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31flK<;3iin))er Leitung AUSLAND Freitag. 22. Dezember 1989 Nf. 298 Das Brandenburger Tor, während vier Jahrzehnten ein Sinnbild der Trennung Deutschlands und Europas. (Bild Comet) öffnung des Brandenburger Tores am Freitag Berlin. 21. Dez. (ap) Am Freitag wird die DDR die Mauer am Brandenburger Tor in Berlin öffnen. Die Regierungen in Bonn und Ostberlin sowie der Westberliner Senat be- stätigten am Donnerstag diesen Termin. 28 Jahre nach dem Mauerbau werden die Regie- rungschefs der beiden deutschen Staaten, Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow, die Freigabe des Tores als Übergang für Fussgänger um 15 Uhr mit einem Händedruck besiegeln. Ein Symbol im Wandel der Zeiten sk. Berlin. 20. Dezember Das Brandenburger Tor, das am Freitag nach 28 Jahren wieder geöffnet wird, hat in der Ge- schichte Preussens, Deutschlands und Europas eine bedeutende Rolle gespielt. Die Anwesen- heit von Fernsehsendern, Radioanstalten und Pressevertretern aus aller Welt, die wochenlang nach der Öffnung der Grenzen vergeblich auf den Abriss der Mauer vor dem Tor warteten, weist auf die Symbolträchtigkeit dieses Bau- werks hin, welches das einzige noch erhaltene Stadttor in Berlin ist. Einst ein Monument des Friedens Das Brandenburger Tor wurde in den Jahren 1789 bis 1791 nach dem Entwurf von Karl Gott- hard Langhans und dem Vorbild der Propyläen in Athen erbaut. Der Monumentalbau hat eine Höhe von 20 und eine Breite von 65,6 Metern und weist fünf Durchfahrten auf. Diese sind durch Mauern voneinander getrennt, deren Stirnseiten 12 Säulen nach antikem dorisch -tos- kanischem Muster schmücken. Auf den Säulen ist ein Architrav und eine reliefgeschmückte Stufenattika angebracht. Den Abschluss des Bauwerkes bildet die Quadriga mit einer Gruppe von jeweils zwei Pferden, die von einer in einem zweirädrigen Wagen stehenden Frie- densgöttin mit einer Trophäe in der rechten Hand gelenkt werden. Das nach den Plänen von Langhans errichtete Bauwerk mit der von dem Berliner Bildhauer Johann Gottfried Scha- dow entworfenen Quadriga sollte nach deren ursprünglichen Vorstellungen den Sieg des Friedens über den Krieg symbolisieren. Doch in den Revolutionskriegen der Napoleonischen Zeit änderte sich das Bild der Quadriga. Dir Quadriga in Paris Als Napoleon am 23. August 1806 mit seinen Truppen in Berlin einzog, wurde die Quadriga vom Brandenburger Tor abmontiert und nach Annahme des Sparhaushalt s im ungarischen Parlament Budapest. 21. Dez. (sda/Reuter) Mit grosser Mehrheit hat das ungarische Parlament am Donnerstag den Sparhaushalt der Regierung gebilligt und damit die Bedingungen für neue ausländische Kredite an die ungarische Wirt- schaft erfüllt. 252 Abgeordnete stimmten für den Haushaltsentwurf von Ministerpräsident Nemeth. 23 waren dagegen; 52 enthielten sich der Stimme. Damit ist der Weg frei für den letz- ten Teil eines Kredits des Internationalen Wäh- rungsfonds (IWF) in der Höhe von 350 Millio- nen Dollar. Die Europäische Gemeinschaft will Ungarn eine Milliarde Dollar leihen. Der neue ungarische Haushalt sieht eine Ver- ringerung des Budgetdefizites von derzeit rund 49 Milliarden Forint (rund 1,2 Milliarden Fran- ken) auf zehn Milliarden Forint (rund 250 Mil- lionen Franken) und des Defizits in konvertierbarer Währung von 1,4 Milliarden Dollar auf knapp über 500 Millionen Dollar vor. Um die Einsparungen zu erreichen, wur- den die Subventionen für Konsumgüter und die Produktion ebenso gekürzt wie die Verteidi- gungsausgaben. Paris gebracht. Nach der militärischen Nieder- lage Napoleons wurde sie wieder nach Berlin zurückgeholt. Als sie dann auf das Branden- burger Tor aufgesetzt wurde, hatte sich der ihr ursprünglich zugedachte Symbolcharakter grundlegend gewandelt. Die pferdelenkende Göttin trug jetzt in ihrer Rechten eine Trophäe mit einem Lorbeerkranz, auf dem ein Adler auf- gesetzt und ein Eisernes Kreuz nach einem Ent- wurf des Bildhauers Karl Friedrich Schinkel ein- gearbeitet worden war. Aus der Friedensgöttin war eine Siegesgöttin geworden. Als Symbol der Demonstration militärischer Macht diente das Brandenburger Tor fortan den Herrschenden in Deutschland. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 zogen die siegreichen Truppen durchs Brandenburger Tor. In den Wirren nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg bezogen Kommunisten im Jahre 1919 mit Gewehren und Maschinengewehren Stel- lung am Brandenburger Tor. Sieger, Herrscher, Machthaber Auch Hitler nutzte die Symbolkraft des Bau- werkes, als er am 30. Januar 1933. dem Tag sei- ner Machtübernahme, seine SA-Formationen mit brennenden Fackeln durchs Brandenburger Tor marschieren liess. Schon damals wurde von weitsichtigen Gegnern des deutschen Diktators diese Machtdemonstration als Fanal für den be- vorstehenden Weltbrand gedeutet. Das im Kriege schwer beschädigte Bauwerk behielt auch in den Nachkriegsjahren seine Symbol- kraft. Während des Aufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 holte ein 18jähriger Westberliner die rote Fahne vom Brandenburger Tor. Im Abenteuer im Dschungel Panamas Der Aufschrei der Empörung über die amerikanische Intervention in Panama hat sich bisher in Grenzen gehalten, mit Sicher- heit deshalb, weil ausser Kuba und Nicara- gua kaum jemand dem Drogen- und Fi- nanzgangster Noriega ernstlich eine Träne nachweinen wird. Einige lateinamerikani- sche Regierungen müssen zwar in der öffentlichkeit ihre Beunruhigung und ih- ren Unmut über die «Einmischung in die in- neren Angelegenheiten» eines Landes ihrer Region loswerden, was angesichts der chronischen Gefühle eigener Unterlegen- heit verständlich ist; insgeheim sind sie aber erleichtert, dass ein auch in ihrem Kreise untragbar gewordener Amtskollege in die Wüste geschickt worden ist. Etwas schwieriger mag es sein, aus europäischem Blickwinkel den militärischen Eingriff des Seniorpartners in der Allianz gerade jetzt gutzuheissen, wo ein markanter Wandel im sowjetischen Verhalte n gegenüber den ost- europäischen Ländern, aber auch gegen- über nationalistischen Ansprüchen im In- nern zu Vergleichen Anlass geben könnte. Doch mit Versuchen, amerikanische an sowjetischer Nachbarschaftspolitik zu mes- sen, ist wenig Einsicht zu gewinnen. Ent- sprechende Vergleiche hinkten schon frü- her, als beispielsweise westliche Äqui- distanz- Künstler das Eingreifen in Gre- nada der Invasion in Afghanistan gleich- setzen wollten. Gorbatschews Absage an die Breschnew-Doktrin etabliert noch kei- ne moralische Überlegenheit. Es ist zwar heikel, mit Argumenten der Moral politi- sche Aktionen rechtfertigen zu wollen; aber es lässt sich nicht abstreiten, dass Washington, das die Schlange Noriega an seinem Busen grossgezogen hat, eine mora- lische Verpflichtung zu ihrer Bändigung und notfalls Beseitigung hatte. Auch der Panamakanal-Vertrag liefert eine Begrün- dung für amerikanische Polizeiaufgaben; im Falle chaotischer Wirren in der Kanal- republik und bei einer Gefährdung der Schiffahrt in der internationalen Wasser- strasse ist ein Eingreifen der Vereinigten Staaten als Ordnungsmacht vorgesehen. Ob sich daraus eine völkerrechtliche Recht- fertigung des Angriffs auf die Regierung eines souveränen Staates ableiten lässt, dürfte allerdings umstritten bleiben. Bei einer Bewertung der Vorgänge ist aber auch zu berücksichtigen, dass der jetzt ver- eidigte Präsident Endara die Wahlen vom letzten Mai gewonnen hat und von Norie- ga unter krassem Verstoss gegen sogar vom Diktator damals noch anerkanntes Recht von der Amtsübernahme abgehalten wur- de. Wenn in Panama jemand dem Gesetz des Dschungels zum Durchbruch verholfen hat, dann sicher nicht der amerikanische Präsident mit seinem Befehl, Noriega ge- fangenzunehmen. Panamas Rückkehr in die Rechtsstaat- lichkeit, die auf Grund des amerikanischen Eingreifens möglich geworden ist, trifft ausser dem Diktator und seiner Kamarilla hauptsächlich die Führungseliten Kubas und Nicaraguas, die unter Noriegas Schutz ihre Devisentransaktionen und ihre priva- ten Bereicherungsgeschäfte abwickelten, und die lateinamerikanische Drogenmafia, die am Kanal eine bedeutende Drogen- und Gelddrehscheibe verliert. Die sich auf demokratische Werte im nationalen und internationalen Umgang zurückbesinnen- de lateinamerikanische Staatengemein- schaft wird davon profitieren. Präsident Bush seinerseits stiess mit seinen wirkungs- losen Versuchen, Noriega mit politischem und wirtschaftlichem Druck zur Aufgabe zu zwingen, auf immer eindringlichere Kri- tik. Dass er jetzt zugeschlagen hat, aus tie- fer Frustration über die immer frecheren Herausforderungen durch den panamai- schen Desperado, erhöht seine Glaub- würdigkeit zu Hause und den Respekt, den jeder amerikanische Präsident in Latein- amerika braucht, um im empfindlichen, von Komplexen auf beiden Seiten belaste- ten interamerikanischen Beziehungsgefüge handlungsfähig zu bleiben. Trotzdem kann Bush seines Erfolges noch keineswegs sicher sein. Sein Haupt- ziel, Noriega festzunehmen und vor Ge- richt zu stellen, ist vorderhand nicht er- reicht. Der pockennarbige Überlebens- künstler ist in das unwegsame Hinterland entkommen und mit ihm offenbar eine be- trächtliche Anzahl von Getreuen. Es ist auf Grund der gegenwärtigen Lage nicht aus- zuschliessen, dass die amerikanischen Truppen in einen hässlichen Kleinkrieg ver- wickelt werden, der alle für den Moment gewonnenen Vorteile zunichte machen würde. Die überwiegende Zustimmung, die Bushs Intervention in der amerikanischen Bevölkerung und sogar bei Kritikern in der Demokratischen Partei gefunden hat, wür- de rasch verfliegen, und der lauten Scha- denfreude der castristisch-sandinistischen Revolutionsgemeinde wäre er sicher. Bush hat jetzt selber erfahren, wie schwer «s eine Grossmacht hat, mit kleinen Bösewichten fertig zu werden. Im Unterschied zu den Zaungästen ist sie aber zum Handeln ver- pflichtet. Der venezolanische Präsident Perez hat es, im Namen auch seiner latein- amerikanischen Amtskollegen, auf eine treffende Formel gebracht: «Wir haben zu- wenig getan, und darum musste Washing- ton handeln.» Vielleicht ist dies ein Ansatz für ein Stück interamerikanischer Solidari- tät, auf die die USA angewiesen sind. mü. Jahre 1948 wurde die neu gegossene Quadriga wieder aufs Brandenburger Tor gehoben, ohne Eisernes Kreuz und Adler an der Trophäe. In diesen Tagen ist die Quadriga wieder mit einem Gerüst versehen. Sie soll gründlich restauriert werden und nach Informationen aus Ostberlin dann wieder mit Eisernem Kreuz und Adler aufs Brandenburger Tor gehoben werden. Erklärungen Mitterrands zur deutschen Frage Dialog des Präsidenten mit Studenten in Leipzig Präsident Mitterrand ist am zweiten Tag seines Besuchs in der DDR zu einem ersten Meinungsaustausch mit Ministerpräsident Modrow zusammengetroffen. Anschliessend flog er nach Leipzig, wo er sich mit Studenten der Universität und dem Leiter des Ge- wandhaus-Orchesters, Masur, traf. In der Karl-Marx-Universität nahm Mitterrand auch ausführlich zur französischen Haltung in der deutschen Frage Stellung. sk. Berlin. 21. Dezember Ministerpräsident Modrow hat am Donners- tag nach seiner ersten Unterredung mit Mitter- rand gegenüber der Presse erklärt, dass die ge- meinsame Verantwortung für das Gleichgewicht in Europa im Vordergrund der Begegnung ge- standen habe. Ferner seien Möglichkeiten zum Ausbau der bilateralen Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich erörtert worden. Da- bei gehe es um eine Intensivierung sowohl der politischen als auch der wirtschaftlichen Ko- operation. Die Erklärungen von französischer Seite zum Staatsbesuch Mitterrands in der DDR machen deutlich, dass die Politik Frank- reichs auf eine steuernde und korrigierende Funktion im Rahmen der wachsenden Verzah- nung der Beziehungen zwischen der Bundes- republik und der DDR nach der öffnung der Grenzen ausgerichtet ist. Bei einem Essen des amtierenden Staatsratsvorsitzenden der DDR, Gerlach, zu Ehren des französischen Gastes regte Mitterrand an, das für 1990 vorgesehene Gipfeltreffen der KSZE-Staaten in Paris abzu - halten. Es bestehe die Chance, dass sich die Länder des Kontinents einander annäherten. Sicherheit und Zusammenarbeit fussten auf dem Grundsatz, dass die Stabilität der Grenzen in Europa Garantie für gegenseitiges Vertrauen sei. Das Konzept der DDR Mitterrand hatte schon zuvor gegenüber dem DDR-Fernsehen den französischen Standpunkt hinsichtlich der europäischen Grenzen darge- legt. Für das ganze Europa wäre es nicht gut, ja sogar gefährlich, die existierenden Grenzen in Frage zu stellen. Die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander seien besonderer Art, und es seien verschiedene Möglichkeiten zur Lösung der deutschen Frage möglich. Die Deutschen müssten diese Probleme friedlich und demokratisch lösen. Die von Deutschland aus- gehende Bewegung müsse in das Vertrauen der europäischen Nachbarn eingebettet werden, sagte Mitterrand. Die Haltung der derzeitigen DDR-Führung, die sich für die Erhaltung der deutschen Zwei- staatlichkeit einsetzt, brachte Gerlach in seiner Tischrede zum Ausdruck. Er begrüsste Mitter- rand als den Wegbereiter der gesamteuropäi- schen Idee. Die DDR wolle keinen deutschen, sondern einen europäischen Kontinent, der vom Atlantik bis zum Ural reiche. In diesem Europa möchte die DDR als souveräner, dem Antifaschismus, dem Humanismus und einem zutiefst demokratischen Sozialismus verpflich- teter Staat, als Mitglied einer Föderation euro- päischer Staaten, ihren Platz finden. Der Dialog Mitterrands mit Studenten der Leipziger Karl-Marx-Universität war ohne Zweifel der Höhepunkt seines Besuchs in der Messestadt Man spürte, dass er sich im Frage- und Antwortspiel in seinem Element fühlte. Mitterrand würdigte in einer kurzen einleiten- den Erklärung Leipzig als eine Stadt mit grosser wissenschaftlicher und kultureller Tradition. Aus dieser Stadt deutscher Kultur und Wissen- schaft sei im Herbst dieses Jahres alles ausge- gangen. In Leipzig werde derzeit weitgehend die Geschichte der DDR und Europas geschrie- ben. Mitterrand erinnerte in diesem Zusammen- hang an die Botschaft der Französischen Revolu- tion, die auch in Leipzig lebendig sei. Frank- reich und die Bundesrepublik hätten in zwei Generationen an dem Bau eines europäischen Gebäudes mitgewirkt. Er sei davon überzeugt, dass auch die Völker Osteuropas dazu kommen würden. Doch das brauche Zeit. Es sei jedoch klar, dass eine demokratische Revolution gros- sen Ausmasses in Europa am Ende dieses Jahr- hunderts stehe. Die europäischen Interessen Mitterrand nah m während seines Dialogs mit den Leipziger Studenten ausführlich zur Frage der deutschen Einheit Stellung. Die Einheit der Deutschen in welcher Form auch immer sei zu- nächst die Angelegenheit der Deutschen selbst. Allein freie Wahlen würden darüber Auskunft geben, was die Deutschen wollten. Diese müss- ten selbst entscheiden, was sie anstreben. Doch man müsse auch berücksichtigen, dass es Reali- täten gebe, und zu diesen Realitäten gehöre, dass es zwei souveräne deutsche Staaten gebe mit Grenzen, die nach dem Krieg entstanden seien. Auch bestünden in Europa zwei Bündnis- systeme. Wenn hier angefangen werde, an Grenzen zu rütteln, dann würden an mehreren Stellen Grenzrevisionen gefordert werden. Die Grenzen zwischen den beiden deutschen Staa- Neue Zürcher Zeitung vom 21.12.1989

AUSLAND - Neue Zürcher Zeitungim+Dschungel+Panamas_… · 28 Jahren wieder geöffnet wird, hat in der Ge- schichte Preussens, Deutschlands und Europas eine bedeutende Rolle gespielt

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Page 1: AUSLAND - Neue Zürcher Zeitungim+Dschungel+Panamas_… · 28 Jahren wieder geöffnet wird, hat in der Ge- schichte Preussens, Deutschlands und Europas eine bedeutende Rolle gespielt

31flK<;3iin))er Leitung AUSLAND Freitag. 22. Dezember 1989 Nf. 298

Das Brandenburger Tor, während vier Jahrzehnten ein Sinnbild der Trennung Deutschlands und Europas.(Bild Comet)

öffnung des Brandenburger Tores am FreitagBerlin. 21. Dez. (ap) Am Freitag wird die DDR die Mauer am Brandenburger Tor in

Berlin öffnen. Die Regierungen in Bonn und Ostberlin sowie der Westberliner Senat be-stätigten am Donnerstag diesen Termin. 28 Jahre nach dem Mauerbau werden die Regie-rungschefs der beiden deutschen Staaten, Bundeskanzler Kohl und MinisterpräsidentModrow, die Freigabe des Tores als Übergang für Fussgänger um 15 Uhr mit einemHändedruck besiegeln.

Ein Symbol

im Wandel der Zeitensk. Berlin. 20. Dezember

Das Brandenburger Tor, das am Freitag nach28 Jahren wieder geöffnet wird, hat in der Ge-schichte Preussens, Deutschlands und Europaseine bedeutende Rolle gespielt. Die Anwesen-heit von Fernsehsendern, Radioanstalten undPressevertretern aus aller Welt, die wochenlangnach der Öffnung der Grenzen vergeblich aufden Abriss der Mauer vor dem Tor warteten,weist auf die Symbolträchtigkeit dieses Bau-werks hin, welches das einzige noch erhalteneStadttor in Berlin ist.

Einst ein Monument des Friedens

Das Brandenburger Tor wurde in den Jahren1789 bis 1791 nach dem Entwurf von Karl Gott-hard Langhans und dem Vorbild der Propyläen

in Athen erbaut. Der Monumentalbau hat eineHöhe von 20 und eine Breite von 65,6 Meternund weist fünf Durchfahrten auf. Diese sinddurch Mauern voneinander getrennt, derenStirnseiten 12 Säulen nach antikem dorisch -tos-kanischem Muster schmücken. Auf den Säulenist ein Architrav und eine reliefgeschmückte

Stufenattika angebracht. Den Abschluss desBauwerkes bildet die Quadriga mit einerGruppe von jeweils zwei Pferden, die von einerin einem zweirädrigen Wagen stehenden Frie-densgöttin mit einer Trophäe in der rechtenHand gelenkt werden. Das nach den Plänenvon Langhans errichtete Bauwerk mit der vondem Berliner Bildhauer Johann Gottfried Scha-dow entworfenen Quadriga sollte nach derenursprünglichen Vorstellungen den Sieg desFriedens über den Krieg symbolisieren. Doch inden Revolutionskriegen der Napoleonischen

Zeit änderte sich das Bild der Quadriga.

Dir Quadriga in Paris

Als Napoleon am 23. August 1806 mit seinenTruppen in Berlin einzog, wurde die Quadriga

vom Brandenburger Tor abmontiert und nach

Annahme des Sparhaushalts

im ungarischen ParlamentBudapest. 21. Dez. (sda/Reuter) Mit grosser

Mehrheit hat das ungarische Parlament amDonnerstag den Sparhaushalt der Regierunggebilligt und damit die Bedingungen für neueausländische Kredite an die ungarische Wirt-schaft erfüllt. 252 Abgeordnete stimmten fürden Haushaltsentwurf von MinisterpräsidentNemeth. 23 waren dagegen; 52 enthielten sichder Stimme. Damit ist der Weg frei für den letz-ten Teil eines Kredits des Internationalen Wäh-rungsfonds (IWF) in der Höhe von 350 Millio-nen Dollar. Die Europäische Gemeinschaft willUngarn eine Milliarde Dollar leihen.

Der neue ungarische Haushalt sieht eine Ver-ringerung des Budgetdefizites von derzeit rund49 Milliarden Forint (rund 1,2 Milliarden Fran-ken) auf zehn Milliarden Forint (rund 250 Mil-lionen Franken) und des Defizits inkonvertierbarer Währung von 1,4 MilliardenDollar auf knapp über 500 Millionen Dollarvor. Um die Einsparungen zu erreichen, wur-den die Subventionen für Konsumgüter und dieProduktion ebenso gekürzt wie die Verteidi-gungsausgaben.

Paris gebracht. Nach der militärischen Nieder-lage Napoleons wurde sie wieder nach Berlinzurückgeholt. Als sie dann auf das Branden-burger Tor aufgesetzt wurde, hatte sich der ihrursprünglich zugedachte Symbolcharaktergrundlegend gewandelt. Die pferdelenkendeGöttin trug jetzt in ihrer Rechten eine Trophäemit einem Lorbeerkranz, auf dem ein Adler auf-gesetzt und ein Eisernes Kreuz nach einem Ent-wurf des Bildhauers Karl Friedrich Schinkel ein-gearbeitet worden war. Aus der Friedensgöttinwar eine Siegesgöttin geworden.

Als Symbol der Demonstration militärischerMacht diente das Brandenburger Tor fortanden Herrschenden in Deutschland. Nach demdeutsch-französischen Krieg 1870/71 zogen diesiegreichen Truppen durchs BrandenburgerTor. In den Wirren nach dem verlorenen ErstenWeltkrieg bezogen Kommunisten im Jahre 1919mit Gewehren und Maschinengewehren Stel-lung am Brandenburger Tor.

Sieger, Herrscher, MachthaberAuch Hitler nutzte die Symbolkraft des Bau-

werkes, als er am 30. Januar 1933. dem Tag sei-ner Machtübernahme, seine SA-Formationenmit brennenden Fackeln durchs BrandenburgerTor marschieren liess. Schon damals wurde vonweitsichtigen Gegnern des deutschen Diktatorsdiese Machtdemonstration als Fanal für den be-vorstehenden Weltbrand gedeutet. Das imKriege schwer beschädigte Bauwerk behieltauch in den Nachkriegsjahren seine Symbol-kraft. Während des Aufstandes in der DDR am17. Juni 1953 holte ein 18jähriger Westberlinerdie rote Fahne vom Brandenburger Tor. Im

Abenteuer im Dschungel PanamasDer Aufschrei der Empörung über die

amerikanische Intervention in Panama hatsich bisher in Grenzen gehalten, mit Sicher-heit deshalb, weil ausser Kuba und Nicara-gua kaum jemand dem Drogen- und Fi-nanzgangster Noriega ernstlich eine Tränenachweinen wird. Einige lateinamerikani-sche Regierungen müssen zwar in deröffentlichkeit ihre Beunruhigung und ih-ren Unmut über die «Einmischung in die in-neren Angelegenheiten» eines Landes ihrerRegion loswerden, was angesichts derchronischen Gefühle eigener Unterlegen-

heit verständlich ist; insgeheim sind sieaber erleichtert, dass ein auch in ihremKreise untragbar gewordener Amtskollege

in die Wüste geschickt worden ist. Etwasschwieriger mag es sein, aus europäischem

Blickwinkel den militärischen Eingriff desSeniorpartners in der Allianz gerade jetztgutzuheissen, wo ein markanter Wandel imsowjetischen Verhalten gegenüber den ost-europäischen Ländern, aber auch gegen-

über nationalistischen Ansprüchen im In-nern zu Vergleichen Anlass geben könnte.

Doch mit Versuchen, amerikanische ansowjetischer Nachbarschaftspolitik zu mes-sen, ist wenig Einsicht zu gewinnen. Ent-sprechende Vergleiche hinkten schon frü-her, als beispielsweise westliche Äqui-

distanz- Künstler das Eingreifen in Gre-nada der Invasion in Afghanistan gleich-

setzen wollten. Gorbatschews Absage andie Breschnew-Doktrin etabliert noch kei-ne moralische Überlegenheit. Es ist zwarheikel, mit Argumenten der Moral politi-sche Aktionen rechtfertigen zu wollen;aber es lässt sich nicht abstreiten, dassWashington, das die Schlange Noriega anseinem Busen grossgezogen hat, eine mora-lische Verpflichtung zu ihrer Bändigung

und notfalls Beseitigung hatte. Auch derPanamakanal-Vertrag liefert eine Begrün-dung für amerikanische Polizeiaufgaben;

im Falle chaotischer Wirren in der Kanal-republik und bei einer Gefährdung derSchiffahrt in der internationalen Wasser-strasse ist ein Eingreifen der Vereinigten

Staaten als Ordnungsmacht vorgesehen.

Ob sich daraus eine völkerrechtliche Recht-fertigung des Angriffs auf die Regierung

eines souveränen Staates ableiten lässt,dürfte allerdings umstritten bleiben. Beieiner Bewertung der Vorgänge ist aberauch zu berücksichtigen, dass der jetzt ver-eidigte Präsident Endara die Wahlen vomletzten Mai gewonnen hat und von Norie-ga unter krassem Verstoss gegen sogar vomDiktator damals noch anerkanntes Rechtvon der Amtsübernahme abgehalten wur-de. Wenn in Panama jemand dem Gesetzdes Dschungels zum Durchbruch verholfenhat, dann sicher nicht der amerikanische

Präsident mit seinem Befehl, Noriega ge-fangenzunehmen.

Panamas Rückkehr in die Rechtsstaat-lichkeit, die auf Grund des amerikanischenEingreifens möglich geworden ist, trifftausser dem Diktator und seiner Kamarillahauptsächlich die Führungseliten Kubasund Nicaraguas, die unter Noriegas Schutzihre Devisentransaktionen und ihre priva-ten Bereicherungsgeschäfte abwickelten,und die lateinamerikanische Drogenmafia,die am Kanal eine bedeutende Drogen-und Gelddrehscheibe verliert. Die sich aufdemokratische Werte im nationalen undinternationalen Umgang zurückbesinnen-de lateinamerikanische Staatengemein-

schaft wird davon profitieren. PräsidentBush seinerseits stiess mit seinen wirkungs-losen Versuchen, Noriega mit politischemund wirtschaftlichem Druck zur Aufgabezu zwingen, auf immer eindringlichere Kri-tik. Dass er jetzt zugeschlagen hat, aus tie-fer Frustration über die immer frecherenHerausforderungen durch den panamai-schen Desperado, erhöht seine Glaub-würdigkeit zu Hause und den Respekt, denjeder amerikanische Präsident in Latein-amerika braucht, um im empfindlichen,von Komplexen auf beiden Seiten belaste-ten interamerikanischen Beziehungsgefügehandlungsfähig zu bleiben.

Trotzdem kann Bush seines Erfolgesnoch keineswegs sicher sein. Sein Haupt-ziel, Noriega festzunehmen und vor Ge-richt zu stellen, ist vorderhand nicht er-reicht. Der pockennarbige Überlebens-künstler ist in das unwegsame Hinterlandentkommen und mit ihm offenbar eine be-trächtliche Anzahl von Getreuen. Es ist aufGrund der gegenwärtigen Lage nicht aus-zuschliessen, dass die amerikanischenTruppen in einen hässlichen Kleinkrieg ver-wickelt werden, der alle für den Momentgewonnenen Vorteile zunichte machenwürde. Die überwiegende Zustimmung, dieBushs Intervention in der amerikanischenBevölkerung und sogar bei Kritikern in derDemokratischen Partei gefunden hat, wür-de rasch verfliegen, und der lauten Scha-denfreude der castristisch-sandinistischenRevolutionsgemeinde wäre er sicher. Bushhat jetzt selber erfahren, wie schwer «s eineGrossmacht hat, mit kleinen Bösewichtenfertig zu werden. Im Unterschied zu denZaungästen ist sie aber zum Handeln ver-pflichtet. Der venezolanische PräsidentPerez hat es, im Namen auch seiner latein-amerikanischen Amtskollegen, auf einetreffende Formel gebracht: «Wir haben zu-wenig getan, und darum musste Washing-ton handeln.» Vielleicht ist dies ein Ansatzfür ein Stück interamerikanischer Solidari-tät, auf die die USA angewiesen sind.

mü.

Jahre 1948 wurde die neu gegossene Quadrigawieder aufs Brandenburger Tor gehoben, ohneEisernes Kreuz und Adler an der Trophäe. Indiesen Tagen ist die Quadriga wieder mit einemGerüst versehen. Sie soll gründlich restauriertwerden und nach Informationen aus Ostberlindann wieder mit Eisernem Kreuz und Adleraufs Brandenburger Tor gehoben werden.

Erklärungen Mitterrands zur deutschen FrageDialog des Präsidenten mit Studenten in Leipzig

Präsident Mitterrand ist am zweiten Tag seines Besuchs in der DDR zu einem erstenMeinungsaustausch mit Ministerpräsident Modrow zusammengetroffen. Anschliessendflog er nach Leipzig, wo er sich mit Studenten der Universität und dem Leiter des Ge-wandhaus-Orchesters, Masur, traf. In der Karl-Marx-Universität nahm Mitterrand auchausführlich zur französischen Haltung in der deutschen Frage Stellung.

sk. Berlin. 21. Dezember

Ministerpräsident Modrow hat am Donners-tag nach seiner ersten Unterredung mit Mitter-rand gegenüber der Presse erklärt, dass die ge-meinsame Verantwortung für das Gleichgewichtin Europa im Vordergrund der Begegnung ge-standen habe. Ferner seien Möglichkeiten zumAusbau der bilateralen Beziehungen zwischender DDR und Frankreich erörtert worden. Da-bei gehe es um eine Intensivierung sowohl derpolitischen als auch der wirtschaftlichen Ko-operation. Die Erklärungen von französischerSeite zum Staatsbesuch Mitterrands in derDDR machen deutlich, dass die Politik Frank-reichs auf eine steuernde und korrigierendeFunktion im Rahmen der wachsenden Verzah-nung der Beziehungen zwischen der Bundes-republik und der DDR nach der öffnung derGrenzen ausgerichtet ist. Bei einem Essen desamtierenden Staatsratsvorsitzenden der DDR,Gerlach, zu Ehren des französischen Gastesregte Mitterrand an, das für 1990 vorgeseheneGipfeltreffen der KSZE-Staaten in Paris abzu-halten. Es bestehe die Chance, dass sich dieLänder des Kontinents einander annäherten.Sicherheit und Zusammenarbeit fussten auf

dem Grundsatz, dass die Stabilität der Grenzenin Europa Garantie für gegenseitiges Vertrauensei.

Das Konzept der DDRMitterrand hatte schon zuvor gegenüber dem

DDR-Fernsehen den französischen Standpunkthinsichtlich der europäischen Grenzen darge-legt. Für das ganze Europa wäre es nicht gut, jasogar gefährlich, die existierenden Grenzen inFrage zu stellen. Die Beziehungen der beidendeutschen Staaten zueinander seien besondererArt, und es seien verschiedene Möglichkeiten

zur Lösung der deutschen Frage möglich. DieDeutschen müssten diese Probleme friedlich unddemokratisch lösen. Die von Deutschland aus-gehende Bewegung müsse in das Vertrauen dereuropäischen Nachbarn eingebettet werden,sagte Mitterrand.

Die Haltung der derzeitigen DDR-Führung,die sich für die Erhaltung der deutschen Zwei-staatlichkeit einsetzt, brachte Gerlach in seinerTischrede zum Ausdruck. Er begrüsste Mitter-rand als den Wegbereiter der gesamteuropäi-schen Idee. Die DDR wolle keinen deutschen,sondern einen europäischen Kontinent, dervom Atlantik bis zum Ural reiche. In diesem

Europa möchte die DDR als souveräner, demAntifaschismus, dem Humanismus und einemzutiefst demokratischen Sozialismus verpflich-teter Staat, als Mitglied einer Föderation euro-päischer Staaten, ihren Platz finden.

Der Dialog Mitterrands mit Studenten derLeipziger Karl-Marx-Universität war ohneZweifel der Höhepunkt seines Besuchs in derMessestadt Man spürte, dass er sich im Frage-

und Antwortspiel in seinem Element fühlte.Mitterrand würdigte in einer kurzen einleiten-den Erklärung Leipzig als eine Stadt mit grosserwissenschaftlicher und kultureller Tradition.Aus dieser Stadt deutscher Kultur und Wissen-schaft sei im Herbst dieses Jahres alles ausge-gangen. In Leipzig werde derzeit weitgehend

die Geschichte der DDR und Europas geschrie-

ben. Mitterrand erinnerte in diesem Zusammen-hang an die Botschaft der Französischen Revolu-tion, die auch in Leipzig lebendig sei. Frank-reich und die Bundesrepublik hätten in zweiGenerationen an dem Bau eines europäischen

Gebäudes mitgewirkt. Er sei davon überzeugt,

dass auch die Völker Osteuropas dazu kommenwürden. Doch das brauche Zeit. Es sei jedochklar, dass eine demokratische Revolution gros-sen Ausmasses in Europa am Ende dieses Jahr-hunderts stehe.

Die europäischen Interessen

Mitterrand n a hm während seines Dialogs mitden Leipziger Studenten ausführlich zur Frage

der deutschen Einheit Stellung. Die Einheit derDeutschen in welcher Form auch immer sei zu-nächst die Angelegenheit der Deutschen selbst.Allein freie Wahlen würden darüber Auskunftgeben, was die Deutschen wollten. Diese müss-ten selbst entscheiden, was sie anstreben. Dochman müsse auch berücksichtigen, dass es Reali-täten gebe, und zu diesen Realitäten gehöre,

dass es zwei souveräne deutsche Staaten gebe

mit Grenzen, die nach dem Krieg entstandenseien. Auch bestünden in Europa zwei Bündnis-systeme. Wenn hier angefangen werde, anGrenzen zu rütteln, dann würden an mehrerenStellen Grenzrevisionen gefordert werden. DieGrenzen zwischen den beiden deutschen Staa-

Neue Zürcher Zeitung vom 21.12.1989