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Auswirkungen des Föderalismus II: Wahlsystem Proseminar Parlamentsforschung Daniel Schwarz IPW, Universität Bern HS 2009 Stephi Anliker, Samuel Kullmann 22. Oktober 2009

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Auswirkungen des Föderalismus II:

Wahlsystem

Proseminar Parlamentsforschung

Daniel Schwarz

IPW, Universität Bern

HS 2009

Stephi Anliker, Samuel Kullmann

22. Oktober 2009

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Föderalismus…Ein kleiner Franzose, ein kleiner Deutscher und ein kleiner Schweizer fragen sich, woher die Kinder kommen.

Der kleine Franzose meint, dass Erotik etwas damit zu tun haben müsse.

Der kleine Deutsche weiss aus irgendwie sicherer Quelle, dass die Kinder vom Storch gebracht werden.

Der kleine Schweizer ist um eine Antwort verlegen:

“Woher die Kinder kommen, weiss ich nicht so genau. Aber wahrscheinlich ist das bei uns von Kanton zu Kanton verschieden.”

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Föderalismus: 26 Wahlkreise

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Size of constituencies matter!“Seit langem hat die Forschung davon Abstand genommen, die Wahlverfahren lediglich zwischen Verhältniswahl und Mehrheitswahl zu unterscheiden (vgl. Duverger 1951). Führende Wahlsystem-Forscher nennen die Wahlkreisgrösse als entscheidendes Merkmal von Wahlsystemen (Taagepera/Shugart 1989 112ff.).”

- Bochsler, Daniel. 2005. Biproportionale Wahlverfahren für den Schweizer Nationalrat. Universität Genf

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Künstliche Quoren (Hürden)Künstliche Hürden in ausgewählten Europäischen Ländern:Land Hürde ENPPPolen: 7% 2,95Deutschland: 5% 3,30Norwegen: 4% 4,36Spanien: 3% 2,73Dänemark: 2% 4,92Niederlanden: 0,67% 4,81Belgien: 0% 9,05Schweiz: 0% 4,97

(ENPP = effective number of parties in parliament)

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Natürliche Hürden in der CHKanton Anzahl Sitze Natürliches Quorum ENPP Parteien im Parl. Antretende ParteienZürich 34 2.86% 4.74 7 16Bern 26 3.70% 4.12 7 14

Waadt 18 5.26% 5.23 7 12Aargau 15 6.25% 3.81 5 11

St. Gallen 12 7.69% 3.60 5 15Genf 11 8.33% 5.26 6 11

Luzern 10 9.09% 4.17 5 10Tessin 8 11.11% 3.56 4 11

Solothurn 7 12.50% 4.45 5 7Basel-Landschaft 7 12.50% 4.45 5 8

Wallis 7 12.50% 2.58 4 11Freiburg 7 12.50% 4.45 5 11Thurgau 6 14.29% 3.00 4 10

Basel-Stadt 5 16.67% 3.57 4 12Graubünden 5 16.67% 3.57 4 6Neuenburg 5 16.67% 5.00 5 10

Schwyz 4 20.00% 2.67 3 6Zug 3 25.00% 3.00 3 5

Schaffhausen 2 33.33% 2.00 2 3Jura 2 33.33% 2.00 2 5Uri 1 50.00% 1.00 1 2

Obwalden 1 50.00% 1.00 1 4Nidwalden 1 50.00% 1.00 1 1

Glarus 1 50.00% 1.00 1 3AA 1 50.00% 1.00 1 5AI 1 50.00% 1.00 1 1

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Natürliche Hürden in der CH

Nat. Quorum

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

50%

0 5 10 15 20 25 30 35

Sitz/Kanton

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Auswirkung auf ENPP (Effective Number of Parties in Parliament)

R2 = 0.413

1.00

2.00

3.00

4.00

5.00

6.00

7.00

0 5 10 15 20 25 30 35

Sitze/Kanton

ENPP

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Auswirkung auf Anzahl Parteien im Parlament

R2 = 0.6779

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

0 5 10 15 20 25 30 35

Sitze/Kanton

Parteien im Parlament

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Auswirkung auf Anzahl antretende Parteien/Gruppierungen

R2 = 0.6259

1

3

5

7

9

11

13

15

17

19

0 5 10 15 20 25 30 35

Sitze/Kanton

Antretende Parteien

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Erfolgswert einer Stimme Der Erfolgswert einer Stimme an eine

bestimmte Partei wird definiert als:

Prozentualer Anteil an Sitzen im Parlament dividiert durch Wähleranteil.

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Erfolgswert einer Stimme (NRW ‘07)

Partei EW Partei EW

CSP 125,0% Grüne 104,2%

SP 110,3% FDP 98,1%

SVP 107,3% LEGA 83,3%

GLP 107,1% PdA 71,4%

CVP 106,9% EVP 41,7%

LPS 105,3% EDU 38,5%

Nationale Grosspartei

(Regionale) Kleinpartei mit kantonaler Hochburg

Nationale Kleinpartei

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3 Effekte, die zu Verzerrungen führen D’Hondtsche Wahlformel Wahlsystemhürden (mechanischer

Effekt) Strategisch-psychologischer Effekt

(Vgl. Bochsler 2005 4ff.)

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Zwischenfazit Das heutige Wahlsystem hat

mehrheitsbeschaffenden Charakter (vgl. Bochsler 2005 S. 2).

Der Wählerwillen wird mittelstark verzerrt abgebildet.

Nationale Grossparteien und Kleinparteien mit kt. Hochburgen werden gegenüber nationalen Kleinparteien stark bevorzugt.

In mittleren und kleinen Kantonen ist der Parteienwettbewerb massiv eingeschränkt (bis zur Stillen Wahl in Nidwalden!)

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Das BundesgerichtBGE 129 I 185 S. 200:

Insbesondere soll schliesslich allen Stimmen bei der Zählung nicht nur derselbe Wert und dieselbe Stimmkraft, sondern auch derselbe Erfolg zukommen (Erfolgswert-gleichheit). Alle Stimmen sollen in gleicher Weise zum Wahlergebnis beitragen, und möglichst alle Stimmen sind bei der Mandats-verteilung zu berücksichtigen. Die Zahl der gewichtslosen Stimmen ist auf ein Minimum zu begrenzen.

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Aber: Keine Verfassungsgerichtsbarkeit auf

eidgenössischer Ebene! Deshalb schränken die verschiedenen BGE

nur kantonale Wahlsysteme ein. Neu darf das natürliche Quorum in einem

Wahlkreis eines Kantons noch max. 10% betragen! Ausnahmen bei historischen, föderalistischen, kulturellen, sprachlichen, ethnischen oder religiösen Gründen möglich (vgl. BGE 129 I 185 S. 194).

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Die Reaktion der Kantone ZH, AG und SH übernahmen auf Grund

dieser Überlegungen und Vorgaben ein biproportionales Wahlverfahren. Dieses ist bekannt als “Neues Zürcher Zuteilungsverfahren” oder “Doppelter Pukelsheim”, benannt nach Friedrich Pukelsheim, einem Stochastikprofessor.

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Doppelter PukelsheimKurz und einfach erklärt (Bsp. NR-Wahlen):

Statt strategische Listenverbindung unter verschiedenen Parteien eines Kantons, neu LV unter sämtlichen Kantonalsektionen einer Partei.

Nationales Parteiergebnis entscheidet über Sitzanteil im NR

Durch einen Algorithmus wird danach die genaue Sitzzahl in den kantonalen Wahlkreisen bestimmmt. Es findet ein Stimmentransfer statt. (Anwendung erst seit dem Computerzeitalter möglich.)

Standardmässige Rundung nach Sainte-Laguë.

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Doppelter PukelsheimLang und kompliziert erklärt:

Die Stimmen einer Listengruppe werden auf nationalem Niveau summiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass infolge unterschiedlicher Anzahl Sitze pro Wahlkreis die Anzahl Linien auf dem Wahlzettel von Kanton zu Kanton variieren. Deshalb müssen die abgegebenen Stimmen durch die Anzahl zu vergebender Sitze geteilt werden, um eine Wählerzahl pro Partei zu berechnen. Anschliessend werden diese zu einer nationalen Wählerzahl summiert. Dies erfolgt entsprechend der Berechnung der nationalen Parteienstärke (Seitz et al. 2003: 14). Anschliessend wird national die Oberzuteilung für diese Listengruppe berechnet. Jeder Kanton erhält diejenige Anzahl Sitze, die ihm aufgrund seiner Wohnbevölkerung zusteht. Die Verteilung der Sitze auf die kantonalen Listen (Unterzuteilung) erfolgt aufgrund zweier Divisoren. Ausgangspunkt für die Unterzuteilung ist die Parteistimmenzahl der einzelne Liste. Für jede Listengruppe wird ein Listengruppen-Divisor, für jeden Wahlkreis ein Wahlkreis-Divisor bestimmt; die Parteistimmenzahl wird durch beide jeweiligen Divisoren geteilt und das Ergebnis (Anzahl Sitze, gemäss dem Sainte-Laguë-Proporzverfahren) standardmässig gerundet (Werte über 0,5 werden aufgerundet, unter 0,5 werden abgerundet). Die Divisoren werden in einem iterativen Verfahren so bestimmt, dass sowohl die Listen- gruppen kantonsweit auf die ihnen zustehende Sitzzahl kommen als auch dass in jedem Wahlkreis genau die richtige (gemäss Bevölke- rungszahl zugemessene) Anzahl Sitze vergeben wird. Es gibt genau eine Sitzverteilung, die durch doppelte Divison der Parteien- stimmenzahl berechnet werden kann und welche die Bedingungen erfüllt (Pukelsheim/Schuhmacher 2004: 515). Die Berechnung kann mit einem Programm vorgenommen werden, das auf der Homepage der Universität Augsburg heruntergeladen werden kann [ http://www.uni-augsburg.de/bazi ]. (Bochsler 2005 S. 7)

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Modellrechnung NRW 2007 Vergleich mit Pukelsheim ohne Quorum:

Bisher 0-Modell Pukelsheim

Partei Sitze Sitze Veränderung

SVP 62 59 -3

SP 43 40 -3

FDP 30 (exkl. NW) 32 +2

CVP 31 29 -2

Grüne 20 19 -1

LPS 4 4 0

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Modellrechnung NRW 2007 Vergleich mit Pukelsheim ohne Quorum:

Bisher 0-Modell Pukelsheim

Partei Sitze Sitze Veränderung

EVP 2 5 +3

EDU 1 3 +2

GLP 3 3 0

CSP 1 1 0

Lega 1 1 0

PdA 1 1 0

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Modellrechnung NRW 2007 Vergleich mit Pukelsheim ohne Quorum:

Bisher 0-Modell Pukelsheim

Partei Sitze Sitze Veränderung

SD 0 1 +1

Sol. 0 1 +1

Bürgerliche 129 129 0

Linke 65 62 -3

EVP/GLP 5 8 +3

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Modellrechnung NRW 2007 Dies würde zu 9 Netto-Sitzverschiebungen

führen. ENPP erhöht sich auf 5,38 (+0,41) Das neue natürliche Quorum würde sich nach

der folgenden Formel rechnen: Q = 1/(2M + 2 - L), vorher: Q = 1/(M+1)

M = Anzahl Mandate

L = Anzahl Listen, die zur Wahl antreten

Dies entspricht einem landesweiten Quorum von ca. 0,27% für einen garantierten Sitze.

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Prognosen NRW mit DPFalls bei den Nationalratswahlen der doppelte Pukelsheim angewandt würde (ohne Hürde) prognostiziere ich folgende Änderungen:

Listen von Jungparteien machen mindestens 20 Sitze (Durchschnittsalter im NR sinkt deutlich).

Mehr Frauenlisten führen zu einem höheren Frauenanteil Mehr Parteien treten an und schaffen den Einzug in den NR Es gibt mehr Fraktionen Der Parteienwettbewerb wird in allen Kantonen etwa gleich

stark (mindestens 10 Parteien treten in jedem Kanton an). Die Wahlbeteiligung steigt Klarere nationale Strukturierung mancher Parteien (vgl.

Bochsler 2005 S. 31)