Obwohl ich noch nicht an Land war, merke ich ganz deutlich das Unheil.� Die Stimmung wurde gedrückt. Es wollte sich keine rechte Fröhlichkeit mehr einstellen. Warf man jedoch einen Blick zum Strand, dann mußte man sich sagen, daß diese fröhlichen Leute niemals so niederträchtig sein konnten, eine ganze Schiffsbesatzung zu ermorden. Sie plantschten, tollten herum, waren übermütig und voll überschäumender Lebensfreude. Ein Naturvolk ohne Arglist und Bosheit, nur darauf bedacht, sich und anderen Freude zu bereiten. Hasard fielen schon zum drittenmal Kanaki Jamas Worte vom Vollmond ein. Sollte da des Rätsels Lösung liegen?

6. �Schiff Steuerbord querab, hoher Herr!� Die Stimme des Mannes, der im Ausguck hockte, klang unterwürfig. Der Mann auf dem Achterkastell des Schiffes �Fei Yen�, was soviel wie �Fliegende Schwalbe� hieß, reagierte sofort. Geschmeidig fuhr er herum, kniff

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die Augen zusammen und musterte den Horizont, an dem sich kaum sichtbar, dunkle Segel abzeichneten. Khai Wang griff nach dem Spektiv, steckte es in sein kostbares seidenes Gewand und enterte blitzschnell in die Wanten. Dort zog er das Spektiv auseinander und blickte lange hindurch. Was er sah, entlockte ihm ein Grinsen. Sein von Lastern gezeichnetes Gesicht verzog sich, die geschlitzten Augen waren kaum noch zu sehen. Auf der Oberlippe trug er einen schwarzen Bart, der bis weit über das Kinn reichte. �Ein Schiff ohne Namen�, murmelte er, so daß der Mann im Ausguck seine Worte hören konnte. �Sehr wohl, hoher Herr.� �Wir werden sie ausnehmen!� Khai Wang enterte wieder ab und rieb sich die Hände. Knapp dreißig wildaussehende Kerle warteten ergeben auf seine Anweisungen. Er war ihr Herr, ihr absoluter Herrscher. Sie zitterten vor ihm, aber sie achteten ihn auch und brachten ihm unbegrenzten Respekt entgegen. Khai Wang, die Geißel des Gelben Meeres, nannten sie diesen Mann, der immer kostbare seidene Gewänder trug, der überall dort auftauchte und die Meere verunsicherte, wo niemand ihn vermutete. Khai Wang, der rigoros über Leichen ging, alles plünderte, was ihm vor den Bug segelte, und der auch vor seinen eigenen Landsleuten nicht zurückschreckte. Jetzt lief ihm einer vor den Bug, ein Schiff ohne Namen, eines der älteren Bauweise, das er hier noch nie gesehen hatte. �Fliegende Schwalbe� drehte leicht nach Steuerbord ab. Das andere Schiff würde jetzt zwangsläufig ihren Kurs kreuzen, wenn der Kapitän es sich nicht noch anders überlegte. Immer noch warteten die Kerle in hündischer Ergebenheit auf die Befehle des hohen Herrn. �Kennt einer das Schiff?� fragte er. Die Antwort erfolgte fast einstimmig: �Wir haben es nie gesehen, ho- her Herr.�

�Wir werden es entern. Kennst du dieses Schiff, Wu?� wandte er sich an seinen Steuermann, einen verschlagenen, tückisch blinzelnden kleinen, aber drahtigen Mann, dem die Grausamkeit ins Gesicht geschrieben stand. �Nein, hoher Herr. Wie lauten deine Befehle?� �Weitersegeln, auf dem jetzigen Kurs bleiben. Der Feuerwerker soll sich bereit halten!� �Es geschieht, wie du es wünschest, hoher Herr!� Wu verneigte sich, indem er eine Hand auf die Brust legte. Dann rief er nach dem Feuerwerker. Der Feuerwerker war ein älterer Mann mit eingefallenem Gesicht von fahlgelber Farbe und einem dünnen faserigen Bart, der an seinem Kinn sproß. �Du wirst das Schiff stoppen, sobald es unseren Kurs kreuzt! Der feurige Schnee soll seinen Mast entflammen, und wenn er dann nicht reagiert, verbrennst du ihm das Deck. Es muß schnell gehen. Halte dich bereit!� Eine stumme Verbeugung erfolgte. Der Feuerwerker rief zwei Gehilfen und begann mit seinen kurzen Vorbereitungen. Er stopfte längliche dünne Gebilde in einen Holzkasten mit sechs Löchern, trug dann den Holzkasten mit seinen Gehilfen zum vorderen Deck und baute ihn dort in einer Verankerung auf. Der Holzkasten ließ sich nach allen Richtungen drehen, auch nach oben oder unten. �Ihr anderen haltet euch bereit. Nehmt eure Waffen und wartet.� Das andere Schiff segelte ahnungslos näher heran. Es trug auf seinem Untersegel des Großmastes einen bläulichgelben Drachen, der über die See zu galoppieren schien. Im Topp wehte eine lange Flagge, auf der ebenfalls ein Drachenkopf zu sehen war. Khai Wang hatte seinen Platz auf dem Achterdeck wieder eingenommen. Immer wieder sah er zu dem Schiff. Es erinnerte ihn an etwas ganz Bestimmtes,, und er grübelte auch lange darüber nach, doch es wollte ihm nicht einfallen, wo er dieses

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Schiff schon einmal gesehen hatte. Es mußte schon lange her sein. Khai Wang zog sein seidenes Gewand aus. Die Seide kühlte zwar, aber im Kampf war er ohne das Gewand beweglicher und flinker. Darunter trug er eine Hose aus grünlicher Seide. Sein Oberkörper war muskulös und von kleinen Narben übersät. Die sah man jedoch nur aus der Nähe, weil künstlerische Tätowierungen von blaulila Farbe die Narben verbargen. Ein wildaussehender Drachen zierte seine Brust, der in allen Farben schillerte, sobald das Licht auf ihn fiel. Auf den Rücken hatte er eine sich windende Schlange tätowieren lassen, die weit den Rachen aufriß, um einen kleinen Vogel zu verschlingen. Khai Wang kreuzte die Arme über der Brust und starrte dem fremden Schiff entgegen. Er sah wild, bösartig und verwegen aus und sein Oberlippenbart verlieh ihm besondere Grausamkeit. Der große Chan der Ming-Zeit hatte auf seinen Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt, doch bisher war es keinem gelungen, Khai Wang und seine wilde Horde zu fassen. Außerdem deckten ihn Mandarine, Höflinge und Staatsbeamte, denn sie alle profitierten durch ihn. Er war großzügig und gerissen, und so war es kein Wunder, daß die Häscher immer zu spät erschienen und er immer wieder durch die Maschen schlüpfte. Er sah zu dem Feuerwerker und seinen Gehilfen hinüber, die auf dem Vordeck standen, bereit auf sein Zeichen sofort das Feuer zu eröffnen. Das Schiff mit dem Drachenkopf im Großsegel war jetzt auf Schußweite heran. Drüben schien man jetzt etwas zu ahnen, weil �Fliegende Schwalbe� beharrlich auf dem Kurs blieb, und es so aussah, als würden sich die beiden Schiffe gegenseitig rammen. Khai Wang sah, wie es leicht abdrehte, nicht viel, aber doch so, daß es knapp vorbeilaufen würde. Er strich mit der linken Hand über sein schwarzlackiertes Haar, hob dann den

Daumen und stieß ihn blitzschnell durch die Luft, den Blick starr auf den Feuerwerker gerichtet. Eine Sekunde später heulte, zischte und jaulte es funkensprühend vom Vordeck. Wie Feuerschnüre flogen die Pfeile durch die Luft, senkten sich wie durch Zauberhand kurz vor dem Drachenschiff und schlugen in den Mast ein. Erst dort krepierten sie und schleuderten grelles Feuer nach allen Seiten. �Ergebt euch!� schrie Khai Wang. �Geit auf die Segel, oder ich werde euch vernichten!� Zur Demonstration richteten sich dreißig schwerbewaffnete Chinesen hinter dem Schanzkleid blitzartig auf. Der Feuerwerker und seine Gehilfen waren bereit, weitere Salpeterpfeile abzufeuern. Für das Drachenschiff sah es sehr schlecht aus.

7. Kapitän Li-Cheng war die wendige und schnelle Dschunke schon lange aufgefallen. Aber er hatte nie mit einem Überfall gerechnet. Schon gar nicht von einem Schiff, das seinem ähnelte und auf dem sich Landsleute befanden. Da lohte es am Großmast grell auf. Eine Explosion erfolgte, der Knall ließ sie fast taub werden, und Augenblicke später schlugen heile Flammen empor, leckten an dem trockenen Holz, und drohten jeden Moment auf die Segel überzugreifen. Li-Cheng wurde blaß. Sie selbst hatten ebenfalls diese teuflischen Pfeile an Bord, aber sie waren nichts im Verhältnis zu jenen, die eben auf sie abgefeuert worden waren. Es mußte sich um eine weit verbesserte Ausführung handeln. �Ein Pirat�, sagte er entsetzt. Neben ihm stand der alte gebeugte Chronist Hung-wan, der damals auf dem Schiff �Eiliger Drache über den Wassern� gefahren war. Er sah faltig und grau aus, seine Haut war welk, ein alter Mann, der keine Hoffnung mehr hatte, für den alles erloschen war, der nur noch in seine Heimat. zurückkehrte, um sich bei seinen Ahnen zu versammeln.

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�Ich würde mich ergeben�, sagte der Alte heiser. �Was nutzt uns ein brennendes Schiff? Wir werden das Feuer nicht löschen können, es ist zu mächtig.� Li-Cheng nickte zustimmend. In dem Augenblick erklang auch schon Khai Wangs Stimme, die sie aufforderte, sich zu ergeben. Li-Cheng ließ den Feuerwerker rufen, während ein paar Männer darum bemüht waren, den Brand am Mast zu löschen. Es war aussichtslos, unerbittlich fraß sich das gierige Feuer weiter. Jeden Augenblick konnte es die Segel erfassen. �Wir brennen aus�, sagte der Feuerwerker sofort. �Hört auf den Rat Hung-wans, Herr, er ist ein weiser alter Mann. Wir haben nicht viel zu verlieren, wenn wir uns ergeben.� Der Kapitän überlegte fieberhaft. Nein, der Alte hatte recht, ein brennendes Schiff nutzte ihnen nichts, sie würden mit Mann und Maus sterben. �Runter mit den Segeln!� rief er, nachdem der Alte noch einmal wissend genickt hatte. Die bambusverstärkten Segel wurden eingeholt, noch bevor das Feuer sie erfassen konnte. Der Mast brannte am Topp immer noch lichterloh. Es gab kein Mittel, den Brand einzudämmen, Hilfe konnte jetzt nur noch von den Piraten erfolgen, wenn man sich ergab. Aber was würde dann sein? Sie hatten keine Beute, es lohnte sich nicht, und dieser tätowierte Kerl da drüben würde vor lauter Wut einen nach dem anderen köpfen lassen. Dennoch ergab sich Li-Cheng. Die Aussichten, am Leben zu' bleiben, waren größer. Der Pirat segelte auf sie zu, auch er ließ die Segel einholen. Als er leicht beidrehte, knallten die beiden Schiffsrümpfe hart aneinander, drängten wieder fort, aber da wurden Taue und Haken herübergeworfen, die sich hinter den Schanzkleidern verkrallten und die Schiffe wieder aufeinander zubewegten. Auf dem Drachenschiff setzte sich niemand zur Wehr. Auf Befehl Li-Chengs

hatten sie schon vorher die Waffen fallen lassen. Der tätowierte Pirat war der erste, der mit einem mächtigen Satz an Bord sprang. Er schwang ein Krummschwert in der Hand, aber er fand keinen Widerstand, Da stellte sich ihm ein alter zerknitterter Mann in den Weg. Khai Wang wollte den Alten niedersäbeln, doch als er in die wissenden Augen des Greises sah, zuckte seine Hand unwillkürlich zurück. Er hatte diesen alten Mann schon einmal gesehen, damals als er noch ein Knabe war. Blitzschnell fiel es ihm wieder ein. �Hung-wan�, murmelte er und ließ das Schwert sinken. �Seid Ihr nicht der Kanton-Chronist, der damals ...� �Ich bin es, mein Sohn. Und wer bist du?� Zum ersten Mal wirkte der Pirat verstört. Fast furchtsam sah er den verwitterten Alten an, dessen Augen jetzt von einem heißen Feuer erfüllt waren. �Ich bin Khai Wang�, sagte er, und wider Willen verneigte er sich. �Dann löscht das Feuer, Khai Wang, oder sollen wir alle lebendigen Leibes verbrennen? Ihr wißt, wie es gelöscht wird.� Über ihnen knisterte es. Winzige Funken sprangen auf Deck und hüpften über die Planken. Widerwillig gehorchte der Pirat. Zwei kurze Sätze und sofort sprangen drei Männer an Bord des Drachenschiffes. Sie trugen eine größere Holzschale in der sich eine schwarze zähe Masse befand. Wie der Blitz enterten sie auf und verklebten mit dieser Masse unterhalb der Feuerstelle den Mast. Gleich darauf erstickte das Feuer, vom Mast brach ein rauchendes Stück ab und fiel an Deck. Der übriggebliebene Stumpf schwelte nur noch. �So ist es recht�, sagte der Alte. �Du bist also ein Pirat geworden, ich kannte deinen Vater. Was erwartest du von uns?� Der Alte strahlte Autorität aus, das ließ sich nicht leugnen. Khai Wang mußte sich damit abfinden, ob er wollte oder nicht. Das hohe Alter des Chronisten war zu respektieren. In dieser Stunde fühlte er sich klein und erbärmlich.

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�Ich wollte euch ausplündern, ehrenwerter Hung-wan.� �Wir haben nichts, das sich zu plündern lohnt. Wir sind unterwegs um ein Schiff zu erwarten, das bald vorbeisegeln wird, um das Reich des Großen Chan anzulaufen.� Li-Cheng gesellte sich zu ihnen. Die Angst war von ihm abgefallen, als er sah, daß der tätowierte Pirat vor dem Alten so demütig kuschte: Die beiden Männer musterten sich kurz. Li-Cheng stellte sich vor, wie es die Höflichkeit auch in dieser Lage erforderte. �,Eiliger Drache über den Wassern' wird bald hier vorbeisegeln�, sagte er. �An Bord des Schiffes befindet sich der Mandarin. Wir bringen ihn zu seinen Ahnen zurück, aber es wird einen Kampf geben, die Korsarin, die das Schiff führt, wird die Mumie des Kapitäns nicht freiwillig übergeben.� Khai Wang stand wie vom Donner gerührt. Es gab ihn also noch, den legendären Mandarin, zumindest seine Mumie, über die im Reich der Mitte unzählige Legenden umliefen. In seinem Schädel kreisten die Gedanken. Wenn er nun diesen Mandarin dem Großen Chan brachte? Man würde ihm alle seine Schandtaten verzeihen, er hätte einen Freibrief für alle Zeiten, und niemand würde ihn mehr bei seinen Unternehmen stören. Das war nicht mit Gold aufzuwiegen, überlegte er fieberhaft. Wie einen Gott würde man ihn empfangen! Seine Stimme klang ungeduldig, erregt. �Ihr wißt ganz sicher, daß der tote Mandarin noch an Bord von �Eiliger Drache über den Wassern' ist?� erkundigte er sich. Li-Cheng ahnte vielleicht die Gedanken, die jetzt durch Khai Wangs Schädel zogen. Der Pirat sah ganz so aus, als wollte er allein den Ruhm für sich in Anspruch nehmen. Widerwillig nickte er. �Wir wissen es ganz sicher, und wir kennen auch den Grund, warum die Korsarin so versessen darauf ist, die Leiche zur �Verbotenen Stadt' zu bringen. Sie hat vor vielen Jahren einen Mord begangen.

Sie hat Fei Lin getötet, einen ehrenwerten Kaufmann, der sie heiraten wollte.� �Es war ein Unglücksfall�, wandte der Alte mit sanfter Stimme ein. �Ich habe es anders gehört.� �Was ist das für eine Korsarin?� fragte Khai Wang. �Wir hatten sie in unserer Gewalt, aber sie entkam uns wieder. Sie ist ein Teufelsweib, die das Blut ihrer Feinde vom Degen leckt, wenn sie sie getötet hat. Eine unbesiegbare Piratin, dazu eine hübsche wilde, verwegene Frau. In jenem Teil der Welt, den man Karibik nennt, trieb sie jahrelang ihr Unwesen. In ihrer Begleitung befindet sich ein Freibeuter der englischen Krone. Man nennt ihn den Seewolf.� �Diese Piratin interessiert mich�, sagte Khai Wang. �Sie leckt wirklich das Blut ihrer Feinde vom Säbel? Und sie ist unbesiegbar?� �So sagt man.� �Sie wird hier vorbeisegeln?� �Bald, das ist sicher.� Khai Wang grinste. Wieder verschwanden seine geschlitzten Augen in dem harten Gesicht. �Gut, ich lasse euch am Leben�, sagte er hochmütig. �Aber ich verlange, daß ihr mir helft dieses Weib zu fangen. Ich habe auch schon einen Plan. Sie wird uns nicht entgehen, mag sie zehnmal das Blut ihrer Feinde vom Degen lecken.� �Es könnte auch dein Blut sein, Khai Wang�, sagte der Alte. �Pah, ich werde sie fangen, und ihr braucht nur die Rolle des Zuschauers zu spielen. Und wenn ich sie habe, dann gehört mir auch die Mumie. Der kaiserliche Hof wird mich ehren, die Geschichtsschreiber werden über mich berichten.� Glanz lag in seinen Augen, als er fortfuhr. �Natürlich werde ich erwähnen, daß ich dank eurer Hilfe das alles geschafft habe. Seid ihr einverstanden oder nicht?� Li-Cheng dachte an die wilden Gesellen auf dem Schiff, an die Brandsätze, die sein eigenes Schiff in Flammen aufgehen lassen konnten, ohne daß er in der Lage war, sich zu wehren. Eigentlich mußte er diesem Piraten noch dankbar sein.

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�Bei meinen Ahnen�, sagte er feierlich und hob die Hand. �Wir werden gemeinsam segeln und die Piratin fangen, ich verspreche es. Aber wie wollt ihr das anfangen?� �Nicht weit von hier beginnt die Teufelssee, Li-Cheng. Da laufen die Schiffe, die sich hier nicht auskennen, aus dem Kurs, weil der Kompaß falsch anzeigt. Laß das meine Sorge sein, ich werde der Piratin eine Falle stellen.� Li-Cheng vermochte sich das nur schlecht vorzustellen, aber der Pirat war seiner Sache sicher. Er kannte sich in diesen Gewässern besser aus als jeder andere, und vielleicht würde es ihm tatsächlich gelingen, die Korsarin zu fangen. Vielleicht wollte er aber auch nur die Mumie, und alles andere ließ ihn kalt. �Ich werde ihr eine Lektion erteilen, die sie nicht vergessen wird�, sagte er. �Wir rauben ihr die Mumie und lassen sie unbehelligt weitersegeln, wenn sie dazu noch in der Lage ist. Das wird sie nicht überwinden. Sie kehrt ins Reich des Großen Chan zurück, ohne etwas in Händen zu halten. Was, glaubt ihr, wird man mit ihr anstellen?� �Vermutlich wird man sie hinrichten, köpfen oder erdrosseln�, erwiderte der alte Chronist. �Aber es ist nicht recht, was ihr tut. Ich habe die Geschichte gehört, es war ein Unfall.� �Das soll der Kuan der Kaiserlichen Provinz entscheiden. Man wird 'ihr das Schiff wegnehmen, denn es ist das erste Schiff, das bis ans Ende der Welt segelte.� Keiner wußte das besser als Hungwan. Aber der alte Mann hüllte sich in Schweigen. Die Zeiten hatten sich geändert, man wußte, daß es das Ende der Welt nicht gab, und das hatte sich sicherlich auch längst im Reich des Großen Chan herumgesprochen. Er wollte nur noch seinen Bericht beim Großen Chan mündlich überliefern und sich dann bei seinen Ahnen versammeln. Er wollte nicht mehr kämpfen, er hatte die Welt, ihre Freuden und Leiden gesehen und kennengelernt, was blieb da noch für einen alten Mann!�

Sein Leben war erfüllt, es würde nur noch eine letzte Krönung erfahren, mehr durfte er nicht erwarten. Er faltete die Hände vor der Brust und ging still davon. Die alte Müdigkeit überfiel ihn wieder, und in den Knochen spürte er Kälte aufsteigen. Es war eine Kälte, die von innen emporkroch, gegen die man machtlos war. Bald würde er diese Kälte nicht mehr spüren, dann, wenn Tzu Chng, die Purpurne Verbotene Stadt, ihn aufnahm für immer, wenn seine beiden Seelen zu den Gelben Quellen hinabsteigen würden, um die Harmonie des Kosmos zu erhalten. Und wenn sein alter Körper dann endlich zerfiel, dann würde er, Hung-wan, als Geistseele zum Palast des Shang Ti aufsteigen, um dort als Vasall an seinem Hof zu wohnen. Khai Wang sah dem Alten mit einem unbehaglichen Gefühl nach. �Er wird sich bald bei seinen Ahnen versammeln�, murmelte er beklommen. �Er hat das bleiche Gesicht.� �Ja, das wird er. Ich möchte vorschlagen, daß wir gemeinsam die Mumie abliefern. Man sollte einen Mann wie den ehrenwerten Hungwan nicht um die Früchte seiner Arbeit bringen. Er würde es nie verwinden. Seine Seele würde das Grab verlassen und als ausgehungerter übelwollender Kuei-Dämon erscheinen. Sie wird euch für immer verfolgen, Khai Wang, und sie wird euch über die Meere jagen, daß ihr keine Ruhe findet. Geht und sagt es dem ehrenwerten Hung-wan, ehe es zu spät ist.� Khai Wang schluckte. Er hatte vor nichts und niemandem Respekt, doch was der Kapitän ihm hier sagte, war nicht einfach durch eine Handbewegung hinwegzuwischen. Hung-wan war über die Dinge des Lebens erhaben, vielleicht befand sich eine seiner Seelen schon bei den Ahnen und würde ihn auf ewig verfluchen. Stumm schritt er dem Alten nach, verneigte sich und versuchte zu lächeln. �Es soll so geschehen, wie ihr sagtet, ehrenwerter Hung-wan�, sagte er leise, �Ihr seid ein weiser Mann!�

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Rückwärtsgehend verbeugte er sich dreimal und nahm befriedigt zur Kenntnis, daß der Alte ihm verziehen hatte. Khai Wang erläuterte seinen Plan, und der Kapitän des Drachenschiffes hörte ruhig zu. Etwas später waren sie Verbündete und segelten gemeinsam weiter, der Teufelssee entgegen.

8. In dieser Nacht ging auf der Insel Parece Vela eine spürbare Veränderung vor. Jeder der Seewölfe fühlte es überdeutlich. Es war eine Stimmung, die man mit den Händen greifen konnte. Die Luft schien zu knistern und Funken zu sprühen. Alles war unheimlich still. Am Strand rührte sich nichts. Keiner der Eingeborenen ließ sich blicken. Man hörte kein Singen, kein freudiges Geschrei, und niemand tanzte oder plantschte im Wasser. �Was ist nur los?� fragte Tucker den Seewolf. �Das hat es doch noch nie gegeben.� �Ich weiß es nicht, Ferris, ich habe keine Erklärung dafür.� Hasard lehnte am Schanzkleid, blickte einmal zum weißen Strand hinüber und dann wieder zum Horizont, wo sich unmerklich ein rötlicher Mond hinter der Kimm hervorschob. Die Totenstille hielt weiter an, bis es einmal klar und deutlich am Schiff klopfte. Das Geräusch klang so, als hätte jemand kurz mit einem Hammer an den Rumpf geschlagen. Der Seewolf fuhr herum und lauschte in die Nacht, die der rötliche Mond langsam zu erhellen begann. Seine Augen wurden ganz schmal. �Dan, siehst du �etwas?� fragte er zum Achterkastell hinauf. �Nein, Sir, es ist nichts zu sehen�, erwiderte Dan. �Vermutlich war es ein großer Fisch, der uns gestreift hat.� �Das muß ein verdammt blinder Fisch gewesen sein�, bemerkte der Profos mißtrauisch und blickte über das Schanzkleid.

Aber im Wasser gab es nichts Verdächtiges zu sehen. Da war kein Platschen zu hören, nichts. Nur die winzigen Wellen leckten am Schiffsrumpf, aber die konnten das Geräusch nicht verursacht haben. Der Mond stieg höher. Fahl rötlich leuchtend ergoß er sein Licht in die Bucht und zauberte Reflexe auf das Wasser, die so aussahen, als hätte man es mit verdünntem Blut getränkt. �Am Strand bewegt sich etwas!� rief Dan. Durch das lichtschwache Spektiv ließ sich nichts erkennen, man sah mit bloßem Auge weitaus besser. Eine einsame Gestalt stand dort, schwach vom Mondlicht angestrahlt, die zu ihnen herüberblickte. Eine weitere Gestalt erschien und gesellte sich zu der ersten. Der Mond schob sich höher aus dem Wasser, wischte die roten Schleier von der Oberfläche fort und verwandelte sie in silbrig blaue Fäden, die eilig über das Wasser tanzten. Noch immer war nicht klar, wer das Geräusch am Rumpf verursacht hatte, und daher suchten die Seewölfe pausenlos das Wasser ab. Sie alle waren beunruhigt, auf sie alle griff diese merkwürdige Stimmung über, die so ansteckend wirkte. �Der Teufel soll mich holen, wenn nicht bald etwas geschieht, womit wir alle nicht rechnen�, sagte Smoky mürrisch. �Da braut sich doch was zusammen.� �Beobachtet das Wasser�, schärfte Hasard ihnen ein. �Sucht die Oberfläche pausenlos ab, und du, Ed, gib vorsichtshalber ein paar Musketen und Pistolen aus. Ladet auch die Drehbasse und besetzt sie. Vergeßt das Beobachten nicht.� Während Carberry Waffen verteilte, vernahm man vom Ufer einen dumpfen Ton. �Sie trommeln�, sagte Smoky. �Auch das haben sie noch nie getan. Außerdem werden es jetzt immer mehr Gestalten, die dort drüben auftauchen.� Am Strand bewegten sich jetzt mehrere schattenhafte Gestalten, die eifrig hin und

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her huschten. Ein Auslegerboot wurde ins Wasser geschoben, zwei Männer sprangen Sie stießen es leicht ab, aber sie bewegten es nur ein paar Yards ins Wasser. Dann blieb das Boot ruhig liegen, ohne daß die Gestalten sich rührten. Weitere Eingeborene gingen jetzt ins Wasser. Es hatte den Anschein, als würde sich alles normalisieren. Nur das dumpfe Dröhnen der Trommel blieb. Monoton wurde der Takt geschlagen. Dan sah noch besser als die anderen. �Viele hocken am Strand�, berichtete er flüsternd, �sie scheinen irgendetwas zu essen, aber ich kann nicht erkennen, was es ist. Vielleicht eine rötliche Frucht. Gleich wird der Mond noch heller, dann wissen wir mehr.� Das Mondlicht, anfangs rötlich, dann bläulich wurde jetzt gelb und hell. Gleich darauf klangen auch mehr Geräusche auf. Die Seewölfe vernahmen einen spitzen hohen Schrei, dazwischen dröhnte die Trommel und gleich danach begann ein monotoner Gesang, etwas schwermütig und genau dem Ton der Trommel angepaßt. Den Männern wurde es immer mulmiger. Hasard dachte wieder an die Knochen, die Totenschädel und die ¬vermoderten Teile spanischer Uniformen. Mit den Eingeborenen schien eine erschreckende Wandlung vorzugehen. �Sie sind nicht mehr Herr ihrer Sinne�, sagte der Seewolf. �Es hat den Anschein, als steigern sich diese Leute in einen furchtbaren Rausch, in dem sie die Kontrolle über sich selbst verlieren.� Er überlegte kurz. Nein, die freundlichen Menschen hatten sich gewandelt, sie hatten auch die Spanier unter ähnlichen Voraussetzungen ermordet, daran bestand für ihn nicht der geringste Zweifel. Bei ihnen würde sich das gleiche wiederholen. Und sie brachten auch die Alten um, im Blutrausch, oder wenn sie diese Früchte gegessen hatten und der Vollmond schien. Immer wieder stiegen einige von ihnen ins Wasser und wateten so weit hinaus, daß man gerade noch ihre Köpfe sah.

�Es ist besser, wenn wir verschwinden�, sagte Hasard nach reiflicher Überlegung. �Sie werden uns angreifen.� Luke Morgan, der größte Hitzkopf unter den Männern, lachte. �Laß sie nur antanzen, wir werden es ihnen zeigen, daß ihnen Hören und Sehen vergeht. Wozu haben wir die Waffen, eh? Wir werden den Burschen eins auf den Pelz brennen, und nicht einfach den Schwanz einziehen und uns verdrücken. Ich habe keine Angst!� Hasard war mit zwei schnellen Sätzen bei ihm und packte Luke mit harten' Fäusten am Hemdkragen. Seine eisblauen Augen blitzten. �Du wirst dein Maul halten und das tun, was ich sage, Mister, sonst ziehe ich dir Hitzkopf das Fell über die Ohren, kapiert? Wir verdrücken uns nicht, weil wir Angst haben, aber hier würde es ein Blutbad geben. Nicht bei uns, Mister Morgan, sondern bei denen da. Was wollen die denn gegen unsere Drehbassen und Musketen ausrichten, du Hammel? Aus diesem Grund möchte ich einen Kampf vermeiden. Hast du das begriffen, oder muß ich es erst in deinen Holzkopf hämmern?� Morgan wich zurück, seine Augen waren weit aufgerissen. �Tut mir leid, Sir�, stammelte er, �so war es nicht gemeint. Ich war wohl etwas voreilig, aber ich sehe ein, daß es so das beste für alle ist.� �Noch besser wäre, man würde deinen Affenarsch zum Trocknen in den Großmast hängen�, sagte der Profos grollend. �Warum sollen wir kämpfen? Das wird ganz sicher keine Heldentat. Der Seewolf sieht das mit einem größeren Gehirn als du taube Nuß!� �Anker auf!� befahl Hasard, als die ersten Eingeborenen, es waren auch Frauen dabei, näher heranschwammen. �Verdammt, die haben Messer zwischen den Zähnen�, sagte der junge O'Flynn. �Und ein paar andere haben sich Bögen um die Köpfe gehängt.� Vielstimmiges Geschrei brandete am Strand auf. Die Stimmen klangen haßerfüllt und wütend.

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Was war nur aus diesen freundlichen Menschen geworden? dachte jeder entsetzt. �Ich habe wieder mal recht behalten�, ließ sich Old O'Flynn vernehmen. �Das spürte ich schon am ersten Tag.� Ins Ankerspill wurden die Handspaken hineingeschoben. Knarrend begann es sich zu drehen. Die Eingeborenen hörten das Geräusch und antworteten mit einem Wutgebrüll. Immer mehr Auslegerboote glitten ins Wasser. Inzwischen wurden die Segel gesetzt. Pete Ballie übernahm das Ruder und legte es nach Steuerbord. Der Wind wehte nur ganz schwach, und so würde es eine Weile dauern, bis die �Isabella� Fahrt aufnahm. Die ersten zögerten jetzt nicht länger. Wild peitschten ihre Arme das Wasser. Mordlust stand in ihren Augen, wie ein Rudel bösartiger Bestien schwammen sie heran. Dicht neben Carberry sirrte etwas schrill durch die Luft. Instinktiv bückte sich der Profos. Ein gefiederter Pfeil war haarscharf neben seinem Schädel in die Nagelbank eingedrungen. �Ihr lausigen Kakerlaken!� schrie der Profos und zerbrach den Pfeil wütend zwischen seinen Pranken. �Schert euch zum Teufel, oder ich reiße euch die Rüben ab!� Noch mehr Pfeile regneten auf die �Isabella�. Einige blieben im Mast stecken, andere fielen auf die Planken. Jetzt waren die Auslegerboote bis auf ein paar Yards heran, und der Anker war immer noch nicht eingeholt. Die ranke Galeone bewegte sich nicht von der Stelle, obwohl bereits die ersten Segel gesetzt waren. �Schneller, willig, willig, ihr Lahmärsche!� feuerte. Carberry die Männer an. �Gleich sind die ersten Kerle da, und dann müssen wir ihnen was auf die Hörner klopfen, ob wir wollen oder nicht.� Hasard befand sich jetzt auf dem Achterkastell. Er nahm seine Radschloßpistole und feuerte sie ab. Der Knall ließ sekundenlang alles erstarren. Die Schwimmer bewegten sich kaum noch im Wasser, auch .die

Auslegerboote glitten nur noch langsam voran. Aber dann brandete wieder dieser blutrünstige Schrei auf, und vom Strand setzte verstärkt das nervenzerfetzende Trommeln ein. Wild brüllend vor Haß und Wut sprangen die ersten Eingeborenen mit rollen Augen ins Wasser und versuchten, den Rumpf der �Isabella� zu erklettern. Matt Davies und Jeff Bowie standen bereit. Sobald sich einer der wolligen Köpfe zeigte, schlugen sie mit dem umgekehrten Ende ihrer Hakenprothesen zu. Auch der Gambianeger Batuti ließ seine mächtige Faust wuchtig auf Schädel sausen. Doch die Meute war nicht zu bremsen. Blind vor Mordlust nahmen sie den nächsten Anlauf. �Feuert Musketen ab!� rief Hasard, �aber schießt in die Luft. Vielleicht hält sie das zurück.� Auf dem Wasser wimmelte es jetzt von Menschen, die brüllend, kreischend und schreiend das Schiff zu entern versuchten. Es wurden immer mehr. Sie hatten sich in einen Rausch hineingesteigert, der für sie tödlich war, wären sie an andere gekommen. Die Spanier hätten erbarmungslos mit Kanonen und Drehbassen unter ihnen aufgeräumt. Hasard zögerte immer noch. Er brachte es nicht fertig, die Drehbasse abzufeuern. Er wußte, daß er Unschuldige tötete, die sich künstlich in diesen Blutrausch versetzt hatten. Aber andererseits konnte er nicht mehr lange Rücksicht nehmen, sonst starben seine eigenen Leute. Der Anker brach aus dem Grund, und jetzt nahm die �Isabella� fast widerwillig Fahrt auf. Doch sie lief sofort aus dem Ruder. �Pete!� rief der Seewolf. �Bist du wahnsinnig! Hart Steuerbord, sonst treiben wir auf den Strand, und dann stecken wir im größten Schlamassel.� Pete Ballie fluchte laut. Er hatte längst Steuerbordruder gelegt, doch was war nur mit dem verdammten Kahn los, dachte er. Die Galeone scherte sich den Teufel um

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die Ruderlage, störrisch und eigenwillig fuhr sie weiter, dem Strand entgegen. �Pete!� brüllte der Seewolf jetzt. Ballies große Fäuste umklammerten das Ruder. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, er fluchte noch lauter. �Das Schiff reagiert nicht!� schrie er zurück. Mit ein paar schnellen Sätzen sprang der Seewolf weiter nach achtern, stieß den Rudergänger weg und übernahm das Ruder selbst. Auch er sah gleich ein, daß etwas nicht stimmte. Stur segelte die ranke Galeone ihren eigenen Kurs. Der Kettenbolzen, durchfuhr es ihn. Das verdammte Ding war schon ein paarmal in den heikelsten Situationen gebrochen. Es war eine Kinderkrankheit und der schwächste Punkt der �Isabella�, dieser Bolzen, der ausgerechnet immer dann brach, wenn es ganz besonders gefährlich wurde. �Ferris! Der Kettenbolzen! Schnell, sieh nach!� In der Kuhl hatten Edwin Carberry und der Decksälteste Smoky zur selben Zeit bemerkt, was los war. Der Profos ließ die Segel aufgeien, als die Galeone nach Backbord abdrehte und Kurs auf den Strand und die blutrünstige Meute der Eingeborenen nahm. �Runter mit dem Zeug, aber dalli, wir treiben zum Ufer!� Schlagartig erkannte jeder die Gefahr. Dan O'Flynn war einer der ersten, der die ganze Tragweite begriff. In kürzester Zeit würden sie auflaufen, und dann konnten sie getrost ihr Testament schreiben. Dann war ihr Leben keinen Cent mehr wert. Sie feuerten sich gegenseitig an, um die Segel schneller ins Gei zu bringen. An ein backbrassen, das die �Isabella� gestoppt hätte, war natürlich nicht zu denken, weil sie dem Ruder nicht mehr gehorchte. Ferris Tucker schnappte sich seinen Werkzeugkasten, stürmte wie ein Irrer zum Achterdeck und von dort aus ein Deck tiefer, bis er die Kette erreichte. Vom Achterdeck aus hatte er blitzschnell eine kleine Öllampe mitgenommen.

Er hörte, wie es am Schiffsrumpf dröhnte. Hier unten wurde jedes Geräusch mehrfach verstärkt, jedes kleine Kratzen war zu hören. Himmel, dachte er erschauernd, laß bloß nicht zu, daß der verdammte Bolzen tatsächlich gebrochen ist. Die Reparatur würde mindestens eine Stunde in Anspruch nehmen, wenn er sich beeilte. In dieser Stunde würde es auf der friedlichen Insel und der �Isabella� ein Blutbad ohnegleichen geben. Er hob die Lampe und suchte die Kette ab, beklopfte sie, doch er sah schon auf den ersten Blick, daß sie nicht durchhing, folglich also kaum gebrochen sein konnte. Dicht neben sich, nur durch die Planken getrennt, hörte er einen Eingeborenen schreien. Er schrie wie ein Tier, voller Wut oder Schmerz, so genau ließ sich das nicht feststellen. Ein Gerassel dröhnte ihm in den Ohren, ein hallendes Geräusch, das sich durch den ganzen Schiffsrumpf fortpflanzte. Sie haben den Anker erneut gesetzt, dachte er wie betäubt, um nicht aufzulaufen und das Schiff auf diese Weise zu stoppen. Verflucht und zugenäht, er fand nichts an der lausigen Kette. Sie war einwandfrei in Ordnung, der auswechselbare Bolzen war nicht gebrochen, es mußte etwas anderes sein. Aber was nur? Ratlos stand er da, der hünenhafte Schiffszimmermann, fluchte wild vor sich hin und überlegte. Er riß und zerrte wie wild an der Kette, die nicht nachgab. Auch als er sich mit seinem ganzen beachtlichen Gewicht daran hängte, gab sie nicht nach. Er ließ den Werkzeugkasten stehen, nahm nur die Lampe mit und Lief wieder nach oben. Zwei oder drei Eingeborene hatten das Deck erreicht. Sie hatten Messer n den Fäusten und stürzten sich im Blutrausch auf jeden, der ihnen über den Weg lief. Gerade hatten sie Luke Morgan am Wickel und drangen auf ihn ein. Tucker griff nach seiner Zimmermannsaxt an der Nagelbank. Wie immer man die Eingeborenen auch beurteilen mochte,

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dachte er, er konnte nicht zulassen, daß sie seine Kameraden umbrachten und auf grausamste Weise abschlachteten, nur weil sie berauschende Früchte gegessen hatten oder der Vollmond schien. Mit einem Wutschrei hob er die Axt und stürmte vor. Morgan, der Hitzkopf, war anfangs in Bedrängnis, doch Matt Davies war schon zur Stelle. Morgan schlug hart zu, mit den Fäusten, und Davies holte mit seiner scharfgeschliffenen Prothese einen der mordgierigen Burschen zu sich heran, versetzte ihm einen harten Schlag mit der Linken und schleuderte ihn mit dem Haken und einem kurzen Ruck über Bord, wo er aufklatschend im Wasser versank und unterging. Er tauchte auch nicht mehr auf. Luke Morgan trieb den anderen mit harten wilden Schlägen vom Vordeck bis zur Kuhl. Dort drosch er ihn endgültig zusammen und hievte ihn über Bord. Tucker stürzte nach achtern, wo der Seewolf mit einem Entermesser in der Faust dastand und wartete. �Der Kettenbolzen ist in Ordnung�, sagte er keuchend. �Ich kann nichts finden, es muß außen am Ruder liegen. Entweder ist das ganze Ruderblatt abgebrochen, oder ...� �Der Knall vorhin�, sagte Hasard ruhig. �Erinnerst du dich, Ferris? Klar, das muß das Ruderblatt gewesen sein.� �Paß auf!� schrie Tucker gellend. Hasard duckte sich, als ein Speer über Deck schwirrte, den ein Eingeborener aus dem Auslegerboot geschleudert hatte. Noch während der Seewolf sich duckte, griff er nach Tuckers Öllampe und schleuderte sie ins Auslegerboot. Die Lampe zerplatzte, Öl lief aus und stand sofort in Flammen. Ein paar Spritzer erwischten den Eingeborenen, der einen brüllenden Schrei ausstieß und aus dem Boot kippte. Im Nu brannte das ganze Auslegerboot wie eine riesige Fackel. In ihrem Schein sah Hasard unzählige Köpfe auf dem Wasser. Arme ruderten wild, die Köpfe schoben sich näher an das Schiff heran und immer wieder gelang es einigen, das Deck zu erreichen.

Das Schiff lag jetzt mit dem Bug zum Ufer und schwoite ganz langsam um die Ankertrosse. Und dann sah Hasard noch etwas, das sich ihm fast die Haare sträuben ließ. Ed Carberry hatte da wieder mal etwas ganz Neues entwickelt. Er stand in der Kuhl, hatte um die linke Hand ein Fall geschlungen und hängte es ins Wasser. In der anderen Hand hielt er einen schweren Belegnagel aus Hartholz. An dem Tampen zuckte es und gleich darauf biß auch schon der erste an. Allerdings kein Fisch, sondern ein junger Mann mit verdrehten Augen und aufgerissenem Mund, der es gar nicht erwarten konnte, an Deck zu klettern. Der Profos half ihm nach, bis der Kerl das Schanzkleid der Kuhl erreichte und sein Schädel erschien. Fast genüßlich ließ der Profos den Belegnagel niedersausen, knallte ihn voller Wut auf den Schädel und sah zufrieden, wie der Angreifer seufzend ins Wasser zurücksank. Danach lockte er mit dem Tampen als Köder den nächsten an Bord. Hasard schüttelte stumm den Kopf. Bisher hatten sie sich die meisten gut vom Hals halten können, doch deren Wut steigerte sich immer mehr ins Grenzenlose, als sie sahen, daß sie das Schiff und damit die Männer, nur unter Verlusten erreichten. Das Auslegerboot brannte jetzt aus, und die Reste sanken ins Wasser, als es auseinanderbrach. �Da � Kanaki Jama!� rief Tucker. Der Häuptling, mit schrecklichen Streifen bemalt, stand aufrecht in einem Auslegerboot, das sich der �Isabella� rasch näherte. Sein Gesicht, sonst freundlich und liebevoll besorgt, hatte sich zu einer Fratze des Hasses und der Grausamkeit verzerrt. In der linken Hand hielt er das Messer, das Hasard ihm geschenkt hatte, in der anderen einen Speer mit scharfer Knochenspitze. �Kanaki Jama!� schrie Hasard. Der �Glückliche Mann� rollte wild mit den Augen, Schaum drang aus seinem Mund, er war gereizt wie ein wildes Tier. Die verdrehten Augen hatte er auf den Seewolf gerichtet. Es schien ihn nicht zu stören; daß er sein Leben riskierte, er wollte nur

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noch morden, töten, Blut sehen. Sein Eifer stachelte die anderen an. Tucker holte mit der Axt aus, doch Hasard zog seinen erhobenen Arm mit der Hand herunter. �Laß ihn an Bord, Ferris. Vielleicht gelingt es mir, ihn zur Besinnung zu bringen.� �Diese geifernde Bestie?� entsetzte sich Tucker. �Der geht sofort mit dem Speer auf dich los, und dann hast du kaum eine Chance, zu überleben.� �Ich sagte, laß ihn an Bord. Wenn die anderen sehen, daß ihr Häuptling untergeht, werden sie vielleicht doch noch vernünftig.� Tucker versuchte es noch einmal. �Der ist vom Teufel besessen, Hasard, der weiß nicht mehr, was er tut, dem Kerl ist doch alles egal.� �Ich glaube, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.� Kanaki Jama war heran. Das Auslegerboot stieß hart an den Rumpf der �Isabella�. Der Häuptling sprang wie eine Wildkatze an die Bordwand und krallte sich dort fest. Den Speer hatte er im Boot gelassen, in dem noch zwei Männer saßen, das Messer hatte er sich zwischen die Zähne geklemmt. Er schäumte und geiferte vor Wut, als er sich hochzog und das Schanzkleid erreichte. Smoky, Blacky und Big Old Shane hatten sich mit Handspaken bewaffnet und warteten ab. Sie waren bereit zum Zuschlagen, und gegen die ausgekochten Faustkämpfer hatte auch ein Mann wie Kanaki Jama keine Chance, wenn sie erst loslegten. Er sah weder nach links noch nach rechts, als er triefend naß in der Kuhl stand. Er hatte nur ein Ziel: Er wollte aufs Achterdeck, von wo der Seewolf seinen Namen rief. Wie ein Berserker stürmte er durch die Kuhl, das Messer zum Zustoßen in der Hand, die Augen verdreht, Schaum vorm Mund. Mit zwei Sprüngen raste er den Niedergang zum Achterdeck hinauf und von, da aus weiter zum Achterkastell, wo der Seewolf stand.

Der Ansturm war so gewaltig, daß Hasard unwillkürlich einen kleinen Schritt zur Seite tat. Kanaki Jama stoppte mitten im Lauf, ein tiefes Grollen brach aus seiner Brust. Er holte weit mit dem Arm aus. Jeder an Bord wußte, daß der Seewolf ein harter, verbissener Kämpfer war, der nicht aufgab. Seine Fäuste waren wie die Siebzehnpfünder, die die �Isabella� aus ihren Rohren verschoß. Das hatten schon Carberry, Smoky und Blacky zu spüren gekriegt, damals, vor langer Zeit, als sie sich kennenlernten. Jetzt schlug der Seewolf blitzschnell zu. Das Auge konnte kaum so schnell folgen. Eine knallharte Faust explodierte mitten in Kanaki Jamas Gesicht und stoppte ihn endgültig, die andere detonierte knallhart in seinem Körper, daß es ihn für Bruchteile von Sekunden leicht anhob und dann zurückschleuderte. Er schüttelte sich und jetzt zeigte sich, was dieser scheinbar harmlose und gutmütige Mann alles vertrug, wie schnell und wendig er war, wie geschmeidig und flink. Einen Augenblick schien es, als würde er aus einem tiefen Traum erwachen, seine Augen wurden klar, seine aufgeschlagenen Lippen schlossen sich, und er schüttelte sich ein zweites Mal. Doch dann ergriff ihn wieder der Rausch, und er sank ab in seine Welt des Tötens. Schlagartig wurde wieder die unberechenbare Bestie aus ihm. Wild brüllend drang er auf den Seewolf ein. Er spuckte und geiferte, schob den Kopf vor und wollte ihn Hasard in den Magen rammen. In der anderen Hand hielt er das Messer, bereit zum Zustechen. Das Messer zischte so schnell durch die Luft, daß es dem Seewolf das Hemd aufschlitzte und eine dünne Furche in seinen Oberarm zog. Schon wechselte das Messer in die andere Hand, um Hasard im Rücken zu erwischen. Diese bullige Kraft hatte der Seewolf dem Häuptling nicht zugetraut. Aber der war ja auch nicht mehr normal, der hatte jetzt Kräfte entwickelt, die jedes normale Maß überstiegen.

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Hasard drehte sich zur Seite und schlug ihm beide Fäuste hart ins Genick, packte dann seinen Schädel, hielt ihn eisern fest und warf Kanaki Jama in einer schnellen Drehung aufs Deck. In der Zwischenzeit hatte sich an Carberrys Tampen der nächste hochgehangelt. Der Profos sah fasziniert auf den Seewolf, der den Häuptling zusammenschlug, und so war es für ihn eine beinahe lästige Angelegenheit, daß wieder so ein Störenfried ihn persönlich attackierte. Er sah kaum hin, als er mit dem Belegnagel ausholte und den Angreifer ins Land der Träume schickte. Dumpf klatschend landete der Körper im Wasser. Kanaki Jama hatte immer noch nicht genug. Er war hart aufgeschlagen, doch er spürte keinen Schmerz, oder er ignorierte ihn. Etwas benommen starrte er um sich, taumelte dann hoch, um erneut anzugreifen und sich auf Hasard zu stürzen. Der Seewolf holte gezielt aus, und Kanaki Jama rannte gegen eine Wand aus Knochen, Fleisch und Sehnen, die ihn unbarmherzig aufhielt und stoppte. Schon folgte der zweite Schlag. Er spuckte seine Schneidezähne auf Deck, ein Blutschwall aus seinem Mund, und trotzdem war er nicht kleinzukriegen. Hasard packte ihn im Genick, drehte ihn halb herum und knallte ihn hart und ruppig ans Schanzkleid. Als Kanaki Jama noch einmal hochtaumelte, beförderte ein weiterer Schlag des Seewolfs ihn in flachem Bogen außenbords. Zwei Schwimmer packten ihn und hievten ihn ins Boot, wo er mit zusammengesunkenem Oberkörper schlaff liegenblieb. Die anderen Angreifer hatten den Kampf ebenfalls verfolgt und ihren Häuptling mit gellenden Zurufen angefeuert. Jetzt war ihre Enttäuschung noch größer. Sie heulten vor Wut, drohten mit den Fäusten und warfen Speere. Für Hasard war es das Schlimmste, daß sich unter den Angreifern so viel Frauen befanden. Diese Mädchen, die gestern noch mit ihnen geschäkert und

herumgetollt hatten, waren fast noch schlimmer als die blutrünstigen Männer. Sie waren geifernde, kreischende und tobende Hyänen, denen blanker Haß in den Augen stand. �So geht das nicht weiter�, sagte der Seewolf. �Die erwachen aus ihrem Rausch vorläufig nicht. Ich kann aber nicht auf Frauen schießen lassen, und ich kann andererseits nicht zulassen, daß sie uns mit der Zeit doch noch abmurksen. Und wir können hier nicht wegsegeln, verdammt nach mal.� Tucker sah sich wild um. Seine roten Haare waren zerzaust, er hielt immer noch die mächtige Axt in der Hand. �Sie ziehen sich zurück�, sagte er leise. �Oder haben sie eine neue Teufelei vor? Nein, nur einige rudern an Land zurück, die anderen umkreisen uns noch immer wie Haie, die auf ihr Frühstück warten.� �Die werden jetzt mit Feuer über uns herfallen, so, wie sie mit den Spaniern verfahren sind�, vermutete Hasard. �Die geben keine Ruhe, dazu sind sie viel zu erregt.� �Ich werde nachsehen, was mit dem Ruder los ist�, sagte Ferris. �Ihr müßt mir nur Deckung geben, denn ich kann mich schlecht wehren, wenn ich gleichzeitig arbeiten muß. Der Schaden liegt am Ruderblatt, es kann nichts anderes sein.� �Laß mich das erledigen, Ferris�, sagte Hasard, doch der Schiffszimmermann blieb in diesem Fall stur. �Ich bin der Zimmermann, und es ist meine Aufgabe. Bill, hol den Werkzeugkasten, der neben der Kette steht, und bringe ihn aufs Achterkastell.� Bevor der Schiffsjunge Bill verschwand, hielt Hasard ihn noch einmal am Arm zurück. �Wenn du den Kasten geholt hast, verziehst du dich unter Deck. Meine Kammer ist noch nicht aufgeräumt,. dazu hast du jetzt die beste Gelegenheit.� Bill wußte zwar, daß es dem Seewolf gar nicht darum ging, mitten in der Nacht seine Kammer aufzuräumen, aber er begriff, und er wagte auch keinen Widerspruch. Der Seewolf war sein väterlicher Freund, und

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er wollte nicht, daß ihm hier etwas passierte, daß ihn zufällig ein Speer kitzelte oder ein Pfeil traf. So nickte er .schnell und sagte artig: �Aye, aye, Sir, ich werde die Kammer aufräumen.� Gleich darauf brachte er den Werkzeugkasten, schnappte sich den Affen Arwenack und verschwand in Hasards Kammer zum Klarieren. �Wenn ich schon unter Deck muß, dann mußt du lausiger Affe erst recht hinunter�, hörten sie ihn murmeln. �Schließlich bin ich Moses und du nur der Spaßmacher an Bord.� Tucker zog sich bis auf die Hose aus. Sein muskulöser Oberkörper glänzte im Schein des Mondes und seine mächtige, rot behaarte Brust hob und senkte sich beängstigend unter seinen Atemzügen. �Steckt eure Köpfe nicht zu weit übers Schanzkleid�, warnte der Seewolf seine Männer. �Matt, du stellst dich hier auf, und wenn sich einer Ferris nähert, dann ballerst du drauflos.� �Aber ganz sicher, Sir�, versprach Matt. �Dan und Gary, ihr paßt hier auf. Prüft eure Musketen und die Pistolen. Smoky und Blacky auf die andere Seite. Batuti paßt ganz achtern am Ruder auf. Wir wollen nichts weiter als in Frieden abziehen, wir wollen diesen Holzköpfen nichts tun, aber wir können, verdammt noch mal, wenigstens verlangen, daß sie uns ein paar Minuten lang unbehelligt lassen. Wenn nicht, haben sie es sich selbst zuzuschreiben. Ed geht aufs Vorschiff, die anderen verteilen sich am Schanzkleid. Wenn jemand entert, schlagt ihm etwas auf den Schädel, aber feuert nur, wenn es gar nicht anders geht und ihr selbst in unmittelbarer Gefahr seid. Sobald wir den Ruderschaden behoben haben, Anker auf, das Tuch hoch und weg!� Ben Brighton schlang Tucker eine Leine um den Leib, aber der protestierte, daß er dann zu wenig Bewegungsfreiheit habe und außerdem guter Schwimmer sei. �Du bleibst an der Leine, und damit basta! Hast du das verstanden, du rothaariger Stockfisch?�

�Aye, aye, Mister Brighton, aber paß auf, daß du nicht in den Bach fällst, wenn ich tauche, die kleinen Fischlein würden dich sonst ganz schnell fressen.� �Verschwinde endlich, Kerl, und halte keine Volksreden!� Ben klopfte dem Hünen auf die Schulter, packte dann das Tau und fierte Ferris Tucker langsam ab. Die anderen lagen auf der Lauer. Ihnen entging keine Bewegung im Wasser, kein Schädel, der sich zeigte. Fischlein, hatte Tucker gesagt, ehe er ins Wasser gestiegen war. Der Ausdruck war direkt niedlich. Die freundlichen Eingeborenen waren jetzt nichts anderes als ein Rudel beutegieriger, alles zerreißender Bestien, die nicht Tod und Teufel fürchteten, wenn sie erst einmal an der Beute dran waren. Das Wasser war angenehm warm, als Tucker sich tiefer sinken ließ. Er glitt am Ruderschaft entlang, bis er das große Blatt mit den Händen ertasten konnte. Er versuchte es zu bewegen, doch es gab nicht nach. Wie angenagelt blieb es in dieser Lage hängen. Tucker holte tief Luft, tauchte und betastete das Ruderblatt von allen Seiten, und gleich darauf hatte er entdeckt, was da passiert war. Seine Hände befühlten ein Stück Holz, das ins Ruderblatt geklemmt war. Am unteren Holm und dem Blatt hatte es sich festgeklemmt und war stark aufgequollen. Das heißt, es hatte sich nicht festgeklemmt, sondern war fest verkeilt worden, so fest, daß er es mit den Händen nicht herausreißen konnte. Nach Backbord ließ sich das Ruder legen, jedoch nicht nach der anderen Seite, und so hatte es nur wenig, Spielraum. Kein Wunder also, dass Pete sich vergeblich abgemüht hatte. Ferris Tucker riß und zerrte an dem aufgequollenen Block, bis ihm die Luft wegblieb und er auftauchen mußte. Er hatte kaum den Schädel aus dem Wasser, als es über ihm gleichzeitig auf blitzte und krachte und ein gellender Schrei ertönte. Er zog das Genick ein und sah auf der linken Seite einen Mann strampeln und dann untergehen, der es ganz offensichtlich

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auf ihn abgesehen hatte. Jetzt hatte er den Versuch mit dem Leben bezahlt. �Hast du etwas entdeckt, Ferris?� rief der Seewolf, der seinen Schiffszimmermann deutlich erkennen konnte. �Ja, man hat das Ruder festgekeilt, aber ich kriege den Brocken allein nicht heraus. Bringt mir den längsten Haken, den wir an Bord haben. Wir versuchen es von oben.� Da war es also irgendeinem ganz cleveren Burschen gelungen, das Schiff unbemerkt unter Wasser anzuschwimmen, das Holz zwischen Endholm und Ruderblatt zu schieben und es zu verkeilen, dachte Hasard. Das Geräusch hatte jeder gehört. Und dieser Kerl war ebenso unbemerkt wieder davongeschwommen. Das warf natürlich ein neues Licht auf die Eingeborenen und ganz sicher kein gutes. Als das Geräusch erklungen war, hatte sich von den Eingeborenen noch keiner gezeigt, das wußte der Seewolf ganz genau. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie sich auch noch nicht in den tödlichen Rausch gesteigert. Folglich mußte das jemand mit Vorbedacht getan haben, zu einem Zeitpunkt, als sie noch nüchtern waren. Das bedeutete jedoch, daß sie von vornherein die Absicht hatten, das Schiff und die Besatzung anzugreifen, die Männer zu töten und den Rest in Brand zu stecken. Erst danach hatten sie gefeiert. Ein hinterhältiges Völkchen also, das sich nur so freundlich gab und doch schon darauf lauerte, endlich loslegen zu können. Hasard behielt diesen Gedanken für sich, aber er wußte, daß es nicht lange dauern würde, bis die anderen ähnliche Gedanken hegten. Der Bootshaken wurde gebracht, ein sechs Yards langer Holzhaken mit einer Eisenspitze, ähnlich einem überlangen Speer. Der eine Haken wies senkrecht nach unten, der andere gekrümmt nach oben. Tuckers Stimme erklang wieder, als der Haken über Bord gehalten wurde. �Zwei Mann stoßen ihn auf mein Kommando nach unten und drücken mit aller Kraft�, sagte er. �Aber zuerst muß ich ihn auf diesen verdammten Klotz setzen.�

Hasard, der den Haken hielt, spürte, wie Ferris ihn weit unterhalb in die richtige Position brachte. Dann fand der Haken leichten Widerstand. �Jetzt kräftig zustoßen!� rief Ferris Tucker. Hasard hob ihn ein winziges Stück an, dann stieß er mit aller Kraft zu. Wieder dröhnte ein Schuß auf, ein Stück Blei knallte ins Wasser, und der nächste Eingeborene hatte ein Loch in der Schulter. Der Haken hatte sich ins Holz gekrallt und hielt es fest. Hasard begann zu ziehen, doch er schaffte es nicht. Erst als ihm zwei Männer zu Hilfe eilten und aus Leibeskräften an dem Haken rissen, gab das Holz langsam nach. Tucker hätte es unter Wasser niemals allein geschafft. Etwas später war das Ruderblatt frei und ließ sich wieder nach allen Seiten bewegen. Doch jetzt ging der Tanz erst richtig los. Es war, als hätten die Eingeborenen nur auf diesen Augenblick gewartet.

9. Eine wilde Meute heulte los, und dieses Geheul schien von allen Seiten gleichzeitig zu erklingen. Am Strand flackerten winzige Feuer auf � wie Irrlichter, die über den Strand hüpften. Die Seewölfe vergaßen trotzdem nicht, vorn und achtern, Back- und Steuerbord an den Schanzkleidern aufzupassen. Vielleicht diente das Manöver nur der Ablenkung. �Da�, sagte Dan O'Flynn, �am Strand steht Kanaki Jama, er hat sich wieder erholt. Er verteilt von diesen roten Früchten einige an die Männer.� �Ja, anscheinend ist bei einigen der Rausch abgeklungen, und sie versetzen sich jetzt erneut in Ekstase. Ist die Drehbasse noch feuerbereit?� �Sie kann jederzeit abgefeuert werden�, erwiderte Al Conroy, der Mann, der für die Waffen verantwortlich war. �Gut�, sagte Hasard, �dann ganz schnell Anker auf, und die Segel gesetzt. Pete, bewege mal das Ruder!�

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Pete Ballies große Fäuste wirbelten das Rad von Anschlag zu Anschlag mit spielerischer Leichtigkeit. �In Ordnung�, sagte er, �es geht einwandfrei.� In diesem Augenblick flammte links hinter der Galeone ein heller Feuerschein auf. Eine rote Lohe stieg zum Himmel. �Die Statue�, rief Smoky. �Sie stecken sie in Brand.� �Ich glaube, sie werden uns nun ihr wahres Gesicht zeigen, das, was sich auf der einen Seite befindet, die mordgierige Fratze, den Teufel in Menschengestalt.� Hasard blickte hinüber. Jetzt, da das Feuer brannte, war die Statue deutlich zu erkennen. Man hatte sie nicht angesteckt oder in Brand gesetzt. Das Feuer war um sie herum aufgeflammt und als die Flammen noch höher schlugen, leuchtete diese abscheuliche Visage zu ihnen herüber. Die Männer am Ankerspill ließen sich durch den Anblick nicht stören, denn Carberry heizte ihnen mächtig ein, und er griff auch selbst mit in die Spaken. Nur aus den Augen winkeln warfen sie ab und zu einen Blick dorthin. �Hievt auf, hievt auf, ihr Rübenschweine�, grollte der Profos. �Später könnt ihr glotzen, solange ihr wollt. Aber jetzt muß erst der Anker aus dem Bach.� Die kleinen Feuer am Land verteilten sich. Sie flitzten blitzschnell durcheinander, waren mal hier, mal dort, Und die Seewölfe konnten es sich erst nach einer Weile erklären. Das war zu dem Zeitpunkt, als der erste Brandpfeil senkrecht in die Luft stieg und dann, nach einem kurzen Flug, auf dem Achterdeck der �Isabella� landete. �Es ist genauso, wie ich es vermutet habe�, sagte der Seewolf erbittert. �Sie tun alles, damit wir nicht auslaufen können.� Conroy deutete zum Strand hinüber, von dem jetzt der zweite Pfeil unheimlich treffsicher heranflog. �Ein Schuß aus der Drehbasse könnte unser Leben retten�, sagte er beschwörend. Hasard schüttelte den Kopf.

�Nein, Al, noch nicht. Ich denke immer daran, daß dann auch Frauen und Kinder getroffen werden können. Das möchte ich nicht auf meine Schultern laden. Der Anker ist gleich oben, die Segel werden gesetzt und wir nehmen Fahrt auf.� Hasard blickte zu dem Flögel, aber mit Fahrt aufnehmen war es schlecht bestellt. Der Flögel wehte kaum, er hing schlaff herunter und bewegte sich mitunter nur sehr müde. Conroy hatte den Blick bemerkt. �Vielleicht sollten wir einen Siebzehnpfünder ins Wasser schießen. Das schreckt sie ab, der grelle Blitz, der Knall!� �Gut, dann tu das!� Hasard war verbittert. Er stand breitbeinig auf dem Achterkastell und hatte die Lippen zusammengepreßt. Himmel, dachte er, sahen denn diese Mordbuben nicht ein, daß sie sich blutige Köpfe holen würden? Wenigstens ein paar von ihnen mußten doch noch in der Lage sein, einen klaren Gedanken zu fassen. Am Strand stürzte sich ein ganzer Trupp wild brüllend ins Wasser. Andere schoben die Auslegerboote ins Meer, gaben ihnen einen tüchtigen Stoß und sprangen hinein. Fast jeder hatte einen kleinen irdenen Topf mit Feuer dabei, in den sie die Pfeile tauchten, bis die Spitzen glühten und durch den Luftzug beim Abschießen zu brennen begannen. �Ohne Ziel feuern�, ordnete der Waffenmeister an. �Nach Backbord ins Wasser halten, dicht vor die Boote!� Der Kutscher hatte ein Messingbecken mit glimmender Holzkohle gebracht. Der Schwede Stenmark nahm Maß und hielt die glimmende Lunte an das Zündloch. Knisternd fraß sich der Funke schnell durch das Zündkraut, bis das Pulver erreicht war. Ein greller Blitz schoß aus dem Rohr der Culverine, dem ein urweltliches Brüllen folgte. Die Kanone fuhr grollend auf ihrer fahrbaren Lafette zurück, bis die Brooktaue ihren Rückstoß auffingen. Die Siebzehnpfünderkugel, auf kurze Distanz abgefeuert, raste dicht vor den Booten ins Wasser, und eine salzige

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schäumende Wassersäule überschüttete die Boote, die sich vom Strand gelöst hatten. Der Wasserschauer löschte in den ersten Booten die kleinen Feuertöpfe, und der Druck brachte ein Boot zum Kentern, das nicht mehr als vier, fünf Yards von der Einschlagstelle entfernt war. Wenn Al Conroy dadurch glaubte, einen Erfolg zu erzielen, sah er sich getäuscht. Der Schuß hinterließ keinen Eindruck. Das Gegenteil trat ein, das Gebrüll wurde lauter und wilder, und sofort antwortete ein Feuerregen aus Pfeilen, die mit erstaunlicher Sicherheit ihr Ziel fanden. Jetzt hatten die Seewölfe alle Hände voll zu tun. Der Anker war aus dem Grund, die Trosse stand steif und hing nicht mehr durch. Auch die ersten Segel waren schon gesetzt. Aber heute schien sich alles gegen Hasard und seine Crew verschworen zu haben. Ein brennender Pfeil landete im Großsegel des Fockmastes, ein anderer traf den Besanmast, und kleine rote Funken stoben nach allen Seiten. Die Männer pützten Wasser. Batuti, der Kutscher, Gary Andrews und Sam Roskill enterten in die Wanten. Old O'Flynn, Big Shane, Bob Grey und der Segelmacher Will Thorne reichten die ledernen Pützen nach oben, wo sie wie die Glieder einer Kette weitergereicht wurden, Wasser wurde auf die Segel gegossen. Hasard riß den glimmenden Pfeil aus dem Besanmast und warf ihn über Bord. Sie hätten tausend Hände gebraucht. Schießen, löschen, sich zur Wehr setzen, kämpfen, das alles waren Sachen, die ihnen fast über den Kopf wuchsen. Die Eingeborenen, die herangeschwommen waren, setzten zum zweiten Sturm auf die �Isabella� an. Wie Trauben hingen sie außen an den Bordwänden, und immer wieder gelang es einigen, entweder am Bug oder an der Heckgalerie aufzuentern. �Nehmt die Flaschen!� rief Hasard. �Werft sie ins Wasser und in die Boote.� Die Flaschen, gefüllt mit Pulver, Bleistücken, alten Nägeln und Eisenstückchen, waren zugekorkt und mit

einer Lunte versehen, deren Brenndauer sich ziemlich exakt bestimmen ließ. Ferris Tucker hatte sie einmal in einer Mußestunde �erfunden�. Al Conroy hatte nur auf diesen Augenblick gewartet. Er wußte, daß es ihnen allen jetzt ernstlich an den Kragen ging, wenn sie nicht endlich hart handelten und eingriffen. Sie hatten diese rasenden Teufel unterschätzt. Die kämpften selbst noch mit einem Loch im Schädel oder einer anderen schweren Verletzung weiter. Sie waren wirklich wie Bestien, die ihre Beute in tausend Fetzen rissen und nicht locker ließen. Er hastete zum Pulvermagazin, wo die Flaschen gelagert waren, und nahm auf dem Weg dorthin noch Jeff Bowie mit. �Los, hilf mir tragen, Jeff. Nimm so viele von den Flaschen, wie du tragen kannst.� �Sieht verflucht mulmig aus für uns�, sagte Jeff. �Aber jetzt werden wir es ihnen schon zeigen.� Zusammen liefen sie weiter, duckten sich, wenn Pfeile durch die Luft sirrten, und stürmten ins Magazin. Als sie hochstiegen, schleppte jeder so viele Flaschen mit, wie er tragen konnte. Conroy zündete die Lunte der ersten an. Er fackelte nicht lange, als eins der Auslegerboote dicht heran war, und die Kerle mit Pfeil und Bogen auf die Seewölfe zielten. Er schleuderte die qualmende Flasche mitten in das Boot. Sie explodierte, kaum daß sie aufgeschlagen war. Ein dumpfer, berstender Knall, ein Blitz, und kleine Eisensplitter, kleine Steine und Nägel flogen nach allen Seiten. Die vier Männer in dem Boot schrien und wälzten sich, bis das Boot kenterte und sie alle über Bord gingen. Die nächste Flasche warf. Jeff in einen Pulk Schwimmer. Auch sie krepierte im richtigen Moment auf der Wasseroberfläche und streute ihren tödlichen Hagel nach allen Seiten. Die dritte Flasche versank, und Al Conroy sah ihr gerade bedauernd nach, als sie unter Wasser auseinanderflog, und eine Säule nach oben schoß.

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�Verdammt, das hält sie nicht ab�, knirschte der Waffenmeister erbittert. �Etliche sind schon tot, aber die anderen versuchen es immer noch. Da, Frauen, Jeff!� Zwei klatschnasse Frauen hatten es geschafft, an der Backbordseite auf zuentern. Mit einem Wutschrei stürzten sie sich auf Al Conroy und Jeff Bowie. Die beiden standen ziemlich belämmert da, wichen zurück und waren sich nicht schlüssig, wie sie sich verhalten sollten. Einfach drauflosschlagen? Bowie hob seine Hakenprothese, die im Mondlicht schwach schimmerte und konnte sich immer noch nicht entschließen. Aber die beiden Frauen aus deren Augen blanke Mordlust sprach, griffen wie die Furien an. Ehe der verblüffte Bowie reagierte, fuhr ihm ein Messer in den Arm. Es wurde zurückgezogen, die Klinge blitzte wieder auf und schon stieß die Frau zum zweiten Mal blitzschnell zu. Bowie grinste matt. Schmerzen verspürte er überhaupt keine, aber das war weiter nicht verwunderlich, denn in der Prothese hatte er noch niemals Schmerzen gespürt. Die Frau hatte die Ledermanschette seines linken Armes getroffen, und die Hand hatte er einschließlich eines Stücks des Armes damals in Südamerika verloren, als Piranhas sie ihm zerrissen hatten. Er mußte sich wehren, also schlug er mit dem Handrücken zu und beförderte das keifende und schreiende Weib mit einem Schlag dahin, woher es gekommen war, ins Wasser nämlich. Al Conroy hob die Furie, die ihn attackierte, einfach hoch und warf sie in hohem Bogen über Bord. Aber jetzt kletterten sie überall hoch. Es waren mindestens dreißig oder vierzig, die sich wutschnaubend, geifernd, kreischend und brüllend auf die Männer stürzten. Andere schossen weiter mit Brandpfeilen, und langsam, aber sicher brach auf der �Isabella� das Chaos aus. Carberry wurde angegriffen. Mit Messern, Bögen und Pfeilen stachen die rasenden Männer nach ihm, bis der Profos endlich in

seinem Element war und aufräumte. Und wenn er sauer war, dann wurde Ed Carberry ausgesprochen ruppig. Dann riß er eine ganze Armada eigenhändig in kleine Fetzen und verstreute sie in alle Winde. Jetzt war der Punkt erreicht, als Ed einen der geifernden Kerle im Kreuz hängen hatte und ein zweiter ihn von vorn angriff. Ein dritter versuchte, ihn zu Fall zu bringen, und gerade stürzte sich noch ein vierter in das allgemeine Getümmel. Die mächtigen Fäuste des Profos hieben wie Windmühlenflügel durch die Gegend. Den Kerl in seinem Kreuz drängte er an den Mast und zerquetschte ihn wie eine Laus, als er sich bullig dagegenwarf. Dann fand er auch seinen Belegnagel wieder, der im Getümmel verloren gegangen war, und von nun an hatten die Burschen nichts mehr zu lachen. Er packte den zweiten bei beiden Ohren, hob ihn hoch, bis der Mann schmerzerfüllt schrie und stauchte ihn dann auf die Planken zurück, daß es durch das ganze Schiff dröhnte. Den dritten fegte ein Fußtritt quer über Deck, und den letzten, der noch verbissen auf ihn eindrang, bearbeitete Carberry mit dem Belegnagel, daß ihm frören und Sehen verging. �Noch so ein lausiges Rübenschwein in der Nähe?� brüllte er. �Ah ja, gleich zwei.� Gary Andrews wurde gerade zu Fall gebracht. Ein wild brüllender Bursche hob das Messer, um es Andrews in den Rücken zu rammen. Da war Carberry heran. Er packte die Messerhand, drehte den Kerl herum und schlug ihm die ganze Vorderfront ein. Ohne einen Ton von sich zu geben, schlitterte der Mann übers Deck, bis er unter der Nagelbank liegenblieb. �Ar-we-nack!� schrie Dan, um die Stimmung anzuheizen, und nun fiel die ganze Crew begeistert in den alten Schlachtruf derer von Killigrew ein. Die Eingeborenen zuckten zusammen, als das wilde Gebrüll ertönte, es klang noch lauter als ihr eigenes Geschrei. Dann ging es wieder weiter.

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Smoky streckte sich plötzlich der Länge nach aus, als Tucker an ihm vorbeirannte. Ferris sah den Kerl, der Smoky niedergeschlagen hatte und schleuderte die Axt nach ihm. Sie traf, und der Mann brach aufschreiend zusammen. Tucker kehrte zurück und hob Smoky auf, aber der war nur bewußtlos. �Mann, hoffentlich hast du nicht wieder eins auf die Rübe gekriegt�, flehte er inständig, �sonst läufst du wieder durch die Gegend und weißt deinen Namen nicht mehr.� �He, was schleppst du mich hier um wie einen kranken Säugling?� rief Smoky empört. �Glaubst du vielleicht, ich laß mich jetzt an den Schlachtenort tragen, he?� �Mann, ich dachte, dir wäre was passiert�, murmelte Ferris erleichtert und setzte den Decksältesten ab. �Keine Spur, es wurde nur auf einmal dunkel.� Tucker lief weiter, und Smoky, der sich seinen Posten als Decksältester oft genug mit den Fäusten erkämpft hatte, ging wie ein Wilder auf einen los, der dem alten O'Flynn zusetzte. Doch auch das alte Rauhbein O'Flynn zeigte, was in ihm steckte. Er hatte zwar nicht sein Holzbein abgeschnallt, aber er drosch mit einer Handspake auf die Köpfe, daß es nur so krachte. Und dazwischen fluchte er derart ordinär, daß sogar der Profos lauschte und völlig neue Wortgebilde vernahm. Teufel auch, dachte er, konnte der Alte loslegen, das zog ja jeder Hure die Bluse aus. Hasard kämpfte auf dem Achterdeck. Er ließ sie heran und schlug dann hart und erbarmungslos zu. Sein Arm war leicht angeritzt, aber es blutete nicht mehr. Big Old Shane war die Ruhe selbst. Der ehemalige Waffenschmied von der Feste Arwenack stand wie ein Fels in der Brandung. Wo seine mächtigen Fäuste hinschlugen, da wuchs kein Gras mehr. Ein paarmal schon hatten ihn die rasenden Kerle angesprungen, aber er wich und wankte nicht. Dafür teilte er kräftig aus,

und wer einen Treffer erhielt, der brauchte keinen zweiten mehr. Luke Morgan beförderte die angeschlagenen Kerle kurzerhand über Bord. Einen nach dem anderen feuerte er über das Schanzkleid, nachdem er ihnen noch ein paar kräftige Ohrfeigen versetzt hatte. Auf dem Deck der Galeone lagen Verletzte und ein paar Tote. Auch bei den Seewölfen gab es Verletzte, nur wenige waren mit heiler Haut davongekommen. Fast jeder hatte eine kleine Schramme oder eine Blessur davongetragen. Für den Kutscher bedeutete das später eine Menge Arbeit. Doch noch immer war der Kampf nicht beendet. Immer noch mußten sie kleine Brände löschen, die reißenden Eingeborenen abwehren und höllisch aufpassen. Sie kamen nicht dazu, wegzusegeln. Hatte einer von ihnen die Hände frei, dann war er damit beschäftigt die Segel wieder aufzugeien, wie der Seewolf es angeordnet hatte, damit die kleinen Brände sich nicht ausweiteten. Ganz sachte trieb die �Isabella� vom Ufer fort, doch das hinderte die Eingeborenen nicht, ihr zu folgen. Immer noch hingen ganze Trauben Menschenleiber an dem Rumpf. Hasard blickte zu der anderen kleinen Bucht, wo um die Statue herum immer noch das Feuer lohte. Die Fratze schien höhnisch zu grinsen, als hätte sie persönlich einen Sieg davongetragen, und wieder war dem Seewolf, als sähe er die Gesichter der Eingeborenen vor sich. Ihn schauderte bei dem Gedanken, wenn er an die Spanier dachte, die hier ihr Leben gelassen hatten. Mindestens zwei Schiffsbesatzungen lagen da drüben, und wenn sie nicht aufgepaßt hätten, dann würden ihre Knochen jetzt auch bald dort drüben in der Geröllwüste liegen. �Ein normaler Mensch wäre längst erschöpft und ausgepumpt�, hörte er Ben Brighton neben sich sagen. �Aber diese Kerle stehen noch auf, wenn sie schon tot sind. Die roten Früchte müssen eine erstaunliche Wirkung haben.�

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Hasard nickte. Er sah zum Vordeck, wo Smoky gerade einen der Angreifer' ins Wasser zurückbeförderte. �Ist jemand von uns schwer verletzt?� fragte Hasard. �Schwer verletzt nicht, aber es hat einige Beulen gegeben und ein paar Stiche von den Messern, die wir ihnen geschenkt haben.� �Soll das ein Vorwurf sein, Ben?� �Auf keinen Fall! Wer hätte damit gerechnet? Kanaki Jama hatte doch eine ganz brauchbare Ausrede zur Hand, als ihr die Knochen und Uniformreste fandet. Wo ist der Kerl geblieben? Ich habe ihn seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen.� Als hätten seine Worte den Teufel persönlich beschworen, sahen sie ihn dicht hinter der Heckgalerie in einem Auslegerboot. Der Häuptling sah schrecklich aus. Sein vormals freundliches Gesicht war aufgequollen wie ein Schwamm, aber seine Augen hatten nicht mehr den wilden und bestialischen Blick wie vorhin. Vielleicht hatte bei ihm die Wirkung etwas nachgelassen. �Paz!� schrie er laut und suchte Hasards Blick. �Paz, ki-li-gru, nicht kämpfen!� �Na, endlich wird dieses Rübenschwein wieder normal�, sagte Ed Carberry laut. Hasard gab keine Antwort. Starr sah er den Häuptling an. �Was willst du?� fragte er schließlich kalt. Das Boot war jetzt dicht neben dem Heck, und immer wieder rief Kanaki Jama, das spanische Wort für Frieden. �Verschwinde�, sagte der Seewolf hart. �Haut endlich ab, sonst lasse ich mit der Drehbasse auf euch feuern!� Er zeigte auf die achtere Drehbasse mit einer unmißverständlichen Bewegung. �Amistad!� rief Kanaki Jama, der bis auf sein lädiertes Gesicht ziemlich normal aussah. �Freundschaft�, sagte Brighton verächtlich. �Die habt ihr bewiesen. Trau ihm nicht, Hasard�, raunte er dem Seewolf zu, �ich werde das Gefühl nicht los, als hecke dieser Bursche wieder eine neue Teufelei aus.�

�Wer kann dem Kerl noch trauen! Seine Leute hängen ja immer noch wie Trauben am Schiffsrumpf.� Kanaki Jama erklärte umständlich, daß man ihn und ein paar Leute an Bord lassen möge, sie wollten die Toten holen, die noch an Deck lägen. �Eure Toten liegen im Wasser�, erwiderte Hasard. �Und eure tödliche Freundschaft hängt mir zum Hals heraus.� Er sah im hellen Mondlicht deutlich, wie es in den schwarzbraunen Augen ärgerlich aufglomm. Er sah auch noch etwas anderes. Ein kaum sichtbares rotes Glimmen war .in dem Auslegerboot zu erkennen, und ein ganz schwacher Brandgeruch stieg Hasard in die Nase. Er schnupperte. Das Boot brannte nicht, aber vielleicht schwelte das Holz an der Stelle, wo es leicht glomm. �Paßt gut auf�, warnte Hasard seine Leute, �gebt an den Bordwänden acht, der Kerl hat ganz sicher eine neue Teufelei vor!� In der kleinen Geröllbucht erlosch jetzt langsam die Glut um die Statue herum. Ein paarmal noch zuckten kleine Flammen auf, dann erloschen auch sie, und nur der Mond beschien die verzerrte Fratze noch. Es sah immer noch gespenstisch aus. Das Boot des Häuptlings trieb langsam an der Heckgalerie vorbei zu jenem Teil, der vom Achterkastell aus nicht einsehbar war, weil er im toten Winkel lag. Hasard beugte sich weit hinunter, dabei behielt er den Häuptling, der aufrecht im Boot stand, scharf im Auge. Die Gestalt rührte sich nicht, wie angewachsen stand sie da. Dann, aus dem Stand heraus, sprang Kanaki Jama ins Wasser und schwamm davon. Zwei andere folgten ihm, der Rest hing immer noch am Rumpf und ließ sich von der �Isabella� mitziehen, die unendlich langsam dem offenen Meer zustrebte. Das hatte etwas zu bedeuten, dachte der Seewolf. Der Kerl hatte etwas mit dem Auslegerboot vor. Mehrere Männer hatten sich jetzt auf dem Achterkastell versammelt und versuchten, einen Blick auf das Boot zu erhaschen.

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Dan O'Flynn lief los und brachte eine lange Leine aus der Kuhl. Schnell band er sie sich um die Hüften. �Hievt mich über Bord�, sagte er, �wenn mich nicht alles täuscht, dann habe ich Glut in dem Boot gesehen. Dieser Mistkerl will die �Isabella' in Brand stecken!� Genau das war Hasards Gedanke gewesen, als Kanaki Jama über Bord gesprungen war. Er hatte sich also doch nicht getäuscht. Tucker und Stenmark hatten Dan O'Flynn gerade über die Heckgalerie ein Yard tief abgeseilt, als von unten eine rötliche Stichflamme hochschoß. Die rote Lohe hüllte den jungen O'Flynn ein. Tucker und der Schwede Stenmark zerrten ihn blitzschnell wieder an Deck zurück. Dans Haare waren leicht angesengt, er hustete und fluchte gleichzeitig. Blitzschnell wurden Pützen nach achtern gereicht, und Wasser ergoß sich über die Heckgalerie. Hasard packte den Bootshaken und versuchte, das brennende Auslegerboot vom Heck wegzudrücken. Er schaffte es jedoch nicht, der Haken fetzte nur brennende Holzteile aus dem Boot. Kanaki Jama hatte vorzügliche Arbeit geleistet, als er sah, daß den Seewölfen auf andere Art nicht beizukommen war. Wenn jetzt jemand ins Wasser sprang, um das Feuer zu löschen oder das brennende Boot wegzuziehen, dann würde das Rudel Eingeborener, die immer noch am Rumpf hingen, über ihn herfallen. Darauf lauerten sie nur. Aber der Brand mußte gelöscht werden, sonst fing die �Isabella� am Heck Feuer. Schon jetzt war deutlich das Prasseln der Flammen zu hören.

10. In dieser Nacht segelte die Rote Korsarin mit �Eiliger Drache über den Wassern� an der Insel Parece Vela vorbei. Siri-Tongs Unruhe war in den letzten Stunden immer größer geworden. Sie war mehr an Deck in dieser Nacht als in ihrer Kammer, und immer wieder warf sie einen Blick auf den Kompaß.

Danach ging sie nach unten, studierte die Seekarten und schüttelte verzweifelt den Kopf. �Wir hätten diese Insel schon gestern passieren müssen, Thorfin�, sagte sie zu dem Wikinger, der ratlos an Deck stand und den Horizont absuchte. �Ich glaube, wir sind daran vorbeigesegelt.� �Das kann doch nicht sein�, brummte Thorfin Njal. �Der Karte nach liegen wir auf dem richtigen Kurs.� �Der Karte nach�, sagte Siri-Tong verächtlich. �An der Karte ist doch fast alles falsch. Sieh dir das einmal an!� Sie hatten drei Seekarten ausgebreitet, aber die Ratlosigkeit wurde dadurch nur noch größer. Auf der einen Karte war die Insel überhaupt nicht verzeichnet, auf der anderen lag sie sehr weit südlich, und auf der dritten war sie ohne Namen eingezeichnet. Siri-Tong hatte gerechnet, den Kurs nachgezogen, die zurückgelegte Strecke vermessen und die Geschwindigkeit des Schiffes immer wieder kontrollieren lassen. �Vielleicht gibt es die Insel gar nicht�, wandte der Boston-Mann zaghaft-ein. �Oder es hat sie früher einmal gegeben, und sie ist wieder versunken. Ein Seebeben könnte sie vernichtet haben.� �Der Seewolf hat diese Insel ebenfalls auf der Karte verzeichnet�, sagte Siri-Tong, �und er läuft sie an, um Proviant und Wasser zu übernehmen. Er hat sie auf mehreren Karten, daher muß es diese Insel ganz einfach geben.� Sie klopfte mit der flachen Hand an das Kompaßgehäuse, wo die Nadel sich träge bewegte. �Der Kompaß weicht ab, Thorfin, es gibt keine andere Möglichkeit. Kannst du diese Zahlen auf der Karte lesen?� Thorfin Njal beugte sich über das Pergament, kniff die Augen- zusammen und versuchte, die winzigen Zeichen zu entziffern. Es gelang ihm jedoch nicht. �Nein�, sagte er ratlos. �Dann werde ich sie dir erklären. Es sind Zeichen, die die Wassertiefe angeben, nicht genau natürlich, aber manche

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Zeichen sagen, daß das Meer hier unauslotbar ist. Kein noch so langes Lot hat jemals den Meeresgrund erreicht, und deshalb wird dieses Gebiet auch die Teufelssee genannt.� �Dann - dann muß es ja fast tausend Yards tief sein�, meinte der Boston-Mann staunend. �Tausend Yards?� Die Rote Korsarin lachte leise. �In der Teufelssee hat man schon vor etlichen Jahren zwei- und dreitausend Yards gemessen, das steht jedenfalls in den Karten. Vermutet wird, daß die Tiefe hier mehr als das doppelte beträgt.� Jetzt schluckte auch Thorfin Njal. Er wußte wie jeder andere Seemann auch, daß die Schiffe mitunter über unheimlich tiefe Abgründe segelten, aber wenn er sich diese Tiefe richtig vorstellte, dann wurde sogar ihm etwas wunderlich zumute. Der Boston-Mann zupfte beeindruckt an seinem goldenen Ohrring. �Was bedeutet das für uns?� fragte er heiser. Siri-Tong zeigte wieder auf die eine Karte, die mit den geheimnisvollen Zeichen bemalt war, die außer ihr an Bord niemand entziffern oder lesen konnte. �Die Meerestiefe ist schuld daran, daß wir nicht mehr auf dem richtigen Kurs liegen. Portugiesen haben diese Karten damals angefertigt und chinesischen Schiffen verkauft. Dort wurden sie nachgezeichnet und daher treten wahrscheinlich diese kleinen Unterschiede auf. Hier spielt der Kompaß mitunter verrückt, er zeigt nicht mehr die Nordrichtung an, sondern dreht sich, wie er will.� Der Boston-Mann kriegte schmale Augen. Er würgte an einem unsichtbaren Kloß im Hals. Sie bewegten sich in fremden Meeren auf sagenhaften Abgründen, und ein kühler Schauer überlief auch ihn, wenn er sich diese unbegreifliche Tiefe vorstellte. �Und ich dachte, ein Kompaß zeigt immer dieselbe Richtung an, egal, wo man sich befindet, das war meine Ansicht.� Der Wikinger legte die Hand um die Öllampe, damit das Flackern des Lichts die

Umrisse nicht zu sehr verzerrte. Vor seinen Augen hüpften die schwarzen Tuschezeichen auf und nieder, und nach einer ganzen Weile verschwamm alles vor seinen Augen. Er fluchte leise und unterdrückt. Siri-Tong blickte zum Ausguck hinauf. Er war seit gestern immer doppelt besetzt. Ein dritter Mann war außerdem noch in den anderen Ausguck abkommandiert worden. Fast ungeduldig rief sie hinauf: �Hilo, Juan, Eike! Seht ihr immer noch kein Land?� Eike, der Wikinger aus Thorfins alter Mannschaft, den sie an Bord den Stör nannten, und der die Angewohnheit hatte, immer des Wikingers letzten Satz passend oder unpassend nachzuquasseln, schüttelte lebhaft den Kopf. Sein Gesicht sah noch länger aus. �Immer noch kein Land!� rief er an Deck. �Hoffentlich schlaft ihr lausigen Plattfische da oben nicht�, rief der Wikinger mit Donnerstimme. �Irgendwo, verdammt, muß doch Land sein!� �Irgendwo, verdammt, muß Land sein�, sagte der Stör automatisch. �Ja, wo denn, bei Odin und seinen Raben?� rief Thorfin. �Ja, wo denn, bei Odin und seinen Raben!� klang es aus dem Ausguck. Der Nordmann winkte ärgerlich ab. �Das Nachgequassel von diesem Stör geht mir langsam auf die Nerven.� Er beugte sich wieder über die Karte, auf die außer dem Lichtschein der blakenden Lampe noch das Mondlicht fiel. Er wußte zu dieser Zeit nicht, daß die Insel nur knapp achtzig Meilen weiter südlich lag und sie daran vorbeigesegelt waren. Er erfuhr es erst zu einem späteren Zeitpunkt. Siri-Tong überlegte, ob sie den Kurs ändern lassen sollte, sie konnte sich zu diesem Entschluß jedoch nicht durchringen, also segelten sie auf dem alten Kurs weiter. �Was tun wir, wenn wir den Seewolf verfehlt haben?� fragte der Boston-Mann. �Wir werden die �Isabella' dann so schnell nicht mehr finden.�

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�Wir haben sie schon verfehlt, Boston-Mann, dessen bin ich ganz sicher. Ändern wir den Kurs, dann verirren wir uns noch weiter. Die Karte zeigt Strömungen von kaltem und warmen Wasser, hier gibt es Abdriften, die stärker sind als jene im Eismeer. Diese Teufelssee ist unberechenbar.� Jede Minute wartete die Korsarin darauf, die Stimme aus dem Ausguck zu hören, die endlich Land meldete. Aber da rührte sich nichts, die Kerle im Ausguck waren wach und paßten auf. Sie konnte ihnen keine Nachlässigkeit vorwerfen. Es gab einfach kein Land in der Nähe. Die Teufelssee hatte ihnen einen Streich gespielt, und so manches Schiff war an den Anfängen dieses unheimlichen Meeres schon spurlos verschwunden, oder es hatte sich so verirrt, daß es kein Land mehr fand. Wo mochte der Seewolf jetzt sein, dachte sie. Hatte er die Insel wirklich gefunden, oder irrte die �Isabella� jetzt auch irgendwo in der Teufelssee herum, ohne Land zu entdecken. �Eiliger Drache über den Wassern� lief fast raumschots. Der Wind wehte nicht allzu stark. Die lange Dünung hob und senkte das Schiff und jagte es über den unauslotbaren Abgrund aus Wasser, der sich schwarz und geheimnisvoll unter ihnen ausbreitete. Stundenlang lief das Schiff vor dem Wind her, und immer noch gab es kein Anzeichen, daß sich Land in der Nähe befand. Als der Mond langsam zur Kimm wanderte, wußte die Rote Korsarin mit absoluter Gewißheit, daß sie diese Insel nicht mehr finden würden und damit die Hoffnung sank, die �Isabella� zu treffen, die sich werweißwo befinden mochte. Die Korsarin war müde, immer wieder fielen ihr die Augen zu. Sie hatte seit zwei Tagen kaum geschlafen, und auch dem Wikinger erging es ähnlich. Er gähnte immer ausgiebiger, kratzte seinen Helm und fluchte leise vor sich hin. �Eiliger Drache über den Wassern� wußte noch nicht, was ihn erwartete. Wie von

Geisterhänden gezogen lief das Schiff auf die Falle zu, die Khai Wang gestellt hatte. Es gab kein Ausweichen mehr.

11. Conroy warf die fünfte oder sechste Pulverflasche über Bord, um das beutegierige Rudel Eingeborener zu vertreiben, die nur darauf lauerten, die Seewölfe erneut anzugreifen. Sobald die Flasche explodiert war, tauchten sie, schwammen ein Stück vom Schiff weg, riskierten Tote und Verwundete und schwammen dann wieder auf den Rumpf zu, lauernd, abwartend, ihrer Beute sicher. Auf dem Achterkastell wurde pausenlos Wasser gepützt. In breitem Schwall ergoß es sich über das Heck, zischte, dampfte und brodelte, wenn es mit dem Feuer in Berührung kam. Diesmal war es Hasard, der sich an einem langen Tampen über Bord schwang. Carberry goß ihm eine Pütz Wasser über den Körper, damit die Flammen nicht seine Haare versengten. Hasard hing drei, vier Yards außenbords und sah hinunter. Das brennende Auslegerboot trieb mit der gleichen Geschwindigkeit wie die �Isabella� dicht unter dem Heck. Die Flammen erreichten die Bordwand, aber noch hatte das Schiff kein Feuer gefangen, das Wasser, das ständig herunterrieselte, hielt das Holz feucht, wenn es auch nicht imstande war, das Feuer zu löschen. Eine Möglichkeit, das Beiboot abzufieren, bestand kaum, überlegte der Seewolf, es sei denn, man ließ das Boot nachschleifen. Aber darauf warteten die Eingeborenen nur. Vom Beiboot aus hatten sie die Kerle nur schlecht unter Kontrolle. Mit dumpfen Geräusch schlug etwas neben dem Seewolf in die Bordwand. Er sah kaum hin, erst beim zweiten Mal erkannte er, was es war, das dieses Geräusch verursachte. Seine Augen waren vom Feuerschein geblendet, doch nun erkannte er dicht neben sich einen gefiederten Pfeil, der im

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Holz steckte. Er war irgendwo aus der Dunkelheit abgefeuert worden. Wasser überrieselte ihn. �Schüttet mehr hinunter, schnell!� rief er. �Und gebt den Haken her!� Zwei Schüsse krachten hintereinander. Smoky und Al Conroy hatten Musketen abgefeuert, und zwischen Rauch und Feuer erkannte Hasard schemenhaft ein Auslegerboot, von dem aus Eingeborene mit Pfeilen nach ihm schossen. Die beiden Schüsse waren noch nicht verklungen, da riß der erste Schütze die Arme hoch, stieß einen gellenden Schrei aus und kippte rückwärts aus dem Boot. Der andere Bogenschütze duckte sich, als hätte er einen Tiefschlag erhalten. Lautlos sank er zusammen, preßte beide Arme auf den Leib und streckte sich der Länge nach aus. Eine Flasche, die diesmal Ferris Tucker warf, riß das Auslegerboot in Stücke. Der dritte Mann, der darin gekauert hatte, verschwand ebenfalls. Hasard packte den Haken, den man ihm gereicht hatte. Er hing jetzt freischwebend in der Luft. Unter sich sah er immer noch die Flammen, und daneben auf der Wasseroberfläche die verzerrten Gesichter der Eingeborenen, die ihre Wut und Enttäuschung hinausbrüllten. Viele von ihnen trugen noch Messer zwischen den Zähnen. Sie scheuten die Hitze nicht, die das brennende Boot verströmte. Ungeachtet der Gefahr von den Flammen erfaßt zu werden, schwammen sie näher, schnellten sich wie Fische aus dem Wasser, packten die Messer und versuchten damit nach Hasard zu stechen. Mit dem Haken stieß der Seewolf in das brennende Boot, immer wieder schlug er zu, bis die ersten glühenden Teile davonflogen und im Wasser versanken. Das brennende Holz ließ sich jetzt leichter durchstechen, und der Seewolf fetzte wütend und kraftvoll einen Brocken nach dem anderen heraus. Die Eingeborenen schwammen hinter das brennende Wrack und schoben es näher ans Heck heran. Sie wollten mit aller Gewalt erreichen, daß die �Isabella� Feuer fing und sank.

Plötzlich hörte er sie schreien. Köpfe duckten sich angstvoll unter Wasser, das Geschrei wurde lauter. Hasard, der sich das nicht erklären konnte, blickte hoch. Er sah das hinterhältig grinsende Gesicht des Kutschers, der sich weit über das Heck lehnte und die seitlich schwimmenden Eingeborenen mit Wasser übergoß. Das Wasser hatte er vorher in der Kombüse erst zum Sieden gebracht, und nun ergoß es sich auf die quirlenden Leiber und die aus dem Wasser blickenden Köpfe. Er sah wieder nach unten. Nein, der Rumpf hatte immer noch kein Feuer gefangen, aber die Planken waren schwärzlich verfärbt. Mit ein paar kräftigen Schlägen zerteilte er das Boot in drei Stücke, und damit war die Gefahr zum größten Teil beseitigt. Ein Teil ging sofort unter, der andere löste sich vom, Schiff und trieb brennend achteraus. Den dritten löste das Feuer, bis es nur noch rauchte und qualmte. Ein Wutgeheul aus mehr als fünfzig Kehlen war die Antwort. Es war höchste Zeit gewesen, denn nun begann ein leicht ablandiger Wind zu wehen. Er hätte das brennende Boot noch dichter herangetrieben. Früher 'oder später wäre es unausbleiblich gewesen, daß die �Isabella� Feuer fing. Hand über Hand holten sie ihn an Bord zurück, nachdem er den Haken nach oben gereicht hatte. Der Kutscher wischte ihm mit einem nassen Lappen über das Gesicht, das dunkel von kleinen Rußflocken war. �Was mag das nur für ein Zeug gewesen sein, das so unheimlich brannte?� fragte der Kutscher. �Die Kerle können es ja fast besser als die Spanier. Schicken einfach einen kleinen Brander, tss, tss.� �Der kleine Brander hat uns vor ganz nette Probleme gestellt�, sagte Hasard. �Das Feuer war so geschickt angebracht, daß es schwierig war, es zu löschen. Die Kerle sind nach einer ganz ausgeklügelten Methode vorgegangen. Aber jetzt setzt die Segel.�

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Dan tippte dem Seewolf auf die Schulter. Sieh mal da drüben, Hasard�, sagte er, �das ist uns ganz entgangen. Mir fiel vorhin schon auf, daß immer mehr ihrer Boote verschwanden. Sie versuchen es doch tatsächlich noch einmal. Die sind wirklich lebensmüde.� Hasard sah in die von Dan angegebene Richtung. Da trieb weit vor ihnen eine ganze Phalanx der kleinen wendigen Boote. �Die wollen uns tatsächlich den Weg verlegen, oder sie stecken die Boote in Brand, wenn wir durchsegeln. Besetzt die Kanonen, Männer, wenn wir Fahrt aufnehmen, drehen wir leicht nach Steuerbord ab und setzen ihnen die Siebzehnpfünder in die Boote. Jetzt kann ich keine Rücksicht mehr nehmen.� Die Boote hatten weiter draußen einen Teil der Bucht abgeriegelt. Es war Selbstmord, was die Eingeborenen vorhatten, denn sie mußten sich denken können, daß die �Isabella� sich von nun an den Weg freischoß. Aber sie schien nichts mehr zu stören. Sie waren dem Rausch verfallen und würden erst morgen wieder ihr volles Bewußtsein zurückerlangt haben. �Klar, die haben kleine rote Feuer an Bord!� rief Dan. �Wenn wir dicht genug heran sind, stecken sie die Boote an.� Der Profos ging nach vorn, um die Blinde zu setzen. Dicht am Bugspriet sah er eine Gestalt kauern, die sich mit einem Satz auf ihn schnellen wollte. Carberry packte blitzschnell zu, entwand dem wilden Kerl das Messer und packte ihn an den Haaren. �Ei, seit wann haben wir Läuse auf dem Vordeck?� brüllte er wutentbrannt darüber, daß niemand bemerkt hatte, wie der Kerl unter der Blinde heimlich aufgeentert war. Er ließ den Mann sekundenlang los, holte mit beiden Fäusten aus und schlug sie ihm links und rechts um die Ohren. �Aus dir mache ich ein Strichmännchen�, grollte er. Dennoch mußte er den selbstmörderischen Mut bewundern, mit dem der Kerl handelte. Er stand zwar wie vom Donner gerührt da, als der Profos ihm die Fäuste gleichzeitig um die Ohren

schlug, aber er klappte nicht zusammen. Nur sein Gesicht verzog sich schmerzvoll. Erst als Carberry ihm seine mächtige Faust von oben auf den Schädel' rammte, brach der Mann wie vom Blitz gefällt zusammen. Carberry hob ihn wie einen nassen Lumpen hoch und schleuderte ihn über Bord. �Paßt besser auf!� schrie er. �Auch wenn ihr alle Hände voll zu tun habt. Hier darf keiner unbemerkt aufentern!� Langsam nahm die Galeone Fahrt auf und hielt auf die Phalanx der kleinen Boote zu, die sich nicht von der Stelle rührten. Hasard ließ ihnen noch eine allerletzte Chance. Er ließ die vordere Drehbasse hoch über die Boote abfeuern, in der Hoffnung, die wilden Kerle würden endlich einsehen, daß sie nicht mehr gewinnen konnten. Doch sie blieben stur. Von den Auslegerbooten brandeten Schreie herüber, nicht weil sie getroffen waren, sondern um sich selbst in Kampfstimmung zu versetzen. �Drei Strich Steuerbord, Pete�, sagte Hasard zu Ballie. Nur langsam schwang die �Isabella� herum. Die Stückpforten waren hochgezogen, und in diesem Augenblick flammten drüben die Auslegerboote auf. Das Feuer lief von Boot zu Boot, und innerhalb kürzester Zeit stand alles in Flammen. �Die �Isabella� zeigte ihre Breitseite. Hasard gab den Befehl zum Feuern. �Versucht, die Boote an Steuerbord zu treffen, Al!� rief der Seewolf. aalte auf die äußeren!� �Aye, aye, Sir, wir blasen sie weg!� Die erste Culverine brüllte auf, und der Siebzehnpfünder ging auf die kurze Reise. Die Eisenkugel schlug mitten in das erste Auslegerboot und riß es auseinander, daß die Fetzen nach allen Seiten flogen. Es war nicht sonderlich schwierig, die Boote zu treffen. Sie boten ein nahes und unübersehbares Ziel, und von den Eingeborenen befand sich keiner mehr an Bord.

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Der zweite Schuß aus der nächsten Culverine traf ein weiteres Boot. Es flog auseinander und riß das dritte mit sich, das sich ein paarmal um seine Achse drehte, bis es abdriftete. Wieder und wieder zuckten die Feuerlanzen aus den Rohren, und fast im selben Augenblick schlug es drüben mit verheerender Gewalt ein. Ein Boot nach dem anderen wurde in Fetzen geschossen, bis die letzte Culverine abgefeuert war. Auf dem Wasser brannte es. Der Mond schien nur noch ganz trübe, am fernen Horizont krochen die ersten Schleier der Dämmerung hoch. Die �Isabella� schwang leicht herum, suchte sich ihren Weg durch das Gewirr brennender und qualmender Trümmer und mangelte ein angekohltes Boot unter, über das sich knirschend der Bug schob. Im Kielwasser der Galeone .aber schwammen Eingeborene, hoben die Fäuste aus dem Wasser, schrien und drohten in ihrer Sprache. Nur von Kanaki Jama, dem glücklichen Mann, war nichts zu sehen. Entweder war er aus einem Rausch erwacht oder in der Bucht ertrunken. Das ließ sich nicht mehr feststellen. Nach und nach lösten sich die verkrampften Finger der Eingeborenen vom Holz des Rumpfes. Manche hatten ihr Messer in das Holz getrieben und ließen sich noch eine Weile mitziehen, ehe sie erschöpft aufgaben oder das vorbeigurgelnde Wasser sie fortriß.

Hinter ihnen wurde die Statue kleiner, die fröhliche Insel versank in der beginnenden Dämmerung. �Das war der reinste Alptraum�, stöhnte Ben Brighton und warf angewidert einen Blick zurück. �Die Leute waren schlimmer als die Spanier und alle geschwänzten Teufel der Hölle. Hoffentlich treffen wir den schwarzen Segler, damit der Korsarin nicht das gleiche widerfährt. Das war auch Hasards Sorge. Aber von �Eiliger Drache�, der schon längst hätte hier sein müssen, war nichts zu sehen.

* Fast zwei Tage lang kreuzte die �Isabella� in der Nähe der �fröhlichen� Insel. Dann wurde dem Seewolf klar, daß Siri-Tong sie längst passiert haben mußte. Sie hatte die Insel verfehlt und war weitergesegelt, dem Land des Großen Chan entgegen. Am Abend des zweiten Tages ließ Hasard ebenfalls den Kurs ändern. Es war sinnlos, weiterhin zu warten. Die Korsarin befand sich längst Hunderte von Meilen weiter. Unter vollem Zeug segelte die �Isabella� los, ebenfalls dem Land des Großen Chan entgegen. Hasard und seine Crew waren auf dieses Land gespannt, diesem rätselhaften und geheimnisvollen Kontinent, den sie alle nur vorn Hörensagen kannten. Schlimmer als auf der �fröhlichen Insel� konnte es kaum werden, auch wenn sie noch nicht ahnten, was ihnen alles bevorstand ...

E N D E