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Deutsche Zeitsehrift ffir Nervenheilkunde 190, 16--28 (1967) Autochthone epidemisehe Vertigo aus Franken mit Antikiirpern gegen das Virus der dureh Zeeken iibertragenen Friihsommer-Meningoencephalitis (FSME-Virus)* W. MOLLER und H. C. HOPF Neurologische Universit~tsklinik Wiirzburg (Direktor: Profi Dr. G. SCHALTENBRAND) Eingegangen am 25. guli 1966 Summary. The history of a single representative case is given to demonstrate the occurrence of the virus of the European spring summer encephalitis in the forests of our area. This patient and three others show a clinical syndrome which usually occurs epidemically. It begins with the symptomatology of a "flu". Following an interval without symptoms distressing dizziness, buzzing of the ears or impaired hearing develop. The course is subchronieal, all cases were found to have antibodies against the virus of spring-summer encephalitis. 1961 beschrieb SCHALTENBRAI~Dvier Patienten, bei denen eine auf- f~llige zeitliche und lokalisatorische Beziehung zwischen einem Zeckenbil3 und der neurologischen Symptomatik gegebea war. Es lag nahe, als Erreger dieses entziindlichen Krankheitsbildes das FSME-Virus an- zunehmen; jedoch gelang bei diesen und gleichartigen Fallen (BUMMER U. SCHENK) bis heute weder der virologische noch der serologische Nach- weis einer derartigen Genese. Wirwissen yon unseren 5stlichen und nSrdlichenAnrainern, einschliel3- lich des Gebietes der Ostzone (QuEISSEI~), dab dort das FSME-Virus vor- kommt. Es erscheint daher durchaus mSglich und wahrscheinlich, dab sich dieser Erreger auch in Westdeutschland findet. Denn die typisehen landschaftlichen Strukturen -- die Voraussetzung ffir einen Naturherd sind -- setzen sich kontinuierlich bis nach Unterfranken hinein fort. Und da naeh den Untersuehungen von MO~ITSCH U. Mitarb. und BLA§- KOVI6 U. Mitarb. die Naturherde der FSME als sehr stabil gelten mfissen, ist nicht anzunehmen, da[3 die Ausbreitung des Virus politische Grenzen respektiert. Schon seit einiger Zeit war uns aufgefallen, dab sieh im Friihjahr und Frfihsommer bestimmte uncharakteristische Erkrankungeu epidemie- artig h~uften. Es handelte sich um Patienten, bei denen im AnschluB * Die Untersuehungen wurden in dankenswerter Weise yon der Deutschen For- schungsgemeinschaft gefSrdert.

Autochthone epidemische Vertigo aus Franken mit Antikörpern gegen das Virus der durch Zecken übertragenen Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME-Virus)

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Deutsche Zeitsehrift ffir Nervenheilkunde 190, 16--28 (1967)

Autochthone epidemisehe Vertigo aus Franken mit Antikiirpern gegen das Virus der dureh Zeeken

iibertragenen Friihsommer-Meningoencephalitis (FSME-Virus)*

W. MOLLER und H. C. HOPF Neurologische Universit~tsklinik Wiirzburg

(Direktor: Profi Dr. G. SCHALTENBRAND)

Eingegangen am 25. guli 1966

Summary. The history of a single representative case is given to demonstrate the occurrence of the virus of the European spring summer encephalitis in the forests of our area. This patient and three others show a clinical syndrome which usually occurs epidemically. It begins with the symptomatology of a "flu". Following an interval without symptoms distressing dizziness, buzzing of the ears or impaired hearing develop. The course is subchronieal, all cases were found to have antibodies against the virus of spring-summer encephalitis.

1961 beschrieb SCHALTENBRAI~D vier Patienten, bei denen eine auf- f~llige zeitliche und lokalisatorische Beziehung zwischen einem Zeckenbil3 und der neurologischen Symptoma t ik gegebea war. Es lag nahe, als Erreger dieses entziindlichen Krankheitsbildes das FSME-Virus an- zunehmen; jedoch gelang bei diesen und gleichartigen Fallen (BUMMER U. SCHENK) bis heute weder der virologische noch der serologische Nach- weis einer derart igen Genese.

Wirwissen yon unseren 5stlichen und nSrdlichenAnrainern, einschliel3- lich des Gebietes der Ostzone (QuEISSEI~), dab dort das FSME-Virus vor- kommt . Es erscheint daher durchaus mSglich und wahrscheinlich, dab sich dieser Erreger auch in Westdeutschland findet. Denn die typisehen landschaftl ichen St rukturen - - die Voraussetzung ffir einen Naturherd sind - - setzen sich kontinuierlich bis nach Unter f ranken hinein fort. Und da naeh den Untersuehungen von MO~ITSCH U. Mitarb. und BLA§- KOVI6 U. Mitarb. die Naturherde der FSME als sehr stabil gelten mfissen, ist nicht anzunehmen, da[3 die Ausbrei tung des Virus politische Grenzen respektiert .

Schon seit einiger Zeit war uns aufgefallen, dab sieh im Fri ihjahr und Frf ihsommer best immte uncharakterist ische Erkrankungeu epidemie- artig h~uften. Es handelte sich um Patienten, bei denen im AnschluB

* Die Untersuehungen wurden in dankenswerter Weise yon der Deutschen For- schungsgemeinschaft gefSrdert.

Autochthone epidemische Vertigo aus Franken mit AntikSrpern 17

an eLLe grippe/~hnliehe Erkrankung - - mit Kopfschmerzen, Fieber, evtl. Nackensteifigkeit - - nach eLLem kurzen symptomfreien Intervall Schwindelerscheinungen, tt6rst6rungen und gelegentlich Ohrger/iusche auf t ra ten . Zu dem Zeibpunkt, zu dem wir die Pa t i en t en un te rsuchen

konnten , waren die t t aup tbeschwerden immer schon abgeklungen, der

neurologische Befund war h/~ufig unauff~llig, der lumbale L iquor ge-

w6hnlich nicht (nicht mehr ?) ver/ indert . Bei mehreren Pa t i en t en l and

sich eine EEG-Ver/inderung als Ausdruck daffir, dab es sich um eine dissemLLierte Betefligung des zentralen Nervensystems handelte. Naeh einem leichten, lang hingezogenen Krankheitsverlauf bfldeten sich die Beschwerden nach etwa 1~ Jahr oder 1 Jahr wieder zurfick.

Auf der Suche nach der Ursache dieser Erkrankungen ffihrten wit auch serologische Untersuchungen durch. Leider waren wir im Frfihjahr 1965 noch nicht darauf eingerichtet, systematisch Antik6rper auf Arbo- Viren zu prfifen. So erstreckt sich unsere Erfahrung auf eLLzelne Stich- proben. Unter diesen laud sich vor ahem eLL Fall, der der Symp~omato- logie nach beispielhaft ffir andere stehert kann. Bei ihm lag serologisch eLLe frische FSME-Erkrankung vor. Die Krankengesehichte dieses Pa- tienten soU deshalb ausfiihrlich dargestellt werden.

Kasuistik Fall 1. Patient A. Berb., 50 Jahre, aus Rfitschdorf, Krs. Buchen. Familienvorgeschichte. Ein Bruder des Patienten erkrankte mit 20 Jahren an

Gelenkrheuma, sonst sind in der Familie keine besonderen Krankheiten vorgekom- m e n .

Eigene Vorgeschichte. Normale Geburt und kindliche Entwieklung. Mit 13 Jahren Lungenentziindung. Mit 24 Jahren Gelenkrheuma mit Schwellungen an Kn6cheln, Kniegelenken, Hand- und Fingergelenken beiderseits. Mit 35 Jahren (1940) r6t- licher Aussehlag am KSrper, dessen Ursaehe nicht gekl~rt werden konnte. 1942 Fleekfiebererkrankung in Warschau, die folgenlos abgeheilt sein soll. 1945 Verwun- dung dureh einen Granatsplitter an der linken Schulter und links am Ges~il3.

Seit seiner Gelenkerkrankung leidet der Patient an rezidivierenden Gelenk- ergiissen in beiden Knien, die besonders in der kalten Jahreszeit auftreten.

Der Patient ist Sporttaubenziichter. Er besitzt etwa 50 Tauben, die bei Wett- bewerben seit 3 Jahren nur noeh im Westen (Frankreich) aufgelassen werden. Er lebt auf einem Bauernhof und arbeitete friiher in der Landwirtschaft. In den letzten 5 Jahren war er als Ratsschreiber in der Gemeinde aufgestellt, half aber gelegentlieh noch in der Landwirtschaft aus. Er erinnert sich, mehrfach yon Zecken gebissen worden zu sein, zuletzt im Hochsommer 1964. Seine Trinkmilch bezieht er yon sei- nem Bruder, der 7--8 Kfihe, jedoch keine Schafe oder Ziegen besitzt; die Kfihe werden im Sommer auf die Weide getrieben. Der Patient hat die Angewohnheit, viel im Wald spazieren zu gehen.

Ende Januar, Anfang Februar 1965 half er, ein ldeines Stiick Gemeinde-,,Wald" abzuholzen. Das Stfiek war einige Ar grog und mit dichtem Gestriipp und Busch- werk bewachsen. Wenige Tage danach bekam er Kopfsehmerzen, Fieber bis 38 und 38,5°C und Naekensteifigkeit. In den ersten Tagen trat dann Drehschwindel, be- sonders beim Biicken hinzu, und nach ungef~hr 1 Woehe Rauschen, Sttrren und

2 Dtsch. Z. Nervenheilk., Bd. 190

18 W. Mi~LL~R und H. C. HoPF:

Pfeifen auf dem rechten Ohr, gering jedoch auch auf dem linken Ohr. Zur gleiehen Zeit machten sich auch die Gelenkergiisse wieder st/~rker bemerkbar.

Im Verlaufe klangen die Kopfsehmerzen wieder rasch ab, die Sehwindelersehei- nungen erst innerhalb yon 3 Wochen, es blieb jedoch eine allgemeine Unsicherheit noeh l~ngere Zeit zu~ek. Die Ohrgeri~usche bestanden weiterhin und stSrten den Patienten sehr. Er bemerkte jetzt auch in zunehmendem NIal3e eine Konzentrations- sehwi~che und eine allgemeine Abgesehlagenheit und Schlaflosigkeit.

Im Mai 1965 wurde er in der Universit~ts-Ohrenklinik Wfirzburg untersucht. Man fand eine Hochtonsehwerh6rigkeit yon maximal 60 db bei 3000 Hz auf dem rechten Ohr sowie einen zentralen Nystagmus naeh rechts, der erst bei Sehiitteln und RiiekwKrtsneigung des Kopfes manifest wurde.

Ende Mai 1965 - - also etwa 4 Monate nach Beginn der Erkrankung - - wurde der Patient erstmals in unserer Klinik ambulant gesehen. Der neurologische Befund war regelreeht, Halbseitensymptome, eine Pyramidenbahnl~sion, cerebell~re Erschei- nungen und Hirnnervenausf~lle liellen sieh nicht nachweisen. Der Liquor zeigte ein v611ig unauffiilliges Bild. ( ~ Leukoeyten, 38,5 mg-°/o Gesamteiwei$, normaler Ver- lauf der Normomastixreaktion.)

Die konservative Behandlung daheim bestand aus durchblutungsf6rdemden MaBnahmen (Hydergin). Dennoeh besserten sieh die Beschwerden nicht, vielmehr nahmen Ohrensausen und allgemeine Besehwerden zu.

Im September wurde der Patient bei uns stationer aufgenommen. Die interne Untersuehung ergab: adip6ser Mann mit gerStetem Gesicht. Totalprothese. Ge- rSteter Raehen, hypertrophische Tonsillen. Herz und Lungen unauff~llig. Blutdruck RR 160/90 mm Hg. Angedeutete pr~tibiale 0deme. Oberfl~ehliche Varieen an bei- den Unterschenkeln. Lymphl~noten nicht vergrSBert zu tasten.

Neurologisch. Das rechte Bein wird etwas nachgezogen. Bei den Halteversuchen sinkt das reehte Bein ab, die reehte Hand wird deutlieh proniert. Beim Pendelversuch bleibt das rechte Bein zuriick. Die Eigenreflexe sind am rechten Arm und Bein gegeniiber links betont, jedoch nicht sieher gesteigert. Nur der reehte Achillesreflex zeigt einige klonisehe Naehzuekungen. Tr6mner-Reflex reehts positiv, links eben angedeutet. Bei Bestreichen der FuBsohle Spreizph~nomen reehts, unauff~llige Plantarflexion links. BHR seitengleich vorhanden. Keine Sensibilit~tsst5mngen. Ohrenkliniseh ist kein Nystagmus mehr naehweisbar, naeh wie vor aber besteht die HochtonschwerhSrigkeit in gleichem AusmaB wie friiher. Augenklinisch keine Be- sonderheiten, aueh sonst an den Hirnnerven keine Ausf~lle.

Laborbe]unde. Rotes und weilles Blutbild und Urinbefund unauff~llig. BSG: 3:8 ram, Rest-N 25 mg-°/o; Serumgesamteiweil3 7,3 g-°/o, Serumelektrophorese: Al- bumin 47°/o, al 5,5% ; as 9%, fl 12%; ~ 26,5%. Die Liquorkontrolle ergibt wiederum eine normale Zusammensetzung, Liquorelektrophorese: Vorfraktion 5%, Albumin 40%, al 10,0%, as 9,0%, ~1 12,5%, #2 9,5%, ~ 15,0%.

EKG. Mangelhafte Anpassung an Belastung (Frequenzanstieg yon 65 auf ll0]min. Abflaehung yon T in I - - I I I ) .

EEG. Links pri~zentral bis temporal reichend leichter Herdbefund mit vermehrt eingestreuten Zwischenwellen und entspreehender Alphawellenreduktion.

Rfintgenologiseh am Sehi~delskelet keine Knochenver~nderungen. Thoraxauf- nahme: Lungenemphysem, keine frischen Infiltrationen. Als Nebenbefund stellte sich eine Halsrippe rechts dar.

Serologische Untersuchungen. 1. Arboviren (FSME-Virus) :

a) Neutralisationstest: Mai 1965 . . . . . . . . . ± 1 : 1024

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Jul i 1965 . . . . . . . . . -4-1 : 256 September 1965 . . . . . . q- 1 : 128

b) H~magglutinationshemmungstest: Mai 1965 . . . . . . . . . 1 : 80 Jul i 1965 . . . . . . . . . 1 : 1601 September 1965 . . . . . . 1 : 160 Miirz 1966 . . . . . . . . 1 : 80

c) K B R : Jul i 1965 . . . . . . . . . 1 : 51 September 1965 . . . . . . 1 : 81 M~rz 1966 . . . . . . . . 1 : 32

2. Entoviren2:

a) Poliomyelitis (Neutralisationstest): 1. Serum 2. Serum Typ I 1 : 256 1 : 384 Typ I I 1 : 1024 1 : 384 Typ I I I 1 : 1024 1 : 1024

b) Coxsackie (Neutralisationstest) 2: 1. Serum 2. Serum T y p A 2 1:768 1:768 T y p A 7 1 :24 1 :48 Typ A 9 1 : 64 negativ Typ B 1 negativ negativ T y p B 2 1 :96 1 :48 T y p B 4 1:384 Typ B 6 negativ negativ

c) Echo (KBR)2: 1. Serum 2. Serum Typ 9 nicht sicher negativ nicht sicher negativ

3. Adenoviren (KBR)~: 1. Serum 2. Serum negativ schwach positiv

4. Choriomeningitisvirus (KBR)~: 1. Serum 2. Serum negativ negativ

Ferner waren negativ: I. K B R gegen die Leptospiren icterogenes, grippo-typhosa und canicola. 2. Agglutination und K B R yon Listeria Typ 1 und 4.

W e g e n de r b e s o n d e r e n B e d e u t u n g des Fa l l e s u n t e r s u c h t e n wi r a u c h

Se ren y o n F a m i l i e n a n g e h S r i g e n des P a t i e n t e n . D a b e i e rwiesen s ich die

Se ren de r w e i b l i c h e n A n g e h S r i g e n - - F r a u u n d Schw/~gerin - - als n e g a t i v ,

1 Diese Befunde verdanken wir dem Hygiene-Institut der Universit~t Wien (Leiter: Profi Dr. H. ~/[ORITSCH ~).

I)iese Befunde verdanken wit dem Pettenkofer-Institut ~Ifinchen (Leiter: Prof. Dr. Dr. H. EYER). Die bakteriologisch-serologischen Untersuchungen wurden freundlicherweise im Hygiene-Insti tut Wiirzburg (Leiter: Prof. Dr. H. SEELIGER) durchgefiihrt. Es wurden jewei|s Serumproben im Sommer und im Herbst 1965 abgenommen.

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20 W. M~LLER und H. C. HOPF:

w/~hrend das Serum des Bruders, mit welchem zusammen der Patient Waldarbeiten zu verrichten pflegt (und auch gerade beim Abholzen des Gemeindew~ldchens gemeinsam t/~tig war), h/tmagglutinationshemmende (Titer 1:40) und komplementbindende AntikSrper (Titer 1:4) gegen das Virus der FSME aufwies, ohne dal~ dieser Mann jemals eine/~hnliche Er- krankung durchgemacht h/~tte.

Da der Patient aueh Sporttauben z/iehte~, waren wir aul~erdem be- streb~, unsere Untersuchungen auf diese Tiere auszudehnen; wir haben dem Patien~en sehr zu danken, dal~ er uns vier seiner Tauben iiberlieB, welehe mehrfach in Frankreich aufgelassen worden waren. An den Tieren konnten ~ keine Parasiten feststellen, sie wurden ira Atherrauseh entblutet, Seren und Gehirne fiir die Untersuchung entnommen. Jedes Gehirnhomogenisat wurde auf einen Wurf Babym/~use intraeerebral ver- impft. Zwei der Homogenisate fiihrten zu keinerlei Ver/~nderungen der Saugm/~use ; die Babym/~use der beiden restlichen W/irfe, deren Verhalten nicht ganz einwandfrei erschien, wurden getStet, die Gehirne entnommen, gepoolt und jeweils auf einen weiteren Wurf verimpft, welche nunmehr zweifelsfrei ohne Besonderheiten waren. Die Seren der Tiere wurden im Neutralisations- und H/~magglutinationshemmungstest auf AntikSrper gegen das FSME-VIrus untersucht, wobei lediglieh eines neutralisierende AntikSrper bis zur Serumverdiinnung 1 : 10 und dieses sowie zwei weitere die Agglutination yon G/~nseerythroeyten bis zur Verdiinnung 1:20 hemmten.

Im Fr/ihjahr 1966, von dem wir uns weitere gleiehartige Beobaehtun- gen erhofften, kamen leider nieht ann/~hernd so viele F/~lle in unsere Kli- nik, wie wir 1965 gesehen hatten. Einen Fall, dessen Krankheitsbfld ganz ~hnlich dem des Falles 1 verlief, kSnnen wir jedoch berichten:

Fall 2. Leo End. 53 Jahre alt, aus Aalen. Familienvorgeschichte. Der Vater starb im Alter yon 54 gahren an einer Herz-

erkrankung. 4 seiner 8 Gesehwister starben im Kleinkindesalter an Scharlaeh und Diphtherie.

Eigene Vorgeschichte. Unauff/illige Geburt und frfihkindliehe Entwieklung. Mit 7 Jahren Lungenentzfindung, die ohne Folgen abheilte. In der Zeit yon 1944 bis 1947 mehrfache Malariaanf~lle. Anfang 1945 soll er eine Fleckfiebererkrankung dureh- gemaeht haben, 1946 eine Gelbsucht. W/~hrend der Zeit der russisehen Kriegsgefan- genschaft von 1944 bis 1949 war er stark unterern~hrt und hatte eine feuchte Dystro- phie. 1954 Appendektomie, 1963 Rfiekensehmerzen, die auf eine degenerative Erkran- kung der Wirbelsgule bezogen wurden. Entsprechendo Behandlung brachte Besse- rung. 1963 ,,Grippe" mit leichtem Fieber, Kopfschmerzen, die bald zurfiekgingen.

Jetzige Erkrankung. Im November 1965 machte der Patient wiederum eine ,,Grippe" durch. Anf~nglich Mfidigkeitsgeffihl und Abgesehlagenheit. Dann Tempe- raturen initial mit einem Schfittelfrost bis 400 C ansteigend. Kopfsehmerzen. Weiter- bestehen des Fiebers fiber fast 14 Tage. Naeh antibiotischer Behandlung deutliehe Besserung. 2--3 Wochen sp~ter begann ein Rauschen im linken Ohr, yon gleieh- m~$iger Intensit~t und ohne BeeinfluBbarkeit. Anfang 1966 kam Schwindel hinzu. Diese Sehwindelerseheinungen traten attackenweise mit angedeutetem Drehsehwin-

Autoehthone epidemisehe Vertigo aus Franken mit AntikSrpern 21

del auf, waren anf~nglich h~ufig und stark ausgebildet, wurden im Laufe des Januar leiehter und klangen Ende Februar 1966 aus. Im M~rz trat sehlielllich ein Kribbel- gefiihl in der rechten Schulter- und Brustregion auf, der reehte Arm schlief h~ufig ein.

Bei der ersten ambulanten Untersuehung in unserer Klinik am 14. 3. 1966 fand sich eine mimisehe Faeialissehw/iche rechts, ein leichtes Abweiehen der Zunge nach reehts. Bei tier Aufnahme am 21.3. 1966 waren jedoch sichere neurologisehe Aus- f~lle nieht mehr nachzuweisen. Keine Zeiehen einer Pyramidenbahnseh~digung, keine Halbseitensymptomatik, keine latente Parese, keine Reflexausf/ille oder Sen- sibilit~tsstSrungen und keine StSrungen im Bereich der Hirnnerven.

Laboruntersuehungen. BSG 4:5 mm. Im Blutbild fielen lediglieh 3°/o Eosinophile auf, tier Urinbefund war vSllig regelreeht.

Untersuchungen im Serum. Gesamteiwei$ 6,6 g_O/o, Rest-N 31,5 mg-°/o, Ham- stoff-N 20,0 mg-°/o, Bilirubin unter 1,0 mg-°/o . Thymol-Triibungstest 1,7 ME; GOT 6,3 ME; GPT 4,2 ME.

Serumelektrophorese. 54,0 Albumin, Globulin: ax 5,0, a2 9,0; fl 13,0; ~ 19,0. Wa.R. in Blut und Liquor negativ.

Auf den Seh~delfibersichtsaufnahmen kein krankhafter Knoehenbefund. Auf den Aufnahmen der Halswirbels~iule geringe Versehm~lerung zwischen HWK 5 und 6, jedoeh nut angedeutete Randzaekenbildungen.

Liquor. 10/3 Leukoeyten, 0/3 Erythroeyten, Gesamteiwei$ 45,8 mg-°/o (Brom- phenolblaumethode), Mastixreaktion: III, III, II, II, 18.

Das Elektreneephalogramm war weitgehend unauff~llig. Elektrokardiogramm: leiehtes orthostatisches Syndrom, sonst keine pathologisehen Veriinderungen.

Von augenkliniseher Seite kein krankhafter Befund. Von ohrenkliniseher Seite fiel eine hoehgradige Nasenscheidewandverbiegung

auf. Audiologiseh war alas HSrvermSgen normal. Bei der Vestibularispriifung ergab sieh ein leichter Nystagmus nach Schiitteln, wahrscheinlieh als Ausdruck einer leieh- ten zentralen StSrung.

Serologische Untersuchungen. 1. Arboviren (FSME-Virus):

a) Hgmagglutinationshemmungstest: . . . . . . . . 1:80 . . . . . . . . 1:160 . . . . . . . . 1:80

8. 3. 1966 7.4. 1966

27.4. 1966 b) KBR:

8. 3. 1966 7.4. 1966

27. 4. 1966

2. Entoviren~:

. . . . . . . . negativ

. . . . . . . . negativ

. . . . . . . . negativ

a) Poliomyelitis (KBR) : 1. Serum 2. Serum Typ I negativ Typ I negativ Typ II negativ Typ II negativ Typ I I I negativ Typ I I I negativ Poliomyelitis (Neutralisationstest) :

Typ I 1 : 32 T y p l I 1-128 Typ I I I 1 : 76s

s Der Eiweil3wert ist naoh unsemn Erfahrungen mit der Bromphenolblaumethodo noch nicht als sicher pathologisch anzusehen, wenn er aueh mit gewisser Wahr- seheinlichkeit Ms leieht erhSht gelten muB.

22 W. Mi~LLER und H. C. Hm'~:

b) Coxsackie (KBR)4: 1. Serum 2. Serum Typ A 2 negativ negativ Typ B 2 negativ negativ Typ A 7 negativ negativ Typ A 9 negativ negativ Coxsackie (Neutralisationstest) 1" 1. Serum T y p A 2 1:1024 T y p A 7 1:48 Typ A 9 negativ Typ B 1 negativ Typ B 2 1 : 24 Typ B 6 negativ

e) Echo (KBR)4: 1. Serum 2. Serum Typ 9 negativ Typ 9 negativ

3. Adenoviren (KBR)4: 1. Serum 2. Serum negativ negativ

4. Choriomeningitis (KBR)4: 1. Serum 2. Serum negativ negativ

5. Eneephalitisgruppe (KBR)% 1. Serum 2. Serum negativ negativ

6. Encephalomyocarditisgruppe4: 2. Serum negativ

7. 0rnithose (KBR)4: 1. Serum negativ

8. Mumps (KBR)4: 1. Serum negativ

Ferner waren die Untersuehungen auf Leptospiren negativ; desgleichen die Paul- Bunnel-Reaktion. - - Bei der Listerien-Untersuehung ergab sieh in der Agglutination bei Typ 1, O-Antigen, ein Titer 1:40; H-Antigen und iibrige waren negativ, des- gleiehen die KBR.

SehlieBlieh mSchten wir noch kurz die Krankheitsverl~ufe yon zwei Patienten, die leider nicht ausfiihrlieh stationKr untersueht werden konnten, zur Diskussion stellen. Das Krankheitsgeschehen gleicht dem der F~lle 1 und 2. Beide Patienten bemerkten ihre Besehwerden nach dem symptomfreien Intervall nach einer kurz- dauernden fieberhaften Erkrankung, die als ,,Grippe" angesprochen worden war.

Patientin K. Ble.: Eine 60j~hrige Patientin aus der Umgebung yon GieBen er- krankte Anfang August 1965 an einer ,,Grippe" mit leichtem Fieber und Kopf- sehmerzen. 14 Tage sparer stellte sich Rausehen, Zischen und Pfeifen in beiden

4 Siehe FuBnote 2 Seite 19.

Autochthone epidemische Vertigo aus Franken mit AntikSrpern 23

0hren ein, welches sich langsam verst~rkte. Gleichzeitig trat eine HSrersehwerung au£ 2--3 Woehen sparer kam es zu ungerichteten Schwindelerscheinungen, die bis April des folgenden Jahres zunahmen. Ohrenklinisch wurde eine beidseitige Innen- ohrschwerhSrigkeit leichten Grades festgestellt. Der neurologische Befund war vSllig regelrecht. Der Liquor zeigte keine pathologischen Ver~inderungen. RSntgenauf- nahmen des Sch~idels und der Felsenbeine ergaben unauffiillige VerhRltnisse. Im EEG fand sich lediglich eine Frequenzlabilit~t. Titer gegcn FSME: t t H T 1:20, KBR 1:8.

Patientin D. Me.: Die 36j~hrige Patientin aus dem Taubertal erkrankte Anfang April 1965 mit Kopfschmerzen, leichtem Fieber. Auflerdem trat eine diffuse Alo- pecie auf. Kurze Zeit sp~ter stellten sich ungeriehtete Sehwindelerscheinungen und eine HSrminderung ein. 3 Monate sp~ter wurde eine linksseitige Innenohrschwer- hSrigkeit leichten Grades festgestellt. Abgesehen davon war der neurologische Be- fund unauffiillig. Die Liquoruntersuchung ergab keinen pathologischen Beftmd. Titer gegen FSME: HHT 1 : 80, KBR 1 : 8.

Diskussion

Die mitge~eilten F~lle regen zur Diskussion fiber zwei Fragen an, auf die wit hauptsiichlich an Hand des exemplarischen Falles 1 n~her ein- gehen mSchten.

1. Wie entstanden die naehgewiesenen AntikSrper gegen das FSME- Virus ~.

2. Welehe ~tiologische Bedeutung besitzen sic ?

1. Die Verlaufskontrolle der versehiedenen AntikSrper gegen das FSME-Virus bei unserem ersten Fall ergibt eine Titerbewegung, die an- zeigt, dab die frisehe Erkrankung nicht lange zurfiekliegen kann. Diesen Zeitraum der Anamnese kSnnen wir mit groBer Sieherheit fiberblicken; wir wissen niimlich aus wiederholten energisehen Versicherungen des Pa- tienten, daB er zumindest in den letzten 4---5 Jahren den engeren Um- kreis seines Wohnortes nieht verlassen hat. Wir mfissen deshalb an- nehmen, dab er diese Antik6rper an seinem Wohnort erworben hat, selbst wenn er keinen ZeckenbiB bemerkte. Bekanntlich berichtet ein grol]er Tell der manifest erkrankten Patienten aus dem Gebiet der 6stlichen Naturherde nichts fiber ein solehes Ereignis. Man mul3 deshalb neben dem Infektionsweg durch ZeckenbiB und neben dem der aliment~ren Uber- t ragung noch einen drit ten Weg vermuten, der jedoch noeh v611ig unbe- kannt ist. I m vorliegenden Falle kSnnen wir mit einiger Wahrseheinlich- keit den aliment~ren Weg ausschlieBen, auch wenn in der Heimat des Patienten in geringem Umfange Weidewirtschaft - - die Voraussetzung ffir den alimentiiren Infektionsweg - - betrieben wird. Wit glauben dies daraus ableiten zu dfirfen, dab die weiblichen FamilienangehSrigen keine AntikSrper besitzen, wohl aber der Bruder, der den Patienten zur Arbeit begleitete. S~mtliche Familienmitglieder stehen ngmlich unter dem glei- chen alimenti~ren Infektionsrisiko, w~hrend auf dem anderen Wege das

24 W. M~LLER und H. C. ~IOPF:

Risiko fiir die im Walde arbeitenden M/~nner ungleieh gr6Ber anzunehmen ist als ffir die Frauen. Im fibrigen gelten Rinder - - die Familie tr inkt nur Kuhmilch - - als recht sehleehte Virusausscheider, w/ihrend Ziegen, welche oft hohe Virustiter in der Milch besitzcn (VAn T o ~ G ~ N ) , nieht gehalten wurden.

Der AntikSrpergehalt im Serum des Bruders unterstreicht unseren Verdacht, dab das Virus der FSME am Wohnort des Patienten heimisch ist. Diese Tatsache sprieht auch gegen die MSglichkeit, dab der Patient mit dem FSME-Virus fiber die yon ihm gezfiehteten Sporttauben infiziert wurde. Man hat uns mehrfach versichert, dal3 der Bruder nie mit den Sporttauben zu tun hatte und den Taubensehlag nicht betrat. Eine Uber- tragung des Virus fiber Tauben kSnnte theoretiseh mSglieh erscheinen, hat aber wenig praktische Wahrseheinlichkeit fiir sich: die Taubenzecke w/~re zwar zun/~chst als Ubertr/~ger denkbar (unseres Wissens wurde dies indessen nie nachgewiescn), sie finder sich aueh in nieht allzu weiter Ent- fernung vom Wohnort des Patienten in Taubenst/~llen, in der Gegend von Marktheidenfeld (siehe BA~SER). Taubenzeeken sind jedoch streng wirts- spezifische Parasiten, die nicht an Menschen saugen, und scheiden schon deshalb aus. Immerhin kormten wir geringe AntikSrper in den Seren von drei Tauben finden, doeh sind die AntikSrperverh/fltnisse bei VSgeln un- sicherer zu beurteilen als bei S~ugern, wie van TONG~EN U. TIMMERS am Beispiel der Wasserhfihner ausffihrlich darlegten. ERNEK, NOSEK so- wie GR~SIKOVA U. Mitarb. hielten sieh ebenfalls an diese Beurteflung, wiesen allerdings nach, dal~ die genannten Vogelarten das Virus sehr wohl beherbergen und vermehren kSnnen, teilweise auch ohne dab irgendwelche Zeiehen einer Erkrankung auftreten. STRErSSLE fand das gleiche bei Kficken, andere Autoren bei ZugvSgeln in versehiedenen Gegenden der Erde und fiir versehiedene Arboviren. (Eine kurze Bibliographie dieses Themas findet sieh im Literaturverzeiehnis.) I-IooGsTRAAL U. Mitarb. sahen auch Ixodiden an ZugvSgeln aus Europa und dem Mittelmeer- raum. Entsprechende Untersuchungen speziell an Tauben sind uns nicht bekannt geworden. In diesem Zusammenhang sei aber erw/£hnt, dab Sporttauben auf ihren Fliigen die W/~lder meiden. Die yon uns untersuch- ten Tiere waren fiberdies stets im Westen, in Frankreich, aufgelassen worden, wodurch die MSglichkeit, das FSME-Virus einzuschleppen, ohne- hin gering ist. Sehliel~lich konnten wir aus den Tauben kein Virus iso- lieren.

2. Die Spezifit/£t des H/£magglutinationshemmungstests erlaubt fest- zustellen, dal~ unser Fall 1 tats~ehlich mit dem FSME-VIrus selbst in Be- rfihrung gekommen ist und nicht etwa mit einem verwandten Erreger. Nach den vorangegangenen l~berlegungen sind wir fiberzeugt, dal~ der Patient seine AntikSrper gegenfiber diesem Virus nur in seinem tIeimat- ort erworben haben kann. Das Virus kommt also in unserer Gegend vor.

Autochthone epidemische Vertigo mit Antik6rpern aus Franken 25

Dennoch bleibt noch die Frage often, ob die beobachteten AntikSrper mit dem Krankheitsbild, dessentwegen der Patient unsere Klinik aufsuehte, urs~chlich in Verbindung stehen.

Eine kritische Wfirdigung der serologisehen Befunde ergibt auff/~llig hohe Titer neutralisierender AntikSrper gegenfiber Poliomyelitis- und Coxsaekieviren: die Titer gegen Polio-Typ 1 bewegen sich innerhalb des Kontrollzeitraumes um eine halbe Titerstufe, der zun/~chst hohe Titer gegen Polio-Typ II bildet sieh gleichzeitig um mehrere Titerstufen zurfick, w~hrend die Titer gegen Polio-Typ I I I gleichbleibend hoch sind. Ffir die Bewertung ist es wichtig zu wissen, dab in der ersten H~lfte des Jahres 1965 der zeitliche Abstand zur Poliomyelitisschluckimpfung noch nicht sehr groB war; gerade die Impfung gegen Typ I I I lag am kfirzesten zu- rfiek. Die AntikSrpertiter gegen Coxsackie A 2 sind gleiehbleibend hoch, dfirften also Relikte frfiherer Auseinandersetzungen des Organismus mit diesem Virus sein; sie wurden vom Untersuehungslabor auch nicht als signifikant erhSht bezeichnet, und auch wir konnten uns nicht yon der i~tiologisehen Bedeutung dieser Titer ffir den vorliegenden Fall fiberzeu- gen. Der angedeuteten Konvergenz der KB-Titer gegen Adenoviren yon negativ auf sehwach positiv mSehten wir ebenfalls keine/itiologisehe Be- deutung beimessen.

Was hurl die AntikSrper gegen das FSME-Virus betrifft, so ist zun~ehst festzustellen, dab der Patient erst nach monatelangem Krankheitsverlauf in unsere Behandlung kam. So ist vielleicht zu erkl/~ren, warum der bSchste Neutralisationstiter am Anfang der Kontrollen steht. Die h/imag- glutinationshemmenden AntikSrper schwanken um eine Titerstufe. Die komplementbindenden AntikSrper nehmen jedoch im Verlauf st~ndig zu und erreichen ihr Maximum erst mehr als 1 Jahr nach Beginn der zur Diskussion stehenden Erkrankung, ohne dab sie aber absolute Werte er- reichen, die naeh den Kriterien yon Kv~z u. KRAUSSLER ffir eine FSME- Erkrankung beweisend w/iren. Alle diese Titer sind ]edoch w~hrend des Untersuchungszeitraumes in Bewegung. Das Krankheitsbild selbst ist, gemessen an den klinischen Berichten fiber die FSME, ungewShnlieh, vor allem wegen des fiberaus schleichenden Verlaufes, zu dem iedoch gerade die Entwicklung der KB-Titer gut paBt. Demgegenfiber wies ein Fall von FSME-Erkrankung nach Laborinfektion, den wir beobaeh- ten konnten, und den SCHALTENBRAI~D in seiner Festrede auf dem Inter- nistenkongre6 im April 1966 in Wiesbaden mitgeteilt hat, innerhalb eines Vierteljahres die folgenden Titerbewegungen in der K BR auf: 1 : 4 - - 1 : 3 2 - - 1 : 8 .

Aus dem Verlauf der Titerbewegungen bei unserem Fall alleine kSnnte man also nach den geltenden l~egeln nieht auf eine FSME-Erkrankung schlieBen, vielmehr mfiBte man die vorhandenen KB-AntikSrper naeh

2a Dtsch. Z. Nervenhei lk . , Bd. 190

26 W. ~ULLER und H. C. HoPF:

KuNz u. KRAUSSLE1% unter die inaparenten Infektionen einreihen. Wir k6nnen jedoch einige/~hnlieh gelagerte F~lle zur Diskussion stellen, deren Krankengeschiehten wir vorne dargestellt haben. Einer yon ihnen (Fall 2) besaB lediglieh h/~magglutinationshemmende Antik6rper bei negativer KBR, w/ihrend sich gleichzeitig ein signifikant erhShter Titer neutrali- sierender Antik6rper gegen Coxsackie A 2 fand, ohne dab KB-Antik6rper naehgewiesen werden konnten. Weitere zwei Patienten mit den gleichen anhaltenden Schwindelerseheinungen und Ohrger/~usehen im AnsehluB an eine grippale Erkrankung hatten sowohl h£magglutinationshemmende als aueh KB-AntikSrper gegen FSME-Virus.

Wir kSnnen also feststellen, dab in unserer Gegend ein Krankheitsbild epidemieartig auftritt, welches akut mit grippe£hnlichen Erscheinungen beginnt, mit einer Latenz yon einigen Tagen zu anhaltenden, qu/flenden Schwindelerseheinungen und oft zu Ohrenrauschen und H6rst6rungen fiihrt und mit Antik6rpern gegen das FSME-Virus einhergeht. Wir sehcn darin eine besondere Form der FSME-Viruserkrankung, die offenbar ffir unsere Gegend eharakteristisch ist. AuBer in Franken scheint sic aueh in der Umgebung yon GieBen vorzukommen, woher unser dritter Fall kam. M6glicherweise besteht eine Beziehung zwisehen unseren Beobachtungen und den yon }IUBACH U. PO]~CK mitgeteilten, geh~uft auftretenden Hirn- nervenneuritiden. Diese Autoren vermuteten eine Virus/itiologie, glaub- ten jedoeh eine FSME-Virus-Erkrankung vor allem deswegen ausschlie- Ben zu k6nnen, weil dieses Virus damals in Deutschland noeh nicht nach- gewiesen war 5.

Wenn wir eine Erkl/irung ffir diese eigentfimlich schleichende Form der Erkrankung durch das FSME-Virus suchen, so mag uns die Tatsaehe eine Hilfe sein, dab offenbar die Virulenz des Erregers abnimmt, je weiter westwi~rts er auftritt : in Sibirien handelt es sich um eine hochakute Er- krankung mit vielfaehen epidemischen Explosionen und zahlreichen Todesfitllen, in der CSR und 0sterreich treten nur gelegentlich gr6Bere Epidemien mit zahlreiehen akuten Krankheitsf/fllen auf, jedoeh sind die Verl/iufe in den meisten F/illen harmlos. Man k6nnte sich deshalb gut vorstellen, dab bei uns, am westlichsten Rande der Verbreitung dieses Erregers, seine Virulenz so abgeschw/icht ist, dab es zwar zu gelegentlich epidemieartigen It/iufungeu yon Erkrankungen kommen kann, die aber unter den von uns mitgeteilten subakut schleichenden Krankheitsbildern

5 Nach Drucklegung dieser Arbeit erschien eine Mitteilung yon I. FARAG6 und A. T6R6K (Zur Frage: Neuritis vestibularis - - Encephalitis vestibularis, Dtsch. Z. Nervenheilk. 189, 104 (1966)), die ganz /ihnliche Erkrankungen in Ungarn be- obachteten. Ohne sich auf virologisch-serologische Befunde stfitzen zu k6nnen, vermuteten die Autoren hinter diesen Syndromen eine leicht verlaufende Virus- erkrankung mit guter Heilungstendenz. Wir glauben, dab es sich z. T. um gleich- artige F/ille handelt, wie wit sic besehrieben haben.

Autochthone epidemische Vertigo aus Franken mit AntikSrpern 27

auf t re ten . Hierf i i r m6gen die in tens ive Durchfors tung unserer W/£1der, das wei tgehende Fehlen yon Ziegen in der Landwi r t s cha f t und andere der- ar t ige F a k t o r e n veran twor t ] i ch sein, die dem Er reger einersei ts nur einen z6gernden Kre i s l au f ges t a t t en und andererse i t s einen Teil der Infekt ions- mSgl ichkei ten des Menschen un te rb inden , vor a l lem denjen igen Tell, der - - wie es die Ep idemie von R o s n a v a / C S R gezeigt ha t - - zur explosions- a r t igen Auswei tung der Ep idemie ffihren kann.

Zusammenfassnng

An H a n d eines exemplar i schen Fal les wurde dargelegt , dal3 das Virus de r F S M E - R S S E in den W/~ldern unserer Gegend v o r k o m m e n mul~. Dieser und weitere drei P a t i e n t e n b ie ten ein Krankhe i t sb i l d , das meis t ep idemiear t ig geh/~uft auf t r i t t . I m Beginn s tehen grippe/~hnliche Erschei- nungen. Es schliel~t sich ein symptomfre ies I n t e r v a l l an. Endl ich b i lden sich qu/~lende Beschwerden mi t Schwindel , Ohrenrauschen oder HSr- minde rung heraus. Der Ver lauf is t e igentf imlich schleichend. Alle F~lle b a t t e n An t ik6 rpe r gegen das Virus der FSME. Es is t zu ve rmuten , dai~ die yon Osten nach Wes t en s t a rk abnehmende Virulenz des Erregers an der i~uBersten Grenze seines Verbre i tungsgebie tes fiir diese abgeschwitchte F o r m der E r k r a n k u n g ve ran twor t l i ch ist.

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Dr. W. lV[~LLER Neurologische Universit~tsklinik Luitpoldkrankenhaus 8700 Wfirzburg