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1 STADT BALKAN ROUTE STUTTGART: HELFEN, WO ES RIGHTIG W�H TUT - AUF DER GRIECHISCHEN INSEL CHIOS „WAS HIER PASSIERT IST EIN ALPTRAUM" Mit dem Bild eines toten syri- schen Jungen an der türkischen Küste schwappte die Grausam- keit der Flucht übers Mittelmeer in unsere Wohnzimmer. Späte- stens seitdem bestimmt die Flüchtlingskrise unseren Alltag. Wie geht man damit um? Zwei junge Stuttgarter wollten nicht mehr zu Hause sitzen, son- de etwas tun. Bei einem Bier wurde „Balkanroute Stuttgart" geboren. Hinter dem Projekt ste- hen die Stuttgarter Serkan Eren und Steffen Schuldis. Aus dem ersten Impuls „Wir h- ren da hin!" wurde schnell mehr. Sie wollten einen Sprinter mieten. Um den voll zu bekommen, rich- teten sie eine Seite auf Facebook "nen Hilfsgüter nach Griechenland, ein. „Wir rechneten anngs nur Anng Januar reisten die beiden mit ein paar Freunden, aber be- nach. Ebenlls dabei: Bianca Fi- reits nach drei Tagen. explodierte scher, die die beiden Ende des Jah- die Seite", erzählt Eren. res bei der Sammelaktion ken- , Plötzlich rien Zeitungen und nengelernt hatten. „Ich hab spon- Radiosender an, Prominente wie tan beschlossen, mitzufliegen, Timo Hildebrandt oder Deichkind meldeten sich. „Mittlerweile un- terstützen uns soga� Leute aus Kalifornien und New York", sagt er und schüttelt etwas ungläubig den Kopf. Im Herbst 2015 machten sich die beiden dann zum ersten Mal auf den Weg, um Flüchtlingen auf dem Balkan zu helfen. Im Dezem- ber starteten sie eine große Sam- melaktion und schickten drei Ton- STRUKTURIERTE SCHWABEN weil unsereAnsichten einch von Anng an übereingestimmt ha- ben", sagt die 32-Jährige. Das Thema Flüchtlingshilfe be- schäftigt die Stuttgarter Film-Pro- ducerin schon länger: „Ich enga- giere mich seit einiger Zeit in Stuttgart. Der Einsatz vor Ort war, · allerdings neu für mich", sagt sie. Auch wenn die drei Stuttgarter im Vergleich zu großen NGOs we- niger Schlagkraft haben, sind sie überzeugt: „Wir können sehr schnell und unkompliziert hel- fen." Das haben die zehn Tage in Thessaloniki und Chios gezeigt: „Auch im Kleinen kann man viel bewegen", so Fischer. Chios liegt auf der Fluchtroute vom türkischen Cesme. Eine über- schaubare Strecke, die dennoch r viele zum Höllentrip wird: „Wir haben nicht nur das Leid der an- kommenden Menschen erh- ren", erzählt sie, „mit Entsetzen konnten wir uns auch ein Bild von [LIFT 03.16]

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1 STADT

BALKAN ROUTE STUTTGART: HELFEN, WO ES RIGHTIG W�H TUT - AUF DER GRIECHISCHEN INSEL CHIOS

„WAS HIER PASSIERT IST EIN ALPTRAUM"

Mit dem Bild eines toten syri­schen Jungen an der türkischen Küste schwappte die Grausam­keit der Flucht übers Mittelmeer in unsere Wohnzimmer. Späte­stens seitdem bestimmt die Flüchtlingskrise unseren Alltag. Wie geht man damit um? Zwei junge Stuttgarter wollten nicht mehr zu Hause sitzen, son­dern etwas tun. Bei einem Bier wurde „Balkanroute Stuttgart" geboren. Hinter dem Projekt ste­hen die Stuttgarter Serkan Eren und Steffen Schuldis. Aus dem ersten Impuls „Wir fah­ren da hin!" wurde schnell mehr. Sie wollten einen Sprinter mieten. Um den voll zu bekommen, rich-

teten sie eine Seite auf Facebook "nen Hilfsgüter nach Griechenland, ein. „Wir rechneten anfangs nur Anfang Januar reisten die beiden mit ein paar Freunden, aber be- nach. Ebenfalls dabei: Bianca Fi-reits nach drei Tagen. explodierte scher, die die beiden Ende des Jah-die Seite", erzählt Eren. res bei der Sammelaktion ken-

, Plötzlich riefen Zeitungen und nengelernt hatten. „Ich hab spon-Radiosender an, Prominente wie tan beschlossen, mitzufliegen, Timo Hildebrandt oder Deichkind meldeten sich. „Mittlerweile un­terstützen uns soga� Leute aus Kalifornien und New York", sagt er und schüttelt etwas ungläubig den Kopf. Im Herbst 2015 machten sich die beiden dann zum ersten Mal auf den Weg, um Flüchtlingen auf dem Balkan zu helfen. Im Dezem­ber starteten sie eine große Sam­melaktion und schickten drei Ton-

STRUKTURIERTE SCHWABEN

weil unsere Ansichten einfach von Anfang an übereingestimmt ha­ben", sagt die 32-Jährige. Das Thema Flüchtlingshilfe be­schäftigt die Stuttgarter Film-Pro­ducerin schon länger: „Ich enga­giere mich seit einiger Zeit in

Stuttgart. Der Einsatz vor Ort war, ·

allerdings neu für mich", sagt sie. Auch wenn die drei Stuttgarter im Vergleich zu großen NGOs we­niger Schlagkraft haben, sind sie überzeugt: „Wir können sehr schnell und unkompliziert hel­fen." Das haben die zehn Tage in Thessaloniki und Chios gezeigt: „Auch im Kleinen kann man viel bewegen", so Fischer. Chios liegt auf der Fluchtroute vom türkischen Cesme. Eine über­schaubare Strecke, die dennoch für viele zum Höllentrip wird: „Wir haben nicht nur das Leid der an­kommenden Menschen erfah­ren", erzählt sie, „mit Entsetzen konnten wir uns auch ein Bild von

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Frontex und deren Arbeit ma- Auch Fischer erinnert sich beson-chen." Die bestens ausgerüsteten ders an eine Nach_t, als knapp Grenzer greifen erst im Notfall ein 2.500 Menschen die Küste von - also erst, wenn ein Boot sinkt. · Chios erreichten. Wenn sie davon Ziel der drei Stuttgarter ist es in er- · ·erzählt, verfällt sie in ein Stakkato: ster Linie, das Leid der ankom- „ Die Zelte sind überfüllt, es ist menden Flüchtlinge etwas zu lin- dunkel, ich kann kaum laufen, dem. „Wenn ein Kind eine Nacht muss aufpassen auf niemanden zu weniger frieren muss, hat es sich. treten. Unzählige Kinder liegen bereits gelohnt", sagt Schuldis. · · a:uf dem Boden unter Decken, Was der 28-jährige Betriebswirt Schlafsäcken. Ich decke sie kurz und seine Mitstreiter bei ihrem · auf, checke, ob sie atmen, warm letzten Trip erlebt haben, hat sie . sind, Socken tragen, wechsle nas­nachdenklich gemacht, auch kri- se Kleidung und Windeln im Ak-

WINDELN WECH-. SELN IM AKKORD.

tisch. Die großen Hilfsorganisa­tionen, wenn überhaupt vor Ort, beschäftigen oft Subunternehmer. Die Schwaben versu_chten hinge­gen, die Probleme ganz gezielt an­zugehen: „Wrr haben uns erst mal einen Überblick verschafft und dann versucht, Versorgungsstruk­turen aufzubauen, die es auch noch lange nach unserem Rück­flug gibt", sagt Eren. Beim letzten Trip im Januar haben sie beispielsweise ein komplettes Lager aufgestellt und aus alten Pa­letten Regale gebaut, um die Sf?enden ordentlich sortieren und verwalten zu können. Doch das war nur ein Teil der Arbeit. Auch Wochen nach ihrer Rück-

kord." Was sie erlebt haben, weicht von dem ab, was man täglich im Fern­sehen sieht, denn gerade die Nächstenliebe, die viele Griechen aufbringen, sei beeindruckend -obwohl sie selbst nicht viel zum Leben haben. „Wichtig ist es, der Welt klarzumachen, dass es ohne die freiwilligen Helfer nicht gehen würde", sagt Eren. Was gerade an der europäischen Außengrenze passiert, sei ein Alptraum, sagen die Helfer. Den nächsten Einsatz hat das Trio schon geplant: Über Ostern flie­gen sie an die türkische Küst

.e. Als

Lehrer muss sich Eren bei diesen Trips auf die Schulferien be­schränken. Auch diesmal wollen sie die größte Not lindern, wie er

. sagt: „Und im besten Fall bringen wir Familien davon ab, nachts in kleinen Gummibooten übers Mit-

kehr, merkt man den Dreien an, telmeer zu fahren." dass das Erlebte noch in ihnen ar-beitet. Die Geschichten, die ihnen die erschöpften Menschen erzähl­ten, kriegen sie. nicht mehr aus dem Kopf: Väter, deren Kinder er­schossen wurden, Jugendliche, die ihre Familie blutüberströmt zu Hause aufgefunden haben. Und dann natürlich die Bilder von an­kommenden Booten, völlig über­laden mit Dutzenden Personen, die erschöpft, durchnässt, ausge- . hungert und durstig sind. Eine Begegnung hat sich bei Eren eingebrannt: „Mich hat besonders ein Mann bewegt, der nachts bei drei Grad in seinem Anzug zit­ternd vor mir stand." Eren brach­te ihm einen dicken Pullover und eine Jacke, doch der Mann lehnte ab. „Er erklärte mir, dass er in Alep­po 'Arzt war und dieser Anzug das einzige ist, was er noch hat. Er ver­binde ihn mit seiner Würde."

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HUMANITÄRE, KEINE POLITISCHE AKTION

Neben den Hilfseinsätzen in Grie­chenland und entlang der Flücht­lingsroute nach Deutschland wol­len sie die Solidaritätsbewegung, die in Europa entstanden ist, durch Spenden und Aktionen unterstüt­zen. Schuldis will „Balkan Route Stuttgart" als humanitäre Hilfsak­tion verstanden wissen, und nicht als politische Aktion. „Jeder kann und m.uss etwas tun. Eine Spende ist die geringste Form - jeder gibt, was er kann", ist er überzeugt.

Kathrin Stärk

BALKAN ROUTE STUTTGART

[www.facebook.com/BlakanRoute­

Stuttgart]

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