68
1.09 Magazin für ländliche Entwicklung Schwerpunkt Vielfalt Vielfalt im ländlichen Raum Biologische Vielfalt | Gesellschaftliche Vielfalt | Ökonomische Vielfalt Leader Leader in Österreich: Zahlen, Fakten, Chancen Zwei Leader-Regionen stellen sich vor Netzwerk Land Netzwerk Land – Wer? Was? Wozu? Was macht Netzwerk Land? International Vielfalt in Deutschland: Ländliche Entwicklung durch den ELER ausblicke

ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Embed Size (px)

DESCRIPTION

ausblicke – Magazin für ländliche Entwicklung ist die zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift von Netzwerk Land. Inhalt: Informationen zu Themen der ländlichen Entwicklung und Neuigkeiten von Netzwerk Land und Partnernetzwerken. Netzwerk Land ist die vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft eingerichtete Servicestelle zur Begleitung und Vernetzung des Österreichischen Programms für die Entwicklung des ländlichen Raums 2007–2013.

Citation preview

Page 1: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

1.09 Magazin für ländliche Entwicklung

Schwerpunkt

VielfaltVielfalt im ländlichen RaumBiologische Vielfalt | GesellschaftlicheVielfalt | Ökonomische Vielfalt

LeaderLeader in Österreich: Zahlen, Fakten, ChancenZwei Leader-Regionen stellen sich vor

Netzwerk LandNetzwerk Land – Wer? Was? Wozu?Was macht Netzwerk Land?

InternationalVielfalt in Deutschland: LändlicheEntwicklung durch den ELER

ausblicke

Page 2: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung
Page 3: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Im Gespräch LE-Magazin 1|09 1

Herr Bundesminister, welchen Bezug haben Sie zumländlichen Raum?Ich stamme aus dem ländlichen Raum und wohne auch dort. Ich warbei mir zu Hause Gemeinderat und als Vorstand der Leader-Regiontätig. Ich kenne die Lebensbedingungen im ländlichen Raum sehrgut, und ich schätze die vielfältigen Leistungen, die die Bevölkerungdort erbringt, sei es für die natürlichen Ressourcen, für die ländli-che Wirtschaft oder vor allem auch im gesamten Sozialbereich.

Die Gemeinsame Agrarpolitik ist immer wiederGegenstand der Kritik. Zu viele Finanzmittel, einevor allem historische Begründung, fehlendeAnpassungsfähigkeit – so lauten die Vorwürfe.Diese Kritik wird ständig wiederholt, ohne sie zu hinterfragen. Meis-tens wird mit dem hohen Anteil der Agrarausgaben am EU-Haushaltargumentiert. Tatsache ist, dass lediglich zwei große Politikberei-che auf europäischem Niveau umgesetzt werden: die Strukturpoli-tik und die Gemeinsame Agrarpolitik. Die Dotierung der Strukturpo-litik hat mit der EU-Erweiterung die Agrarpolitik zwischenzeitlichüberholt. Heuer werden etwa 42 Prozent der europäischen Mittel fürdie Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung ausgegeben,45 Prozent für die Strukturpolitik. Diese Betrachtung lässt abersämtliche Zahlungen im Rahmen nationaler Förderprogrammeaußer Acht. Werden diese auch berücksichtigt, liegt der Anteil derZahlungen für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung bei etwa1 Prozent, und diesen Anteil halte ich für besonders gut angelegt.

Stichwort ländliche Entwicklung: Welche Bedeutungkommt diesem Teil der Gemeinsamen Agrarpolitikin Österreich zu?Wir setzen seit 1995 sehr bewusst auf diese Schiene, was sich auchin der finanziellen Dotierung niederschlägt. Die Mittel werden beiuns zu zwei Dritteln in die ländliche Entwicklung investiert. Damitkönnen wir spezifische Ziele mit maßgeschneiderten Instrumentenansprechen, beispielsweise mit den Agrarumweltmaßnahmen: Siestellen eine angepasste Landbewirtschaftung sicher und sind füruns im Hinblick Biodiversität ganz wesentlich. Oder nehmen Sie dieBergbauernförderung mit ihrer immensen Bedeutung für die Kul-turlandschaft. Sie stellt eine zentrale Grundlage für die gesamteWirtschaftstätigkeit im ländlichen Raum dar.

Die ländliche Entwicklung beschränkt sich aber mitden Fördermöglichkeiten nicht auf die Landwirtschaft.Genau. Das ist auch ein Teil des Erfolgsrezeptes. In der ländlichenEntwicklung können die Mitgliedstaaten innerhalb eines Rechts-rahmens ihre eigenen Prioritäten setzen. Wir fördern beispielsweiseTourismusvorhaben, Gewerbeprojekte oder auch Kunstaktivitäten.Mir ist es wichtig, dass wir einen passenden Spielraum für regio-nale Initiativen bieten, beispielsweise über den Leader-Ansatz. InSumme ist das österreichische Programm aber ganz klar umwelt-orientiert. Der Schwerpunkt „Umwelt und Landschaft“ ist mit über72 Prozent der öffentlichen Gelder dotiert.

Leader wird immer wieder als besonders erfolg-reiches Beispiel für regionale Entwicklung genannt.Wir können jetzt auf fast 15 Jahre Leader-Umsetzung in Österreichzurückblicken. Da ist wirklich vieles geschaffen worden, auf das wirstolz sein können. Für die Periode 2007–2013 haben sich die Umset-zungsbedingungen geändert. Wir haben ein massiv aufgestocktesFinanzvolumen, damit gehen wir auch in den investiven Bereich. DieStärke von Leader ist ja, dass die Ideen in den Regionen entwickeltwerden. Da entstehen Konzepte und Projekte, die den Bedürfnissenvor Ort oft viel besser entsprechen als zentrale Planungen. Aus mei-ner Leader-Erfahrung weiß ich, dass damit ein großer Aufwand undviele Gespräche und Diskussionen verbunden sind. Aber der Auf-wand lohnt sich.

In welche Richtung wird die ländliche Entwicklungin Zukunft gehen?Die großen Themen haben wir im Rat der europäischen Landwirt-schaftsminister bereits bei der letzten Reform der GemeinsamenAgrarpolitik klar genannt: Klimawandel, Artenvielfalt, erneuerbareEnergien, Wassermanagement. Das sind Themen von gesamtge-sellschaftlicher Relevanz, für die die Politik für den ländlichen RaumKonzepte und Antworten bieten muss.

Noch ein Wort zu Netzwerk Land.Für mich ist Netzwerk Land ein Ideen- und Informationsmultiplika-tor, der Menschen auf regionaler, nationaler und internationalerEbene vernetzt. Netzwerk Land soll den Blick über den eigenenTellerrand hinaus erleichtern. |||

„Maßgeschneiderte Instrumentefür den ländlichen Raum“

Bundesminister Niki Berlakovich im Gespräch mit Netzwerk Land

Page 4: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Vorworte2

Netzwerk Land ist offiziell eingerichtet worden und hat seinen Betrieb aufgenom-men. Frage: „Hat sich etwas geändert?“

Antwort A: Nein, warum sollte sich etwas ändern? Die Akteurinnen undAkteure betreiben ihre Projekte, stellen ihre Förderanträge oder wickeln sie abund gehen ihren Geschäften nach – jede/jeder in ihrem/seinem Bereich, wie esfrüher auch war.

Antwort B: Ja, mit der Auftaktkonferenz hat Netzwerk Land ein kräftigesLebenszeichen von sich gegeben und hier wie in einer Reihe weiterer Veranstal-tungen gezeigt, wohin sich die Vernetzungsaktivitäten entwickeln sollen.

Liebe Leserin, lieber Leser, Ihre Wahrnehmung liegt vielleicht irgendwo in derMitte, das ist verständlich. Eine Vernetzungsstelle ist neu für die ländliche Ent-wicklung. So wie bei allen neuen Dingen existiert eine Mischung aus gespannterNeugier und abwartender Haltung.

Netzwerk Land versteht sich als Servicestelle für Akteurinnen und Akteurein der ländlichen Entwicklung: Wir bringen Menschen zusammen, die einen Bezugzum ländlichen Raum und zur ländlichen Entwicklung haben. Wir bieten die Bühnezum Austausch von Wissen und Erfahrung. Wir sammeln und publizieren prakti-sche Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen. Große und kleineVeranstaltungen, Kooperationen mit bestehenden Einrichtungen, eine breit ange-legte Homepage und das vorliegende Magazin dienen diesem Zweck.

Es soll aber auch Platz für die zweckfreie Begegnung, für das Knüpfen vonKontakten und das Kennenlernen neuer Bereiche geben. Die Kunst und Heraus-forderung besteht darin, den richtigen Mix zu finden: Wer mit wem? Wo? Wann?Welche Themen? Wie geht’s weiter?

Unser Ansatz: Der ländliche Raum ist vielfältig, die ländliche Entwicklung istvielfältig, Netzwerk Land spiegelt in seiner Zusammensetzung diese Vielfalt wider.Wir sind überzeugt, dass die drei Trägerorganisationen Agrar.Projekt.Verein, ÖAR-Regionalberatung und Umweltdachverband die gestellte Aufgabe optimal erfül-len. Jeder Partner hat Kompetenz in bestimmten Bereichen der ländlichen Ent-wicklung und bringt Kontakte und Beziehungen ein. Durch die vorhandenen un-terschiedlichen Zugänge entsteht zusätzliche Vielfalt und Kreativität.

„Vielfalt“ ist auch das Thema dieser ersten Ausgabe: für eine vielfältigeLeserschaft, als Spiegelbild einer bunten und breit angelegten ländlichen Ent-wicklung.

Christian Jochum, Leiter Netzwerk Land und themenverantwortlich fürLandwirtschaft und Markt bzw. mitverantwortlich für ForstwirtschaftMichael Proschek-Hauptmann ist themenverantwortlich für ÖPUL und Umwelt.Luis Fidlschuster ist themenverantwortlich für Zukunft Land und Leader.

Wir haben das Netzwerk Land mit dem Ziel einge-richtet, die Information, Kommunikation und Zusam-menarbeit der Akteurinnen und der Akteure im ländli-chen Raum zu verbessern. Unsere Erfahrung mit einerNetzwerkstelle ist bislang auf das LEADER+-Netzwerkbeschränkt. Diese sehr positive Erfahrung ist dieGrundlage für die Erweiterung des Netzwerks auf diegesamte ländliche Entwicklung. Ich bin davon über-zeugt, dass die Ausweitung erfolgreich sein und dieQualität der Umsetzung der ländlichen Entwicklung inallen Schwerpunkten erhöhen wird. Wir haben bereitssehr positive Beispiele gesammelt, beispielsweisewas die Diskussion zur Biodiversität im Rahmen desAgrarumweltprogramms ÖPUL betrifft.

Allerdings ist das Netzwerk Land keine Einbahn-straße. Netzwerk Land ist als Plattform konzipiert, undSie alle sind Teil des Netzwerks. Ich lade Sie daherein, sich aktiv an der Vernetzung zu beteiligen, Ihre in-novativen Beiträge und Inputs beizusteuern und dieAngebote des Netzwerks ausgiebig zu nutzen. Schi-cken Sie Anregungen, Lob und Kritik, und reagierenSie auf Beiträge, die auf www.netzwerk-land.at ver-fügbar sind. Dann kann das Angebot von NetzwerkLand besser auf die gegebenen Bedürfnisse abge-stimmt werden.

Markus Hopfner, Bundesministerium für Land- undForstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,Programmverwaltung LE 07–13

Netzwerk Land unddie Vielfalt

Ländliche Entwicklungist vielfältig

Das Team von Netzwerk Land (v. l. n. r.): Christina Gassner, KarlReiner, Barbara Pia Hartl, Hanspeter Gratzl, Hemma Burger-Scheidlin, Luis Fidlschuster, Michael Proschek-Hauptmann,Christian Jochum

Page 5: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Inhalt

1 Im Gespräch2 Vorworte

Vielfalt im ländlichen Raum6 Auf der Suche nach Ungleichheit Conrad Seidl

Biologische Vielfalt10 Neue Werte braucht die Vielfalt!

Michael Proschek-Hauptmann

12 Biodiversität dank nachhaltiger LandwirtschaftEin Gespräch mit Niki Berlakovich

15 Biodiversitätsmonitoring durch LandwirtInnen –Bewusstseinsbildung durch BeobachtungBarbara Steurer

16 Sechs Positionen zum Thema Biodiversität19 Das Bildungsprojekt „Seltene Nutztierrassen“

Günter Jaritz

Gesellschaftliche Vielfalt20 Gesellschaftliche Vielfalt: Eine endogene

Ressource Luis Fidlschuster

23 Aktive Integrationspolitik im ländlichen RaumFranjo Steiner

24 Gleichstellung von Frauen und Männern am LandTheresia Oedl-Wieser

25 Das Potenzial der Jugend im ländlichen RaumRainer Schramayr

26 Gesellschaftliche Vielfalt, eine Chance fürdie ländliche Entwicklung?

Ökonomische Vielfalt28 Vielfalt in der Landwirtschaft aus

ökonomischer Perspektive Leopold Kirner

30 Weißer Kuhsaft – die vielen Gesichter der MilchAndreas Steinwidder und Christian Jochum

32 Diversifizierung am Bauernhof – So vielfältig zeigt sichdie österreichische Landwirtschaft Christian Jochum

34 Ökonomische Vielfalt – unterschiedlicheSichtweisen

36 Wer will schon Vielfalt? Robert Lukesch

38 Für eine treffsichere Politik: IntegrativeSicht auf ländliche Räume Ein Gespräch mit Gerlind Weber

Leader42 Leader-Region Moststraße: Vom Niemandsland

zur Heimat der Mostbarone Teresa Arrieta

44 Die Leader-Region Wels Land: Die Geburtstundeeiner Region miterleben Teresa Arrieta

46 Leader in Österreich: Zahlen, Fakten, Chancen Markus Hopfner

48 Ein Blick in die Praxis – Erfahrungen mit Leader50 Das Leader-Netzwerk – Eine erfolgreiche Liaison

wird fortgeführt Luis Fidlschuster

Netzwerk Land54 Netzwerk Land – Wer? Was? Wozu? Christian Jochum

56 Was macht Netzwerk Land? Werkstätte einrichtenund Vernetzung starten

58 Weitere Netzwerke für die ländliche Entwicklung

International60 Vielfalt in Deutschland: Ländliche Entwicklung

durch den ELER Juliane Mante und Jan Swoboda

63 Literatur- und Webtipps65 Impressum

Page 6: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Vielfalt im ländlichenRaum

Page 7: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Biologische, gesellschaftliche und ökonomische Vielfalt machtländliche Räume attraktiv. Wie Diversität gestaltet und erhaltenwerden kann, steht im Fokus des Schwerpunktthemas „Vielfaltim ländlichen Raum“.

Page 8: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Vielfalt im ländlichen Raum06

or zwei Jahren hat die Statistik Austria eine inter-essante Karte veröffentlicht, auf der man sieht, wo inunserem Land Akademiker sowie jene Menschenleben, die nur über die einfachste Grundschulbildungverfügen. Man kann sich leicht vorstellen, dass diehöchste und die niedrigste Bildungsschicht in ver-schiedenen Welten leben – aber die Statistik legtnahe, dass dies auch geographisch verschiedeneWelten sind (siehe Grafik Seite 8): Der größte Anteilwenig gebildeter Menschen findet sich in den Grenz-räumen und in inneralpinen Tälern. Die meisten Stu-dienabsolventen wohnen in den Universitätsstädtenund in deren engstem Umland.

Die erste Reaktion auf derartige Daten ist übli-cherweise: Da muss etwas passieren, damit die Un-gleichheiten ausgeglichen werden. Das aber funktio-niert nicht. Nicht bei der Bildung. Und auch sonstnicht. Man erinnert sich: Bis in die 1980er-Jahre galtes den meisten Landespolitikern als wichtiger regio-nalpolitischer Ansatz, ein hochrangiges Straßennetzzu schaffen; dass die Südautobahn später als dieWestautobahn ausgebaut wurde, führte zu Medien-kampagnen und Unterschriftenaktionen. Dass dieBrennerautobahn mehr Verkehr brachte, galt alswünschenswerter Effekt: Verkehr ist Leben, hieß esdamals. Erst später wurde erkannt, dass der Autover-kehr mehr Nachteile als Vorteile in die Region ge-bracht hat. Während die Touristiker „Österreich istschön, komm, bleib!“ plakatierten, persiflierten dieKritiker der ungebremsten Automobilisierung den Slo-gan mit den Worten „Österreich war schön, komm,fahr durch!“.

In der Rückschau lässt sich allenfalls sagen, dass der Straßenbaudie Nachteile der Verkehrserschließung gleichmäßiger über dasLand verteilt hat. Aber diese Art von Gleichheit wollte dann dochwieder keiner – wer kann, zieht weg aus dem Wipptal und von derWiener Südosttangente, vomWiener Westgürtel und aus der Nach-barschaft der Pyhrnautobahn. Und wer da bleibt, bleibt auch nichtwirklich: Der steigt nach Möglichkeit in sein Auto, um die Ver-kehrsverbindung zu nutzen und wenigstens den Großteil des Tagesanderswo zu verbringen; irgendwo, wo man vielleicht nicht besserleben, wohl aber besser verdienen kann.

Die Einheit von Lebens- und Arbeitsumfeld, die über Jahrhun-derte Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts war, zer-fällt. Sie zerfällt an den Verkehrsadern. Sie zerfällt in den Zentral-räumen. Sie zerfällt in den peripheren Regionen.

Und die politischen Anstrengungen, dem entgegenzuwirken,erreichen oft das Gegenteil von dem, was man angestrebt hat. Dawar etwa die bildungspolitische Aufbruchsstimmung der späten1960er- und frühen 1970er-Jahre: Gleiche Chancen für alle Kinder!Klingt gut, hat aber nicht funktioniert – und zwar nicht nur in denStädten, wo die Hauptschule zur Ghettoschule der Migrantenkindergeworden ist.

Die Bildungsoffensive hat auch im ländlichen Raum Effektehervorgebracht, die nicht bedacht worden waren: Wer „vom Land“kommt, geht nicht dorthin zurück, wenn er ein Studium in einer grö-ßeren Stadt absolviert hat. Das hat auf die sozialen Strukturen imländlichen Raum massive Auswirkungen. So zeigt sich, dass vielekleine Unternehmer ihren Kindern die bestmögliche Bildung ange-deihen lassen wollen, was angesichts der relativ kostengünstigenStudienplätze in Österreich leicht möglich ist. All die gut gebildetenKinder von Gastwirten und Schuhhändlern, Bäckern und Fleisch-hauern werden aber nach Abschluss des Studiums nicht zurück-kommen, um das Wirtshaus oder die Schuhhandlung, die Bäckerei

Auf der Suche nachUngleichheit

Es ist schon seltsam: Die meisten Österreicher streben an, ihr Leben nach eigener Façon leben zukönnen, und dennoch wünschen sich alle möglichst viel Gleichheit. Kann das gut gehen? Nichtgenerell, aber immerhin in vielen Bereichen. Denn Ungleichheit ist die Chance auf Vielfalt – wennman sie intelligent nutzt. Conrad Seidl

V

Page 9: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Vielfalt im ländlichen Raum ausblicke 1|09 07

oder das Fleischwarengeschäft zu übernehmen. Mit dem unange-nehmen Nebeneffekt, dass diese Nahversorger den gewachsenendörflichen Strukturen ebenfalls verloren gehen.

and ohne Leute“ ist ein Schlagwort, das die massiven wirt-schaftlichen Auswirkungen trefflich beschreibt. Das Bruttoregio-nalprodukt im Weinviertel, einer rein landwirtschaftlich geprägtenRegion nördlich von Wien, betrug im Jahr 2006 pro Kopf 15.300 Euro– in der nur wenige Dutzend Kilometer entfernten Bundeshauptstadtwaren es dagegen 41.500 Euro. Eine besonders niedrige regionaleWertschöpfung weisen das Mühlviertel mit 17.000 Euro und die Re-gionen des Burgenlands an der ungarischen Grenze aus. Im RaumLinz-Wels und in Salzburg sind die Werte mehr als doppelt so hoch.

Was das konkret heißt, sieht man, wenn man in die benach-teiligten Regionen fährt: Noch vor einem Vierteljahrhundert meinteman, deren größte Sorge wäre, dass die Umweltbelastungen ausden Ballungsgebieten hier als saurer Regen den Wald zerstörenwürden. Waldsterben? Das war einmal. Vom Dorfsterben könnteman eher berichten. Martin Ploderer zum Beispiel ist in Rotmoos ge-boren und aufgewachsen, einer Ortschaft im Salzatal am nördlichenAbhang des Hochschwab-Massivs, die in seiner Kindheit Heimstattfür 90 Bewohner geboten hat. „Heute leben da nochgenau drei Leute. Und das ist kein Einzelfall.Es gibt in unserer Region viele Orte wieNeuhaus, Nestelberg und Taschelbacham Zellerrain, wo es kaum nochBewohner gibt“, erzählt Ploderer.

Und was kommt, wenn derMensch geht? Es kommt der Wald,der in vielen Gegenden Österreichsdie natürliche Bodenbedeckungwäre – hätten ihn nicht Bauern vorJahrhunderten in Acker- und Grünlandumgewandelt. Ploderer sieht das durch-aus kritisch: „Bei uns sind jetzt schon80 Prozent der Fläche Wald, viel mehr geht nichtmehr.“ In Lunz mag das besonders stark auffallen, aber es verdeut-licht einen österreichweiten Trend: Seit 1990 hat die Dauergrün-landfläche um 13 Prozent abgenommen, bei den Bergmähdern undAlmen beträgt der Rückgang sogar 22 Prozent.

Das hat beachtliche ökologische Folgen. Waldflächen weiseneine wesentlich geringere Artenvielfalt als die agrarische Kultur-landschaft auf. Ungunstlagen aufzuforsten ist schon aus diesemGrund eine schlechte Lösung.

Was als noch stärkeres, weil ökonomisches Argument einge-bracht werden kann: Es wäre nicht mit dem Tourismus verträglich.

Touristen suchen keine dichten Wälder, sondern densogenannten Waldrandeffekt. Und Ploderer weiß, wiewichtig der Tourismus ist, schließlich ist er Bürger-meister von Lunz am See. Diese Gemeinde hatte beider Volkszählung 2001 noch 2045 Einwohner, aktuellsind es nur mehr 1850. Pro Jahrzehnt verliert Lunzrund 200 Bewohner.

Wenn das so weitergeht, Herr Bürgermeister,gibt es dann im Jahr 2100 in Lunz gar niemandenmehr? Nein, so weit werde es nicht kommen, istPloderer überzeugt. Lunz am See hat gut 400 Zweit-wohnsitzer, die zwar für den im Finanzausgleich wich-tigen Bevölkerungsschlüssel nicht mitzählen, abersehr wohl Geld in die lokale Wirtschaft pumpen.

uf der anderen Seite stehen die reichen Zentral-räume. Seit 1950 ist die österreichische Bevölkerungum 19 Prozent gewachsen, der Siedlungsflächenver-brauch aber um 280 Prozent. Das Umweltbundesamtrechnet, dass nach wie vor 2,7 Hektar pro Tag alleinunter neu geschaffener Straßenfläche, die dieseSiedlungen verbindet, verschwinden. Dazu kommt,

dass Gewerbe- und Industriegebiete auf diegrüne Wiese gesetzt werden, weil Investo-ren fürchten, dass auf alten, von anderenUnternehmen aufgelassenen Standor-ten unabschätzbare Altlasten liegen:Bis in die 1970er-Jahre waren Unter-nehmen bestrebt (und gewerberecht-lich sogar dazu verpflichtet), die Ab-fälle ihrer Produktion auf eigenemGrund und Boden zu entsorgen. DieMobilisierung alter Gewerbeflächen ist

daher besonders riskant.Gerlind Weber, eine Raumplanerin an der

Wiener Universität für Bodenkultur, wirbt dennochdafür, dass man die vorhandenen Flächen nutzt undnicht weiter zubetoniert: „Es kann ja nicht der Weis-heit letzter Schluss sein, dass der eine Teil Öster-reichs von Wald und der andere von Beton bedecktist.“ Weber geht auch davon aus, dass die Ungleich-heit zwischen den Regionen nicht einfach ausge-glichen werden kann. „Man muss für manche Räumeganz andere Leitbilder entwickeln. SchrumpfendeRäume sollten zu Ruhe- und Regenerationsräumenwerden.“

L

A

Page 10: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Das klingt nach aktiver Sterbehilfe für jene Regionen,aus denen sich die Bevölkerung mehr oder wenigerlangsam zurückzieht – ein Rückzug, der Wald undWild in ihre angestammten Lebensräume zurückkeh-ren lässt. Ist das denn wünschenswert? GerlindWeber: „Man muss zwischen einer begleitetenSchrumpfung und einem unkontrollierten Zusammen-bruch unterscheiden. Ein unkontrollierter Zusammen-bruch ist ebenso unerwünscht wie unkontrolliertesWachstum. Wenn ganze Regionen wieder zur Wildniswerden, symbolisiert das den Zusammenbruch.“

s wäre auch ökologisch nicht wirklich sinnvoll: Un-sere gewachsene Kulturlandschaft bietet eine grö-ßere Vielfalt von Landschaftstypen sowie von Floraund Fauna als eine großflächige Bewaldung. Die öko-logisch reichsten Zustände sind die dynamischen,also von Ungleichheit geprägten. Die Frage ist – öko-logisch wie sozial –, welches Maß an Ungleichheit er-wünscht ist. Und wie Zustände der Ungleichheit kom-pensiert werden können. Ebenso wenig wie man un-produktive Landschaftsteile durch mehr oder weniger

geförderte Bewaldung gleichschalten und damit das restliche Bun-desgebiet benachteiligen darf, kann man akzeptieren, dass Regio-nen verarmen. Schon der von ihr vertretene „begleitete Schrump-fungsprozess“ wird von der betroffenen Bevölkerung und den sievertretenden Politikern nicht immer begeistert aufgenommen, sagtWeber – und sie hat Verständnis dafür.

Planung, die auf eine völlige Angleichung der Lebensverhält-nisse ziele, sei zum Scheitern verurteilt – und sie bewirke das Ge-genteil: überzogene Erwartungen, eine umso tiefere Enttäuschungüber deren Scheitern, Pleiten, Abwanderung, unkontrolliertenZusammenbruch.

Das Gegenteil wäre erstrebenswert. „Wenn man weiß, dassein Drittel der Österreicher in diesen schrumpfenden Räumen lebt,die gut die Hälfte der Landesfläche ausmachen, muss man klarstel-len, was diese Räume wertvoll macht“, so Weber. „Es werdenRäume sein, die langsamer, kostengünstiger, älter sind – aber dassind ja auch Werte in einem bewusst entworfenen Gegenbild, indem Entschleunigung und Ruhe positiv besetzt sind.“

Das Umdenken ist allerdings nicht selbstverständlich. Undschon gar nicht selbstverständlich ist, dass die Bevölkerung an derEntwicklung alternativer Leitbilder für ihre Umgebung mitarbeitet.„Gemeindevertreter, Touristiker und Agrarier sind in die Entwicklungvon Leitbildern und Strategien meist gut eingebunden – andere

ausblicke 1|09 Vielfalt im ländlichen Raum08

Höchste abgeschlossene Ausbildung 2001Universitäten und hochschulverwandteAusbildungen nach 5-km-Rasterzellen

E

unter 2,3%

2,4–3,3%

3,4–4,2%

4,3–5,6%

5,6% und mehr

Zahl der über 14-jährigenBevölkerung kleiner 100

Anteil der Bevölkerung mit Universitäts- oder hochschulverwandtem Abschlussan der über 14-jährigen Bevölkerung insgesamt

Grenzen der BundesländerGrenzen der politischen BezirkeWald, Almen und Ödland

Quelle: Statistik Austria,Volkszählung 2001,erstellt am 27.06.2007

Page 11: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Berufsgruppen, Frauen und Jugendliche sind es oft nicht in ausrei-chendem Ausmaß“, stellt der Regionalplaner Luis Fidlschuster fest.So wird in der ländlichen Entwicklung das bäuerliche Interesse be-sonders berücksichtigt, oder es werden regionale Tourismuskon-zepte entwickelt, als ob Tourismus überall passen würde. Der Most-viertler Regionalmanager Karl Becker ergänzt: „Regionale Zusam-menarbeit bringt man noch am ehesten bei Tourismusprojektenzustande.“ Diese finden auch am ehesten öffentliche Unterstützung.

Dabei wäre das Geld oft besser in die Verbesserung derLebensumstände der ansässigen Bevölkerung investiert, meintFidlschuster: „Wenn man es für die Menschen attraktiv macht, dau-erhaft in der Region wohnen zu bleiben und an der regionalen Wirt-schaft teilzunehmen, ist das womöglich rentabler, als ein paar zu-sätzliche Touristen anzulocken.“

s ist auch keineswegs so, dass die Menschen in diesen periphe-ren Regionen zum ökonomischen oder sozialen Unglück verdammtsind, eher im Gegenteil. Im März 2009 hat das Linzer market-Institut800 Österreicherinnen und Österreicher gefragt: „Würden Siesagen, Sie können Ihr Leben im Großen und Ganzen gestalten, wiees Ihnen gefällt, oder sind in Ihrem Alltag Einschränkungen nötig?“Interessanterweise sagen gerade die Bewohner von Gemeinden mitweniger als 5000 Einwohnern in höherem Maße als die Bewohnervon Städten, dass sie ihr Leben voll und ganz (23 Prozent) oder im-merhin weitgehend (57 Prozent) nach eigenen Vorstellungen ge-stalten können. Die höchsten Nennungen kommen übrigens ausNiederösterreich und dem Burgenland, was allerdings mit demSpeckgürteleffekt Wiens erklärbar sein dürfte.

as also müsste geschehen, um die Menschen mit der Un-gleichheit zu versöhnen? Das Erste ist wohl, dass Planer und Politi-ker damit aufhören, Ungleichheit als einen absolut unerwünschten,unbedingt auszugleichenden Zustand zu begreifen. Um beim ein-gangs zitierten Beispiel der Bildung zu bleiben: Wenn alle jungenLeute, die für ein Studium qualifiziert sind, zum höchsten Bildungs-abschluss gedrängt werden, ergibt das in den peripheren Regioneneinen gewaltigen Braindrain: Die besten Köpfe wandern ab. Und siekommen nicht einmal dann zurück, wenn es „draußen auf demLand“ geeignete Arbeitsplätze gibt: Da gibt es Apotheker, die drin-gend nach jungen Pharmazeuten suchen, da gibt es unbesetzteFacharztstellen und offene Management- und Technikerpositionenin der obersteirischen Industrie. Aber das dafür ausgebildete Per-sonal will lieber dort bleiben, wo es während des Studiums soziali-siert wurde: in der Großstadt. Das hat natürlich auch damit zu tun,dass Österreich – anders als Deutschland – seine universitären Ein-

richtungen in großen Städten konzentriert hat: Stu-dentisches und akademisches Leben heißt hier Groß-stadtleben. In Deutschland kann es auch Sozialisie-rung in kleinen und mittleren Städten wie Göttingenund Eichstätt, Greifswald und Tübingen bedeuten,was eine andere Einstellung zum umgebenden ländli-chen Raum bewirkt. So gesehen ist die Gründung von(Fach-)Hochschuleinrichtungen in kleineren Städtennicht hoch genug zu schätzen. Dazu muss man aberauch eine für den ländlichen Raum passende Ausbil-dung anbieten und im besten Sinne des Wortes„salonfähig“ machen: Kleine und mittelständischeBetriebe brauchen Eigentümer, Manager und Mitar-beiter, für die es keine Schande ist, keinen oder einenniedrigeren akademischen Grad zu haben – und siemüssen trotzdem attraktive Einkommenschancen be-kommen.

er zweite Ansatz hängt unmittelbar damit zusam-men, welches Lebensgefühl einen im ländlichen Raumerwartet: Gerade in Österreich gibt es viele Beispieledafür, dass kulinarische und kulturelle Angebote inbester Qualität außerhalb der Ballungsräume zu fin-den sind. Sie sind, zugegebenermaßen, Minderhei-tenprogramme – aber das sind sie in der Stadt auch.Was fehlt, ist das mittlere Segment: Schlimmer als dasBeislsterben in den Großstädten, das längst durchTausende Neugründungen von gastronomischen Be-trieben ausgeglichen wurde, ist das Wirtshausster-ben auf dem Land. Es nimmt Zehntausenden Men-schen die Möglichkeit, fußläufig einen bodenständi-gen Kommunikationsraum zu erreichen. Und es macht– in Verbindung mit der Verlagerung von Einkaufs-möglichkeiten in die regionalen Zentren – Druck hinzu einer Automobilisierung der Gesellschaft: Irgend-wann fahren alle vor ihrer als unbefriedigend emp-fundenen Lebenssituation davon. Daher wird ein we-sentlicher Schlüssel zu einer positiv erlebten Un-gleichheit darin liegen, die Bewohner des ländlichenRaumes vom eigenen Auto unabhängig zu machenund ihnen Mitsprache bei der Entwicklung ihres Um-feldes zu geben. Sonst bleiben die wesentlichenChancen der Vielfalt ungenutzt – und Ungleichheitwird zur Ungerechtigkeit. |||

Conrad Seidl ist Journalist.

Vielfalt im ländlichen Raum ausblicke 1|09 09

DE

W

Page 12: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Blühende Wiesen, dunkle Seen, rauschende Bächeund tiefe Wälder, eine reiche Natur- und Kulturland-schaft: Das ist das Bild, das viele ÖsterreicherInnenvon ihrem Land haben und das sie auch nicht müdewerden, weit in die Welt hinauszutragen, meistens inForm von Hochglanzbroschüren, manchmal durcheinschlägige Musiksendungen und hin und wieder beiVerhandlungen um eine angemessene Dotierung derFördertöpfe der EU.

Die Vielfalt von Lebensräumen und Arten wirdals Wert an sich wahrgenommen, wenngleich nichtimmer sehr konsequent. Obwohl Österreich ein imeuropäischen Vergleich wirklich herzeigbares Agrar-umweltprogramm hat, bleibt eines der Hauptziele des

Programms – nämlich den Rückgang der Artenvielfaltzu stoppen – unerreicht. Dieses Ziel setzten sich dieEuropäischen Staats- und Regierungschefs 2001 beimEuropäischen Rat in Göteborg. Im Juli 2009 veröffent-lichte nun die Kommission ihren allerersten Umset-zungsbericht in Sachen Artenvielfalt.1 Das Fazit ist er-nüchternd: Europaweit befindet sich ein nur geringerTeil der Lebensräume und Arten in einem günstigenErhaltungszustand. Grünland und Feuchthabitate sindnach wie vor am stärksten bedroht. Die Situation inÖsterreich ist dramatisch: Lediglich 4 Prozent der ge-schützten Habitate der kontinentalen Region sind guterhalten, über 50 Prozent in schlechtem Zustand. Inder alpinen Region sieht es marginal besser aus.

ausblicke 1|09 Biologische Vielfalt10

Neue Werte brauchtdie Vielfalt!

2010 wird das UN-Jahr der biologischen Vielfalt. Das Ziel, bis zu diesem Jahr den Rückgang der Bio-diversität zu stoppen, wird glatt verfehlt werden. Der unverhältnismäßig hohe Ressourcenbedarf ist nachwie vor einer der Haupttriebkräfte für den Rückgang, und die Landwirtschaft ist mitverantwortlich. Dabeibietet die LE seit Jahren Ansatzpunkte, wie betriebswirtschaftliche Optimierung und die Bereitstellungöffentlicher Güter durch die LandwirtInnen bewerkstelligt werden können. Dennoch muss mehr gesche-hen: Eine Diskussion über den „Wert“ der Vielfalt könnte dabei hilfreich sein. Michael Proschek-Hauptmann

1 KOM (2009) 358 endgültig,Bericht der Kommission anden Rat und das EuropäischeParlament, ZusammenfassenderBericht über den Erhaltungszu-stand von Arten und Lebens-raumtypen gemäß Artikel 17 derHabitatrichtlinie, 13. Juli 2009.

2 www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/raumordnung/flaechenverbrauch/(3. August 2009).

Page 13: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Wenig überraschend die Erkenntnis: Die landwirt-schaftliche Nutzung bleibt vor dem steigenden Flä-chenverbrauch durch Urbanisierung eine der Haupt-gefährdungsursachen.

Im Klartext heißt das: Früher war die landwirt-schaftliche Bewirtschaftung im Kulturland die Grund-lage für biologische Vielfalt, heute ist die sichändernde Nutzung Ursache für deren Rückgang.Grenzertragsflächen werden aufgegeben, Optimal-standorte intensiviert. Doch nur den LandwirtInnendie Schuld in die Schuhe zu schieben ist billig. Immer-hin profitieren KonsumentInnen in hohem Maß vondem durch die Rationalisierung der Produktionbewirkten Preisverfall bei landwirtschaftlichen Pro-dukten. Die Menschen geben heutzutage nur mehr dieHälfe dessen für Lebensmittel aus, was sie vor 40 Jah-ren dafür zu berappen hatten. Diese Verbesserungzugunsten der KonsumentInnen geht nicht nur aufKosten der biologischen Vielfalt, sondern, wie am Bei-spiel der Milchbauern sichtbar, auch auf Kosten derProduzentInnen. Vor diesem Hintergrund ist es auchin Zukunft aus Umweltsicht absolut rechtfertigbar undnotwendig, dass LandwirtInnen für die Erhaltung derKulturlandschaft und für die Pflege der Habitate vonder Gesellschaft quersubventioniert werden, soferndie Leistung stimmt.

Doch wenn Österreich ein so gutes Agrarum-weltprogramm hat und die Bauern gutes Geld für guteLeistung bekommen, warum werden dann die gesetz-ten Ziele im Bereich Biodiversität dennoch verfehlt?Ein psychologisches Hemmnis liegt wahrscheinlich imVerständnis des Begriffs Landwirtschaft, das aus-schließlich den Produktionsaspekt in den Vorder-grund rückt. 18 Prozent der ÖPUL-Betriebe (Österrei-chisches Programm zur Förderung einer umweltge-rechten, extensiven und den natürlichen Lebensraumschützenden Landwirtschaft) nahmen 2008 an Natur-schutzmaßnahmen teil. Das erscheint auf den erstenBlick viel, ist aber angesichts der Notwendigkeit,große Fortschritte im Naturschutz zu machen, wenig.Eine beherzte Richtungsänderung in Richtung „Agri-kultur“ wäre hier schon die halbe Miete. Neben derWertschöpfung durch Produktion müssen auch diekulturelle und die ökologische Dimension in Betrachtgezogen werden. Immerhin war das über Jahrhun-derte die Grundlage für nachhaltiges Wirtschaften.Die Ausweitung des Vertragsnaturschutzes ist umso

wichtiger, als in vielen Fällen für Kulturlandschafthoheitlicher Naturschutz nur in seiner Außenwirkungzielführend, für die BewirtschafterInnen aber oft kon-traproduktiv ist.

Ein zweiter Grund für die Verfehlung der Biodi-versitätsschutzziele ist, dass es bisher noch nichtgelungen ist, die wesentliche Ursache für den Biodi-versitätsrückgang, den global steigenden Ressour-cenbedarf, in den Griff zu bekommen. Am BeispielBoden lässt sich das Problem für Österreich gut fest-machen. Aktuelle Daten des Umweltbundesamtes2

belegen, dass täglich rund 12 Hektar für Siedlungs-und Verkehrstätigkeit versiegelt werden; rechnet manSportflächen und Abbauflächen mit ein, sind es gar22 Hektar. Täglich! Der gestiegene Lebensstandard,die Änderungen der Wirtschaftsstruktur, aber auchdie derzeitige Praxis der Raumplanung sind die Haupt-ursachen des steigenden Flächenverbrauchs. Durchdie zusätzliche Notwendigkeit der Verlagerung vonfossilen Energieträgern auf erneuerbare wird sich indiesem Feld eine Flächenkonkurrenz nicht nur zwi-schen Teller, Zapfsäule und Infrastruktur, sondernüberall auch zur biologischen Vielfalt ergeben.

Der Erhalt der biologischen Vielfalt sollte nichtals Pflichtübung, sondern als Chance gesehen wer-den. Beispiele aus den Regionen belegen, dass sichdamit sehr wohl auch eine beträchtliche regionaleWertschöpfung erzielen lässt, wie am BiosphärenparkWienerwald stellvertretend für viele Regionen inÖsterreich sichtbar wird. Hier wird aus einer maßge-schneiderten Kombination von Vermarktung regiona-ler Produkte und integriertem, in ein durchdachtesManagement der Region eingebettetem Tourismus-angebot über regionale Produktionskreisläufe biolo-gische Vielfalt erhalten und nachhaltig genutzt.

Die Menschen, das Land und seine Natur sinddas Kapital der Zukunft. Nur wenn es gelingt, biologi-sche Vielfalt und Regionalentwicklung zu verbinden,haben beide eine Chance. Das Programm zur ländli-chen Entwicklung leistet hier bereits einen wichtigenBeitrag. In Zukunft müssen diese Aspekte aber nochgrößere Beachtung finden, wenn multifunktionelle„Agri-kultur“ anstelle rein produktiver Landwirtschafternst genommen werden soll. |||

Michael Proschek-Hauptmann, Geschäftsführer

Umweltdachverband

Biologische Vielfalt ausblicke 1|09 11

Page 14: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

12

Das Jahr 2010 wurde von den VereintenNationen zum Internationalen Jahr derbiologischen Vielfalt deklariert. Österreichhat sich bereits 2001 dazu bekannt, denVerlust der Biodiversität stoppen zuwollen. In welchen Bereichen werden Siein Ihrer Amtszeit Schwerpunkte für dieErhaltung der biologischen Vielfalt setzen,und welche Ziele haben Sie sich gesteckt?Mein Ziel ist es, Bewusstsein zu schaffen und politi-sche Rahmenbedingungen sicherzustellen. Dennnur was der Mensch kennt und schätzt, ist ihmetwas wert und wird ihn zu entsprechendem Han-deln bewegen. Wir müssen uns bewusst werden,

dass die Vielfalt der Natur keine unerschöpflicheRessource ist. Nur wenn wir umsichtig, nachhaltigund vorsorgend mit ihr umgehen, wird sie uns auchin Zukunft zur Verfügung stehen und Lebensqualitätin unserem Land gewährleisten. Mit der Biodiversi-tätskampagne „vielfaltleben“ des Lebensministe-riums soll dieses Bewusstsein bei den Menschengeweckt und gestärkt werden. Vor allem ist es mirwichtig, dass jeder Einzelne auch weiß, dass esnicht nur um große kostenintensive Projekte geht,sondern jeder etwas tun kann. Das beginnt damit,dass man zum Beispiel regionale Lebensmittel undfür den Garten auch heimische Zierpflanzen kauft.Mit der Kampagne gehen wir daher auch direkt zuden Menschen, in die Schulen und in die Gemein-den.

Was ist der Hintergrund für dieKampagne „vielfaltleben“?Das Erfolgsgeheimnis der Natur lautet biologischeVielfalt. Je mehr Tier- und Pflanzenarten es gibt,desto größer ist die Chance, dass Anpassung undFortpflanzung gelingen und Leben weiter besteht.Das gilt beispielsweise auch für extreme Verände-rungen wie den globalen Klimawandel. Die Vielfaltder Gene, Arten und Ökosysteme ist die Lebens-versicherung der Natur und somit auch für unsMenschen. Doch sehr viele Pflanzen- und Tierartensind vom Aussterben bedroht. Um den Verlust derBiodiversität zu stoppen, hat das Lebensministeriumdie Kampagne „vielfaltleben“ gestartet.

ausblicke 1|09 Biologische Vielfalt

Biodiversität

dank nachhaltigerLandwirtschaft

Ein Gespräch mit Niki Berlakovich, Bundesminister fürLand- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Bundesminister Niki Berlakovich setzt mit der Aktion„vielfaltleben“ ein Zeichen für Biodiversität.

Page 15: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

13

Intakte Ökosysteme stellen uns eineReihe von Leistungen zur Verfügung: etwaNahrungsmittel und sauberes Wasser,natürlichen Hochwasserschutz und dieRegulierung des Klimas. Sind sich dieÖffentlichkeit und die Wirtschaft dieserLeistungen bewusst?Verglichen mit anderen Ländern können wir unsglücklich schätzen. Österreich zählt zu den arten-reichsten Ländern Europas. Wunderschöne ab-wechslungsreiche, vielfältige Landschaften sindnicht nur das Aushängeschild Österreichs alsUrlaubsdestination. Unsere Natur sichert auchEinkommen und Arbeitsplätze und hat einen enor-men volkswirtschaftlichen Wert. Es ist mir daherein überaus großes Anliegen, diese Vielfalt undSchönheit zu erhalten.

Die heimische Landwirtschaft produziert nichtnur qualitativ hochwertige Lebensmittel, sondernerhält aufgrund der flächendeckenden Bewirtschaf-tung auch die österreichische Landschaft. Dasschätzen auch die Gäste, die wegen dieser Kultur-landschaft nach Österreich kommen. Die Landwirt-schaft erbringt damit eine unverzichtbare Leistungfür die österreichische Tourismuswirtschaft. Zudemsichern die österreichischen Bäuerinnen und Bau-ern die Vitalität der ländlichen Räume, indem siedie Wertschöpfung in der Region halten und Motorregionaler Initiativen sind.

Zentral für die bäuerlichen Produzenten sind dieKonsumenten. Wir müssen den Konsumentinnenund Konsumenten bewusst machen, dass sie mitjedem Einkauf über den Weg unserer Landwirt-schaft entscheiden. Werden österreichische Pro-dukte gekauft, wird es auch eine flächendeckendeösterreichische Landwirtschaft geben. Wenn nurBilligprodukte von irgendwoher gekauft werden,wird es für die Bauern schwer sein, die Lebensmit-telversorgung sicherzustellen und die gesellschaft-lich erwünschten Leistungen zu erbringen.

Das Österreichische Programm fürdie ländliche Entwicklung setzt sich auchZiele im Biodiversitätsschutz. Kann dasProgramm Ihrer Meinung nach dieserumfassenden Aufgabe überhaupt gerechtwerden?Das Österreichische Programm für die ländlicheEntwicklung ist ein wesentlicher Beitrag zum Bio-diversitätsschutz. Wir setzen umfassende Maßnah-men zum Erhalt der Biodiversität etwa in denBereichen Bildung, Infrastruktur, Naturschutz undKulturlandschaft. Wir unterstützen u. a. Biotop-schutz- und Entwicklungsprojekte sowie die Her-stellung und Erhaltung von Landschaftsstrukturen.Um artenreiche Vegetationstypen zu erhalten unddas Grünland zu pflegen und zu schützen, bedarf esauch vielfältiger Agrarumweltmaßnahmen, die vonextensiver Tierhaltung über integrierte und ökolo-gische/biologische Erzeugung bis hin zum Verzichtauf den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmit-teln auf ökologisch wertvollen Flächen reichen.

Die biologische Vielfalt profitiert vor allemvon der Kleinstrukturiertheit der Landwirt-schaft in Österreich. Es ist jedoch einkonstanter Trend hin zu weniger und

Biologische Vielfalt ausblicke 1|09

Wir müssen den Konsu-mentInnen bewusst machen,dass sie mit jedem Einkaufüber den Weg unserer Land-wirtschaft entscheiden.

Page 16: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

14

größeren Betrieben festzustellen. Kannes gelingen, den Marktanforderungennach größeren Betrieben gerecht zu wer-den und die Biodiversität zu erhalten?Der Erhalt der biologischen Vielfalt hat nicht unbe-dingt etwas mit der Betriebsgröße zu tun. Dieösterreichischen Biobetriebe beispielsweise sindim Schnitt größer als die konventionellen Betriebe.Überdies gehören die österreichischen Betriebeim Durchschnitt zu den kleinen in Europa. Viel mehrSorge bereitet mir die derzeitige wirtschaftlicheKrise, die auch in der Landwirtschaft spürbar ist.Wenn sich die Produktion von Lebensmitteln nichtmehr lohnt, weil der Bauer etwa für die Milchweniger bekommt, als ihm die Erzeugung kostet, istdie flächendeckende Bewirtschaftung gefährdet.Damit wäre tatsächlich ein gravierender Verlust anBiodiversität verbunden.

Österreich besteht aus zahlreichenabwechslungsreichen Regionen. Inwiefernträgt die Initiative GENUSS REGIONÖSTERREICH zur Stärkung des ländlichenRaums bei?Viele traditionelle Lebensmittelspezialitäten habeneine große wirtschaftliche Bedeutung und tragenwesentlich zur Stärkung der kulturellen Identitäteiner Region bei. Den Trend zu mehr „Regionalität“und zu traditionellen Lebensmitteln greifen dieKonsumentinnen und Konsumenten auf und verlan-gen regionale, saisonale und qualitativ hochwertigeProdukte. Mit der Initiative GENUSS REGIONÖSTERREICH kommen wir dieser Nachfrage ent-gegen. Region und Produkt verschmelzen zu einerunverwechselbaren Marke und tragen zur Steige-rung der Wertschöpfung und damit zur Stärkungdes ländlichen Raums bei.

Die Darstellung von „traditionellem Wissen“über Lebensmittel ist eine weitere Initiative desLebensministeriums. Im österreichischen Registerüber traditionelle Lebensmittel werden Produkte,die von mindestens drei Generationen oder seitbereits 75 Jahren hergestellt werden, ihre Ge-schichte, die Herstellungsverfahren und die spezi-fischen Zusammenhänge zwischen Lebensmitteln,Produktionsmethoden, geografischen Gebieten undtraditionellem Wissen beschrieben. Das Register

wird ständig erweitertund wird künftig Pro-dukte aller Genuss-Regionen sowie tradi-tionelle Speisen wieklassische Fleischge-

richte und Speisen aus der traditionellen österrei-chischen Süß- und Mehlspeisenküche enthalten.

Die Anpassung an den Klimawandel isteine der zentralen Fragen im Biodiversi-tätsschutz, aber auch für die Zukunft derLandwirtschaft. Welche Möglichkeitenbietet das Programm für die ländlicheEntwicklung bereits jetzt, um beideAspekte unter einen Hut zu bringen?Eine erfolgreiche Strategie gegen den Klimawandelbraucht auch eine intakte, vielfältige Natur. Dieheimische Landwirtschaft hat in den letzten Jahrenihre Klimaziele erreicht, und das ist zum großenTeil auf die umweltgerechte Bewirtschaftungsweiseim Rahmen des Agrar-Umweltprogramms zurück-zuführen.

Angesichts der bevorstehenden Verhand-lungen über den EU-Haushalt steht dasAgrarbudget im Mittelpunkt der Aufmerk-samkeit. Wie wird sich Österreich indieser europäischen Diskussion positio-nieren? Gibt es Chancen auf mehr Förde-rungen für Umweltleistungen in derPeriode 2014–2020?Als Minister bin ich für die Bereiche Land- undForstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaftzuständig. In all diesen Bereichen ist die biologi-sche Vielfalt ein zentrales Thema. Im landwirt-schaftlichen Bereich ist es notwendig, in Österreichund in der gesamten EU eine flächendeckendenachhaltige Landwirtschaft sicherzustellen. DieGestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik der EUmuss daher auch in Zukunft eine gerechte Entloh-nung der Leistungen der Bäuerinnen und Bauerngewährleisten. Ihr Beitrag für die Landschafts-pflege, die Umwelt, die Lebensmittel- und Energie-produktion sowie den ländlichen Raum musshonoriert werden. |||Das Gespräch führte das Redaktionsteam der „ausblicke“.

ausblicke 1|09 Biologische Vielfalt

Page 17: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

15Biologische Vielfalt ausblicke 1|09

Biodiversitätsmonitoringdurch LandwirtInnen

Seit 2007 wird ein österreichweites Beobachtungs-netzwerk von interessierten LandwirtInnen aufge-baut, die einmal im Jahr auf ihren Magerwiesen ganzbestimmte Pflanzenarten (Zeigerarten) beobachten,zählen und einer zentralen Stelle melden. Unterstütztwerden sie dabei von NaturschutzexpertInnen, einfa-chen Erhebungsbögen sowie Pflanzensteckbriefen.Mitmachen können jene LandwirtInnen, die bereits ander Naturschutzmaßnahme des ÖsterreichischenProgramms zur Förderung einer umweltgerechten,extensiven und den natürlichen Lebensraum schüt-zenden Landwirtschaft (ÖPUL) (WF/Pflege ökologischwertvoller Flächen) teilnehmen. Als Aufwandsentgeltwird ein zusätzlicher „Monitoringzuschlag“ von 30Euro pro Hektar aus Mitteln des ÖPUL bezahlt. Haupt-ziel des Projekts ist die Bewusstseinsbildung. Durchgenaues Hinschauen können Zusammenhänge zwi-schen aktueller Bewirtschaftung und dem Auftretenbestimmter Arten erkannt bzw. hinterfragt werden.

Mit Ende des Jahres 2009 werden über 500Landwirtinnen und Landwirte verteilt über ganz Öster-reich an dem Projekt teilnehmen. Zudem konnten sie-ben landwirtschaftliche Fachschulen als Partner undwichtige Multiplikatoren gewonnen werden. DieSchulen werden von einem Naturschutzexperten be-sucht, der eine Unterrichtsstunde zum Thema Biodi-versität gestaltet und dann auf einer nahegelegenenMagerwiese gemeinsam mit den Schülern seltenePflanzen bestimmt und zählt. Ziel ist es, die Landwirt-schaftsschülerInnen über das Projekt „Biodiver-sitätsmonitoring“ zu informieren, Zusammenhängezwischen Nutzung und Artenvielfalt aufzuzeigen unddie SchülerInnen anzuregen, sich mit Anliegen desNaturschutzes auseinanderzusetzen.

Weiters wird in einer derzeit laufenden Mach-barkeitsstudie zum Thema Tierbeobachtung gemein-sam mit ZoologInnen und LandwirtInnen untersucht,

ob und auf welcheWeise ab dem nächsten Jahr auchTiere beobachtet werden können.

Viele Aussagen teilnehmender LandwirtInnenuntermauern die These, dass erst durch die aktive Be-schäftigung mit dem, was auf der Wiese wächst, derWert dieser Flächen erkannt wird. Nach dem Motto„Was man schätzt, das schützt man!“ können so imbesten Fall die Zielsetzungen des Naturschutzes auchzu einem Anliegen der LandwirtInnen werden. DasProjekt soll diese Ergebnisorientierung als neuen An-satz im Vertragsnaturschutz unterstützen.Das im Programm Ländliche Entwicklung (mittels

Maßnahme 111) geförderte Bildungsprojekt wird vomUmweltbüro Klagenfurt, dem Österreichischen Kura-torium für Landtechnik und Landentwicklung und derARGE Netzwerk Naturschutz – Ländliche Entwicklungbearbeitet. |||

Barbara Steurer, Österreichisches Kuratorium für Landtechnik

www.oekl.at

Bewusstseinsbildung durch Beobachtung

„Durch das Aufschreibenkann man dann das eineoder andere besser verste-hen oder sucht aktiv nacheiner Erklärung, warumsich der Pflanzenbestandverändert.“Landwirt, Niederösterreich

„Ich mach die Schafbewei-dung jetzt seit dem Jahr2000. Für mich ist esinteressant zu sehen, wiesich die Flächen dadurchverändern und was das fürden Naturschutz bringt.“Landwirt, Niederösterreich

„Durch dieses Projektfängt man an, sich mehrfür Pflanzen zu interessie-ren, und versteht dannauch besser, was derNaturschutz eigentlichwill.“Landwirtin, Burgenland

Page 18: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Biologische Vielfalt16

Biologische Landwirt-schaft: Schutz derBiodiversität durchMultifunktionalität

Thomas Fertl, BIO AUSTRIA,Leiter Stabsstelle [email protected]

Der Beitrag der biologischen Land-wirtschaft zum Schutz der Biodiversi-tät ist unbestritten. Besonders imAckerbau werden durch Prinzipienwie Fruchtwechsel und Verzicht aufchemisch-synthetische Pflanzen-schutzmittel maßgebliche Leistungenfür die Artenvielfalt erbracht. Dieswird auch im AgrarumweltprogrammÖPUL anerkannt, in dem die biologi-sche Wirtschaftsweise als höchstwer-tige Agrarumweltmaßnahme veran-kert ist.

Aber „bio“ ist mehr. Als Best-Practice-Beispiel einer multifunktio-nalen Landwirtschaft wird Landbe-wirtschaftung systemisch optimiert.Da spielt der Schutz der Biodiversitäteine entscheidende Rolle, aber ebenauch andere Aspekte wie Boden-und Wasserqualität, Tierschutz undLebensmittelqualität. Wenn aus-schließlich sektorale Lösungsansätzeverfolgt werden, besteht die Gefahr,dass andere Maßnahmen das ver-folgte Ziel konterkarieren. Beispiels-weise kann das Ziel der Agroenergie-

produktion mit dem Biodiversitäts-schutz kollidieren, wenn andereAspekte der Nachhaltigkeit aus denAugen verloren werden.

Der beste Umgang mit unaus-weichlichen Zielkonflikten ist es,den multifunktionalen Ansatz auszu-bauen. Ob der Artenverlust in derKulturlandschaft eingedämmt wer-den kann, wird daher wesentlichdavon abhängen, inwieweit sich dieEU im Rahmen der Neugestaltungder Gemeinsamen Agrarpolitik fürdie Periode nach 2013 auf ein europä-isches Modell einer multifunktionalenLandwirtschaft besinnt. Die biologi-sche Landwirtschaft bietet sich alsKristallisationspunkt zur Entwicklungder zukünftigen Landwirtschaft an.

Nachhaltige Ressourcen-nutzung zum Erhaltder Biodiversität

Dietmar Jäger, Land&ForstBetriebe Österreich, LeiterBereich Forst und [email protected]

Biologische Vielfalt bildet die Lebens-und Wirtschaftsgrundlage einer Ge-sellschaft. In ihrer heutigen Erschei-nungsform sind die Kulturlandschaf-ten und Ökosysteme Europas durchdie jahrhundertelange Landnutzunggeprägt.

Die Land- und Forstwirtschaftsbe-triebe in Österreich erzeugen hoch-wertige Lebensmittel und produzierennachwachsende Rohstoffe für dieindustrielle Weiterverarbeitung undEnergiegewinnung. Im Zuge ihrer aufdem Prinzip der Nachhaltigkeit beru-henden Bewirtschaftung und Nutzungder natürlichen Ressourcen führen dieBetriebe einen Ausgleich zwischenökologischen, ökonomischen und so-zialen Zielsetzungen herbei. Die Erhal-tung der Biodiversität und der Natur-schutz sind auch Leistungen, welchedie Land- und Forstwirtschaftsbe-triebe für die Gesellschaft erbringen.Für den einzelnen Betrieb wirtschaft-lich nicht tragbare Maßnahmen zumErhalt der Biodiversität sind daher infairer Weise im Rahmen des Vertrags-naturschutzes abzugelten.

Das ambitionierte Ziel, den Verlustan biologischer Vielfalt bis 2010 zustoppen, kann durch die Landeigen-tümer und -bewirtschafter allein nichtgetragen werden. Vielmehr ist esnotwendig, die breite Öffentlichkeitdurch Bewusstseinsbildung und Auf-klärung für dieses Thema zu sensibili-sieren und auf den notwendigen Bei-trag aller Bevölkerungsgruppen zurErhaltung der Biodiversität aufmerk-sam zu machen. Dazu gehören vorallem auch Vertreter in den BereichenPolitik, Wirtschaft, Handel, Industrie,Verkehr, Tourismus- und Freizeitwirt-schaft.

Sechs Positionen zumThema BiodiversitätDas Jahr 2010 wurde von der UNESCO zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalterklärt. Der Erhalt und der Schutz der Artenvielfalt gehören neben dem Kampf gegen denKlimawandel zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. In diesem Sinnewurden sechs Organisationen um Stellungnahmen zum Thema Biodiversität gebeten.

Page 19: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Biologische Vielfalt ausblicke 1|09 17

Biolandbau stärken,ÖPUL umbauen

Irmi Salzer, ÖsterreichischeBergbauern- und -bäuerinnen-Vereinigung – Via CampesinaAustria, Informations- undÖ[email protected]

Biologische Vielfalt ist Grundlagezahlreicher menschlicher Aktivitätenund vor allem Voraussetzung fürdie Erzeugung von Lebensmitteln.In Österreich werden 3,4 MillionenHektar landwirtschaftlich genutzt.Landwirtschaftliche Bewirtschaf-tungsweisen spielen deshalb einezentrale Rolle, wenn es um Strate-gien zur Förderung und Sicherungder Biodiversität geht.

Intensive konventionelle Land-wirtschaft ist eine der Hauptursachendes Verlusts biologischer Vielfalt.Wissenschaftliche Untersuchungender Auswirkungen der Landwirtschaftauf die Biodiversität bestätigen,dass von allen Landbewirtschaftungs-systemen der ökologische und derextensive Landbau am vorteilhaftes-ten sind. Österreich hätte mit demÖsterreichischen Programm zur För-derung einer umweltgerechten, ex-tensiven und den natürlichen Lebens-raum schützenden Landwirtschaft(ÖPUL) ein Instrumentarium in der

Hand, um eine die Biodiversitätschützende Landwirtschaft effektivzu fördern. Leider hat jedoch nur eingeringer Teil der ÖPUL-Maßnahmentatsächlich positive Auswirkungenauf die Biodiversität. Zudem sind jeneMaßnahmen, die vorteilhaft wirkenkönnen, sehr schlecht dotiert.

Die Österreichische Bergbauern-und -bäuerinnen-Vereinigung – ViaCampesina Austria fordert deshalbschon seit Jahren eine Umverteilungder Mittel zugunsten des biologi-schen Landbaus sowie zugunstenvon Naturschutzmaßnahmen.Obwohl offensichtlich ist, dass dasBiodiversitätsziel 2010 nicht erreichtwerden kann, würde eine entspre-chende Neuorientierung zumindesteinen Schritt in die richtige Richtungdarstellen.

Landwirtschaft undBiodiversität ist (k)einWiderspruch

Christian Krumphuber,Landwirtschaftskammer fürOberösterreich,[email protected]

Was Fläche und Wertschöpfungangeht, stellt Österreichs Landwirt-

schaft in der EU etwa zwei Prozentder Grundgesamtheit dar. Kaum einanderes Land in Europa hat mitvergleichsweise so geringer geogra-phischer Ausdehnung eine solcheVielfältigkeit der Produktion aufzu-weisen. Von den Trockengebieten imOsten mit ihren ökologischen Eigen-heiten über unterschiedlichste Klima-räume westwärts bis zu hochalpinenKulturlandschaften hat ÖsterreichsLandwirtschaft Vielfalt im wahrstenSinn des Wortes zu bieten. Wohlge-merkt: Landwirtschaft prägt undgestaltet Kulturlandschaft – das istnicht „Natur pur“, auch wenn eineMarke damit wirbt. Gerade eine inweiten Teilen klein strukturierte,ökonomisch dem Weltmarkt nichtwirklich gewachsene Landwirtschaftbraucht das Vertrauen und denRückhalt der KonsumentInnen. Dasschließt heute fraglos den Erhalt derbiologischen Vielfalt ein. Es kanndaher nicht um „Produktion oderÖkologie“ gehen, die Devise muss„Produktion und Ökologie“ lauten.Dieser in manchen Köpfen nochimmer bestehende Widerspruch istzu klären, auch wenn das mühsamund langwierig sein mag. In jedemFall wird es sich lohnen, ein aus-gewogenes Gleichgewicht derAnsprüche zu suchen.

Erste, recht gelungene Ansätzegibt es: Im aktuellen Umweltpro-gramm wurde z. B. der Erhaltunggefährdeter Sorten und Tierrassenein größerer Stellenwert eingeräumt.

Die Erhaltung „genetischer Klein-ode“ on farm ist kein Retrokonzeptzur Schaffung von Agrarmuseen,sondern kosteneffizientes Biodiver-sitätsmanagement. Nebenbei hatder Ansatz den Vorteil, den Biodiver-sitätsgedanken in der Landwirtschaftbesser zu verankern – etwas, woranwir da und dort noch arbeiten müs-sen: Der Weg ist das Ziel.

Page 20: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

18 ausblicke 1|09 Biologische Vielfalt

vielfaltleben: Gemeinsamfür mehr Lebensvielfaltin Österreich

Birgit Mair-Markart,Naturschutzbund Österreich,Geschäftsfü[email protected]

Der zunehmende Verlust der Biodi-versität sowie die Klimaerwärmungstellen derzeit wohl die größtenHerausforderungen an die Menschheitdar. Diese Erkenntnis hat die Verein-ten Nationen veranlasst, Biodiversitätzum Thema zu machen und 2010 zumInternationalen Jahr der biologischenVielfalt zu erklären. Biodiversität –der Reichtum der Lebensformen, dieVielfalt der Arten und Lebensräumesowie die genetische Vielfalt – istauch in Österreich bedroht: Lebens-räume gehen verloren, die Rote Listeder gefährdeten Arten wird längerund länger. Österreich hat sichgemeinsam mit anderen EU-Staatendas Ziel gesetzt, den Verlust derArten vielfalt zu stoppen: ein ehrgei-ziges Ziel, das – so zeigt sich bei alleneinschlägigen internationalen Konfe-renzen – bis 2010 nicht erreicht wer-den wird. Dennoch intensiviert Öster-reich seine Bemühungen maßgeblich.Sehr positiv ist, dass das Lebens-ministerium sich voll und ganz hinter

das Thema stellt und 2008 – trotzschwieriger wirtschaftlicher Zeiten –eine „1.000.000-Euro-Kampagne“zur Förderung der Biodiversität inÖsterreich in Auftrag gegeben hat.

Der Naturschutzbund, Österreichsälteste Naturschutzorganisation,überparteilich, gemeinnützig und inÖsterreich allerorten vertreten, leitetdie Kampagne namens „vielfalt-leben“ und wird dabei von WWF,Birdlife, und brainbows unterstützt.Mit konkreten Schutzaktivitätenvor Ort, Maßnahmen zur Einbindungder Öffentlichkeit und Entwicklungeines regionalen Netzwerkes sowieSchaffung einer breiten Allianz hoch-rangiger Vertreter aus Politik, Wirt-schaft und Kultur wird sich der Natur-schutzbund – sicher auch über dasJahr 2010 hinaus – für die Lebensviel-falt in Österreich einsetzen.

Biodiversität: Schutzund Nutzung alsSchlüssel zur Zukunft

Christoph Haller,Wirtschaftskammer Österreich,Abteilung Umwelt- [email protected]

Die Sicherung der biologischen Viel-falt gehört zu den Herausforderungen

des 21. Jahrhunderts. Die Verfügbar-keit von ausgleichenden Ökosyste-men mit ihren Arten und genetischenRessourcen liegt im Interesse allerAkteure von Gesellschaft, Politik undWirtschaft gleichermaßen. DieseVielfalt zu erhalten und nachhaltigzu nutzen ist Ziel des 1992 ausgehan-delten „Übereinkommens über diebiologische Vielfalt“.

Die Natur hat vielfältige Formen,Strukturen und Verfahren entwickelt.Was Biodiversität auszeichnet undfür die Wirtschaft interessant macht,sind ihre große Komplexität und dieWechselwirkung zwischen unter-schiedlichen Faktoren und Funktio-nen. Für viele Unternehmen ist Bio-diversität heute bereits ein BusinessCase (Nutzung des Naturvermögensals rohstofflicher Ressource), aberauch eine Business Opportunity(Erforschung und Nutzung der Naturals Vorbild). Diese Nutzung nachhal-tig zu gestalten ist eine Grundvoraus-setzung, um langfristig erfolgreichzu wirtschaften, denn der intrinsischeWert der Natur wie der unentdeckteReichtum der Pflanzen lässt sich nichtnur in wirtschaftlichen Kategorienbeschreiben und bewerten.

Das Ziel, den Verlust der Arten-vielfalt zu verlangsamen, brauchtglobale Rahmenbedingungen. Dergrundsätzliche Konflikt spielt sichnicht zwischen Wirtschaft und Natur,sondern zwischen Mensch und Naturab, wächst doch mit der Zunahmeder Weltbevölkerung auch die Nach-frage nach Siedlungs-, Verkehrs- undlandwirtschaftlich genutzten Flächen.Dennoch tragen Partnerschaftenzwischen Unternehmen und Organi-sationen, die sich dem Schutz derbiologischen Vielfalt widmen, dazubei, Verständnis füreinander zuschaffen und effiziente Beiträge zumErhalt dieser Vielfalt zu leisten. |||

Page 21: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

19Biologische Vielfalt ausblicke 1|09

„Seltene Nutztierrassen“Österreich verfügt nicht nur über eine sehr vielfältigeKultur- und Naturlandschaft, sondern auch über eineVielzahl von Nutztierrassen. Durch die jahrhunderte-lange züchterische Selektion und Anpassung anunterschiedliche Nutzungs- und Haltungsbedingun-gen ist eine große Vielfalt spezialisierter Rassen mitunterschiedlichsten Nutzungsmöglichkeiten entstan-den. Durch die Forcierung hochspezialisierter Leis-tungsrassen ist diese Rassenvielfalt drastisch zurück-gegangen.

Trotz intensiver Bemühungen auf nationalerEbene durch die Einrichtung von Förderprogrammensowie Forschungs- und Generhaltungsprogrammenweisen zahlreiche seltene Nutztierrassen in Öster-reich noch kritische Bestandsgrößen auf. Immerhin21 von 41 heimischen Rassen gelten in Österreichoffiziell als hochgefährdet. Für einige Arten wie Hund,Esel, Bienen und alle Geflügelrassen gibt es keineErhaltungs- und Förderprogramme der öffentlichenHand.

Bei LandwirtInnen ist das Wissen über dieseRassenvielfalt sowie deren spezielle Nutzungs- undEinsatzmöglichkeiten wenig verbreitet. Defizite be-stehen auch im Bereich des Wissensstandes beiSchlüsselkräften und MultiplikatorInnen. Generellsind die Bedeutung und der kulturelle Wert der biolo-gischen Vielfalt der Nutztiere in der breiten Öffent-lichkeit wenig verankert. Vermarktungspotenziale undEinsatzmöglichkeiten der seltenen Nutztierrassen fürderen wirtschaftliche Absicherung werden häufignicht erkannt oder nur zögerlich in Angriff genommen.Vor diesem Hintergrund wurde 2008 auf Initiative desVereins zur Erhaltung seltener Nutztierrassen ARCHEAustria eine Bildungsoffensive gestartet.

ProjektzieleZiel des Bildungsprojekts ist die Akzeptanzsteigerungder Maßnahme „Seltene Nutztierrassen“ im Rahmendes Österreichischen Programms zur Förderung einerumweltgerechten, extensiven und den natürlichenLebensraum schützenden Landwirtschaft (ÖPUL) bei

LandwirtInnen, um die Bestände innerhalb der Pro-grammperiode vor allem bei hochgefährdeten Rassenzu stabilisieren und abzusichern. Parallel soll durchInformations- und Bildungsmaßnahmen das Thema„Seltene Nutztierrassen“ offensiv transportiert wer-den. LandwirtInnen und MultiplikatorInnen im Bera-ter- und Schulungswesen sollen zu dem Thema qua-lifiziert und weitergebildet werden. BegleitendeAktionen zum Thema Vermarktung und Inwertsetzungseltener Nutztierrassen sollen zu deren wirtschaft-licher Absicherung und Etablierung in den ursprüng-lichen Verbreitungsgebieten beitragen.

Wissensmanagement undQualifizierungNeben den klassischen Instrumenten der Wissens-vermittlung wie Informationsbroschüren und Hand-büchern werden in der Projektumsetzung gezielt„moderne Medien“ eingesetzt. Herzstücke der Wis-sensvermittlung sind die Plattform „Archepedia“nach dem Vorbild des Internetlexikons Wikipedia(www.archepedia.at) sowie ein Internetforum.

„Netzwerk Weideprojekte“ undProduktvermarktungIm Frühsommer und Herbst 2010 finden zwei Fachta-gungen zum Thema „Seltene Nutztierrassen“ statt.Unter dem Titel „Netzwerk Weideprojekte“ werdenauf der ersten Tagung beispielhafte Beweidungspro-jekte mit seltenen Nutztierrassen im Rahmen vonNaturschutz- und Landschaftspflegeprojekten behan-delt. Die zweite Fachtagung widmet sich der Produkt-vermarktung. Durch den Erfahrungsaustausch unddie Vernetzung von Multiplikatoren sollen Projekteinitiiert und bestehende Aktivitäten qualitativ verbes-sert werden. So bleibt zu hoffen, dass auch noch dienächsten Generationen diese Vielfalt genießen underleben können. |||

Günter Jaritz, Obmann Arche Austria

www.arche-austria.at

Das Bildungsprojekt

Das Alpine Steinschafmit einem Gesamtbestandvon nur 360 Tieren ist2009 „Gefährdete Nutz-tierrasse des Jahres“.

Page 22: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Gesellschaftliche Vielfalt20

Gesellschaftliche VielfaltEine endogene Ressource

Glaubt man dem schwedischen Innovationsexperten Kaj Mickos, kommt es in der ländlichenEntwicklung auf eine Ressource ganz besonders an, nämlich auf die Menschen, die in einerRegion leben. In der Entwicklung von Regionen geht es daher immer auch darum, Frauen,Männer, Jugendliche, ältere Menschen, MigrantInnen, kritische und kreative BürgerInnen mitihren unterschiedlichen Interessen zu beteiligen und in ihrer persönlichen Entwicklung zufördern. Fragt sich nur, ob die derzeitige Praxis der ländlichen Entwicklung die gesellschaft-liche Vielfalt von Regionen ausreichend berücksichtigt und als Ressource nutzt. Luis Fidlschuster

„Ich habe den Eindruck, du bist am Land gezwungen,ein relativ normiertes Leben zu führen. Da fehlt es oftan sozialem Spielraum, an Unterstützung und Wert-schätzung, wenn man spezifische Interessen abseitsdes Mainstreams verfolgt. Dieser Mangel an sozialemSpielraum ist ein Defizit, das maßgeblich dazu bei-trägt, dass Menschen nicht nur abwandern, sondernauch die Beziehung zu ihrer Herkunftsregion irgend-wann aufgeben.“ Dieses Zitat stammt aus einem In-terview mit der aus Unterkärnten abgewandertenKünstlerin Ines Doujak. Vielfalt in unterschiedlichenAusprägungen ist ein zentrales Thema ihrer künstle-rischen Arbeit. So setzt sie sich u. a. mit der Rolle vonStereotypen im Bereich Geschlechterrollen und Ras-sismus auseinander. An der „documenta 12“ nahm siemit einer Installation („Siegesgärten“) über die Priva-tisierung genetischer Vielfalt durch Missbrauch desPatentschutzes auf Lebewesen und Saatgut teil.

Anders formuliert, aber in eine ähnliche Richtung wiedie Künstlerin Doujak, argumentiert der Regionalfor-scher Paul Cloke im „Handbook of Rural Studies“ ineinem Beitrag mit dem Titel „Rurality and otherness“.Zitat: „Die Bindung der Menschen an ländliche Regio-nen hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, ver-schiedene Bevölkerungs- und Altersgruppen zu inte-grieren und sozialen Ausschluss zu verhindern.“ UndMark Shucksmith stellt in seinem Buch „ExclusiveCountryside? Social Inclusion and Regeneration inRural Areas“ fest: „Auf die veränderten sozialenBeziehungen und Ansprüche verschiedener Bevölke-rungsgruppen wird nur unzureichend eingegangen.Fragen der umfassenden Beteiligung sind in ländli-chen Gebieten von hoher Relevanz. Sozialer Aus-schluss kann gerade bei einer vermeintlich übersicht-lichen kleinräumigen Struktur massiv ausgebildetsein.“

Foto:FestivalderRegionen,NorbertArtner

Page 23: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Gesellschaftliche Vielfalt ausblicke 1|09 21

Der subjektiv-politische Blick der Künstlerin und dieAnalyse der Regionalwissenschafter verleiten zueiner Annahme: Es ist nicht nur die oft prekäreArbeitsmarktsituation, die zur Abwanderung – insbe-sondere von jungen qualifizierten Frauen – aus länd-lichen Gebieten führt. Auch ein zu geringer „sozialerSpielraum“ kann entscheidend dazu beitragen.

Soziale Spielräume fördern InnovationDer soziale Spielraum in einer Organisation oderRegion bestimmt sich über das Ausmaß, in dem derenAkteurInnen – die MitarbeiterInnen und BürgerInnen– ihre Talente und Interessen entfalten und in die Ent-wicklung einbringen können. Soziale Spielräume ent-stehen durchWertschätzung, Förderung und Nutzungder Vielfalt. In Regionen mit hoch entwickelten sozia-len Spielräumen wird Anderssein als Ressource undnicht als Bedrohung gesehen. Dadurch können neueSichtweisen, vielfältige Erfahrungen, interessantesKnow-how und neues Potenzial für die Entwicklungerschlossen und genutzt werden.

Die positive Nutzung, die konstruktive Integra-tion von Vielfalt oder Diversity bezeichnet der Beraterund Sozialforscher Heinz Metzen als Grundbedingungfür eine höhere Selbstentfaltung. In vielen – vor alleminternational agierenden – Unternehmen wird dieSelbstentfaltung der MitarbeiterInnen seit Jahrendurch professionelles Diversity Management geför-dert. In seiner operationalen Ausrichtung zielt Diver-sity Management auf eine erhöhte Problemlösungs-fähigkeit heterogener Gruppen. Ziel ist, die „Kraft derVielfalt“ für Wachstum, Weiterentwicklung und Inno-vation zu nutzen. Scott E. Page von der UniversitätMichigan beschreibt den Zusammenhang von Inno-vation und Diversity mit „Diversity powers innova-tion“ und „Innovation requires thinking differently“.Und auch die Netzwerkanalyse kommt zu einem ähn-lichen Ergebnis: Heterogen zusammengesetzte Netz-werke gelten als stabiler, kreativer, innovativer undleistungsfähiger. Die Herausforderung bei der Reali-sierung dieser positiven Wirkungen von heterogenenNetzwerken ist ein professionelles Management vonUnbalance und Spannungen.

„Wir sind so – und nicht anders“Schafft die aktuelle ländliche und regionale Entwick-lungspolitik jene sozialen Spielräume, die eine nach-

haltige Nutzung der Vielfalt ermöglichen? Die Antwortlautet wahrscheinlich: nicht immer und nicht überall– und insgesamt sicher noch viel zu wenig. Frauen,Jugendliche, MigrantInnen und die viel zitierten Quer-denkerInnen abseits des Mainstreams und Establish-ments sind in Projekten, in den Vorständen regionalerEntwicklungsorganisationen und in anderen entwick-lungsrelevanten Organisationen unterrepräsentiert,weil sie nicht wirklich als „Potenzial“ und außerhalbnormierter Rollen wahrgenommen werden. Zudemkönnten die fortschreitende Institutionalisierung undSpezialisierung von regionalen Entwicklungsorgani-sationen negative Auswirkungen auf deren ursprüng-lich offenen, netzwerkartigen Charakter und damit aufdie Beteiligung und die produktive Nutzung von Viel-falt haben. Und: Die einseitige Betonung der wirt-schaftlichen Effizienz in der Entwicklungsarbeit kanndazu beitragen, dass nur ein kleiner Personenkreiseingebunden wird und kreatives Potenzial ungenutztbleibt. Einen negativen Effekt auf die gesellschaftlicheVielfalt hat auch die Tatsache, dass die rasche undsichere Ausschöpfung von EU-Fördermitteln immermehr zu einem Leitmotiv von Förderstellen wird. DieseHandlungslogik führt dazu, dass innovative Pilotpro-jekte und Experimentierfelder in regionalen Förder-programmen kaum noch Platz finden. Beschränkendwirkt in diesem Zusammenhang auch eine mitunter zubeobachtende Verpolitisierung von Entwicklungs-

Vielfalt durch Jugendbeteiligung:In der Leader-Region Eferdinggestalteten Jugendliche in neunGemeinden ihre Lieblingsplätze.

Page 24: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

organisationen auf regionaler und Landesebene. Zueiner Exklusion sozialer Gruppen bzw. zur Einengungder sozialen Spielräume kann aber auch die Überbe-tonung regionaler Identität führen, die (zu) stark aufTradition und regionalen Besonderheiten basiert undregionsunabhängige, zeitgenössische (globale) Werteweitgehend ausblendet. Denn Identität, besonderswenn sie sehr eng gefasst ist, bedeutet ja nichts an-deres als: Wir sind so – und nicht anders! Fazit: Wernicht so ist wie „wir“, passt nicht wirklich ins Bild, essei denn, sie/er passt sich an und verabschiedet sichvom Anderssein. In letzter Konsequenz kann all dieszu einer Beschränkung der regionalen Handlungsfä-higkeit und der regionalen Entwicklungsperspektivenführen, die, so eine Empfehlung des Projektes „Zu-kunft in den Alpen“ (CIPRA 2005–2008), nur dann er-weitert werden können, „wenn die regionale Gesell-schaft und Wirtschaft verschiedenartig genug sind,um Individuen die Entwicklung eines breiten Spek-trums (gesellschaftlicher und wirtschaftlicher) Rollenund Vorgangsweisen zu erlauben“.

Einfach zum NachdenkenEine Grundvoraussetzung für die Förderung und Nut-zung der gesellschaftlichen Vielfalt ist „respektvollesDenken“. Der Intelligenzforscher Howard Gardnerbezeichnet respektvolles Denken als eine der „fünf

Intelligenzen des 21. Jahrhunderts“ und meint damitFolgendes: Respekt und Achtung beruhen auf derErkenntnis, dass niemand für sich oder nur innerhalbseines „Stammes“ leben kann, sondern dass die Weltaus Menschen besteht, die anders aussehen, andersdenken, anders fühlen und unterschiedliche, aberprinzipiell gleichwertige Freuden erleben oder Zieleverfolgen. Dies zu akzeptieren ist laut Gardner dererste entscheidende Schritt für ein konstruktives Mit-einander (vgl. „Psychologie heute“, Juli 2009). Für dasFunktionieren heterogener Netzwerke – und das soll-ten regionale Entwicklungssysteme im Idealfall sein –spielen aber noch drei weitere Faktoren eine wesent-liche Rolle: Humus und Erfolgsfaktor Nr. 1 für frucht-bare Beziehungen in Netzwerken ist das Vertrauenzwischen den AkteurInnen. Eine kritische Reflexion,ob das eigene Handeln vertrauensbildend ist oderVertrauen zerstört, gehört daher zum Einmaleins derZusammenarbeit in vielfältigen Netzwerkstrukturen.Die Kooperation unterschiedlicher Interessengruppenerfordert aber auch ein gewisses Maß an Großzügig-keit. Das heißt konkret: Man muss „den anderen“auch etwas vergönnen und bewusst Leistungen ein-bringen, von denen die PartnerInnen profitieren. Kurz-fristige egoistische Nutzenerwartungen und das per-manente Verteidigen der eigenen Pfründe sind Gift fürdas Zusammenarbeiten in heterogenen Gruppen. Derdritte Erfolgsfaktor für eine produktive Nutzung dergesellschaftlichen Vielfalt ist die Neugierde. Men-schen, die sich für die Anliegen und Probleme, dasWissen und die Erfahrungen anderer interessieren,die offen sind für neue Beziehungen, erschließen sichneue, alternative Entwicklungswege und erhöhendamit ihre Wahlmöglichkeiten. Die „Glücksforschung“kommt in diesem Zusammenhang zu folgendemSchluss: „Neugierige Menschen sind glücklichereMenschen.“ Auf die ländliche Entwicklung übertra-gen könnte man auch sagen: Neugierige Regionensind glücklichere Regionen. Diese Neugierde unddamit die gesellschaftliche Vielfalt in ländlichenRegionen zu fördern wäre eine lohnende Aufgabe füreine innovative ländliche Entwicklungspolitik. |||

Luis Fidlschuster, ÖAR-Regionalberatung

Grundlage dieses Beitrags: T. Dax, E. Favry, L. Fidlschuster et al.,Neue Handlungsmöglichkeiten für periphere ländliche Räume,ÖROK, 2009.

ausblicke 1|09 Gesellschaftliche Vielfalt22

Vielfalt fördert Kreativiät,Innovation und Wachstum.

Page 25: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Gerade der ländliche Raum kann gute Voraussetzun-gen für eine erfolgreiche Integration von Zuwande-rInnen bieten. Hier spielt sich die sozial-kulturelleAuseinandersetzung von Einheimischen mit Zugezo-genen – im Unterschied zur Großstadt – nicht in von-einander getrennten Räumen ab. In den sozialen undkulturellen Einrichtungen der Gemeinden wie Kinder-gärten, Schulen oder Vereinen ergibt sich eine Durch-mischung der Bevölkerung, die kommunalen Verwal-tungsstrukturen sind überschaubarer, kleinräumigeEntscheidungsstrukturen erleichtern die soziale Ein-bindung der Bevölkerung, und es bieten sich leichterMöglichkeiten zur Bildung von Wohneigentum.

Es können jedoch langlebig tradierte Strukturenund eine auch ausgrenzend wirkende soziale Kon-trolle Integrationsbarrieren darstellen. Die Eingliede-rung neuer MitbürgerInnen setzt einen erheblichenGestaltungswillen der Alteingesessenen voraus.

Integration braucht StrategieDie verschiedenen Aktivitäten, die das interkulturelleZusammenleben stärken oder fördern, werden häufigvom ehrenamtlichen Engagement einzelner Men-schen getragen. Die vorhandenen individuellen Struk-turen und Vereinszusammenhänge allein werdendiese Aufgabe auch im ländlichen Raum jedoch nichtbewältigen können. Viele Gemeinden zeigen großesInteresse an integrationsfördernden Maßnahmen.Oft besteht aus nachvollziehbaren Gründen allerdingsder Wunsch nach überschaubaren Schritten, dierasch Erfolge in Bezug auf aktuelle Problemfelder er-kennen lassen. Langfristige und nachhaltige Entwick-lungsstrategien im Bereich der kommunalen Integra-tionsarbeit bleiben dabei auf der Strecke.

Um Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich Inte-gration stärker bewusst zu machen und als eine

wesentliche Schiene zur Verbesserung der Lebensqualität in denGemeinden zu erkennen, bedarf es neben positiver Impulse derPolitik auch einer professionellen Unterstützung der kommunalenEntscheidungsträgerInnen.

In den letzen Jahren sind zahlreiche Leitbilder auf Landes- undkommunaler Ebene erstellt worden, die sich inhaltlich an der sozio-ökonomischen Dimension (z. B. Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnen), derrechtlich-politischen Dimension (z. B. Aufenthalt, Staatsbürger-schaft, Wahlrecht), der kulturellen Dimension (z. B. Sprache, Iden-tifikation) und an der Haltung des Aufnahmelandes, der Region undder Gemeinde gegenüber Zugewanderten orientieren. Die Heraus-forderung für VerantwortungsträgerInnen in Gemeinden bestehtdarin, Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen zu analysie-ren, die eigene Situation und Gestaltungsspielräume auf kommuna-ler Ebene zu erkennen, Zukunftsbilder zu entwickeln und Entschei-dungen zu treffen, die in der Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen.

„Szenario i“Ein aktuelles Beispiel der Unterstützung kommunaler Integrations-bemühungen stellt das vom Europäischen Integrationsfonds sowievom Innenministerium geförderte Projekt „Szenario i – Beratungs-angebot zur Szenarienentwicklung in der kommunalen Integrati-onspolitik“ dar, das vom Interkulturellen Zentrum mit der ÖAR-Regionalberatung, dem Institut für Konfliktforschung und derDonau-Universität Krems als Projektpartnern umgesetzt wird. Zen-trales Element dieses Beratungsansatzes ist es, den Denkraum zwi-schen Problemerkennung und Lösungsansatz zu öffnen, um schließ-lich – angereichert mit Faktenwissen, neuen Handlungsoptionen –zu einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie zu gelangen.

Ein wirklicher Erfolg der Bemühungen auf allen Ebenen derRegional- und Gemeindepolitik wäre aus meiner Sicht dann erreicht,wenn die Gemeinden langfristig nicht mehr von Integration vonMigrantInnen sprechen, sondern sich als erfolgreiche AkteurInneneiner Migrationsgesellschaft verstehen. |||

Franjo Steiner, Interkulturelles Zentrum

Gesellschaftliche Vielfalt ausblicke 1|09 23

Aktive Integrationspolitikim ländlichen Raum

Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund hat in den letzten Jahren auch in vielenGemeinden und Bezirksstädten im ländlichen Raum deutlich zugenommen. Eine gestaltendeIntegrationspolitik wird daher immer mehr auch zu einem Thema der ländlichen Entwicklung.

Page 26: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

In Österreich besteht mittlerweile ein breiter gesell-schaftlicher Konsens, die Gleichstellung von Frauenund Männern erreichen zu wollen. Deren Verwirkli-chung ist allerdings regional unterschiedlich weit fort-geschritten. Neben den sogenannten harten Faktorenwie der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit oderdem Arbeitsplatzangebot sind es vor allem die sozia-len Gegebenheiten wie Infrastruktur, ein offenes odergeschlossenes gesellschaftliches Klima oder das Kul-turangebot, welche die Attraktivität von ländlichenRegionen für Frauen und Männer bestimmen. Die per-sönliche Entfaltung von Frauen ist eng mit der Mög-lichkeit verknüpft, eine gute Ausbildung zu absolvie-ren und ein eigenständiges Einkommen zu erwirt-schaften. In vielen ländlichen Regionen ist dasArbeitsplatzspektrum für qualifizierte Frauen sehr ein-geschränkt, und die Versorgung mit ganztägigen Be-treuungseinrichtungen für Kinder ist in nur geringemUmfang gegeben. Daher wandern gut qualifizierteFrauen eher in die Zentralräume ab und kehren nachder Ausbildung nicht mehr in ihre Ursprungsregionzurück. Um diesen Braindrain aufzuhalten und dasPotenzial der Frauen für die regionale Entwicklung zunutzen, sind bei den politischen und administrativenAkteurInnen unmittelbare Maßnahmen einzufordern.

Das Problembewusstsein, die Sensibilität unddie politische Offenheit für Geschlechterfragen sindallerdings bei regionalen und lokalen Entscheidungs-trägern noch nicht sehr ausgeprägt. Dies sind jedochVoraussetzungen, um die sich immer rascher vollzie-henden gesellschaftlichen Veränderungen wahrzu-nehmen und sie im regionalen Kontext aktiv mitzuge-stalten. Darüber hinaus ist die Präsenz von Frauen in

der politischen Öffentlichkeit in ländlichen Regionen extrem niedrig(3,4 Prozent Bürgermeisterinnen), obwohl ihnen eine hohe Kompe-tenz für das „Lokale“ zugesprochen wird. Auch in wichtigen Sekto-ren wie der Landwirtschaft ist die Entscheidungsmacht überwie-gend in Männerhand. So sind alle Präsidenten der Landwirt-schaftskammern Männer, und in den Vollversammlungen sind nurknapp 15 Prozent der Delegierten weiblich. Dasselbe Bild zeigt sichim Bereich der Sektorsolidarität (Raiffeisen, SV der Bauern) und inder politischen Vertretung der Bäuerinnen und Bauern. Eine Folgedavon ist, dass der Diskurs über agrarische Politik, landwirtschaft-liche Produktion und ländliche Entwicklungspolitik durchwegs ausmännlicher Sicht bestimmt wird. Die mangelnde politische Präsenzvon Frauen in den Gemeinden setzt sich natürlich auch auf regio-naler Ebene, etwa in den Lokalen Aktionsgruppen (LAGs) von Leader,fort. Hier gibt es auch in der aktuellen Förderperiode aufgrund derBeschickung der LAG-Vorstände mehrheitlich mit Bürgermeisternkaum nennenswerte Änderungen in Hinblick auf die Männerdomi-nanz in den Vorstandsgremien. Für die Projektauswahlgremien inden LAGs wurde eine Frauenquote von 33 Prozent eingefordert, dieim Österreichschnitt auch erreicht wurde, jedoch durchaus starkvariierte (7 bis 55 Prozent); vor allem von den neuen LAGs der För-derperiode 2007–2013 wurde die geforderte Quote erfüllt.

Angesichts der noch immer bestehenden Benachteiligung vonFrauen am Land ist es unabdingbar, in den gut dotierten Program-men zur ländlichen Entwicklung klare Akzente (finanzielle Ressour-cen) zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse vonFrauen zu setzen. Weitere wichtige Schritte sind eine gleichbe-rechtigte Teilhabe von Frauen auf allen Entscheidungsebenen, eineUmverteilung von Erwerbs-, Familien- und ehrenamtlicher Arbeitzwischen Frauen und Männern sowie ein lebendiger Dialog undeine neue Konfliktkultur zwischen allen Beteiligten. |||

Theresia Oedl-Wieser, Bundesanstalt für Bergbauernfragen in Wien

ausblicke 1|09 Gesellschaftliche Vielfalt24

Gleichstellung von Frauenund Männern am Land

Wenn Chancengleichheit inländlichen Gebieten verwirklichtwerden soll, müssen klareAkzente für die Verbesserung derLebens- und Arbeitsbedingungenvon Frauen gesetzt werden.

Page 27: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Trotz des großen medialen und wissenschaftlichenInteresses an der juvenilen Lebensphase ist dasThema „Jugend im ländlichen Raum“ bisher weitge-hend unbeleuchtet geblieben. Seit den 1990er-Jahrenöffnet das Bundesland Salzburg mit seinen „Bezirks-jugendstudien“ den Blick auf die Lebenssituation derländlichen Jugend – eine komplexe und heterogeneGruppe mit vielen ungenutzten Möglichkeiten für dieRegionalentwicklung.

Bei oberflächlicher Betrachtung ließe sich ver-muten, dass Jugendliche in Stadt und Land dieselbenProbleme und Herausforderungen zu bewältigenhaben. In der Tat lassen sich auch zahlreiche Über-schneidungen feststellen, zumal die Grenzen zwi-schen Stadt und Land mehr und mehr verschwimmen.Die schlechteren Voraussetzungen am Land werdenaber deutlich, vergegenwärtigt man sich etwa dasgeringere Angebot an Lehrstellen und Arbeitsplätzen,die sich auf wenige Branchen konzentrieren, in Ver-bindung mit oft langen und beschwerlichen Anfahrts-wegen. Auch das Netz der Beratungseinrichtungen istzumeist dünner als in der Stadt. Trotzdem zeigen vieleregional oder kommunal durchgeführte Jugendbefra-gungen eine hohe Zufriedenheit und Verbundenheitder Jungendlichen mit ihrer Gemeinde oder Regionund eine Wertschätzung der gegebenen Lebensqua-lität. Vor allem der Erholungswert der vielfältigenLandschaft, die Möglichkeiten der Unterstützungdurch soziale Netzwerke (Freunde, Verwandte) oderdie Geborgenheit einer „gefühlten“ und funktionie-renden Dorfgemeinschaft werden hervorgehoben.

Milieu für Projekte und Ideen schaffenFreizeit und die damit verbundenen Aktivitäten neh-men im Leben der Jugendlichen einen zentralen Stel-lenwert ein. Oftmals wird es ihnen aber erschwert,Räume zu finden, die sie sich für ihre Aktivitäten an-eignen können. Besonders am Land entstehen beimBedürfnis nach Treffpunkten nicht selten Konflikte.

Als Folge werden Skateparks, Sportanlagen und Jugendtreffs in diePeripherie verbannt. Aus meiner Sicht erstrebenswert wäre, in jederGemeinde eine funktionierende (betreute) Treffpunktstruktur zu eta-blieren, die ein kreatives Milieu für Ideen und Projekte bietet. DieBasis für die Verwirklichung dieses Ziels ist eine Art gesellschaftli-cher Grundkonsens, Jugendliche an den Prozessen einer integrier-ten ländlichen Entwicklung zu beteiligen, der u. a. auch in den Leit-linien für Leader und die Lokale Agenda 21 zum Ausdruck kommt.Die kommunale und regionale Ebene eignet sich dafür besonders,da dort die Lebenswelt der Jugendlichen direkt berührt wird und dieResultate ihrer Beteiligung unmittelbar sichtbar werden.

Aufholbedarf in der JugendbeteiligungDas Ausmaß dieser Partizipation ist in einigen Gemeinden, Regio-nen und Einrichtungen sicherlich schon sehr weit fortgeschritten,in Summe lässt sich allerdings noch vielerorts Aufholbedarf erken-nen, sei es in der Etablierung eines funktionierenden Austauschs(in Form von Jugendgesprächen, Befragungen etc.) zwischenGemeinde-/Regionalpolitikern und Jugendlichen, der aktiven Infor-mationsarbeit der EntscheidungsträgerInnen, der Sicherstellungvon Beratungseinrichtungen oder der kontinuierlichen Verbesse-rung der Infrastruktur (v. a. der öffentlichen Verkehrsmittel).

Um Gemeinden in ihren Bemühungen zur Beteiligung Jugend-licher zu unterstützen, hat die „ARGE Partizipation Österreich“ einenspeziellen Leitfaden erarbeitet, dem auch viele Erfahrungen ausSalzburg zugrunde liegen. Der Leitfaden bietet eine flexible Praxis-anleitung für kommunale Strukturen zur Verankerung nachhaltigerBeteiligung. Download und weitere Informationen zum Thema unterwww.akzente.net/Fachtagung-Leitfaden-Partizipation. 2109.0.html.

Zusammenfassend kann ich nach jahrelanger Beobachtungund Begleitung der Jugendarbeit im ländlichen Raum festhalten,dass Jugendliche mit Sicherheit Kreativität einbringen, Mitarbeitleisten und Verantwortung in den Regionen und Gemeinden über-nehmen können. Es liegt an den EntscheidungsträgerInnen, diesesPotenzial zu nutzen und zu fördern, um es den Jugendlichen zuermöglichen, ihren Lebensraum verstärkt mitzugestalten. |||

Rainer Schramayr, Akzente Tennengau,

www.akzente.net und www.jugendinaktion.at

25

Das Potenzial der Jugendim ländlichen Raum

Gesellschaftliche Vielfalt ausblicke 1|09

Page 28: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Gesellschaftliche Vielfalt,eine Chance für dieländliche Entwicklung?Frauen, Jugendliche, innovative und kritischePersonen abseits etablierter Organisationen,MigrantInnen und ältere Menschen sind wich-tige Ressourcen und Zielgruppen ländlicherEntwicklung. Welche Rolle spielt die gesell-schaftliche Vielfalt in der Leader-Arbeit?

Das Repertoire anLösungen erweitern.Gesellschaftliche Vielfaltbirgt die Chance, unter-

schiedliche Sicht- und Herangehens-weisen jenseits gewohnter Denk-muster in die regionale Entwicklungzu integrieren. Sie stärkt den sozialenZusammenhalt und erweitert dasRepertoire an Problemlösungen, wasvor allem in Zeiten des Umbruchsund der Neuorientierung sehr hilf-reich ist. Vorarlberger Leader-Projekte wie das Kräuterprojekt„Alchemilla“, „Engagement“, „JungeKlostertalerInnen“ oder „bewusst.montafon“ fördern das Engagementvon Frauen, vernetzen Jugendlicheund beteiligen sie an regional bedeut-samen Entwicklungen. Gemessenan der Gesamtzahl der Projekte sinddiese Themen jedoch unterrepräsen-tiert. Es bedarf noch großer Überzeu-gungsarbeit, damit gesellschaftlicheVielfalt ebenso geschätzt wird wielandschaftliche Vielfalt.Bernhard Maier, Leader-Manager

Regionalentwicklung Vorarlberg

VerschiedenartigeMenschen integrieren.Gesellschaftliche Vielfaltist ein Leader-Thema,

denn auch ländliche Gebiete sindlängst nicht mehr vollständig homo-gen. In unserer Arbeit wird dasWesen der Vielfalt, das Neben-einander von Lebensstilen, sozialenCharakteristika, Einstellungen undAnsichten greifbar. In Mostviertel-Mitte ist uns bewusst, dass der

Umgang damit eine wichtige Auf-gabe und Chance ist. So haben wirz. B. bereits ein örtliches Gender-projekt umgesetzt, und wir versu-chen in Projekten wie „LernendeRegion“ möglichst viele verschieden-artige Menschen in die Leader-Arbeitzu integrieren. Zurzeit werdenmögliche Diversity-Management-Strategien überlegt.Anja Gamsjäger, Leader-Managerin

Mostviertel-Mitte

Die Grenzen der Einseitig-keit. Monokulturelle Ent-scheidungen und Entwick-lungen bringen kurzfristige,

einseitige Erfolge – bis sie an ihreGrenzen stoßen und Stoff für Weiter-entwicklung und Veränderung liefern.In einer Zeit der globalen Standardisie-rungswut und vor dem Hintergrundwirtschaftlicher Sackgassen gewinntdie Wahrnehmung von Vielfalt, Ambi-valenz und Vermischung wieder mehrBedeutung. Ich sehe dies als Chance,etablierte Strukturen durch Beteili-gungsprozesse zu bereichern und einevon Fairness und Gerechtigkeit, aberauch von ökonomischer Sicherheitgeprägte Zukunft zu gestalten.Heidi Drucker, Leader-Managerin

„mittelburgenland plus“

Neue Ressourcen und Chancen. DieMär vom globalen Dorf ist Wirklichkeitgeworden. Die rumänische Frau desBäckers hat in ihrem Heimatland mit

Auszeichnung maturiert; die thailändische Freundindes IT-Fachmanns hat in Bangkok Mode und Designstudiert. Längst sind dies nicht mehr nur Kennzei-chen von städtischen Regionen. Auch im sogenann-ten ländlichen Raum hat die Internationalisierungder Gesellschaft längst Einzug gehalten. Neue Tech-nologien und neue Formen der Mobilität habenräumliche Distanzen global schrumpfen lassen.Integration und Nutzen von gesellschaftlicher Viel-falt sind wesentliche Chancen auch für die Entwick-lung von ländlichen Regionen.Klaus Diendorfer, Leader-Manager Donau-Böhmerwald

ausblicke 1|09 Gesellschaftliche Vielfalt26

Page 29: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Vielfalt von AkteurInnenund Perspektiven. DieÖsterreichische Raumord-nungskonferenz wagt in

ihrem aktuellen Bericht zur demografi-schen Entwicklung eine ernüchterndePrognose: Der Großraum Wien undeingeschränkt die Städte Linz, Grazund Innsbruck werden zu den Gewin-nern zählen. Und die Verlierer? Gebur-tenrückgänge und Abwanderungführen zu einer schleichenden Aus-dünnung des ländlichen Raums.Diesen Trend umzukehren muss dieMission jeder Lokalen Aktionsgruppe

Wir sind Tiroler. Unsere Region präsentiert sich beinäherer Betrachtung als ein Schmelztiegel unter-schiedlicher Nationalitäten. Rund 60 verschiedeneNationalitäten leben hier mit all ihren Eigen- und

Besonderheiten. Neben einer Vielzahl von Sprachen treffen vorallem verschiedene Bräuche, Kulturen, Temperamente und auchReligionen aufeinander. All diese Aspekte werden in dem Projekt„Wir sind Tiroler“ aufgezeigt: vor allem durch Porträts von Fami-lien und Einzelpersonen – fotografisch und in Form von Texten(„Geo“-Reportagen, Bildband). Das Projekt will den Facetten-reichtum der Nationalitäten erfassen und stellt eine gänzlichneue Form der Integration dar: „Nur was man kennt, kann manverstehen, und nur was man versteht, kann man akzeptierenund respektieren.“Barbara Loferer, Leader-Managerin Hohe Salve

und Mittleres Unterinntal Tirol

sein. Der ländliche Raum hätte hierfüreiniges zu bieten. Das Ziel einer Trend-umkehr werden wir nicht nur aufneuen Wander- und Radwegen errei-chen. Ländliche Entwicklung brauchteinen breiten Möglichkeitsraum undeinen integrierenden Handlungsraum.Die Vielfalt von AkteurInnen undPerspektiven ist dabei unsere wich-tigste Ressource. Wenn nur jene überdie Zukunft des ländlichen Raums ent-scheiden, die für den Stillstand verant-wortlich waren, haben wir verloren.Günter Salchner, Leader-Manager

Außerfern

Das kleine Einmaleinskommt vor dem großen.Hoch sind sie, unsereVorstellungen von gesell-

schaftlicher Vielfalt: Wir wollenZuwandererInnen integrieren, alleMenschen gleichstellen, Frauen zurMitarbeit gewinnen, usw. Ja, ich bindafür – wenn wir damit umgehenkönnen. Dieses Umgehenkönnen mitdem „anderen“, mit anders Denken-den, anders Gläubigen, erfordertKompetenz und Haltung. Beides zeigtsich in Projektbesprechungen, Vor-standssitzungen, Wahlreden usw. –nicht erst in Diversity-Projekten. Wirsollten das kleine Einmaleins üben.Hans Rupp, Obmann der Leader-Region

Römerland Carnuntum, Geschäftsführer

des Bildungs- und Heimatwerks NÖ

Innovation durch Vielfalt.Aus meiner Sicht liegtin der Aktivierung derregionalen Vielfalt –

in den Bereichen Wirtschaft, Natur,Nationalitäten, Sprachen, Bildung,Geschlechter, Generationen,Religionen – eine große Chance.Die Schwierigkeit ist ihre Nutzbarma-chung. Nur durch aktives Aufeinander-zugehen und ständige Gespräche mitden Menschen in der Region kannes gelingen, vorhandene Hemm-schwellen zu überwinden und dasBewusstsein für diesen Mehrwert zuschaffen. So können neue Ideen undSichtweisen in die Regionalentwick-lung einfließen und Innovationenentstehen. Und eine langfristigepositive und ganzheitliche Weiter-entwicklung ist nur dann möglich,wenn sich die regionale Vielfaltin den Projekten und Aktivitätenwiderspiegelt.Ursula Feist, Regionalmanagerin

Nockregion

Vielfalt ist Zukunft. Innovative Ideenund kreative Köpfe sind das Salz inder Suppe der Regionalentwicklung.Ganze Regionen können davon nach-

haltig profitieren. In unserer Region hat beispiels-weise eine Frau einen Prozess ausgelöst, der nunviele Menschen (Entscheidungsträger, Funktionäre,Vertreter von Kammern und Verbänden, aber auchengagierte Personen der Zivilgesellschaft) dazubewegt, einen neuen Weg einzuschlagen – für denLungau als Biosphärenpark. Partizipationsprozessevon Menschen aus unterschiedlichen Lebens-welten spielen dabei eine wichtige Rolle. JeneRegionen, die aktiv soziale Vielfalt fördern, werdenprofitieren. Denn nur dort wird es möglich sein,ökonomische Sicherheit, ökologische Nachhaltig-keit und soziale Gerechtigkeit zu sichern – auchfür künftige Generationen am Land.Andrea Schindler-Perner, Regionalmanagerin für Arbeit

und Chancengleichheit, Regionalverband Lungau

Gesellschaftliche Vielfalt ausblicke 1|09 27

Page 30: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Gründe für die Spezialisierungund ihre GefahrenEin wesentliches Argument für die Zunahme der Spe-zialisierung liegt in den Skaleneffekten größerer Ein-heiten (Economies of Scale): Mit zunehmender Be-triebsgröße werden die (fixen) Kosten auf immer mehrEinheiten verteilt, wodurch die Kosten je Einheit in derRegel sinken. Besonders deutlich lässt sich dieserSachverhalt an der Arbeitszeit veranschaulichen. Füreinen Betrieb mit fünf Kühen und entsprechenderStalltechnik werden laut Deckungsbeitragskatalog200 Arbeitskraftstunden (AKh) je Kuh und Jahr veran-schlagt, bei etwa 100 Kühen reduziert sich der ent-sprechende Arbeitszeitbedarf auf unter 30 AKh.

Die Abnahme von Vielfalt durch zunehmendeSpezialisierung birgt jedoch wesentliche Gefahren insich. Die Fehlertoleranz eines Systems nimmt ab, unddie Risikoanfälligkeit steigt, weil homogenere Bedin-gungen vorherrschen. Die zunehmende Spezialisie-rung in der Landwirtschaft ginge somit mit einerReduktion und Vereinheitlichung von Produktionssys-temen und Betriebstypen einher. Eine solche Situationkönnte dazu führen, dass einige genetische Ressour-cen verschwinden und Bäuerinnen bzw. Bauernweniger als bisher zur Erhaltung von Umwelt undLandschaftsbild beitragen würden, wenn derartigeAktivitäten nicht entsprechend entlohnt werden.

Chancen und Nutzen von Vielfaltin der LandwirtschaftEine vielfältigere Betriebsorganisation kann dann zuökonomischen Synergieeffekten führen, wenn die

ausblicke 1|09 Ökonomische Vielfalt28

Vielfalt in der Landwirtschaftaus ökonomischer Perspektive

Infolge des zunehmenden globalen Wettbewerbs ist die Landwirtschaft der westlichenWelt seit Längerem von Prozessen der Spezialisierung und Konzentration der Produktiongeprägt. Da die Abnahme vielfältiger Betriebsstrukturen von vielen als Verlust gewertetwird, sollen nachfolgend mögliche Gründe für die Spezialisierung sowie Chancen für mehrVielfalt in der Landwirtschaft erörtert werden. Leopold Kirner

Kosten für die gemeinsame Betreuung zweier zusam-mengeführter Segmente niedriger sind als die für dieBetreuung voneinander isolierter. Diese als Econo-mies of Scope bezeichnete Strategie kommt in derLandwirtschaft vor allem durch Diversifizierungs-maßnahmen zum Tragen. Die Voraussetzung ist, dasssolche Segmente identische Vertriebswege nutzenkönnen, auf die gleiche Zielgruppe zugeschnitten sind

Page 31: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Ökonomische Vielfalt ausblicke 1|09 29

oder auf vergleichbaren Produktionsprozessen beru-hen. Beispielsweise können freie Arbeitskapazitätenfür Verarbeitungs-/Vermarktungszwecke eingesetztoder vorhandene Maschinen im Rahmen des Maschi-nenringes auswärts verwendet werden. Vielfalt ent-steht auch dadurch, dass nicht ausschließlich stan-dardisierte Agrarrohstoffe erzeugt und geliefert wer-den, sondern bestimmte Zusatzleistungen mit einemZusatznutzen für die Verbraucher kreiert oder für aus-gewählte Nischenmärkte produziert werden. Generellwerden Diversifizierungsstrategien vor allem von klei-neren Betrieben wahrgenommen, da Spezialisie-rungseffekte begrenzt und freie Arbeitskapazitäteneher vorhanden sind. Diese Strategien führen zueinem abwechslungsreichen Landschaftsbild und tra-gen wesentlich zur Erhaltung ländlicher Räume bei.

Vielfalt erhalten, aber wie?Welche Maßnahmen sind nun zu ergreifen, damit dieVielfalt in der (österreichischen) Landwirtschaft erhal-ten bleibt oder nicht weiter sinkt? Die Rückführungeines spezialisierten Betriebs in einen Betrieb mitgrößerer Vielfalt ist selten zu beobachten. Ein Bild aus

der Natur: Eine aus vielen verschiedenen Arten zu-sammengesetzte Glatthaferwiese ist kaum mehr alssolche wiederherzustellen, wenn sie einmal durchhäufigere Nutzung und stärkere Düngung zu einerIntensivwiese gemacht wurde.

Ein Ansatz für mehr Vielfalt in der Landwirtschaftist der Erhalt bestimmter Schutzmechanismen im Rah-men der Agrarpolitik, zum Beispiel durch Zölle oderDirektzahlungen für bestimmte Produktionsweisen.Die evolutorische Ökonomik spricht hier von der Isola-tion getrennter Populationen, um verschiedene Eigen-schaften und somit Vielfalt zu bewahren. „GetrenntePopulationen“ in der Landwirtschaft könnten unter-schiedliche Produktionssysteme oder Betriebstypensein, die durch bestimmte Vorkehrungen („Isolation“)von der Außenwelt geschützt werden und auf dieseWeise ihr Überleben sichern.

Ein weiterer Ansatz kommt aus dem Argumentder natürlichen Selektion nach Darwin und Spencer,dem zufolge der Selektionsprozess dafür sorgt, dassunangepasstes Verhalten verschwindet. Auf die hierinteressierende Frage übertragen könnte das bedeu-ten, dass kleine bäuerliche Familienbetriebe mit bei-spielsweise hohen Kosten generell aus der Produk-tion ausscheiden (müssten). Dies gilt jedoch nur ein-geschränkt, da der Selektionsdruck abnimmt, wenndie Faktoren Arbeit, Boden und Kapital sich in einemhohen Ausmaß im Eigenbesitz befinden. Mehr Eigen-kapital bedeutet weniger Risiko und führt daher zuweniger Strukturwandel. Eine überragende Rolle fürVielfalt in der Landwirtschaft nimmt die Fähigkeit fürInnovationen aller Art ein, weil dadurch die Variabili-tät von Betrieben und Produktionsweisen steigt. AlleMaßnahmen, die Innovationsprozesse fördern, sichernsomit auch Vielfalt. Als konkrete Handlungsorientie-rungen dazu wären flexible Lebensmodelle in der Fa-milie sowie die Möglichkeit zu nennen, über Beratungeine Außensicht auf den Betrieb zu ermöglichen.

Nur eine Art der Landwirtschaft wird es in Zu-kunft (hoffentlich) nicht geben. Für eine erfolgreicheBetriebsführung stehen viele Wege offen, die für dieFamilie geeignete Strategie ist auszuwählen. Alle Ak-teure des Agrarsystems sind gefordert, den Rahmenfür eine vielfältige Landwirtschaft der Zukunft aufzu-bereiten, weil vielfältige Produktionsweisen aucherwünschte nichtökonomische Nebenwirkungen zei-tigen. |||

Leopold Kirner, Bundesanstalt

für Agrarwirtschaft

Page 32: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Differenzierung und Komplexitäts-reduktionSortimentsbreite und -tiefe bringen Vielfalt am Marktund sprechen die unterschiedlichsten Zielgruppen an.Überall wo Milch nicht als generischer Rohstoff fürein Gericht verwendet wird („Man nehme ¼ l Milch“),können die vielfältigen Wünsche und Bedürfnisse derVerbraucherInnen mit Spezialmilchsorten befriedigtwerden. Zielgruppen sind Menschen unterschiedli-cher gesellschaftlicher Gruppierungen wie junge oderältere Singles, Familien mit Kindern, Paare ohne Kin-der. Diese Bandbreite wird von sozialen Faktoren wieBildung, Einkommen oder Beruf überlagert und ergibtbei der Nachfrage ein buntes Bild.

Die Kunst des Marketings besteht darin, jeder

Zielgruppe genau die Milchsorte anzubieten, die siebraucht bzw. wünscht. Ein Teil dieser Sortenvielfalt(Packungsgrößen, Haltbarkeit, Fettgehalt etc.) gehtauf das Konto der Molkereien, andere Eigenschaftenergeben sich aus besonderen Produktionsprogram-men.

Diesem Trend zur Ausdifferenzierung der Pro-dukte steht eine Reduktion der Komplexität gegen-über: die Kombination möglichst vieler verschiedenerMerkmale in einem Produkt, wodurch mit einer Kauf-entscheidung gleich mehrere Aspekte abgedecktwerden. So steht „bio“ in der Verbrauchermeinung fürgesunde Lebensmittel, tierfreundliche Haltung, Um-weltschutz (Verarbeitung, Verpackung, Transport),soziale Standards usw.

ausblicke 1|09 Ökonomische Vielfalt30

Weißer Kuhsaft – die vielenGesichter der Milch

Heumilch, Zurück-zum-Ursprung-Milch, Herzmilch, Biomilch, Weidemilch, Almmilch, gentechnikfreieMilch … – in den letzten Jahren hat sich die Milchwirtschaft Österreichs grundlegend diversifiziert.Die zunehmende Vielfalt beschränkt sich nicht auf die Produkte der Molkereien und des Handels,sondern wirkt sich auch deutlich auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe aus.Andreas Steinwidder und Christian Jochum

Page 33: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Vielfalt: Chancen und RiskenDie klein strukturierte und heterogene Milchwirt-schaft Österreichs kommt dem Vielfaltskonzept ent-gegen (in anderen landwirtschaftlichen Bereichen,wo die Standardisierung stärker ausgeprägt ist, z. B.bei der Schweinehaltung, stoßen vergleichbareTrends rasch an Grenzen). Diese Tatsache unter-scheidet die österreichische Milchproduktion von derin den Nachbarländern Österreichs und ermöglicht,im Export mit „Zusatzqualitäten“ zu punkten (Heu-milch, Weidemilch, gentechnikfreie Milch).

Steigende Produktvielfalt erhöht den Aufwand inder Beschaffung der Rohstoffe (zusätzliche Milch-tour), der Lagerung, der Verarbeitung, der Kontrolle,im Marketing, in der Werbung, im Vertrieb und in derInformationspolitik. Großräumige und umfassendeWerbe- und Informationsmaßnahmen werden er-schwert. Darüber hinaus nimmt die Bindung der Pro-duzenten und Verarbeiter an die Handelspartner zu,da zumeist nur diese die notwendigen finanziellenMittel aufbringen können, um am Markt neue Pro-duktschienen aufzubauen. Auf landwirtschaftlicherSeite erhöhen zusätzliche Anforderungen die Kostenin der Lebensmittelerzeugung und beeinflussen auchdie Betriebsentwicklung und das Produktionsrisiko.

Milchviehhaltung wohin?Nicht nur in der Verarbeitung und im Handel, sondernauch in der Viehhaltung stellt sich die MilchwirtschaftÖsterreichs als sehr vielfältig dar. Es gibt beispiels-weisef kleine Milchviehbetriebe in strukturell starkbenachteiligten Berggebieten und ackerbaube-tonte Gunstlagenbetriebe,

f biologisch und konventionell wirtschaftendeBetriebe,

f High-Cost- und Low-Cost-Betriebe,f Hightechbetriebe und traditionell wirtschaftendeBetriebe,

f Betriebe mit und ohne Weidehaltung,f Vollerwerbs-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe,f Hochzuchtbetriebe und Landeszuchtbetriebe.

Ergebnisse betriebswirtschaftlicher Auswertungen(Arbeitskreise, Forschungsprojekte etc.) zeigen immerwieder, dass in der Milchviehhaltung unterschied-

lichste Strategien ökonomisch wettbewerbsfähig seinkönnen. Entscheidend ist immer, dass die gewählteStrategie optimal zu den Betriebsbedingungen passt,dass das Verfahren effizient, professionell und kon-sequent umgesetzt wird und dass die Betriebsleite-rInnen mit Herz und Freude dahinterstehen. Dazu einErgebnis aus einem Forschungsprojekt zur Low-Input-Vollweidehaltung: Trotz geringerer Einzeltierleistun-gen konnten die Projektbetriebe mit der Vollweide-strategie bei der direktkostenfreien Leistung sehr guteErgebnisse erzielen. Geringere Milchleistungen wur-den durch weniger Kraftfutterkosten, eine bessereFruchtbarkeit und geringere Kuhverluste kompensiert.

Die Produktionsbedingungen in der österreichi-schen Milchviehhaltung sind sehr vielfältig und wer-den es auch in Zukunft bleiben. Daher wird es auchweiterhin unterschiedlichste Wege in der Betriebs-entwicklung geben müssen, wobei die ressourcen-effiziente und ökologische Ausrichtung eine zentraleRolle spielt. Nur solche Strategien sind langfristignachhaltig und sichern auch den Absatz der Spezial-produkte sowie die notwendigen finanziellen externenUnterstützungen.

Faire Partnerschaften ohneHü und HottSpezielle Produkte brauchen meistens auch spezielleProduktionsprogramme, die bereits auf bäuerlicherEbene klar definiert sind. Fettarme Milch wird in derMolkerei gemacht, Biomilch am Bauernhof. Spezial-anforderungen müssen abgegolten werden und sindsinnvollerweise vertraglich geregelt. Langfristige Per-spektiven ermöglichen es den Betrieben, sich denAnforderungen optimal anzupassen. Ständig wech-selnde Vorgaben demotivieren und bringen nicht diebesten Ergebnisse. Wenn sich landwirtschaftlicheFamilienbetriebe ständig neu ausrichten müssen, istdies auch mit einem hohen Risiko und hohen Kostenverbunden.

Ein Qualitätsprogramm muss gesichert und imgemeinsamen Einvernehmen weiterentwickelt wer-den. Das erfordert eine faire Partnerschaft zwischenBäuerinnen und Bauern, Verarbeitungsbetrieben unddem Lebensmittelhandel – und einen guten Draht zuden KonsumentInnen, denn ihnen muss die Milchletztlich schmecken. |||

Ökonomische Vielfalt ausblicke 1|09 31

Andreas Steinwidder, Höhere

Bundeslehr- und Forschungs-

anstalt Raumberg-Gumpenstein

Christian Jochum,

Landwirtschaftskammer

Österreich, Agrarvermarktung

Page 34: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Die traditionelle Landwirtschaft war zwangsläufigvielfältig. Auch heute noch gibt es die unterschied-lichsten Formen der Urproduktion bis hin zur Zuchtvon Zwergzebus, Lamas und Straußen oder demAnbau von Kiwis, Artischocken und Leindotter.

Die Gewerbeordnung ermöglicht landwirtschaft-lichen Betrieben gewisse Tätigkeiten, die zwar mit derLandwirtschaft zusammenhängen, aber nicht zur Ur-produktion zählen. Dazu gehören zum Beispiel Fuhr-werksdienste mit eigenen Fahrzeugen, das Mähenvon Straßenrändern im kommunalen Auftrag, die Ver-mietung eigener Gerätschaften, was zu einer besse-ren Auslastung und damit zu einer Kostensenkungführt, die Kompostierung organischer Abfälle, der Be-trieb von kleinen bis mittleren Biomasseanlagen bisvier Megawatt, das Einstellen von Reittieren, das Aus-schenken eigener Erzeugnisse (Buschenschank) oderdie Verarbeitung der eigenen Naturprodukte.

Die klassische Diversifizierung:UaB, DV, MRHinter den Kürzeln UaB, DV und MR verbergen sichUrlaub am Bauernhof, Direktvermarktung und Ma-schinenring.

Urlaub am BauernhofUrlaub am Bauernhof hat sich von einer Verlegen-heitslösung der 1950er-Jahre, als man den Gästen ausder Stadt die eigenen Zimmer überließ und auf denDachboden oder in den Keller zog, längst zu einer ei-genen Betriebssparte mit definiertem Produktprofilentwickelt. 3000 Betriebe (von ca. 15.000 bäuerlichenVermietern) sind mit Blumen kategorisiert und gehö-ren der Organisation „Urlaub am Bauernhof“ an, die

mit einem eigenen Logo und einer eigenen Strukturdie Qualitätssicherung, die Weiterbildung der Mit-glieder und die Bewerbung dieser Premiumgruppeunterstützt. Überdurchschnittliche Auslastungswerteder Betriebe und die Rolle als „Botschafter der Land-wirtschaft“ unterstreichen die Wichtigkeit der Spar-tenorganisation. Jenseits der Sehnsucht der Konsu-mentInnen nach der Idylle des Landlebens gibt eseinen beinharten Wettbewerb bezüglich Bekanntheitund Buchbarkeit im Internet sowie des Preises unddes Wunsches nach Programm und Unterhaltung.

Mehr darüber unter www.urlaubambauernhof.at.

DirektvermarktungDie Direktvermarktung ist eine Weiterentwicklung derbäuerlichen Selbstversorgung. Sie bedeutet drei Jobsin einer Sparte: Urproduktion (mit oft ganz besonde-ren Anforderungen an den Rohstoff), Lebensmittel-verarbeitung (inklusive aller rechtlichen Anforderun-gen von der Hygiene bis zur korrekten Produktkenn-zeichnung) und Vertrieb bzw. Verkauf (und allem, waszum Kundenkontakt dazugehört). Von den ca. 60.000landwirtschaftlichen Betrieben, die „irgendwie“ di-rekt vermarkten, bezeichnen sich ca. 20.000 Betriebeals Profis; ca. 4000 davon sind in Verbänden organi-siert. Mit „Gutes vom Bauernhof“ wurde zu einemQualitätsprogramm eine Dachmarke geschaffen, dievon ca. 1300 Betrieben in fünf Bundesländern einge-setzt wird und eine Art „Direktvermarktung mit Garan-tie“ darstellt.

Allerdings ist die Direktvermarktung insgesamtrückläufig, weil der klassische Supermarkt als One-Stop-Shop eine große Konkurrenz darstellt und sichdie Lebensweise hin zu kleineren Haushalten und we-

ausblicke 1|09 Ökonomische Vielfalt32

Diversifizierung am Bauernhof

Die bestmögliche Nutzung der einzelbetrieblichen Möglichkeiten ist die Grundlage für die vielseitigeund vielfältige österreichische Landwirtschaft. Mit zusätzlicher Wertschöpfung über die Urproduktionhinaus können die Nachteile kleiner Betriebe oder klimatische Erschwernisse kompensiert werden.Durch Förderungen und ein projektfreundliches Klima wird diese ökonomische Vielfalt seit Jahren vonder Politik unterstützt. Christian Jochum

So vielfältig zeigt sich die österreichische Landwirtschaft

Page 35: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

niger Kochen ändert. Doch auch hier gilt: Die Zukunftgehört den Profis – und diese wachsen!

Mehr darüber unter www.gutesvombauernhof.at.

MaschinenringDer Maschinenring hat sich längst von einer bäuerli-chen Selbsthilfeorganisation zu einer österreichwei-ten Dienstleistungsorganisation gemausert. Die 78.000Mitgliedsbetriebe erzielen bereits mehr als die Hälftedes Umsatzes im nichtagrarischen Bereich, nämlichca. 90 Mio. Euro in der kommunalen Dienstleistung(vor allem im Winterdienst) und ca. 40 Mio. Euro imPersonalleasing, das landwirtschaftliche Fachar-beitskräfte an gewerbliche Betriebe vermittelt – eineinteressante Zuerwerbsvariante für Nebenerwerbs-betriebe. 100 Mio. Euro Umsatz in der klassischenLandwirtschaft steht ein Einspareffekt in mehrfacherHöhe bei jenen Betrieben gegenüber, die sich eigeneschlecht ausgelastete Maschinen ersparen. Geradebei den Maschinenfixkosten liegt oft die Grenze zwi-schen Sein und Nichtsein.

Mehr darüber unter www.maschinenring.at.

„Alles ist möglich“ – die hohe Schuleder DiversifizierungViele bäuerliche Betriebe haben sich in den letztenJahren ein Entwicklungskonzept überlegt und reali-siert. Persönliche Vorlieben der Betriebsführerin/desBetriebsführers, Standortvorteile, die Nachfrage vonKundenseite, neue Fertigkeiten und Kenntnisse durcheinen eingeheirateten Partner oder schlicht die Über-legung, durch Rationalisierung in der Urproduktionfrei werdende Arbeitskapazitäten sinnvoll zu nutzen,führen oft zu sehr interessanten erfolgreichen Pro-jekten. Nach der Devise „Es gibt nichts, was es nichtgibt“ einige Beispiele:f 100.000 BesucherInnen pro Jahr bei einem„etwas größeren“ Direktvermarkter? Ja, in der1. Whisky-Brennerei Österreichs; mehr darüberunter www.roggenhof.at.

f 560 km Reitwanderwege mit einem Infrastruktur-netz, das keinen Wunsch unerfüllt lässt? Wander-reiten auf der Mühlviertler Alm; mehr darüberunter www.pferdereich.at.

f Ein Senioren- und Pflegeheim am Bauernhof mitallem Komfort und professioneller Betreuung?Gibt es in der Steiermark; mehr darüber unterwww.adelwoehrerhof.at/start.htm.

f Chinesische Massage während eines Bauernhof-urlaubs? In Annaberg in Salzburg; mehr darüberunter www.mandlhof.at.

f 3200 Paradeisersorten von einem Betrieb? Beim„Paradeiser-Kaiser“ Stekovics im Seewinkel;mehr darüber unter www.stekovics.at.

Noch mehr erfolgreiche Beispiele findet man unterwww.agrarprojektpreis.at.

PEFC – Holz mit VerantwortungDas Zertifizierungssystem PEFC (Programme for theEndorsement of Forest Certification Schemes) ist mitweltweit 224 Mio. Hektar zertifizierter Waldfläche dasgrößte System dieser Art, das darauf abzielt, nach-haltige Waldbewirtschaftung zu forcieren. PEFC-zer-tifizierte Produkte stammen aus nachhaltig bewirt-schafteten Wäldern. PEFC ermöglicht es Waldbesit-zern, ihr vorbildliches und nachhaltiges Wirtschaftenklar der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Auch Sä-gewerke, Betriebe der Holz- und Papierindustriesowie Druckereien können sich zertifizieren lassen.PEFC-zertifizierte Betriebe werden von unabhängigenZertifizierungsstellen überprüft.

Bei Produkten mit dem PEFC-Siegel kann die ge-samte Verarbeitungskette lückenlos nachvollzogenwerden. Nur Produkte mit dem PEFC-Logo garantie-ren dem Konsumenten die Einhaltung der PEFC-Richt-linien, die alle fünf Jahre überarbeitet werden.

Gerade bei der Diskussion über illegalen Holz-einschlag haben die PEFC-zertifizierten Betriebe einstarkes Argument für ihr umweltbewusstes Engage-ment in der Hand. In den öffentlichen Beschaffungs-richtlinien vieler Länder wird zunehmend ein Her-kunftsnachweis für Holz vorausgesetzt.

Das PEFC-Zertifizierungssystem leistet auch inÖsterreichs Wäldern einen wichtigen Beitrag zurNachhaltigkeit und zum Erhalt der biologischen Viel-falt; mehr darüber unter www.pefc.at.Katharina Lohr |||

Ökonomische Vielfalt ausblicke 1|09 33

Christian Jochum, Landwirt-

schaftskammer Österreich,

Agrarvermarktung

Katharina Lohr, PEFC Austria

Page 36: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Ökonomische Vielfalt34

Ökonomische Vielfalt inder regionalen WirtschaftThomas Dax, Bundesanstalt für

Bergbauernfragen, Wien

Best-Practice-Beispiele werden oftals Muster für erfolgreiche regionaleStrategien präsentiert. Die unkriti-sche Übernahme von „Erfolgsrezep-ten“ kann jedoch zu einer Vereinheit-lichung und Standardisierung regio-naler Entwicklungsbemühungenführen. Gerade die aktuelle Finanz-und Wirtschaftskrise verweist auf dieGrenzen der Übertragbarkeit regiona-ler Leitbilder und die Kurzschlüsseneoliberaler Konzepte. Angesichtsdieser Entwicklung stellt sich dieFrage, ob die Orientierung auf dieVielfalt der regionalen Wirtschaftgeeignet ist, die Wirtschaftsdynamikländlicher Gebiete zu steigern.

Differenzierung und der Hinweisauf die Vielfalt der Regionen geltenzurzeit als Zauberwörter für die Ent-wicklungschancen ländlicher Gebiete.Dies gibt die Ansicht wieder, dass indiesen Gebieten häufig besondersattraktive Kultur- und Naturräumeund teilweise ungenutzte wirtschaft-liche Potenziale bestehen. Wir spre-chen daher nicht mehr vom „ländli-chen Raum“ oder von ländlichenGebieten als homogenen Einheiten,sondern müssen Konzepte für unter-schiedliche Typen ländlicher Regio-nen erarbeiten. Das Besondereder jeweiligen Region und ihrer Wirt-schaftsstruktur muss mit städtischenund anderen ländlichen Regionen inVerbindung gebracht werden.

Manche Strategien setzen aufdie Entwicklung regionaler Cluster,viel entscheidender dürfte aber dieAttraktivität der Regionen für „krea-tive“ Bevölkerungsgruppen und dieJugend sein. So gesehen gilt es,ein gewisses Spektrum interessanterWirtschaftsaktivitäten sowie denZugang zu einer modernen Infrastruk-

tur und öffentlichen Dienstleistungenin den Regionen zu sichern. Diesbedingt auch eine geringere Krisen-anfälligkeit. Eine größere Branchen-vielfalt kann bei einer Einbettung indie regionale Entwicklungsstrategiedie regionale Wirtschaft stärker ver-netzen und spricht mehr beruflicheFähigkeiten an als eine zu starke Kon-zentration auf wenige Branchen. |||

Ökonomische Vielfaltin der Landwirtschaft:Erlaubt ist, wasEinkommen schafftChristian Jochum, Landwirtschaftskammer

Österreich

Im Rahmen der gesellschaftlichenund internationalen Arbeitsteilung istdie Konzentration ausschließlich aufdie Produktion von Lebensmittelnnicht ausreichend, um die kleinbäuer-liche und kleinräumige Struktur derösterreichischen Landwirtschaft(halbwegs) aufrechtzuerhalten. Daherist es seit jeher Credo der Agrarpoli-tik, in den angestammten Bereichenzu differenzieren, neue Märkte zuerschließen, Folgetätigkeitenselber zu übernehmen oder mitdem Kapital von Grund und Boden,Gebäuden und Geräten bzw. derMenschen Dienstleistungen anzu-

bieten. Das österreichische Gewerbe-und Steuerrecht hat darauf Rücksichtgenommen und ermöglicht der Land-wirtschaft einige Tätigkeiten, dieüber die reine Urproduktion hinaus-gehen. Das ist auch der Grund für dieVielfalt in der österreichischen Land-wirtschaft, um die uns viele europä-ische Länder beneiden. Spezialisie-rung und Intensivierung in der klassi-schen Urproduktion auf der einenSeite, Entwicklung von Nischen undDienstleistungen oder Kooperationmit Branchenfremden auf der ande-ren Seite sind kein Widerspruch.

Der ländliche Raum profitiert vonder Landwirtschaft: Sie ist Arbeit-und Auftraggeberin für viele Bran-chen; in der landwirtschaftlichenDiversifizierung ergeben sich interes-sante Synergien in der Zusammen-arbeit mit dem Tourismus und derGastronomie, aber auch mit derEnergiewirtschaft. Die Agrarstruktur

Ökonomische Vielfalt –unterschiedlicheSichtweisen

Page 37: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Ökonomische Vielfalt ausblicke 1|09 35

lässt sich nur mit der Einbettung ineine intakte ländliche Struktur erhal-ten und weiterentwickeln.

Das Programm zur ländlichenEntwicklung leistet einen wichtigenBeitrag dafür: Mit dem erstenSchwerpunkt erfolgt die Steigerungder Wettbewerbsfähigkeit, mit demzweiten wird eine von der Politik undvom Markt gewünschte Ökologisie-rung ermöglicht, und mit dem drittenSchwerpunkt erreicht man mit der Di-versifizierung die Verschränkung mitder nichtagrarischen Wirtschaft. |||

Stärkere Arbeitsplatz-förderung im ländlichenRaumIris Strutzmann, Arbeiterkammer Wien

Die Entwicklung des ländlichenRaums ist ganz eng mit der Entwick-lung der Wirtschaft und damit desArbeitsmarkts in den Regionen ver-knüpft. Nach der OECD-Klassifikationfür den ländlichen Raum leben 78%der österreichischen Bevölkerung in„ländlichen Regionen“, davon 47% in„überwiegend ländlich“ geprägtenGebieten, die rund 40% der Arbeits-plätze Österreichs bieten. Das Pro-gramm zur ländlichen Entwicklungträgt dieser Bedeutung in keinerWeise Rechnung; sein Schwerpunkt

liegt in der Förderung der Landwirt-schaft: 85% der Fördergelder fließenin diesen Bereich. Damit bleiben 15%für die Schwerpunkte „Diversifizie-rung im ländlichen Raum“ undLeader-Programme, die in ihrer Aus-gestaltung auch sehr stark an denAgrarsektor gebunden sind.

Angesichts der schlechten wirt-schaftlichen Lage und der rasant stei-genden Arbeitslosigkeit sind drin-gendst Maßnahmen zur Stärkung derHumanressourcen notwendig, spe-ziell wenn Beschäftigungsmöglichkei-ten in ländlichen Industrieregionenwegfallen. Bildungs- und Beschäfti-gungsmaßnahmen im Programmsind demnach für alle Menschen imländlichen Raum auszurichten. Mitdem Konjunkturpaket zur ländlichenEntwicklung sollen verstärkt Investi-tionen in die Breitbandinfrastrukturgefördert werden, die einen extremhohen Beschäftigungseffekt haben:Mit rund 100 Mio. Euro können mehrals 1000 Arbeitsplätze gefördert wer-den. Nach Angaben von Wirtschafts-forschungsinstituten wird in dennächsten Monaten auch der Dienst-leistungssektor – eine typische Frau-enbranche – zunehmend von derKrise betroffen sein; auch in diesemBereich werden vor allem regionaleMaßnahmen erforderlich sein.

Um die Synergieeffekte einzelnerFördermaßnahmen zu verstärken, istdie Einbindung aller für die Anliegender Menschen im ländlichen Raumzuständigen Ressorts der Bundes-regierung in die laufende Programm-gestaltung essenziell. |||

Diversifizierung istweiblich!Maria Dachs, Landwirtschaftskammer

Oberösterreich

Wenn Sie einen Urlaub am Bauernhofbuchen, ist die Bäuerin Ihre Ansprech-

partnerin. Und wenn Sie am Bauern-markt einkaufen, bedient Sie da nichtauch meistens eine Bäuerin?

Vor 25 Jahren begannen Bäuerin-nen, Lebensmittel ab Hof oder aufBauern- und Wochenmärkten direktzu verkaufen. Das entsprach demWunsch bewusster KonsumentInnennach frischen, handwerklich verarbei-teten und regionalen Produkten.Diesen Pionierinnen unter den Bäue-rinnen war gemeinsam, dass siezusätzliche Einkommensquellenerschließen wollten. Grundlage dafürwar die gute Ausbildung, die Frauenin landwirtschaftlichen Schulen undin speziellen Kursen nutzten. Kinder-betreuung und Erwerbsarbeit am Hofzu verbinden war ihnen besonderswichtig. Das „Urlaub-am-Bauernhof“-Angebot entstand vor 35 Jahren,als mit einfachsten Zimmern bäuerli-che Wohnhäuser geöffnet wurden.Auch bei diesem Betriebszweigwaren es die Bäuerinnen, die sichselbst einen Arbeitsplatz schufen.Gerade 15 Jahre ist es her, dassFrauen aus der Landwirtschaftweitere Dienstleistungen in Zusatz-einkommen umzuwandeln anfingen:als Seminarbäuerinnen, als Kräuter-pädagoginnen oder mit Bauernhofta-gen für SchülerInnen, mit Lebensmit-telworkshops, Geschmacksschulenoder dem aktuellen Angebot „Woherkommt mein Schnitzel?“ in Schulen.

Alle diese Bäuerinnen erwirtschaf-ten mit Wissen, Engagement undUnternehmergeist einen Teil desFamilieneinkommens und haben dasImage der Landwirtschaft in derGesellschaft bunt und sympathischgemacht. Die neue Vielfalt bäuerli-cher Produkte prägt das positive Bildder multifunktionalen LandwirtschaftÖsterreichs. Der Wermutstropfen ist,dass zu wenige Bäuerinnen ihreLeistungen in den unterschiedlichenInteressengruppen führend repräsen-tieren. |||

Page 38: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ir alle wollen „Vielfalt“: Vielfalt ist Wahl- undMeinungsfreiheit, Biodiversität, viele Shopping- undKulturangebote. Vielfalt ist modern, bunt und jung, sowie auch der Begriff selbst. Er entsprang dem Konzeptder biologischen „Diversität“, das sich seit den1970er-Jahren, spätestens aber 1992 zu einer globa-len Leitidee entwickelt hat – in dem Jahr, als EdwardO. Wilsons Klassiker „The Diversity of Life“ erschienund die Staats- und Regierungschefs der Länder die-ser Welt auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro dieBiodiversitätskonvention (Convention on BiologicalDiversity) unterzeichneten.

Was ist eigentlich das Gegenteil von Vielfalt? Inseiner „Kritik der reinen Vernunft“ stellt ImmanuelKant die „Vielheit“ der „Einheit“ gegenüber. Die„Mannigfaltigkeit der Erscheinungen“ werde durchdie synthetisierende Leistung des menschlichen Ver-standes auf „einheitliche“ Begriffe reduziert: einApfel, ein Markt, eine Region, die Menschheit. DieFähigkeit zur Begriffsbildung erspart uns unendlichdetaillierte Beschreibungen dessen, worum es geht.Wir gebrauchen unseren Verstand – und unser Über-leben hängt in hohem Maß davon ab –, um die un-endliche Mannigfaltigkeit des Seins auf das „einfachWesentliche“ zu reduzieren. Nicht selten jedochmisslingt diese Reduktion und endet in der Einfalt.

Allerdings: So einfältigwie Ein(fach)heit, so ver-wirrend kann Vielfalt für uns sein: Die Vielfalt derNaturkräfte und gesellschaftlichen Phänomene ver-wirrt, macht Angst. Wir fürchten uns vor Unwettern,Mikroben, Konkurrenten, Widerspruch, ausländi-schen Einbrecherbanden und schwarzer Magie. Einer

der Wegbereiter des wissenschaftlichen Zeitalters,Isaac Newton, fürchtete sich so sehr vor dem Unbe-kannten, dass er mit fanatischem Eifer daran arbei-tete, die Welt in einfache mathematische Formeln zugießen. Doch gerade dieser gigantische Versuch derVereinfachung durch das wissenschaftliche Weltbildhat der Menschheit ungeahnte Innovationen ermög-licht und bewirkt immer tiefer greifende Wandlungs-prozesse, die wiederum neue Bedrohungsbilder her-vorbringen: von der nuklearen Katastrophe bis hinzum „genetischen Babylon“1.

ein, wir Menschen sind nicht in die Vielfalt ver-liebt. Aber die List der Vernunft will es, dass wir in un-serem Streben nach Einfachheit und Ordnung jene oftals Chaos erlebte Vielfalt hervorbringen, in der zuleben sich allerdings durchaus lohnen kann, wenn wiruns ihrer als würdig erweisen: „May God keep usfrom single vision and Newton’s sleep“, dichtete einstWilliam Blake, der, wie wir heute wissen, zu Recht,nicht glauben wollte, dass die Wissenschaft uns mehrzu erschließen vermag als einen kleinen abgezirkel-ten Raum im Ozean der Unendlichkeit.

Jedoch, sagt uns gerade die Wissenschaft, ge-biert Vielfalt Einheit, entsteht aus Chaos Ordnung. Bio-diversität gilt als Stabilitätsbedingung des Lebens, sowie Redundanz2 für technische Systeme. Wir werdenauch der Aussage zustimmen, dass ein dichtes Netzaus miteinander vielfältig verbundenen Klein- undMittelunternehmen Merkmal einer robusten regiona-len Wirtschaftsstruktur ist.

ausblicke 1|09 Vielfalt36

Wer will schon Vielfalt?Robert Lukesch

Die einzige Alternative für die Menschheit ist Disziplin […]. Mit Disziplin meine ich keinestrengen Routinen. Ich meine nicht, dass man jeden Morgen um halb sechs aufsteht undkaltes Wasser über sich kippt, bis man blau wird. Zauberer verstehen unter Disziplin dieFähigkeit, gelassen den Unkalkulierbarkeiten zu begegnen, die außerhalb unserer Erwartun-gen liegen. Für sie ist Disziplin eine Kunst. Es ist die Kunst, sich der Unendlichkeit zu stellen,ohne mit der Wimper zu zucken, und zwar nicht, weil sie stark und verwegen sind, sondernweil sie tiefe Ehrfurcht empfinden.Don Juan Matus in Carlos Castanedas „Das Wirken der Unendlichkeit“ (1999)

W

N

„Vielfalt“ ist alsdirekte Übersetzungdes Begriffs „divers-ity“ („Unterschied-lichkeit“ oder„Verschiedenheit“) inunseren Sprachge-brauch gekommen.In „Vielfalt“ steckt„falten“, was wiede-rum auf „Komplexi-tät“ verweist (vonlat. „cum“, „con“ =„zusammen“ und„plicare“ = „falten“).Die „Falte“ machtden „Unterschied“,daher kann man sieauch als Schnittstellesehen, aber jedeSchnittstelle ist aucheine Nahtstelle.Daher ist die eigent-liche Bedeutung desWortes „Komplexität“(„complexitas“)„Verbundenheit desUnterschiedlichen“.

Page 39: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Die Komplexitätsforschung belegt diese Befunde:Teams aus relativ mittelmäßigen, aber verschieden-artigen KandidatInnen lösen knifflige Aufgabenschneller und besser als einzelne exzellente Kandi-datInnen. Das können wir noch ganz gut nachvollzie-hen, aber der eigentliche Clou kommt jetzt: Sieschneiden auch besser ab als Teams aus exzellenten,aber einander ähnlichen KandidatInnen. Das läuftwider unsere Intuition, aber ums Eck gedacht verste-hen wir dann doch, woran das liegen könnte: Die ex-zellenten Teams probieren einfach weniger Variantenaus und bleiben in ihren Rezeptlösungen stecken, weilsie schon „zu viel“ über erfolgreiche Lösungspfadewissen. „Diversity trumps ability“: Vielfalt schlägtKompetenz.3

Diese Erkenntnisse veranlassten den Kyberneti-ker und Philosophen Heinz von Foerster, seinen ethi-schen Imperativ zu formulieren: „Handle stets so, daßdu die Zahl der Möglichkeiten vergrößerst.“4 Aller-dings wird er oft falsch zitiert: Aus der „Zahl der Mög-lichkeiten“ wird die „Zahl deiner Handlungsmöglich-keiten“. Nun, Letzteres würde ich eher als taktischeMaxime denn als ethischen Imperativ bezeichnen,denn die Zahl der eigenen Handlungsmöglichkeitenkann man auch auf Kosten anderer vermehren. DochHeinz von Foerster sah das Ganze und seine Teile: Erstwenn alle Teile eines Systems und das System alsGanzes ihre Möglichkeiten erhöht sehen, ist der ethi-sche Imperativ erfüllt.

o erschließt sich uns, jenseits der „Shopping-Mall-Side-of-Life“5, Vielfalt als ein Konzept kritischerVernunft. „Einheit in der Vielfalt“ ist das Motto der eu-ropäischen Integration, und es scheint nur recht undbillig, dem zuzustimmen. Aber so billig ist das Ganzeeben nicht zu haben. Ohne angemessenen Gebrauchunserer Vernunft wird sich eher „Einfalt in der Ver-wirrung“ breitmachen. Denn die Vielschichtigkeit derLebenswelten, die Mannigfaltigkeit der Möglichkeitenund Bedrohungen steigert sich in dem Maß, wie un-sere Welt zusammenwächst. In dieser Welt, stellen

wir fest, begegnen wir dem Fremden längst nichtmehr nur, wenn wir auf Reisen gehen, sondern dasFremde holt uns dort ein, wo wir „bei uns sind“: zuHause.

Einer der AutorInnen, die sich mit diesem Themaauseinandersetzen, ist Kwame Anthony Appiah in sei-nemWerk „Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbür-gertums“: „In einer Zeit, da sich die Eindeutigkeitenverschieben, sowohl gefühlt als auch tatsächlich,sieht sich der Einzelne oft umzingelt von Gefahren.Eine der größten Bedrohungen scheint ihm dasFremde. Vor allem der Fremde. Der, der von woanderskommt, wo man anders lebt, glaubt und isst. Vor ihmund seinen Gewohnheiten glauben wir, uns fürchtenzu müssen.“6 Für Appiah ist Weltbürgertum „Univer-salität plus Unterschied“, das heißt der Glauben an„die Gemeinsamkeit des Menschseins“, die einher-geht mit „freundlicher Konversation“ mit den „ande-ren“. Als gemeinsame Grundlage sollte ausreichen,Fanatismus, Intoleranz und Grausamkeit auszuschlie-ßen. „Freundliche Konversation“ zielt nicht auf Kon-sens ab, sondern auf praktische Absprachen: „Es ge-nügt, wenn das Gespräch den Menschen hilft, sichaneinander zu gewöhnen.“ Die beiden Prinzipien, diehier anklingen, stammen direkt aus dem „Betriebssy-stem“ der Aufklärung. Immanuel Kant bezeichnet sieals „pragmatisches“ und „sittliches“ Handeln. Daspragmatische Handeln folgt unserem Streben nachGlückseligkeit, das gutes Recht jedes Menschen aufErden ist.7 Sittliches Handeln hingegen folgt dem Im-perativ: „Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklichzu sein!“ Die Idee von Würde und Selbstwert ist allenMenschen8 gemein, so unterschiedlich sie auch in derPraxis ausgelegt werden.

b ländlich, städtisch oder suburban: Ich sehe dieRegion als Gehschule des Weltbürgertums. Sie istSpielfeld für Aushandlungs- und Lernprozesse, derOrt, an dem das Gleichgewicht zwischen „Bei-Sich-Sein“ und der „Gewöhnung an das Fremde“ ausgelo-tet, Vielfalt ausprobiert, verstanden und genutzt wer-den kann, wo sich uns neue Möglichkeiten zu handelnund zu sein erschließen; wo wir immer mehr zu demwerden, was wir uns wert sind zu sein. |||

Robert Lukesch, ÖAR-Regionalberatung

37

S

1 Vester 1991, S. 166.2 Der Begriff Redundanz(lat. „redundare“ = im Überflussvorhanden sein) bezeichnetallgemein in der Technik daszusätzliche Vorhandenseinfunktional gleicher oder ver-gleichbarer Ressourcen einestechnischen Systems. Dadurchminimiert man das Risiko,dass sie einer gemeinsamenStörung unterliegen.

3 Cosma Shalizi, „The Logic ofDiversity. The Complexity ofa Controversial Concept“, in:Santa Fé Institute Bulletin,vol. 20 (2005), no. 1.

4 Heinz von Foerster, „Abbauund Aufbau“, in: Fritz B. Simon(Hg.), Lebende Systeme, Berlin/Heidelberg 1988, S. 19–33.

5 Shalizi 2005, S. 1.6 Renée Zucker in ihrer Rezen-sion von K. A. Appiahs DerKosmopolit. Philosophie desWeltbürgertums (2006),Rundfunk Berlin-Brandenburgonline, 31. 5. 2009.

7 „Life, liberty and the pursuit ofhappiness“ werden in derUnabhängigkeitserklärung derVereinigten Staaten von Ame-rika 1776 als „unveräußerlicheMenschenrechte“ bezeichnet.

8 Die Hirnforschung zeigt, dasszumindest die höherenPrimaten über diese Fähigkeitverfügen: Albert Zeyer,„Der Altruismus des Primaten.Neurobiologie und Ethik“,in: Zeitschrift für EvangelischeEthik, Jg. 45 (2001),S. 302–314.

Literatur• Kwame Anthony Appiah, Der

Kosmopolit. Philosophie desWeltbürgertums, C. H. Beck:München 2006.

• Bill Bryson, Eine kurzeGeschichte von fast allem,Goldmann: München 2005.

• Immanuel Kant, Kritik derreinen Vernunft (1781, 1787),Reclam: Stuttgart 1966.

• Frederic Vester, Neuland desDenkens (1984), 7. Aufl.,dtv: München 1991.

• Edward O. Wilson, The Diver-sity of Life, W. W. Norton &Company: New York/London1992.

„Newton“, mit seinem Zirkel gegen die Finsternisankämpfend (William Blake)

O

Vielfalt ausblicke 1|09

Page 40: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Vielfalt38

Was versteht man unter demländlichen Raum?Laienhaft kann man sagen, der ländliche Raum um-fasst all jene Gebiete, die nicht „städtisch“ sind: diealso nicht dicht bebaut und bewohnt sind, in denenman kein mannigfaltiges Angebot von Waren undDienstleistungen vorfindet, das über den Grundbe-darf hinausgeht, und in denen die Landwirtschaftschon immer eine große Bedeutung hatte.

Das Problem dieser Art der Annäherung ist nur,dass sie auf einem Stadt-Land-Gegensatz gründet,der unterstellt, dass sich die jeweilige Kernstadtklar von ihren noch ländlich geprägten Umlandge-meinden abgrenzen lässt. Dieses Bild stimmt abermit den Gegebenheiten nicht mehr überein. Manspricht heute von einem Stadt-Land-Kontinuum:Zwischen Stadt und Land hat sich ein hybriderRaumtyp geschoben, der als „Zwischenstadt“bezeichnet wird. Hier mischen sich städtische mitländlichen Raumcharakteristika und bilden eineÜbergangsform, in der heute etwa ein Drittel allerin Österreich Wohnhaften lebt.

Im Vergleich zu Deutschland und der Schweizfindet sich in Österreich (noch) ein relativ hoherAnteil der Bevölkerung im ländlichen Raum, zu demauch die EinwohnerInnen von Kleinstädten gerech-net werden. In Österreich lebt etwa jede/jederZweite auf dem Land, und zwar großteils in einemEin- oder Zweifamilienhaus, und verfügt meist überzumindest ein Auto. Die LandbewohnerInnen schät-zen vor allem die Nähe zur Natur, die Schönheit deragrarisch geprägten Landwirtschaft, die Ruhe unddie individuell gestalt- und nutzbaren Freiflächen.

Kann man aus raumwissenschaftlicherSicht überhaupt noch von „dem“ländlichen Raum sprechen?Nein! Es ist auch heute nicht mehr zutreffend, wennman „ländlich“ mit „landwirtschaftlich“ gleichsetzt.Was den Wertschöpfungsanteil und den Anteil derin der Landwirtschaft Tätigen betrifft, hat die Land-wirtschaft laufend an Bedeutung verloren. Heuteempfiehlt sich eine integrative Sicht auf ländlicheRäume, wonach diese für die Gesellschaft vielfäl-tige Aufgaben erfüllen. Nur mit dieser multifunktio-nalen Perspektive kann man treffsicherer eineintegrative Politik für nichtstädtische Gebiete entwi-ckeln. An unserem Institut haben sich im Zugemehrerer Forschungsprojekte folgende fünf ländli-che Raumtypen herauskristallisiert:f periurbane ländliche Räume,f touristisch geprägte ländliche Räume,f ländliche Räume im Umfeld internationalerVerkehrswege,

f ländliche Räume entlang des ehemaligenEisernen Vorhangs und

f ländliche Räume in inneralpiner Lage.Diese Kategorisierung ist als Ausgangspunkt füreine differenzierte einschlägige Diskussion zuverstehen.

Was macht Ihrer Meinung nachländliche Räume attraktiv?Da muss ich zunächst fragen: Für wen attraktiv? Fürdie öffentliche Hand etwa sind leistbare ländlicheRäume attraktiv, die kostenschonend infrastrukturellerschlossen und betrieben werden können. Für dieöffentliche Hand sind natürlich auch wirtschaftlichstarke Räume attraktiv, weil diese hohe Steuerein-nahmen bringen. Für Umwelt- und Naturschutzorga-nisationen, für Gäste, die dem Massentourismus ab-schwören, sowie für manche DauerbewohnerInnensind wiederum naturnahe Gebiete in Regionen, diesich mangels Wirtschaftskraft auch in den letztenJahrzehnten wenig verändert haben, unter Umstän-

Für eine treffsichere Politik:O. Univ.-Prof.in DIin Dr.in Gerlind Weber beschäftigt sich bereits seitJahrzehnten mit Raumordnung und nachhaltiger Entwicklung ländli-cher Räume. Sie leitet das Institut für Raumplanung und LändlicheNeuordnung der Universität für Bodenkultur Wien. Die Redaktionder „ausblicke“ hat die Expertin zu einem Interview gebeten.

Integrative Sicht auf ländliche Räume

O. Univ.-Prof.in DIin

Dr.in GerlindWeber

Page 41: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

39

den attraktiv; sie schätzen deren „Bodenständig-keit“, ihre tradierte Kulturlandschaft, ihre (relative)Langsamkeit, die Ruhe. Für viele Wirtschaftsbe-triebe sind hingegen eine dem Stand der Technikentsprechende Infrastrukturausstattung, ein direk-ter Anschluss an hochrangige Straßen- und Schie-nenwege, die Nähe zu einem Flughafen, billigerBaugrund und die großen Flächenreserven, einniedriges Lohnniveau etc. anziehend. Und für vielePersonen ist der ländliche Raum attraktiv, weil sichdort in weiten Bereichen der Traum vom leistbarenEigenheim realisieren lässt, weil damit das Einge-bundensein in eine überschaubare Dorfgemein-schaft assoziiert wird, in der die Kinder in der Naturund in relativ stabilen Familien aufwachsen können.– Vielfach sind das natürlich Pauschalurteile, dieden Blick auf die Nachteile des Lebens auf demLand verstellen.

Was ist der Lebensqualität im ländli-chen Raum besonders abträglich?Was die einzelne Person als Mangel empfindet, istnatürlich individuell. Wir PlanerInnen sprechen voneiner Beeinträchtigung der subjektiven Lebensqua-lität. Dies ist etwa der Fall, wenn die Kinder einerbetagten Frau weggezogen sind und diese das Ge-trenntsein als großen Mangel empfindet.

Wir PlanerInnen versuchen, in den ländlichenGebieten die sogenannte objektive Lebensqualitätzu sichern. Was darunter zu verstehen ist, spiegelndie Zielkataloge der Raumordnungsgesetze derLänder gut wider. Jene Entwicklungen, die gegendiese Zielkataloge verstoßen, werden als besondersabträglich für die Lebensqualität qualifiziert: langeWege bei der Bewältigung des Alltags, starkeZersiedelung, große Abhängigkeit vom Auto, man-gelnde soziale und technische Infrastruktur, nichtvorhandene Nahversorgung, ein geringes Qualifika-tionsniveau der Bevölkerung, ein starkes Verkehrs-aufkommen, eine nicht mehr gepflegte Kulturland-schaft, ausgeräumte Landschaften durch zu inten-sive Landbewirtschaftung, etc.

Wie wichtig sind die einzelnenWirtschaftssektoren im ländlichenRaum? Welche Rolle spielt dieLandwirtschaft?

Die erste Frage lässt nur eine sehr grobe Einschät-zung zu. In Österreich gibt es zum Beispiel vieleländliche Gebiete, in denen der Tourismus über-haupt keine Rolle spielt, und welche, in denen derTourismus die Haupteinnahmequelle bildet. Manmuss die Wirtschaftsstruktur stets im konkretenkommunalen oder regionalen Kontext analysieren.Einige Eckpunkte: Für die ländliche Wirtschaft istvor allem die Hervorbringung von Rohstoffen wieLebens- und Futtermitteln durch die Landwirtschaft,aber auch von nicht erneuerbaren wie Metallenund Mineralien zu nennen. In Zukunft wird die groß-zügige Flächenausstattung des ländlichen Raumsfür die Energiegewinnung – Agrartreibstoffe, Solar-energie, Geothermie etc. – sicher immer bedeuten-der werden. Die ländliche Wirtschaft ist auch oftnoch stark handwerklich geprägt und wird dieswohl auch in Zukunft sein. Oft wird eine Kleinregionvon einem internationalen Leitbetrieb bzw. voneinem Cluster bestimmt, wobei mehrere Betriebeeinander ergänzen bzw. voneinander profitieren.

Der Wertschöpfungsanteil sowie die Beschäf-tigungseffekte der Landwirtschaft werden heuteallgemein weit überschätzt. Es gibt kein Gebiet mehrin Österreich, wo diesbezüglich der primäre Sektordominiert. Dennoch ist die Landwirtschaft äußerstwichtig, weil sie für das Offenhalten der Landschaftsorgt – wer will schon mitten im Wald wohnen?

Welche Rolle nehmen regionaleZentren für die Entwicklung vonländlichen Räumen ein?Die regionalen Zentren, also die Märkte und Klein-städte, sind für die ländliche Entwicklung in vielerHinsicht von Bedeutung. Sie versorgen ihr Umlandmit Arbeitsplätzen aller Qualifikationsstufen, siestellen neben höherrangigen Einkaufsmöglichkeitenauch Bildungs-, medizinische sowie Freizeiteinrich-tungen bereit. Doch sie saugen die Umgebungsdör-fer oft funktionell aus. Und die Bedeutung der regio-nalen Zentren wiederum ist im Städtenetzwerkbedroht. In der Regel verlieren sie im Vergleich zuden überregionalen Zentren, also den Mittel- undGroßstädten, an Attraktivität. Aber auch hier gilt:Um zu maßgeschneiderten Entwicklungsstrategienzu kommen, ist das regionale Gefüge im Einzelfallzu analysieren. |||

Vielfalt ausblicke 1|09

Page 42: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Leader

Foto:LeaderRegionSteirischesAlmenland

Page 43: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

In 86 österreichischenRegionen arbeitenengagierte Menschen aneiner innovativen sektor-übergreifenden Entwick-lung. Die Leader-Philoso-phie, Eigeninitiative undZusammenarbeit zufördern, eröffnet für denländlichen Raum neuePerspektiven.

Page 44: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ten einen Schwur auf die Mostkultur und ihr Engage-ment für höchste Qualitätsstandards ab und wurdenmit dem Mostheber zu Baronen geschlagen. Sie tra-gen eine eigens gewebte Tracht und einen auffälligenschwarzen Hut mit rotem Band, breiter Krempe undAdlerflaum. Der Hut firmiert nun als Markenzeichen.

Rasante EntwicklungInsgesamt 19 Most-Betriebe wurden seither zu Most-baronen geadelt. „Anfangs ist es uns schwer gefal-len, den Hut aufzusetzen und zu sagen: I bin jetzt einMostbaron“, erinnert sich Leopold Reikersdorfer.Doch nach einigen Schauspielseminaren wuchsendie neuen Adeligen in ihre Rolle hinein. „Heut stehensie dazu“, zeigt sich Leader-Managerin Eva Pfeifferzufrieden, und sie hat wahrlich allen Grund dafür: DieRegion entwickelt sich rasant, laufend werden neueIdeen geboren. Mit Leader-Hilfe wurde das Touris-musprojekt Moststraße gestartet, jedes Jahr EndeApril wird der vielbesuchte Mostfrühling eingeläutet.„Bei uns greifen Leader-Projekte und Tourismus in-einander“, beschreibt Eva Pfeiffer, „das eine würdeohne das andere nicht funktionieren.“

Regionales Wissen erhaltenDie Leader-Strategie fußt auf der kongenialen Zu-sammenarbeit der 30 Mostviertler Gemeinden. Diemeisten Projekte entstehen in der Bevölkerung, an-dere werden von Leader angeregt wie etwa das Pro-jekt „Lernende Region“, in dessen Rahmen sich dieIdee einer regionalen Onlineenzyklopädie (Online-Wiki) herauskristallisierte, die Begriffe wie Most undsanfter Tourismus sowie Mundartwörter umfasst. Be-sonders Frauen beteiligten sich an der Ideenfindung.

Er tischt hofeigenen „Schofkas“ und Mostviertler Bir-nenmost auf: mild, klar und goldgelb. Das ehemaligeArme-Leute-Getränk ist in den letzten Jahren in dieLiga edler Gourmettropfen aufgestiegen. Die Aroma-palette reicht von fruchtig über kräftig bis resch. Einoriginales Mostviertler Produkt, nirgendwo anders inEuropa wird Birnenmost in so vielen harmonischenGeschmacksnuancen hergestellt. Denn die Streu-obstwiesen-Birnbäume, die im Frühling so üppig blü-hen und die Landschaft des Mostviertels prägen, gibtes nur hier: Die Stieglbirne, die Winawitzbirne, dieDorschbirne und die rote Pichlbirne gedeihen am bes-ten in der schweren Erde hier, südlich der Donau. Siehaben dem Mostviertel in den letzten zehn Jahren zueiner erstaunlichen Entwicklung verholfen. Heuteweiß jeder, wofür das „Viertel der Verführungen“ mitseinen bis zu 300 Jahre alten Vierkanthöfen steht, mitseiner Mostkulinarik, der Eisenwurzen und den weit-läufigen Rad- und Wanderwegen.

Vom Bauern zum BaronZu diesem neuenWir-Gefühl haben Mostproduzentenwie Leopold Reikersdorfer wesentlich beigetragen:„Zu seinen Wurzeln“ wollte er vor 20 Jahren zurück-kehren, nicht mehr bloßer Nebenerwerbslandwirt fürMilch und Getreide sein, die traditionellen Birnbäumeneu pflanzen, anstatt sie umzuschneiden. Ab 1986schenkte Reikersdorfer den traditionellen Birnenmostaus und baute sein altes Presshaus zum Heurigen um.Andere Betriebe schlossen sich der neuen altenMostkultur an. Später wurden von Leader unterstützteTourismusberater hinzugeholt. Es folgten Markenent-wicklung und die geniale Idee der „Mostbarone“: Diebesten Mostbauern und -wirte des Mostviertels leg-

Leader-Region Moststraße:Vom Niemandsland zurHeimat der Mostbarone

ausblicke 1|09 Leader42

Wer aus dem Mostviertel stammt, der ist heute wer: „Wir haben so viel“, sagt MostbauerLeopold Reikersdorfer und lächelt stolz, als er durch das alte Presshaus führt, das er zueinem gut frequentierten Heurigenbetrieb umgebaut hat. Teresa Arrieta

Page 45: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Sie wünschen sich ortsnahe Weiterbildungsmöglich-keiten während der Karenz, da ihre Zeit zu knapp ist,um bis in die Ballungszentren zu fahren. Der ersteSchritt wird daher eine Onlinedatenbank mit sämtli-chen Kurs- und Weiterbildungsangeboten der Regionsein. Auch interessante TrainerInnen haben sich imRahmen der Leader-Workshops präsentiert: ein Aus-bildner für Hubstaplerfahren oder eine Bäuerinnen-Coachin, die Landwirtinnen Selbstbewusstsein undKommunikationskompetenzen beibringt.

Elefantengras statt HeizölEin völlig neues Leader-Schwerpunktthema im Most-viertel ist erneuerbare Energie. Leader wird als Infor-mations- und Vernetzungsdrehscheibe dienen, einigeGemeinden fungieren als Zugpferde: „Elefantengrasersetzt Ölheizung“, heißt es etwa in Stephanshart,einem Ortsteil der Gemeinde Ardagger. Die Land-wirtsfamilie Fürlinger hat vor drei Jahren einen Hektarpflegeleichtes Elefantengras angepflanzt und nun dieerste reine Elefantengrasheizung zur Versorgungihres Einfamilienhauses installiert. Die Jahresener-giemenge von 6000 Liter Heizöl kommt jetzt vom Acker.

Hauptmotor der regionalen Entwicklung ist je-doch nach wie vor die Mostkultur: Die 19 Mostbaronetreffen einander monatlich, um die Geschicke derRegion mitzulenken; sie sind im Leader-Gremium ver-treten. Mittlerweile zeigen sich auch Niederöster-reichs Politiker und Wirtschaftstreibende gerne mitden behuteten Mostadeligen, die stets neue Produktehervorbringen: seien es die dutzendfach ausgezeich-neten Edelbrände von Georg Hiebl, die zart schmel-zenden Birnenpralinen oder der noch im Ideensta-dium befindliche Baronkäse. Leopold Reikersdorfer istnun wieder Vollerwerbslandwirt. Seine Söhne arbei-ten im Betrieb mit, einer wohnt mitsamt seiner Fami-lie am Hof. Heute sieht er der Zukunft mit „erhobenemHaupt“ entgegen: „Nie hätt’ ich mir vor 20 Jahren ge-dacht, dass ich eines Tages Mostbaron werde und dieLeut’ bis aus München und Ungarn zur Mostverkos-tung kommen. Und dass an meinem Hof vier Genera-tionen unter einem Dach leben werden und zusam-menarbeiten. Das alles wurde möglich, weil wir un-sere Kultur hier wirklich leben.“ |||

Teresa Arrieta, freie Journalistin, Ö1-Sendungsgestalterin

und Autorin

Leader ausblicke 1|09 43

„Spüren, was in der Luft liegt“Im Gespräch mit Eva Pfeiffer, Leader-RegionTourismusverband Moststraße

Was ist das Erfolgsgeheimnis für die rasanteEntwicklung des Mostviertels in den letzten zehnJahren?Die Zusammenarbeit. Hier weiß jeder Mostbauer,was beim anderen im Keller steht. Sie helfeneinander, beispielsweise bei der Kellertechnik. Esbraucht die Bereitschaft, eigenes Wissen zu teilen,das war ein jahrelanger Prozess. Der Bottom-up-Ansatz von Leader unterstützt dieses Gemein-schaftsgefühl.

Wie entwickeln Sie im Leader-GremiumProjektideen?Es geht darum, zu spüren, was in der Luft liegt.Man muss viel bei den Leuten draußen sein. Soentstehen organisch gewachsene Ideen. Wennman die dann vorträgt und von der Bevölkerungein positives Feedback bekommt, weiß man,die Zeit ist reif für die Umsetzung. Mitunter gebenwir jedoch auch Themen vor, z. B. erneuerbareEnergie. Unsere Aufgabe besteht dann darin, dieMenschen dafür zu begeistern.

Wofür steht Leader hier bei den MostviertlerInnen?Die BewohnerInnen haben gelernt: Wenn manetwas wirklich will, gibt es immer einen Weg.Auch mit schrägen Ideen ist man bei Leader an derrichtigen Adresse, man wird stets Unterstützungfinden, das schätzen die Leute.

Welche aktuellen Trends sehen Sie in derRegionalentwicklung?Die Zeit für ein Europa der Regionen ist angebro-chen. Man denkt nicht mehr in Bundesländer-grenzen, auch Landesgrenzen werden im Kopfdurchlässiger. Regionen nehmen sich wichtigerund wissen, dass sie etwas bewegen können.

Leader-Region Tourismusverband MoststraßeMostviertelplatz 1, 3362 ÖhlingKontakt: Eva PfeifferTel.: 07475/533 40-316Mobil: 0676/81 22 03 [email protected]

Page 46: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

44

sen mit Bevölkerungsbeteiligung, Besuche bei Amts-leitern, Gemeinderäten und Bürgermeistern. Einelokale Entwicklungsstrategie wurde erarbeitet – einProzess, der quer durch alle Bevölkerungsschichteneine völlig neue Qualität und Intensität des Zusam-mengehörigkeitsgefühls bewirkt hat. „In Vielfaltz’samm wachsen“ ist auch das Motto der neuenLeader-Region.

Die Jugend partizipiertVielfältig sind die Projekte, die derzeit ihrer Umset-zung harren, ganz sicher. JuWeL etwa, das neueJugendnetzwerk, soll ab Herbst aktiv werden: Ju-gendliche bestimmen das Leben in ihrer Gemeindemit. Ihre Anliegen werden stärker gehört, und sie wer-den dabei unterstützt, eigene Projekte durchzuführen:Beispielsweise werden regionale Musikbands beiKonzertveranstaltungen gefördert. Die jugendlichenMusikbands machen den gesamten Organisations-prozess mit, vom Flyer bis zum Bühnenaufbau: „Sieprofessionalisieren sich und verlieren die Scheu, mitder Erwachsenenwelt zu kooperieren“, meint der24-jährige Bernhard Stegh aus Marchtrenk. Auch ein„Speaker’s Corner“ ist geplant: JugendarbeiterInnenbegeben sich an öffentliche Plätze in den Gemeinden,um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommenund deren Anliegen, Sorgen und Wünsche zu erfra-gen. Ein neuer Auffangpool soll JuWeL werden, umJugendlichen mehr Handlungsspielräume zu eröffnen,die Identifikation mit der Heimat zu stärken und dieAbwanderung zu bremsen. Im Rahmen des JuWeL-Vernetzungsprozesses haben die Jugendzentren derverschiedenen Gemeinden erstmals miteinander kom-

Auf Leader-Manager Wolfgang Pichler wartet vielArbeit. Er ist fröhlich und voller Tatendrang. Mit demBegriff Regionalisierung haben die gegenwärtigenVerhältnisse noch nicht viel zu tun, denn das würdeIdentität, Selbstbewusstsein und Zusammenhalt be-deuten. Dieses Wir-Gefühl steckt hier noch in denKinderschuhen, und das Leader-Programm fungiertals Gehschule. Leader setzte vor eineinhalb Jahrenbuchstäblich im Nichts an: „Unser Büro haben wirauch aus Sparsamkeit in einem abgelegenen Verwal-tungsgebäude angesiedelt, da war zuerst nur gäh-nende Leere“, erinnert sich Wolfgang Pichler. Dochgerade darin lag die spannende Herausforderung: InWels Land ist alles möglich – ein fruchtbarer Boden,und das nicht nur in landwirtschaftlicher Hinsicht.

Kein Marketingkorsett für die RegionIn Zusammenarbeit mit den anderen Regionalent-wicklungsbeteiligten hat sich Wolfgang Pichler fürden schwierigeren Weg entschieden. „Wir wollen dieRegion nicht einseitig vermarkten, sondern ein echtesMiteinander entstehen lassen, auch wenn das weni-ger werbewirksam ist“, erklärt er. Intensivmarketing,das Hinwerfen einiger Schlagworte, die dann inTourismusfoldern abgedruckt werden, das alleinreicht in dieser touristisch wenig attraktiven Regionnicht aus. „Wird ein Gebiet auf einmal zum Synonymfür eine bestimmte Obstsorte oder Sportart, funktio-nieren diese Etiketten zwar mitunter gut, schränkenaber auch ein“, meint er. Das Leader-Team will statt-dessen auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Ein-wohnerInnen eingehen. Am Anfang stand daher breitangelegte Aufklärungsarbeit: Workshops, Ideenbör-

Die Leader-Region Wels Land:

Die Gegend ist flach, die Landwirtschaft intensiv, das Leader-Büro schlicht. Noch istWels Land nicht viel mehr als der Name eines Bezirks, eine politische Grenzlinie um21 Gemeinden mit nicht ganz 60.000 EinwohnerInnen. Teresa Arrieta

ausblicke 1|09 Leader

Die Geburtstunde einer Region miterleben

Page 47: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Leader ausblicke 1|09 45

muniziert, nun tauschen sie ihre Erfahrungen im Um-gang mit schwierigen Jugendlichen aus. „Auf einmalkommt etwas in Bewegung, die Zeiten des Einzel-kämpfertums sind vorbei“, sagt Leader-ManagerWolfgang Pichler.

Ein Ende der Isolation – das trifft auch auf dasPferdezentrum Stadl-Paura zu, das weit über Öster-reichs Grenzen hinaus bekannt ist. Das einstige k. k.Hengstendepot mit seinen denkmalgeschützten Stal-lungen hat sich zum internationalen Leitbetrieb fürPferdezucht gemausert. „Früher waren wir eine ge-schlossene Anstalt, nun starten wir Tourismuskoope-rationen mit den umliegenden Gemeinden“, freut sichGeschäftsführerin Andrea Holzleithner. Sie wirkt aktivim Leader-Gremium mit, ermutigt durch diese neueOffenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit, dievon allen Seiten zu spüren ist. „Früher haben allegeglaubt, ich singe, wenn ich gesagt hab’, dass ich zueiner Leader-Sitzung geh’, heute wissen sie, dassLeader Zukunft bedeutet.“

Ähnlich optimistisch zeigt sich die LandwirtinAnita Straßmayr. Sie wird mit Leader-Hilfe Haupt-schülerInnen auf den Bauernhof holen und ihnen dieVorzüge der Landwirtschaft erklären. „Dein Nachbar– der Bauer/die Bäuerin“ heißt das innovative Projekt,das Jugendlichen ein positiveres Bild des bäuerlichenBerufes vermitteln soll. Landwirtinnen werden alsReferentinnen an Schulen geladen, und Schülersollen einen Tag lang einen Hof besuchen und mitar-beiten. „Mein Sohn hat in der Schule zu kämpfengehabt wegen seiner Herkunft, seine Klassenkamera-den haben ihn verspottet“, erinnert sich BäuerinStraßmayr. Damals lud sie die gesamte Klasse zu sichauf den Hof, um allen zu zeigen, dass bäuerlicheArbeit nicht nur mit stinkendem Kuhmist zu tun hatund wie wichtig Landwirte für die Region sind. „WirBäuerinnen und Bauern pflegen die Landschaft undernähren die Menschen“, sagt sie, wobei sie ausjeder Pore Stolz und Liebe für ihren Beruf verströmt.Die gesamte Leader-Projektentwicklung sei ein Stückharte Arbeit gewesen, aber nun freut sie sich auf denStart im Herbst: „Leader zeigt auch den EU-Skeptikernunter uns, dass die EU auch was tut für die Bevölke-rung, das Land und die Region.“ |||

Teresa Arrieta, freie Journalistin, Ö1-Sendungsgestalterin

und Autorin

Nicht bloß Leuchtturmprojekte,sondern mehr Miteinander

Im Gespräch mit Wolfgang Pichler,RegionalentwicklungsverbandLeader-Region Wels – LAG Wels Land(LEWEL)

Was hat Leader in der Region Wels Landbisher bewirkt?Immer mehr Menschen hier verstehen, dass dasZusammenrücken von Gemeinden und Institutio-nen notwendig ist. Früher gab es Einzelinitiativen,seit es Leader gibt, hat man begonnen, überGemeindegrenzen hinaus zu denken.

Leader baut auf Bürgerbeteiligung auf.Ja, aber man braucht auch politischen Rückhaltund Projektmittel. Wir haben uns bemüht, nichtnur die BürgerInnen einzubeziehen, sondern auchbei den Entscheidungsträgern Vertrauen aufzu-bauen und die Verwaltungsebene ins Boot zuholen. Denn Leader ist mehr als das Umsetzen vonLeuchtturmprojekten, Leader bedeutet für unsEntwicklung durch Kooperation.

Wie kann man die Entwicklungsstrategiehier beschreiben?Die Strategie ist in thematische Aktionsfeldergegliedert: Wohnen – Arbeit – Wirtschaft, Agrar-bereich, Energie, Naherholungsausflug, Jugend –Kultur und Lernende Region. Interessierte ausden Gemeinden wirken in sogenannten Aktions-gruppen mit, die sich im Idealfall eigenständigorganisieren und vom Leader-Team professionellbegleitet werden. Jedes Aktionsfeld hat eineThemenpatin/einen Themenpaten. Diese PatInnenrepräsentieren das Thema in der Öffentlichkeitund sorgen dafür, dass es präsent bleibt und sichetwas bewegt.

Regionalentwicklungsverband Leader-Region Wels– LAG Wels Land (LEWEL)Fluchtwang 24, 4650 Edt bei LambachKontakt: Wolfgang PichlerTel.: 07245/225 52Mobil: 0664/73 72 93 [email protected]

Page 48: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Diese Methode wurde in allen EU-Mitgliedstaatenumgesetzt, und ihr europaweiter Erfolg führte letztlichdazu, dass das Leader-Konzept Eingang in die Main-stream-Programme für ländliche Entwicklung gefun-den hat. Mit diesen Programmen wird in der Periode2007–2013 die gesamte EU-Politik zur Entwicklung desländlichen Raums, die sogenannte 2. Säule der Ge-meinsamen Agrarpolitik, umgesetzt. In Österreicherfolgt dies mit einem einzigen Programm mit derBezeichnung LE 07–13 unter der Verantwortung desBundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft,Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW). AndereEU-Mitgliedstaaten wie Deutschland oder Italien set-zen diese Politik mit Programmen auf Bundesländer-ebene um.

Diese EU-Politik flankiert die klassische Agrar-marktpolitik durch ergänzende Maßnahmen für länd-liche Gebiete und verfolgt drei Ziele:f die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit derLand- und Forstwirtschaft,

f die Verbesserung der Umwelt und Landschaft,f die Steigerung der Lebensqualität im ländlichenRaum und die Förderung der Diversifizierungder ländlichen Wirtschaft.

Diesen Zielen entsprechend sind die Programme indrei Schwerpunkte gegliedert, mit so breiten Maß-nahmen wie dem Österreichischen Programm zur För-derung einer umweltgerechten, extensiven und dennatürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft(ÖPUL), der Bergbauernförderung und der landwirt-

schaftlichen Investitionsförderung. Und hier kommtLeader ins Spiel: Leader ist als methodischer Schwer-punkt in der ländlichen Entwicklung verankert, der zurUmsetzung der drei inhaltlichen Schwerpunkte dient.Mindestens 5 Prozent der ursprünglich zugeteiltenEU-Mittel (2,5 Prozent in den neuen Mitgliedstaaten)sind nach dem Leader-Konzept umzusetzen.

423 Millionen Euro für LeaderDas österreichische Programm LE 07–13 trägt diesenVorgaben Rechnung. Etwa 5,4 Prozent der EU-Mittelsind dem Schwerpunkt 4, Leader, zugeordnet. Ge-meinsam mit den obligatorisch einzusetzenden Mit-teln des Bundes und der Länder ergeben sich inSumme 423,1 Millionen Euro öffentliche Mittel. Diesentspricht einer Vervierfachung des öffentlichenFinanzvolumens im Vergleich zum LEADER+-Pro-gramm 2000–2006 und beinahe einer Verzehnfachunggegenüber der Leader-Periode 1995–1999.

86 Leader-Regionen österreichweitDiese massive Erweiterung der finanziellen Möglich-keiten wirkt sich direkt auf die Umsetzungsbedingun-gen und -strukturen aus. So erfolgte die Durchführung

ausblicke 1|09 Leader46

Leader in Österreich:Zahlen, Fakten, Chancen

Leader steht in Österreich seit 15 Jahren für einen innovativen, modernen und effektivenBottom-up-Ansatz zur Entwicklung ländlicher Regionen. In die Regionen verlagerteEntscheidungskompetenzen, professionalisierte Strukturen und eine sektorübergreifendeStrategieumsetzung waren und sind weiterhin die wesentlichen Elemente und die wichtigs-ten Gründe für den Erfolg von Leader. Markus Hopfner

Fünfzehn Jahre erfolgreiche Regionalpolitik

Leader-Dotierung in Österreich seit 1995Programm Periode EU-Mittel Bundes- und Öffentliche

Landesmittel Finanzierunggesamt

LEADER II 1995–1999 25,0 24,0 49,0LEADER+ 2000–2006 76,8 29,8 106,6LE 07–13 2007–2013 213,7 209,4 423,1

Angaben in Millionen Euro

Page 49: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

von LEADER II mit 31 Lokalen Aktionsgruppen (LAGs)in acht Bundesländerprogrammen. Die EU-Mittelstammten aus drei verschiedenen Strukturfonds. Vondieser Multifondsarchitektur wurde mit der Agenda2000 wieder abgegangen und das LEADER+-Pro-gramm konzipiert, das als bundeseinheitliches Pro-gramm unter der Federführung des BMLFUW reali-siert wurde. Zur Umsetzung wurden 56 LAGs ausge-wählt. Mit etwa 47.000 Quadratkilometern umfasstedas LEADER+-Gebiet mehr als die Hälfte des österrei-chischen Staatsgebiets.

Leader 2007–2013 wird in 86 ausgewähltenRegionen mit über 4,3 Millionen EinwohnerInnen im-plementiert. Im Vergleich zur Vorperiode hat sich dieBevölkerungsanzahl der Leader-Regionen beinaheverdoppelt: Neben der flächenmäßigen Ausweitungaufgrund der größeren LAG-Anzahl ist auch diedurchschnittliche EinwohnerInnenzahl je LAG vonknapp 39.000 auf etwa 50.000 gestiegen. Über 51 Pro-zent der EinwohnerInnen Österreichs leben nunmehrin Leader-Regionen, die über 87 Prozent der Staats-fläche abdecken.

Diese Eckdaten stellen eindrucksvoll die räumlicheund budgetäre Ausweitung der Leader-Anwendungdar. Sie zeigen auf, was mit dem oft zitierten „Main-streaming“ von Leader gemeint ist: Leader ist nichtmehr die kleine feine Experimentierwerkstatt, die vor-wiegend über Softmaßnahmen regionale Entwicklunginduziert und fördert. Neben diesen wichtigen undmeist innovativen Projekten sind nun auch vermehrtinvestive Umsetzungen gefordert, die außerhalb desLeader-Gebiets durchaus über die verschiedenenMaßnahmen der Schwerpunkte 1 bis 3 abgedecktwerden können, dort allerdings nicht in regionale Ent-wicklungsstrategien eingebettet und auf diese abge-

stimmt sind. Leader ist gewissermaßen erwachsengeworden und muss zur Umsetzung seiner kreativenIdeen auch verstärkt finanzielle Verantwortung tra-gen. Dies sollte mit dem neuen Finanzrahmen ge-währleistet sein, immerhin betragen die öffentlichenMittel je LAG durchschnittlich beinahe 5 MillionenEuro.

Auf neue Chancen schauenEine kleine Einschränkung des bewährten Bottom-up-Ansatzes wurde über die EU-Umsetzungsbestim-mungen eingeführt: Im Finanzplan des ProgrammsLE 07–13 mussten bereits vorab die den Zielen „Wett-bewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft“,„Umwelt und Landschaft“ sowie „Lebensqualität undDiversifizierung“ zugeordneten Finanzmittel festge-legt werden. Diese Festlegung erleichtert zugegebe-nermaßen auch die Planbarkeit der nationalen Fach-budgets. Dazu kommen noch die Mittel für Kooperati-onsprojekte mit in- und ausländischen Regionensowie die Mittel für das LAG-Management. Etwa zweiDrittel der Finanzierung sind für Maßnahmen desSchwerpunkts 3, „Lebensqualität und Diversifizie-rung“, vorgesehen.

Trotz dieser Vorgaben – und trotz eines eher als ein-schränkend empfundenen Abwicklungsregimes – istein sentimentaler Blick zurück auf LEADER+ nicht an-gebracht: Erstens war in der Vergangenheit auchnicht immer alles Gold, was glänzte, und zweitens istein nach vorn, auf neue Chancen und Entwicklungs-potenziale ausgerichteter Blick seit eh und je Grund-voraussetzung für erfolgreiche Regionalentwicklung.Glücklicherweise ist diese Fähigkeit besonders oft beiden in Leader engagierten AkteurInnen zu finden. |||

Leader ausblicke 1|09 47

Verteilung der LAGs 2007–2013 auf die BundesländerBundesland Fläche Einwohner Anzahl der Anzahl der

in km2 Innen per Gemeinden LAGs01.01.2008

Burgenland 3.678 263.367 156 3Kärnten 8.441 353.236 113 5

Niederösterreich 17.517 1.151.340 497 18Oberösterreich 11.536 1.049.994 425 24

Salzburg 6.894 329.795 108 8Steiermark 14.772 794.724 477 19

Tirol 8.359 288.631 167 8Vorarlberg 1.966 98.761 63 1Österreich 73.163 4.329.848 2.006 86

Finanzplan Leader 2007–2013 nach MaßnahmenMaßnahme EU-Mittel Nationale Öffentliche

öffentliche MittelMittel

411 Wettbewerbsfähigkeit 38,9 38,1 77,0412 Umwelt und Landschaft 4,7 4,6 9,3413 Lebensqualität und

Diversifizierung 143,0 140,1 283,1421 Transnationale und

internationaleZusammenarbeit 7,1 6,9 14,0

431 LAG-Management 20,0 19,6 39,7Schwerpunkt 4 – Leader gesamt 213,7 209,4 423,1

Markus

Hopfner,

BMLFUW,

Programm-

verwaltung

LE 07–13

Angaben in Millionen Euro

Page 50: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Leader48

Erfahrungen mit Leader

Ein Blick in die Praxis

Stolz und Selbstbewusst-sein wachsen„Genau in dem Augen-blick, als die Raupeglaubte, die Welt gehe

unter, wurde sie zum Schmetterling.“Im Mühlviertler Kernland drohte zwarvor der Bewerbung der Region umAufnahme in das Leader-Programmnicht die Welt unterzugehen, abereine Aufbruchstimmung war kaum zuspüren – eher ein neidisches Über-die-Grenzen-Schauen, weil dort ver-meintlich alles besser war. Genau indieser Hinsicht setzt nun s c h ö nl a n g s a m eine Veränderung ein.Mit jedem Leader-Projekt wächst derStolz auf das, was wir im Kernlandhaben. Und mit wachsendem Stolzund Selbstbewusstsein macht sichauch Mut breit, die Flügel auszubrei-ten, um Neues zu wagen. Es ist einespannende Zeit.Conny Wernitznig, Leader-Managerin

Mühlviertler Kernland

Erweiterung desstrategischen Spielraums„Leader neu“ ist gut, esbedeutet in Niederöster-reich eine deutliche

Erweiterung des strategischen Spiel-raums. Zu meinen, einzelbetrieblicheProjekte hätten keine regionaleAuswirkung, ist falsch: Jeder Winzer,der in seinen Keller investiert, pflegtdie Landschaft und hat damit Einflussauf den Tourismus und das Welt-

kulturerbe. Gleichzeitig bedeutendie vielen Standardprojekte ein Plusin der Projektfinanzierungsbilanz derRegion und halten den Rücken fürwichtige strategische Projekte frei.Viel Nutzen für ein bisschen Büro-kratie. Das Gegreine über das angeb-liche Ende von Leader als Methodekann ich nicht nachvollziehen.Michael Schimek, Leader-Manager

Wachau – Dunkelsteinerwald

Kreative KonstellationenIm Rahmen von Leadertreffen im SchilcherlandMenschen aufeinander.

Die sich dadurch ergebenden kreati-ven Konstellationen bringen Initiati-ven und Projekte hervor, die ausEinzelinteressen ein gemeinsamesBewusstsein für die ländliche Regionentstehen lassen, auch über Leaderhinaus. Leader ist ein verbindendesElement – ideell und in den Tätigkei-ten in- und außerhalb des Schilcher-landes. Für mich ist Leader die we-sentliche Grundlage für die Identitäteiner LAG und öffnet Systeme durchGemeinsamkeiten, auch über Staats-grenzen hinweg.Susanne Hubmann, ehemalige Leader-

Managerin Schilcherland

Steigerung derLebensqualitätLeader bietet aus meinerSicht peripheren Regio-nen optimale finanzielle

Impulse, weil alle Arten von Projektenzur Steigerung der Lebensqualitätumgesetzt werden können. Entschei-dend sind die handelnden Personen.Gerade Menschen, die in solchenländlichen Regionen leben, habenWünsche für die Zukunft ihrer Regionund können dank des Leader-Ansatzesihre Ideen auch umsetzen. Ein beson-derer Synergieeffekt hat sich inmeiner Region in Verbindung mit demNationalpark Hohe Tauern ergeben.Durch die Einbettung der Leader-Aktionsgruppe in die Nationalpark-verwaltung entsteht für die Regionsowie für beide Organisationenein profitabler Alleinstellungsvorteil.Georgia Pletzer, Leader-Managerin

Nationalpark Hohe Tauern

Kooperation undVernetzungLeader stellt für Nieder-österreich mit seinen 18

Leader-Regionen, die nahezu 90 Pro-zent der Landesfläche umfassen, einwichtiges Instrument für die Weiter-entwicklung ländlicher Gebiete dar.Das Besondere am Leader-Konzeptist die übergreifende, breite Zusam-menarbeit unterschiedlichster Akteu-rinnen und Akteure bei verschiede-nen Themen. Viele Probleme könnenauf regionaler Ebene viel besser ge-löst werden als auf Gemeinde- oderLandesebene. Leader trägt dazu bei,vom „Kirchturmdenken“ Abschied zunehmen und den Kooperations- undVernetzungsgedanken in den Vorder-grund zu rücken.Eva Eichinger, Land Niederösterreich

Statements von Leader-ManagerInnen und „Programmverantwortlichen Landesstellen“

Page 51: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Leader ausblicke 1|09 49

Mehr EU-Phorie bitte!Man kann über die EUsagen, was man will.Faktum ist, dass das Süd-

burgenland schon seit Jahren vonEU-Förderungen profitiert. Geradeüber Leader konnten Vor- und Quer-denkerInnen – die zentralen Impuls-geberInnen einer Region – in ihreninnovativen Vorhaben unterstütztwerden. Von 2007 bis 2013 rechne ichwieder mit der Einreichung zahlrei-cher Regionsprojekte. Ausgeprägtexperimentelle Initiativen haben in deraktuellen Förderperiode hierzulandeNachrang. Der Schwerpunkt liegt beider Dorferneuerung, gefolgt vonNaturschutz-, Kleinstunternehmens-und Tourismusprojekten. Darauf willich bauen – für unser Südburgenland.Ursula Maringer, Leader-Managerin

„südburgenland plus“

Lust auf gemeinsamesGestaltenOsttirol ist erstmals alsgesamter Bezirk Leader-

Region. Die Projektinhalte sind bereitsbreit gefächert, Vernetzung und Aus-tausch sind gefragt, Kooperationenwerden angestrebt. Auch wenn nichtalle Inhalte gefördert werden können,hat Leader durch seine Prinzipien denZugang zu Ideen und deren Überset-zung in Projekte geprägt. Als jungeLeader-Region profitieren wir beson-ders von der guten Zusammenarbeitzwischen den Tiroler Leader-Regio-nen und unseren PartnerInnen in denAbteilungen des Landes Tirol, vorallem in der Schwerpunktverantwort-lichen Landesstelle (SVL) und derProgrammverantwortlichen Landes-stelle (PVL). Leader macht Lust aufmehr gemeinsames Gestalten.Helene Brunner, Leader-Managerin

Regionalmanagement OsttirolEin Kleinprojektefondswäre hilfreichDie in den LAGs erarbei-teten Entwicklungsstra-

tegien, die gute Zusammenarbeit mitder PVL und SVL und die damit ver-bundene Abstimmung der Projektvor-haben bewirken in Kärnten eine best-mögliche Umsetzung der Leader-Idee. Als Schwachpunkt wird dasprojekttechnische Ausschließen vonPartnerschaften innerhalb der Maß-nahme 41 gesehen, das meiner Mei-nung nach dem Leader-Ansatz völligwiderspricht. Bedauerlich ist auch derUmstand, dass Kleinprojekte derzeitnur geringe Chancen auf Realisierunghaben und der damit verbundeneAdministrationsaufwand unverhält-nismäßig hoch ausfällt. Die Idee einesKleinprojektefonds, wie sie in derProgrammperiode 2000–2006 inKärnten erfolgreich umgesetztwurde, würde den Menschen undinnovativen Ideen eine nützlicheStarthilfe sein.Gerald Hartmann, Leader-Manager

Unterkärnten

Leader: Die Seele derländlichen EntwicklungGleicht das Leader-Pro-gramm nicht der Partitureiner mächtigen zeitge-

nössischen Sinfonie mit Elementender Improvisation, Dynamik, Agogikusw.? Das Notenbild teils konkret vor-gegeben, teils verworren und schwerinterpretierbar, wo nur das Geschickund die Interpretationskunst derlokalen Akteure darüber entscheiden,ob die Aufführung erfolgreich wirdoder ein Scheitern vorprogrammiertist. Solisten stehen auf und lassen

Eine neue PlanungskulturMit Leader hat eineandere, neue, moderneKultur von Planung undProjektarbeit im ländli-

chen Raum Einzug gehalten. Die LAGVorarlberg macht es möglich, dassdie Regionalplanungsgemeinschaften– sie sind seit vielen Jahren wichtigeMotoren für die Entwicklung ländli-cher Räume – über ihre Talschafts-grenzen hinaus zusammenarbeiten.Das ist ein echter Leader-Mehrwert.Seit es Leader gibt, ist stärkerbewusst, dass neben Infrastruktur-projekten die aktive Gestaltungder gesellschaftlichen, kulturellenund sozialen Entwicklung wichtigund möglich ist. Und diese Themensind eine echte Herausforderung.Walter Vögel, Land Vorarlberg

ihre Fanfaren schmettern, lieblicheMelodien kräuseln sich um den Chorder Streicher und Pfleger und versin-ken in der Gesamtheit des Orchesters,die Trommeln geben den Rhythmusdazu. Leader ist im Rahmen vonLE 07–13 vielfältiger geworden, derjeweilige Rahmen jedoch enger.Es wird noch ein wenig dauern, biswirklich alles läuft, wir sind diesemZiel aber schon sehr nahe und blickenzuversichtlich in eine neue Leader-Zu-kunft – zumindest bis zum Jahr 2013!Thomas Müller, Leader-Manager

Sauwald

Page 52: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzungvon Serviceleistungen zu Vernetzung und Erfahrungs-austausch ist im Konsortium von Netzwerk Land dieÖAR-Regionalberatung GmbH. Basis für das Vernet-zungsangebot ist ein jährliches Arbeitsprogramm, dasin Zusammenarbeit mit der Leader-Begleitgruppe(= 12 Leader-ManagerInnen aus allen Bundesländern)erarbeitet wird. Das Grundprinzip des Arbeitspro-gramms lautet: Es sollte für jeden etwas Nützlichesdabei sein. Leader will sowohl einfach „konsumier-bare“ als auch – für Leader-Gruppen mit einem Inter-esse an Vernetzung und Erfahrungsaustausch kom-plexerer Art – inhaltlich anspruchsvolle und etwaszeitaufwändigere Serviceleistungen anbieten. Wassich Leader-Regionen konkret von Netzwerk Land er-warten können, wird im Folgenden kurz vorgestellt.

Leader-Hotline: Service is our successNetzwerk Land steht allen Leader-Gruppen als An-sprechpartner für Fragen vor allem in folgendenBereichen zur Verfügung: beispielhafte Projekte,Suche nach ExpertInnen für relevante Entwicklungs-themen, Partnersuche für nationale und transnatio-nale Kooperationsprojekte, Förderprogramme mitRelevanz für die Regionalentwicklung. Allgemeinerformuliert gilt das Angebot grundsätzlich für „Leader-und entwicklungsrelevante Fragen aller Art“. Anre-gungen und konstruktive Kritik an der Vernetzungs-arbeit sind jederzeit willkommen.

Innovative Werkstätten:Know-how-TransferDie „Innovativen Werkstätten“ sollen den Erfahrungs-

austausch zwischen den Leader-Gruppen fördern und neues Know-how in die Entwicklungsarbeit einspielen. Für diese Werkstättenwurden folgende vier übergeordnete Hauptthemen festgelegt:f Methoden und Instrumente der Regionalentwicklung,f gesellschaftliche Vielfalt,f interkommunale Kooperation,f Tourismus.

Die konkreten Fragestellungen, die in den Werkstätten bearbeitetwerden sollen, werden in Kooperation mit der „Leader-Begleit-gruppe“ und im Rahmen der Werkstätten selbst festgelegt. Jede/rLeadermanagerIn ist eingeladen, jederzeit Themenvorschläge andie Leader-Netzwerkstelle heranzutragen.

Kooperationsberatung: Moderationvon Start-WorkshopsNeben der Suche nach möglichen PartnerInnen für nationale undtransnationale Kooperationsprojekte stehen bei Bedarf ExpertInnender Netzwerkstelle auch kostenlos als ModeratorInnen für einenStart-Workshop eines Kooperationsprojekts zur Verfügung. Grund-sätzlich können Regionen, die eine Moderation für den Start einesKooperationsprojektes benötigen, immer auch auf BeraterInnen zu-rückgreifen, mit denen sie bisher gute Erfahrungen gemacht haben.Netzwerk Land kann dann Kosten für diese Moderation bis zu einerHöhe von 800 Euro übernehmen.

Voraussetzung ist, dass dies vorher mit Netzwerk Land abge-klärt wird. Durch die Moderation eines Start-Workshops sollen dieKooperationspartnerInnen dabei unterstützt werden, Ziele, Inhalteund Vorgangsweise für ein konkretes nationales oder transnationa-les Kooperationsprojekt zu entwickeln. Damit soll der oft schwierigeSchritt von der Projektidee zur konkreten Zusammenarbeit mit Part-nerInnen aus anderen österreichischen, vor allem aber europä-ischen Regionen erleichtert werden.

ausblicke 1|09 Leader50

Das Leader-Netzwerk

Leader sorgt bereits seit fast 15 Jahren für fruchtbare Beziehungen auf regionaler, Landes-,Bundes- und europäischer Ebene. Im Rahmen des „Ländlichen Entwicklungsprogramms“ sollnun die Vernetzungsarbeit auf den gesamten ländlichen Raum und die AkteurInnen allerSchwerpunkte des Programms ausgeweitet werden. Für die 86 österreichischen Leader-Regionengibt es aber innerhalb von „Netzwerk Land“ – der Vernetzungsstelle für den ländlichen Raum –ein eigenes Serviceangebot, um die bewährte Leader-Vernetzung fortzuführen. Luis Fidlschuster

Eine erfolgreiche Liaison wird fortgeführt

Page 53: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

www.netzwerk-land.at: Profilierungund TransparenzAuf der Website von Netzwerk Land gibt es eineeigene Rubrik für Leader. Diese steht allen Leader-Regionen für Öffentlichkeitsarbeit und Erfahrungs-austausch zur Verfügung. Alle Lokalen Aktionsgrup-pen (LAGs) haben ein Login und ein Passwort erhaltenund können folgende Daten eingeben bzw. veröffent-lichen:f aktuelle Infos aus ihrer Region und Projektarbeit,f Vorstellung der Region und der regionalenStrategie,

f Projektinfos (die Eingabe von ausgewähltenProjekten in die Online-Projektdatenbank istvoraussichtlich ab Winter 2009 möglich).

Alle LAGs sind eingeladen, die Möglichkeiten derWebsite aktiv zu nutzen. PR auf www.netzwerk-land.at kann einen Beitrag zur Profilierung einer Lea-der-Region in der Leader-Community – bei anderenLAGs, Verwaltungsstellen auf Landes- und Bundes-ebene, GD Agri der EU, ENRD (European Network forRural Development) – leisten. Zudem werden dadurchein guter Überblick und die erforderliche Transparenzbezüglich Leader-Aktivitäten in Österreich geschaffen– als Voraussetzung für mögliche Kooperationen, aberauch als Visitenkarte und Nachweis für die Bedeu-tung von Leader für die Entwicklung ländlicher Regio-nen.

Leader-Forum: Die Jahrestagung vonLeader ÖsterreichDie Leader-Jahrestagung wird jedes Jahr im Herbstund immer in einer Leader-Region stattfinden. Daserste „Leader-Forum“ ist für den 18. und 19. Novem-ber 2009 in Waidhofen an der Ybbs anberaumt. Zielder Jahrestagung ist es, die Leader-Community –Leader-Gruppen, Verwaltungsstellen, ExpertInnen ausBeratung und Forschung, andere regionale Entwick-lungsorganisationen mit einem Bezug zu Leader – ein-mal im Jahr geschlossen zu versammeln. Inhaltlichwird es immer um ein übergeordnetes Thema derRegionalentwicklung gehen. Das erste Leader-Forumwird dem Thema „Regionalität“ in all seinen Facetten– regionale Produkte, Angebote, Kultur, Identität,Wirtschaftskreisläufe – gewidmet sein. Neben inhalt-

lichen Inputs und Erfahrungsaustausch wird es – ganz in alterLeader-Tradition – stets auch ein kulinarisches und unterhaltsamesregionales Abend- und Rahmenprogramm geben.

Europäische Leader-VernetzungLeader hat auch in der europäischen Vernetzung einen hohen Stel-lenwert. Bei den Treffen der nationalen Vernetzungsstellen für dieländliche Entwicklung, aber auch im eigens eingerichteten Leader-Subbegleitausschuss der EU-Kommission werden regelmäßigErfahrungen bei der Umsetzung von „Leader neu“ in den einzelnenMitgliedstaaten ausgetauscht. Derzeit ist in diesem Zusammenhangdie Einrichtung einer „Fokusgruppe“ mit VertreterInnen aus unter-schiedlichen EU-Mitgliedstaaten im Gespräch, die sich mit Chancenund Problemen im Bereich „Leader-Mainstreaming“ beschäftigensoll. Das ENRD bietet den nationalen Vernetzungsstellen zudemwertvolle Hilfestellungen bei der Suche nach Partnern für transna-tionale Kooperationsprojekte. Was im Gegensatz zu LEADER+ der-zeit auf europäischer Ebene nicht geboten wird, sind regelmäßigethemenbezogene Leader-Seminare, an denen in der abgelaufenenPeriode jeweils zwischen 200 und 300 Leader-AkteurInnen aus ganzEuropa teilgenommen haben und die nicht nur zu Erfahrungsaus-tausch undWeiterbildung, sondern auch wesentlich zur Anbahnungtransnationaler Kooperationsprojekte beigetragen haben.

Wozu das Ganze?Was haben der Formel-1-Weltmeister Mika Häkkinen, die Innovati-onsexpertin Eva Buchinger und der Managementberater Stephen R.Covey gemeinsam? Alle drei sind bekennende NetzwerkerInnen.

Das hört sich so an: „Du gewinnst nie allein. An dem Tag, andem du etwas anderes zu glauben anfängst, fängst du an, zu verlie-ren.“ (Mika Häkkinen, Formel-1-Weltmeister).

„In modernen, funktional differenzierten Gesellschaften gibt eskeine Innovation ohne Netzwerkaktivitäten.“ (Eva Buchinger,Austrian Research Centers)

„In einer Welt wechselseitiger Abhängigkeiten und wachsen-der Komplexität kann nur das WIR – d. h. Kooperation und Vernet-zung – zum Erfolg führen. Der Versuch, nur durch Unabhängigkeitund Einzelinitiativen maximale Effektivität zu erreichen, gleicht dem,mit einem Tennisschläger Golf spielen zu wollen: Das Werkzeugpasst nicht zur Realität.“ (Stephen R. Covey, Die 7 Wege zur Effek-tivität).

In diesem Sinne: Viel Spaß und Erfolg beim Netzwerken in denRegionen und Bundesländern, in Österreich und Europa! |||

Luis Fidlschuster, ÖAR-Regionalberatung

[email protected]

Leader ausblicke 1|09 51

Page 54: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Netzwerk Land

Page 55: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

„Service is our success“:Netzwerk Land bietetDienstleistungen fürAkteurInnen undOrganisationen derländlichen Entwicklung.Im Zentrum stehenMaßnahmen für Erfah-rungsaustausch undKnow-how-Transfer.

Page 56: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Netzwerk Land54

Zu den AkteurInnen der ländlichen Entwicklung gehö-ren vor allem VertreterInnen von Organisationen, dieim ländlichen Raum bzw. in der ländlichen Entwick-lung tätig sind, aber auch Personen aus der Verwal-tung. Die Aufgaben und Ziele der Service-EinrichtungNetzwerk Land sind:f die Organisation des Austausches vonErfahrungen und Fachwissen,

f die Ermittlung und Analyse von übertragbareninnovativen oder bewährten Praktiken (Best-Practice-Beispielen),

f die Vernetzung innerhalb von Sektoren undsektorübergreifend und

f die nationale und internationale Zusammenarbeit.

Die Vernetzungsaufgaben für Netzwerk Land erstre-cken sich bis 2015. Netzwerk Land steht in Kontakt mitdem europäischen Netzwerk (ENRD – EuropeanNetwork for Rural Development), das als Drehscheibefür die nationalen Netzwerkstellen fungiert und dieEU-weite Koordinierung sowie einen effektiven inter-nationalen Austausch garantiert.

Wer ist Netzwerk Land?Mit der Durchführung des Vernetzungsauftrageswurde vom Lebensministerium eine Bietergemein-schaft aus den folgenden drei Partnerorganisationenbetraut:Agrar.Projekt.Verein (APV): Der APV ist durch denAgrar.Projekt.Preis und verschiedene überregionaleInitiativen wie die GenussKrone bekannt. Der APV istder Leadpartner und widmet sich den Themen „Land-wirtschaft und Markt“ sowie „Forstwirtschaft“.

Umweltdachverband (UWD): Der UWD ist eine öster-reichische Dachorganisation für 38 Umwelt- und Na-turschutzorganisationen. Im Zentrum seiner Arbeitsteht der nachhaltige Schutz natürlicher Ressourcen.Er übernimmt die Vernetzungsarbeit für den Themen-schwerpunkt „ÖPUL und Umwelt“ (ÖPUL: Österrei-chisches Programm zur Förderung einer umwelt-gerechten, extensiven und den natürlichen Lebens-raum schützenden Landwirtschaft).ÖAR-Regionalberatung: Die ÖAR hat langjährige na-tionale und internationale Erfahrung in der Regional-entwicklung und war bis 2007 für die Leader-Netz-werkstelle verantwortlich. Im Rahmen von NetzwerkLand widmet sich die ÖAR dem Leader-Bereich.

Wozu gibt es Netzwerk Land?Netzwerk Land unterstützt mit seinen Aktivitäten dieZiele und Schwerpunkte der ländlichen Entwicklungund hilft damit den Menschen, die im ländlichen Raumtätig sind. In enger Abstimmung mit den Entschei-dungsträgerinnen und -trägern sowie Meinungsbild-nerinnen und -bildnern der ländlichen Entwicklungwurden und werden daher folgende Angebote ent-wickelt:f Seminare, Workshops („Netz-Werkstätten“) undKonferenzen zu ausgewählten Themen, in denenLösungsansätze für Problemlagen erarbeitet,interessante Persönlichkeiten zusammenge-bracht und Informationen über neueste Trendsweitergegeben werden;

f die Homepage www.netzwerk-land.at mit Infor-mationen, Adressen und Kontakten zu einschlägi-gen Themen der ländlichen Entwicklung;

Wer? Was? Wozu?

Netzwerk LandUm das Österreichische Programm für die Entwicklung des ländlichen Raums (LE) 2007–2013 – den„Grünen Pakt“ – erfolgreich umsetzen und die AkteurInnen im ländlichen Raum bei ihren Aktivitätenunterstützen zu können, wurde vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt undWasserwirtschaft eine neue Servicestelle ins Leben gerufen: Netzwerk Land. Christian Jochum

Page 57: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Netzwerk Land ausblicke 1|09 55

f eine Projektdatenbank auf der Homepage mitguten Beispielen oder Ideen;

f die Vermittlung von Projektpartnern sowienationaler und internationaler Kontakte überdie Homepage;

f das zweimal pro Jahr erscheinende Magazin„ausblicke“, das über Schwerpunktthemenberichtet und Menschen im ländlichen Raumbewegende Ansichten und Informationen liefert;

f eine Hotline für Anfragen und Informationen:+43/1/332 13 38 14.

Netzwerk Land sucht die Anbindung und die Zusam-menarbeit, wo es bereits Strukturen und Netzwerkegibt, und will Bestehendes weder verdoppeln nochkonkurrieren.

Strategische Leitlinien undösterreichische Programmierungals BasisMit der EU-Ratsverordnung zur Förderung der Ent-wicklung des ländlichen Raums ist erstmals eine Ver-netzungsstelle für die gesamte ländliche Entwicklungvorgesehen. Modell für diese neue Einrichtung wardie erfolgreiche Umsetzung des Leader-Konzepts, dasimmer schon von einer Netzwerkstelle begleitet wor-den war.

Basis für die inhaltliche Ausrichtung der Tätig-keit von Netzwerk Land sind die strategischen Leitli-nien der EU und Österreichs bzw. das von Österreichdetailliert ausgearbeitete und von der Kommission be-willigte Programm zur ländlichen Entwicklung.

Netzwerk Land ist daher keine politische Platt-form zur Gestaltung der ländlichen Entwicklung, son-dern ein Instrument zum optimalen Vollzug diesesProgramms.

Während die strategischen Leitlinien der EU undder daraus abgeleitete österreichische Strategieplandie grundsätzliche Richtung vorgeben, ist das kon-krete österreichische Programm mit den zugehörigenSonderrichtlinien das Feingerüst dazu.

Aus strategischer Sicht konzentrieren sich dieMaßnahmen der nationalen LE-Programme auf dreiHauptbereiche: auf die Agrarlebensmittelindustrie,die Umwelt sowie die ländliche Wirtschaft und Be-völkerung im weiteren Sinn.

Vernetzung auf drei EbenenNetzwerk Land hat im Rahmen der internen Arbeits-teilung ein Gesamtkonzept mit den Themenbereichen„Landwirtschaft und Markt“, „Forstwirtschaft“,„ÖPUL und Umwelt“, „Zukunft Land“ und „Leader“ausgearbeitet. Diese Untergliederung folgt in etwaden vier Programmschwerpunkten der Ratsverord-nung („Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit derLand- und Forstwirtschaft“, „Verbesserung derUmwelt und der Landschaft“, „Lebensqualität imländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichenWirtschaft“ und „Leader-Konzept“). Innerhalb dieserThemenbereiche wird als Erstes vernetzt.

In einem weiteren Schritt geht es um die Her-stellung von Querverbindungen zwischen den The-menbereichen, um ein Wissen, Kennenlernen undVerstehen – vielleicht auch als Basis für eine spätereZusammenarbeit. Das betrifft vor allem die Einbindungvon Leader in den Bereichen Landwirtschaft, Forst-wirtschaft und Umwelt.

Schließlich zielt Netzwerk Land auch auf eine in-ternationale Vernetzung ab: sowohl mit der EU-Ebene(auch dort gibt es eine Vernetzungsstelle) als auch mitanderen Mitgliedsländern; der bilaterale Austauschergibt sich aus Kooperationen zwischen Leader-Regionen oder einschlägigen Veranstaltungen.

Vernetzung ohne Ende? Alle Aktivitäten werdenletztlich am Nutzen der Vernetzten gemessen werden.In Zeiten des Überangebots an Veranstaltungen,Strukturen und Informationen ist das die wahre Her-ausforderung für Netzwerk Land. |||

Christian Jochum, Leiter Netzwerk Land

Page 58: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Das Arbeitsprogramm von Netzwerk Land wird jähr-lich in Abstimmung mit den Begleitgruppen und demAuftraggeber, dem BMLFUW, erarbeitet. Es bestehteinerseits aus Maßnahmen in den Bereichen „Land-wirtschaft und Markt“ sowie „Forstwirtschaft“, für dieder Agrar.Projekt.Verein (APV) verantwortlich zeich-net, im Bereich „ÖPUL und Umwelt“, für den der Um-weltdachverband zuständig ist, und in den Themen-feldern „Zukunft Land“ und „Leader“, für welche dieÖAR-Regionalberatung Ansprechpartner ist. Die Jah-reskonferenz wird in trilateraler Kooperation durch-geführt. Für die Administration des Netzwerks ist derAPV hauptverantwortlich. Website, Projektdatenbankund Hotline werden von den themenverantwortlichenPartnern eigenständig betreut.

Agrar.Projekt.Verein – Wettbewerbs-fähigkeit als SchwerpunktOhne Landwirtschaft kein ländlicher Raum, ohne länd-liche Entwicklung keine Landwirtschaft. Die vielfälti-gen Leistungen der Bäuerinnen, ihre Rolle als Be-triebsführerinnen bzw. als gleichwertige Partnerinnenam Hof, ihr Beitrag zur Stärkung der Identität der bäu-erlichen Familien sowie ihre Stellung in der ländlichenEntwicklung wurden im Seminar „Die ländliche Ent-wicklung und die Bäuerinnen“ am 15. September 2009behandelt.

Österreich hat einen hohen Anteil an Bergland-wirtschaft und sonstigen benachteiligten Gebieten.Die Bewirtschaftung des Grünlands ist zentraler An-satzpunkt für die meisten Bergregionen Österreichs.Eine in Zusammenarbeit mit der Höheren Bundeslehr-und Forschungsanstalt für Landwirtschaft Raumberg-Gumpenstein organisierte, für Winter anberaumteVeranstaltung spannt einen Bogen von der Bedeutungder Milchproduktion bis zu Tourismus und Land-schaftspflege.

In einem gemeinsam mit der AMA und demBMLFUW am 14. und 15. Oktober 2009 veranstalteten

Seminar wurden aktuelle Fragen der Förderabwick-lung bearbeitet.

Ein weiterer Spezialworkshop Anfang Oktoberstellte den Zusammenhang zwischen Betriebs- undArbeitswirtschaft her. Dabei ging es um die Optimie-rung von innerbetrieblichen Arbeitsabläufen, umeinerseits Kosten zu sparen, andererseits die Lebens-qualität zu verbessern.

Agrarische Bildung ist ein wesentlicher Faktorfür die ländliche Entwicklung. In einem ersten Schrittwird in der Projektdatenbank ein Überblick über be-stehende Bildungsaktivitäten geschaffen.

Qualität und Innovation sind zwei strategischeAnsätze für die österreichische Lebensmittelwirt-schaft. Beide bedingen eine vertikale Integration.Weiters sind die geschützten Herkunftsbezeichnun-gen der EU geeignete Instrumente der Regionalver-marktung. Zur besseren Implementierung der Maß-nahmen des Programms für die ländliche Entwicklung2007–2013 sind zwei Workshops in Planung.

„Ein Beispiel sagt mehr als 1000 Worte!“: DerAgrar.Projekt.Preis 2009 zeichnet vor allem Best-Prac-tice-Beispiele in den Maßnahmenbereichen „Diversi-fizierung“ und „Investition“ aus. Die Siegerehrung fin-det im Rahmen des Festes der Projekte am 16. Novem-ber 2009 in Stift Ossiach statt.

Die Forstwirtschaft wird eigens betreut; Schwer-punkte sind Förderabwicklung, „Leader und Forst-wirtschaft“, Kooperationen bei der Waldbewirtschaf-tung und der Austausch mit anderen EU-Ländern. Beiden Kooperationen geht es in erster Linie um Forst-biodiversität und den Forsttourismus.

Umweltdachverband – Fokus aufBiodiversität und KlimawandelBiodiversität und Klimawandel als neue Herausforde-rungen der Gemeinsamen Agrarpolitik stehen im Be-reich „ÖPUL und Umwelt“ im Zentrum einer Reihe vonVeranstaltungen im Jahr 2009. Der Schwerpunkt im

ausblicke 1|09 Netzwerk Land56

Was macht Netzwerk Land?Werkstätte einrichten und Vernetzung starten

Page 59: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Bereich der Workshops und Seminare liegt diesesJahr klar auf problem- und lösungsorientierten Fra-gestellungen, deren Behandlung auf einer sachlichenEbene möglich ist. Es gibt einerseits die Seminarreihe„Ländliche Entwicklung und Biodiversität“ und ande-rerseits die „LE-Workshops“.

Die Seminarreihe konzentriert sich auf dasThema biologische Vielfalt. Im Rahmen von bisherdrei Seminaren wurde die Umsetzung der Biodiversi-tätsvorgaben erörtert und das Thema „Biodiversitäts-auflagen im intensiven Grünland bzw. im Ackerland“aufgegriffen. In den jeweils zweitägigen mit Exkursio-nen kombinierten Veranstaltungen wurden die The-men mit Theoretikern und Praktikern aus Landwirt-schaft und Naturschutz diskutiert und Lösungsan-sätze zu erarbeiten versucht.

Die „LE-Workshops“ beschäftigen sich eher mittechnischen Rahmenbedingungen des Programmswie z. B. den ÖPUL-Umsetzungserfordernissen imNaturschutzbereich bzw. dem Problemfeld Natur-schutz in Land- und Forstwirtschaft.

Der Klimawandel steht im Mittelpunkt zweierTagungen zu bisher wenig behandelten Themen. DieTagung „Schutzgebiete und Klimawandel“, die im Juniim Rahmen der „Klagenfurt Days of Protected Areas“abgehalten wurde, zeigte nicht nur auf, welchen Bei-trag Schutzgebiete zum Klimaschutz leisten können,sondern stellte auch die provokante Frage, ob ange-sichts des Klimawandels die Ziele von Schutzgebie-ten künftig neu definiert werden müssen. Weiters willeine in Kooperation mit der Deutschen Vernetzungs-stelle für Anfang 2010 geplante Konferenz zum ThemaAgrarumweltmaßnahmen und Klimawandel jeneMaßnahmen beleuchten, die zur Vermeidung des Kli-mawandels bzw. zur Anpassung an den Klimawandelbeitragen können.

Um der österreichischen Bevölkerung einenbesseren Einblick in das österreichische Agrarum-weltprogramm zu geben und die Akzeptanz für dasProgramm zu heben, wird 2009 ein Konzept für eineBroschüre entwickelt, die das ÖPUL einfach undverständlich erklären und damit die vielfältigen Leis-tungen der österreichischen LandwirtInnen aufzeigensoll.

Darüber hinaus wird in Zusammenarbeit mitPartnern wie der Hochschule für Agrar- und Umwelt-pädagogik sowie der Höheren Bundeslehr- und For-

schungsanstalt für Landwirtschaft Raumberg-Gump-enstein ein „Netzwerk-Land-Wettbewerb“ entwickelt,der 2010 als Kulturlandschaftspreis umgesetzt werdenwird.

Leader ist VernetzungDie Weisheit von Leader steckt bereits im erstenBuchstaben: Das „L“ steht für Liaison – also für Koo-peration und Vernetzung. Und eine Kultur der Vernet-zung und Zusammenarbeit ist in den letzten Jahren inder Leader-Community auf regionaler, Landes-, Bun-des- und europäischer Ebene entstanden. Dazu bei-getragen haben engagierte Leader-Managements,Verwaltungsstellen der Länder und des Bundes sowiedie österreichische und europäische Leader-Vernet-zungsstelle. Für dieses gut funktionierende Leader-Netzwerk wird die ÖAR im Rahmen von NetzwerkLand Serviceleistungen anbieten, die jedes Jahr ge-meinsam mit der „Leader-Begleitgruppe“ entwickeltwerden. In dieser Begleitgruppe sind 6 Leader-Mana-gerinnen und 6 Leader-Manager vertreten, die dafürsorgen sollen, dass Netzwerk Land nicht an den Be-dürfnissen der Leader-Regionen „vorbeiproduziert“.Details zum Serviceangebot sind in einem eigenenBeitrag (siehe Seite 50) dargestellt. Daher an dieserStelle nur ein kurzer Auszug: Herzstück der Leader-Vernetzung sind die „Innovativen Werkstätten“. Fürdiese wurden folgende vier übergeordnete Themenfestgelegt: Methoden und Instrumente der Regional-entwicklung, gesellschaftliche Vielfalt, interkommu-nale Kooperation, Tourismus.

Bereits die ersten Werkstätten zu den Themen„Methoden und Instrumente der Regionalentwick-lung“, „Gesellschaftliche Vielfalt“ und „Interkommu-nale Kooperation“ („Energieregionen“) haben gezeigt,dass das Interesse an Erfahrungsaustausch und derLeader-Spirit unter erfahrenen und neuen Leader-ManagerInnen sehr lebendig sind. Zu einem beson-deren Highlight der Leader-Vernetzung soll das „Lea-der-Forum“, die Jahrestagung von Leader Österreich,werden. Das Thema des ersten „Leader-Forums“ am18. und 19. November 2009 wird „Regionalität“ in allihren Facetten sein.

Weitere Serviceangebote für die Leader-Vernet-zung sind die Leader-Hotline und die Beratung fürnationale und transnationale Kooperationsprojekte. |||

Netzwerk Land ausblicke 1|09 57

Page 60: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 Netzwerk Land58

BirdLife: Vogelschutzüber Regionenund Grenzen hinwegAngela Balder, BirdLife Österreich,

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Die Vogelschutzorganisation BirdLifeist in über 100 Ländern aktiv undzählt mehr als 2,5 Millionen Mitglie-der. Die Partnerorganisationen, zudenen auch BirdLife Österreichgehört, arbeiten neben lokalen undnationalen Projekten an der Umset-zung eines weltweiten Vogelschutz-Programms.

BirdLife Österreich wurde bereits1953 als „Österreichische Vogel-warte“ gegründet. „Unsere Arbeitbasiert heute auf den Säulen Arten-schutz, Schutzgebiete, Lebensraum-schutz und Bewusstseinsbildungder Bevölkerung“, erläutert BirdLife-Geschäftsführer Gerald Pfiffinger.Artenschutzprojekte helfen gefähr-deten Arten, die auf der Roten Listestehen: in Österreich etwa demKaiseradler, dem Braunkehlchen unddem Wiedehopf. BirdLife weist dieweltweit wichtigsten Gebiete für dieVogelwelt (Important Bird Areas –IBA) nach einheitlichen Kriterien aus.Mit mehr als 50 solchen Gebietenliefert Österreich einen wichtigenBeitrag zu diesem zentralen BirdLife-Programm.

Extensive Bewirtschaftungsformengut für die VogelweltDamit häufige Arten auch häufigbleiben, setzt sich BirdLife für eineumwelt- und naturgerechte Bewirt-schaftung von Lebensräumen ein.Monitoring-Projekte wie der Farm-land Bird Index (FBI) zeigen einen

alarmierenden Rückgang der Vogel-zahl um 22 Prozent im agrarischgenutzten Kulturland während derletzten zehn Jahre.

BirdLife-Agrarexperte JohannesFrühauf: „Maßnahmen zur Verbesse-rung des Lebensraumes wie exten-sive Bewirtschaftungsformen wirkensich auf die Vogelbestände nachweis-bar positiv aus. Abgeltungszahlungenlohnen sich sowohl für den Umwelt-und Naturschutz und die Erhaltungder Biodiversität als auch für dieLandwirtschaftsbetriebe.“

Der Trend geht aber in eine an-dere Richtung. Zwar greifen einzelneökologische Förderprogramme,gleichzeitig verschlechtern aber vieleMaßnahmen der ländlichen Entwick-lung, etwa der Bau von Forststraßen,den Lebensraum für viele Arten. Be-sonders dramatische Auswirkungenhat die immer intensivere Landnut-zung. Frühauf: „Immer weniger Bau-ern bewirtschaften immer größereFelder mit immer größerem Ertrag.Ungünstige Lagen werden hingegenganz aufgegeben. Beides ist für dieArtenvielfalt schlecht.“ Aktuelle Zah-len von BirdLife belegen den Zusam-menhang zwischen Bauernsterbenund dem Verschwinden einzelner Vo-gelarten, die typisch für eine extensivgenutzte Kulturlandschaft sind.

Weitere Infos: www.birdlife.at

Lernende RegionenKlaus Thien, Geschäftsführer des Österrei-

chischen Instituts für Erwachsenenbildung

In unserer wissensbasierten Gesell-schaft wurde und wird niedrigqualifi-zierte Arbeit in hohem Maß weg-rationalisiert oder in Schwellenländerverlagert. Grad und Qualität vonAus- und Weiterbildung der Men-schen werden immer relevanter.In der regionalen Dimension liegt dieChance, das Lernen den Lernenden(auch räumlich) näher zu bringen. DasLebensministerium hat im Rahmendes Schwerpunkts 3 des Europä-ischen Landwirtschaftsfonds für dieEntwicklung des ländlichen Raums(ELER) mit M341 eine eigene Förder-maßnahme für die Entwicklung„Lernender Regionen“ im ländlichenRaum geschaffen. Träger der Lernen-den Regionen sind die Leader-Regionen, deren Managements auchdie Organisation der LernendenRegionen übernehmen.

Die AufgabenIn einer Lernenden Region finden sichwichtige Institutionen aus der Regionrund um das Thema „Bildung undLernen“ zu einem Netzwerk zusam-men: Bildungsanbieter, Regional-entwicklungseinrichtungen, Arbeits-marktservices, Interessenvertretun-

Weitere Netzwerke für dieländliche Entwicklung

Page 61: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Netzwerk Land ausblicke 1|09 59

gen, Unternehmen sowie sonstigeEinrichtungen (z. B. Vereine), die ander Entwicklung von Bildungsange-boten in der Region interessiert sind.Erste Aufgabe in einem solchenNetzwerk ist es, für die Region eineLernstrategie zu erarbeiten. Die Netz-werkpartner analysieren zunächstdie Bildungssituation ihrer Region mitallen Herausforderungen, Defizitenund Chancen und entwickeln daraufaufbauend Bildungsprojekte, die vonallen oder einigen Netzwerkpartnernumgesetzt werden. Fixe Aufgabeneiner jeden Lernenden Region sindauch eine begleitende Öffentlichkeits-arbeit, die Abstimmung der Bildungs-angebote aufeinander, Bildungsinfor-mation und – nach Möglichkeit –Bildungsberatung. Das Netzwerkbleibt als steuerndes und weiterent-wickelndes Organ bestehen.

Die ZieleIn den Lernenden Regionen soll dasbereits vorhandene Bildungsangebotbekannter werden. Daneben sollenneue, leicht zugängliche und inno-vative Angebote geschaffen werden.Man will das Bewusstsein derBevölkerung für die Wichtigkeit desLernens stärken, die Bildungsbetei-ligung steigern und damit dieZukunftsfähigkeit der Bewohner undihrer Region à la longue sichern.

Bald 30 Lernende RegionenDerzeit sind in Österreich bereitszwanzig Lernende Regionen amArbeiten, weitere zehn werden balddazukommen.

Die Idee der Lernenden Regionwird von den regionalen Stakehol-dern sehr gut angenommen. An den

Netzwerken sind jeweils bis zu fünfzigPartnereinrichtungen beteiligt, dasArbeitsklima wird durchwegs als pro-duktiv beschrieben. Das spiegelt sichauch in den bis dato vorliegendenStrategien wider, in denen von denNetzwerkpartnern sowohl regions-spezifische Schwerpunkte als auchallgemeine Themen des lebenslangenLernens herausgearbeitet wurden.

Weitere Infos: www.netzwerk-land.at/

leader/lernende-regionen

Der ÖsterreichischeWalddialog – einBeteilungsprozess mit„vielfältigen“ InteressenGeorg Rappold, BMLFUW, Forstsektion

Die österreichischen Wälder sindein wichtiger Wirtschaftsfaktor, bietenSchutz vor Naturgefahren, leisteneinen wesentlichen Beitrag für dieLuft- und Wasserqualität und sindzudem ein vielseitiger Erholungs- undLebensraum für Mensch und Tier.Um die vielfältigen Leistungen lang-fristig sicherzustellen und die unter-schiedlichen Waldnutzungsinteressenbestmöglich auszugleichen, hat derBundesminister für Land- und Forst-wirtschaft, Umwelt und Wasserwirt-schaft im April 2003 einen breiten ge-sellschaftlichen Dialogprozess – denÖsterreichischen Walddialog (ÖWAD)– initiiert. Die Teilnahme am Wald-dialog steht allen mit den österreichi-schen Wäldern befassten Gruppen,Institutionen und Interessierten offen.

Ziel dieses institutionalisierten,transparenten und auf Dauer angeleg-ten Dialogs sind die Sicherstellungund laufende Optimierung einer nach-haltigen Bewirtschaftung der österrei-chischen Wälder. Es geht darum, mitallen Betroffenen und am Wald Inte-ressierten gemeinsam den sorgsamenUmgang mit dem Wald weiterzuent-wickeln und sämtliche Wirkungen

des Waldes nachhaltig zu sichern.Der ÖWAD fördert eine sektorüber-greifende Zusammenführung wald-relevanter sowie forstpolitischerDiskussionen und Instrumente aufBundes- und Länderebene. Außerdemwerden Synergieeffekte, Defizite undKonflikte aufgezeigt sowie Zielset-zungen und Lösungsansätze miteiner nachhaltigen Landesentwick-lung in einen programmatischenZusammenhang gestellt. Durch denWalddialog ist es möglich, die oftnur singulär betrachteten waldbezo-genen Aspekte, wie die Erhaltungder Biodiversität, zu bündeln und ineinen von den betroffenen Akteurengemeinsam erarbeiteten forstpoliti-schen Rahmen zu stellen.

Ein wichtiger Meilenstein desWalddialogs ist das von 80 Organisa-tionen und Institutionen erarbeiteteund Ende 2005 im Konsens beschlos-sene erste Österreichische Waldpro-gramm. Das Waldprogramm ist einlangfristiges Arbeitsinstrument,das klare Leitlinien vorgibt, um alleökologischen, ökonomischen undgesellschaftlich wichtigen Kompo-nenten der Wälder bestmöglichmiteinander in Einklang zu bringenund nachhaltig auszuschöpfen.Auch das zugehörige Arbeitspro-gramm, das die Umsetzung desWaldprogramms mittels konkreterMaßnahmen laufend festhält undweiterentwickelt, ist ein wichtigesErgebnis des Walddialogprozesses.

Weitere Infos: www.walddialog.at

Page 62: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

ausblicke 1|09 International60

Ländliche Entwicklung durch den ELER

Vielfalt in Deutschland:Bei der Umsetzung der Politik für ländliche Regionen im Rahmen des EuropäischenLandwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) geht Deutschlandeinen anderen Weg als die meisten anderen EU-Mitgliedstaaten: Es hat nicht ein einzigesnationales Umsetzungsprogramm, sondern insgesamt 14 Programme auf Ebene derBundesländer, die von einer „Nationalen Rahmenregelung“ flankiert werden. Dieser Beitragzeigt: Ländliche Entwicklungspolitik in Deutschland ist so vielfältig wie seine ländlichenRäume. Juliane Mante und Jan Swoboda

Agrarumweltmaßnahmen nehmenden größten Teil der in Schwerpunkt 2geförderten Maßnahmen ein.

Page 63: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Neben dem Europäischen Sozialfonds (ESF), dem Eu-ropäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE),dem Kohäsionsfonds und dem Europäischen Fische-reifonds (EFF) bildet der ELER die Grundlage für dieländliche Entwicklungspolitik Europas von 2007 bis2013. Für Deutschland stehen aus diesen EU-Fonds inder neuen Förderperiode insgesamt rund 35 Mrd. Eurozur Verfügung, davon ein Großteil (26 Mrd. Euro) ausden Strukturfonds. 8 Mrd. Euro werden im Rahmendes ELER bereitgestellt, während der EFF mit rund 150Mio. Euro nur einen relativ kleinen Anteil an Mittelnumfasst.

Von einer nationalen Strategie zu ...Die auf Basis der „Strategischen Leitlinien der Ge-meinschaft für die Entwicklung des ländlichenRaums“ (2006/144/EG) erarbeitete nationale Strategiekonkretisiert unter anderem die nationale Prioritäten-setzung für jeden der 4 ELER-Förderschwerpunkte.Bei der Verfolgung ihrer zentralen Ziele kommt inDeutschland folgenden Punkten besondere Bedeu-tung zu:f Investitionen innerhalb und außerhalb der Land-und Forstwirtschaft,

f freiwilligen Agrar- und Waldumweltmaßnahmen,f Ausgleichszahlungen für naturbedingte Nachteileund ordnungsrechtliche Beschränkungen,

f Informations-, Qualifikations- und Weiterbildungs-maßnahmen,

f sektorübergreifenden Entwicklungsstrategien.

... Entwicklungsprogrammen für denländlichen RaumDie Umsetzung liegt in Deutschland in der Verant-wortung der Bundesländer. Deshalb sind die Ent-wicklungsprogramme für den ländlichen Raum derLänder (EPLR) die wichtigste Grundlage für die För-derung der ländlichen Entwicklung 2007–2013.Deutschland ist jedoch neben Spanien das einzigeLand mit regionalen Entwicklungsprogrammen, das ineiner Rahmenregelung Vorgaben für ausgewählteMaßnahmen auf nationaler Ebene macht. Die Maß-nahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes“ (GAK) fungieren als „Nationale Rahmenre-gelung“ und bilden somit den inhaltlichen Kern derEPLR. Ist eine Kofinanzierung der einzelnen Förder-maßnahmen durch den Bund angestrebt, müssen dieentsprechenden Vorgaben der GAK zu diesen Maß-nahmen eingehalten werden. Die Maßnahmen der„Nationalen Rahmenregelung“ werden aber – je nachFörderschwerpunkt verschieden – von den Ländernhäufig nicht eins zu eins übernommen. Die EPLR derBundesländer sind also in Bezug auf die angebotenenFördermaßnahmen und deren Dotierung entspre-chend der spezifischen Ausgangslage der Bundes-länder sehr unterschiedlich ausgestaltet.

Ost-West-GefälleDie ökonomische, strukturelle, ökologische und so-ziale Ausgangslage der ländlichen Räume Deutsch-lands ist sehr verschieden. Die ostdeutschen Bun-desländer zählen mit einigen regionalen Ausnahmenzu den Konvergenzregionen – also den Regionen,deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt weniger als 75Prozent des europäischen Durchschnitts beträgt. ImVergleich zu den Nichtkonvergenzregionen ist dasdurchschnittliche Bruttoinlandsprodukt je Einwohnerhier um 30 Prozent niedriger, die Arbeitslosenquoteaber mit durchschnittlich 19 Prozent deutlich höher.Hinzu kommt ein auch in diesen Regionen verstärkterdemografischer Wandel: Geburtenrückgang und Ab-wanderung vor allem junger und besser qualifizierterMenschen – vor allem Frauen – führen zu überdurch-schnittlich starkem Bevölkerungsverlust und Überal-terung. Dies mindert die wirtschaftliche Entwick-lungsfähigkeit und gefährdet die wirtschaftliche Trag-fähigkeit infrastruktureller Grundausstattungen, da

International ausblicke 1|09 61

Der etwa achtmaljährlich erscheinendeNewsletter „land-aktuell“ und das vier-mal jährlich erschei-nende Magazin„LandInForm“ derDVS können kosten-los über die unten-stehende Kontakt-adresse abonniertwerden.Detaillierte Informa-tionen zur Umsetzungdes ELER in Deutsch-land gibt es unterwww.netzwerk-laendlicher-raum.de/hintergrund/eler-in-deutschland.

Nach dem Agrarinvestitionsförderungsprogramm (AFP)der „Nationalen Rahmenregelung“ werden zur Unter-stützung einer wettbewerbsfähigen, nachhaltigen,umweltschonenden, tiergerechten und multifunktionalenLandwirtschaft Investitionen in langlebige Wirtschafts-güter landwirtschaftlicher Unternehmen gefördert.

KontaktDeutsche VernetzungsstelleLändliche RäumeTel.: +49/228/684 539 56,[email protected], www.netzwerk-laendlicher-raum.de

Literatur• Tietz, Andreas (Hg.), Ländliche

Entwicklungsprogrammein Deutschland 2007–2013im Vergleich – Finanzen,Schwerpunkte, Maßnahmen,Landbauforschung Völkenrode,Sonderheft 315, Braunschweig2007.

Page 64: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

die Infrastrukturkosten je Ein-wohner steigen.

FördermittelumfangDiese unterschiedliche Aus-gangslage spiegelt sich in derMittelverteilung aus den EU-Fonds wider. Die ostdeutschenBundesländer Sachsen, Bran-denburg und Sachsen-Anhalterhalten als Konvergenzregio-nen die meisten Mittel aus denEU-Fonds. Abgesehen vonBayern, das die meisten ELER-Mittel erhält, stehen auch bei

der ELER-Förderung die ostdeutschen Bundesländeran der Spitze. Dieses Gefälle wird auch bei der För-derung pro Einwohner deutlich: So werden zum Bei-spiel in Mecklenburg-Vorpommern rund 730 EuroELER-Mittel je Einwohner in ländlichen Regionen ein-gesetzt, in Nordrhein-Westfalen nur rund 27 Euro(siehe Tietz 2007).

Die gesamte Mittelausstattung eines EPLR istaber von den gewählten Kofinanzierungssätzen undder unterschiedlich in Anspruch genommenen Mög-lichkeit der Bundesländer abhängig, eigene Mittelohne ELER-Finanzierung bereitzustellen. Daher ergibtsich hier ein gegensätzliches Bild: Die EPLR der west-deutschen Bundesländer Bayern, Niedersachsen undBaden-Württemberg haben die höchste Mittelaus-stattung und setzen zusammen rund 45 Prozent allerMittel ein (siehe Tietz 2007).

FördermittelverwendungIm Vergleich zur alten Förderperiode haben sich fürden Zeitraum 2007–2013 Inhalte, Maßnahmen undZielgruppen der angebotenen Fördermaßnahmen zur

ländlichen Entwicklung kaum geändert.Man kann aber auch in der finanziellenSchwerpunktsetzung der EPLR Unter-schiede vor allem zwischen den (nord-)ost- und (süd-)westdeutschen Bundes-ländern ausmachen. Während in den(süd-)westdeutschen Bundesländernder finanzielle Schwerpunkt im Durch-schnitt auf dem Schwerpunkt 2 derELER-Förderung – Umweltschutz und

Landschaftspflege – liegt, ist in den (nord-)ostdeut-schen Bundesländern der Förderschwerpunkt 3(Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft und Le-bensqualität im ländlichen Raum) den beschriebenenStrukturproblemen entsprechend tendenziell amstärksten ausgestattet (siehe Abb.).

Rolle und Situation von LeaderInsgesamt etwa 6,5 Prozent der Mittel werden inDeutschland für Schwerpunkt-4-Maßnahmen einge-setzt. Ausreißer sind hier das Saarland, Hessen undSchleswig Holstein, die zwischen 11,5 und 15 Prozentfür Leader nutzen. Der ELER schränkt das Themen-spektrum meist ein. Strategie aller Länder ist die Kom-bination von Leader- mit Schwerpunkt-3-Maßnahmen.Einige stellen minimale Beträge für Schwerpunkt 1und 2 zur Verfügung. Etwas höhere Beträge bietenneben Niedersachsen/Bremen vor allem ostdeutscheLänder. Wegen der thematischen Orientierung an derGAK zwecks Kofinanzierung sind zwar nicht alle Maß-nahmen des 3. Schwerpunkts programmiert und nutz-bar, Schwerpunkt 3 ist aber vergleichsweise gut ab-gedeckt. In vielen Bundesländern bestehen jetzt engeBezüge zur Dorfentwicklung, die teilweise erheblicheMittel bindet. Von den Stadtstaaten – besonders vonHamburg – sind stärkere Impulse zur Stadt-Land-Kooperation zu erwarten.

Vernetzung und InformationDie „Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume“(DVS) setzt in der Förderperiode 2007–2013 die Arbeitder bisherigen Vernetzungsstelle LEADER+ mit erwei-terten Aufgaben fort. Sie soll den Austausch zwischenden vielfältigen Akteuren im Bereich der ländlichenEntwicklung ermöglichen und die Entwicklung ge-meinsamer Projekte und Kooperationsvorhaben un-terstützen. Hinzu kommen intensive Informationsar-beit über ein umfassendes Internetangebot, einNewsletter („landaktuell“) und das Magazin für länd-liche Räume „LandInForm“. Von der DVS durchge-führte Veranstaltungen wie Seminare, Workshops,Schulungen und Tagungen sowie Messeauftritte die-nen als Foren für den fachlichen Austausch und dieInformation von Fachpublikum und Öffentlichkeit. |||

Juliane Mante und Jan Swoboda, Deutsche Vernetzungsstelle

Ländliche Räume

ausblicke 1|09 International62

Prozentuale Verteilungder ELER-Mittel auf dieeinzelnen Förderschwer-punkte in den Bundes-ländern inkl. Top-ups(Stand 2008; Änderungen inder Fördermittelverteilungals Folge des Health-Checksder europäischen Agrar-politik wurden noch nichtberücksichtigt.)

Schwerpunkt 3 hat inDeutschland ein deutlichgrößeres Gewicht als inden meisten anderenEU-Mitgliedstaaten. Diemeisten Mittel werdenhier für die Dorferneue-rung und -entwicklung,für die Erhaltung und Ver-besserung des kulturellenund natürlichen Erbessowie für Dienstleistungs-einrichtungen zur Grund-versorgung eingeplant.

© Eufinger/BLE

Page 65: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

EduCate – Fortbildung für die GastronomieDas Fortbildungsprogramm „EduCate“ zeigt die Zusammenhängevon Landnutzung, regional erzeugten Lebensmitteln und Naturer-lebnissen auf. Grundlage ist ein Handbuch, das im Rahmeneines europäischen Projektes entwickelt wurde. Gastronomenerhalten Ideen für die Verwendung und Vermarktung regionaler,biologischer und fair gehandelter Produkte. So werden regionaleAkteure vernetzt und das Bewusstsein für die Region gefördert.Download: www.agrarprojektverein.at

Evaluierungsbericht 2008 – Ex-post-Evaluierungdes Österreichischen Programms für die Entwicklungdes ländlichen RaumsIn diesem Bericht finden Sie alle Ergebnisse der Ex-post-Evaluie-rung des Österreichischen Programms für die Entwicklungdes ländlichen Raums in der Programmperiode 2000–2006. Alle inÖsterreich angebotenen Maßnahmen wurden einbezogen, dieEntwicklung bei den Projekten und Zahlungen sowie die Zeit-reihen der Indikatoren ausführlich behandelt.Download: www.lebensministerium.at/filemanager/download/41361/

Indikatoren-Bericht zur Biodiversität in ÖsterreichDer Status der Biodiversität wird durch bestimmte biodiversitäts-relevante Parameter einer Dauerbeobachtung unterzogen undsystematisch untersucht. Der aktuelle Bericht, der sich auf16 Indikatoren aus den Bereichen Arten und Lebensräume, Wald,Alpen, Kulturlandschaft, Gewässer, Boden, Naturschutz undFragmentierung bezieht, ist im April 2009 erschienen.Download: www.nachhaltigkeit.at/article/articleview/73917/1/25775

Literatur- und Webtipps ausblicke 1|09 63

Literaturtipps

Webtipp

EduCateFortbildung für die Gastronomie

verstehen vernetzen vermarkten

Netzwerk Naturschutz & ländliche EntwicklungDie Website gibt eine Übersicht über die naturschutzrelevanten Teile des Programmszur ländlichen Entwicklung in Österreich sowie alle wichtigen bewilligten Projekteund enthält Hinweise auf Fachliteratur und weitere spezielle Informationen, die für dieAbwicklung und Betreuung von Projekten relevant sind.http://netzwerk-naturschutz-le.at/index.php

Page 66: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Schreiben Sie uns!In Zukunft möchten wir an dieser Stelle Ihre Meinungenveröffentlichen.

Haben Sie Anregungen, Lob oder Kritik zu unseremMagazin „ausblicke“ oder zur Arbeit vonNetzwerk Land?

Was auch immer Ihnen wichtig ist:[email protected]

Besuchen Sie auch unsere Website!Sie bietet Ihnen:f aktuelle Informationen zur ländlichen Entwicklung,f eine Kontaktdatenbank mit wichtigen Adressen

aus dem Bereich der ländlichen Entwicklung,f Veranstaltungshinweise und wertvolle weitere Infos.

www.netzwerk-land.at

Page 67: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

AbbildungsnachweiseSeite 1, 12, 28+29, 30: BMLFUW/Rita Newman; Seite 2, 52+53, 55:Netzwerk Land; Seite 3, 34: © hans slegers – Fotolia.com;Seite 4+5: Hemma Burger-Scheidlin; Seite 7, 38: Gerlind Weber;Seite 8: Statistik Austria, Volkszählung 2001, erstellt am27.06.2007; Seite 10: Biosphärenpark Großes Walsertal; Seite 13:© meailleluc.com – Fotolia.com; Seite 14: J. Gepp/Naturschutz-bund Österreich; Seite 15: ÖKL; Seite 16: ÖBV – Via CampesinaAustria; Seite 17: Land&Forst Betriebe Österreich; Seite 18:J. Limberger/ Naturschutzbund Österreich; Seite 18: P. Buchner/Naturschutzbund Österreich; Seite 19: Günter Jaritz; Seite 20:Festival der Regionen, Norbert Artner; Seite 21: LAG Eferding;Seite 22: Richard Frankenberger, K.U.L.M.; Seite 24: LAG Mühl-viertler Alm; Seite 25: Akzente Salzburg; Seite 29, 31, 34, 35:agrarfoto. com; Seite 32: www.UrlaubamBauernhof.at; Seite 33:www.maschinenring.at; Seite 33: www.stekovics.at; Seite 33:www.pefc.at; Seite 35: © Anette Linnea Rasmussen –Fotolia.com; Seite 37: William Blake; Seite 39: Bildausschnittaus dem Bildband „flora“, foto: © nick knight, verlag schirmer/mosel; Seite 40+41: Leaderregion Steirisches Almenland;Seite 43: www.moststrasse.at; Seite 44, 45: www.about-pixel.de;Seite 44: Kronberger; Seite 50: Leaderregion Vorarlberg;Seite 58: www.birdlife.at; Seite 58: Andrea Klar/oieb.at; Seite 59:Arge Regionalcoaching; Seite 59, 64: © makuba – Fotolia.com;Seite 59: www.walddialog.at; Seite 60: Pambieni/ Pixelio;Seite 61: BLE Bonn/Foto: Thomas Stephan; Seite 62: Rita Köhler/Pixelio; Seite 63: Klenovec.Umschlagvorderseite: www.gettyimages.comUmschlagrückseite: www.oscorna.at

Alle übrigen Bilder wurden von den AutorInnenzur Verfügung gestellt.

ausblicke – Magazin für ländliche Entwicklung ist die zweimaljährlich erscheinende Zeitschrift von Netzwerk Land.Inhalt: Informationen zu Themen der ländlichen Entwicklungund Neuigkeiten von Netzwerk Land und Partnernetzwerken.

Netzwerk Land ist die vom Bundesministerium für Land- undForstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft eingerichteteServicestelle zur optimalen Umsetzung der ländlichenEntwicklung laut LE 07–13 (Grüner Pakt). Mit der Durchführungdes Vernetzungsauftrages wurde eine Bietergemeinschaftaus den Partnerorganisationen Agrar.Projekt.Verein, Umwelt-dachverband und ÖAR-Regionalberatung betraut.

Medieninhaber und HerausgeberAgrar.Projekt.Verein im Auftrag des Bundesministeriums fürLand- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,Dresdnerstraße 70, A-1200 Wien, Tel. 01/3321338-14,[email protected]

RedaktionBarbara Pia Hartl (ÖAR-Regionalberatung)Christian Jochum (Agrar.Projekt.Verein)Christina Gassner (Agrar.Projekt.Verein)Hemma Burger-Scheidlin (Umweltdachverband)Luis Fidlschuster (ÖAR-Regionalberatung)Michael Proschek-Hauptmann (Umweltdachverband)

LektoratWolfgang Astelbauer, Karin Astelbauer-Unger

Grafische Konzeptionneuwirth+steinborn, www.nest.at

Gestaltung und LayoutAndrea NeuwirthMitarbeit: Gabriel Fischer

DruckRemaprint

Dieses Magazin ist auf Claro bulk 135g/m2

von Antalis, einem PEFC-zertifizierten Papier,gedruckt.

Impressum

Page 68: ausblicke 1.09 - Vielfalt: Magazin fuer laendliche Entwicklung

Das Netzwerk Land wirdfinanziert von Bund, Ländernund Europäischer Union.

www.netzwerk-land.at