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Fachtagung „(Akut) traumatisierte Kinder und Jugendliche in Pädagogik und Jugendhilfe“ Merseburg, 17./18.02.2006 Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ - Aspekte eines pädagogischen Umgangs mit (traumatisierten) Kindern in der Jugendhilfe aus der Praxis des SOS-Kinderdorfes Worpswede (© 2006, Martin Kühn) 1. Vorwort Letztens auf der Autobahn, ein Lied von Santana im Radio. Einige Zeilen daraus, auf Deutsch klingen ungefähr so: „Hey, all ihr Kinder lasst Eure Lichter an, ihr lasst besser Eure Lichter an! Weil da ein Monster unter meinem Bett lebt, das mir ins Ohr flüstert. Da ist ein Engel, eine Hand auf meinem Kopf, er sagt: „Du hast nichts zu befürchten!“ 1 Nichts zu befürchten? - Es geht um Kinder, deren „Monster unter dem Bett“ einfach nicht verschwinden wollen, weil die Zeit halt nicht alle Wunden heilt. Und das Flüstern... - das Flüstern will nicht enden! Vielen dieser Kinder steht kein schützender Engel zur Seite, der ihnen über den Kopf streicht, sie beruhigt und ihnen versichert: „Du hast nichts zu befürchten!“ Sie bleiben allein mit ihrer Angst und dem Flüstern... Ich bin vielen dieser Kinder in den letzten Jahren in der ambulanten und stationären Jugendhilfe begegnet und durfte viel von ihnen lernen. Einige dieser Erkenntnisse möchte ich heute hier mit Ihnen teilen. 2. Aus der Not heraus Wissen und Kompetenz entwickeln Als ich Anfang der 90er Jahre aus dem Studium kam, was im Vergleich zur Praxis auch ein besonderer „sicherer Ort“ ist (!), und mich für das Arbeitsfeld der stationären Jugendhilfe entschied, begegneten mir junge Menschen, die meine eigenen – bis dahin erworbenen – sozialen und fachlichen Kompetenzen auf eine harte Bewährungsprobe stellten. Physische und sexuelle Gewalt - auch untereinander -, Delinquenz und Verweigerung vielfältigster Art, haben mich nicht selten selber an meine Grenzen gebracht, ließen aber auch Neugier, Forscher- und Entdeckerdrang nicht zur Ruhe kommen, Pfade durch diesen pädagogischen Dschungel zu suchen und zu finden... 1

Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

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Page 1: Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

Fachtagung„(Akut) traumatisierte Kinder und Jugendliche

in Pädagogik und Jugendhilfe“Merseburg, 17./18.02.2006

Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“

- Aspekte eines pädagogischen Umgangsmit (traumatisierten) Kindern in der Jugendhilfeaus der Praxis des SOS-Kinderdorfes Worpswede

(© 2006, Martin Kühn)

1. Vorwort

Letztens auf der Autobahn, ein Lied von Santana im Radio. Einige Zeilen daraus, auf Deutsch klingen ungefähr so:

„Hey, all ihr Kinderlasst Eure Lichter an, ihr lasst besser Eure Lichter an!

Weil da ein Monster unter meinem Bett lebt,das mir ins Ohr flüstert.Da ist ein Engel, eine Hand auf meinem Kopf,er sagt: „Du hast nichts zu befürchten!“ 1

Nichts zu befürchten? ­ Es geht um Kinder, deren „Monster unter dem Bett“ einfach nicht verschwinden wollen, weil die Zeit halt nicht alle Wunden heilt. Und das Flüstern... ­ das Flüstern will nicht enden!

Vielen dieser Kinder steht kein schützender Engel zur Seite, der ihnen über den Kopf streicht, sie beruhigt und ihnen versichert: „Du hast nichts zu befürchten!“ Sie bleiben allein mit ihrer Angst und dem Flüstern...

Ich bin vielen dieser Kinder in den letzten Jahren in der ambulanten und stationären Jugendhilfe begegnet und durfte viel von ihnen lernen. Einige dieser Erkenntnisse möchte ich heute hier mit Ihnen teilen.

2. Aus der Not heraus Wissen und Kompetenz entwickeln

Als ich Anfang der 90er Jahre aus dem Studium kam, was im Vergleich zur Praxis auch ein besonderer „sicherer Ort“ ist (!), und mich für das Arbeitsfeld der stationären Jugendhilfe entschied, begegneten mir junge Menschen, die meine eigenen – bis dahin erworbenen – sozialen und fachlichen Kompetenzen auf eine harte Bewährungsprobe stellten. Physische und sexuelle Gewalt ­ auch untereinander ­, Delinquenz und Verweigerung vielfältigster Art, haben mich nicht selten selber an meine Grenzen gebracht, ließen aber auch Neugier, Forscher­ und Entdeckerdrang nicht zur Ruhe kommen, Pfade durch diesen pädagogischen Dschungel zu suchen und zu finden...

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Immer wieder habe ich in der stationären Jugendhilfe jedoch auch eine scheinbare Gesetzmäßigkeit erlebt, die mich mal mehr, mal weniger erstaunt, enttäuscht und manchesmal sogar regelrecht ärgert. Für mich selber hat sie immer eigenes fachliches Scheitern bedeutet. Umso mehr bin ich immer wieder überrascht, wie häufig und selbstverständlich sie im stationären Setting zu sein scheint. Ich nenne sie „Reaktionskette in der Eskalation von Hilfen“. Betroffen davon sind überproportional Kinder und Jugendliche, die keine sozial anerkannten Bewältingungsstrategien für hochgradig belastende biographische Gewalterfahrungen machen konnten. Im folgenden rede ich nur von Kind „XY“, aber jeder und jedem hier fällt bestimmt sofort ein realer Name aus der eigenen Praxis ein:

1. Stufe: Zustand der Überlastung/Überforderung mit Kind „XY“ in der Gruppe:

• [Anmerkung:] Stressige Gruppenatmosphäre, die zu kollektiver Ratlosigkeit bzw. Hilflosigkeit unter den MitarbeiterInnen führt

• [Kommentar:] Die Zunahme an Krankmeldungen kann z.B. dafür ein Indikator sein! Zumindest für Leitung, die nicht selten erst zu spät davon informiert wird...

2. Stufe: Ergebnis von Teambesprechungen: Kind „XY“ braucht dringend Therapie!

• Eine konstruktive Lösung zur Reduzierung der Stressfaktoren im Rahmen des Gruppenlebens kann nicht gefunden werden

• Zunahme der Stresssituationen unter den MitarbeiterInnen

• Gefahr der Blockierung pädagogischen Handelns 

• Die Folge ist eine Delegierung der Prozess­ und Ergebnisverantwortung aus dem pädagogischen Feld heraus nach aussen

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• Es vollzieht sich eine „Mystifizierung der Psychotherapie“ durch pädagogische Fachkräfte, einhergehend mit einer parallel verlaufenden Entwertung der eigenen Fachkompetenzen => zusätzlicher Belastungsfaktor für die PädagogInnen und Ausdruck der Konkurrenz und Hierarchie unter  den helfenden Berufsgruppen!

• Diese „innere Kapitulation der Pädagogik“ führt zu einer Reduktion der pädagogischen Maßnahmen auf das „Notwendige“ wie Aufrechterhaltung des Alltäglichen, usw.

3. Stufe: Trotz therapeutischer Maßnahme kommt es zu keinen wesentlichen Verbesserungen im Gruppenleben mit Kind „XY“:

• Manifestation der Stresskurve im Gruppenalltag auf hohem Niveau

• aber, Umgang, Kontakt und Beziehung zu Kind „XY“ verharren auf niedrigem Niveau

• man kann es nicht anders benennen als „Sackgassen­Pädagogik“... :(

• Ist dies eine „Entzauberung“ psychotherapeutischer Möglichkeiten oder Folge einer fehlenden Koordinierung und Kooperation mit dem pädagogischen Feld?!

• Ist dies Ausdruck einrichtungsinterner „Unterversorgung“ durch fehlende Unterstützung für die MitarbeiterInnen oder unzureichender pädagogischer Professionalität?! 

4. Stufe: Ergebnis der Teambesprechungen: Kind „XY“ ist nicht länger tragbar:

• Einzige scheinbare Lösung: Verweis aus der Einrichtung 

• Endgültige Aufgabe jeglicher pädagogischer Maßnahmen und Interventionen

• Frage: „Wenn nicht mehr tragbar, wie aufgehoben und 'getragen' hat sich dann das Kind vorher in der ganzen Zeit gefühlt?“

• Frage: „Wo liegen die Bruchstellen dieser Jugendhilfemaßnahme, die zum Scheitern führten?“

Unausweichliche Folge: Abbruch der Maßnahme und Wechsel in andere Einrichtung

• Lösung des Problems durch einen „harten Schnitt“

• Sofortige Entlastungswirkung bei den MitarbeiterInnen („Endlich wieder Luft zum Atmen!“)

• allerdings Verunsicherung bei Kindern und Jugendlichen: „Wie lange bin ich tragbar? Wann werfen sie mich raus?“ => grundlegende Irritation innerhalb der Bindungs­ und Beziehungsangebote

• hohe Gefahr einer Wiederholung der Reaktionskette in der Folgeeinrichtung, da in der Vergangenheit keine wirkungsvollen Förderstrategien entwickelt wurden, bei zunehmender Verweigerung bzw. Abkapselung des Kindes/Jugendlichen => „Eskalation der Hilfen“

• Die Verantwortung für diese Schritte werden dem Symptomträger  

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Page 4: Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

zugeschrieben. In den offiziellen Maßnahmenberichten ist vom eskalierenden Wechselspiel „Kind – BetreuerInnen“ selten die Rede. Oder wie W. Jantzen schreibt (2002, S. 34): „(Die paternalistische, heisst  bevormundende pädagogische Praxis) sichert, dass sich ihre wohltätigen Helfer immer dann, wenn ihre Wohltat nicht erwidert wird, selbst als Opfer  fühlen können, indem der andere zur bloßen Natur oder zum kriminellen Subjekt erklärt wird.“ 2

• Notwendige Forderung: Eine kritische Evaluation gescheiterter  Unterbringungen von Kindern oder Jugendlichen in der eigenen Einrichtung,  um Wiederholungen möglichst zu vermeiden

Diese Reaktionskette dürfte vielen hier bekannt sein. Auch auf einen emotional einigermaßen stabilen Jugendlichen hat dieser Prozess tiefgreifende negative Auswirkungen für das eigene Selbstbild und das Verstehen von sozialer Zugehörigkeit. Wieviel dramatischer muss es für Kinder sein, die ihre traumatischen Erfahrungen noch nicht bewältigen konnten? Ja, die dadurch sogar durch ein System, das ihnen eigentlich helfen sollte, zusätzlich erheblich belastet und retraumatisiert werden. Wie schnell kann so ein gutgemeintes Helfersystem so zu einer weiteren Täterstruktur werden oder einfach „another Brick in the Wall / zu einem neuen Stein in der Mauer“ des eigenen Isoliertseins? 

Noch vor einigen Jahren war das Thema „Trauma und Kindheit“ in der pädagogischen Fachliteratur – wenn überhaupt – nur rudimentär vertreten. Explizite Fachliteratur sowie Fortbildungsveranstaltungen dazu fanden sich damals fast ausschließlich im Bereich der Medizin und Psychologie. Und so entstand irgendwann die Frage: Wenn es eine „Traumatherapie“ gibt, warum gibt es dann nicht auch eine „Traumapädagogik“?! Medizinische und psychologische Erkenntnisse mussten also auf das pädagogische Feld übertragen und teilweise auch übersetzt werden. Schliesslich soll doch eigentlich das Wesentliche an Entwicklung zwischen den Therapiestunden, sozusagen in der alltäglichen Umsetzung stattfinden. Und genau dies ist doch ein originärer Auftrag an die Pädagogik in ihren verschiedenen Feldern, u.a. auch in der stationären Jugendhilfe. 

Im Jahr 2002 veröffentlichten Volker Vogt und ich unsere eigenen Diskussionsergebnisse zu dieser Thematik in einem Webprojekt unter „www.traumapaedagogik.de“. Wie groß der Diskussionsbedarf zu diesem Thema war und ist, zeigten die unzähligen Mails, die wir von Fachkräften aus dem ganzen Bundesgebiet erhielten, und die hohen Besucherzahlen der Webseite seit nunmehr fast 4 Jahren.

Aber auch von anderen Seiten entstanden endlich Literatur­ und Fortbildungsangebote zum Thema: Wilma Weiß veröffentlichte ihr wegweisendes und grundlegendes Buch „Philip sucht sein Ich“ 3, es fanden erste Tagungen und Kongresse zum Thema „Trauma & Jugendhilfe“ 4 statt ...und...und...und – endlich kam Bewegung in die Jugendhilfe!

Ich habe eine Reihe dieser Tagungen zum Thema besucht, war aber immer wieder enttäuscht, dass die Vorträge und Workshops immer noch von MedizinerInner und TherapeutInnen dominiert wurden.

Haben PädagogInnen so wenig zu diesem Thema beizutragen? 

Nein, an dieser Stelle muss ich eine Lanze für die PädagogInnen in der Arbeit mit traumatisierten Kindern in Pflegefamilien, Heimen und anderen Jugendhilfeeinrichtungen 

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Page 5: Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

brechen! Diese KollegInnen sind es, die 

• sich Tag für Tag mit den „Besonderheiten“ kindlichen Verhaltens im Traumakontext befassen müssen

• Übertragungen und Gegenübertragungen ständig erkennen und meistern müssen

• immer wieder in der Gefahr sind, in kindliche „Trigger­Fallen“ zu stolpern und die Folgen hinterher zu bewältigen haben

• sich durch diese Praxis einen Fundus an Erfahrungswissen schaffen, der es wert ist, noch intensiver ausgetauscht und vernetzt zu werden

• usw. usf.

Wieso glauben PädagogInnen einfach immer wieder, die Verantwortung für positive Entwicklungserfolge von traumatisierten Kindern und Jugendlichen an MedizinerInnen und (Psycho­)TherapeutInnen abzugeben oder an diese delegieren zu müssen?

Wir tragen in unseren Einrichtungen große Verantwortung und viel Entscheidendes liegt in unserer Hand. Wir sollten unser gewonnenes Wissen und unsere gemachten Erfahrungen noch aktiver in die interdisziplinäre Fachdiskussion einbringen. Wir sollten jede sich bietende Möglichkeit, wie z.B. diese Fachtagung, nutzen, uns auszutauschen und wenn möglich zu vernetzen. Wir müssen immer wieder über den eigenen Tellerrand schauen, um uns und andere noch mehr für das Thema „Trauma und Kindheit“ zu sensibilisieren. Wir müssen Brücken zu anderen Fachdisziplinen schlagen, z.B. dringend auch zum Bildungsbereich (Thema „Trauma und Lernen“), usw. Nur so können wir dem entgegenwirken, dass das Rad an verschiedenen Orten ständig neu erfunden werden muss und der Abbau an personellen und materiellen Ressourcen die eigene fachliche Arbeit mehr und mehr beeinträchtigt...

3. Von der „Traumapädagogik“ zur „Pädagogik des Sicheren Ortes“

Wie bereits erwähnt, haben wir unserem Projekt damals den Arbeitstitel „Traumapädagogik“ gegeben. Mit einiger zeitlichen Distanz erscheint der Begriff heute etwas zwiespältig. Er zeigt nicht deutlich genug, wozu und mit welchem Ziel pädagogisch gewirkt werden soll. Ich möchte daher hier von einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ sprechen, weil damit Rahmenbedingungen und Möglichkeiten angesprochen sind, die den professionellen Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen betreffen.

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Page 6: Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

In der neuesten Ausgabe der „Behindertenpädagogik“ werden von B. Herz drei grundlegende und gesicherte pädagogische Erkenntnisse benannt, die auch für uns hier von zentraler Bedeutung sind:

• Dreh­ und Angelpunkt jeder entwicklungsfördernden sonder­ und sozialpädagogischen Praxis ist der behutsame Aufbau einer vertrauensvollen pädagogischen Beziehung (s.a. Gerspach 1998)

• Traumatisierte Kinder sind nicht ohne Weiteres bereit, zu vertrauen, und haben stattdessen Schutzmechanismen als Überlebensstrategien gegen psychophysische Grenzverletzungen entwickelt (s.a. Stanulla 2004)

• Vertrauensmissbrauch führt in jedem Fall zu höchst unterschiedlichen Formen von Beziehungsstörungen (s.a. Endres/Biermann 2002) 5

Exkurs: Vertrauen

Es fällt auf, dass in jedem dieser drei Grundsätze von „Vertrauen“ die Rede ist. Ich möchte daher an dieser Stelle einen kleinen Exkurs zum Verständnis des Begriffs „Vertrauen“ einschieben:

Das „Wörterbuch der deutschen Sprache“ definiert Vertrauen als „Überzeugung, dass etwas oder jmd. zuverlässig und berechenbar ist“ 6.

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In der „Zeitschrift für Systemische Therapie & Beratung“ hat W. Schwertl unter der Überschrift „Vertrauen wäre gut, aber Kontrolle können wir besser“ 7 einen interessanten Artikel zum Thema „Vertrauen“ veröffentlicht, der sich zwar eher mit der betrieblichen Dienstleistungs­ und Organisationsentwicklung beschäftigt, aber in seinen Grundaussagen ohne weiteres auf das pädagogische Feld der stationären Jugendhilfe übertragbar ist. Einige seiner zentralen Aussagen habe ich an dieser Stelle zusammengefasst und da wo nötig an das pädagogische Arbeitsfeld angepasst:

• „Vertrauen wird oft vorausgesetzt, es wird aber wesentlich relevanter und theoretisch sowie auch praktisch fassbarer, wenn es fehlt.“ (Und dies ist  Ausgangssituation in jeder Fremdunterbringung eines traumatisierten Kindes!)

• „Vertrauen muss als Grundlage für jegliche Kooperation angesehen werden. Sie bildet das Gleitmittel für Kooperation (s.a. Beckert, Metzner et al., 1998).“

• „Vertrauen muss als Kommunikationsleistung und in der Umkehrung als fehlende Kommunikationsleistung verstanden werden.“ (An dieser Stelle bekommt der  pädagogische Dialog  zwischen BetreuerIn und Betreutem grundlegende Bedeutung! „Dialog“ kommt aus dem griechischen: Im Sinne von Zwiegespräch, Wechselrede, <dia> „auseinander“ und <legesthai> „sich unterreden, sich unterhalten“, also im Sinne von „auseinander setzen“ In der Philosophie der antiken Sokratiker diente der Dialog in Form von Rede und Gegenrede zur Abhandlung von Problemen. 

• „Gelingt der Aufbau von Vertrauen nicht, bricht Kommunikation letztlich zusammen und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

• Schwertl macht eine interessante Unterscheidung zwischen Zuversicht (confidence), Vertrauen (trust) und Vertrautheit (s.a. Luhmann, 1989):

Ohne Vertrauen  Zuversicht  Vertrauen  Vertrautheit

• Keine Handlungs­fähigkeit

• Schwere Lebensbeein­trächtigung

• Bejahung trotz Risiko ohne Alternative

• Bei Bestätigung Wechsel zu Vertrauen möglich

• Alternativen vorhanden

• Gewählte Lösung wird als wenig risikohaft bewertet

• Zustimmung

• Unvermeid­bare Tat­sachen

• Lebensnot­wendig, benötigt keinerlei Reflexion

• Ubiquitäre Erscheinung

• „Versuche, Vertrauen (wieder)herzustellen oder zu erhalten unterliegen bestimmten Konstruktionsregeln.“ (Und diese Konstruktionsregeln gilt es in unserer täglichen Arbeit zu beachten! Dazu gehören u.a.:)

• „Wir können mit anderen nur reden, aber nicht mit ihnen denken und genau darin, im Denken ist Vertrauen und Zuversicht beheimatet.“

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• [Positive Bedeutungszuweisungen, d.h. gegenseitiges Verständnis] „werden durch Vertrauen oder Zuversicht geformt. Das bedeutet, Verstehen ist das Ergebnis von Konsensbildung der Beteiligten. Was die angesprochene Person versteht, ist von der sprechenden Person nicht kontrollierbar. Dies wird bestimmt von dem, was vorher gesagt worden ist und davon, was die verstehende Person wie aufnimmt und wie bewertet.“

• „Die Entscheidung, ob Vertrauen gewährt wird ist nicht verhandelbar. Eine Steuerung der Kodierung eines anderen Systems ist nicht möglich, da Systeme bezüglich ihrer Operationen von außen nicht steuerbar sind (s.a. Maturana und Varela, 1987). In diesem Sinne ist auch das Vertrauen anderer nicht steuerbar und nicht durch Kommunikation erzwingbar oder anders erwerbbar.“

• „Professionelle Tätigkeiten, die sich nur durch Kommunikationsleistungen manifestieren können (z.B. Beratung oder auch Betreuungssettings in der Jugendhilfe!), benötigen in Folge auch besondere kommunikative Leistungen (Schwertl, 2001). Diese sind in ihren Anforderungen deutlich von alltäglichen Kommunikationsleistungen abgegrenzt.“ Hierfür sind – wie folgt ­ verschiedene Parameter relevant:

• Dialoge fördern• Den vereinbarten Inhalten verpflichtet sein• Konstruktiv bleiben• Orientierung am Kind als Grundhaltung einnehmen• Differenzen erfolgreich zum Thema machen• Zuversicht und Vertrauen beschützen

• (Besonders diese gerade angesprochenen Differenzen, die uns im Berufsalltag so oft das Leben schwer zu machen scheinen, sind es jedoch, die von erheblicher  Bedeutung für das Kind sind, das Vertrauen entwickeln soll:) „Widerspruchsfähigkeit bedeutet (sehr verkürzt!), dass Lernen ­ d.h. Weiterentwicklung der eigenen Ideen ­ aus Widersprüchen, mit denen man sich auseinandersetzen muss, erfolgt. Wird ein solcher Widerspruch durch nicht widerspruchsfähige Aussagen vermieden, ist lernen nicht möglich (Häder & Häder, 2000).“

• „Die Organisation von Vertrauen beginnt mit dem konsequenten Versuch, von den Interessen des Kindes aus zu denken. Dies bedeutet, die Startoperation nicht bei sich (Ich denke, das Kind braucht...), sondern beim Kind zu beginnen (Das Kind sagt: „Meine Interessen sind...“).“

• „Die Perspektive des Kindes einnehmen heißt, seine Interessen, seine Haltungen (soweit sie von Belang sind) zum Inhalt von Kommunikation zu machen.“

• „Im Dialog müssen Zweideutigkeit und Aufweichungen unbedingt vermieden werden. Die Folge wären schnell der Verdacht der Wortbrüchigkeit und damit Entzug von Vertrauen.“

• „Wir fragen zu oft, was richtig ist und zu selten, was hilfreich ist.“ (W. Schwertl)

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4. Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“

In unserer Arbeit begegnen wir jungen Menschen, die ohne Vertrauen – erst recht zu uns ­ sind. Ziel unserer täglichen Bestrebungen ist es, Zuversicht bei ihnen zu wecken, um letztendlich Vertrauen zu schaffen. Vertrauen wieder in sich selbst, ihre Wachstums­ und Entwicklungsmöglichkeiten, sowie zu Gleichaltrigen und natürlich auch Erwachsenen.

Nicht jedes Kind in der stationären Jugendhilfe ist traumatisiert, aber der Großteil der Kinder in unserer Einrichtung musste schon in jungen Jahren traumatische Erfahrungen der unterschiedlichsten Formen erleiden. Und eine nicht unerhebliche Zahl dieser Kinder oder Jugendlichen haben diese bislang nicht bewältigen können.

Wollen wir das Vertrauen der von uns betreuten Kindern und Jugendlichen, dann brauchen diese vor allem „Sicherheit“! 

• Sicherheit in Beziehung zum Herkunftssystem

• Sicherheit in der Einrichtung

• Sicherheit in Bezug auf ihr sozialen Umfeld

PädagogInnen sind also sozusagen „Sicherheitsbeauftragte“! :)

Im Folgenden möchte ich einige dieser Entwicklungs­ und Diskussionsergebnisse vorstellen. Ich weise jedoch darauf hin, dass wir in unserer Einrichtung keineswegs am Ende dieses Prozesses angekommen sind. Unser Handeln bewegt sich auch heute noch immer im Spannungsfeld von Werden und Sein. Dies wird auch m.E. so bleiben...

4.1. Baustein „Aufnahme“

Die Aufnahme in der stationären Jugendhilfe stellt an sich einen Vorgang dar, der für die beteiligten Kinder, aber auch ihr Herkunftssystem, als hochgradig belastend, wenn nicht als traumatisierend verstanden werden muss 8. So verdient der Beginn einer Jugendhilfemaßnahme besondere Beachtung:

• Standartisiertes Aufnahmeverfahren: Wer ist wann, wozu zuständig?

• Beteiligung von Team, Fachdienst und Leitung: Verschiedene Aufgaben brauchen verschiedene Rollen!

• „Kinderpatenschaften“: gleichaltrige Kinder oder Jugendliche fungieren als „PatInnen“ für die ersten Tage/Wochen, um dem/der „Neuen“ wichtige Informationen unter Gleichaltrigen zur Verfügung zu stellen

• Übergabe der Eltern­, bzw. Kindermappe, die als Offene­Blatt­Sammlung später dann auch den Verlauf der Maßnahme für Kind und Eltern dokumentieren soll (Wichtige Infos, Foto und Vorstellung des Teams, Absprachen, Rechte des Kindes, Platz für Bilder und Fotos, Briefe usw.)

Der Gestaltung der ersten Tage für ein „neues“ Kind muss unbedingte Priorität trotz Alltagsgeschäftes eingeräumt werden, um die Aufnahmesituation so deeskalierend wie möglich zu gestalten. 

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4.2. Baustein „Diagnostik“ (im Sinne von Prognostik)

Eine umfassende Diagnostik ist unerlässlich für eine sinnvolle Förderplanung. Sie darf allerdings nicht zum Instrument der Zu­ bzw. Festschreibung auffälliger Verhaltensweisen verkommen. Leider widersprechen dem viel zu viele Kinderakten, die ich im Laufe der letzten Jahre zu Gesicht bekam.

Diagnostik muss immer wieder den Ausgangspunkt für neue, weitere Entwicklungsmöglichkeiten bestimmen, nur dann ist sie hilfreich; Diagnostik muss helfen, das Eigenkonzept des Kindes zu verstehen...

Bitte schauen Sie sich für einen Moment folgende Grafik an:

Es scheint eine sinnvolle Struktur zu geben, auch wenn sie nicht gleich erfassbar ist...

Und hier die „Auflösung“:

Diagnostik – im Sinne von Prognostik ­ macht die kindliche Eigenstruktur begreifbarund kann so Vorschläge für die weitere Entwicklung zur Verfügung stellen! 

Bereits 1987 haben Milani­Comparetti und Roser eine grundlegende Aussage zu diesem Ansatz gemacht:

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• „Wir halten es dagegen für unerläßlich, der Suche nach den positiven Zeichen den Vorrang zu geben, d.h., all das hervorzuheben, was das Kind tun kann, nicht aber der Suche nach seinen Defekten. Es soll der Prognose statt der Diagnose, der Förderung der Normalität statt der Behandlung der Krankheit [bzw. Auffälligkeit!] der Vorrang gegeben werden.“ 9 

Jedes kindliche Verhalten, jede sogenannte „Auffälligkeit“ ist als erworbene Strategie des Kindes zu verstehen, die das Überleben in der Vergangenheit gesichert hat. So ist auch erklärbar, warum solche Verhaltensweisen nicht „weg­erzogen“ werden können. PädagogInnen müssen daher die Sinnhaftigkeit auffälligen Verhaltens eines Kindes innerhalb seines Bewertungssystems verstehen lernen, um ihm im Rahmen des dialogischen Prinzips Verhaltensalternativen vorschlagen zu können. 

Für dieses Verstehen sind diagnostische Konzepte notwendig, wie z.B.:

• Das Konzept der „Rehistorisierende Diagnostik“ (nach W. Jantzen 10):

• „Rehistorisierende Diagnostik geht über das Erklären hinüber zum Verstehen. Indem "Absonderlichkeiten" nicht mehr als Natur der Sache, sondern als ein Ausdruck von Geschichte, als Ergebnisse eines sozialen Austauschprozesses gesehen werden, erkennen wir diese als Variabilitäten menschlicher Entwicklung und als eine Entwicklungsmöglichkeit des Menschen (ganz allgemein) unter sozialen und historischen Bedingungen an. Insofern kann diese allgemein menschliche Entwicklungsmöglichkeit auch zu einer Möglichkeit meiner Selbst werden, unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen. Die "empathische Barriere" (Jantzen) verschwindet, ein empathisches Berührtsein entsteht (Umfassung) ­ dass mir gegenüberstehende Du wird für einen Augenblick zu einer Möglichkeitsform meines Ichs.“ 11 (V. Vogt, 2003)

• Das Konzept der „Zone der nächsten Entwicklung“ (nach L. Wygotski)

• „Was das Kind heute in Zusammenarbeit und unter Anleitung vollbringt, wird es morgen selbständig ausführen können. Und das bedeutet: Indem wir die Möglichkeiten eines Kindes in der Zusammenarbeit ermitteln, bestimmen wir das Gebiet der reifenden geistigen Funktionen, die im allernächsten Entwicklungsstadium sicherlich Früchte tragen und folglich zum realen geistigen Entwicklungsniveau des Kindes werden. Wenn wir also untersuchen, wozu das Kind selbständig fähig ist, untersuchen wir den gestrigen Tag. Erkunden wir jedoch, was das Kind in Zusammenarbeit zu leisten vermag, dann ermitteln wir damit seine morgige Entwicklung."  12 

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• Das Konzept der „Psychologie der persönlichen Konstrukte [PPK]“ (nach G.A. Kelly) 13

• hervorragendes Verfahren einer „Diagnostik des Selbstkonzeptes“: „Wie sieht das Kind sich selbst? Was denkt das Kind über sich und sein soziales Umfeld bzw. zentrale Fragestellungen?“ mit Hilfe des „Repertory Grid“

• Interviewtechnik mit Hilfe eines Skalierungsfragebogen (Beispiel:)

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• Das Interview ergibt einen Einblick in das Werte­ und Beurteilungssystem des Kindes

• Die skalierten Bewertungen werden mit Hilfe spezieller Software 14 ausgewertet und eine Koordinatengrafik erstellt (A...Z=Personen/Elemente, 1...10=Konstrukte [Eigenschaft/Gegensatz]):

• Legt man nach Wiederholung der Befragung die Grafiken wie Folien übereinander, lassen sich Bewegungen, Entwicklungen z.B. im Bezugskoordiantenkreuz abbildbar und sichtbar machen (u.a. persönliche Beziehungen, Vorlieben, Abneigungen, usw.)

Ausserdem bewährt haben sich weitere Ansätze:

• Multisystemischer Risiken­ und Ressourcencheck (Individuell, Familie, soz. Umfeld, Peer­Group, usw.): Welche Stärken und Schwächen sind vorhanden? Was kann genutzt, was muss beachtet werden? (s.a. Henggeler et.al., 1998) 15

• Systematische Verhaltensbeobachtung zur Triggerexploration

4.3. Baustein „Die Arbeit im pädagogischen Feld“

• „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ (Martin Buber)

• „Der Mensch wird zu dem Ich, dessen Du man ihm gewährt.“ (Georg Feuser)

Welches „Du“ bieten wir einem traumatisierten Kind also als Gegenüber an?

Ich möchte noch einmal an den Exkurs zu „Vertrauen“ erinnern. Dort habe ich Schwertl zitiert: „Vertrauen muss als Grundlage für jegliche Kooperation angesehen werden.“ 16 D.h. bevor wir überhaupt in eine pädagogische Zusammenarbeit mit dem Kind eintreten können, muss es eine ­ zumindest entstehende ­ Vertrauensbasis geben. 

Also, vor der Erziehung kommt die Beziehung! 

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4.3.1. Baustein „Dialog“

Und noch einmal: „Vertrauen muss als Kommunikationsleistung und in der Umkehrung als fehlende Kommunikationsleistung verstanden werden.“ 17 In Austausch bzw. Dialog zu kommen geschieht nicht nach Rezept. Hier ist Kreativität gefragt! Oder um noch einmal Milani­Comparetti und Roser zu bemühen 18:

Dialog ist ein offener Prozess, der durch Vorschlag und Gegenvorschlag gestaltet wird. Aber was ist, wenn der Dialog mit einem „besonderen“ Kind nicht gelingt? In einem Lied von Neil Young heisst es: „Before I ever learned to talk, I forgot what to say!“ 19 Manchmal gilt es also erstmal Sprachlosigkeit zu überwinden, gemeinsam Sprechen, Verständigung zu lernen. 

Wie die Bedingungen auch sein mögen: Es ist eine gültige Grundannahme, dass JEDER Mensch 

1. das Bedürfnis nach Gemeinschaft („Ich will nicht allein sein!“) und 

2. das Bedürfnis nach aktiver Aneignung der Welt hat („Ich will lernen!“). 20

Und dafür hat Pädagogik die Rahmenbedingungen zu gestalten.

Um zu verhindern, dass der Dialog sich in einem Reiz­Reaktionszirkel festfährt, der Entwicklung nicht zustande kommen lässt, sondern sich in alltäglichen Machtkämpfen verstrickt, müssen wir die o.g. Konstruktionsregeln zur Kommunikation beachten:

• In meinem Dialogangebot muss ich konsequent die Position des Kindes miteinbeziehen. Gelingt dies nicht, muss ich mein Angebot modifizieren

• Dialog lässt sich nicht erzwingen. Es braucht mal mehr, mal weniger Zeit.

• Widerspruch ist wichtig und keinesfalls als Angriff auf meine Person zu verstehen. Er sichert den kindlichen Lern­ und Entwicklungsprozess. Widerspruch zu unterbinden, bedeutet dem Kind Entwicklung zu verweigern.

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• Widerspruch muss aktiv und ernsthaft zum Thema im Austausch gemacht werden.

• Mein Dialogangebot muss eindeutig und durchschaubar sein

Sprechen wir, Kind und PädagogIn, also dieselbe Sprache? Zeit einmal, selbstkritisch innezuhalten...

4.3.2. Baustein „Partizipation“

O.K., halten wir fest: Kind und PädagogIn sind PartnerInnen in diesem Austauschprozess. Da ist es eine gute Gelegenheit an dieser Stelle über das Thema „Partizipation“ nachzudenken:

Ich möchte Sie auf einen besonderen, themenbezogenen Aspekt aufmerksam machen:

Der US­amerikanische Kinder­ und Jugendpsychiater Dr. Bruce Perry schreibt: „Wenn diesem [einem traumatisierten] Kind Wahl­ oder Kontrollmöglichkeiten bei einer Handlung oder in der Begegnung mit einem Erwachsenen gegeben werden, wird es sich sicherer, wohler fühlen und es wird auf eine 'mündigere / kompetentere' Art und Weise denken und handeln.“ 21 

Partizipation ist also nicht primär die Frage nach Einrichtungsstrukturen: „Gibt es z.B. einen Kinder­ und Jugendrat oder ­parlament, o.ä.?“ Partizipation ist als pädagogische Grundhaltung zu verstehen. Eine Grundhaltung, die es der PädagogIn erst erlaubt, in den bereits beschriebenen Prozess der „Vertrauensbildung“ einzusteigen und diesen mit weiterzuentwickeln. Die partizipative Sichtweise bedeutet für das betreute Kind die Eröffnung eines kreativen Entwicklungsraumes, welcher den belastenden Erfahrungen diametral entgegensteht und somit eine wichtige Grundvoraussetzung auf dem Weg hin zu einer erfolgreichen Traumabewältigung darstellt. Das Kind kann so mehr und mehr die Kontrolle für seine Belange selbst mitübernehmen und ist somit nicht länger äußeren Bedingungen und Anforderungen hilflos ausgeliefert.

Nachweise für dieses Verständnis von Partizipation sind bereits in den Schriften pädagogischer Klassiker zu finden, z.B. bei Makarenko, Aichhorn, Korczak, Redl & Wineman, Bettelheim, u.v.a. Auch wenn dort i.d.R. nicht explizit von traumatisierten Kindern gesprochen wird: Wir befinden uns also in „guter Gesellschaft“ und sollten uns dieser „Wurzeln“ bewusst sein! 

Partizipation ist vielschichtig. Sie beginnt im Face­to­Face­Kontakt, betrifft den Gruppenalltag und hat Auswirkung auf die Gesamteinrichtung. 

Partizipation findet auf verschiedenen Handlungsstufen statt. Für den Umgang mit einem traumatisierten Kind stellen sie sich beispielsweise wie folgt dar:

• Stufe 0 ­ Nicht­Information, Manipulation: 

• für ein traumatisiertes Kind besteht auf dieser Stufe ein erhöhter Gefährdungsfaktor, alte Erfahrungen im neuen Umfeld machen zu müssen

• dem Kind sind Prozesse und Maßnahmen nicht transparent, es erlebt sich den Entscheidungen der BetreuerInnen und Fallverantwortlichen ausgeliefert („Wir werden das im Team besprechen!“)

• besonders problematisch ist es, wenn sich eine Betreuungsperson dem Kind 

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gegenüber manipulativ verhält, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen („Du willst doch sicher auch, oder?!“ usw.)

• Stufe 1 – Information:

• Mindestanforderung: Das Kind wird umgehend über alle Dinge, die es betreffen ­ neue Entwicklungen und Planungen, usw. ­ informiert (Teamentscheidungen, Schriftverkehr, usw.)

• das Kind erhält dadurch die Möglichkeit, Prozesse einschätzen zu lernen

• das Kind erhält die Möglichkeit, eigene Ängste und Befürchtungen an reale Vorgänge und Ereignisse zu koppeln, die damit begreifbarer werden

• Stufe 2 – Mitsprache:

• das Kind wird selbstverständlich nach seiner Sichtweise und Meinung gefragt, die Weichen stellen jedoch die Betreuungspersonen

• wichtig ist es dem Kind das Angebot der Mitsprache zu machen, unter keinen Umständen darf es dazu gedrängt werden! Ein traumatisiertes Kind benötigt oft Zeit und positiver Erfahrungen, um Mitsprache für sich ernst zu nehmen!

• „Keine Entscheidung ohne das Kind gehört zu haben!“ bedeutet einen wichtigen Erfahrungssprung für einen Menschen, dem bislang Kontrolle und das Recht auf eigene Meinung verwehrt war

• die BetreuerInnen denken die Position und Sichtweise des Kindes mit

• Stufe 3 – Mitbestimmung:

• das Kind ist gleichberechtigt am Entscheidungsverfahren beteiligt

• Umsetzung des dialogischen Prinzips

• umfangreiche Kontroll­ und Wahlmöglichkeiten des Kindes

• Stufe 4 – Selbstbestimmung:

• das Kind erlebt Eigenverantwortlichkeit

• wichtig ist es Selbstbestimmung auch in Teilfragen, wo immer es geht, zu realisieren, z.B. bei Besuchskontakten: Das Kind hat jederzeit die Möglichkeit, Kontakte abzubrechen oder gar nicht erst wahrzunehmen, wenn es ihm zu „eng“ wird, usw.

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Partizipation ist jedoch nicht nur wichtig für die individuelle Entwicklung von Kernkompetenzen des Kindes, sondern auch notwendig für das Entstehen sozialer Kompetenzen, die ihm Schutz und Sicherheit bieten.

Die Konzentration von Kindern und Jugendlichen mit dieser Problematik an einem Ort, wie sie zwangsläufig in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe geschieht, bringt allerdings systemimmanente Probleme mit sich:

• hohes Gefährdungspotential durch gegenseitige Triggerung und Reinszenierung

• die Unterbringung in der stationären Jugendhilfe kann u.U. zu weiteren Retraumatisierungen führen und die Symptomatik bzw. eine vorhandene Belastungsstörung so verstärken

• Etablierung paralleler, „grauer“ Gewalt­ und Hierarchiestrukturen unter den Kindern und Jugendlichen, auf die PädagogInnen oftmals nur wenig Einfluss haben

Der Gedanke einer Jugendhilfeeinrichtung als „Sicherem Ort“ erscheint unter diesen Vorzeichen somit als äusserst anspruchsvoll, aber zum Glück nicht unmöglich. Auch wenn es bereits Gewaltstrukturen unter den Kindern und Jugendlichen innerhalb der Einrichtung gibt. Die US­amerikanische Psychologin Jaana Juvonen untersuchte vor einigen Jahren das Phänomen schulischer Gewalt und Quälereien unter Kindern und Jugendlichen 22. Dazu wurden fast 2000 Interviews an Schulen im Raum von Los Angeles durchgeführt. Die Studie kam zu interessanten Ergebnissen:

• ein sog. „Bully“ (engl. = Tyrann / Macker) fühlt sich in seiner oberen hierarchischen Position nicht nur sicher, sondern erfährt auch noch hohes Sozialprestige durch die Gruppe

• ein Streben nach Verhaltensänderung des „Bullys“ ist sinnlos, solange er bewundert und bestaunt wird

• die Lösung des Problems liegt in der Verweigerung der Anerkennung durch die Gleichaltrigen oder Jüngeren

Dazu sind individuelle Erfahrungen von Partizipation sowie organisatorische Strukturen notwendig. Nur durch eine gelebte partizipative Praxis kann eine Retraumatisierung durch einrichtungsinterne Gewaltstrukturen verhindert werden. Eine einrichtungsinterne Kultur der Partizipation umfasst dabei:

• Standards der Beteiligung zwischen Kind und PädagogIn (z.B. in der Erziehungs­ und Hilfeplanung)

• Standards der Beteiligung im Gruppenleben (z.B. wöchentliches Gruppenplenum)

• Standards der Beteiligung einrichtungsweit (z.B. Kinder­ und Jugendkonferenz, Kinderdorfrat)

Ausserdem

• Einrichtung einer „Kindersprechstunde“ und

• Standard für ein Beschwerdeverfahren, usw.

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4.4. Baustein „MitarbeiterInnen-Schutz“

Eine „Pädagogik des Sicheren Ortes“ muss aber auch Sicherheit für PädagogInnen bieten. Viel zulange wurde unterschätzt, wie sich die Belange der täglichen Arbeit auf die MitarbeiterInnen auswirken.

Dr. Bruce Perry hat es so formuliert: „Sekundärer traumatischer Stress ist ein Risiko, das wir eingehen, wenn wir uns empathisch mit einem traumatisierten (...) Kind befassen.“ 

Und weiter, „Erst seit neuestem haben Forscher und Praktiker erkannt, dass Personen,  die mit traumatiserten Menschen arbeiten oder ihnen helfen, indirekt oder sekundär in der  Gefahr sind, dieselben Symptome zu entwickeln wie Personen, die direkt von einem Trauma betroffen sind.“ 23 

Es ist für MitarbeiterInnnen ungewohnt, diese Perspektive einzunehmen, denn es ist auch in helfenden bzw. pädagogischen Berufen nicht üblich, offen die eigene Überlastung oder Überforderung zu kommunizieren. 

Von „Sekundärer Traumatisierung“ wurde zuerst von Figley gesprochen, der 1995 zwischen primärer und sekundärer posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) unterschied 24.

Reinhard und Maerker definieren „Sekundäre Traumatisierung“ als eine „Belastung (...),  die durch das Wissen über ein traumatisches Ereignis ausgelöst wird, das einer anderen 

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Person widerfährt oder widerfahren ist. Diese Belastung kann durch das Helfen oder den Versuch, einer traumatisierten oder leidenden Person Beistand zu leisten, entstehen (Wagner, Heinrich & Ehlert, 1999). Figley (1995) sieht in der Entstehung von sekundärem traumatischen Stress das emotionale Mitgefühl mit dem Traumaopfer als den wesentlichen Aspekt an. Dieses Mitgefühl kann durch die Identifizierung mit der  traumatisierten Person entstehen, besonders wenn das Traumaopfer Ähnlichkeit mit der eigenen Person oder einem nahestehenden Menschen aufweist.“ 25

Dies ist um so ernster zu nehmen, wo es doch darum geht, die „emphatische Barriere zu durchbrechen“ (W. Jantzen) bzw. uns sehr weit für die Position des Kindes zu öffnen. D.h. unsere „normalen“, alltäglichen Schutzfunktionen (z.B. Distanz, Rückzug, Abwehr) sind an dieser Stelle sogar eher als kontraproduktiv zu bewerten.

Es kann ausserdem davon ausgegangen werden, dass in der Vergangenheit die Symptome einer sekundären PTBS häufig mit Symptomen des Burn­Outs verwechselt wurden, da sich beide Phänomene auf der Erscheinungsebene ähnlich sind. Eine dezidierte Unterscheidung ist jedoch unabdingbar, da unterschiedliche Behandlungsstrategien erforderlich sind 26. Erschwerend kommt hinzu, dass eine „sekundäre bzw. stellvertretende Traumatisierung“ als diagnostischer Begriff auch unter medizinischen und/oder psychotherapeutischen FachkollegInnen noch nicht ausreichend bekannt ist.

Einrichtungsintern ist ein „Kulturwandel“ notwendig: Die einzelne PädagogIn muss sich selbst in einem „sicheren Raum“ fühlen, um der Gefährdung durch eine übermäßig belastende Arbeitssituation erfolgreich entgegenzutreten.

Zunächst ist dies ein Schritt der „Selbsterkenntnis“: Woran kann ich selbst überhaupt erkennen, dass ich einer aussergewöhnlichen Belastungssituation ausgesetzt bin?

 Hinweise auf eine individuelle Belastungssituation: 

Emotionale Hinweise• Ärger, Wut, Zorn

• Traurigkeit• anhaltende Bekümmerung

• Ängstlichkeit• Bedrückung

Körperliche Hinweise• Kopfschmerzen

• Magenschmerzen• Energielosigkeit

• Verdauungsprobleme

Persönliche Hinweise• Selbstisolation

• Zynismus• Stimmungsschwankung• Reizbarkeit gegenüber

PartnerIn/Familie

Hinweise am Arbeitsplatz• Vermeidung bestimmter Klienten

• verpasste Termine• Unpünktlichkeit

• fehlende Motivation

  © 2002 by Dr.med. Bruce D. Perry, Houston/USA 27

Ebenso hilfreich ist die Einführung unterstützender Mittel, wie z.B. eines „Gefährdungsfragebogens“ (s.a. Perry) 28 u.a., die für die eigene Befindlichkeit im professionellen Feld sensibel machen. Nicht wenige MitarbeiterInnen benötigen auch Anleitung und Hilfestellung zur Entspannung und Psychohygiene (Schlaf, Sport, Hobby, 

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usw.) 29. Psychohygiene ist dabei als aktive Selbstfürsorge zu verstehen und darf nicht mit Abwehr­ und/oder Vermeidungsstrategien verwechselt werden.

Daneben sind institutionelle Strukturen wichtig, denn nur „gelebtes“ Wissen zum Thema „Trauma und seine Folgen“ kann vor sekundärer Traumatisierung schützen:

• Wie sehen die vorhandenen Austauschstrukturen in der Einrichtung aus? Wie regelmäßig sind sie? Wie strukturiert? Gibt es auch einen regelmäßigen Austausch mit der Leitung?

• Sind die MitarbeiterInnen vertraut mit der Methode der „kollegialen Beratung“ bzw. Intervision? Wann und wie haben sie Zugriff auf externe Supervision?

• Gibt es ein funktionierendes „Wissensmanagement“ zu entsprechendem Fach­ und Lehrmaterial zum Thema „Trauma“?

• Gibt es Standards für Handlungsabläufe, die entsprechend Handlungssicherheit bieten?

• Wie sieht die Planungssicherheit in Bezug auf Fort­ und Weiterbildungen aus?

4.5. Baustein „Einrichtungsprofil“

Der letzte Baustein, den ich Ihnen vorstellen möchte, betrifft die Gestaltung des institutionellen Rahmens. So wird nicht zuletzt daran deutlich, wie vielschichtig die Schaffung eines „sicheren Ortes“ ist. Egal wie groß oder klein eine Einrichtung sein mag, je klarer die Einrichtungsstrukturen sind, desto mehr Sicherheit können die PädagogInnen traumatisierten Kindern bieten. Einige Anregungen dazu im Folgenden.

Ein wichtiges identitätsstiftendes Instrument für BetreuerInnen und Betreute ist die gemeinsame Erstellung eines verbindlichen Leitbildes für die Einrichtung, wie z.B. „Die Sieben Prinzipien der gerechten Gemeinschaft“ (nach dem Modell der „Just Community“ von L. Kohlberg) 30. Ein gemeinsames Leitbild schafft für alle Transparenz im Umgang miteinander. So sind denn auch eventuelle Grenzverletzungen durch wen auch immer schneller zu erkennen und zu bearbeiten.

Einen weiteren nicht zu unterschätzenden Faktor stellt die Leitungskultur der Einrichtung dar. Gibt es flache Hierarchien, kurze Wege, für einen schnellen Austausch zwischen MitarbeiterInnen und Leitung? Sind die Partizipationsstrukturen, die MitarbeiterInnen haben, transparent und alltagstauglich? Für die Gestaltung des „Sicheren Ortes“ sind alle Hierarchieebenen der Einrichtung verantwortlich.

Und zuguterletzt: Handlungs­ und Qualitätsstandards. Ein guter Standard ist keine Einschränkung der MitarbeiterIn, sondern Orientierungshilfe, welche die tägliche Arbeit erleichtert. Zentrale Bedeutung erhalten dabei Qualitätsstandards zur Prävention institutioneller Gewalt (physischer/psychischer/sexueller Art). Dies betrifft besonders Verfahren bei Grenzüberschreitungen durch MitarbeiterInnen, Verfahren zur Verhinderung der Einstellung pädophiler MitarbeiterInnen und Standards für die Arbeit mit dem Herkunftssystem, das in der Vergangenheit Quelle von Gewalt war.

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5. Schlusswort

Ich möchte nun mit meinen Ausführungen zum Schluss kommen. Ich habe Ihnen einen Überblick über Diskussionen und Entwicklungen meiner Einrichtung geben können, was natürlich an vielen Punkten einer weiteren Vertiefung bedürfte.

PädagogInnen sind EntdeckerInnen, SprachforscherInnen, Sicherheitsbeauftragte. Behalten Sie sich Ihre Neugier!

Ich schließe mit einem Zitat von Janusz Korczak:

Ihr sagt: Der Umgang mit Kindern ermüdet uns. Ihr habt recht. Ihr sagt: denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinuntersteigen. Hinuntersteigen, herabbeugen, beugen, kleiner machen. Ihr irrt euch. Nicht das ermüdet uns. Sondern daß wir zu ihren Gefühlen emporklimmen müssen. Emporklimmen, uns ausstrecken, auf Zehenspitzen stellen, hinlangen. 

Um nicht zu verletzen.(Janusz Korczak)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

InhaltsverzeichnisBausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“................................................................1

1. Vorwort.....................................................................................................................12. Aus der Not heraus Wissen und Kompetenz entwickeln..........................................13. Von der „Traumapädagogik“ zur „Pädagogik des Sicheren Ortes“..........................5

Exkurs: Vertrauen....................................................................................................64. Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“....................................................9

4.1. Baustein „Aufnahme“........................................................................................94.2. Baustein „Diagnostik“ (im Sinne von Prognostik)............................................104.3. Baustein „Die Arbeit im pädagogischen Feld“.................................................14

4.3.1. Baustein „Dialog“.....................................................................................144.3.2. Baustein „Partizipation“...........................................................................15

4.4. Baustein „MitarbeiterInnen­Schutz“................................................................194.5. Baustein „Einrichtungsprofil“...........................................................................20

5. Schlusswort............................................................................................................21

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1 Santana, „Put your Lights on“, Album „Supernatural“, 19992 Herz, B., „Ist die 'Konfrontative Pädagogik' der Rede wert?“, BHP 04­2005, S. 3653 Weiß, W., "Philipp sucht sein Ich", Beltz, Weinheim, 20034 http://www.kinderschutz­zentren.org/ksz_info­24.html5 Herz, B., „Ist die 'Konfrontative Pädagogik' der Rede wert?“, BHP 04­2005, S. 3646 http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/index,page=1961564.html7 Schwertl, W., "Vertrauen wäre gut, Kontrolle können wir besser", ZSTB, April 2005, S. 77ff.8 Faltermeier, J., Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 09/2000, 

S. 269ff.9 Milani­Comparetti, A. und Roser, L.O., "Förderung der Normalität und der Gesundheit in der 

Rehabilitation", 1987, S. 83. In: Sierck, U. und Wunder, M. (Hrsg.), "Sie nennen es Fürsorge", Dr. med. Mabuse, 1987

10 Jantzen, W. und Lanwer­Koppelin, W., "Diagnostik als Rehistorisierung ­ Methodologie und Praxis einer verstehenden Diagnostik am Beispiel schwer behinderter Menschen". Berlin: Ed. Marhold 1996

11 http://www.traumapaedagogik.de/rehdiag2.html12 Wygotski, L., "Ausgewählte Schriften". Band 2, S. 83, Köln: Pahl­Rugenstein 198713 Kelly, G.A., „Die Psychologie der persönlichen Konstrukte“, Junfermann, Paderborn, 198614 http://www.charite.de/psychosomatik/pages/forschung/groups/gridlab/about.html15 Henggeler, S.W., Schoenwald, S.K.,  Borduin, C.M., Rowland,  M.D., Cunningham, Ph.B., „Multisystemic 

Treatment of Antisocial Behavior in Children and Adolescents“, The Guilford Press, 199816 Schwertl, W., ebd, S. 7817 Schwertl, W., ebd,18 Milani­Comparetti, A. und Roser, L.O., ebd., S. 8219 Young, N., "Crime in the City", CD "Freedom", 198920 Jantzen, W., "Verhaltensgestört ­ Was tun?". In: BHP, 03/9221 Perry, B., 2002, http://www.childtraumaacademy.com/surviving_childhood/lesson03/page03.html22 Juvonen, J., "Beliebte Tyrannen", SPIEGEL, 13/2004, S. 10323 Perry, B., 2002, http://www.childtraumaacademy.com/cost_of_caring/index.html24 Maercker, A. und Reinhard, F., "Sekundäre Traumatisierung, Posttraumatische Belastungsstörung, 

Burnout und Soziale Unterstützung bei medizinischem Rettungspersonal", Zeitschrift für medizinische Psychologie, 12­2003, S. 1

25 Maercker, A. und Reinhard, F., ebd.26 Maercker, A. und Reinhard, F., ebd., S. 227 Perry, B., 2002, http://www.childtraumaacademy.com/cost_of_caring/index.html28 Perry, B., 2002, ebd.29 Perry, B., 2002 http://www.childtraumaacademy.com/cost_of_caring/lesson03/page02.html30 Vogt, V., „Umgang mit aggressiven Verhaltensweisen“, S. 2,, 2004 (bisher unveröffentlicht)

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Fachtagung

„(Akut) traumatisierte Kinder und Jugendliche

in Pädagogik und Jugendhilfe“

Merseburg, 17.02.2006,

15­18:00 Uhr

Workshop IV (Martin Kühn)

AUS-TAUSCH: Von der pädagogischen Absicht zur wirksamen Begegnung im Alltag mit (traumatisierten) Kindern in der Jugendhilfe

AUS­TAUSCH: "Wechseln wir doch mal die Perspektive!" ­ Ziel des Workshops ist es einen etwas anderen Blick auf das eigene pädagogische Handeln im Umgang mit (traumatisierten) Kindern in der  Jugendhilfe zu werfen. Ausgehend vom Modell der "Rehistorisierenden Diagnostik", u.a. werden eigene Handlungsansätze hinterfragt und Alternativen an konkreten Fallbeispielen dazu erarbeitet. Wie  menschlich ist unser professionelles Handeln bzw. wie professionell ist unsere Menschlichkeit im alltäglichen Arbeitsfeld? Eine "wirkungsvolle" PädagogIn ist man nicht, man wird sie, mit jedem Tag  neu? Der alltägliche Umgang mit belasteten und/oder traumatisierten Kindern in der stationären  Jugendhilfe ist immer wieder von neuem "überraschend", denn "ausschlaggebend ist nicht die  pädagogische Absicht, sondern vor allem die pädagogische Begegnung." (Martin Buber).

Einheit 1

Input: „Rehistorisierende Diagnostik“

• Die bisher vorherrschende Diagnostik abstrahiert den Betroffenen von seiner Geschichte.

• Rehistorisierende Diagnostik geht über das Erklären hinüber zum Verstehen. Indem "Absonderlichkeiten" nicht mehr als Natur der Sache, sondern als ein Ausdruck von Geschichte, als Ergebnisse eines sozialen Austauschprozesses gesehen werden, erkennen wir diese als Variabilitäten menschlicher Entwicklung und als eine Entwicklungsmöglichkeit des Menschen (ganz allgemein) unter sozialen und historischen Bedingungen an. (V. Vogt, 2003)

• Die traumatische Erfahrung verändert gravierend das Verhältnis eines Menschen zu seiner Umwelt, es kommt zu einer Verschiebung von Partizipation hin zu Isolation, sofern sich die soziale Entwicklungssituation nicht hinsichtlich den spezifischen individuellen Entwicklungsvoraussetzungen des Kindes verändert. 

• Unter diesen Umständen kann es zu Störungen der kindlichen Bindungsrepräsentationen, des kindlichen Urvertrauens, des kindlichen Selbstbildes u.ä. kommen. 

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• Doch sind diese Erscheinungen keine Ursächlichkeiten des Defektes, sondern Ausdruck des Austauschverhältnisses Kind­Umwelt. Sie sind sowohl entwicklungslogisch, als auch durchaus sinnvoll und systemhaft (Folgeprozesse der Selbstorganisation und ­erhaltung des Menschen). 

• Bisher als pathologisch verstandene Muster des Verhaltens wie Stereotypen, Autoaggressionen, Aggressionen, Borderline­Syndrom u.a. jeweils Ausdruck eines spezifischen Grades an Kompetenzen im Sinne des Erreichens der von Piaget oder anderen Psychologen beschriebenen Niveaus affektiv­kognitiver Regulation, jedoch Kompetenzen in einer Sackgasse. 

• Eine derartige Kompetenz entsteht, insofern das Kind in einer Situation misslingender Bindung und sozialer Isolation individuell das Problem löst, sein eigenes Verhalten mit ihm zur Verfügung stehenden Kompetenzen wieder zu sichern." (Wolfgang Jantzen, Diagnostik und Rehistorisierung: Probleme und Strategien einer verstehenden Diagnostik")

• Die rehistorisierende Diagnostik umfasst damit den 

• "Akt des Erkennens" (Jantzen), aus der Position einer reflektierenden Distanz das (auffällige) Verhalten eines Kindes als entwicklungslogisches Verhalten von Anpassungs­ und Aneignungsleistungen unter bestimmten Mensch­Umwelt­Bedingungen zu begreifen

• "Akt des Anerkennens" (Jantzen), aus der Position der emphatischen Nähe das Verhalten des Kindes als sinnvoll anzuerkennen und diesen Sinn auch voraussetzend bei mir noch nicht verständlichen Verhaltensweisen

• „Akt der Umfassung (Berührtwerdens)“, aus der Perspektive des Begreifens des kindlichen Verhaltens als einer Möglichkeitsform aller Menschen und damit auch als eine Möglichkeit meiner Selbst unter ähnlichen oder gleichen Mensch­Umwelt­Bedingungen. 

• Erkennung, Anerkennung und Umfassung wahren damit nicht nur die Würde des Menschen, sondern sie beschreiben den Menschen nicht nur als Mensch mit Grenzen, sondern auch als Mensch mit Stärken, Ressourcen, Selbstverantwortlichkeit, Entwicklungspotentialen u.v.m. und dieses schon von Geburt an. 

• A.R. Lurija's ("Vater und Ideengeber" der Syndromanalyse und der rehistorisierenden Diagnostik): "... die gesellschaftlichen Formen des Lebens zwingen das Gehirn, auf neue Weise zu arbeiten, sie lassen qualitativ neue funktionelle Systeme entstehen."

• Ist ein systemstabilierender Dialog mit der Umwelt nicht möglich (bedrohlich oder gar lebensgefährlich), beginnt der Dialog mit sich selbst. Diese ­ von uns unverstandenen ­ Verhaltensweisen haben ihren individual­geschichtlichen Sinn. Ihre systeminterne Stabilität und Prägnanz hängen zumeist ab von der Art und Weise der traumatischen Ereignisse, ihrer zeitlichen Dauer und der jeweiligen Entwicklungsstufe des Betroffenden, und ihrer vorhandenen oder nicht vorhandenen Einbindung in bindungsreiche und positive Beziehungen mit Mitmenschen.

• Psychopathologische Verhaltensauffälligkeiten der uns anvertrauten Kinder sind als entwicklungslogisches Verhalten und sinnstiftende Reaktionen auf 

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pathologisierende Umweltereignisse zu begreifen

• Damit sind sie zweierlei: 

• auf der einen Seite Ausdruck/Beweis für die pathologischen Prozesse, denen das Kind in seiner Herkunftsfamilie/­system ausgesetzt war

• auf der anderen Seite sind sie auch ein Ausdruck von Kompetenz, Überlebenswillen, entwicklungsfähigen Ressourcen des Kindes.

• zwei Kernaussagen:

• Lurija: Das menschliche Gehirn ist in der Lage, auf fast alle lebensbedrohlichen Situationen selbstorganisatorisch und selbsterhaltend (systemstabilisierend) zu reagieren, sei es auch mit Verhaltensweisen, die wie Jantzen schreibt 'in eine Sackgasse' führen. Aber sie sind keineswegs sinnlos, sondern hochgradig subjektbezogen sinnvoll.

• Wygotski: Eine veränderte soziale Entwicklungssituation führt zu qualitativen Neubildungen 

• Wie Forscher inzwischen herausgefunden haben, ist gerade jener Hirnbereich (Hippocampus), der durch traumatische Ereignisse besonders in Mitleidenschaft gerät, "der bisher einzig bekannte Ort des erwachsenen Gehirns..., wo auf der Basis von Stammzellen neue Zellen entstehen können... Dies geschieht unter den Bedingungen wiederhergestellter sicherer Bindung, obgleich die Erfahrungen des emotionalen Gedächtnis letztlich unauslöschbar bleiben." (Wolfgang Jantzen)

• Es sind eben jene wiederhergestellten sicheren Bindungen zu der Umwelt, die das Gehirn zwingen, auf neue Art und Weise zu arbeiten. Es sind eben gerade jene soziale Entwicklungssituationen, für deren Rahmen und Inhalte wir PädagogInnen in der Heimerziehung verantwortlich sind. 

• Akzeptieren wir die Grundannahme, dass es kein sinnloses Verhalten gibt, wird es uns im Dialog mit den Kindern (und in einem Team von Fachkräften) gelingen, die individual­geschichtliche Entstehung und Bedeutung von 'störenden' Verhaltensweisen und deren Relevanz für die aktuelle Entwicklungssituation (auch unter dem Gesichtspunkt eventueller nötiger Veränderungen dieser Situation) zu bestimmen. 

• Erst wenn ich selbst nicht mehr überwältigt von meinem eigenen Verhalten bin, mein Verhalten mir einen Sinn, Bedeutung und Historizität bringt, ist eine Erweiterung meines Verhaltensspielraumes möglich (Verhalten eines Kindes oder  das Verhalten eines Pädagogen? V. Vogt)

• Nur mittels Erklärungswissen wird es uns gelingen, von der reinen Verwaltung von Symptomen zur Syndrombestimmung zu gelangen, zum eigentlichen Kern der individuellen Problematik: 

• weg von der isolierten Betrachtungsweise auf die oben angedeuteten pädagogisch relevanten Phänomene,

• hin zu der Bestimmung eines Syndroms (also von der Symptom­ zur Syndromebene) [Syn|drom  [griech.] n. 1 (Krankheits)Bild, das sich aus dem Zusammentreffen verschiedener (für sich allein nicht charakteristischer)  Symptome ergibt],

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• den einzelnen Symptomen einen gemeinsamen Namen geben: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS),

• die Anerkennung der Komplexität des Syndroms und auch die Anerkennung der Opfer, dass sie jenes durchgemacht haben (im Sinne einer positiven Ressourcenbestimmung),

• durch die Bestimmung der Posttraumatischen Belastungsstörung als grundlegendes Syndrom müssen die pädagogischen Bedingungen, die eigenen pädagogischen Ansichten und Handlungsmöglichkeiten entsprechend überprüft und eventuell neu bestimmt werden

• Rehistorisierende Diagnostik rekonstruiert mit den Mitteln des je verfügbaren Erklärungswissens die einzelne Geschichte dort als sinnvoll und systemhaft, wo diese bisher auf Natur und Schicksal, Pathologie und Devianz reduziert wurde. (Wolfgang Jantzen) [De∙vi'anz, die; ­,­en von der sozialen Norm abweichendes Verhalten, das nicht notwendigerweise gegen Gesetze verstößt, vgl. Delinquenz]

• In der verstehenden Diagnostik müssen wir die Rolle des äußeren Beobachters ablegen und zu einer 'Innenansicht' gelangen. Durch die Anerkennung der zentralen Stellung der sozialen Entwicklungssituation werden wir zu einem Teil dieser, dem Gegenüber ein Du, dessen jeder Mensch bedarf, und der Andere wird für uns zu einem Du, zu einer Möglichkeitsform des eigenen Ichs. Nur in dieser Umfassung gelingt Anerkennung, Dialog, Verständnis, Teilnahme und Berührung ­ Vorrausetzungen einer verstehenden Diagnostik, die den Anderen nicht ausschließlich als Störenden, Pathologischen oder Kranken sondern als 'Meinesgleichen' wahrnimmt.

(Quelle: „Rehistorisierende Diagnostik und Traumapädagogik“, © 2003, Volker Vogt,  

http://www.traumapaedagogik.de/rehdiag1.html)

Einheit 2:

„Storytelling“

Arbeitsauftrag:

• Bitte beschreiben Sie eine Situation, in der Sie eine kritische Begegnung mit einem traumatisierten Kind erfolgreich / nicht erfolgreich abgeschlossen haben.

• Diese Situation kann aus Ihrem Arbeitsalltag oder Ihrem privaten Alltag kommen.

• Bitte beschreiben Sie, wie Sie sich in dieser Situation gefühlt haben.

Hinweis:

Wichtig ist, dass Sie von sich selbst erzählen, Ihrem persönlichen Erleben in einer bestimmten Situation.

Aufgabe des/der Partner/in dabei ist, aufmerksam zuzuhören und sich Stichpunkte zu Werten, Erfahrungen und Haltungen in dem Erzählten zu machen.

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Im 2. Schritt fasst der/die ZuhörerIn zusammen, was er/sie verstanden hat. Der/Die Erzähler/in berichtigt, falls er/sie sich falsch verstanden fühlt.

Bitte beachten Sie die Zeit: Jede/r von Ihnen hat für das Erzählen inkl. Abstimmung im 2. Schritt 30 Minuten Zeit.

Die folgenden Fragen sollen Ihnen beim Erzählen helfen. Zögern Sie nicht  auch selbst Fragen zu formulieren.

Leitfragen für den Austausch:

• Was genau machte diesen Moment so wichtig für Sie? Was führte zu der besonderen (positiven oder negativen) Erfahrung?

• Was denken Sie, war von großer Bedeutung für das gute / schlechte Ergebnis (Strukturen, Fähigkeiten, Beziehungen...)

• In welcher Weise haben andere Menschen zu dieser Erfahrung beigetragen?

• Was war mein Beitrag in dieser Situation?

• Was war der entscheidende Faktor, der diese Erfahrung bestimmte?

• Welche Bedeutung hat dieser besondere Moment / diese besondere Erfahrung für Sie?

Einheit 3:

„Storytelling – die Highlights“

Arbeitsauftrag:

• Bitte tauschen Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus den Geschichten aus.

• Arbeiten Sie die gemeinsamen „Highlights“ heraus. Bitte halten Sie diese auf Flipchart fest.

Leitfrage:

• Worauf kommt es konkret beim Thema „Begegnung mit einem traumatisierten Kind“ an?

Einheit 4:

Vorstellung der Ergebnisse

„Was ist in der Begegnung mit einem traumatisierten Kind konkret wichtig?“(die Ergebnisse der AG's wurden thematisch zusammengefasst!)

Page 28: Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

Diagnostik:

• Symptome erfassen, Informations­sammlung

• Genogrammarbeit• Trigger (er­)kennen

Wissensmanagment:

• über gute Informationen verfügen• Verfahren zum Austausch von Fach­

wissen und Erfahrungen

Pädagogische Begegnung:

• eindeutige Handlungsstrategien• gezieltes Stützen des sozialen 

Umfelds• angemessene eigene Erwartungs­

haltung• Situationen bzw. „Rückschritte“ aus­

halten bzw. lernen, damit umzu­gehen, geduldig bleiben

• Realitäten herstellen• Konsequenz, Mut und Durchhalte­

vermögen• im Kontakt bleiben, bis eine Krise ein 

Ende hat• Präsenz, Verlässlichkeit, „nicht 

alleine lassen“

Fortsetzung Pädagogische Begegnung:

• Beziehungsangebote aufbauen, halten und stabilisieren

• Empathie, Wertschätzung, Akzep­tanz, Transparenz, Ehrlichkeit, Sicherheit, Beharrlichkeit, Begeg­nung von „Mensch zu Mensch“ => stabile Beziehungen durch Bezugs­betreuung

• Struktur, Grenzen, Kontrolle• Kinder mit ihren Sorgen, Aussagen 

ernstnehmen• Gesprächsangebot mit Wahlmöglich­

keiten, Mit­ und Selbstbestimmung• keine Tabuisierungen• Humor, paradoxe Interventionen

Psychohygiene & Selbstfürsorge:

• professionelles Selbstverständnis • gesundes Nähe­/Distanzverhältnis• Distanzierungsmöglichkeiten• Psychohygiene: individuell, team­

bezogen, beruflich• gute, eigene Lebenseinstellung• Gegenübertragungen erkennen und 

wahrnehmen

Team:

• vertrauensvolle Teamarbeit• Tagesreflexion: klientenbezogen und 

Selbstreflexion• regelmäßig Metabetrachtung durch: 

Teamberatung, Fall­ und Teamsu­pervision

• Weiterbildung

Einrichtungsstruktur:

• Arbeitsfähigkeit sichern (z.B. Dienst­strukturen gewährleisten, dass MA's ausgeruht sind, usw.)

• räumliche Umgebung (Raum/Setting)• Rahmenbedingungen sichern  & ge­

stalten (z.B. personell, finanziell)• Konzepte flexibel gestalten• Mut, Strukturen flexibel zu gestalten, 

Grenzen zu überschreiten• Einbeziehung anderer Fachbereiche, 

Professionen

Belastungsfaktoren:

• Hilflosigkeit, evtl. Panik• Abgabe oder Übernahme von Ver­

antwortung?• Schuldgefühle, Ängste, Wut, Ärger, 

Unzufriedenheit• innere Distanz• Unsicherheiten im Umgang

Page 29: Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ · und das soziale System löst sich auf.“ (Siehe dazu auch die Ausführungen zur „Reaktionskette der Eskalation von Hilfen“!)

„Traumapädagogik heisst,diesen Kindern Brücken zu bauen,

bis sie allein ins Leben segeln!“(Martin Kühn)

© 2006, M. Kühn