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0 200 400 600 800 1000 km Das Gebiet des römischen Reiches im 2. Jh. n. Chr. mit den Grenzen und Hauptstädten der Staaten im Jahr 2005 Karte: Cordula Johannes S eit Generationen lehren die Historiker und lernen ihre Leser bzw. Zuhörer, dass das römische Reich unter Kaiser Trajan Anfang des 2. Jh.s n. Chr. seine größte Ausdehnung hatte (Karte s. u.). Poli- tisch mag das stimmen, aber unter ande- rem Blickwinkel kann man mit einigem Recht behaupten: Die größte Ausdehnung hat das römische Reich – heute. Zumin- dest trifft dies zu, wenn man die Verbrei- tung der lateinischen Sprache zum Krite- rium nimmt (s. Karte 2 auf S. 6), denn: das Latein von heute sind die romanischen Sprachen. 1 Für Lateinlehrer und -lehrerinnen kann diese These mehr leisten, als den Mythos von der „toten Sprache“ als historischen Irrtum zu entlarven. Es motiviert Schüler und Schülerinnen für das Fach und öffnet ihnen neue Horizonte, wenn sie anschau- lich vermittelt bekommen, dass Latein kein Fall für die Mottenkiste der Geschichte ist, 2 Barbara Verwiebe Von Rom zur Romania – romanische Sprachen im Lateinunterricht

Barbara Verwiebe Von Rom zur Romania – romanische Sprachen ... · Vulgärlatein bezeichnet keine einheitliche Sprache, sondern weist je nach Ort, Zeit und Milieu erhebliche Unterschiede

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0 200 400 600 800 1000 km

Das Gebiet des

römischen Reiches

im 2. Jh. n. Chr. mit

den Grenzen und

Hauptstädten der

Staaten im

Jahr 2005

Kar

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Seit Generationen lehren die Historikerund lernen ihre Leser bzw. Zuhörer,

dass das römische Reich unter Kaiser Trajan Anfang des 2. Jh.s n. Chr. seinegrößte Ausdehnung hatte (Karte s. u.). Poli-tisch mag das stimmen, aber unter ande-rem Blickwinkel kann man mit einigemRecht behaupten: Die größte Ausdehnunghat das römische Reich – heute. Zumin-dest trifft dies zu, wenn man die Verbrei-tung der lateinischen Sprache zum Krite-

rium nimmt (s. Karte 2 auf S. 6), denn: dasLatein von heute sind die romanischenSprachen.1

Für Lateinlehrer und -lehrerinnen kanndiese These mehr leisten, als den Mythosvon der „toten Sprache“ als historischenIrrtum zu entlarven. Es motiviert Schülerund Schülerinnen für das Fach und öffnetihnen neue Horizonte, wenn sie anschau-lich vermittelt bekommen, dass Latein keinFall für die Mottenkiste der Geschichte ist,

2

Barbara Verwiebe

Von Rom zur Romania – romanische Sprachen

im Lateinunterricht

sondern in unserer Kultur bis heute wei-terlebt: als Medium der geistigen WurzelnEuropas und eben auch als Ursprung derromanischen Sprachen.

Der Anspruch ist häufig formuliert, dieVoraussetzungen werden aber selten imUnterricht geschaffen: „Gründliche undumfangreiche Kenntnisse in Latein (…)ermöglichen ein rasches und rationellesErlernen romanischer Sprachen (…). Sprach-vergleich und Sprachreflexion sind imLateinunterricht ständiges immanentesArbeitsprinzip und Lernziel.“2

Dabei geht es nicht darum, im Latein-unterricht Französisch-, Italienisch- oderSpanischkurse zu halten, sondern Bezügeherzustellen und Zugänge zu schaffen. Dasist auch angesichts sinkender Stunden-zahlen sinnvoll und machbar, weil beideSeiten davon profitieren.

Deshalb soll hier zunächst die Ent-wicklung vom Lateinischen zu den roma-nischen Sprachen beleuchtet werden, umdanach zu überlegen, auf welche Weise undunter welchen Voraussetzungen dieseErkenntnisse den Unterricht in den altenSprachen bereichern können. Im Zentrumstehen sprachliche Phänomene; literarischeMotive und ihre Rezeption bleiben hier ausGründen der thematischen und räumlichenBegrenzung ausgeblendet.

Sermo vulgaris

Abhandlungen über die Sprachgeschichtedes Lateinischen und die Entwicklung derromanischen Sprachen sind meist rechtumfangreich und für ein sprachwissen-schaftliches Fachpublikum geschrieben.3

Die folgende, äußerst geraffte Darstellungbeschränkt sich auf einige grundlegendeAspekte mit – auch für Schüler verständli-chen – Beispielen und Vergleichen zumDeutschen. Das Augenmerk liegt auf derEpoche zwischen dem „goldenen Latein“des 1. Jh.s v. Chr. und der Ausdifferenzie-rung der einzelnen romanischen Sprachen,etwa Anfang des 9. Jh.s n.Chr.

Motor der Entwicklung war nicht dasklassische Schriftlatein. Dessen Vorbild, dieüber Jahrhunderte stilbildend wirkende undals Ideal verehrte Kunstprosa Ciceros, wargerade aufgrund ihrer Idealisierung zwangs-läufig konservativ. Alle Veränderungenkonnten hier nur als Verschlechterungenaufgefasst werden. Dies hat der Entwick-lung und Ausdifferenzierung der romani-schen Sprachen Vorschub geleistet. Wäh-rend das Lateinische als Sprache in Kunst,Literatur und religiösem Kultus stagnierte,lag der Herd der Veränderungen in dem alsdegeneriert gebrandmarkten Gebrauchsla-tein, in der Forschung gemeinhin als „Vul-gärlatein“ bezeichnet.4

Variationen

Wie die meisten Linguisten annehmen, wardas Vulgärlateinische keine einheitlicheSprache, sondern variierte nach verschie-denen Kriterien:

Diatopische (d. h. regionale) Unterschiede:Ebenso wie Bayern, Sachsen und Schleswig-Holsteiner in Deutschland sehr unter-

Um die Vorteilevon Lateinkennt-nissen für dasErlernen romani-scher Sprachenwirksam zumachen, genügtes nicht, dies zu postulieren, manmuss es auch im Unterricht thematisieren

Motor der Sprachent-wicklung warnicht das klassische Schriftlatein,sondern das„Vulgärlatein“

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BASISARTIKEL

Vulgärlateinbezeichnet keine

einheitliche Sprache, sondernweist je nach Ort,

Zeit und Milieuerhebliche

Unterschiede auf

schiedlich sprechen, war auch das gespro-chene Latein der Stadt Rom ein anderes alsschon 100 km weiter nördlich.

Diastratische (d. h. soziale) Unterschiede:Der gebildete Stadtrömer sprach anders alssein Sklave, und er sprach auch anders alsdas Gros der Soldaten und Kaufleute, diedie Romanisierung der eroberten Landstri-che im täglichen Umgang mit der ansässi-gen Bevölkerung sicher effektiver reali-sierten als die sprachlich gebildeterenrömischen Verwaltungsbeamten.

Diachronische (d. h. zeitliche) Unterschie-de: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut,und auch die lateinische Sprache hat vom6. vorchristlichen Jahrhundert (erste Belege)bis zum 8. Jh. n. Chr. bedeutende Verän-derungen durchgemacht. Die zeitlicheSpanne ist weiter als die von unserem heu-tigen Deutsch zum Mittelhochdeutschen,

der Sprache Walthers von der Vogelweideund Wolframs von Eschenbach. Aber auchwenn man nur die für die Entstehung derromanischen Sprachen relevante Zeit-spanne der Ausdehnung des römischen Rei-ches betrachtet, kommt man schon aufeinen zeitlichen Abstand von 350 Jahrenzwischen der Eroberung der ersten Provinz(Sizilien, 241 v. Chr.) und der letzten (Daki-en, 107 n. Chr.). Denkt man sich im Deut-schen 350 Jahre zurück, dann gelangt manin die Zeit Grimmelshausens, Opitz' undGryphius'; man bekommt so einen Ein-druck davon, was ein paar hundert Jahre füreine Sprache bedeuten können.

Unterschiedliche Kontaktsprachen: Dazukommt, dass das gesprochene Latein beiseiner Verbreitung auf verschiedene Spra-chen stieß, in Hispania z. B. auf das Iberi-sche, das Keltische und weitere regionaloder lokal verbreitete Sprachen. Die Spre-cher dieser Sprachen eigneten sich all-mählich das Lateinische der Eroberer alsihre Umgangssprache an, prägten sie abergleichzeitig mit. Auch im Deutschen kannman ja an der Aussprache, der Syntax, mit-unter auch am Wortschatz eines Auslän-ders oft erkennen, woher er kommt. Ähn-lich muss man sich die Auswirkungen derso genannten „Substratsprachen“ auf dieSprache der Eroberer vorstellen. Um beimBeispiel Spanisch zu bleiben: Typisch keltisch (und daher auch in Gallien zubeobachten) ist die so genannte „keltischeLenition“, die Sonorisierung der intervo-kalischen Verschlusslaute -p-, -t-, -k- zu -b-,-d-, -g- (z. B. amica > amiga, im Franzö-sischen schließlich ganz geschwunden:amie).

Merkmale

Bei allen Unterschieden gibt es selbstver-ständlich auch allgemeine Charakteristikades Vulgärlateins. Hier seien nur einigewesentliche Merkmale vorgestellt, die inden heutigen romanischen Sprachen fort-leben (vgl. Kästen 1, 3–5).

Phonologie: Das Vokalsystem des klassi-schen Lateins war gekennzeichnet durchQuantitäten, also durch die Opposition lan-ger und kurzer Vokale, die auch bedeu-tungsunterscheidende Funktion haben

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Kennzeichen romanischer Sprachen

im Vergleich mit dem Lateinischen und untereinander

Typisch Romanisch

Italienisch und Sardisch stehen dem Lateinischen am nächsten, das Französische hat sich am weitesten von ihmentfernt. Allgemeine Charakteristika sind:

Phonologie:– durch Qualitäten bestimmtes Vokalsystem im Gegensatz

zu dem durch Quantitäten bestimmten lateinischenVokalsystem

Morphologie:– Kasusmarkierung fast ausschließlich durch Präposi-

tionen (de, à/a, en/in etc.)– im Verbalsystem Tendenz weg von dem lateinischen

synthetischen Flexionssystem hin zur analytischen Flexi-on, v. a. im Passiv (z. B. lat. amabatur, frz. il était aimé)

Lexik:– bestimmter und unbestimmter Artikel– kein Neutrum bei den Substantiven (außer Rumänisch)

Syntax:– wegen der fehlenden Deklinationsendungen recht fest-

gelegte Wortstellung Subjekt – Prädikat – Objekt statt derrelativ freien Wortstellung im Lateinischen

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konnten (z. B. pópulus – Volk vs. pøpulus –Pappel; légit – er liest vs. l∑git – er hat gele-sen/er las). Im Laufe der Jahrhunderte wur-de dieses System grundlegend verändert:Nicht mehr die Länge eines Vokals war vonBedeutung, sondern seine Betonung. Zu-dem näherte sich die Aussprache mancherVokalvarianten einander an, so dass vonden zehn relevanten Vokalen im klassi-schen Latein nur noch sieben übrig blieben.Die Sprachwissenschaft spricht hier von„Quantitätenkollaps“ (Kasten 2).

Morphologie: Das ausdifferenzierte Dekli-nationssystem des klassischen Lateins wur-de radikal vereinfacht, da viele Sprecher esnicht beherrschten. Sie hatten damals die-selben Schwierigkeiten wie mancherLateinschüler heute: So ist beispielsweisedie Mehrzahl der Substantive auf -us mas-kulin mit Genitiv auf -i. Wozu also dielästigen Ausnahmen wie beispielsweisevirus als Neutrum, oder domus als Femi-ninum, das zu allem Überfluss den Genitivauf -us bildet? Solche Fälle wurden nivel-liert. Ähnliches gilt für das komplexeKasussystem, das zudem viele mehrdeuti-ge Morpheme enthält. Die Kasus wurdenimmer weniger durch Deklinationsendun-gen, dafür zunehmend mit Hilfe von Prä-positionen markiert (z. B. de: Genitiv).

Auch das Verbalsystem blieb nichtunangetastet. Verschiedene Änderungen inden Aussprachegewohnheiten führten dazu,dass amabit und amavit ebenso wenigunterscheidbar waren wie legit und leget.Futurformen waren also in der gesproche-nen Sprache nicht mehr eindeutig erkenn-bar, so dass Ersatzformen notwendig wur-den. Man behalf sich mit der Kombinationaus Infinitiv und einer konjugierten Formvon habere, z. B. scribere habeo. Mit dieseranalytischen Bildung war der Vorläufer fürdie Futurformen in den romanischen Spra-chen geboren (frz. écrir-ai, it. scriver-ò,span. escribir-é).

Syntax: Auf die schwindende Eindeutigkeitder Deklinationsendungen zur Kasusmar-kierung wurde schon hingewiesen. Ein wei-terer Grund dafür war auch der häufigeWegfall der bedeutungsunterscheidendenEndkonsonanten -m und -s in der Aus-sprache, die eine Unterscheidung von

Nominativ und Akkusativ unmöglichmachte. Die Sätze filius amat feminam undfilium amat femina hörten sich also iden-tisch an (filiu amat femina) und warennicht eindeutig zu verstehen. Hier fandendie Sprecher die Lösung in der Einengungder relativ freien Wortstellung des klassi-schen Lateins. Das Subjekt hatte seine Posi-tion generell vor dem Objekt, und als übliche Satzstellung etablierte sich die Rei-henfolge Subjekt – Prädikat – Objekt, sowie es in den romanischen Sprachen heutedie Regel ist.

Quellen

Verglichen mit der lateinischen Hochspra-che, die aus vielen Jahrhunderten in zahl-reichen Texten überliefert ist, ist die Quel-lenlage des Vulgärlateinischen prekär. Daskann kaum anders sein, denn es ist ja gera-de ein Wesenszug der Umgangssprache,dass sie nicht schriftlich fixiert ist, sonderndem ephemeren mündlichen Gebrauchdient. Man kann acht Arten von Quellenunterscheiden (vgl. VÄÄNÄNEN, 14–20).

Literarische Texte: Bei bestimmten Text-sorten schmiedeten die klassischen Auto-ren ihre Prosa weniger kunstvoll als sie esin ihren großen Werken zu tun pflegten; einBeispiel sind Ciceros Briefe an seine Freun-de und seine Familie. Als passionierter undroutinierter Briefschreiber passt Cicero sei-nen Schreibstil Anlass und Empfänger an.5

Private Korrespondenz erledigt er plebeiosermone und cotidianis verbis (fam. 9,21,1).Als typisch vulgärlateinische Elemente sindetwa Komposita zu nennen, die gebräuch-liche Wörter verstärken oder abschwächen(sub-odiosus; per-scribere, Att. 1,5). AuchDiminutiva (litterulae, febricula [> febris],Att. 12,1), die Cicero häufig verwendet,sind volkssprachliche Charakteristika, und

Entsprechend seinem münd-lichen Charaktergibt es für dasVulgärlateinischenur wenigeschriftliche Quellen

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BASISARTIKEL

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„Quantitätenkollaps“

a a

a

e e

e i

o o u

o

u

uo

Verbreitung

romanischer

Sprachen heute

In den literarischen

Werken klassischer

Autoren dienenumgangssprach-

liche Elementeals künstlerisches

Mittel

viele Wörter der romanischen Sprachenhaben sich aus Diminutivformen ent-wickelt (z. B. apis < apicula < abeille, frz. /abeja, span.). Saloppe Ausdrücke, wie gar-rire (schwatzen) statt colloqui oder buccastatt os (Att. 12,1,2; cf. frz. bouche, ital.bocca, span. boca) sind ebenfalls typisch fürdie Umgangssprache (vgl. dt. [be-]quat-schen; Mundwerk oder Schnute). Auchmorphologische Vulgarismen erscheinen –wenn auch selten – in Ciceros Briefen, z. B.habet promulgatum statt promulgavit (Att.1,18,5). Aus solchen analytischen Formenentstehen später die Perfektformen derromanischen Sprachen (z. B. frz. j´ai parlé,it. ho parlato, span. he hablado).

Andere Autoren lassen in ihren WerkenPersonen niederen Standes auftreten, diedurch ihre Sprache charakterisiert werden.In den Komödien des Plautus verwendendie Protagonisten immer wieder das Wortfabulari statt des klassischen dicere bzw.loqui; im spanischen hablar und im por-tugiesischen falar lebt dieses Wort weiter.Bei Petron, besonders in der Cena Trimal-chionis, sprechen neben dem Gastgeberauch ein Teil seiner Gäste – Freigelasseneund Sklaven – so, dass sie einen Einblick indie gesprochene Sprache unterer Schichtenim Mittelitalien des 1. Jh.s vermitteln.Interessant ist vor allem der Status quo des

lexikalischen Sprachwandels, der wichtigeSchritte auf dem Weg zu den romanischenSprachen manifestiert. So hat z. B. klass.flere bereits starke Konkurrenz durch plan-gere (cf. it. piangere) und plorare (cf. frz.pleurer, span. llorar); statt vir gelangt fastnur noch homo (frz. homme, ital. uomo,span. hombre) zur Verwendung; für „essen“wird statt des Simplex esse bzw. edere häu-fig das durch Suffix verstärkte comesse (cf.span. comer) oder das plastischere mandu-care (Intensivum von mandere, kauen, cf.frz. manger, ital. mangiare) verwendet.

Für alle literarischen Werke aber giltwohl, dass die klassischen Autoren die„vulgäre“ Umgangssprache nicht im Ori-ginalton in ihre Werke übernahmen, da diesihrem künstlerischen Anspruch zuwider-gelaufen wäre. Kruder Realismus ist Sacheder literarischen Moderne.

Fachliteratur: Sachbücher wurden zumeinen oft von literarisch nicht besondersgebildeten Autoren verfasst und waren zumanderen als Gebrauchsliteratur stilistischweniger ambitioniert. Dies gilt etwa fürTraktate über die Architektur (Vitruv, 1. Jh.v. Chr.), den Ackerbau (Varro, 1. Jh. v. Chr.,Columella, 1. Jh.), über Medizin (z. B. Mar-cellus Empiricus, de medicamentis; Mulo-medicina Chironis, ein griechisches Werk,

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Romanische Sprachen als Muttersprachen Romanische Sprachen als Amts- und Verkehrssprachen

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das Vegetius im 4. Jh. übersetzte) oderKochkunst (Apicius, De re coquinaria, um400). Viele dieser Werke sind die einzigeBelegquelle für alltagssprachliche lateini-sche Wörter, die in den romanischen Spra-chen fortleben.

Christliche Literatur: Unter diese Kategoriefallen die ersten Bibelübersetzungen (Vetuslatina) und auch die als Vulgata bekannteBibelübersetzung des Hieronymus vomEnde des 4. Jh.s. Sie verwenden bewussteine volksnahe – aber nicht fehlerhafte –Sprache, um den christlichen Verkündi-gungsauftrag auch beim einfachen Volkerfüllen zu können. Augustinus hatte dieFormel ausgegeben: Melius est reprehen-dant nos grammatici quam non intelligantpopuli.

Eine besonders interessante Quelle istdie als Peregrinatio Aetheriae oder Iti-nerarium Egeriae bekannte Reisebeschrei-bung einer Pilgerfahrt ins Heilige Land, ver-fasst von einer vermutlich aus Galizienoder Aquitanien stammenden Nonne vor-nehmer Herkunft. Dieser Bericht wirdgemeinhin auf das Ende des 4. Jh.s datiert.In Aetherias Text finden sich viele vulgär-lateinische Phänomene, die in den roma-nischen Sprachen fortleben (Kasten 6).6

Inschriften: Offizielle Inschriften enthalten– von wenigen Ausnahmen abgesehen (cf.Schlösser 2001, 27) – kaum vulgärlateini-sche Spuren. Private Inschriften dagegen,seien es Graffiti, „Toilettenpoesie“ oderGrabinschriften einfacherer Leute, bietenreichlich Anschauungsmaterial für die Spra-che des Volkes. Der schreckliche UntergangPompejis und Herculaneums erweist sichdabei – horribile dictu – als Glücksfall fürdie Philologie, denn dadurch sind tausendesolcher Inschriften erhalten, die auch noch(mithilfe eines terminus ante quem) datier-bar sind. Eine besondere Art der Inschriftensind die als defixionum tabellae bezeich-neten Verwünschungs- und Wunschtäfel-chen mit Zaubersprüchen und magischenTexten, auf denen man Feinde und Rivalenverfluchte oder um die brennende Liebe derAngebeteten bat.

Glossare: Die frühen Glossare sind vonSprachgelehrten zu unterschiedlichen

Zwecken zusammengestellte Wortlisten.Die so genannte Appendix Probi, die wohlAnfang des 4. Jh.s entstand, kontrastierte„guten“ mit „schlechtem“ Sprachgebrauch.Sie enthält 227 gebrandmarkte Vulgaris-men, denen die als korrekt empfohle-nen Ausdrücke vorangestellt werden (z. B.:mensa non mesa, auctor non autor, aurisnon oricla). Häufig sind es gerade die geta-delten Formen, die in den romanischenSprachen weiterleben; z. B. viridis non vir-dis, cf. frz. vert, ital./span./port. verde).Andere Glossare, etwa die ReichenauerGlossen (Nordfrankreich, Ende des 8. Jh.s),erklären Wörter oder Wortgefüge aus derBibel (Vulgata), die der Verfasser des Glos-sars als schwer verständlich oder erläute-rungsbedürftig einstufte.

Christliche Auto-ren verwendenhäufig ein bewusst volksnahes Latein

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BASISARTIKEL

Typisch Spanisch

Phonologie:– f > h (FILIUM > hijo)– Palatalisierung von ct > ch (NOCTEM > noche)– palatale Liquida: cl > ll (CLAMARE > llamar)– Diphthongierung von betontem e bzw. o (TERRA > tierra,

PONTEM > puente)– velare Reibelaute (Aussprache des j z. B. in naranja)– interdentale Spiranten (Aussprache des z z. B. in zumo)

Lexik:– starker Einfluss des Arabischen durch intensiven Kultur-

und Sprachkontakt während der maurischen Herrschaft (sogenannte Reconquista, 711–1492) (azúcar, almohada, alcal-de, …)

– zwei Verben mit unterschiedlichem Bedeutungsumfang fürsein: ser und estar (auch im Portugiesischen)

Morphologie:– stark flektierendes Verbalsystem, vergleichsweise wenige

analytisch gebildete Tempora– starke Neigung zu Diminutiven (z. B. für das Maskulinum

-ito, -ico, -itico, -cito, -illo)– Plural des unbestimmten Artikels (un libro – unos libros;

auch im Portugiesischen)– neutraler Artikel lo, der vor substantivierten Adjektiven ver-

wendet wird (lo bueno – das Gute)

Syntax:– präpositionaler Akkusativ bei Personen (quiero a Juan; ähn-

lich im Rumänischen)– Doppelung von Pronomina (la vi a ella)

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Auch im Deutschen sind

viele Wörter ausdem Lateinischen

entlehnt

Frühmittelalterliche Texte: Für das Vul-gärlateinische interessant sind Texte derGeschichtsschreibung, Gesetzessammlun-gen, Urkunden etc. Bischof Gregor vonTours etwa mit seiner Historia Francorum(6. Jh.) und Fredegar, der Verfasser derAnschluss-Chronik, müssen sich den Vor-wurf gefallen lassen, des Hochlateins nichtmächtig gewesen zu sein.

Entlehnungen lateinischer Wörter in nicht-romanische Sprachen: In Deutschland le-ben wir in der Romania submersa oder der„verlorenen Romania“. So bezeichnet dieSprachwissenschaft Gebiete, die von denRömern zwar erobert, aber nicht nachhaltigromanisiert wurden, wie eben Germanien.Auch hier haben sich Spuren der latei-nischen Sprache erhalten. Sie erlauben mit-unter Rückschlüsse vor allem auf phone-tische und lexikalische Sachverhalte, zudenen die erhaltenen schriftlichen Quellenkeine Auskünfte geben. Ein Beispiel ist dieAussprache von c vor e oder i. Aus denschon vor dem 5. Jh. belegten lateinischenLehnwörtern im Deutschen Keller (< cel-larium) oder Kiste (< cista) kann manschließen, dass die velare Aussprache [k]die ältere Variante und der Wandel zur

palatalisierten Aussprache, wie er sich inspäter entlehnten Wörtern (Zelle < cella)und in den romanischen Sprachen manife-stiert, jüngeren Datums ist.

Romanische Sprachen: Auf Grund derbekannten Regelmäßigkeiten (Lautgesetzeist ein zu rigoristischer Begriff), mit denensich Wörter der romanischen Sprachen ausdem Latein entwickelt haben, können vul-gärlateinische Wörter rekonstruiert werden,die sicher existiert haben, aber nicht schrift-lich belegt sind. Je zahlreicher die romani-schen Sprachen sind, in denen ein vul-gärlateinisches Wort fortlebt, als destogesicherter kann seine Rekonstruktion gel-ten. Ein Beispiel: Aus frz. charogne, prov.caronha, it. carogna (jedoch: span. caroñaist aus dem Italienischen entlehnt!) hatman eine lateinische Ausgangsform*CARONIA bzw. *CARONEA (zu lat.caro) rekonstruiert, die, solange sich keinBeleg findet, als Hypothese zu gelten hat(und mit einem Stern markiert wird).

Didaktische Überlegungen

Dass Lateinkenntnisse hilfreich sind beimErlernen romanischer Sprachen, wird gerneals Argument für den Lateinunterrichtgebraucht. Dahinter verbergen sich zweiForderungen, die bisher kaum eingelöstwerden: Zum einen müssen die Brückenvon Latein zu den anderen romanischenSprachen für die Schüler sichtbar gemachtwerden, damit sie sie überhaupt nutzenkönnen.7 Zum anderen gilt umgekehrt,dass Kenntnisse in romanischen Sprachenbeim Erlernen des Lateinischen helfen. Somacht es mnemotechnisch keinen Unter-schied, ob das lateinische Wort libertas alsHilfe beim Erlernen von liberté, libertadbzw. libertà dient oder umgekehrt. Einefächerverbindende Arbeitsweise zwischenLatein und dem neusprachlichen Unter-richt romanischer Sprachen ist folglichgeradezu geboten. De facto ist es aber wohlso, dass die Schüler über den langen Wegvom lateinischen Ursprungswort hin zummodernen romanischen Wort wenig erfah-ren: Im Französisch-, Italienisch- oder Spa-nischunterricht werden ältere Sprachstufennur in den seltensten Fällen thematisiert,was man durchaus als Versäumnis – nicht

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Typisch Italienisch

Phonologie:– starke Tendenz zu Doppellauten (Gemination)– Verstummen der lat. Auslautkonsonanten (DORMIS > dor-

mi), daher viele vokalisch auslautende Wörter– Bewahrung der intervokalischen stimmlosen Verschluss-

laute (VITA > la vita, vgl. span. la vida, frz. la vie)– Bewahrung der im Lateinischen unbetonten Paenultima

(vorletzte Silbe) in vielen Wörtern, z. B.: SAECULUM > seco-lo (statt frz. siècle, span. siglo); MIRACULUM > miracolo(statt frz. miracle, span. milagro)

– insgesamt große Nähe zum Lateinischen

Morphologie:– teilweise Erhalt des Deklinationssystems (la casa – le case)– starke Neigung zu Diminutiven (z. B. für das Maskulinum

-ino, -etto, -ello, -cello, -cino)

Syntax:– relativ freie Wortstellung– redundanter Gebrauch von Pronomen in best. Fällen

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zuletzt der entsprechenden Lehrpläne8 –ansehen kann. Ebenso wenig haben ver-schiedene Entwicklungsstufen des Latei-nischen einen festen Platz im Lateinun-terricht. Zwar werden spätantike odermittelalterliche Texte im Unterricht gele-sen, hinsichtlich ihrer Bedeutung für dieEntwicklung vom Lateinischen zum Roma-nischen werden sie aber, so darf man wohlannehmen, selten analysiert.

Brücken sichtbar machen

Prinzipiell eignen sich alle oben erwähntenTexte zur Arbeit im Unterricht. Man kannallerdings nicht erwarten, dass die Schülerdarin völlig selbstständig Spuren entdecken,die auf romanische Sprachen vorausweisen.Literarische Werke, die dazu auf den erstenBlick geeignet erscheinen, wie die CenaTrimalchionis oder eine Komödie, über-fordern die Schüler. Sie haben zu wenigLektüreerfahrung im Lateinischen, als dasssie beurteilen könnten, ob etwa eine gram-matische Konstruktion, die ihnen unge-wöhnlich vorkommt, auch tatsächlichungewöhnlich ist. Grammatische Fehler,die über grobe Kasusschnitzer hinausgehen,fallen ihnen womöglich nicht einmal auf,und unbekannte Wörter – wie z. B. das beiPetron gern verwendete plorare – „weinen“– finden sie im Wörterbuch übersetzt, ohnedass es ihnen möglich wäre festzustellen,ob es sich um ein Wort der klassischenHochsprache handelt oder nicht.

Ohne Hilfestellungen wird es also nichtgehen. Man kann den Schülern eine aus-gewählte Textpassage vorlegen, sie – jenach sprachlichem Schwierigkeitsgrad undLernstand der Schüler – übersetzen lassenoder die Übersetzung gleich mitliefern unddann gezielt auf entsprechende syntakti-sche, lexikalische und morphologische Phä-nomene hinweisen. Eine andere Möglich-keit ist, den Schülern Phänomene ausverschiedenen romanischen Sprachen vor-zugeben, deren Vorläufer sie in einemihnen vorliegenden lateinischen Textsuchen sollen; wegen seiner Fülle an ent-sprechenden Belegstellen bietet sich hierdas Itinerarium Aetheriae an (Kasten 6).

Für selbstständige, entdeckende Bear-beitung durch die Schüler eignen sich dage-gen in sich abgeschlossene kurze Texte mitbescheidenem inhaltlichen Anspruch (In-

schriften, Zaubersprüche; Straßburger Ei-de9) oder die Glossen, die keinen Textzu-sammenhang konstituieren und den Blickauf das Wesentliche, nämlich die Unter-schiede zwischen den beiden jeweilsgegenübergestellten Formen, freigeben. Ver-gleiche können, je nach Material, auf allenGebieten der sprachlichen Phänomeneangestellt werden: Phonologie, Morpholo-gie, Lexik und Syntax.10

Gewissermaßen aus der Gegenrichtungkommend, kann man auch in den moder-nen Fremdsprachen verfasste Texte ein-setzen, um an ihnen einerseits die Ver-wandtschaft zum Latein zu demonstrierenund andererseits den Schülern zu vermit-teln, wie sehr ihnen ihre Lateinkenntnissezum Verständnis dieser Texte nützen. FürSchüler dürfte das besonders reizvoll sein,weil Inhalt und Sprache ihrem (weiteren)Lebensumfeld entnommen sind. Sie lernen,die Spuren der Antike darin zu lesen undsich besser in der Gegenwart zurechtzu-finden. Diesen Weg beschreiten die Auto-ren der Praxisbeiträge im vorliegendenHeft.

Die sprach-geschichtlicheBetrachtung lässtsich in beideRichtungen vornehmen, vonder Antike in dieModerne undumgekehrt

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BASISARTIKEL

Typisch Französisch

Phonologie:– Nasalvokale (auch im Portugiesischen)– Liaison– Elision vieler Endkonsonanten (z. B. chant [∫ã], pas [pa], tard

[taR])– Endbetonung der Wörter – Verschmelzung der einzelnen Wörter zu längeren

Wortketten, so genannten mots phonétiques

Morphologie:– starke Tendenz zu analytischer Tempusbildung– in der gesprochenen Sprache Neutralisation von verbalen

Flexionsformen durch die Aussprache ([je] chante, [tu]chantes, [ils] chantent wird identisch ausgesprochen: [∫ãt];daher ist die Verwendung der Personalpronomina obligatorisch)

– in der gesprochenen Sprache keine Unterscheidung der Flexionselemente bei Substantiven und Adjektiven, da das Pluralkennzeichen -s nicht ausgesprochen wird

– Teilungsartikel (je bois du vin)

Syntax:– Fragepartikel est-ce que

5

Einige Latein-lehrbücher

bieten bereitsÜbungen zu

romanischenSprachen. Füreine systema-

tische Betrach-tung bedarf

es jedochausführlicheren

Materials

Voraussetzungen

Bei der praktischen Umsetzung dieser An-regungen sind einige Faktoren zu berück-sichtigen.

Sprachkenntnisse der Lehrer: Um den Wegvon Rom zur Romania im Unterricht zubeschreiten, sind umfangreiche Kenntnissedes Lehrers in einer oder gar mehrerenromanischen Sprachen zwar durchaus vonVorteil, es ist aber nicht zwingend erfor-derlich, die Sprachen aktiv zu beherrschen;rudimentäre Sprachkenntnisse, vor allemder Aussprache, reichen aus. Über einigeBrocken aus dem eigenen Schulunterrichtoder der autodidaktischen sprachlichenUrlaubsvorbereitung verfügt fast jeder. Undwer seine Kenntnisse auffrischen oderGrundlagen einer neuen Sprache erwerbenmöchte, ist gut mit den ersten Lektioneneines Kurses zum Selbststudium bedient.

Unterrichtsmaterial für den Lateinunter-richt: In den modernen Latein-Lehrbücherngibt es im Vokabelteil Verweise auf Wörterlateinischen Ursprungs im Deutschen undEnglischen, allerdings seltener im Franzö-sischen und in anderen romanischen Spra-chen, über die die Schüler i. d. R. noch nichtverfügen. Im Textteil mancher Lehrbücher,bei Salvete etwa unter dem Titel Verba

Latina ubique sunt, werden Übungen zurEntschlüsselung romanischer Wörter undSätze angeboten. Eine solche praxisbezoge-ne Sprachbetrachtung hat den Vorteil, direktan das neu gelernte bzw. zu lernende Lek-tionsvokabular anzuschließen. Der Nutzendes Lateinischen beim Erlernen der roma-nischen Sprachen kann an diesen Stellen imLateinunterricht greifbar werden, zumalerfahrungsgemäß das Schülerinteresse ansolchen „Lebenszeichen“ des Lateins großist.

Für die Systematisierung der lexikali-schen Betrachtungen einerseits und denVergleich syntaktischer Strukturen oderganzer Texte andererseits ist jedoch überdie Lehrbücher hinausgehendes Materialerforderlich, das in vorgefertigter Form nurin geringem Umfang und meist verstreutvorliegt.11 Hier ist zwar zeitaufwändige Pio-nierarbeit gefragt, es bietet sich aber auchdie Möglichkeit, lateinische Texte imUnterricht einzusetzen, die weitab vomüblichen Kanon liegen. Das Internet bietetschier unerschöpfliche Fundgruben, da hierviele Texte bereit liegen, die in gedruckterForm nur schwer zugänglich sind.12

Unterrichtsmaterial für den Unterrichtromanischer Sprachen: Primäres Lernziel inden modernen Fremdsprachen ist nicht die

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(3) in eo ergo loco est nunc ecclesia, non grandis, quo-niam et ipse locus, id est summitas montis, non satisgrandis est, quae tamen ecclesia habet de se gratiamgrandem. (4) cum ergo iubente Deo persubissemus in ipsa sum-mitate et pervenissemus ad hostium ipsius ecclesiae,ecce et occurrit presbyter veniens de monasterio suo, quiipsi ecclesiae deputabatur, senex integer et monachus aprima vita et, ut hic dicunt ascitis – et quid plura? – qua-lis dignus est esse in eo loco. occurrerunt etiam et aliipresbyteri, nec non etiam et omnes monachi, qui ibicommorabantur iuxta montem illum, id est qui tamenaut aetate aut inbeccillitate non fuerunt impediti. […](6) lecto ergo ipso loco omnia de libro Moysi et factaoblatione ordine suo, hac sic communicantibus nobis,iam ut exiremus de ecclesia, dederunt nobis presbyteriloci ipsius eulogias, id est de pomis, quae in ipso mon-te nascuntur. […]

(3) grandis statt magna (vgl. frz. grand, it./sp. grande);ipse in der Bedeutung von ille: schwindende Unter-scheidung der Pronomina. Die überaus häufige Ver-wendung von Demonstrativpronomina belegt derenvulgärlateinische Entwicklung hin zum Artikel; sum-

mitas montis statt z. B. summum cacumen montis oderUmschreibung mit summo in monte(4) persubire ist typisch für Vulgärlateinisch, da Verbasimplicia gerne duch Komposition verstärkt werden;diese Komposita werden wiederum durch weitere Prä-fixe intensiviert (= Dekomposition); hostium (statt osti-um) zeigt den instabilen Status des h im Vulgärlatei-nischen, das bald wegfällt, bald hypertroph verwendetwird; etiam et und nec non etiam et ist charakteristischvulgärlateinische Redundanz zur Verstärkung geläufi-ger, daher „abgenutzter“ Ausdrücke; commorari (Kom-positum) statt morari (Simplex)(6) exiremus de statt ex zeigt de als multifunktionalePräposition, wie sie in den romanischen Sprachen wei-terlebt; de pomis ist partitiver Gebrauch von de, vgl.frz. Teilungsartikel (des pommes)

Itinerarium Aetheriae (Kap. 3; die Pilgerin ist auf dem Berg Sinai angekommen.)

Text unter: http://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost04/Egeria/ege_it03.html6

Sprachreflexion, sondern die Kommunika-tionsfähigkeit13, was den Raum für ver-gleichende Betrachtungen mit dem Latei-nischen auf den ersten Blick stark einengt.Konkrete Hinweise auf Material für denVergleich der modernen romanischen Spra-chen mit dem Lateinischen fehlen in denLehrplänen ebenso wie in den einschlägigenLehrbüchern. Die Lehrer dieser Fächer sindauf eigenes Material angewiesen, wenn sieältere Sprachstufen behandeln wollen.Zudem kreisen die thematischen Festle-gungen in den Lehrplänen um die FelderJugendliche, Frauen, Umwelt, Probleme dermodernen Gesellschaft (z. B. Randgruppen,Konsumverhalten); historische Themen rei-chen in der Regel höchstens bis zum Zwei-ten Weltkrieg zurück. Die Antike jedenfallskommt nicht vor. Viele Themen lassenaber einen Rückgriff auf die Antike ohneweiteres zu: Frauen, Jugendliche und Rand-gruppen etwa hat es auch im alten Romgegeben, und im Lateinunterricht könntenentsprechende Texte parallel gelesen wer-den.

Fächer verbinden: Wie eingangs gezeigt,drängt sich das Fächer verbindende Arbei-ten zwischen Latein und den romanischenSprachen aus inhaltlicher Sicht geradezuauf. Es ist darüber hinaus eine gute Gele-genheit, die häufig festzustellende Rivalitätzwischen beiden Fächern bzw. Fachgruppenin der Schule abzubauen und in interdiszi-plinäre Kooperation umzuwandeln. Nurselten wird man das Glück haben, dassLatein- und Französischkurse personelloder stundenplantechnisch übereinstim-men, so dass eine kontinuierliche fächer-übergreifende Arbeit möglich wäre. Aberoft lassen sich zumindest zeitlich begrenztdie Stunden beider Fächer parallel legen.Wo sich dies nicht erreichen lässt, kannman eine Unterrichtsreihe mit dem Fran-zösisch- oder Spanischkollegen gemeinsamentwerfen, die dann in beiden Fächerngleichzeitig durchgeführt wird.

Ideal ist es, im schulinternen Curricu-lum auf gemeinsamen Vorschlag derzuständigen Fachkonferenzen die Rolle derverschiedenen Sprachen zu definieren. Dar-aus könnte ein umfassendes Mehrspra-chigkeitskonzept resultieren, in dem fest-gelegt wird, wie die Sprachen in ihrer

schulischen Abfolge voneinander profitie-ren und wie ein Fächer verbindendes Arbei-ten zeitlich und organisatorisch ermöglichtwerden soll. Ein Sprachenportfolio, wieetwa das vom Europarat verfasste, könntehier seinen festen Platz erhalten.14

Fazit

In den Köpfen der Schüler gedankliche Ver-netzungen zwischen den Fächern zu schaf-fen, hat evidente Vorteile. Ganz pragma-tisch gesehen, sind es Lernhilfen: el puente,le pont lässt sich leichter lernen, wennpons (m) schon bekannt ist. Aber wennauch pontis bekannt ist, ist leicht zu verste-hen, warum das französische Wort mit -tauslautet, zumal wenn man gleichzeitigetwas über die Regeln der Sprachentwick-lung erfährt. Solches Wissen (und dieAnwendungsbeispiele ließen sich zu Hun-derten vermehren) ist unmittelbar für denLern- und Behaltensprozess nutzbar. Durchden Zuwachs an Erkenntnissen wachsenFreude am Sprachlernen und Sprachgefühl.

Darüber hinaus erschließt die Interdis-ziplinarität eine weitere Dimension. Vor-aussetzung ist, dass es im modernenFremdsprachenunterricht nicht nur um diereine Kommunikationsfähigkeit geht undim Lateinunterricht nicht nur grammati-sche Detailversessenheit vermittelt wird.Der Thesaurus der Kulturen und der Welt-bilder, den die Sprachen in sich bergen,muss erschlossen werden. Das ist einwesentliches Ziel jedes Sprachunterrichtes,und je besser die Sprachen untereinanderzusammenarbeiten, desto effektiver kannes erreicht werden. Dann wird das Funda-ment des viel beschworenen christlichenAbendlandes und eines gemeinsamen Euro-pas für die Schüler erkennbar, so dass es zueinem Teil ihrer persönlichen Identität wer-den kann. ■

Dr. Barbara VerwiebeCarl-Diem-Weg 8D-47803 [email protected]

Literaturhinweise Nachschlagewerke:BUSSMANN, H.: Lexikon der Sprachwissenschaft,Stuttgart 32002 (umfassendes Nachschlagewerk)

Idealerweise entwirft jedeSchule ein Curriculum für ihrSprachangebot,in dem die spezifiche Rolleder einzelnenFächer und ihreZusammenarbeitberücksichtigtsind

Die Zusammen-arbeit der Sprachenfächervermittelt nichtnur Lernhilfen fürVokabeln undGrammatik, sondern auch einbesseres Ver-ständnis kultureller Besonderheiten

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BASISARTIKEL

E

GLÜCK, H. (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache,Stuttgart/Weimar 22000 (umfassendes Nach-schlagewerk)Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL),hrsg. von HOLTUS, G./METZELTIN, M./SCHMITT,C., 8 Bde., Tübingen 1988 ff. (sehr umfangrei-ches, dennoch verständliches Lexikon für diewissenschaftliche Arbeit an der Universität)

Einführungen:RomaniaSCHLÖSSER, R.: Die romanischen Sprachen,München 2001 (für den interessierten Laien ver-fasste, ansprechend geschriebene, solide Über-sichtsdarstellung)TAGLIAVINI, C.: Einführung in die romanischePhilologie, Tübingen/Basel 21998 (Klassiker derEinführungen für die ersten Studiensemestermit Schwerpunkt auf Sprachgeschichte)VOSSEN, C.: Mutter Latein und ihre Töchter.Europas Sprachen und ihre Herkunft, Düssel-dorf 131992 (populärwissenschaftliches, an-schauliches Werk mit vielen Beispielen;Schwerpunkt auf der Darstellung des Lateini-schen von den Anfängen bis heute)FranzösischGECKELER, H./DIETRICH, W.: Einführung in diefranzösische Sprachwissenschaft. Ein Lehr- undArbeitsbuch, Berlin 32003KLARE, J.: Französische Sprachgeschichte, Stutt-gart/Düsseldorf/Leipzig 1998SpanischBERSCHIN, H./FERNANDEZ-SEVILLA, J./FELIXBERGER,J.: Die spanische Sprache. Verbreitung –Geschichte – Struktur, München 32005BOLLÉE, A./NEUMANN-HOLZSCHUH, I.: SpanischeSprachgeschichte, Stuttgart 2003DIETRICH, W./GECKELER, H.: Einführung in diespanische Sprachwissenschaft, Berlin 42004ItalienischDURANTE, M.: Geschichte der italienischenSprache. Von Latein bis heute. Mit einem Vor-und einem Nachwort von Edgar Radtke, Stutt-gart 1993GECKELER, H./KATTENBUSCH, D.: Einführung indie italienische Sprachwissenschaft, Tübingen21992KATTENBUSCH, D.: Grundlagen der italienischenSprachwissenschaft, Regensburg 1999

Anmerkungen1 „Die einzelnen rom. Sprachen sind nicht dieTöchter des Vlt., sondern selbst Vlt., d. h. seineSpielart. Sie sind das Latein von heute.“ VOSSLER,K.: Einführung ins Vulgärlatein, hrsg. und bearb.von H. Schmeck, München 1954, 48. vgl. VÄÄNÄ-NEN, V.: Introduction au latin vulgaire, Paris 31981.2 Lehrplan Gymnasium, Gewichtete Fassung,Latein, Klassen- und Jahrgangsstufen 5–12, hrsg.vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus,Dresden 2001, 7.3 Vgl. Literaturhinweise. 4 Verschiedene Wissenschaftler haben darauf hin-gewiesen, dass der Terminus Vulgärlatein nichtglücklich gewählt ist, weil er zu der Interpretationverleitet, nur ungebildete, „vulgäre“ Sprecher hät-

ten sich dieser Varietät des Lateinischen bedient.Gemeint ist aber das gesprochene Latein oder dielateinische Umgangssprache.5 RÖMISCH, E. (Hrsg.): Cicero und seine Welt. Aus-wahl aus den Briefen. Bd. A. Text, Frankfurt amMain 61989, 11 f.6 Text z.B. unter www.thelatinlibrary.com, dazuLÖFSTEDT, E.: Philologischer Kommentar zurPeregrinatio Aetheriae, Uppsala 1911, NachdruckDarmstadt 1970.7 Vgl. MADER, M.: Berührungspunkte lateinischerund neusprachlicher Wortbildung. Materialien undHinweise für den Unterricht, in: AU 1/1981, 4–14.8 Dennoch wird in den meisten Lehrplänen fürdie modernen Fremdsprachen in mehr oder weni-ger präzisen Formulierungen empfohlen, beimSpracherwerb „Sprachlernerfahrungen im Allge-meinen (alle bis dahin gelernten Sprachen) und imBesonderen (Latein und/oder Französisch, aberauch Englisch) nutzbar“ zu machen (Richtlinienund Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymna-sium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, Spa-nisch, hrsg. vom Ministerium für Schule und Wei-terbildung, Wissenschaft und Forschung des LandesNordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1999, 12).9 Vgl. METZGER, S./LEMPP, U.: Die StraßburgerEide, in: AU 4+5/1995, 110–119.10 Außer in den folgenden Praxisartikeln findensich zum Sprachvergleich eine Fülle methodischerHinweise bei KNITTEL, H.: Latein, eine Brücke zuden romanischen Sprachen. Möglichkeiten einesEinblicks in die romanischen Sprachen im Rahmendes Lateinunterrichts, in: AU 1/1981, 15–38. Sieheauch FISCHBACH, S.: Latein und Französisch. Mög-lichkeiten und Grenzen der Verwendung von Französischkenntnissen im Lateinunterricht, in: AU 1/1981, 51–59.11 Zum Beispiel neuerdings der gelungene Bandvon NAGEL, W.: Latein und romanische Sprachen.Ihre Vernetzung in Unterrichtseinheiten, Auxilia,Bamberg 2003; älter, aber nicht veraltet die AU-Hefte 4+5/1995, 4/1989, 1/1981.12 www.romanistik.de, dort auf Service klicken;hier finden sich Links zu Textdatenbanken, dar-unter: www.thelatinlibrary.com mit lateinischenQuellen vom Zwölftafelgesetz bis zur Neuzeit;www.fh-augsburg.de/~harsch/augustana.html mitlateinischen und romanischen Texten aus ver-schiedenen Epochen.13 Vgl. THIES, S.: Englisch und Latein, in: AU1/2002, 2–12; 9, der ein „Auseinanderwachsenzweier Betrachtungsweisen“ konstatiert: Dermoderne Fremdsprachenunterricht stellt die Kom-munikation ins Zentrum seines Bemühens,während der Lateinunterricht sich von allen Ten-denzen zur aktiven Beherrschung der Sprache (z. B.deutsch-lateinische Übersetzung) verabschiedet.14 Europäisches Portfolio der Sprachen. Heraus-geber: Landesinstitut für Schule und Weiterbil-dung, Paradieser Weg 64, 59494 Soest, 2000. Dortwerden für die modernen Fremdsprachen Kompe-tenzstufen festgelegt, die eine quasi normierte,international verständliche Beschreibung der indi-viduellen Sprachbeherrschung ermöglichen soll. Dadie Kompetenzstufen nicht ohne weiteres auf diealten Sprachen anwendbar sind, müssen sie ent-sprechend angepasst werden; Vorschläge hierzumachen SANTO, S./SANTO, W.: Latein im Spra-chenportfolio? in: www.santones.de/Fundgru-be/daseurop.htm; HILLE-COATES, G.: Der „Gemein-same Europäische Referenzrahmen für Sprachen“und mündliche Leistungsmessung im Lateinun-terricht, in: AU 6/2004, 16–26.

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EINLADUNG ZUR MITARBEIT • EINLADUNG ZUR MITARBEIT • EINLADUNG ZUR MITARBEIT • EIN

VERGIL

Vergil im Unterricht behandeln – in manchen Bundesländern steht es explizit im Lehr-plan, in anderen ist es zumindest ein Wunsch der Kolleginnen und Kollegen. Doch jeweniger Zeit die Stundentafel für eine ausgreifende und intensive Lektüre bietet, destoschwerer fällt es, den dichterischen Aussagen und der künstlerischen Eigenart Vergilshinreichend nachzuspüren und wesentliche Momente seines Werks auf uns selbstund unsere Gegenwart zu beziehen.

In allen Dichtungen Vergils sind neben traditioneller Epik auch lyrische und drama-tische Elemente anzutreffen; mythologische und historische Motive greifen ineinan-der und werden philosophisch vertieft. Zeithistorisches spiegelt sich bereits in der arka-dischen Hirtenwelt der „Bucolica“ wie auch im archaisch anmutenden Landleben der„Georgica“, um schließlich im Mythos von Aeneas, dem trojanischen Ahnherrn derRömer, zu einem die Ober- und Unterwelt verbindenden, die Handlungen von Götternund Menschen gleichermaßen bestimmenden Schicksalsganzen zu verschmelzen.Alle Werke bilden ein spannendes mythisch-historisches Geflecht, geprägt vonGegensätzen zeitlich-räumlicher Ferne und Nähe, Bedrohung und Hoffnung, Schuldund Verpflichtung.

Das Vergil gewidmete AU-Heft 2/2006 soll ein Forum sein für verschiedene (neue)Ansätze der didaktischen Annäherung an das Gesamtwerk: • Haben Sie im Unterricht mit traditionell weniger behandelten Partien der „Aeneis“,

etwa aus der zweiten Werkhälfte, gute Erfahrung gemacht? • Können Sie von neuen Zugängen zu traditionell gut behandelten Partien der

„Aeneis“, z. B. der Dido-Episode, berichten?• Sind Ihnen spannende Diskussionen mit Hilfe von bukolischen Eklogen oder

Abschnitten aus den Georgica-Büchern gelungen? Sodann stets aktuell: • Haben Sie mit Schülerinnen und Schülern interessante Aspekte zu

– Vergils Auseinandersetzung mit griechischen Vorbildern (vor allem Homer) oder zu

– Vergil als „Augusteer“ (pro-augusteisch, anti-augusteisch) erarbeitet? Dann teilen Sie uns bitte Ihre Ideen und Angebote (als kurze Skizze ggf. mit Arbeitsblättern oder anderen Unterrichtsmaterialien) mit: an die Redaktion oder an

Prof. Dr. Peter RiemerBeethovenstr. 60, D-66125 DudweilerE-Mail: [email protected]

P.S.: Ein Autorenmerkblatt finden Sie im Internet unterwww.deraltsprachlicheunterricht.de