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Wer träumt nicht davon, das World Rally Car des Weltmeisters in der Garage stehen zu haben. Dumm nur, dass Volkswagen eine klare Linie hat: Werkswagen wie der VW Polo R WRC sind unverkäuflich. Na und? Baut man sich eben selbst einen. Willkommen im VW Polo 4WD. Nerdgeschoss VW Polo 4WD > TRACKTEST 50 automagazin.at

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Wer träumt nicht davon, das World Rally Car des Weltmeisters in der Garage stehen zu haben. Dumm nur, dass Volkswagen eine klare Linie hat: Werkswagen wie der VW Polo R WRC sind unverkäuflich. Na und? Baut man sich eben selbst einen. Willkommen im VW Polo 4WD.

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Nerdgeschoss Es hat einige Zeit gedauert. Weniger die Anreise zum exklu-siven Proberitt. Auch das, durch die hohe Politik nochmals verschärfte Visa-Prozedere für die Einreise nach Russland

kann nicht für die Verzögerung herhalten. Im Gegenteil, nach dem Gaststart im russischen Polo Cup mit Profibeifahrerin Ilka Minor im Vorjahr hat die „staatliche Papierabnahme“ dank hochoffizi-eller Einladung des Sportministeriums auch in diesem Frühjahr problemlos funktioniert. Ergo ist der Autor dieser Zeilen ziel- und punktgenau in Moskau gelandet. So war es mit Selfmademillionär Mihail Lepekov, Initiator und Finanzier des russischen VW Polo Cups besprochen. Die exklusive Mission: Neben einem erneuten Gastauftritt in der mittlerweile zum offiziellen VW Polo Cup geadel-ten Markenserie sollen – besser dürfen wir – jenem VW Polo 4WD auf den Zahn fühlen, der zwei Tage später sein Wettbewerbsdebüt bei der „Rally Masters Show Moscow“ geben wird.

Dumm nur, dass Eigner Lepekov in den vergangenen Wochen und Monaten ebenso wenig Zeit fand den jung-fräulichen Leitbullen der russischen Volkswagen-Armada auszutesten wie seine engsten Mitarbeiter. „Wenn ich gewusst hätte, was ich da kaufe, hätte ich es wohl gelassen“, sagt der rallyever-rückte Endvierziger über den in Polen gebauten Prototypen. „Das war alles andere als ordentlich gemacht. Also haben wir nochmals von vorne ange-fangen und zwar so, wie ich mir das bei uns vorstelle.“ Vor allem äußerlich hat sich der ursprünglich von Pavel Dytko und seiner Truppe entwickelte Allrad-ler verändert. Denn als Dytko Sport 2011 seinen „Polo Proto“ vor-stellte, hatte dieser noch jene runden Kotflügel wie sie seinerzeit auch das als Vorbild dienende WRC-Präsenta-tionsmodell von Volkswagen zierten. Im Lauf der Zeit wurde in

den in Moskau beheimateten Hallen von Alm Rally nicht nur das kantige Karosseriekleid des aktuellen Werkswagen nachgerüstet, sondern das Unikat so umfangreich überarbeitet, dass neben zwei Dutzend Cup-, zwei R2-, sowie vier Rundstrecken-Polos und einem Fullspec-R4-Mitsubishi Evo X mittlerweile gar ein zweites Allrad-Chassis nebst allerlei Formen zum Beispiel für Front- und Heck-schürze, Kotflügel und so weiter stehen. „Geplant war das nicht“, lacht Lepekov, „aber wir werden dafür schon eine Verwendung finden. Die Jungs hier kennen eben meinen Anspruch.“

Eines ist jedoch geblieben: die Idee der Mitsubishi-Spezialisten von Dytko Racing, mit der Großserientechnik des Lancer Evo X günsti-ge WRC-Imitate auf die Räder zu stellen. Während die Polen nach dem Polo eine auf dem gleichen Konzept basierende WRC-Variante des Peugeot 208 und nun gar einen Hyundai i20 nachlegen, ist der

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russische Polo 4WD in der freien Wildbahn angekommen. Knapp zehn Kilometer dauert die Fahrt durch den Stadtverkehr zum Trainingsgelände der Moskauer Renn- und Rallyeschule. Es geht halt Nichts über eine Straßenzulassung! Also rauf auf die rappel-vollen Asphaltbahnen und rein in den russischen Stadtverkehr. „Der Motor ist noch nicht warm“, lässt Mihail wissen und passt sich dem allgemeinen Verkehrsfluss an. Smartphones zückende Lada-, Toyota- und Audi-Fahrer danken es ebenso, wie meiner einer auf dem Beifahrersitz. Weiß ich doch, wie der fahragile Immo-bilientycoon seine Spielmobile aus Modena und Zuffenhausen im kommoden Autobahntempo durch Moskau jagt. Blöd nur, dass sich an der nächsten Ampel vor einem der zahlreichen SUVs ein Subaru Impreza versteckt. Klare Sache, Mihail erweitert die Zweierreihe an der Startlinie um eine Position. Schaltet das „Anti-Lag“ genannte Umluftsys-tem des Turboladers ein, drückt noch schnell den Knopf für die Startautomatik und katapultiert Mensch und Maschine bei Gelb Richtung Gegenverkehr über die weitläufige, aber eben nicht völlig freie Kreuzung. Der wohl ebenso brachial startende Subaru folgt mit Respektabstand, der Rest des Feldes dürfte bestenfalls noch das Smartphone in den Händen halten.

„Easy“, gibt sich Rallye-Enthusiast Lepekov von seinem Nerdge-schoss begeistert und schwört, dass seine Mannen an der Mitsubishi-Technik kaum etwas verändert haben. Praktisch, dass ein paar kleine Eingriffe und ein ordentliches Motorenprogramm dem japanischem Herzen des deutschen Tarnkappenbombers gänzlich andere Werte entlocken. Statt dem maximalen Drehmo-ment von 422 Newtonmeter bei 3.500 U/min des Mitsubishi-Serien-

aggregats stemmt der Vierzylinderturbo im russischen Chamäleon nun knapp 650 Nm bei 2.900 U/min auf die Kurbelwelle. Das fetzt nicht nur an der Ampel. „Was soll ich machen“, lacht Mihail. „Das liegt am geänderten Mapping und dem Rennsprit mit 102 Oktan“, entschuldigt er sich für den brachialen Antritt und schwört, dass die Serienleistung von 280 PS bei 6.500 U/min sich dadurch nur marginal „auf vielleicht 300 PS“ gesteigert habe – bei allerdings rallyefreundlichen 4.300 U/min. Gleich geblieben ist die hydrauli-

sche Lenkung, die wie nahezu die gesamte Antriebsmechanik inklusive dem nach klassischen H-System zu schaltenden Fünfgang-Getriebe aus dem Gruppe-N-Lancer übernommen wurde. „Ein paar Wellen mussten gekürzt werden. Aber ansonsten hat sich beim Antriebsstrang kaum etwas getan“, erklärt ALM-Technikchef Alexey Gusev. „Sind die Evo-Mechanik und das Trieb-werk erstmal im Polo-Chassis eingepasst, gibt es da nicht mehr so viel zu tun. Wir konzentrieren uns nur noch auf die Detailarbeit, sprich das Setup.“

Also ab hinters Steuer und rauf auf die Teststrecke. Hier offenbaren sich vor dem ersten

Wettbewerbseinsatz noch einige Defizite. „Ups“, meldet sich der mittlerweile im Cockpit festgezurrte Copilot über die Gegensprech-anlage kurz zu Wort. Seine ganz persönliche Analyse: „Entweder Du überfährst das Ding, oder es schiebt gewaltig über die Vorder-achse.“ Letzteres trifft den Nagel auf den Kopf. Denn das speziell für den Polo 4WD gefertigte Reiger-Fahrwerk muss nachjustiert werden. „Es tut mir wirklich leid, dass wir das nicht vorher geschafft haben“, nimmt Lepekov seine Mannen in Schutz und wechselt höchstpersönlich die nach nur wenigen Runden auf dem rauen Asphaltparcour bis auf die Reifenkarkassen aufgearbeiteten

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Vorderräder. „Zwar ist das Fahrwerk auf das Basisgewicht von 1.320 Kilo entwickelt worden“, erklärt Chefingenieur Alexey, aber es ist ein reines Schotterfahrwerk.“ Soll heißen, das Fahrwerk wurde für das Rallyedebüt bei der Masters Show zwar bis auf den Anschlag nach unten gedreht und bei Zug und Druckstufe auf eine möglichst harte Einstellung getrimmt, aber ein wettbewerbfähiges Setup sieht eben doch anders aus. Vor allem, wenn man im herrlich knallenden Allrad-Polo gegen solch potente Rennboliden wie Ford Focus WRC, Skoda Fabia S2000 oder auch Gruppe-N-Subaru anstinken will. „Ganz ehrlich“, wird Mihail Lepekov ernster, „man muss schon auch in sich gefestigt sein und wohl eine Macke haben, wenn man sich mit so einem Auto dem Wettbewerb auf diesem Level stellt“, und macht klar: „Ich muss mir allerdings nichts mehr beweisen. Mit dem Polo 4WD geht es mir weniger um den persönlichen Erfolg, schließlich könnte ich mir auch einen echten WRC, wenn auch keinen Volkswagen, leisten. Die Intention war eine andere: Einer-

seits wollte ich beweisen, dass es kostengünsti-gere Alternativen zu den sündhaft teueren R5- oder S2000-Autos gibt. Anderer-seits ein spekta-kuläres Aushän-geschild für den russischen VW Polo Cup auf die Beine stellen, in

dem ich auch noch ein Menge Spaß habe.“ Sagt es und freut sich auf das Schotterdebüt anlässlich des zweiten Cuplaufs bei der zur zwei-ten russischen Rallyeliga zählenden Tanman Rallye. Dort sollen die Rad/Reifenkombinationen, auf Schotter 205/65 R 15 und Winter 145/80 R17(!) deutlich besser mit den Fahrwerkseinstellungen har-moniert haben, wie mit der Asphaltvariante 225/45 R18. Zumindest bis ein Reifenschaden den Spieltrieb des potenten Russen stoppte. Aufhalten lassen wird sich Mihail Lepekov dadurch nicht. Zumin-dest nicht im Moskauer Stadtverkehr. In Sachen Rallyesport ist er eben ein Nerd.

Text: Reiner KuhnFotos: Richard Balint

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>TECHNISCHE DATEN VW Polo 4WD

Motor-Basis Mitsubishi Lancer Evo XMotorart/Lage R4 mit Turbolader/vorne querHubraum 1.998 ccm; 16 VentileLeistung/Umin über 300 PS/4.300Drehmoment/Umin ca. 650 Nm/2.900 Antrieb Allrad mit vorderem, mittlerem und hinterem DifferenzialKupplung Keramik Ø 240 mm Getriebe Fünfgang, mechanisch Chassis-Basis VW Polo 3-TürerChassis Stahlchassis, eingeschweißte Sicherheitszelle Karosserieanbauteile, Hauben Türen aus Kohlefaser oder glasfaserverstärktem Kunststoff Fahrwerk mehrfach verstellbare Dämpfer (Reiger), einstellbarer Stabilisator vorne und hintenBremsen vorne: Scheiben Ø 300 mm; Vierkolben-Sättel hinten: Scheiben Ø 295 mm; Vierkolben-Sättel Räder Schotter: Reifen 205/65-15 auf Felgen 7 x 15 Asphalt: Reifen 225/45-18 auf Felgen 8 x 18 Eis: Reifen 145/80-17 auf Felgen 5,5 x 17 Leergewicht (kg) 1.320 (VW Polo WRC: 1.200) Fahrleistungen0-100 km/h (s) ca. 3,8 (je nach Übersetzung)V-max (km/h) ca. 210 (je nach Übersetzung)

Preis ca. 190.000 Euro

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