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8-9/2012 B 2580 August/September Elektrische Bahnen Elektrotechnik im Verkehrswesen Standpunkt Reibungsloser Verkehr auf der Schiene Fokus Praxis Vectron-Lokomotiven – erste unbefristete Zulassung Bahnstrom-Hochspannungsleitung SBB – ÖBB in Betrieb Report Schienenfahrzeuge von A(nforderung) bis Z(ulassung) Felssturz auf der Gotthardstrecke Forum Zukunftsentscheidungen nach zweierlei Maß Thema Induktive Energieübertragung für Elektrofahrzeuge im Testbetrieb Bahnen auf dem neuesten Stand Fahrdrahtenteisungsanlage für Bahn und Tram Erster Mittelfrequenz-Traktionstransformator im Betriebseinsatz Fahrzeuge Triebzüge Desiro ML für die SNCB Vectron DE – die kraftstoffsparende dieselelektrische Lokomotive Last Mile – die neue Funktion der TRAXX AC3-Lokomotiven Energiespeicher auf Straßen- und Stadtbahnfahrzeugen – das erste Serienprojekt Projekte Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen SupraTrans II – Fahrversuchsanlage für eine Magnetbahn mit Supraleitern Rail Power Supply Systems / Bahnenergieversorgung Queensland Rail’s proof of concept for OpenPowerNet Kompakte DC-Schaltanlage für die Bahnstromversorgung der Jungfraubahnen Oberleitung / Overhead Contact Line Nachspannvorrichtung für Fahrleitungen von Nahverkehrsbahnen Infrared thermography – application for fixed installations at SNCF Betrieb Elektrischer Betrieb bei der Ofot-Bahn in Norwegen Historie eb – Elektrische Bahnen im Jahre 1912 – Teil 2

August/September Elektrische Bahnen · 2021. 2. 16. · Fahrzeuge Triebzüge Desiro ML für die SNCB Vectron DE – die kraftstoff sparende dieselelektrische Lokomotive Last Mile

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8-9/2012

B 2580

August/September

Elektrische Bahnen

Elektrotechnik im Verkehrswesen

Standpunkt Reibungsloser Verkehr auf der Schiene

FokusPraxisVectron-Lokomotiven – erste unbefristete ZulassungBahnstrom-Hochspannungsleitung SBB – ÖBB in Betrieb

ReportSchienenfahrzeuge von A(nforderung) bis Z(ulassung)Felssturz auf der Gotthardstrecke

ForumZukunftsentscheidungen nach zweierlei Maß

ThemaInduktive Energieübertragung für Elektrofahrzeuge im TestbetriebBahnen auf dem neuesten StandFahrdrahtenteisungsanlage für Bahn und TramErster Mittelfrequenz-Traktionstransformator im Betriebseinsatz

FahrzeugeTriebzüge Desiro ML für die SNCBVectron DE – die kraftstoff sparende dieselelektrische LokomotiveLast Mile – die neue Funktion der TRAXX AC3-LokomotivenEnergiespeicher auf Straßen- und Stadtbahnfahrzeugen – das erste Serienprojekt

ProjekteElektromobilität bei schweren NutzfahrzeugenSupraTrans II – Fahrversuchsanlage für eine Magnetbahn mit Supraleitern

Rail Power Supply Systems / BahnenergieversorgungQueensland Rail’s proof of concept for OpenPowerNetKompakte DC-Schaltanlage für die Bahnstromversorgung der Jungfraubahnen

Oberleitung / Overhead Contact LineNachspannvorrichtung für Fahrleitungen von NahverkehrsbahnenInfrared thermography – application for fi xed installations at SNCF

BetriebElektrischer Betrieb bei der Ofot-Bahn in Norwegen

Historieeb – Elektrische Bahnen im Jahre 1912 – Teil 2

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408 110 (2012) Heft 8-9

Fokus Thema

Die Frequenz 16 2/3 Hz war der Schlüssel zu starken und robusten Bahnmotoren und zu günstiger En-ergieübertragung mit Hochspannung, aber sie kostet große und schwere Transformatoren. Höhere Frequenz kann hier viel Platz und Masse sparen. In der Schweiz fährt jetzt das weltweit erste Triebfahr-zeug mit via Leistungselektronik gespeister Mittelfrequenztransformation.

Erster Mittelfrequenz-Traktionstrans-formator im Betriebseinsatz

Einführung

Der Kardinalgrund, Anfang des 20. Jahrhunderts für elektrische Bahnen die Frequenz 16 2/3 Hz einzuführen, war die Physik der Wechselstromkommutie rung bei den Einphasen-Reihenschlussmotoren. Diese Funktion ist seit nunmehr einem Vierteljahrhundert vollständig von der Leistungselektronik übernommen (Bild 1).

Geblieben war ein gleichfalls physikalisch bedingter Kollateraleffekt bei den Haupttransformatoren auf den Triebfahrzeugen, der hingenommen und beherrscht werden musste: Weil bei Leistungstransformatoren der Eisenkern für die Führung des magnetischen Flusses bemessen sein muss und weil dessen notwendiger Wert umgekehrt proportional zur Frequenz der zu transformierenden Spannung sein muss, sind Transfor-matoren für 162/3 Hz von Natur aus größer und schwe-rer als solche gleicher Leistung für 50 oder 60 Hz.

Bei Lokomotiven ist das nicht unbedingt immer nachteilig, denn hohe Radsatzlasten ermöglichen bei gleicher Kraftschlussausnutzung hohe Zugkräfte zum Beschleunigen oder beim Befahren von Steigungen. Bei Triebzügen mit verteilten Antrieben spielt dieser Zusammenhang keine so große Rolle mehr, jedoch ist hier der verfügbare Einbauraum stark begrenzt. Bei Hochgeschwindigkeitszügen kommt hinzu, dass ihre Radsatzlasten strenge Grenzwerte nicht über-schreiten dürfen. Hier engen also Größe und Masse der Haupttransformatoren die Spielräume der Kon-strukteure von Schienenfahrzeugen stark ein.

Den Ausweg bietet wieder die Physik an, nämlich nun mit höherer Frequenz betriebene Transformato-ren zu bauen. Dabei sinken deren Masse und Volu-men, während umgekehrt bei gleicher Materialwahl die Verluste steigen. Günstige Kombinationen dieser Parameter liegen nach heutigem Stand im einstelli-gen kHz-Bereich.

An dieser Lösung wurde seit fast zwei Jahrzehn-ten überall intensiv gearbeitet. Nunmehr hat ABB einen betriebsreifen Prototyp mit der Bezeichnung Power Electronic Traction Transformer (PETT, leis-tungselektronischer Bahntransformator) fertiggestellt und erprobt diesen als weltweit ersten betriebsmäßig in der SBB-Rangierlokomotive Ee3/3 933 001, vormals 934 560, im Bahnhof Genève (Genf Cornavin). Der zeitliche Ablauf dieses Projekts ist Tabelle 1 dargestellt.

Bild 1: Grundschaltung eines modernen AC-Triebfahrzeugs (alle Bilder: ABB).

1 AC-Fahrleitung 5 DC-Zwischenkreis2 Fahrschienen (Bahnerde) 6 Traktionsumrichter3 Niederfrequenz-Haupttransformator (NFT) 7 Traktionsmotoren4 Netzumrichter

Bild 2: Grundschaltung eines AC-Triebfahrzeugs mit Mittelfrequenztransformator.1 AC-Fahrleitung 5 Mittelfrequenztransformator (MFT)s2 Fahrschienen (Bahnerde) 6 Niederspannungsumrichter3 Netzdrossel 7 Traktionsmotoren4 Hochspannungsumrichter

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409110 (2012) Heft 8-9

Thema Fokus

Grundprinzip des PETT

In dem neuen Schema müssen die elektrischen Ein-gangsgrößen zuerst von der Frequenz der Fahr-leitungsnetze in solche von Mittelfrequenz umge-wandelt, dann transformiert und schließlich wieder so umgewandelt werden, wie es für die weiteren Stufen bis zu den Fahrmotoren geeignet ist. Bild 2 zeigt dazu das Grundschema und erlaubt Vergleiche mit demje-nigen in Bild 1. Man sieht auf beiden Seiten des Mit-telfrequenztransformators (MFT) Umrichter in dem grundsätzlich gleichen Aufbau aus Eingangssteller, DC-Zwischenkreis (ZK) und Ausgangssteller wie bei allen Standardumrichtern von AC-Triebfahrzeugen. Die Unterschiede bestehen in den Werten der Span-nungen und Frequenzen an den Schnittstellen. So liegt am netzseitigen Eingang nicht die herabtrans-formierte Spannung, sondern die volle Netzspan-nung. Im Eingang ist als einziges noch für 16,7 Hz ausgelegtes Element eine Drossel erforderlich.

Funktional sind alle Komponenten dafür ausge-legt, Wirkleistung in beiden Richtungen zu über-tragen und zu steuern, also auch für elektrisches Rückspeisebremsen. Auch arbeiten sie alle AC-seitig als Vierquadrantensteller (4QS), können also Blind-leistung mit jeder beliebigen Phasenlage liefern oder aufnehmen und nach außen vorzugsweise mit Leis-tungsfaktor 1 betrieben werden.

Funktionen und Aufbau des PETT 1

Kaskadenschaltung

Eine der großen Herausforderungen dieser Topologie bestand in der hochspannungsseitigen Umrichtung am Eingang. Aktuell und auch auf absehbare Zeit ver-fügbare Halbleiterelemente reichen nicht aus, die AC-Nennspannungen 15 kV bei 16,7 Hz oder 25 kV bei 50 und auch 60 Hz mit ihren nach EN höchstzulässi-gen nichtpermanenten Werten 18 und 29 kV zu sper-ren. Als Lösung für die erforderliche Reihenschaltung kombiniert ABB nicht viele Halbleiter zu einzelnen Ventilen, sondern baut eine Kaskadenschaltung aus einzelnen Umrichtermodulen, deren Ausgänge auf der DC-Seite parallel geschaltet sind; dies wird auch multi-level-Schema genannt (Bild  3). Bauelemente sind nach dem Stand der Technik natürlich IGBT.

In diesen Modulen defi niert das Projekt nun die Schnittstellen neu. Der Eingang mit dem ersten ZK wird als Active Front End (AFE, aktive Einspeiseeinheit) bezeich-net und die eigentliche Innovation aus Mittelfrequenz-umrichtern und -transformator mit dem zweiten ZK als DC/DC-Umrichter, während die dort anzuschließenden Traktionsumrichter gar nicht dazugehören (Bild 3). Der AFE-Block ist im Wesentlichen eine H-Brücke, die das Laden der ZK-Kondensatoren reguliert.

Diese Topologie macht den Umrichter skalierbar und ermöglicht m-von-n-Redundanz. So reichen nach derzeitigem Stand sieben Stufen für 18 kV und zwölf für 29 kV, mögliche Überschreitungen dieser Werte erfordern jeweils eine weitere Stufe und nochmals eine zusätzliche dient als Reserve. Wenn wie in China 27,5 kV als Nennspannung gilt und Werte bis 33 kV vorkommen, muss entsprechend aufgestockt werden.

Beim Prototyp PETT 1 lässt sich jedes Modul bei einem internen Fehler mit seinem Schalter SC über-brücken (Bild  3), sodass der Umrichter mit voller Leistung weiter betrieben werden kann.

Ein weiterer Vorteil der Kaskadentopologie besteht darin, dass die Module verschachtelt takten. Wenn dies gleichmäßig erfolgt, das heißt bei n Stufen um jeweils 360 °/n versetzt, entsteht netzseitig eine resul-tierende Schaltfrequenz, die n-mal so groß ist wie die tatsächliche Schaltfrequenz der einzelnen Brücken. Das führt zu einer geringeren Verzerrung als bei her-kömmlichen Traktionsumrichtern, weshalb auf ein Oberwellenfi lter am Eingang verzichtet werden kann.

TABELLE 1

Zeittafel der bisherigen Entwicklung.

20002005

Januar 2008ab Anfang 2008

März – Juni 2008Februar – März 2011

Juni 2008 – Januar 2011Januar – Juni 2011

14. Juli 2011Juli – September 2011

1. Februar 201215. September 2012

Demonstrationsprojekt PETT 0 eingeleitetLaborversuche von PETT 0 abgeschlossenVertrag mit SBB über Erprobung PETT 1 auf Lokomotive Ee 3/3Entwicklung und Engineering der TeilsystemeKontrollversuche und Validierung der LeistunghauptelementeLastversuche mit PETT 1 im Hochleistungsprüffeld in TurgiProjektdurchführung mit Simulationen, Engineering und BauUmbau Lokomotive Ee 934 560 zu 933 001 und Einbau PETT 1erste Fahrten im Bahnhof MonbrillantZulassungsverfahren bei SBB und Bundesamt für Verkehr BAVoffi zieller Betriebsbeginn5 000 km im Rangierbetrieb erreicht

Bild 3: PETT1-Modul.AC/DC aktive Einspeiseeinheit (AFE) MFT MittelfrequenztransformatorDC/DC DC/DC-Umrichter Lr, Lm interne MFT-InduktivitätenSC Kurzschließer im AC-Eingang Cr externe Resonanzkapazität S1 – S8 IGBT C3, C4 Zwischenkreis und Ausgang DC 1,5 kVC1, C2 Zwischenkreis DC 3,6 kV

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410 110 (2012) Heft 8-9

Fokus Thema

Mittelfrequenz-Transformatoren

Kernstücke der DC/DC-Umrichter und somit in ihren Details auch Betriebsgeheimnis des Herstellers sind natürlich die MFT der Module, die auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit herkömmlichen Leis-tungstransformatoren mehr haben. Sie haben noch Eisenpakete, allerdings sehr kleine, aus nanokristal-linem Material. Ihre Hauptaufgaben sind: • galvanische Trennung von Hochspannungs- und

Niederspannungsseite• Anpassung der ZK-Spannung der AFE 3,6 kV an

die ZK- und Lastspannung 1,5 kV • Unterstützen des weichen Schaltens der IGBT-Mo-

dule mittels ihrer Induktivitäten Lr und Lm

Da die dielektrischen Herausforderungen mit der Reduzierung der Gesamtgröße steigen, muss dieser Aspekt sorgfältig untersucht werden.

Entsprechend den beiden ZK-Spannungen ist ihr Übersetzungsverhältnis 2,4 : 1. Sie haben 150 kW Nennleistung bei sehr hoher Leistungsdichte und können kurzzeitig bis 225 kW belastet werden.

LLC-Schaltmodus

Die Streu- und Magnetisierungsinduktivitäten jedes MFT bilden mit einem externen Kondensator einen Resonanzkreis (Bild 3) mit folgenden Vorteilen:• großer Ausgangsregelbereich• geringe Schaltverluste primärseitig durch Zero

Voltage Switching (ZVS, spannungsloses Schalten) über den gesamten Lastbereich

• niedriger Abschaltstrom, jedoch kein echtes Zero Current Switching (ZCS, stromloses Schalten)

• geringe Spannungsbelastung und echtes ZCS se-kundärseitig

• lastunabhängiger Betrieb bei Resonanzfrequenz

Aufgrund der Resonanzkreiseigenschaften könnte zwar die Veränderung der Schaltfrequenz zum Regeln der Ausgangsspannung genutzt werden, jedoch wird dies im PETT 1 und wahrscheinlich auch künftig nicht angewendet. Die Module werden rückkopplungs-frei mit der konstanten Schaltfrequenz 1,75 kHz be-trieben, die unterhalb der Resonanzfrequenz liegt.

Regelungssystem

Die Regelungsvorgaben lassen sich wie folgt zusam-menfassen:• Einhalten eines sinusförmigen Eingangsstroms• Einstellen beliebiger Leistungsfaktorwerte • konstante DC-Mittelwerte der Zwischenkreis-

spannungen• Abschottung gegen Netzoberschwingungen

Als Hardware dient der AC 800PEC Controller von ABB, der die Integration von schnellen und langsa-men Regelungsfunktionen erlaubt.

Aufbau

Im Demonstrator PETT 1 sitzen drei Blöcke aus je drei MFT sowie die Netzdrossel und ein Vorladekreis aus Widerstand und Hochspannungsschütz gemeinsam in einem ölgefüllten Kessel (Bild  4). Über diesem sind in einem Gerüst die anderen Komponenten der neun DC/DC-Umrichter und der zugehörigen AFE angeordnet (Bild  5). Diese Komponenten werden mit de-ionisiertem Wasser gekühlt.

Bild 4: PETT1-Ölkessel für drei Blöcke aus je drei Mittelfrequenztransformatoren (rechts) unter gelber Abdeckung und für Eingangsdrossel und Vorladekreis-komponenten unter blauer Abdeckung.

Bild 5: PETT 1 komplett aus Transformatorenkessel (unten, links in Bild 7) und Gerüst mit neun Modulen aus AFE, Halbleitern der DC/DC-Umrichter und Zwischenkreiskondensatoren; l = 2,66 m, b = 1,20 m, h = 1,53 m.

TABELLE 2

Hauptarbeiten beim Umbau der SBB-Lokomotive 934 560 zur 933 001 für PETT1-Erprobung.

Ausbau des Zweispannungs-Haupttransformators mit Ölkühler und des Stromrichters für AC-Betriebmechanische Anpassungen für PETT einschließlich Kühlern und für andere EinbautenEinbau des PETT und neuer, wesentlich verstärkter Hilfsbetriebeversor-gungen und BatterieladungAnschalten des PETT-Konstantspannungsausgangs 1,5 kV an die DC-WiderstandsstufensteuerungAnpassen der Schnittstellen zwischen vorhandener und hinzukom-mender Elektronik

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411110 (2012) Heft 8-9

Thema Fokus

Kommentar: Was lange währt

Der Stolz der Projekteure in Genf und in Turgi über die Weltpremiere, AC-Traktionsleistung via Mittelfre-quenztransformation im Tagesbetrieb zu übertragen, ist berechtigt. Es verdient aber auch einen Blick fast 50 Jahre zurück, als bei den AEG-Vierspannungsloko-motiven der DB die Traktions leistung aus dem Strom-kreis DC-Fahrleitungsnetz mit Leistungselektronik in AC 110 Hz umgewandelt und dann wie unter AC weit-er verarbeitet wurde [1]. Konzeptionell und sicherlich auch in den Büros, Laboren und Prüffeldern war man wohl weiter an der Sache dran [2], aber erst vor sieben Jahren gab es ein 1-MW-Demonstrationsmodell in einer Halle zu sehen [3]. Warum dieses den Weg auf die Schienen nicht fand, war nicht zu erfahren, of-fenbar ist er lang. Nach dem Durchbruch darf man gespannt sein, ob sich das Konzept ebenso zielstrebig und wann es sich so vollständig durchsetzt wie die Drehstromantriebs technik; an Widerständen hat es der wahrlich nicht gemangelt.

Dahinter steht aber noch eine Perspektive, ja Vision, die weit über Europa und Skandinavien hinausreicht. Nicht erst seit gestern wird aufgezeigt, wie alle Widrig-keiten der heutigen 50-Hz-Bahnenergie versor gung auf einen Schlag mit Umrichtern ausgeräumt sind. Danach kommt nämlich die Frage, ob es denn für die anschlie-ßende Übertragung im Fahrleitungsnetz nichts Besseres gibt als wieder 50 Hz? Die Antwort der Physik darauf ist so klar, dass nur die Sorge vor schwereren Transforma-toren sie vernebeln kann, und da klärt sich der Himmel nun zuerst über Genf auf. Die Frequenz 162/3 Hz ist nicht nur immer noch, sondern gerade wieder frisch genormt [4].

Be

[1] Tietze, Ch.: Die elektrische Ausrüstung der Mehrsystemloko-motiven E 410 und E 310 mit Thyristorleistungsstromrich-tern, Bauart AEG. In: Elektrische Bahnen 37 (1966), H. 11, S. 259–265.

[2] Kratz, G.; Strasser, H.: Antriebskonzepte für zukünftige elek-trische Triebfahrzeuge. In: Elektrische Bahnen 96 (1998), H. 11, S. 333–337.

[3] Victor, M.: Energieumwandlung auf AC-Triebfahrzeugen mit Mittelfrequenztransformator. In: Elektrische Bahnen 103 (2005), H. 11, S. 505–510.

[4] IEC 60196:2009 Normfrequenzen.

Die jetzt zur weltweit ersten betriebsmäßigen Erprobung der Mittelfrequenztransformation ausgewählte SBB-Lokomotive stammt aus ei-ner Großfamilie mit dem weitgehend einheit-lichen mechanischen Grundkonzept Ee 3/3, worin E für Rangierlokomotive, e für elektrisch mit Stromabnehmer und 3/3 für Zahl der an-getriebenen/Gesamtzahl der Radsätze steht; die Konfi guration mit Stangenantrieb über Blindwelle heißt auch einfach „C“. Von 1928 bis 1966 beschaftten die SBB in sieben ziem-lich gleichmäßig über die Jahrzehnte verteil-ten Tranchen 136 Stück für AC 15 kV 162/3 Hz ausgerüstet. Als von Frankreich her die Elektri-fi zierung mit AC 25 kV 50 Hz an und über die schweizerische Grenze bis Basel gedrungen war, kamen 1957/58 sechs Zweifrequenzlo-komotiven Ee 3/3II in drei elektrisch verschie-denen Varianten hinzu, davon zwei Lokomoti-ven von der SNCF übernommen. Schließlich folgten 1962/63 zehn Exemplare Ee 3/3IV, die auch noch für DC 1,5 kV und DC 3 kV ausge-rüstet und vorrangig für den Einsatz in Genf und in Chiasso bestimmt waren. Sie hatten die Betriebsnummern 16551 bis 16560, später 934 551 bis 934 560. Neben konventioneller DC-Widerstandsstufensteuerung kam für den AC-Betrieb trotz eröffneter Si-Halbleiter-Aera ein Hg-Dampf stromrichter von Sécheron mit Gittersteuerung für Phasenanschnitt. Ab 1992 wurden diese Excitrons durch eine einstufi ge halbgesteuerte Thyristorbrücke und die rotie-renden Erreger- und Hilfsbetriebeumformer durch GTO-Umrichter ersetzt. Mit dem Umbau zur 933 001 (Bild 1 in eb Heft 5/2012 Seite 219) arbeitet die unveränderte DC-Steuerung jetzt auch im 15-kV-Netz, denn der PETT liefert konstant DC 1,5 kV. Besonderheit beim Antrieb ist ein verbunderregter 1,5-kV-Doppelmotor, im 3-kV-Netz in Serie zu schalten; die Wider-standsbremse ist fahrdrahtunabhängig.

Be

HINTERGRUND

PETT-Demonstrator in der SBB-Lokomotive Ee 933 001

Bei der Suche nach einem Fahrzeug für die Betriebs erprobung ging es nicht darum, mit möglichst hoher Leistung oder möglichst viel zu fahren, sondern rein um die Zweckmäßig-

keit. Das Hauptziel sollte sein, die Praktikabilität der Technologie zu untersuchen und zu beweisen, dass das Prinzip und die Lösung betriebsmäßig funktio-nieren. Auch sollte der Aufwand dafür möglichst niedrig bleiben.

Die Wahl fi el schließlich auf die in Genf Corna-vin beheimatete Vierspannungs-Rangierlokomotive Ee3/3IV 934 560 (siehe Hintergrund), also bei ange-nehmer Nähe zwischen Einsatzort und Sitz der Pro-jektleitung. Die SBB stellte die Lokomotive zur Ver-fügung, während ABB alle Aus-, Um- und Einbauten

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412 110 (2012) Heft 8-9

Fokus Thema

TABELLE 3

Weitere Produktentwicklung PETT.

Leistung MVA

Masse 1 t

Dichte 1 kVA/kg

MittelsegmentMittel- bis HochsegmentHochsegment

1,252,34,5

2,253,66,1

≈0,55≈0,65≈0,75

1 Zielwerte

Bild 6: Schaltplan für PETT1-Betrieb in SBB-Rangierlokomotive Ee 3/3 933 001.

durchführte. Die wesentlichen Arbeiten sind in Ta-belle  2 genannt, wovon die Verknüpfung der PETT-Elektronik neuesten Standards mit der vorhandenen Steuerelektronik MICASS besonders anspruchsvoll war. Wesentlich war, dass die DC-Ausgangs spannung des PETT mit der Nennspannung der Fahrmotoren übereinstimmte; dass diese zusammen nur 470 kW Nennleistung haben, ist für den erklärten Zweck der Betriebserprobung unerheblich.

Bild 6 zeigt den elektrischen Gesamtaufbau des PETT 1 und seine Einbindung in den Hauptstrom-kreis des Fahrzeugs, die Bilder 7 und 8 vermitteln Eindrücke zum mechanischen Einbau.

Leistungsdaten, Merkmale und Vorteile des PETT

Der Demonstrator PETT 1 hat 1,2 MW Nennleis-tung entsprechend acht intakten Modulen. Deren thermische Kapazität erlaubt kurzzeitig 1,8 MW, wofür die Halbleiter bemessen sind.

Das Gesamtaggregat (Bild 5) mit Kühlmittelfül-lungen und allen externen Kühlaggregaten wiegt 4,5 t, was 0,27 kVA/kg entspricht. Die nächste Ge-neration des PETT, die zurzeit entwickelt wird, soll mit 0,5 bis 0,75 kVA/kg deutlich darüber liegen (Tabelle  3). Als Sekundärspannung kann dabei auch DC 3 kV zweckmäßig werden, besonders für höhere Leistungen oder für Fahrzeuge zum Einsatz auch unter dieser Fahrleitungsspannung. Die Leis-tungsdichte heutiger Kombinationen aus Transfor-mator und IGBT-Umrichter bis zum DC-ZK liegt im Bereich von 0,2 bis 0,35 kVA/kg, zum Beispiel wiegt eine solche Gruppe für 15 kV 16,7 Hz mit 2,3 MVA Leistung etwa 7 t.

Der Sprung um den Faktor 2 bis 3 soll bei der nächsten PETT-Generation unter anderem durch den Wegfall der Ölkühlung erreicht werden.

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413110 (2012) Heft 8-9

Thema Fokus

TABELLE 5

Vergleichsmerkmale PETT mit konventionellem Schema.konventionell PETT künftig

DC-Zugsammelschiene 1

EMV-Probleme Brand- und UmweltschutzSchallemissionenInvestitionenZuverlässigkeitVerfügbarkeit

neinherausforderndherausforderndherausforderndbekanntbekanntgut

jasehr geringnormalgeringherausforderndherausforderndgut 2

1 für Traktion2 durch Redundanz

TABELLE 4

Vergleichsdaten PETT mit konventionellem Schema.konventionell PETT künftig

LeistungsdichteWirkungsgrad bei NennlastEinschaltstrom : Nennstrom

kVA/kg%

0,2 ... 0,3588 ... 905 ... 10

0,5 ... 0,75>95<1

Bild 7: Einbausituation in SBB-Rangierlokomotive für PETT 1 (Mitte längs), Öl- und Wasser-Kühl-aggregate (vorne links) und neuen Hilfsbetriebeumrichter sowie neues Batterieladegerät (Mitte vorn).

Bild 8: Einbau PETT 1 in umgenummerte SBB-Rangierlokomotive im Werk ABB Sécheron in Genf Zi-meysa im Mai 2011; im rechten Vorbau unverändert Anfahrwiderstände und Stufenschaltwerk.

Die Halbierung der Masse und die entspre-chend kleineren Abmessungen gegenüber der jet-zigen Technik sind einer der beiden Hauptvorteile des PETT. Dadurch gibt es viel mehr Freiheiten, Triebzüge allgemein und besonders Doppelstock-triebzüge und solche für den Hochgeschwindig-keitsverkehr fl exibel und modular zu konfi gurieren. PETT können viel einfacher auf Wagendächern untergebracht werden, wo die Statik weniger als 4 t schwere Aggregate verlangt, oder unter Wa-genböden.

Einige weitere Daten und Merkmale des PETT im Vergleich zur konventionellen Lösung sind in den Tabellen 4 und 5 aufgezählt. Dabei sticht als zweiter Hauptvorteil die deutlich höhere Energie-effi zienz hervor. Über die Prüffeldergebnisse hinaus haben Simulationsrechnungen für Fahrten durch die Schweiz um 10 bis 15 % geringeren Energiebe-darf von Zügen mit PETT ergeben.

Die niedrigen Einschaltstromstärken sind güns-tig für den Netzbetrieb, die besseren EMV-Verhält-nisse erleichtern und verkürzen die Zulassungs-prozeduren und der Verzicht auf große Ölmengen auf den Fahrzeugen ist für Netze mit vielen und langen Tunneln sowie unterirdischen Bahnhöfen vorteilhaft.

Ein interessanter Aspekt sind auch die Schall-emissionen. Dabei sind Pegelwerte relativ unwich-tig, denn gegenüber der jetzigen MFT-Frequenz 1,75 kHz sind 5 bis 10 kHz angestrebt, womit die Schallfrequenz ≥10 kHz für Menschenohren kaum bis nicht mehr hörbar wird.

Für die Investitionen gilt, dass eine dermaßen neu-artige Technik zunächst noch ihren Preis haben wird, bis sie zum Standard geworden ist. Die Verfügbarkeit schließlich wird durch die Redundanzen innerhalb der PETT wie durch Buskonfi gurationen steigen.

Als kommende Anwendungsfelder sieht man, nach Prioritäten gereiht:

1. vorrangig Triebzüge für 15 kV 16,7 Hz, beson-ders doppelstöckige und für Hochgeschwin-digkeitsverkehr

2. später dasselbe für 25 kV 50 oder 60 Hz und für Zwei- oder Mehrspannungsfahrzeuge

3. Zweikraft-Triebzüge und -Lokomotiven4. Retrofi ts, Umbau von DC-Fahrzeugen auf AC-

Betrieb und Ähnliches.

Anmerkung: Der Bericht beruht auf der Quelle [1] und einem Besuch bei ABB Sécheron in Genf Zimeysa mit ausführlichen Informationen durch den letztgenannten Autor und Produktmanager.

Uwe Behmann

[1] Claessens, M.; Dujic, Dr.; Canales, Fr.; Steinke, J. K.; Stefa-nutti, Ph.; Vetterli, Ch.: Kleiner, leichter, effi zienter – Ein leistungselektronischer Traktionstransformator (PETT). In: ABB technik Nr. 1/2012, S. 11–17.