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A. 989. Aus dem Pharmakologischen Institut der Universit~it Kiel (Direktor: Professor Dr. B. Behrens) Aurantia-Dermatitis bei laboratoriumsm~it~igerDarstellung. Von G. MALORNY und G. REHDE. Ein Wissenschaftler beniStigte ftir die gravimetrische Kaliumbestimmung nach Winkel und Maas den Nitrofarbst0ff Aurantia, den man auch Kaiser- gelb nennt. Aurantia ist das Ammonium- oder Natriumsalz des Hexanitro- diphenylamins. Die Darstellung des Farbstoffes erfolgte in unserem Fall ge- gem~i~ einem yon Mertens angegebenen Verfahren: Als Ausgangsprodukt f~ir die Synthese diente Diphenylamin. Es wurde in konzentrierter Schwefels~iure gelSst und anschllef~end in rauchende Salpeters~ure iibergefiihrt. Nach verschieden lang gew~ihlten Einwirkungszeiten der Salpeter- s~iure auf das Diphenylamin wurden die nun erhaltenen Nitrierungsprodukte darch Eingie13en in Wasser und anschliel~endes Filtrieren getrennt. Nach dem Trocknen der Niederschl~igewurde versucht, mit Hilfe einer besonderen Sublimationsmethode das Gemisch zu trennen. W~hrend der Darstellung yon Aurantia bzw. bei den Versuchen; den Farbstoff zu reinigen, entwickelte sich bei dem Untersucher, wahrscheinlidl auf dem Boden einer konstitutionell bedingten Uberempfindllchkeit, eine akute Dermatitis. • Die Herstellungsversuche w~ihrten etwa 8 Tage. Dabei war durchaus die M~glichkeit des direkten Kontaktes der Nitrierungsprodukte bzw. des fertigen Farbstoffes mit der Haut des Untersuchers gegeben. In Frage kam im wesentlichen die Haut der H~inde, wahrscheinlich aber auch die Haut des Gesichtets und des Genitales. Im Verlauf der n~/chsten Tage traten bei dem Untersucher ziemlich plStzlich unangenehme Reizerscheinungen -con seiten der Haut auf. Es sei schon an dieser Stelle als eigenartig vermerkt, daf~ im Gegensatz zum Darsteller des Farbstoffes keiner der i~brigen im gleichen Laboratorium Anwesenden miterkrankte. Das Bild der Dermatitis entwickelte sich verh~iltnism~f~ig rasch. Zuerst wurden beide H~inde befallen. Dies ~iu~erte sich in Form yon ]uckreiz und Brennen an den Daumenballen und an verschiedenen Stellen der Hand- innenfliichen. Gleichzeitig mit diesen Symptomen wurde die Bildung ste&- nadelkopfgrot~er, nut wenig die Oberfl~che [iberragender Blliscloen beobach- tet, besonders im Gebiet der Handfl~chen. Die Haut war nur wenig ge- r6tet. Durch allm/ihliche VergrSf~erqng der befallenen Stellen brei~ete sid~ der Krankheitsprozel~ ziernlich dlffus aus. Bemerkenswerterweise griff er aber nicht auf die Unterarme tiber. Kurze Zeit nach dem Beginn der ersten Symptome im Bereich der H~/nde versptirte der Erkrankte auch im Gesieht und am Genitale einen zu- nehmenden Juckreiz. Auch hier kam es zur Bildung vori Bl~schen.

Aurantia-dermatitis bei laboratoriumsmäßiger darstellung

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Page 1: Aurantia-dermatitis bei laboratoriumsmäßiger darstellung

A. 989.

Aus dem Pharmakologischen Institut der Universit~it Kiel (Direktor: Professor Dr. B. Behrens)

Aurantia-Dermatitis bei laboratoriumsm~it~iger Darstellung.

Von G. MALORNY und G. REHDE.

Ein Wissenschaftler beniStigte ftir die gravimetrische Kaliumbestimmung nach Winkel und Maas den Nitrofarbst0ff Aurantia, den man auch Kaiser- gelb nennt. Aurantia ist das Ammonium- oder Natriumsalz des Hexanitro- diphenylamins. Die Darstellung des Farbstoffes erfolgte in unserem Fall ge- gem~i~ einem yon Mertens angegebenen Verfahren:

Als Ausgangsprodukt f~ir die Synthese diente Diphenylamin. Es wurde in konzentrierter Schwefels~iure gelSst und anschllef~end in rauchende Salpeters~ure iibergefiihrt. Nach verschieden lang gew~ihlten Einwirkungszeiten der Salpeter- s~iure auf das Diphenylamin wurden die nun erhaltenen Nitrierungsprodukte darch Eingie13en in Wasser und anschliel~endes Filtrieren getrennt. Nach dem Trocknen der Niederschl~ige wurde versucht, mit Hilfe einer besonderen Sublimationsmethode das Gemisch zu trennen.

W~hrend der Darstellung yon Aurantia bzw. bei den Versuchen; den Farbstoff zu reinigen, entwickelte sich bei dem Untersucher, wahrscheinlidl auf dem Boden einer konstitutionell bedingten Uberempfindllchkeit, eine akute Dermatitis.

• Die Herstellungsversuche w~ihrten etwa 8 Tage. Dabei war durchaus die M~glichkeit des direkten Kontaktes der Nitrierungsprodukte bzw. des fertigen Farbstoffes mit der Haut des Untersuchers gegeben. In Frage kam im wesentlichen die Haut der H~inde, wahrscheinlich aber auch die Haut des Gesichtets und des Genitales. Im Verlauf der n~/chsten Tage traten bei dem Untersucher ziemlich plStzlich unangenehme Reizerscheinungen -con seiten der Haut auf. Es sei schon an dieser Stelle als eigenartig vermerkt, daf~ im Gegensatz zum Darsteller des Farbstoffes keiner der i~brigen im gleichen Laboratorium Anwesenden miterkrankte.

Das Bild der Dermatitis entwickelte sich verh~iltnism~f~ig rasch. Zuerst wurden beide H~inde befallen. Dies ~iu~erte sich in Form yon ]uckreiz und Brennen an den Daumenballen und an verschiedenen Stellen der Hand- innenfliichen. Gleichzeitig mit diesen Symptomen wurde die Bildung ste&- nadelkopfgrot~er, nut wenig die Oberfl~che [iberragender Blliscloen beobach- tet, besonders im Gebiet der Handfl~chen. Die Haut war nur wenig ge- r6tet. Durch allm/ihliche VergrSf~erqng der befallenen Stellen brei~ete sid~ der Krankheitsprozel~ ziernlich dlffus aus. Bemerkenswerterweise griff er aber nicht auf die Unterarme tiber.

Kurze Zeit nach dem Beginn der ersten Symptome im Bereich der H~/nde versptirte der Erkrankte auch im Gesieht und am Genitale einen zu- nehmenden Juckreiz. Auch hier kam es zur Bildung vori Bl~schen.

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Im weiteren Verlauf traten an den H:inden Schwellungen hinzu, die wegen ihres entziindlichen Charakters heftige S~hmerzen verursachten. Zeit- lich konform hiermit entwickelten sich auch im Gesicht und am Skrotum starke allgemeine [3deme. Hierdurch erhielten die Gesichtsziige ein voll- kommen ver:indertes Aussehen. Besonders die hervortretenden Teile des Gesichtes, wie Nase, Kinn, Lippen, Augenlider und Ohrei:, waren stark an- geschwollen. UnwillHirlich wurde ma.n an das Bild der Akromegalie er- innert.

Die urspriJnglich vereinzelten, mit ser/Sser Fli.issigkeit gefiillten Bl~ischen vergrSflerterl sich und flossen durch Abhebung der obersten Cutisschicht von ihrer Unterlage zu grogfl:ichigeren Bezirken zusammen. Der Inhalt der Bl~ischen blieb serSs. Pustelbildungen wurden an keiner Stelle der Haut be- obachtet. Schlieglich erfolgte stellenweise AbsdaiJrfnng der Oberhaut, so dai~ n:issende Wundfl:ichen entstanden. Der Juckreiz war in diesem Stadium weniger stark ausgepr~igt.

Etwa zwei Wochen nach Beginn der Erkrankung wurde der Patient in die Mediziraische Klinik (Ausweichstelle Schleswig, Direktor: Professor Dr. H. Reinwein) e.~ngeliefert. Der Aufnahmebefund ergab ein n:issendes, tells verkrustetes Ekzem des Gesichtes, der H:inde und der Skrotalgegend mit heftig 5dematSsen Schwellungen der betreffenden Partien. Der Patient klagte fiber starke Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Unwohlsein. Er machte einen ausgesprochen apathischen Eindruck. Andere Vergiftungs- zeichen wie Erbrechen, Durchfall, BewugtseinsstSrungen usw. bestanden nicht. Eine kurz dauernde TemperaturerhShung mit Schiittelfrost trat nach Verabreichung einer intravenSsen Kalziumglukonat:Gabe auf. An den inneren Organen konnte kein krankhafter Befund erhoben werden. Auch fehlten Zeichen einer Lymphangitis oder Lymphadenitis.

Im Urln fanden slch vereinzelt Leukotyten. Die Priffungen auf Eiweig und Zucker verliefen negativ. Die Untersuchung des Blutes ergab: 93 % Hb., 4,69 Mil- lionen Erythrozyten, F.I.~,o:, :4200 Leukozyten. Die Differenzierung des weif~en Blutbildes ergab: Stabkernige I, Segmentkernige 7:, Eosinophile 7, Baso- phile o, Lymphozyten ~: 5, Monozyten 6

Bemerkenswert ist das Vorhandensein einer m~igigen Eosinophilie, die indessen bei den verschiedenartigsten Hauterkrankungen wie z.B. bei Ek- zemen, Exanthemen, Prurigo usw. des ~ffteren beobachtet wird.

Nach zweit:igiger Beobachtung wurde der Patient zur Weiterbehandlung der Hautklinik (Direktor: Professor Dr. P. Schmidt) iiberwiesen, da die Hautaffektionen durchaus'im Vordergrund der Erkrankung standen. In der Hautklinik wurde die Diagnose ,,ekzematisierte Dermatitis" gestellt. Unter milder Behandlung mit Umschl:igen und Salizyls:iure-ResorzinlSsun- gen entwickelte sich alas Krankheitsbild zum HShepunkt. Nach groglamel- ISser Abstoflung der obersten Hautschichten - - beso:iders an den H~nden liegen sie sich Jn grogen Fetzen abziehen - - erfolgte Obergang in Heilung. Behandelt wurde die Haut des Gesichtes mit Prontosil und Marfanil-Pront- albin-Zinkpaste, die Haut der H:inde zun:ichst mit Borwasserumschl:igen; nach dem Abklingen der akuten Reizerscheinungen wurden die H:inde mit Naphthalanpaste eingefettet. Die neugebildete Epidermis zeigte zuerst nod:

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B2 A. Vergiftungsf~ille.

erhebliche Desquamationen. Nach etwa sechs Wochen waren s~imtliche Hauterscheinungen abgeklungen. RiJckfiille irgendwelcher Art stellten sich sp~iter nicht mehr ein, da der Patient jegliche MiSglichkeit des Kontaktes mit Aurantia sorgf~ltig vermied.

Aus der Vorgeschichte des Erkrankten geht noch als besonders bemer- kenswert hervor, daf~ bereits vor zehn Jahren Hautiiberempfindlichkeits- reaktionen beim Umgang mit Aurantia aufgetreten waren. Damals hatte der Patient mit L~Ssungen yon Aurantia in Chloroform und Eisessig ge- arbeitet. Diese USsungen waren zur histologischen F~irbung yon Haupt- und Belegzellen der Magenschleimhaut verwandt worden. Die Farbstoff- mischungen mu•ten in KiJvetten mit Hilfe der Daumenballen h~iufig bin und hergekippt werden. Als Folge hiervon entwickelte Sich eine Dermatitis bullosa arteficialis, die damals auf beide H~nde bis zum Handgelenk und auf ein Ohrl'ippchen beschr~inkt blieb. Allgemeinerscheinungen waren nicht aufgetreten. Die Behandlung hatte in Schmierseifenb~idern und Zink~Jl- verb~inden bestanden. Abheilung nach zwei Monaten. In der Folgezeit fiJhlte sich der Patient beschwerdefrei, abgesehen yon einem Juckreizgefiihl an den H~inden, das mit gelegentlichen Epithelabschi.irfungen an einzelnen Stellen der Handfl~ichen einherging.

Bisherige Erfahrungen bei der Verwendung yon Auranfia.

Im Jahre 1876 brachte eine Berliner Anilinfabrik unter dem Namen Aurantia einen Farbstoff in den Handel, der sich durch die Eigensdaaft, Seide und Wolle prachtvoll orange zu f~irben, auszeichnete. Gnehm hatte schon friiher den gleichen Farbstoff als Dipikrylamin beschrieben. In einer sp~teren Arbeit wies Gnebm darauf hin, dafg bei einigen mit Aurantla besch~iftigten Arbeitern und Seidenf~rbern schwere Hauterkrankungen mit Bliischenbildungen und Hautschweilungen aufgetreten seien, die den kiJnst- lich durch Einreiben yon CrotoniS1 oder Brechweinsteinsalbe hervorgerufe- hen Hauterscheinungen vergleichbar gewesen seien. In der Folgezeit wurde Aurantia in Industrie und Technik in ziemlich grof~em Umfange angewandt, so z. B. auch zur F~irhung yon Lederwaren.

Im ersten Weltkriege wurde Aurantia, gemischt mit 30--40 % Trinitro- toluol, als ~iugerst brisantes Sprengmittel zur Fiillung yon Torpedos be- nutzt (Herzo.g). Oppenheim teilte auf Grund einer Statistik yon Sequeira mit, dai~ 51 F~lle yon Dermatitis nach Luftangriffen beobachtet wurden. Die Erkrankungen fiJhrte man schon damals auf den Gehalt der Bomben an Hexanitrodiphenylamin (Aurantia) zuriick. In den ersten Jahren nach dem Weltkrieg wurde das yon der Sprengstoffabrikation [ibriggebliebene Hexanitrodiphenylamin in Oberschlesien als sogenanntes Hexenmehl ver- rrieben tmd als geeignetes Mittel zur Ungeziefervertilgung angepriesen. Hierbei ereigneten sich mehrer~ Hauterkrankungsf~lle. Einen besonders schweren Fall yon Hexanitrodiphenylamin-Dermatitis beschrieb Hoffmann.

Nach Freund wurde in den ersten Nachkriegsjahren Aurantia in ziem- lich ausgedehntem Umfange in der Photoindustrie zur Herstellung yon Gelbfiltern verwendet. Auch hierbei kam es bei den mit Aurantia Be- sch~iftigten wiederholt zu L~berempfindlichkeitsreaktiot)en der Haut.

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Aul~er fi~r industrielle Zwecke fand Aurantia des ~Sfteren auch bei wissenschaft- ti&en Untersuchungen Verwendung. So benutzte Keller bei seinen elektro-ana- lytischen Untersuchungen am Nervensystem neben anderen Farbstoffen auch Aurantia als sogenannten kathodischen Farbstoff. Damit gelang es ibm, elektro- histologische Bilder der Gangtienzellen zu erhalten. Neuerdings berichtete FaVorsky [iber neue, Po!yploidie verursachende Stoffe. Durch Einwirkenlassen yon Kurantia, Diphenylamin oder Tribromanitin auf Gerstenk/Srner konnte er Ver~inderungen" im Wachstum erzeugen, die den durch Colchicin bewirkten sehr ~.hnlich sahen.

Die ersten eingehenden Schilderungen der Hautiiberempfindlichkeits- erscheinungen nach Einwirkung von Aurantia verdanken wir A. Blaschko. Er beschreibt die Aurantia-Dermatitis als eine akut auftretende Hautaffek- tion, die besonders stark an den exponierten Hautpartien, so an den H~in- den und im Gesicht, ausgepr~gt sei. Seiner Schilderung nach beobachtet n~an verschieden schwere Erkrankungsgrade, vom einfachsten Erythem ohne Desquamation bis zur schwersten bulRSsen Dermatitis mit nachfolgen- der Abhebung der Epidermis in kleinen oder groi~en Blasen yon der Unter- lage. Sehr oft gehe das Erythem mit starkem ESdem namentlich der H~nde, des Gesichts, der Ohren und der Genitalorgane einher. In den ho&gradig- sten F~llen zeige sogar das neugebildete Epithel noch wochenlang schwere Desquamationen. P u y le Blanc bes&rieb einen Fall, wo bei einem Mann nach achtst/indigem Tragen yon Handschuhen aus Hundeleder, die mit Aurantia gef~rbt waren, unter starkem Juckreiz Bl~ischen an den H~inden auftraten, die allm~hlich konfluierten. Hoffmann vertrat die Auffassung, daf~ zur Ausl/Ssung der Dermatitis eine Hautliberempfindlichkelt, wahr- scheinlich auf konstitutionell bedingter Grundlage vorhanden sein m/isse. Er berichtete /.iber Versu&e an 70 :Personen, bei denen eine Spur des Hexenmehlpulvers (Hexamtrodiphenylamin) bel sorgf~iltigster Pflasterab- deckung auf die Brust appliziert wurde. Nach seinen Beobachtungen reagier- ten nur einige wenige mit Uberempfindlichkeitsreaktionen der Haut.

Die von Weyl und sp~ter -con Chlopin durchgeflihrten Tierversuche mit Teer- farben verliefen recht undlarakteristisch. Aurantia wie auch viele an&re Teer- farbstoffe riefen bei stomachaler Applikation 0--3 g t~gllch) atlgemeine Gift- wirkungen hervor. Als erstes Vergiftungssymptom stellte sich bei Hunden ge- w6hnlich" Erbrechen ein. Der Urin war dunkel gefiirbt lind enthielt EiweifL Meth~imogtobinbildung wurde nicht beobachtet.

Bedeufung tier Ausgangs- und Zwischenprodnkte bei der Aurantia-Synthese f~r die Enfs~ehung yon Hautsch~digungen.

Als Gnehm seine B eobachlungen fiber das Auftreten yon Hautreiz- erscheinungen beim Umgang mit Aurantia bekanntgab, widersprach ihm Martius, unter dessen Leitung der neue kiJnstliche Farbstoff in der bereits erw~ihnten Anilinfabi'ik hergestellt wurde. Martius vertrat die Ansi&t, daf~ die Erkrankungen m~Jglicherweise dur& Unreinigkeiten des Farbstoffes hervorgerufen wiirden bzw. die yon Gnehm gew~ihlte Art der Darstellung hierf~r verantwortlich zu machen w~re. F~ir seine Ansicht scheint u.E. zu sprechen, dafg der Schmelzpunkt des Gnehmschen Farbstoffes urspr/ingli& bei 234 ° C (u. Zers.) lag, w~hrend er neuerdings bei 245 ° C (u. Zers.) an- gegeben wlrd.

Blascbko stellte bei erkrankten Anilinarbeitern fest, daf~ ein Tell dieser Arbeiter ausschliet~lich mit fertigen Farbstoffen in Berfihrung gekommen sei,

Slg. Vergift,fCille, Arch. Toxikcw]., I3d, 14. 3

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34 A. Vergiftungsf~lle.

w~ihrend der andere Tell der Arbeiter nur der Einwirkung yon Zwischen- produkten ausgesetzt gewesen sei. Als sch~idigende Faktoren bei der letzte- ren Gruppe erw~ihnt Blascbko den Kontakt mit stark ~itzenden S~iuren und Alkalien oder auch organis&en Stoffen, wie z. B. mit der hautsch~idigenden Karbols~iure und anderen Benzolhomologen, ferner den Aufenthalt in t(~iumen, die reizende Stoffe in fester oder gasf~rmiger Form enthalten, und s&liet.~lich die zur 1KeinigOng der Haut benutzten Stoffe wie Soda, Chtor- kalk u. ~i. Blascbko vertritt aber die Meinung, daf~ die Dermatitiden yore Typus der Aurantia-Dermatitis sehr wahrscheinlich nicht durch die Ein- wirkung scharf ~itzender, dic Epidermis zerst6render Substanzen, wie z. B. Minerals~iuren, hervorgerufen wiirden, sondern mehr durch aromatische K6rper, die durch die intakte Oberhaut verm~Sge ihrer LipoidliSslichkeit leicht in die tieferen Hautschichten eindringen k~nnten. Hierbei pflegten zun~ichst keine sichtbaren Hautver~inderungen aufzutreten. Infolgedessen fa~t er dlese Stoffe mehr als Hautgef~if~gifte auf, die innerhalb der Cutis elnen entziindlichen Prozef~ aust~sen, verbunden mit Ern~ihrungsst6rungen der Epidermis; d!.e Blasenbildung sei hierfiir ein beredter Ausdruch. Da die Farbstoffe, wie Aurantia u. a., nicht bei allen Individuen gleichm~igig stark wirkten, sei die Annahme einer angeborenen Oberempfindlichkek bzw. Idiosynkrasie Voraussetzung. Er land dermatitis~ihnliche Krankheits- bilder auch no& bei Arbeitern, die mit den folgenden Anilinfarben in Kon- takt gekommen waren: Chrysoidin (Diamidoazobenzol), Malachitgriin (Ghlorzinkdoppelsalz des Bis-dimethylamino-trlphenylcarbinol) und Bi.~-

marchbraun (salzsaures Triamid0azobenzol ). BacbJeld fiihrt demgegeniiber die Hautreizungen mehr auf die Aus-

gangs-" und Zwischenprodukte zuriich, die bei den Arbeitsvorg~ingen des Nitrierens, Sulfurierens, Amidierens, Alkylierens usw. entstehen. Die mei- sten Anilinfarben h~ilt er ftir relativ harmlos.

• Datum mfissen wir uns nun den Ausgangsprodukten n~iher zuwenden, in unserem Falle also spezie!l dem Diphenylamin, das yon dem erkrankten Untersucher bei der Synthese des Hexanitrodiphenylamins gem~if~ der Methode yon Mertens als Ausgangspunkt benutzt wurde.

Ober das physiologische Schicksal des Diphenylamins wissen wir so viel, da~ es im Organismus zu Dioxydiphenylamin oxydiert wird. Somit liegt der Ent- giftung dieses Stoffes ein ~ihnlidaer Mechanismus zugrunde, wie er flit das Anilin seit langem hekannt ist. Im weiteren Verlauf wird das Dioxydiphenylamin zum grtit~ten Teil' mit Sdawefels~iure, zum geringeren Tell mit Gluknrons~iure gepaart und ausgeschleden (Os~aald). Hinsichtlich der resorptiven bzw. der inneren Wir~ knngen ist yore Diphenylamin bekannt, dai~ es beim Frosch nach kurzer Zeit eine allgemeine Liihmung des gesamten Nervensystems bewirkt. Beim Warmbliiter (Meerschweinchen) wird es hlngegen zun~ichst scheinbar sogar in Grammdosen ver- tragen. Aber nach wenigen Tagen gehen die Tiere an Dyspepsie und Ersch6pfung zugrunde. Meth~imoglobinbildung ist bisher nidat beobachtet worden (Robde).

Vom Diphenylamin sind Hautreizerscheinungen beim Menschen nicht bekannt geworden, wohl aber yon den Nitroderivaten des Diphenylamins.

Ober die Wirkungsweise d e r iibrigen, zur Darstellung yon Aurantia ben~tigten Chemikalien, wie Schwefels~iure und Salpeters~iure, kann ohne spezielle experimentelle Untersuchungen nicht viel!gesagt werden. MSg-

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licherweise ruft die Salpeters~iure eine Ver~inderung der Hautempfindlich- keit fiir gleichzeitig eindringende aromatische K6rper hervor. Noch wahr- scheinlicher ist indessen, daft durch die Vorg~inge des Nitrierens yon Diphenylamin irgendwelche besonders hautsch~idigende Zwischenprodukte entstehen, die auch noch dem fertigen Farbstoff wenigstens in Spuren an- haften MSnnen.

Gerade fiir diese Annahme finden wit bei Eisner wertvolle Hinweise. In seiner Arbeit ,,13ber Hauterkrankungen durd~ aromatische Nitrover- bindungen" betont er, dab verwandte chemische KiSrper, wie Dinitrophenol, Trinitrophenol und Hexanitrodiphenylamin klinisch vergleichbare Krank- heitsbilder hervorrufen k;3nnen. Diesen Stoffen gemeinsam sei der Besitz yon Nitrogruppen. So fiihrt nach seinen Angaben z. B. die Dinitrophenol- Dermatitis ebenso zur Blasenbildung und Abstoflun~ der Oberhaut wie die Aurantia-Dermatitis. Eisner priifte bei einem Fall yon Dinitrophenol- Dermatitis dutch Hautreizproben auch die Empfindlichkeit gegen Trinitro- phenol. Dabei kam er zu dem interessanten Ergebnls, dat~ ein identisches Krankheitsbild sich entwickelte.

Aus der vorhandenen Literatur geht somit hervor, dat~ die hier zur Diskussion 3tehenden Hautreizerscheinungen auf eine Uberempfindlichkeit zuriickzufiihren sind, die nicht spezifisch gegen einen NitrokiSrper allein, sondern gegen die ganze Gruppe der aromatischen Nitrok~Srper gerichtet ist.

Da i m vorliegenden Erkrankungsfall der Kontakt mit Nitrierungs- produkten des Diphenylamin besonders dadurch gegeben war, dag die erhal- tenen Nie~erschl~ige zur Reinigung durch Sublimation getrennt wurden, halten wit es fiir sehr wohl m~Sglich, dag die nitrierten Zwis&enprodukte den Boden flir die idiosynkrasischen Hautreaktionen bereltet haben.

Li~eraft~r,

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Professor Dr. G. Malorny und Dr. reed. G. Rehde, Pharmakologischcs Institut der Universit~t Kiel.