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S. 28 PAPA-YA 01/13 Missbrauch M einem eigenen angelernten Verständnis zufolge war sexueller Missbrauch bislang ein unumstößlicher Handlungsablauf zwischen einem „Stärkeren“ und einem „Schwächeren“, wobei der Stärkere dem Schwächeren Gewalt in Form von aufgezwungener und tat- sächlich ausgeführter Sexualität antut und diese in Form von Energie in den Körper des Schwächeren stößt. Bei den Vätern aus Trennungs- und Scheidungssituationen, die mir in den letzten Jahren begegneten, wurde mir etwas anderes bewusst: Ich traf landauf, landab auf Väter, die hilflos in Selbst- hilfegruppen ankamen und unter Tränen in die Runde sagten: „Meine Frau hat mich des sexuellen Missbrauchs an meiner Tochter angezeigt!“ Wie ein Metzgerhaken hatten sich diese und ähnliche Vorwürfe – oft auch lediglich Angst-Bekundungen von Müttern - in das Fleisch der Väter hineingebohrt. Und angebliche Experten bohrten zum Schaden der Beziehung zwischen Vater und Tochter in dieser Wunde ohne einen Beweis, wie ich mich durch das folgende Interview mit Frau Dr. Ute Hoffmann belehren ließ. Ein Schaden wird hier angerichtet, ein Urteil gefällt, das ein Leben lang zwischen Vater und Tochter steht, selbst wenn die Unschuld bewiesen wurde. Dr. Ute Hoffmann, Diplom- psycho l ogin, Sachverständige in familien gerichtlichen Verfahren und Strafverfahren im Gespräch mit PAPA-YA. PAPA-YA: Überall begegne ich Vätern, die ihren Kindern entfremdet werden. Die Entfremdung gelingt umso schneller, wenn der Vorwurf des sex - uellen Missbrauchs in irgendeiner Form erhoben wird, sei es auch nur in Form einer Andeutung wie: "Bitte helfen Sie mir, ich glaube, mein Mann hat meine Tochter angefasst!" Dieser oder ähnliche Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs haben längst Prominente erreicht und sorgen für kräftige Schlagzeilen. Wer einmal des sexuellen Missbrauchs bezichtigt wurde, an dem klebt etwas ein Leben lang, dieser Vorwurf - wenn- gleich unhaltbar - ist nicht mehr wegzu- wischen. Bei der Fachtagung ’Psychischer Missbrauch in Beziehung und Familie und das Kindeswohl’ ver- gangenen Jahres in Wuppertal hörte ich mit Interesse Ihren Vortrag 'Psychischer Missbrauch/ psychische Gewalt in gerichtlichen Gutachten' . Welche Methoden gibt es, mit denen sexueller Missbrauch nach gewiesen werden kann? Dr. Ute Hoffmann: Das Problem bei Verdachtsmomenten besteht darin, dass es keine materiellen Beweismittel gibt, d. h. es steht Aussage gegen Aussage. Das Spiel mit anatomisch korrekten Puppen, die Interpretation von Kinderzeichnungen, Verhaltens- auffälligkeiten etc. sind gänzlich unge- eignet, um einen sexuellen Missbrauch zu belegen. Gerade Kinder, deren Eltern sich getrennt haben, zeigen massive Verhaltensauffälligkeiten aufgrund ihrer Verlusterfahrungen und aufgrund der Streitigkeiten zwischen den Eltern, die sie oft miterleben mussten. Die Interpretation von Kinderzeichnungen sagt mehr über die Interpretations - künste eines Erwachsenen als über die tatsächliche Intention des Kindes aus. Auch Verletzungen im Genitalbereich, Pilzinfektionen etc. sind keineswegs ein- deutig. Die einzige wissenschaftlich fundierte Methode besteht in der Analyse der Glaubhaftigkeit einer Aussage. P: Wie sieht eine solche Analyse aus? UH: Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage ist ein hypothesen - geleitetes Vorgehen: Neben der so genannten Glaubhaftigkeitshypothese - nämlich dass die Aussage mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert ist - werden relevante Alternativhypothesen gebildet, die gegen die Glaubhaftigkeit sprechen. Diese Alternativhypothesen werden so lange beibehalten, bis sie aus zu schließen sind. Wichtige An- knüpfungs tatsachen bei der Aufstellung von Alternativhypothesen sind u. a. die Persönlichkeit der Aussageperson, die Entwicklung der Aussage und die Motivlage. P: Könnten Sie diese Kriterien näher erläutern? UH: Bei der Untersuchung der Per- sönlichkeit gilt es zu klären, ob das Kind aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten und/ oder einer Traumatisierung über- haupt in der Lage ist, eine verwertbare Aussage zu produzieren. Die Ent - wicklung der Aussage bezieht sich auf die Geburtsstunde der Aussage: Wann und unter welchen Umständen kam es zu Äußerungen über Handlungen, die als sexueller Missbrauch interpretiert worden sind? Wem gegenüber sind solche Mitteilungen gemacht worden? Wie hat der Empfänger dieser Nachricht reagiert? Die Motivlage gibt Aufschluss darüber, inwiefern die Aussageperson (das Kind) oder das soziale Umfeld (z. B. ein Eltern- teil) Interesse daran haben könnten, eine andere Person fälschlicherweise des sexuellen Missbrauchs zu beschul- digen. Relevante Alternativ hypothesen, die gegen die Glaub haftigkeit der Aus- sage sprechen, sind zum Beispiel: . die Aussage ist das Produkt sug - gestiver Einflüsse . die Aussage ist aufgrund eines Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit und Zuwendung entstanden . die Aussage entstand aus einem Rachemotiv. Erst, wenn diese Alternativhypothesen auszuschließen sind, besteht der nächste Schritt in der Untersuchung der Aussage. Die Qualität einer Aussage wird dahingehend beurteilt, ob sie Merkmalskomplexe einer erlebnis- fundierten Aussage (z. B. Detail reich- tum, Konstanz der Aussage zu unter- schiedlichen Befragungszeitpunkten, Originalität) enthält oder nicht. Das Ergebnis einer Glaubhaftig keits über- prüfung ist eine Wahrscheinlichkeits- angabe: Die Aussage ist mit hoher Wahr- scheinlichkeit erlebnisfundiert. Oder: Die Aussage enthält keine Merk male,die für die Glaubhaftigkeit sprechen. Nachweisbarkeit sexuellen Missbrauchs ein Interview mit Dipl. Psychologin Dr. Ute Hoffmann Ute Hoffmann

PAPAYA Nr 1 - · PDF fileDr. eUt e Hoffmann, Diplom-psychologin, Sa chverständige in familiengeri chtlichen Verfahren und ... grünes Auto). Das Kind hatte den Alptraum,

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S. 28 PAPA-YA 01/13

Missbrauch

M einem eigenen angelerntenVerständnis zufolge war

sexueller Missbrauch bislang einunumstößlicher Handlungsablauf zwischen einem „Stärkeren“ undeinem „Schwächeren“, wobei derStärkere dem Schwächeren Gewalt inForm von aufgezwungener und tat-sächlich ausgeführter Sexualitätantut und diese in Form von Energiein den Körper des Schwächeren stößt.

Bei den Vätern aus Trennungs- undScheidungssituationen, die mir in denletzten Jahren begegneten, wurde miretwas anderes bewusst: Ich traf landauf,landab auf Väter, die hilflos in Selbst -hilfegruppen ankamen und unterTränen in die Runde sagten: „Meine Frauhat mich des sexuellen Missbrauchs anmeiner Tochter angezeigt!“ Wie einMetzgerhaken hatten sich diese undähnliche Vorwürfe – oft auch lediglichAngst-Bekundungen von Müttern - indas Fleisch der Väter hineingebohrt.Und angebliche Experten bohrten zumSchaden der Beziehung zwischen Vaterund Tochter in dieser Wunde ohne einenBeweis, wie ich mich durch das folgendeInterview mit Frau Dr. Ute Hoffmannbelehren ließ.

Ein Schaden wird hier angerichtet, einUrteil gefällt, das ein Leben lang zwischen Vater und Tochter steht,selbst wenn die Unschuld bewiesenwurde. Dr. Ute Hoffmann, Diplom -psycho login, Sachverständige infamilien gerichtlichen Verfahren undStrafverfahren im Gespräch mit PAPA-YA.

PAPA-YA: Überall begegne ich Vätern,die ihren Kindern entfremdet werden.Die Entfremdung gelingt umso schneller, wenn der Vorwurf des sex -uellen Missbrauchs in irgendeiner Formerhoben wird, sei es auch nur in Formeiner Andeutung wie: "Bitte helfen Siemir, ich glaube, mein Mann hat meineTochter angefasst!" Dieser oder ähnliche Vorwürfe des sexuellenMissbrauchs haben längst Prominenteerreicht und sorgen für kräftigeSchlagzeilen.

Wer einmal des sexuellen Missbrauchsbezichtigt wurde, an dem klebt etwasein Leben lang, dieser Vorwurf - wenn-gleich unhaltbar - ist nicht mehr wegzu-wischen. Bei der Fachtagung’Psychischer Missbrauch in Beziehungund Familie und das Kindeswohl’ ver-gangenen Jahres in Wuppertal hörte ichmit Interesse Ihren Vortrag 'PsychischerMissbrauch/ psychische Gewalt ingerichtlichen Gutachten'. WelcheMethoden gibt es, mit denen sexuellerMissbrauch nach gewiesen werden kann?

Dr. Ute Hoffmann: Das Problem beiVerdachtsmomenten besteht darin,dass es keine materiellen Beweismittelgibt, d. h. es steht Aussage gegenAussage. Das Spiel mit anatomisch korrekten Puppen, die Interpretationvon Kinderzeichnungen, Verhaltens -auffälligkeiten etc. sind gänzlich unge-eignet, um einen sexuellen Missbrauchzu belegen. Gerade Kinder, deren Elternsich getrennt haben, zeigen massiveVerhaltensauffälligkeiten aufgrundihrer Verlusterfahrungen und aufgrundder Streitigkeiten zwischen den Eltern,die sie oft miterleben mussten. DieInterpretation von Kinderzeichnungensagt mehr über die Interpretations -künste eines Erwachsenen als über dietatsächliche Intention des Kindes aus.Auch Verletzungen im Genitalbereich,Pilzinfektionen etc. sind keineswegs ein-deutig. Die einzige wissenschaftlich fundierte Methode besteht in derAnalyse der Glaubhaftigkeit einerAussage.

P: Wie sieht eine solche Analyse aus?

UH: Die Beurteilung der Glaubhaftigkeiteiner Aussage ist ein hypothesen -geleitetes Vorgehen: Neben der sogenannten Glaubhaftigkeitshypothese -nämlich dass die Aussage mit hoherWahrscheinlichkeit erlebnisfundiert ist -werden relevante Alternativhypothesen

gebildet, die gegen die Glaubhaftigkeitsprechen. Diese Alternativhypothesenwerden so lange beibehalten, bis sieaus zu schließen sind. Wichtige An -knüpfungs tatsachen bei der Aufstellungvon Alternativhypothesen sind u. a. diePersönlichkeit der Aussageperson, dieEntwicklung der Aussage und dieMotivlage.

P: Könnten Sie diese Kriterien nähererläutern?

UH: Bei der Untersuchung der Per -sönlichkeit gilt es zu klären, ob das Kindaufgrund seiner kognitiven Fähigkeitenund/ oder einer Traumatisierung über-haupt in der Lage ist, eine verwertbareAussage zu produzieren. Die Ent -wicklung der Aussage bezieht sich aufdie Geburtsstunde der Aussage: Wannund unter welchen Umständen kam eszu Äußerungen über Handlungen, dieals sexueller Missbrauch interpretiertworden sind? Wem gegenüber sind solche Mitteilungen gemacht worden?Wie hat der Empfänger dieser Nachrichtreagiert?

Die Motivlage gibt Aufschluss darüber,inwiefern die Aussageperson (das Kind)oder das soziale Umfeld (z. B. ein Eltern -teil) Interesse daran haben könnten,eine andere Person fälschlicherweisedes sexuellen Missbrauchs zu beschul -digen. Relevante Alternativ hypothesen,die gegen die Glaub haftigkeit der Aus -sage sprechen, sind zum Beispiel:

. die Aussage ist das Produkt sug -gestiver Einflüsse. die Aussage ist aufgrund einesBedürfnisses nach Aufmerksamkeitund Zuwendung entstanden. die Aussage entstand aus einemRachemotiv.

Erst, wenn diese Alternativhypothesenauszuschließen sind, besteht der nächste Schritt in der Untersuchung derAussage. Die Qualität einer Aussagewird dahingehend beurteilt, ob sieMerkmalskomplexe einer erlebnis -fundierten Aussage (z. B. Detail reich -tum, Konstanz der Aussage zu unter-schiedlichen Befragungszeitpunkten,Originalität) enthält oder nicht. DasErgebnis einer Glaubhaftig keits über -prüfung ist eine Wahrscheinlichkeits -angabe: Die Aussage ist mit hoher Wahr - scheinlichkeit erlebnisfundiert. Oder: DieAussage enthält keine Merk male, die fürdie Glaubhaftigkeit sprechen.

Nachweisbarkeit sexuellen Missbrauchsein Interview mit Dipl. Psychologin Dr. Ute Hoffmann

Ute Hoffmann

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P: Welche Menschen sind denn in derLage, eine solche Vorgehensweise anzu-wenden? Und wie lange dauert es, biseine Begutachtung abgeschlossen ist?

UH: Sachverständige, die die Glaub -haftigkeit von Aussagen beurteilen,haben i.d.R. Psychologie studiert. DasPsychologiestudium allein reicht aller-dings nicht aus, um diese Arbeit leistenzu können. Es sind Fort- und Weiter -bildungen nötig. Bei der Beurteilung derGlaubhaftigkeit sind mehrere Gesprächemit der Aussageperson notwendig. Esmuss eine Intelligenzdiagnostik durch-geführt werden. Es sollten auch immerGespräche mit der Person stattfinden,die als erste von den angeblichenVorfällen erfahren hat. SämtlicheGespräche müssen aufgezeichnet undjedes Wort muss transkribiert werden.Ein Glaubhaftigkeitsgutachten ist um -fang reich. Der gesamte Prozess dauertdurchschnittlich drei Monate.

P: Gibt es eine Aussage, die Auskunftgibt über die Häufigkeit der Falsch -bezichtigung des sexuellen Miss brauchsim Trennungs- und Scheidungs kontext?Und gibt es Aussagen darüber, in wievielen Fällen der Beschuldigung tat -sächlich sexueller Missbrauch stattge-funden hat?

UH: Über die Häufigkeit des "Miss -brauchs mit dem Missbrauch" sind mirkeine wissenschaftlich repräsentativeUntersuchungen bekannt. Aus meineneigenen beruflichen Erfahrungen kannich berichten, dass ein Vorwurf desMissbrauchs zum Glück nicht allzu häufig vorkommt. Dennoch gibt esnatürlich solche Fälle, in denen haupt-sächlich Mütter einen Verdacht formu-lieren. Ich erlebe in diesem Zusammen -hang Mütter, die aus echter Sorge umihr Kind argumentieren: „Das Kind zeigtein sexualisiertes Verhalten.“ – „Es istimmer so anders, wenn es vom Vaterkommt.“ – „Das Kind hat plötzlich Angstvor verschiedenen Dingen.“

Ich hatte einmal eine Mutter zur Be -gutachtung, die in großer Verzweiflungüber das Verhalten ihres Kindes voneiner Beratungsstelle zur nächsten liefund das Kind psychiatrisch untersuchenließ. Fatalerweise wurde die Mutter vom"Helfersystem" in ihrer sich entwickeln-den Vermutung, das Kind könnte vomVater sexuell missbraucht worden sein,auch noch unterstützt. Kleinigkeitenwurden in diese Richtung interpretiert.Das Kind hatte zum Beispiel Angst vorgrünen Monstern (der Vater fuhr eingrünes Auto). Das Kind hatte denAlptraum, dass nachts Hände unter dieBettdecke greifen könnten (ist da viel-

leicht etwas passiert, als das Kind beimVater übernachtet hat?). In vielenGesprächen mit beiden Eltern stellte sichheraus, dass das Kind ernorm unterdem Trennungskonflikt litt. Ich hattenatürlich auch Gespräche mit dem Kind.Auf meine allgemein formulierte Frage:"Hat der Papa mal was gemacht, was dunicht so schön fandest?", antwortete dasKind: "Das musst du meine Mama fragen." Es gibt natürlich auch Mütter,die den Vorwurf des sexuellen Miss -brauchs willentlich als letzte Möglichkeitnutzen, um den Kontakt zwischen Vaterund Kind gänzlich zu unterbinden.

P: Meines Wissens trifft der psychia -trische Gutachter, Prof. Dr. NorbertNedopil, Leiter der Abteilung fürForensische Psychiatrie an der Klinikund Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie der Ludwig MaximiliansUniversität München, die Aussage, dass50% aller Gutachten falsch seien. HerrNedopil beschäftigt sich mehr mit der'Täterseite'. Hier geht es allerdings umPrognosegutachten und Schuldfähig -keit. Dieses Thema hier aufzugreifen,würde hier allerdings zu weit führen.Dennoch: Gibt es Gutachten, die zueinem falschen Ergebnis kommen? Undwenn ja, woran liegt das?

UH: Es gibt zwei mögliche Fehler einerBegutachtung:

Fehler 1: Ein Kind berichtet von einemMissbrauch, den es tatsächlich erlebthat. Die Aussage dieses Kindes ist aberso wenig detailliert, dass es nicht möglich ist, wissenschaftlich fundiertdie Glaubhaftigkeit der Aussage zu belegen. Das Gutachten kommt also zudem Ergebnis, dass in der Aussage zuwenig Qualitätsmerkmale enthaltensind.

Fehler 2: Ein Sachverständiger kommtzum Ergebnis, dass die Aussage glaub-haft ist, obwohl tatsächlich keinMissbrauch stattgefunden hat. Dies istzum Beispiel der Fall, wenn die umfang-reichen Angaben einer Aussagepersonseitens des Sachverständigen als Hin -weis für die Glaubhaftigkeit bewertetwerden und nicht ausreichendAlternativ hypothesen wie suggestiveEinflüsse berücksichtigt wurden. Dieserzweite Fehler steht im engen Zusam -men hang mit der Kompetenz einesSachverständigen.

Pauschal zu sagen, 50% aller Gutachtenseien falsch, kann nur auf Vermutungenbasieren: Kommt das Gutachten zu demErgebnis, dass die Glaubhaftigkeit einerAussage nicht zu belegen ist (Fehler 1),wird oft das Strafverfahren eingestellt.

Dieser Fehler wird also nicht entdeckt.Kommt das Gutachten fälschlicherweisezu dem Ergebnis, die Angaben der Aus -sageperson seien mit hoher Wahr schein -lich keit erlebnisfundiert, hat derBeschuldigte letztendlich nur dieMöglich keit, durch ein "Obergutachten"die Qualität des aussagepsycholo -gischen Gutachtens überprüfen zu lassen.

P: Wer nimmt die Obergutachten vor?Kann auf diese Weise die Wahrheitergründet werden, also das, was tat-sächlich stattgefunden hat?

UH: Der Beschuldigte hat die Möglich -keit, das vorliegende aussagepsycholo-gische Gutachten hinsichtlich wissen-schaftlicher Kriterien beurteilen zu lassen. Stellt sich dabei heraus, dassdas Gutachten unbrauchbar ist, weil esnicht den wissenschaftlichen Kriteriengenügt, ist es auch nicht als Beweis -mittel geeignet. Wenn ein Gutachterzum Beispiel in seiner Exploration vieleSuggestivfragen verwendet oder wichtige Alternativhypothesen unbe-rücksichtigt sind.

Hierzu ein Beispiel: Ein Gutachter fragtein Kind: "Hat er dich denn auch zwischen den Beinen angefasst?" - unddas Kind antwortet: "Ja." Wenn derGutachter schreibt: „Das Kind sagt, derBeschuldigte habe ihm zwischen dieBeine gefasst.“, stimmt dieser Satznicht. Das Kind hat dies nicht gesagt.Oder ein anderes Beispiel: „DeineMutter hat gesagt, dein Vater hat dichsexuell missbraucht. Erzähl doch malwie er das gemacht hat.“ Wenn einGutachten beurteilt wird, bedeutet diesnicht, dass die ganze Begutachtung wiederholt wird. Es wird lediglich über-prüft, ob das vorliegende Gutachtenbrauchbar, nachvollziehbar und wissen-schaftlich fundiert ist. Eine solche Über-prüfung nehmen die gleichen Gutachtervor, die auch aus sage psychologischeGutachten schreiben.

P: Werden in Strafverfahren Gesprächemit den Beschuldigten geführt?

UH: In Strafverfahren führen Sachver -ständige i.d.R. keine Gespräche mit denBeschuldigten. Dies finde ich ungünstig,da hierdurch möglicherweise Alternativ -hypothesen unberücksichtigt bleiben. Infamiliengerichtlichen Verfahren habenSachverständige Kontakt zu allenBeteiligten.

P: Noch mal zurück zu den Menschen,die andere des sexuellen Missbrauchsbeschuldigen oder einen diesbezüg -lichen Verdacht äußern: Wird in Ver -

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Interview

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Missbrauch

fahren die Psyche des Beschuldigersuntersucht? Wird eruiert, ob derBeschuldiger auf den Beschuldigten pro-jiziert, d.h. seine eigenen unterdrücktenAnteile auf den Beschuldigten wirft?

UH: Hier wäre folgender Fall denkbar:Eine Mutter, die in ihrer Vergangenheitselbst Missbrauchserfahrung gemachthat und als Kind sexuell missbrauchtworden ist, wird möglicherweise sensibel auf Verhaltensauffälligkeitenihres Kindes reagieren. In diesem Fallstellt sich die Frage, inwieweit dieMutter eigene Erfahrung auf ihr Kindprojiziert und durch suggestive Fragendas Kind beeinflusst. Die Alternativ -hypothese "Die Aussage des Kindes istdas (Teil)Produkt suggestiverBefragungs einflüsse.", muss auf jedenFall bei der Beurteilung der Glaub -haftigkeit der Aussage analysiert werden.

Wichtig in diesem Zusammen hang ist,die Entstehungsgeschichte der Aussageund die Motivlage genau zu überprüfen,also: Wann hat das Kind das erste Malund wem gegenüber von Vorfällenberichtet? Wie hat der Empfänger derAussage reagiert? Hat sich die Aussagedes Kindes im Laufe der Zeit verändert?In welchem Be ziehungs geflecht stehendie Beteiligten zueinander? Ins be -sondere emotional beteiligte Bezugs -personen und fort währende Be -fragungen des Kindes vor dem Hinter -grund von "Aufdeckungs gesprächen"sind Quellen von Sug gestionen. DieSuggestionshypothese ist ein wichtigerBestandteil einer Glaub haftigkeits -analyse.

P: Was halten Sie persönlich von derAussagekraft der etablierten und standardisierten Verfahren? Gibt es einVerfahren, dem Sie selbst Glaubenschenken würden?

UH: Eine Aussage anhand vonQualitätsmerkmalen zu untersuchen, istin vielen Fällen die einzige Möglichkeit,eine Erlebnisfundierung nachzuweisen.Eine wahre Geschichte unterscheidetsich in ihrer Qualität von einer erfun -denen Geschichte. Es fängt schon damitan, dass man sich tatsächlich Erlebtesviel besser merken kann, als eine"Lügengeschichte" - insbesondere dann,wenn es sich um ein Erlebnis handelt,das emotionale Betroffenheit ausgelösthat. Eine erlebnisfundierte Aussage ent-hält Qualitätsmerkmale wie Detail -reichtum, die Schilderung unver -standener Handlungselemente, neben-sächliche Einzelheiten, die Schilderungeigener psychischer Vorgänge etc., diein einer intendierten Falschaussage eher

nicht vorhanden sind. Es soll nun nichtder Eindruck entstehen, dass Qualitäts -merkmale ausgezählt werden. Auch inunwahren Aussagen gibt es Qualitäts -merkmale. Vielmehr müssen die ein -zelnen Merkmale zusätzlich aufeinanderbezogen und in einem Merkmals -komplex gesehen werden. Durch diesesVorgehen lassen sich Wahrscheinlich -keitsangaben über den Erlebnisbezugmachen. Es ist also eine Methode, dieGlaubhaftigkeit nachzuweisen. Unterder Voraussetzung, dass es sich umeinen fachlich kompetenten Gutachterhandelt, halte ich persönlich viel vondieser Vorgehensweise. Eine aussage-psychologische Methode, eine Lügeanhand von Qualitätsmerkmalen nach-zuweisen, gibt es bislang leider nochnicht.

P: Sexueller Missbrauch innerhalb einesFamiliensystems kann auch durchTherapeuten anhand von therapeu -tischen Familienstellen aufgedeckt werden. Haben Sie Erfahrungen mitTechniken aus dem Resonanzfeld, diesich auf die Schwingungen der Energiender tatsächlich stattgefundenen Vor -

gänge berufen? Für die Probandenhaben sich nach derlei energetischenArbeiten erhebliche Erleichterungengezeigt. Kennen Sie solche Technikenund wie schätzen Sie selbst die Aus -sagekraft dieser Methoden ein?

UH: Die Informationen über dasResonanzfeld sind sehr spannend underinnern mich an die Familien -aufstellungen von Bert Hellinger. Aneinem solchen Seminar habe ich einmalteilgenommen und kann ähnlicheErfahrungen wie Sie beschreiben.Dennoch halte ich die Arbeit mitResonanzfeldern bei der Beurteilung derGlaubhaftigkeit einer Aussage fürunbrauchbar. Bei der Glaubhaftigkeits -beurteilung muss eine konkrete Tatbeschrieben werden. Auch ein zeitlicherRahmen (wann eine Tat stattgefundenhaben soll) muss vorhanden sein. Beider Arbeit mit Resonanzfeldern geht esoffensichtlich auch um ein Wieder -erleben von Gefühlen bei Opfern undeine Möglichkeit mit diesen Gefühlenbesser umzugehen, zum Beispiel "Nein"zu sagen. Hierdurch leitet derTherapeut einen Veränderungsprozessbeim Opfer ein und das hat Suggestions -charakter.

P: Was raten Sie einem des sexuellenMissbrauchs fälschlicherweise oder zuUnrecht bezichtigten Menschen? Wohinsoll und kann er sich wenden, wenn ihmder sexuelle Missbrauchsvorwurfgemacht wird?

UH: Er sollte in Absprache mit seinemRechtsanwalt ein vorliegendes Gut -achten überprüfen lassen.

Die Autorin selbst wäre sehr interessiertdaran, in Erfahrung zu bringen, ob esExperten gibt, die mit hundertpro -zentiger Sicherheit einen tatsächlichstattgefundenen sexuellen Missbrauchnachweisen können. Solange derNachweis nicht definitiv gelingt, mussvon einem Fachpersonal, das sich inFamilienangelegenheiten bei Jugendamtund Justiz finden sollte, verlangt werden, dass zum Schutz des Kindesgegen Entfremdung die Beziehung vonVater und Kind (oder ähnlicher Familien -konstellationen) aufrechterhalten bleibt.

Kontaktaufnahme zur Autorin:E-Mail: [email protected]: „Nachweisbarkeit sexuellen

Miss brauchs“

Das Interview führteHeiderose Manthey

Pädagogin, Freie Journalistin undLeiterin der ARCHE Weiler