7
703 VII Informationstechnologien zur Integration von Betriebsführungs- und Fertigungsabläufen 22 Industrielle Kommunikation – Überblick 22.1 Informationsstrukturen moderner Automatisierungssysteme Büro- und Fertigungsabteilungen waren ursprünglich getrennt arbeitende Unternehmensberei- che, deren Kommunikation über Auftragszettel oder andere schriftliche Mitteilungen ablief. Was früher getrennt war, muss jetzt zusammenwachsen. Die neuen Möglichkeiten dazu liefern Ethernet-TCP/IP-Netze und Informationstechnologien wie Internetdienste und OPC-Schnitt- stellen. Nach derzeitigem Stand der Entwicklung ist ein hierarchisch gegliedertes, leistungsmäßig abgestuftes Kommunikationssystem mit Datendurchlässigkeit im Bereich der Fertigungs-/Pro- zesstechnik üblich. Das hat technische und wirtschaftliche Gründe. Es gibt jedoch auch Be- strebungen, das in der Bürowelt etablierte Ethernet-TCP/IP-Bussystem auf den Automations- bereich auszudehnen, wie das schon am Beispiel PROFINET in Kapitel 18 dargestellt wurde. Das entscheidende Kriterium ist aber die geforderte Verfügbarkeit der Informationen. Das folgende Bild zeigt Informationsstrukturen, wie sie in einem modernen Automatisierungs- system vorkommen können. Bild 22.1: Informationsstrukturen mit Büro- und Fertigungsnetz

Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

  • Upload
    dieter

  • View
    215

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

703

VII Informationstechnologien zur Integration von Betriebsführungs- und Fertigungsabläufen

22 Industrielle Kommunikation – Überblick

22.1 Informationsstrukturen moderner Automatisierungssysteme Büro- und Fertigungsabteilungen waren ursprünglich getrennt arbeitende Unternehmensberei-che, deren Kommunikation über Auftragszettel oder andere schriftliche Mitteilungen ablief. Was früher getrennt war, muss jetzt zusammenwachsen. Die neuen Möglichkeiten dazu liefern Ethernet-TCP/IP-Netze und Informationstechnologien wie Internetdienste und OPC-Schnitt-stellen. Nach derzeitigem Stand der Entwicklung ist ein hierarchisch gegliedertes, leistungsmäßig abgestuftes Kommunikationssystem mit Datendurchlässigkeit im Bereich der Fertigungs-/Pro-zesstechnik üblich. Das hat technische und wirtschaftliche Gründe. Es gibt jedoch auch Be-strebungen, das in der Bürowelt etablierte Ethernet-TCP/IP-Bussystem auf den Automations-bereich auszudehnen, wie das schon am Beispiel PROFINET in Kapitel 18 dargestellt wurde. Das entscheidende Kriterium ist aber die geforderte Verfügbarkeit der Informationen. Das folgende Bild zeigt Informationsstrukturen, wie sie in einem modernen Automatisierungs-system vorkommen können.

Bild 22.1: Informationsstrukturen mit Büro- und Fertigungsnetz

Page 2: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

704 22 Industrielle Kommunikation – Überblick

Als Aufgaben der in Bild 22.1 gezeigten Fertigungs-Leitebene seinen beispielhaft genannt: Bedienen und Beobachten des Fertigungsprozesses, Störungserkennung durch Auswerten von Meldungen und Alarmen, Auswertung von Mess- und Produktionsdaten sowie deren Archivierung, Optimieren von Prozessabläufen.

Die Aufgaben der im Bürobereich angesiedelten Betriebsleitebene können mit dem Begriff der „integrierten Betriebsführung“ umschrieben werden: Auftragswesen, Qualitätskontrolle, Instandhaltungsplanung, Materialverwaltung, Produktionsplanung.

22.2 Horizontale Kommunikation in der Fertigungsebene Komplexere Automatisierungssysteme sind gekennzeichnet durch eine verteilte Steuerungs-Intelligenz. Mehrere SPS-Stationen erledigen eigenständig Teilaufträge des Anlagenprozesses. Die Aktoren und Sensoren in den Anlagenteilen oder Maschinen sind über einen Feldbus mit einer SPS-Station verbunden. Klassische elektromechanische Bedienfelder mit Schalter und Leuchten befinden sich unmittelbar an den Maschinen. Werden moderne Bedienpanels einge-setzt, so sind auch diese am Feldbus angeschlossen. Der übergeordnete Datenaustausch zwischen den SPS-Stationen betrifft die gelegentliche Übertragung größerer Datensätzen und erfolgt daher in der Regel asynchron im Gegensatz zu dem zyklischen Datenverkehr auf Feldbusebene. Das trifft auch zu für die Programmierung und Diagnose der SPS-Stationen vom PC der Fertigungs-Leitebene aus. Diese übergeordneten Datentransfers werden über ein Industrial-Ethernet Netz abgewickelt, das auch den Anschluss dieses Fabriknetzes an das Büronetz ermöglicht. Als Transport-Protokoll für die gesicherte Datenübertragung zwischen Kommunikations-End-punkten stehen zwei Systeme zur Verfügung. Erstens das klassische TCP/IP-System (siehe Kapitel 17) und das neue PROFINET-System mit TCP/IP und Realtime-Übertragung (siehe Kapitel 18). Aus Sicht der Kommunikation zwischen den Geräten fehlt noch die Erklärung, wodurch sich die Geräte tatsächlich „verstehen“, denn Ethernet-TCP/IP sorgt nur für den sicheren Daten-transport zwischen Kommunikations-Endpunkten. Die nachfolgende Zusammenstellung zeigt die bereits in den Kapiteln 17 und 18 vorgestellten Protokolle als „Verständigungssprachen“ für Industrial Ethernet-Netze: Send-Receive-Kommunikation zwischen S7-CPUen bei Industrial Ethernet, S7-Kommunikation (S7-Funktionen) mit den Diensten Read und Write, Send-Receive-Kommunikation zwischen IO-Controllern bei PRORFINET IO, DCOM-Kommunikation zwischen PROFINET-Komponenten bei PROFINET CBA.

Das gemeinsame Merkmal dieser Datentransfers ist es, dass im Prinzip gleichartige „Ge-sprächspartner“ miteinander Daten austauschen, weshalb man dies auch als horizontale Kom-munikation bezeichnet. Dabei ist es gleichgültig, ob sich die Kommunikationspartner in dem-selben oder in verschiedenen Subnetzen befinden. Nicht zur horizontalen Kommunikation zählt man jedoch die Feldbus-Kommunikation auf der Basis Master-Slave bei PROFIBUS DP bzw. Controller-Device bei PROFINET IO.

Page 3: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

22.4 Dienste im ISO-OSI-Kommunikationsmodell 705

22.3 Vertikale Kommunikation für betriebliche Abläufe Eine vollkommen andere Betrachtungsweise liegt bei der so genannten vertikalen Kommunika-tion vor. Hier handelt es sich um das Problem der Verständigung zwischen Anwenderpro-grammen der Betriebsleitebene (z. B. Excel) mit Anwenderprogrammen der Fertigungsebene (SPS), oder anders ausgedrückt: Wie kommen SPS-Prozessdaten in eine Excel-Tabelle? Zwar hat die vertikale Kommunikation auch etwas mit der Datenübertragung zu tun, eventuell sogar durch heterogene Netze, aber das Hauptproblem liegt auf der Software-Ebene: Es gibt so viele verschiedene SPS-Systeme und Netzzugänge zu deren CPU wie es Anbieter von Automatisie-rungssystemen gibt. Hinzu kommt, dass SPS-Systeme üblicherweise nicht unter dem Betriebs-system Windows arbeiten. Das Problem wurde klassisch gelöst durch herstellerspezifische Treiberprogramme oder seit einigen Jahren auch durch eine standardisierte OPC-Schnittstelle (siehe Kapitel 24).

22.4 Dienste im ISO-OSI-Kommunikationsmodell Von der „Internationalen Standardisierungsorganisation“ (ISO) wurde ein Modell für die Be-schreibung von Kommunikationsvorgängen zwischen Rechnern herausgegeben. Dieses Modell heißt „Open Systems Interconnection“ (OSI). Sinn war es, die bei der Rechnerkommunikation über LAN-Grenzen hinaus auftretenden Probleme in Problembereiche, so genannte Schichten oder Layer, zusammenzufassen. Jede der insgesamt sieben Schichten beschreibt einen Prob-lem-bereich, für den verschiedene technische Realisierungen möglich sind. Die Schichten sind so gedacht, dass eine andere technische Lösung einer „niedrigeren“ Schicht keine Änderung in einer „höheren“ Schicht nach sich ziehen darf. Im Sinne des ISO-OSI-Kommunikationsmodells (ISO-OSI-Schichtenmodells) bietet jede Schicht einen bestimmten Dienst an, den die darüber liegende Schicht nutzen kann, sodass der höchsten Schicht der volle Dienstumfang zur Verfügung steht. Das Modell beschreibt nicht einen neuen Kommunikations-Standard, sondern legt nur fest, was ein Standard definieren muss, damit er OSI-konform ist. Es ist nicht vorgeschrieben, dass ein realisiertes Kommunikationssystem über alle Schichten verfügen muss. Schichten, die nicht benötigt werden, können entfallen.

Bild 22.2: Leistungsangebot der Schichten im ISO-OSI-Kommunikationsmodell

Page 4: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

706 22 Industrielle Kommunikation – Überblick

Die Schichten 1–4 bezeichnet man als transportorientiert und die Schichten 5–7 als verarbei-tungsorientiert. Die bisher in den Kapiteln 17 und 18 beschriebenen technischen Realisierun-gen der Datenübertragung lassen sich den Schichten 1–4 im ISO-OSI-Modell zuordnen.

Bild 22.3: Auffüllen des (leeren) ISO-OSI-Schichtenmodells mit Ethernet-TCP/IP in Schicht 1–4 und Schnittstellen von Anwenderprogrammen sowie Internetdienst-Protokollen in Schicht 5–7

Internetdienste sind Leistungsangebote im Internet. Diese werden grundsätzlich von einem Server angeboten und von einem Client genutzt. Client- und Server-Programme sind die Ak-teure im Internet. Damit die Akteure ihre Rollen auch „spielen“ können, muss ein bestimmtes Regelwerk existieren, dass den genauen Ablauf festlegt. Dieses Regelwerk heißt Protokoll, dessen Ausführung nennt man eine Prozedur, erbracht wird ein Dienst. Jeder Internetdienst beruht nach dem ISO-OSI-Kommunikationsmodell auf einem speziellen Schicht-7-Protokoll (unter Einschluss von Dienstmerkmalen der Schichten 5 und 6). Genau genommen ist zwischen einem Internetdienst und dem Protokoll zur Durchführung des Diens-tes zu unterscheiden, siehe nachfolgende Auswahl:

Internetdienst WWW E-Mail Dateitransfer Protokolle HTTP

Hyper Text Transfer Protokoll SMTP

Simple Mail Transfer Protokoll POP3

Post Office Protokoll 3

FTP File Transfer Protokoll

Beschreibung Dokumentenaufruf und Präsentation (Webseiten)

mit Verweisen (Links)

Elektronische Post, Versenden und Empfan-

gen von Nachrichten

Kopieren (Übertra-gen) von Dateien

zwischen Rechnern

Page 5: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

22.5 Netzkomponenten im ISO-OSI-Kommunikationsmodell 707

22.5 Netzkomponenten im ISO-OSI-Kommunikationsmodell Für Netzkopplungen werden Switches, Router und Gateways benötigt auf Grund von Unter-schiedlichkeiten der zu verbindenden Teilnetze.

22.5.1 Switches Switches werden verwendet, um Datenendgeräte sternförmig zu verbinden. Dabei findet eine Filterung des Datenverkehrs anhand der Adressen statt. Lokaler Datenverkehr bleibt lokal. In diesem Sonderfall entsteht ein kollisionsfreies Ethernet-Netz, da jedes Netzsegment zu einer Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen einem Teilnehmer und einem Switch-Port zusammen-schrumpft. Die Teilnehmerstation hat dann volle Verfügung über ihr Segment.

Ein Switch „lernt“ die Ethernet-Adresse des an einem Port angeschlossenen Teilnehmers und leitet dorthin nur die Datenpakete, die an ihn adressiert sind. Broadcast-Telegramme werden jedoch an alle Ports weitergegeben.

Switches arbeiten auf der ISO-OSI-Schicht 2. Somit können sie Netzwerksegmente koppeln, bei denen die Schicht 1 unterschiedlich ist, beispielsweise in der Übertragungsgeschwindigkeit der Daten. Der Switch hat in jedem Eingangsport einen Pufferspeicher zur Aufnahme empfan-gener Frames. Beim Durchschalten von Datenpaketen nützt der Switch die Speicherung der Empfangsdaten und kann so Netzsegmente mit unterschiedlicher Datenrate koppeln, ohne Rückstufung des gesamten Netzes auf die niedrigere Datenrate.

Bild 22.4: Einordnung von Switches im ISO-OSI-Kommunikationsmodell

Page 6: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

708 22 Industrielle Kommunikation – Überblick

22.5.2 Router Router dienen zur Verbindung von Subnetzen, die sich in den Schichten 1 und 2 unterscheiden können, was bei einem Ethernet-ISDN-Router am stärksten deutlich wird. Router entscheiden in Abhängigkeit von IP-Adresse, welche Datenpakete in ein anderes Subnetz weiterzuleiten sind. Routing ist die Wegesteuerung einer Nachricht durch das Netzwerk. Router arbeiten protokollspezifisch auf der Schicht 3 (Netzwerkschicht) des ISO-OSI-Kommunikationsmo-dells, sie können auch so genannte Multiprotokoll-Router sein, die nicht auf ein einziges Schicht 3-Protokoll festgelegt sind. Die Router-Adressen-Tabellen müssen so aufgebaut sein, dass der Router aus der IP-Ziel-adresse im Datenpaket seine Entscheidung treffen kann. Dazu gehören die IP-Zielsubnetz-Adressen, die IP-Adresse und zugehörige MAC-Adresse des nächsten Netzknotens, an den das Datenpaket weiterzuleiten ist, sowie eine Default-Adresse für „unlösbare Fälle“. Broadcast-Telegramme werden von Routern nicht in andere Subnetze weiter geleitet.

Bild 22.5: Einordnung von Routern im ISO-OSI-Kommunikationsmodell und Einsatz verschiedener Routertypen

Page 7: Automatisieren mit SPS — Theorie und Praxis || Industrielle Kommunikation — Überblick

22.5 Netzkomponenten im ISO-OSI-Kommunikationsmodell 709

22.5.3 Gateway Gateways werden zur Kopplung von Subnetzen mit unterschiedlicher Protokoll-Architektur verwendet, d. h., durch sie können zwei beliebige, sich in allen Schichten unterscheidende Subnetze verbunden werden. Es gibt Anwendungsfälle, in denen eine Gateway-Funktionalität erforderlich ist. Will der Be-sucher eines Internet-Cafes sich seine E-Mails auf den dortigen Computer laden, ist technisch gesehen ein so genanntes HTTP-POP3-Gateway erforderlich (HTTP = Übertragungsprotokoll für Webseiten im Internet, POP3 = Post Office Protocol, um E-Mails vom E-Mail-Server ab-zuholen). Das Gateway muss hier zwei unterschiedliche Protokolle übersetzen. Auch in der Automatisierungstechnik müssen manchmal Gateways eingesetzt werden. Im PROFINET-System werden zum Zwecke der Integration von PROFIBUS-DP-Netzen so ge-nannte Industrial Ethernet/PROFIBUS-DP-Links eingesetzt. Das sind Gateways, die protokoll-fremde Netze miteinander verbinden können.

Bild 22.6: IE/PB-Gateway im ISO-OSI-Kommunikationsmodell

Achtung: Wenn bei Netzwerkkonfigurationen unter Windows-Betriebssystemen die Angabe eines „Standard-Gateways“ gefordert wird, ist in Wirklichkeit ein Router gemeint, der das Netzwerk abschließt.