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ASTRONOMISCHE NACHRICHTEN. Band 148. N2 3531. Aussergewohnliche Meteorerscheinungen. Von Adolf MuZZer. Dass Sternschnuppen oder Feuerkugeln zuweilen mi- nutenlang leuchtende Spuren auf dem dunklen Himmels- gewolbe zuriicklassen, durfte hinlanglich bekannt sein. Prof. Argelander und sein damaliger Gehulfe J. F. J. Schmidt be- obachteten im Garten der Bonner Sternwarte am 24. October 1845 urn Mitternacht ein Meteor, dessen letzte Lichtspuren erst nach 4 bis 5 M.inuten erloschen (vergl. Schmidt, Stern- schnuppen, Berlin 1852, s. 93, wo ahnlicher Falle gedacht wird). Dennoch gehoren solche Erscheinungen zu den Selten- heiten, so dass eine Erwlhnuog derselben in den A. N. nicht uberfliissig erscheinen durfte. Einen ahnlichen Fall, jedoch von kiirzerer Dauer, be- obachtete ich hier in Rom in der Nacht vom 10. auf den I I. August I 894 bei Gelegenheit des Perseidenschwarmes. Es war nach Mitternacht um 51~30~ (M. E. Z.), als in ziemlich geradliniger Richtung von a Persei nahe an a Arietis vorbei bis in die Niihe von a Piscium eine helle Stern- schnuppe aufblitzte. Nach dem Verschwinden des venus- hellen Kopfes blieb der majestatische Schweif so lange stehen, dass ich Zeit fand ein kleines Handfernrohr zu suchen, urn den genaueren Verlauf der Erscheinung besser zu beob- achten. Die Gerade verbreiterte sich zunachst in einen nebel- artigen Lichtbalken, dann ballte sie sich in mehrere Wolk- chen zusamrnen, um sich allmahlig in etwa zwei Minuten gleich dem Dampfe einer Locomotive zu verfluchtigen. Die Farbe war die eines gewohnlichen Nebelflecks. Unter den innerhalb 7 Stunden (von 9h Abends bis 4h Morgens) jener Nacht beobachteten IIO Fallen gehorten 13 der ersten Grossenckasse an, 17 der zweiten, 26 der dritten, 21 der vierten, alle iibrigen der fiinften und sechsten Classe. Bei der Schatzung waren die betreffenden Sternclassen maass- gebend. In diesem Jahre, wo die Perseiden bei dem hiesigen gunstigen heiteren Himmel manches schone Exemplar stellten, ereignete sich ein noch ausserordentlicherer Fall. Es war wiederum am Abend des I I. August gegen I oh 2om (M. E. Z.), als ich, auf den] Dache der Sternwarte auf und ab gehend, nach einer Wendung des Kopfes gegen Siiden den hell leuchtenden Schweif einer bereits unter dem Horizont ver- Rom, Sternwarte auf dem Janiculum, August 1898 schwundenen Sternschnuppe gewahrte. Dieselbe war fast senkrecht zwischen den Sternbildern des Scorpion und des Schutzen niedergegangen. Zu meiner Verwunderung blasste der zuruckgelegte Lichtweg so langsam und allmahlig ab, dass ich volle Zeit hatte, ins Observatoriuin zu treten, um dort ein starkes Opernglas zur Hand zu nehmen. Bereits mochte eine Minute verstrichen sein und noch stand die verbreiterte Lichtspur dem blossen Auge deutlich sichtbar am Himmel, jetzt an Farbe und Lichtstarke den nahen hellsten Stellen der Milchstrasse vergleichbar. Die Richtung muss anfangs sehr nahe dern Radianten der Perseiden ent- sprochen haben; jedoch wahrend die Linge von mehr oder weniger 25 Grad ziemlich die gleiche blieb, nahm die Langsrichtung eine Drehung im Sinne der Uhrzeiger an, so dass die anfangs nahe senkrechte Richtung zum Schluss in eine horizontale von B Scorpii nach R Sagittarii hin ver- wandelt war; der Drehpuokt lag dabei so ziemlich in der Mitte des Gebildes. Ganz eigenthiimlich zeigte sich die Gestalt des letzteren im Opernglase. Der noch ziemlich geradlinige und fast auf einen Grad verbreiterte Schweif erschien wie zwei vollstandig parallele Lichtbander oder vielleicht besser gesagt wie eine gluhende durchsichtige Rohre, deren dunkler Hohlraum dieselbe Breite zeigte wie die gliihenden Wande. Das obere Ende war wie die beiden Zipfel einer flatternden Fahne aufgerissen. Nahe dem Hori- zont, der allerdings durch eine hindernde Reihe niederer Baume erhoht war, fing das Gebilde laogsam an, eine schlangenartig hin und her gewundene Richtung anzunehmen, wobei gleichzeitig die bereits erwahnte Drehung vor sich ging. Erst nach vollen funf Minuten waren die letzten Spuren des sonderbaren Phanomens dem bewaffneten Auge ver- schwunden; dabei bewahrte dasselbe von Anfang bis zu Ende jene merkwiirdige Rohrengestalt, ohne sich (wie das oben erwahnte) in Stiicke zu theilen oder in Lichtwolkchen aufzulosen. Es durfte interessant sein zu wissen, ob und wie die Erscheinung anderswo gesehen wurde. Leider war die Kuppel- stelluog des I o zolligen Refractors augenblicklich eine so ungunstige, dass ich nicht daran denken konnte, das Gebilde mittels desselben weiter zu verfolgen. Adolf Miiller, S. J. 3

Aussergewöhnliche Meteorerscheinungen

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ASTRONOMISCHE NACHRICHTEN. Band 148. N2 3531.

Aussergewohnliche Meteorerscheinungen.

Von Adolf MuZZer.

Dass Sternschnuppen oder Feuerkugeln zuweilen mi- nutenlang leuchtende Spuren auf dem dunklen Himmels- gewolbe zuriicklassen, durfte hinlanglich bekannt sein. Prof. Argelander und sein damaliger Gehulfe J. F. J. Schmidt be- obachteten im Garten der Bonner Sternwarte am 24. October 1845 urn Mitternacht ein Meteor, dessen letzte Lichtspuren erst nach 4 bis 5 M.inuten erloschen (vergl. Schmidt, Stern- schnuppen, Berlin 1852, s. 93, wo ahnlicher Falle gedacht wird). Dennoch gehoren solche Erscheinungen zu den Selten- heiten, so dass eine Erwlhnuog derselben in den A. N. nicht uberfliissig erscheinen durfte.

Einen ahnlichen Fall, jedoch von kiirzerer Dauer, be- obachtete ich hier in Rom in der Nacht vom 10. auf den I I. August I 894 bei Gelegenheit des Perseidenschwarmes. Es war nach Mitternacht um 5 1 ~ 3 0 ~ (M. E. Z.), als in ziemlich geradliniger Richtung von a Persei nahe an a Arietis vorbei bis in die Niihe von a Piscium eine helle Stern- schnuppe aufblitzte. Nach dem Verschwinden des venus- hellen Kopfes blieb der majestatische Schweif so lange stehen, dass ich Zeit fand ein kleines Handfernrohr zu suchen, urn den genaueren Verlauf der Erscheinung besser zu beob- achten. Die Gerade verbreiterte sich zunachst in einen nebel- artigen Lichtbalken, dann ballte sie sich in mehrere Wolk- chen zusamrnen, um sich allmahlig in etwa zwei Minuten gleich dem Dampfe einer Locomotive zu verfluchtigen. Die Farbe war die eines gewohnlichen Nebelflecks. Unter den innerhalb 7 Stunden (von 9h Abends bis 4h Morgens) jener Nacht beobachteten I I O Fallen gehorten 13 der ersten Grossenckasse an, 1 7 der zweiten, 26 der dritten, 2 1 der vierten, alle iibrigen der fiinften und sechsten Classe. Bei der Schatzung waren die betreffenden Sternclassen maass- gebend.

In diesem Jahre, wo die Perseiden bei dem hiesigen gunstigen heiteren Himmel manches schone Exemplar stellten, ereignete sich ein noch ausserordentlicherer Fall. Es war wiederum am Abend des I I . August gegen I oh 2om (M. E. Z.), als ich, auf den] Dache der Sternwarte auf und ab gehend, nach einer Wendung des Kopfes gegen Siiden den hell leuchtenden Schweif einer bereits unter dem Horizont ver-

Rom, Sternwarte auf dem Janiculum, August 1898

schwundenen Sternschnuppe gewahrte. Dieselbe war fast senkrecht zwischen den Sternbildern des Scorpion und des Schutzen niedergegangen. Zu meiner Verwunderung blasste der zuruckgelegte Lichtweg so langsam und allmahlig ab, dass ich volle Zeit hatte, ins Observatoriuin zu treten, um dort ein starkes Opernglas zur Hand zu nehmen. Bereits mochte eine Minute verstrichen sein und noch stand die verbreiterte Lichtspur dem blossen Auge deutlich sichtbar am Himmel, jetzt an Farbe und Lichtstarke den nahen hellsten Stellen der Milchstrasse vergleichbar. Die Richtung muss anfangs sehr nahe dern Radianten der Perseiden ent- sprochen haben; jedoch wahrend die Linge von mehr oder weniger 25 Grad ziemlich die gleiche blieb, nahm die Langsrichtung eine Drehung im Sinne der Uhrzeiger an, so dass die anfangs nahe senkrechte Richtung zum Schluss in eine horizontale von B Scorpii nach R Sagittarii hin ver- wandelt war; der Drehpuokt lag dabei so ziemlich in der Mitte des Gebildes. Ganz eigenthiimlich zeigte sich die Gestalt des letzteren im Opernglase. Der noch ziemlich geradlinige und fast auf einen Grad verbreiterte Schweif erschien wie zwei vollstandig parallele Lichtbander oder vielleicht besser gesagt wie eine gluhende durchsichtige Rohre, deren dunkler Hohlraum dieselbe Breite zeigte wie die gliihenden Wande. Das obere Ende war wie die beiden Zipfel einer flatternden Fahne aufgerissen. Nahe dem Hori- zont, der allerdings durch eine hindernde Reihe niederer Baume erhoht war, fing das Gebilde laogsam an, eine schlangenartig hin und her gewundene Richtung anzunehmen, wobei gleichzeitig die bereits erwahnte Drehung vor sich ging. Erst nach vollen funf Minuten waren die letzten Spuren des sonderbaren Phanomens dem bewaffneten Auge ver- schwunden; dabei bewahrte dasselbe von Anfang bis zu Ende jene merkwiirdige Rohrengestalt, ohne sich (wie das oben erwahnte) in Stiicke zu theilen oder in Lichtwolkchen aufzulosen.

Es durfte interessant sein zu wissen, ob und wie die Erscheinung anderswo gesehen wurde. Leider war die Kuppel- stelluog des I o zolligen Refractors augenblicklich eine so ungunstige, dass ich nicht daran denken konnte, das Gebilde mittels desselben weiter zu verfolgen.

Adolf Miiller, S. J.

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