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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 14.01.2014 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 – 20.00 Uhr
Kriegstriptychon
Die zwei Welten des Otto Dix
Von Ulrike Bajohr
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
� Deutschlandradio
- Unkorrigiertes Manuskript -
2
2
Musik
Zitator Dix:
Hemmenhofen, 26. Oktober 1967
„Sehr verehrter Herr Generaldirektor! Sie wissen, dass mein großes
vierteiliges Kriegsbild nicht nur einen künstlerischen Wert hat, sondern
auch einen Propagandawert gegen den Krieg. Ich möchte nun dieses
Bild, das schon seit 10 Jahren in der Gemäldegalerie Dresden hängt, für
lange Zeit öffentlich im Westen zeigen. Deshalb habe ich mich
entschlossen, den Leihvertrag … zwischen mir und den Staatlichen
Sammlungen … zu kündigen… Ihr ergebener Otto Dix“ 1
O-Ton Frank Kempe
Das muss gewesen sein, als die große Kunstausstellung eröffnet wurde
in Dresden, da saß der Dix beim Erhard in der Werkstatt, und oben war
die große festliche Eröffnung der Kunstausstellung. Und der Dix war
ganz stocksauer, weil er nicht eingeladen worden war. Da war Walter
Ulbricht und die ganzen Typen, und die hatten offensichtlich Angst –
dass der Dix…der sprach ja immer, wie ihm der Schnabel gewachsen
war , dann einfach … so`ne Scheiße hier… so war er ja. … Und da hat
der Dix gesagt: So, jetzt müssen se mein Kriegstriptychon kaufen!
Koofen, hat er gesagt.
1 Dix am 26.10.1967, Brief an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Archiv SKD
3
3
Ansage
Kriegstriptychon
Die zwei Welten des Otto Dix
Ein Feature von Ulrike Bajohr
Zitator Dix:
So, jetzt müssen sie mein Triptychon kaufen!
O-Ton Frank Kempe
… aber wir sprechen jetzt von den 60er-Jahren, da hatte der Dix auch im
Westen Riesenprobleme. Es war einfach noch nicht der Markt reif. Und
Dix war auch politisch nicht so ganz 100%ig gelitten in der
Bundesrepublik, er hatte sich engagiert in der Ostermarschbewegung
und verschiedenen Abrüstungsgeschichten, er hatte es gar nicht so
leicht im Westen in den 60er Jahren… deshalb wurde er dann auch von
der DDR sehr poussiert und geehrt und gemacht… Ich weiß dass der
Dix, weil er so bisschen als Pazifist galt, in den bürgerl. Kreisen nicht so
wohlgelitten war.
O-Ton Dix/ Zitator Dix:
Ich habe Angst gehabt als junger Mensch, wenn man langsam vorkommt
an die Front, da war eine Hölle von Trommelfeuer…Das musste ich alles
ganz genau erleben, das wollte ich, also bin ich kein Pazifist, oder?... ich
bin ein neugieriger Mensch gewesen... Ich bin so eine Realist, wissen
4
4
Sie, dass ich alles mit eigenen Augen sehen muss, deswegen habe ich
mich freiwillig gemeldet… Die Läuse, den Dreck, den Hunger, die Angst,
die Hosenscheißerei…Selber erleben! Selber gekreuzigt werden, dann
ist es was! Existenziell! … Und wenn ich jetzt den Menschen hier vor
dem Film, vor dem Radio dieses Paradoxon vortragen soll – denen
graut` s ja geradezu in dieser Bundesrepublik oder überhaupt in
Deutschland, denen graut`s ja. Was ist der Kerl, was ist das doch für `n
Vieh, dass der das so raussagt… dass der sich mit dem nackten Arsch
aufn Tisch setzt –das darf man doch nicht, man muss doch eine Form
halten. Man muss doch ein Maß halten, ein bürgerliches Maß halten in
dem, was man redet. Und davor habe ich…ich habe Angst vor meinem
Temperament. 2
(Musik )
Autorin
Dresden, Albertinum, Galerie Neue Meister. In der 2. Etage, an der
Stirnwand des Saals mit Dix-Werken, das Triptychon „Der Krieg“. Das
dreiteilige Tafelbild mit Predella, einer vierten Tafel unter dem
Mittelstück, ist eines der Hauptwerke des 20. Jahrhunderts in diesem
Museum. Die US-amerikanische Kunsthistorikerin Kira van Lil hat es so
beschrieben:
2 Gespräch mit Freunden am Bodensee, 1963, LP: Otto Dix spricht über Kunst-Religion-Krieg. Erker-
Verlag Sankt Gallen/Nr. 30-187
5
5
Zitatorin
Das Bild ist eine Passionsdarstellung.
Im linken Flügel ziehen die Soldaten mit geschulterten Gewehren in die
Schlacht,
Zitator Dix:
Kreuztragung!
Zitatorin
der Mittelteil zeigt Tote im Schützengraben, insbesondere einen auf
einen Eisenträger aufgespießten Mann.
Zitator Dix:
Kreuzigung!
Zitatorin
im rechten Flügel kommt ein einziger Soldat,
Zitator Dix:
Ich!
Zitatorin
mit den Zügen eines Selbstporträts aus der Schlacht heraus,
Zitator Dix:
Auferstehung!
6
6
Zitatorin
und in der Predella schließlich sind schlafende Soldaten im Unterstand
zu sehen.
Zitator Dix:
Grablegung!
Zitatorin
Als Leser Friedrich Nietzsches begreift Dix den Krieg … offenbar als
schicksalhaft, als „ewige Wiederkehr des Gleichen“. 3
Autorin
Kira van Lils Beschreibung fiel 2008 knapp und kühl aus.
Joachim Uhlitzsch dagegen, seinerzeit Chef des Albertinums, zeigte sich
1980 im DDR-Rundfunk ziemlich beeindruckt.
O-Ton Uhlitzsch
Der Künstler unternimmt es, den Betrachter zum Mithandelnden,
Mitleidenden zu machen. Furcht vor der Hölle des Krieges verbindet sich
mit dem Willen, retten zu wollen. Dieser Mann, der einen Verwundeten
mit sich schleppt, der Leben bergen und schützen will, trägt
unverkennbar die Züge des Meisters. Es liegt dem Bild ein tiefer
humanistischer Gedanke zugrunde. Dix, der Furcht und Vernichtung in
3Kira van Lil, Ein perfekter Skandal. Der „Schützengraben von Otto Dix zwischen Kritik und Verfemung. Aus: Das
verfemte Meisterweg. Schicksalswege moderner Kunst im 3. Reich. Hg. Uwe Fleckner, Akademieverlag, S. 54/6
Zeilen
7
7
allen nur denkbaren Formen gestaltet, gibt sich selbst die Rolle des
Lebensretters.4
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
O-Ton Dix /Zitator Dix
Ich bin ein derartig souveräner Prolet, nicht wahr, wenn ich sage, das
mach ich, dann könnt ihr sagen, was ihr wollt. Wozu das gut ist, weiß ich
selber nicht, aber ich mach´s. Weil ich weiß, so ist das gewesen und
nicht anders. Dieses Leben ist eine ganz tragisch-kümmerliche
Angelegenheit gewesen.5
O-Ton Uhlitzsch
Er entstammte der Arbeiterklasse, und er blieb dieser Klasse mit seiner
Kunst treu. Es gibt heute eine Menge Bücher über ihn, doch nicht ein
einziges davon untersucht sein Lebenswerk unter dem Gesichtspunkt
der Klassenbindung. Die Folge davon ist, dass sein Lebenswerk
durchweg als progressive bürgerliche Kunst interpretiert wird.
Zitator Dix
Ich bin geboren am 2. XII. 1891 nachts 1 ½ Uhr damit Sie es ganz genau
wissen in Untermhaus bei Gera. …Mein Vater ist Eisengießer &
Former…. Vom 14–18ten Lebensjahre lernte ich Dekorationsmaler ...
Vom Fürsten von Reuß erhielt ich [ein] Stipendium & ging nach Dresden
4 Radio DDR, 6.12. 1980
5 Gespräch mit Freunden am Bodensee, 1963, LP: Otto Dix spricht über Kunst-Religion-Krieg. Erker-Verlag Sankt
Gallen/Nr. 30-187
8
8
zur Kunstgewerbeschule. August 1914 wurde ich zum Militär eingezogen
[…] 6 (Danach ging ich in Dresden zur Akademie und gründete 1919 die
Sezession mit.)
O-Ton Beck
Man muss sagen, dass viele von der Dixschen Kunst, der Direktheit und
Unverblümtheit, dem Proletarischen darin, angewidert waren. Dix war
auch in nichtnationalsozialistischen Kreisen durchaus umstritten.
(Blättern, darauf:)
Autorin
Rainer Beck, Professor an der Kunsthochschule Dresden, blättert in
seiner Dix-Monographie die 20er-Jahre auf – die Vorgeschichte des
Triptychons.
O-Ton Beck
…der Salon 1, Mädchen vorm Spiegel, da hat es sogar einen
Gerichtsprozess gegeben, Dame mit Schleier, Zuhälter mit Nutten, der
Lustmord… das sind alles Dinge … die einem konservativen Bürgertum
nicht gefallen haben.
Zitator Dix:
Und dann: Der Schützengraben!
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
6 Handschriftlicher Lebenslauf, um 1924. Zit. Nach Dix-Archiv, http://www.otto-
dix.de/archiv/erinnerungen/lebenslauf
9
9
O-Ton Beck
Sein Schützengraben ist ja mit der Kampagne „Nie wieder Krieg!“ durch
ganz Deutschland gezogen, als Abbildung und manchmal auch realiter,
und er galt auch mit seiner Radierfolge „Der Krieg“ als ein Kriegskritiker.
O-Ton Hering
Und das Thema ist immer der Schlamm, der Dreck, das Blut, das Elend,
die Leichen… im Grunde wie ein Bann, das, was man erlebt hat, wirklich
ad acta legen zu können…
Autorin
Michael Hering hütet im Kupferstichkabinett Dresden Otto Dix`
graphische Arbeiten.
Autorin
Im Kölner Wallraf-Richartz-Museum wurde der „Schützengraben“ fünf
Jahre nach dem Ende des 1. Weltkriegs, Ende 1923 erstmals
ausgestellt.
Zitator Dix:
Tote im Schützengraben, ein auf einen Eisenträger aufgespießter Mann.
Autorin
Das Publikum stand Schlange nach dem umstrittenen Antikriegsbild.
Museumsdirektor Hans Friedrich Secker war entschlossen, 10.000
Goldmark aufzutreiben, um das Bild anzukaufen, notfalls wollte er
Depotbestände veräußern.
10
10
O-Ton Beck
… Und das hat damals Adenauer als Oberbürgermeister verhindert.
Autorin
Erst 5 Jahre später, 1928, konnte Dix seinen Schützengraben verkaufen
- an das Städtische Museum Dresden.
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
Autorin
Nach den Skandalen der frühen zwanziger Jahre war Otto Dix nach
Düsseldorf gezogen, in den Dunstkreis unerschrockener Sammler.
Darunter der Arzt Hans Koch. Dessen geschiedene Frau Martha
heiratete der Künstler 1923. Zuerst in Düsseldorf und kurz darauf in
Berlin gewann Dix jene Aufmerksamkeit, die ihm 1926 einen Ruf zurück
nach Dresden eintrug: Er wurde Professor an der Kunstakademie.
O-Ton Rainer Beck
Dresden hat Dix in besonderer Weise geprägt, weil die frühen Dresdner
Jahre ihn begleitet haben bis an sein Lebensende.
Er kam als ungebildeter junger Mensch nach Dresden und hat dort die
ganze Welt der Literatur, des Theaters erlebt… aufgesogen und
umgesetzt. Auch nach dem 1. WK die Kontakte zu den Literaten, zum
Kreis um Bienert, Will Grohman… dann seine Auseinandersetzung mit
den Philosophen, gerade auch mit Nietzsche…// diese ganzen ersten
Begegnung mit der Welt der Literatur, der Philosophie, der Bildenden
Kunst, die haben ihn geprägt, und das hat in Dresden stattgefunden…
11
11
Autorin
Auch Käthe König traf er in Dresden wieder – er hatte sie in seiner
„wilden Zeit“ kennengelernt.
O-Ton Kempe
Ich glaube, sie war Modell in den 20er-Jahren. Hat so gejobbt als Modell,
die Modelle waren ja nicht angestellt an der Kunstakademie…. Das
müsste sie eigentlich sein, das farbige Bild…. Da (blättert) ….So sah sie
aus, schwarz und wild…
Autorin
Frank Kempe, Kunsthändler, erst Dresden, heute München, hat Käthe
König als Lehrling seines Vaters kennengelernt. Seine Familie war ihr
und Dix halb freundschaftlich, halb geschäftlich verbunden. Das
lebenslange Liebesverhältnis der beiden war kein Geheimnis.
Zitator Dix
Mein lieber Schatz, das ist wahrscheinlich das letzte, was ich Dir aus
Rom schreibe. Sonntag fahre ich zurück und muss den großen
Bildertransport in die Wege leiten… Innige Küsse… 7
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
7 Dix an Käthe König, Archiv Kempe
12
12
Autorin
Bayreuther Straße 32, Dresden, Südvorstadt. Das Emailleschild „Otto-
Dix-Haus“ markiert heute eine prominente Adresse für IT-Firmen und
Architektenbüros.
Hier lebte der „Professor Dix“ ein paar Jahre wohlsituiert - mit Gattin und
drei Kindern - und der Geliebten Käthe König im Hintergrund.
Zitator Dix
1928 fühlte ich mich reif genug, das große Thema anzupacken, dessen
Gestaltung mich mehrere Jahre beschäftigt hat. In dieser Zeit
propagierten … viele Bücher ungehindert … erneut ein Heldentum und
einen Heldenbegriff, die in den Schützengräben des ersten Weltkriegs
ad absurdum geführt worden waren. Die Menschen begannen schon zu
vergessen, was für ein entsetzliches Leid der Krieg ihnen gebracht hatte.
Aus dieser Situation heraus entstand das Triptychon. Ich wollte …
zeigen, dass echtes Heldentum in der Überwindung des sinnlosen
Sterbens besteht.“8
O-Ton Rudert
Der Vorwurf gegen ein Vorgängerbild „Schützengraben“, war ja, dass es
schlecht gemalt war. (läuft weiter)
8 Otto Dix im Gespräch mit Horst Jähner 1966, in: Neues Deutschland, zit nach D. Schmidt: Otto Dix im
Selbstbildnis, Dresden 1978
13
13
Autorin
Thomas Rudert ist Provenienzforscher und bei den Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden und hat sich intensiv mit der Geschichte des
Kriegstriptychons befasst.
O-Ton Rudert
Und im gewissen Sinne ist das Triptychon eine Antwort auf diesen
Vorwurf.
Autorin
1932 war das Kriegstriptychon fertig und wurde in der Preußischen
Akademie der Künste in Berlin ausgestellt, zu deren Mitglied Dix im Jahr
zuvor ernannt worden war. Doch es erregte nicht dieselbe
Aufmerksamkeit wie zuvor der „Schützengraben“. Und so hatte sich noch
kein Käufer gefunden, als im April 1933 Dix Vorgesetzter und Erzrivale,
Akademiedirektor Richard Müller die Säuberung der Akademie einleitete:
Zitator 1/Müller
„Habe ich fernmündlich von Herrn Reichskommissar von Killinger die
Anweisung erhalten, Professor Dix mitzuteilen, dass er entlassen sei und
die Akademie nicht mehr betreten dürfe und keine Pension erhalte.
Professor Dix ist zur Zeit nach Gera verreist und nicht erreicht worden.9
Autorin
9 Richard Müller, Erinnerungen, Archiv Frank Kempe
14
14
Hatten Dix seine malerische Genauigkeit, aber auch die Debatten, die er
auszulösen vermochte, den Lehrstuhl in Dresden eingetragen, war er
nun gerade deswegen den Nazis verhasst. Und so wurde Otto Dix zu
einem „Entarteten“ der ersten Stunde. Im September 1933 gab es im
Dresdner Rathaus den sächsischen Testlauf zur 4 Jahre später in
München stattfindenden Ausstellung: ‚Entartete Kunst’.
Zitator 1/Müller:
„Man könnte sich das Gemälde auch als Demonstrationsstück
kommunistischer Agitatoren denken, die der aufgepeitschten Menge
zurufen, daß hier Leute zu sehen sind, die so dumm waren, ihr Vaterland
ausgerechnet im Schützengraben zu verteidigen.“10
Autorin
schrieb Richard Müller im Dresdner Anzeiger
Zitator 1/Müller:
„…Gezahlt wurden hierfür RM 10 000, davon 5000 Stadtbeitrag. Bezahlt
von den Steuergroschen des arbeitenden deutschen Volkes!“11
Atmo Albertinum
Autorin
10
Richard Müller: Spiegelbilder des Verfalls in der Kunst, Dresdner Anzeiger 29. September 1933, zit. nach
K.v.Lil, s. Anm. 3
11 Kommentar zum Bild in der Ausstellung „Entartet“ Dresden, zit. nach K.v.Lil, s. Anm. 3
15
15
Der „Schützengraben“ ist – ja wo? Vernichtet? Verkauft? Jedenfalls
verschollen. 1940 tauchte das Werk noch einmal in den Offerten zweier
Kunsthändler auf, die von den Nazis mit der „Verwertung“ aussortierter
Kunst beauftragt worden waren. Das Meisterwerk wurde auf 200 US-
Dollar veranschlagt.
Das Motiv des Schützengrabens überlebte in der Mitteltafel des
„Kriegstriptychons“. Diesmal nicht alla prima gemalt, in leuchtenden
pastosen Ölfarben, sondern altmeisterlich, mit glatter, lasierter
Oberfläche.
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
O-Ton Dix/Zitator Dix:
Mir wurde es dann unerträglich durch die Herren Malerkollegen, die
Nazis waren, die auch prompt meine Stelle an der Akademie gekriegt
haben…. Ich durfte auch nicht mehr ausstellen, und dann siedelten wir
über nach Randegg, Randegg am Hohentwiel…//. Mein Frau wollte
immer auswandern, die Schweiz war ja nah, aber ich habe gesagt: nein,
ich bleibe hier, ich bleibe, wo meine Bilder sind!12
O-Ton Beck
Sein eigentliches Thema, die Großstadt, die war ihm
abhandengekommen, und dann war er mit Dresden doch verwurzelt,
Dresden war seine Stadt, und 33 die Flucht vor den Schergen nach
Randegg im Hegau und dann 1936, als Martha Dix eine Erbschaft
12
Zeitdokumente. Otto Dix 1963, CD, Archiv Deutschlandfunk
16
16
gemacht hatte und in Hemmenhofen ein Haus bauen konnte – das
waren für ihn im Sinne seines Heimatgefühl sicher Notquartiere.
Hemmenhofen… er sagte immer: Ich stehe vor der Landschaft wie eine
Kuh …
Zitator Dix:
Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh…
O-Ton Beck
…im Grunde war nicht die Landschaft sein Thema, sondern der Mensch.
O-Ton Dix /Zitator Dix:
Es war ein Zwang, ein äußerer Zwang… Wenn ich in Dresden gewesen
war, hätte ich nie Landschaft gemalt, es wäre alles ganz anders
gewesen, alles ganz anders.13
O-Ton Kempe
Er fühlte sich in dem bürgerlichen Habitus gar nicht so wohl. Seine Frau,
die Martha, war sehr bürgerlich und wollte ihn immer zum Gentleman
machen, das hat sie nicht geschafft.
O-Ton Beck
Natürlich war er ab und zu in Dresden, die Aufenthalte waren dosiert, es
war für ihn gefährlich, und einmal ist er ja auch festgenommen
worden….
13
„Otto Dix- Variationen zu einem Thema“. Fernsehen der DDR, 1.12.1966, DRA /Videodokument AD 9782
17
17
O-Ton Dix /Zitator Dix:
Klingelt`s auf einmal, und draußen stehen zwei primitiv-martialisch
aussehende Herren. Kriminalpolizei. Was wollen Sie denn? Ja, wir
wollen uns bloß mal bei ihnen umsehen. 14
Zitator Dix
Im September 1939, nach dem Attentat im Münchner Bürgerbräukeller,
haben sie versucht, mir die Teilnahme daran nachzuweisen, lächerlich! 15
O-Ton Beck
Und Käthe König hat ihn gerettet, sie hat in einem Amt gearbeitet und
hat bestimmte Dokumente verschwinden lassen…
Autorin
Im selben Jahr, 1939, wurde in Dresden Katharina geboren – die
gemeinsame Tochter von Käthe König und Otto Dix.
Der saß nun endgültig am Bodensee fest und versuchte, sich zu
beschäftigen. Er malte Landschaft, altmeisterlich-metaphorisch: knorrige
Äste ragen wie Hakenkreuzgalgen in die Luft. Ansonsten – nahezu
prophetische Bilder, die sich nicht öffentlich ausstellen ließen: das
brennende Dresden als Hintergrund von „Lot und seine Töchter“, den
Judenfriedhof in Randegg - und „Flandern“, ein tief resignatives Bild.
Anders als im Kriegstriptychon, aus dem wenigstens einer, der Maler
14
Ebd.
15 Zit. nach „Otto Dix. Das Auge der Welt“ Film von Reiner E. Moritz, 1989. DVD-Cat.-Nr. PAL 100640
18
18
selbst, der Schlacht entrinnt, wünschen sich hier auch die Überlebenden
den Tod.
1945 wurde Dix zum sogenannten Volkssturm eingezogen und geriet
dann in Gefangenschaft. Sein Selbstporträt aus dieser Zeit ist bar
jeglicher Zuversicht.
kurze Kapitelzäsur/Musik
Autorin
1947 nahm Otto Dix seine Reisen nach Dresden wieder auf.
Das Atelier auf der Kesselsdorfer Straße, das er gemietet hatte, als er
aus der Akademie entlassen worden war, stand noch. Als Dix hier
ankam, fand er seine zweite Welt zwischen allen Trümmern unversehrt.
Die Geliebte Käthe König und Tochter Katharina warteten auf ihn.
O-Ton Kempe
Ich kann mich erinnern, dass der Dix… da war ich einmal dabei auf der
Kesselsdorfer Straße – er malte gerade ein Porträt von der Käthe König,
ja. Mit bissel wirren Haaren, da hat er gesagt: guck mir ni immer uffn
Pinsel…
Zitator Dix
Guck mir ni immer uffn Pinsel!
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
O-Ton Beck
19
19
Für die Nazis war Dix ein Kriegssaboteur, ein Gegner jeglicher
Parteipolitik und jeglicher Parteizugehörigkeit, wenn seine Schüler
irgendwo mitmachen wollten, bei den Kommunisten oder bei den Nazis,
wurde er fuchsteufelswild, sein Standardsatz war: Setz dich auf Deinen
Arsch und male!
Zitator Dix
Setz dich auf Deinen Arsch und male!
O-Ton Beck
Und nach dem 2. Weltkrieg wollte Dix sich auch nicht vereinnahmen
lassen… Er war kein unpolitischer Mensch, aber was Parteipolitik
anlangte, war er nicht infizierbar.
Zitator Dix
Diese hohlen Phrasen konnte ich noch nie ausstehen!
An das Kulturamt Gera, Sommer 1947
Ich schrieb Ihnen schon neulich, dass ich nicht gewillt bin meine Bilder
„zur Diskussion zu stellen“! Wir haben nun in Deutschland jahrelang die
Stimme des Volkes über künstlerische Dinge gehört …Diskussionen
laufen darauf hinaus, daß jeder Spießbürger und jeder „Blinde“ seine
kleinen Wünsche anbringen möchte. Jeder glaubt zu wissen wie Kunst
sein sollte. 16
O-Ton Hering
16
Zit. Nach Diether Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, Henschel Verlag 1981, S. 261
20
20
Otto Dix großes Problem war viel eher, dass er in beiden deutschen
Staaten zwischen den Stühlen saß, weil hier war es eine sozialistisch-
realistische Idee, die die Malerei tragen sollte, und im Westen war es das
Informel.
O-Ton Beck
Nach dem 2. Weltkrieg gab es ja – polemisch ausgedrückt: das Diktat
der Abstrakten –
Ich glaube, dass es Dix gerade Anfang der 50er-Jahre pekuniär, also
materiell sogar deutlich schlechter ging als zur Zeit des 3. Reiches
sogar, da hat er eher Kunden gehabt, aber nach dem Krieg ging es ihm
erst mal nicht so gut.
O-Ton Dix/ Zitator Dix
Wenn die Leute heute Bilder malen, abstrakte Bilder, Dinge, die
überhaupt nichts aussagen. Man will heute nur eines: Augenschmaus.
Für mich hat der Augenschmaus was mit Tapete zu tun, Teppich,
ornamentaler Kunst -wunderschön, aber für mich ist das nicht genügend.
Deswegen bin ich eigentlich derjenige, der nur Menschen malen kann.
Warum? Weil überall eine Aussage ist bei mir…17
kurze Kapitelzäsur/Musik
Autorin
Dix Absage an alles Abstrakte schien der DDR-Kulturdoktrin zu
entsprechen. Man tastete sich an ihn heran: er bekam den Auftrag eine
17
„Otto Dix- Variationen zu einem Thema“. Fernsehen der DDR, 1.12.1966, DRA /Videodokument AD 9782
21
21
Neujahrskarte für den Verlag der Kunst zu entwerfen! Und man hielt ihn
sich vom Leib: Er wurde nicht Rektor der Dresdner Kunsthochschule,
nicht einmal Lehrkraft. Und das Kriegstriptychon?
O-Ton Rudert
Es befand sich zum Kriegsbeginn im Atelier von Dix auf der
Kesselsdorfer Straße. Er selbst war gar nicht in Dresden, als mit der
Bienert-Sammlung zusammen dieses Triptychon kriegsbedingt geborgen
worden ist, von der Ida Bienert, die hier eine große Sammlung hier in
Dresden war, man kannte sich, und da hat es den Krieg überstanden,
und war dann 46 bei der 1. Deutschen all. Kunstausstellung in D. mit
ausgestellt. Und dann gab`s im Ergebnis der Ausstellung 46 ein
Ankaufsangebot von der Landeverwaltung, aber darauf hat sich Dix nicht
eingelassen wegen der Währungsschwierigkeiten, die es damals schon
gab. Er wollte richtiges Geld.
Autorin
Unter dem Dach der Museumsverwaltung, hoch über dem Grünen
Gewölbe und der Kassenhalle mit den Touristenschlangen, schlägt
Provenienzforscher Thomas Rudert die Akte „Kriegstriptychon“ auf.
O-Ton Rudert
Dann ging´s paarmal hin und her, war an verschiedenen Orten
ausgestellt, und dann ist es zu einer großen Dix-Ausstellung 1957 nach
Berlin gegangen und ist dann mit der Ausstellung, die danach in Dresden
gezeigt worden ist, wieder hierher zurückgekommen.
Und ab da befand es sich dauerhaft in Dresden, zum Schluss im
Semperbau mit den Altdeutschen zusammen.
22
22
Zitator Dix
Das Kriegstriptychon! Bei den Alten Meistern!
O-Ton Rudert
Angekauft war es nicht, und wir hatten noch nicht mal einen Leihvertrag,
es befand sich physisch hier, und wir hatten hier einen etwas
eigensinnigen Generaldirektor, Max Seydewitz, ehemaliger
Ministerpräsident, gut vernetzter Mann, ein Machtpolitiker, der mit
ziemlich starker Hand die Kunstsammlung führte, nur von Kunst hatte er
wenig Ahnung und vom Umgang mit Künstlern. Er war der Meinung, das
ist Volkseigentum, es befindet sich hier und bleibt auch hier.
Und dann hat er sich geweigert, es herauszugeben, selbst wenn Dix in
der Bundesrepublik Leihgaben schon zugesagt hatte.
Zitator 2/ Löffler
„Dix war darüber so wütend, dass er einer Bitte der National-Galerie
Folge leisten und das Bild nach Berlin geben wollte. Ich habe die
Weggabe damals, (1957), verhindert.“18
Autorin
…sollte Fritz Löffler im April 1968 an den SED-Stadtsekretär schreiben.
Löffler, Kunsthistoriker, Verfasser einer bis heute maßgebenden Dix-
Monografie, war Dix` Gewährsmann in Dresden. Die beiden kannten sich
18
Fritz Löffler, Brief an Uhlemann, Sekretär der SED-Stadtleitung Dresden, am 5.4.1968. Quelle: Archiv der SKD
23
23
seit den 20er-Jahren, Löffler hatte Erfahrung im Umgang mit
Kulturbürokraten jeder Couleur.
kurze Kapitelzäsur/Musik
Autorin
Löffler, ein paar gute Freunde, Käthe und Katharina - Dix hatte viele
Gründe, regelmäßig in die DDR nach Dresden zu fahren.
Zitator Dix
Für mich sind das Ferien. Ich sitze den ganzen Tag in so einem Kuhkaff,
habe wenig Anregungen. Und hier, wenn ich so in der Elektrischen fahre,
da gibt`s Typen, das ist unheimlich…
O-Ton Dix
…. wenn ich in der Elektrischen fahre, da gibt’s Typen, das ist
unheimlich. Am liebsten würde ich sagen setz dich hin, ich will dich mal
zeichnen… gerade Kesseldorfer Straße, wo die Arbeiter wohnen… eine
reiche Menschengegend, die nicht konventionell aussehen…das ist das,
was mich immer wieder interessiert an Dresden, wenn ich aus dem Haus
gehe in die Druckerei, da kann man was machen, das macht Spaß.19
O-Ton Beck
Dix war in Dresden und der DDR ein bekannter Mann, mir wurde
19
„Otto Dix- Variationen zu einem Thema“. Fernsehen der DDR, 1.12.1966, DRA /Videodokument AD 9782
24
24
berichtet, dass Dix ohne alle Papiere an die Grenze gekommen ist, er sei
Dix und er gehöre nach Dresden, und das sei doch selbstverständlich…
und er wurde durchgelassen. Und er hatte schon einen Sonderstatus…
aber er war dann den Parteitheoretikern oder Ideologen dann nicht
geheuer.
Autorin
Die machten 1957 Otto Dix trotzdem zum Ehrensenator der Dresdner
Kunsthochschule. Auf diese Weise konnte er jederzeit und kostenlos in
der dortigen Druckerei mit seinen Freunden, den Druckern Alfred und
Roland Erhard, grafische Blätter auflegen, aus deren Verkaufserlös er
mit Hilfe des Kunsthändlers Horst Kempe seine Dresdner Familie, Käthe
und Katharina, unterstützte.
O-Ton Kempe
Da unten in der Druckwerkstatt, das war ein Zeremoniell, wenn Dix
gedruckt wurde, da kamen die ganzen Assistenten und guckten und
machten, das war schon interessant. Erhardt war der Drucker seines
Vertrauens, er hat ja schon in den 20er Jahren für Dix gedruckt.
Autorin
Inzwischen war Dix` Stern auch in Westdeutschland gestiegen – die von
den Nazis als „entartet“ aussortierte Kunst erreichte jetzt erst wieder das
Publikum. Ida Bienert, Dix` Dresdner Mäzenin, hatte sich mit ihrer
Sammlung in München niedergelassen. Stuttgart, Albstadt,
Friedrichshafen verfügten über bedeutende Dix-Sammlungen. Es
begann ein Wettlauf um den Maler:
25
25
Zitator Dix
1955 documenta I. Mitglied der Akademie der Künste Westberlin,
`56 Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste Ostberlin.
`57 umfassende Retrospektive in der DDR
`59 Bundesverdienstkreuz - gemeinsam mit Ernst Jünger.
1964 documenta III
Autorin
Nun konnte der Dresdner Generaldirektor Max Seydewitz nicht mehr
verhindern, dass das Triptychon „Der Krieg“ im Westen gezeigt wurde -
1963 ging es zu einer Ausstellung nach Darmstadt.
Zitator Dix
Zeugnisse der Angst in der modernen Kunst.
Nach dieser Ausstellung wird das Bild dann … wieder in der Dresdner
Galerie als Leihgabe von mir ausgestellt werden. 20
O-Ton Rudert
Man hat die Möglichkeit genutzt, den rechten Flügel, der nicht der
richtige war, es gab ein formatgleiches Gemälde „Der Grabenkampf“,
das man hier in Dresden beigefügt hatte, der richtige rechte Flügel
befand sich bei Dix in Hemmenhofen, und da hat man die Gelegenheit
genutzt, den falschen mit dem richtigen rechten Flügel auszutauschen
und in dem Zustand ist es dann nach Dresden zurückgekommen,
nachdem Dresden den Leihvertrag unterschrieben hat.
20
Diether Schmidt. Otto Dix im Selbstbildnis. Henschel Verlag 1981, S. 255
26
26
kurze Kapitelzäsur/Musik
Zitator Dix
„Otto Dix: Ein deutscher Maler, der in friedlicher Eintracht gefeiert wird“21
Autorin
… überschrieb die „Zeit“ am 2. Dezember 1966 den Artikel zu Dix 75.
Geburtstag, Anlass für jede Menge Ausstellungen, Ehrenringe und
Ehrenmitgliedschaften im Westen und auch im Osten … wobei die
offizielle DDR sich schwer tat: einem proletarisch-revolutionären Künstler
von Weltruf, einem Friedenskämpfer dazu, gebührte doch wohl der
Nationalpreis … aber: einem Bundesverdienstkreuzträger?
Der umtriebige Fritz Löffler, der auch beim Leihvertrag zwischen Dix und
den Dresdner Amtsträgern vermittelt hatte, schlug dem Museum vor, das
Kriegstriptychon zu kaufen. 50 000 DM, ein Spottpreis - Ergebnis:
Zitator 2/ Löffler
„Ich wurde dafür nur wieder einmal geschmäht!“22
Autorin
Und Dix wurde gewürdigt – feierlich, aber valutafrei
O-Ton Radio/ DDR
21
Die Zeit, 2. Dezember 1966
22 Fritz Löffler an Uhlemann, Sekretär der SED-Stadtleitung Dresden, am 5.4.1968. Quelle: Archiv der SKD
27
27
Das reiche, überragende Lebenswerk des in Gera geborenen Malers
Professor Otto Dix, würdigte, meine verehrten Hörer, seine Heimatstadt
Gera auf einer
Zitator Dix (..ja, das hat ihn auch gefreut)..
27. November 1966, DDR-Radio
O-Ton Radio/ DDR
Festsitzung der Stadtverordnetenversammlung mit der Verleihung der
Ehrenbürgerrechte an den großen Künstler. …..23
DDR-Fernsehfilm
(auf Musik) Otto Dix malt, was er liebt, er tritt in Beziehung zu seinen
malwürdigen Gegenständen, er malte die Arbeiter in ihrer Dachkammer
und auf der Straße… er wollte eine Aussage machen, er schockiert die
Konventionellen und trug stolz das Schimpfwort Bürgerschreck..….
Zitator Dix
1. Dezember 1966, DDR-Fernsehen
Dix in O-Ton DDR-Fernsehfilm/Zitator Dix
All die ästhetische Aktmalerei, diese Gesellschaftsvergnügungen, das
war uns einfach zuwider. Wir wollten den Mann auf der Straße, den
einfachen Mann, wollten wir ansprechen, mit einer einfachen, ganz
präzisen deutlichen Malerei. Obs dem sogenannten kleinen Mann selber
23
Deutschlandsender, 27. November 1966
28
28
gefallen hat, wissen wir nicht… Die würden ja so was gar nicht
aufhängen, aber es ist notwendig, dass man ihnen die bittere Pille gibt,
dass man ihnen sagt: so seid ihr, so ist das Leben und ihr seid so
interessant, so wertvoll so malenswert, dass ihr gemalt werdet.24
Autorin
Die Dokumentaristen des DDR-Fernsehens gaben sich redlich Mühe,
dem Künstler und Menschen Dix gerecht zu werden – und der spürte
das, er wollte ihnen entgegen kommen - und sagte trotzdem immer das
Unerwartete.
O-Ton Dix/Film
Wir sind Heimatlose. Wir müssen uns einen Optimismus, einen Glauben
an unsere Schöpferkraft, einen Glauben sogar an die Möglichkeit einer
Zukunft, den müssen wir uns erkämpfen. Wir haben es wahnsinnig
schwer. Ich meine, wenn man Kommunist ist, da glaubt man an das
Glück, an die Zukunft der Menschheit. Es ist furchtbar schwer, für einen
Menschen wie mich, der sehr kritisch ist, wieder diese einfache Kraft zu
gewinnen, die man in der Jugend gehabt hat. 25
kurze Kapitelzäsur/Musik
Autorin
24 „Otto Dix- Variationen zu einem Thema“. Fernsehen der DDR, 1.12.1966, DRA /Videodokument AD 9782
25 Ebd.
29
29
Am 1. Oktober 1967 stand Otto Dix wieder einmal in der Druckwerkstatt
der Dresdner Kunsthochschule bei Roland Erhard. Und buchstäblich ein
paar Meter weiter, im Albertinum, eröffnete Walter Ulbricht die 6.
Deutsche Kunstausstellung.
O-Ton Kempe
Die stolzierten da vor diesen blödsinnigen Bildern herum und hatten
nackte Angst, dass der Dix sagt: Das war doch mal ein Schüler von mir,
was der für `ne Scheiße gemalt hat…
Zitator Dix
Das war doch mal ein Schüler von mir, was der für `ne Scheiße gemalt
hat!
Autorin
Man wusste den eben noch hochgeehrten Meister in Dresden – und lud
ihn nicht ein. Zurück am Bodensee, am 26. Oktober 1967 kündigte Dix
per Einschreiben den Leihvertrag mit den Staatlichen Kunstsammlungen
Dresden.
Am 8. November bekam der neue Generaldirektor des Museums einen
weiteren Brief.
Zitator 1:
Lieber Genosse Dr. Bachmann! …. Es ist offensichtlich notwendig, dass
ein bis zwei Genossen Professor Dix in seinem Heimatort besuchen, um
mit ihm das Problem zu beraten mit der Zielstellung, dass das
30
30
(Kriegstriptychon) weiterhin als Dauerleihgabe in den Staatlichen
Kunstsammlungen verbleibt. ...
Mit sozialistischem Gruß, Uhlemann, Sekretär der (SED-)Stadtleitung.“26
O-Ton Rudert
Und da hat natürlich Dix sofort frontal gegengehalten. Der wusste, wie
die reagieren würden, und er war durch Löffler über jeden einzelnen
Schritt informiert… und hat sich auch im Preis nicht runterdrücken
lassen.
Zitator Dix
500 000 DM!!27
O-Ton Kempe
Ich glaube, er wollten sogar eine Million zuerst haben, das hatte ihm
Düsseldorf geboten, diese Summe stand im Raum
O-Ton Rudert
500 000 DM wollte er haben, gemessen an den Dix-Preisen für diese
Zeit ein Freundschaftspreis, aber eben für DDR-Verhältnisse eine
Riesensumme. Er hatte ja schon einen Schlaganfall gehabt und wollte
die Verhältnisse regeln. Denn wenn er gestorben wäre und sich das Bild
noch als Leihgabe hier in Dresden befunden hätte, das war allen
Beteiligten klar und ist auch ganz klar aus den Akten abzulesen, man
26
Uhlemann, Sekretär der SED-Stadtleitung, an Bachmann, 8.11.1967, Quelle: Archiv SKD
27 gefordert in einem Eilbrief von Dix nach Dresden am 29. Januar 1967, Quelle: Archiv SKD
31
31
hätte die Dresdner Erben Käthe König und Katharina König in Ostmark
ausgezahlt und dann hätte man das Bild einfach behalten.
O-Ton Kempe
Die hätten das Bild umsonst gekriegt, das wollte er wirklich schenken,
wenn die nicht damals bei der Eröffnung diese Scharade gemacht hätten
und ihn im Atelier haben sitzen lassen und oben der Ulbricht und der
Seydewitz und wie die alle hießen…
Zitator 1 /Aktennotiz
„Vertraulich! Aktennotiz: über eine am 2. Februar 1968 stattgefundene
Besprechung…. Teilnehmer: Genosse Minister Gysi, Genosse Forker,
Genosse Uhlemann, Genosse Burkhardt und Genosse Dr.
Bachmann….“28
O-Ton Rudert
Da gab `s relativ schnell dann ein Signal aus Berlin vom
Kulturministerium, von Klaus Gysi, der damals Minister war, dass die
Regierung der DDR dafür kein Geld zur Verfügung stellen würde, und da
hat man dann sich in Dresden hier intern geeinigt, Depotbestände der
Museen zu verkaufen.
Zitator 1
„….Erwerb des Bildes durch Verkauf von Depotbeständen ….
28
Aktennotiz vom 6. Februar 1968, Quelle: Archiv SKD
32
32
….Vorschlag: Aus dem grünen Gewölbe, (dem) Historischen
Museum?“29
(folg. als Panorama)
Zitator 2
Orden und Porzellane
Zitator 1
ein geschnitztes Birnbaumrelief, 16. Jahrhundert
Zitator 2
13 Gemälde, 19. und 20. Jahrhundert.
Zitator 1
Waffen aus der Rüstkammer. Und ein Prunkrapier des sächsischen
Kurfürsten Christian des Zweiten, um 1600.
O-Ton Rudert
… und übrigens parallel dazu haben auch die Münchner Museen Kunst
verkauft, um Kunst anzukaufen. Das ist hier in den Akten nachweisbar
als Argument, wenn die das machen, können wir das auch machen.
Zitator 1
„Problem: …. Kann es drüben bekannt werden? (Obwohl Wert steigt,
wenn Herkunft bekannt wird.) …. Löffler und Dix nicht einweihen, woher
das Geld kommt.“30
O-Ton Rudert
29
Ebd.
30 Ebd.
33
33
Das war in Dresden nicht zu verheimlichen, Löffler wusste sehr früh, wie
man das Problem lösen wollte, und hat natürlich Dix darüber berichtet.
Zitator 2/ Löffler
„Es war das ein noch nie dagewesener Fall, ein Kunstwerk zu erwerben,
und ein Zeichen der Wertschätzung für das Kunstwerk wie den Schöpfer.
Otto Dix war tief gerührt.“31
Zitator 1
„…Zur Verhandlungstaktik mit Dix: zunächst auf die Schwierigkeiten der
Devisenlage hinweisen, an seine Verbundenheit mit Dresden erinnern
und 350 000 DM West vorschlagen oder dazu den Rest in DDR-Mark.“ 32
O-Ton Rudert
Hier ein Brief der zeigt, die haben um jeden Tag gekämpft, um eine
Lösung zu finden.
Zitator 1/Bachmann
Dresden 24. Juli 1968
„Sehr verehrter lieber Herr Professor! Eine sehr schmerzhafte
Zahnbehandlung ….zwing(t) mich, die vorgesehene Reise zu ihnen zur
Unterzeichnung des Vertrages in den August zu verschieben. Bitte
haben Sie dafür Verständnis… Wir freuen uns sehr, dass wir nun bald
31
Brief Fritz Löffler an Bachmann, 22.2. 1982. Quelle: Archiv SKD
32 Aktennotiz vom 6. Februar 1968, Quelle: Archiv SKD
34
34
die Angelegenheit zum Abschluss bringen können und danken Ihnen
noch einmal recht herzlich für Ihr großzügiges Entgegenkommen. Mit
freundlichen Grüßen, auch an Ihre liebe Frau, Dr. Manfred Bachmann,
Generaldirektor“ 33
kurze Kapitelzäsur/Musik
Autorin
Währenddessen erörterte man die Frage, woher bis zum Jahresende
1968 500 000 D-Mark kommen sollten. Es reichte ja nicht,
Museumsbestände zum Verkauf anzubieten, man musste sie auch
rechtzeitig loswerden. Für solche Fälle gab es die Intrac-
Handelsgesellschaft mbH– eine Vorläuferin der KoKo des Alexander
Schalck Golodkowski: Sie gewährte den Dresdner Kunstsammlungen
einen Kredit – zu einem Zinssatz von 8 Prozent.
O-Ton Rudert
Der eine Strang der Konstruktion war die Geldbeschaffung über die
Intrac, und die Verkäufe der Kunstwerke liefen auch nicht über die
Kunstsammlungen direkt, sondern die stellten sie zur Verfügung und die
liefen über den sogenannten VEH (Volkseigenen Handelsbetrieb)
Antiquitäten Berlin, der Kontakte hatte zu westlichen Händlern, die
gezielt angesprochen worden sind. Das ist die Abrechnung: Insgesamt
wurden durch die Verkäufe 533 000 DM erwirtschaftet.
33
Brief Bachmann an Dix, 24.7.1968, Archiv SKD
35
35
Autorin
Für 500 000 DM Kredit von der Staatlichen Handelsgesellschaft Intrac
mussten die Dresdner Museen Wertgegenstände für 533 000 DM
veräußern. Nutznießer waren neben der Intrac und dem Staatlichen
Antiquitätenhandel vor allem die westlichen Kunsthändler. Das
wertvollste Stück, das Prunkrapier des Sächsischen Kurfürsten,
versteigerte Sotheby`s am 23. März 1970 für 21 000 Pfund – das 16-
fache des Dresdner Verkaufspreises. Das Prunkrapier befindet sich
heute im Metropolitan Museum New York.
(kurze Kapitelzäsur/Musik)
Zitator Dix und Zitator 1
24. September 1968. Vertrag zwischen den Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden/DDR (als Käufer) und Herrn Professor Otto
Dix (als Verkäufer) 34
O-Ton Rudert
Das ist der Kaufvertrag, der kurz und lapidar, aber absolut wasserdicht
den Verkauf regelt.
Bachmann und Löffler sind zusammen nach Hemmenhofen gefahren
und haben den Vertrag unterzeichnet.
Und der Preis, wenn man den im Kontext sieht, geht der völlig in
Ordnung, wenige Jahre später hat ja Stuttgart das andere große
Triptychon Die Großstadt für eine Million DM erworben, 1971 oder 72,
also für das Doppelte…
34
Kaufvertrag vom 24.9.68, Archiv SKD
36
36
Und er hat nicht nur das Bild an uns verkauft, er hat auch eine
nennenswerte Schenkung von Arbeiten auf Papier und ein Gemälde
draufgelegt.
Zitator Dix
44 Blätter und 1 Gemälde!
O-Ton Hering:
Otto Dix hat eine richtige Wunschliste bekommen, als 68 der Ankauf des
Triptychons anstand, der Akzent lag wieder auf den 20er-Jahren, auf den
Zeichnungen des 1. Weltkrieges.
Autorin
Michael Hering, Dix-Experte der Dresdner Graphischen Sammlungen,
hält behutsam ein besonders Blatt aus der Dix` Schenkung hoch, eine
aquarellierte Federzeichnung von 1923: Die entstellten Gesichter zweier
Kriegskrüppel – ein Werk, das Dix bei sich zu Hause in Hemmenhofen
gehütet hatte…
O-Ton Hering
(Atmo: Ich zeig ihnen das mal, die Kriegskrüppel liegen hier.) Also das
heißt, man muss das Blatt ja anders nennen: „Die Erinnerung an die
große Zeit“. Otto D. hat hinten einen Vermerk gemacht nicht für den
Verkauf … Diese Dinge sind singulär, das macht man auch nur
einmal….
kurze Kapitelzäsur/Musik bis zum Ende
37
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Zitator Dix:
Betrag von DM 500 000 am 31. Dezember 1968 erhalten.
Autorin
Am 19. Juli 1969 erlitt der Maler seinen zweiten Schlaganfall.
Sechs Tage später starb Otto Dix im Krankenhaus in Singen am
Hohentwiel. Käthe König starb 1981 in Radebeul bei Dresden, Martha
Dix 1985 in Hemmenhofen. Von Dix vier leiblichen Kindern leben noch
zwei: Katharina König und Jan Dix.
Unter den am 3. November 2013 in der Wohnung des Kunsthändler-
Sohnes Gurlitt aufgefundenen Kunstwerken befinden sich nach
derzeitigem Kenntnisstand vier Arbeiten von Otto Dix.
In der Galerie Neue Meister des Albertinums zieht das Kriegstriptychon
heute jedes Jahr Tausende Besucher an.
O-Ton Dix /Zitator Dix
Ich habe leider nicht das Glück gehabt, die Galerie als junger Mensch zu
sehen, hab sie erst gesehen, wie ich 20 Jahre alt war. Aber das müsste
doch kolossal erzieherisch sein für Menschen, diese Meisterwerke zu
sehen… man müsste doch einen unauslöschlichen Eindruck mitnehmen,
das man auf einer Leinwand so ein Ding malen kann… denke ich mir….
Absage
Kriegstriptychon
Die zwei Welten des Otto Dix
Sie hörten ein Feature von Ulrike Bajohr
38
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Es sprachen: Hermann Beyer, Renate Fuhrmann, Rainer Delventhal,
Volker Niederfahrenhorst und Agnes Pollner
Ton und Technik: Gunther Rose und Beate Braun
Regie: Axel Scheibchen
Redaktion: Karin Beindorff
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014