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„Oops, I did it again…“ Rückfall als Krise
Therapeutische Intervention im Rahmen eines kurzen Krankenhausaufenthaltes
Dipl. Psych. Sara Braunert
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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Dipl. Psych. Sara Braunert 2
„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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1) Von „Oops“ bis „Oh Gott“ -Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung-
Dipl. Psych. Sara Braunert 4
Rückfalldaten (Alkohol)
• Im Jahr nach einer Qualifizierten Entgiftung werden 70-90% der Patienten rückfällig
• Nach Durchführung einer Langzeittherapie sind es noch etwa 50-60% innerhalb von 4 Jahren
www.aida-selbsthilfe.de
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Was ist eigentlich ein Rückfall?
• Enge Rückfalldefinition: • Jeglicher Konsum des Suchtmittels nach einer Abstinenzphase
• Rückfallmodell von Gordon und Marlatt (1985): • Unterscheidung zwischen dem Ausrutscher „Lapse“ und dem „schweren“ Rückfall in
alte Konsumgewohnheiten „Relapse“
• Außerdem möglich: schleichender Rückfall, bei dem anfangs noch „kontrolliert“ konsumiert wird, dann erfolgt das Abrutschen in die alten Konsumgewohnheiten
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Warum passieren Rückfälle?
• Ein Rückfall passiert dann, wenn in einer Risikosituation (=Suchtdrucksituation) nicht ausreichend Bewältigungsstrategien vorhanden sind oder nicht angewandt werden können
• Begünstigt wird ein Rückfall durch eine unausgewogene Lebenssituation und bestimmte Risikoverhaltensweisen (Aufsuchen bestimmter Orte oder Menschen, Substanz im Haus haben etc.)
• Rückfälle können auch passieren, weil der Betroffene sich in einer bestimmten Situation den Konsum bewusst erlaubt (und ihn für nicht so gefährlich befindet)
Dipl. Psych. Sara Braunert
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Typische Risikosituationen
• Unangenehme Gefühle (Trauer, Traurigkeit, Scham, Angst, Wut…) • Konfliktsituationen • Soziale Situationen
• Weitere Gründe: • Positive Emotionen (Stolz, Freude…) • Schmerzen • Gedanken an kontrollierten Konsum • Kontakt mit Suchtmittel • In Gesellschaft wohlfühlen wollen
Dipl. Psych. Sara Braunert
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Rückfallmodell nach Marlatt&Gordon (1985)
Unausgewogene Lebenssituation
Scheinbar harmlose Entscheidungen
Risikosituation
Rückfallschock
„Lapse“
„Relapse“
Bewältigungsstrategien? NEIN JA
Kein Rückfall
Gutes Gefühl
Zuversicht
KiP1
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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2) Wen behandeln wir? -Unsere Patienten-
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Unsere Patienten
• …haben nach lange anhaltendem Konsum häufig große Konsolidierungsschwierigkeiten
• Volumenreduktion des Hippocampus gestörte Überführung von Informationen ins Langzeitgedächtnis
• Gestörte Dopaminausschüttung
• Gestörte Aufmerksamkeitslenkung: Das Gehirn reagiert mit gesteigerter Aktivität auf Drogenreize und reduzierter Aktivität auf nicht sucht-assoziierte Verstärker
• Suchtreize bekommen übermäßige Bedeutung, inhibitorische Kontrolle ist gestört
Kontrollverlust und Rückfall werden begünstigt
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Rückfallschock
• Nach dem ersten Konsum setzt häufig der so genannte „Rückfallschock“ ein, bei dem der Patient sich massive Vorwürfe macht
• Schuldgefühle, Versagensgefühle
• „Scheiß-egal-Denken“
• Dieser Zustand begünstigt den weiteren Konsum und den Übergang vom „Lapse“ zum „Relapse“
• Patienten, die in Behandlung kommen, sind oft verunsichert und schämen sich
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Was braucht ein solcher Patient?
• Verständnis und ein positives Klima • Verstärkung, Ressourcenaktivierung
• Viel Zeit zum Umlernen! • Problemaktualisierung, Aktivierung impliziter Gedächtnisinhalte
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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3) Die „äußeren Umstände“ -Übernahme von Behandlungskosten-
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Die Rahmenbedingungen der Krankenhausbehandlung
• Qualifizierte Entgiftung • QE: körperliche Entgiftung + therapeutische Maßnahmen • Je nach Krankenkasse etwa alle 12 Monate für 3 Wochen
• Bei erneutem Krankenhausaufenthalt: • Krisenintervention
• 7-10 Tage zur körperlichen Entgiftung • möglich im somatischen Krankenhaus • oder im psychiatrischen Krankenhaus
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„Eile macht den Weg auch nicht kürzer“
• Patienten fühlen sich bei der Entlassung nach einer Krisenintervention oft noch nicht hinreichend stabil
• Häufige „Misserfolge“ in der Krankheitsbewältigung begünstigen das Auftreten depressiver Symptomatiken
• Motivation für weiterführende Behandlungen wie Langzeittherapie kommt oft erst bei häufigem Misserfolgserleben und nicht bei der ersten Qualifizierten Entgiftung
• Für viele Patienten reicht die Qualifizierte Entgiftung als „Lernzeitraum“ nicht aus
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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4) Wer behauptet, dass Rückfälle ein Symptom der Erkrankung sind, muss
auch mit ihnen arbeiten! -Die „Rückfallstation“ im Klinikum Wahrendorff-
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4) Der Weg zum neuen Konzept
• 2006-2012: geschlossene Drogenentzugsstation (illegale Drogen) • Im Laufe der Zeit Abnahme der behandlungsbedürftigen Patienten, die illegale Drogen konsumieren • Gleichzeitig mehr Bedarf an Behandlungsplätzen für alkoholabhängige Patienten
• Oktober 2012: Neueröffnung der „Klinik im Park 1“ als „Rückfallstation“ • Die Station wird nun offen geführt • Patienten werden nach einem Rückfall unabhängig von der Substanz zur Krisenintervention aufgenommen - „Sucht ist Sucht“
• Alkoholabhängige Patienten mit Anspruch auf „Qualifizierte Entgiftung“ werden auf QE-Station aufgenommen
• Einführung eines umfangreichen und achtsamkeitsbasierten Therapieangebots • Schulung des Pflegepersonals • 2 Ärzte/Ärztinnen, 2 Sozialarbeiterinnen, 1 Psychologin
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Das Therapieangebot • Aufteilung der Patienten, je nach Entzügigkeit, in Therapie- und Akutgruppe • Pro Aufenthalt ein Therapiefreier Tag („TFT“) möglich • Behandlungsaufträge: Krisenintervention bei Alkoholabhängigkeit, Vollentgiftung bei Abhängigkeit von
illegalen Drogen, Entgiftung von Beikonsum bei Substitution, Umstellung des Substituts
• Akutgruppe: • Reduzierter Therapieplan mit Morgen- und Abendrunde, ärztlichen Visiten, Ergotherapie, Aktivierung, Kontakten zu
Sozialdienst und psychologischem Dienst, Akupunktur, Lebenspraktischem Training (LPT)
• Therapiegruppe: Wie Akutgruppe – plus:
• Stresstoleranztraining (2x wöchentlich) • Achtsamkeitstraining (täglich) • Psychotherapeutische Gesprächsgruppen (4x wöchentlich) • Gruppentraining Soziale Kompetenz (GSK) (1x wöchentlich) • Musiktherapie (1x wöchentlich) • Soziale Infogruppe (1x wöchentlich) • Medizinische Infogruppe (1x wöchentlich) • Infogruppe Schlafstörungen (1x wöchentlich) • Trommelgruppe (1x wöchentlich) • Sportangebote
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„Boah, so viel…“
• Wiederholung der Informationen aus der Qualifizierten Entgiftung • Stresstoleranztraining, Achtsamkeit, psychotherapeutische Gruppen
• Basics sollten immer wieder wiederholt werden!
• Gezielte Bearbeitung des letzten Rückfalls • Vorbereitung auf Langzeittherapie • Austesten der „Fitness“
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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Wieder Dasein lernen -Achtsamkeit-
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Achtsamkeit
• Achtsamkeit ist eine bestimmte Form der Aufmerksamkeitslenkung (Jon Kabat-Zinn)
• Absichtsvoll, auf den gegenwärtigen Moment gerichtet, nicht wertend • Buddhistische Grundhaltung • Akzeptanz von allem, was da ist
• Gedanken • Gefühle • Umgebung
• Die Wirksamkeit kann auch neurobiologisch deutlich belegt werden Dipl. Psych. Sara Braunert 26
… und was hat das jetzt mit Sucht zu tun?
• Achtsamkeit führt zu Gelassenheit, Gelassenheit vermindert Stress (Stress begünstigt Rückfälle!)
• Achtsames Wahrnehmen heißt auch: • Wahrnehmen von Bedürfnissen
• Wahrnehmen von beginnendem Suchtdruck
• Suchtdruck akzeptieren als etwas, das vorübergeht • Achtung! Viele Patienten wissen gar nicht, dass Suchtdruck von allein zurückgeht,
wenn man ihn aushält!
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Achtsamkeit hilft…
• …Frühwarnsignale besser einzuschätzen
• …Symptome als Symptome zu akzeptieren statt sie als Katastrophe zu bewerten
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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Herr der Gefühle bleiben -Stresstoleranz-Skills-
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Stresstoleranz-Training
• Was sind Skills?
• Kurz: alles, was man machen kann, um Anspannung zu reduzieren
• Lang: Aufteilung in Skills verschiedener Stärken
• Ursprünglich entwickelt für Patienten mit emotional-instabiler Persönlichkeitsstörung
• Diese Patienten erleben sehr starke Anspannungszustände
• Sie sollen in der Therapie lernen, dysfunktionales Verhalten (z.B. Selbstverletzung) durch funktionales (Skills) zu ersetzen
• Bei emotional-instabilen Patienten ist Substanzkonsum als Strategie sehr verbreitet!
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Stresstoleranz-Training
• Einteilung der Spannung in drei Bereiche:
• 0-30%: angenehm, kein Problem
• 30-70%: zunehmend unangenehme Spannung, es sollte etwas Ablenkendes unternommen werden
• Ab 70%: Ausnahmezustand, es müssen „Top-Skills“ angewandt werden
www.blumenwiesen.org Dipl. Psych. Sara Braunert
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Kleine Skillssammlung
• 0-30%: Achtsamer Umgang, Prophylaxe (z.B. regelmäßiger Sport, Hobbys, Entspannungsverfahren)
• 30-70%: gezieltes Einsetzen von Sport, Igelball, Kommunikation, Hobbys, Spazierengehen,…
• Ab 70%: Top-Skills: • Ammoniak riechen • Chili-Schoten essen • Boxen • „heißer Stuhl“ • Cool Pack • Kalt duschen • Brausetablette lutschen • …
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„Oops, I did it again…“
• 1. Der Rückfall als Symptom einer Abhängigkeitserkrankung • 2. Unsere Patienten • 3. Übernahme von Behandlungskosten • 4. Die „Rückfallstation“ Klinik im Park 1 (KiP1)
• Das Therapiekonzept der KiP1 • Achtsamkeit • Stresstoleranztraining
• Die Rückfallanalyse auf der KiP1
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Mit der Lupe in die Black Box -die Rückfallanalyse-
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4) Die Arbeit mit dem Rückfall: Rückfallanalyse
• Innerhalb der ersten drei Tage nach der Aufnahme erhält jeder Patient ein Einzelgespräch bei seiner Bezugspflegekraft zur Rückfallanalyse
• Besprochen wird der Rückfall, der zur Wiederaufnahme im Klinikum geführt hat • Die Rückfallanalyse liegt als strukturiertes Interview vor, die Pflegekräfte sind
psychologisch geschult
• Alle Rückfallanalysen werden digitalisiert und bei Wiederaufnahme eines Patienten ausgedruckt, um stattgefundene Rückfälle gemeinsam mit dem Patienten vergleichen zu können
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Rückfallmodell nach Marlatt&Gordon (1985)
Unausgewogene Lebenssituation
Scheinbar harmlose Entscheidungen
Risikosituation
Rückfallschock
„Lapse“
„Relapse“
Bewältigungsstrategien? NEIN JA
Kein Rückfall
Gutes Gefühl
Zuversicht
KiP1
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Struktur der Rückfallanalyse in Anlehnung an Marlatt und Gordon (1985)
1) Allgemeine Informationen zum Patienten und seiner Erkrankung
• Um welche Substanz(en) geht es
• Wie lange besteht eine Abhängigkeit/ ein missbräuchlicher Konsum
• Bei mehreren Substanzen/ mehreren Rückfällen: Um welchen konkreten Rückfall soll es im Gespräch gehen
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Struktur der Rückfallanalyse
2) Allgemeine Lebenssituation
• Arbeitssituation, Partnerschaft, familiäre Situation, Finanzen, Wohnsituation, Gesundheit etc…. 3) Veränderungen im Vorfeld des Rückfalls
• z.B. Alkohol für Gäste im Haus haben, Einstellen der Besuche der Selbsthilfegruppe etc.
4) Beschreibung der konkreten Rückfallsituation
5) Zustand nach dem ersten Konsum („Lapse“)
• Selbstvorwürfe, Niedergeschlagenheit • „Alles egal“-Gedanken • Übergang zum „Relapse“
6) Beendigung des Rückfalls
7) Ideen für die Bewältigung erneuter Risikosituationen
Unausgewogene Lebenssituation
Scheinbar harmlose Entscheidungen
Risikosituation
Rückfallschock
Bewältigungsstrategien?
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• Den Rückfall „verstehen“ • Herausfinden, welcher „Rückfalltyp“ man ist, um…
• …gefährliche Situationen zukünftig meiden zu können
• …Strategien für gefährliche Situationen zurechtlegen/ vorbereiten zu können
• Je nachdem, ob eine Situation vermeidbar ist oder nicht!
Ziele der Rückfallanalyse
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• Beziehungsaufbau durch vertrauliches Vier-Augen-Gespräch • Oder: Gruppenzusammenhalt, wenn ein Rückfall in der Gruppensitzung
besprochen wird
• Enttabuisierung des Rückfalls • Informationsgewinn für weitere Therapie
Nebeneffekte der Rückfallanalyse
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Vielen Dank! Dipl. Psych. Sara Braunert 42