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01 02 03 04 Nicolas Jutzi Nicolas Jutzi Miguel Bueno marina.ch | Mai 2018 Mai 2018 | marina.ch 82 83 Beaufort | Bol d’Or Bol d’Or | Beaufort Tania Lienhard | Loris von Siebenthal, zvg Wer als Deutschschweizer «Genf» hört, denkt an Uhren. Oder an die UNO, das IKRK und das Cern. Auch der Jet d’eau drängt sich auf. Und die Tatsache, dass es sich zwar unheimlich gut, aber auch unverschämt teuer leben lässt in der zweitgrössten Stadt des Landes, ist ebenfalls überall bekannt. Kurz: Das Stich- wort «Genf» weckt ganz unterschiedliche Assoziationen. Doch – zumindest in der Deutschschweiz – reden in diesem Zusam- menhang wohl nur Insider vom Bol d’Or Mirabaud, der wich- tigsten Binnenregatta Europas. Dabei ist diese zu einem Mega-Event avanciert und steht punkto Einzigartigkeit und Wichtigkeit dem Engadin Skimarathon in nichts nach. Seit 2004 hat die Regatta einen Hauptsponsor, der auch Namens- patron ist. 2007 übernahm dies die Privatbank Mirabaud & Cie SA, die ihren Hauptsitz in Genf hat. Nur Superlative Bei näherer Betrachtung des Bol d’Or springen klangvolle Namen und Boote ins Auge. Liegt der Fokus auf berühmten Teilnehmerinnen und Teilnehmern, so kommt man an folgen- den nicht vorbei: Loïck Peyron, Russell Coutts, Franck Cammas, Alain Gautier, Michel Desjoyeaux und Ellen MacArthur. Inte- ressieren vor allem Schweizer Skipper – jahrelang dominierten Einheimische den Bol d’Or, erst seit den 2000er Jahren werden sie von ausländischen Profis ernsthaft konkurriert – sind Dona und Ernesto Bertarelli, Henri Copponex, Philippe Durr, Henri Guisan oder Louis Noverraz zu nennen. Durr gehört mit Philippe Stern und Pierre-Yves Jorand zu den Rekordsiegern. Alle drei konnten jeweils sieben Mal gewinnen. Wer über die Bootsklassen, die auf dem Genfersee Geschichte schrieben, mehr wissen will, findet in den Annalen des Bol d’Or klangvolle Namen: Toucan, Lacustre, D35… Sie wurden eigens für die Regatta designt und konstruiert, meistens übernahmen dies regionale Werften. Überhaupt ist der Bol d’Or seit Jahren eine Plattform für Innovation. So verdankt er seine Bekanntheit auch dem Engagement von Schweizer Tüftlern wie Durr, Cardis, Gautier, Luthi oder Fehlmann. Die Regatta ihrerseits verhalf diesen leidenschaftlichen Seglern, ihr Hobby mit ihrem Beruf zu verbinden und ihr Business aufrecht zu erhalten. Obwohl immer wieder neue Bootstypen zugelassen wurden, waren die Organisatoren des Bol d’Or oft auch skeptisch und einige aus dem Komitee weniger offen für Neues. So gab es Ein veritabler Mythos Der Bol d’Or in Genf ist jedes Jahr auch ein grosses Volksfest. Für «marina.ch» bietet seine 80. Austragung die Gelegenheit, einen Blick auf die bewegte Geschichte des traditionsreichen Segelevents zu werfen und einige Anekdoten herauszupicken. 01 Der Bol d’Or zieht jedes Jahr Hunderte von Teilehmern an. 02–04 Ein Volksfest sonder- gleichen: Rund um den Genfersee versammeln sich die Zuschauer.

Beaufort Ein veritabler Mythos - marina.ch · Heute liegt der Rekord bei 5 Stunden, 1 Minute und 51 Sekunden, aufgestellt von Peter Leuenbergers Trimaran Triga IV im Jahr 1994 durch

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marina.ch | Mai 2018 Mai 2018 | marina.ch82 83

Beaufort | Bol d’Or Bol d’Or | Beaufort

Tania Lienhard | Loris von Siebenthal, zvg

Wer als Deutschschweizer «Genf» hört, denkt an Uhren. Oder an die UNO, das IKRK und das Cern. Auch der Jet d’eau drängt sich auf. Und die Tatsache, dass es sich zwar unheimlich gut, aber auch unverschämt teuer leben lässt in der zweitgrössten Stadt des Landes, ist ebenfalls überall bekannt. Kurz: Das Stich-wort «Genf» weckt ganz unterschiedliche Assoziationen. Doch – zumindest in der Deutschschweiz – reden in diesem Zusam-menhang wohl nur Insider vom Bol d’Or Mirabaud, der wich-tigsten Binnenregatta Europas. Dabei ist diese zu einem Mega-Event avanciert und steht punkto Einzigartigkeit und Wichtigkeit dem Engadin Skimarathon in nichts nach. Seit 2004 hat die Regatta einen Hauptsponsor, der auch Namens-patron ist. 2007 übernahm dies die Privatbank Mirabaud & Cie SA, die ihren Hauptsitz in Genf hat.

Nur SuperlativeBei näherer Betrachtung des Bol d’Or springen klangvolle Namen und Boote ins Auge. Liegt der Fokus auf berühmten Teilnehmerinnen und Teilnehmern, so kommt man an folgen-den nicht vorbei: Loïck Peyron, Russell Coutts, Franck Cammas, Alain Gautier, Michel Desjoyeaux und Ellen MacArthur. Inte-ressieren vor allem Schweizer Skipper – jahrelang dominierten Einheimische den Bol d’Or, erst seit den 2000er Jahren werden sie von ausländischen Profis ernsthaft konkurriert – sind Dona und Ernesto Bertarelli, Henri Copponex, Philippe Durr, Henri Guisan oder Louis Noverraz zu nennen. Durr gehört mit Philippe Stern und Pierre-Yves Jorand zu den Rekordsiegern. Alle drei konnten jeweils sieben Mal gewinnen.

Wer über die Bootsklassen, die auf dem Genfersee Geschichte schrieben, mehr wissen will, findet in den Annalen des Bol d’Or klangvolle Namen: Toucan, Lacustre, D35… Sie wurden eigens für die Regatta designt und konstruiert, meistens übernahmen dies regionale Werften. Überhaupt ist der Bol d’Or seit Jahren eine Plattform für Innovation. So verdankt er seine Bekanntheit auch dem Engagement von Schweizer Tüftlern wie Durr, Cardis, Gautier, Luthi oder Fehlmann. Die Regatta ihrerseits verhalf diesen leidenschaftlichen Seglern, ihr Hobby mit ihrem Beruf zu verbinden und ihr Business aufrecht zu erhalten.

Obwohl immer wieder neue Bootstypen zugelassen wurden, waren die Organisatoren des Bol d’Or oft auch skeptisch und einige aus dem Komitee weniger offen für Neues. So gab es

Ein veritabler MythosDer Bol d’Or in Genf ist jedes Jahr auch ein grosses Volksfest. Für «marina.ch» bietet seine 80. Austragung die Gelegenheit, einen Blick auf die bewegte Geschichte des traditionsreichen Segelevents zu werfen und einige Anekdoten herauszupicken.

01 Der Bol d’Or zieht jedes Jahr Hunderte von Teilehmern an.

02–04 Ein Volksfest sonder- gleichen: Rund um den Genfersee versammeln sich die Zuschauer.

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marina.ch | Mai 201884

Beaufort | Bol d’Or

harte Diskussionen bei der Zulassung der Mehrrumpf-Boote und auch das Sponsoring war zu Beginn verpönt und lange nicht salonfähig. Das sind Zeichen eines typischen Kampfes zwischen konservativen und progressiven Kräften, wie es sie vielerorts gibt. Auch heute noch setzt sich der Bol d’Or mit diesem Thema auseinander, wie Rodolphe Gautier, Präsident des Organisationskomitees, treffend erläutert: «Wir wollen die Tradition bewahren, ohne in einen verstaubten Konservatismus zu verfallen und den Impulsen der Moderne folgen, ohne uns den modischen Trends zu ergeben.»

Von den AnfängenPierre Bonnet gilt als Vater des Bol d’Or. Er war bei der ersten Austragung 1939 der Präsident des Yachtclub de Genève, der aus der Société d’Encouragement à la Navigation de Plaisance (SENP) hervorgegangen war und sich später mit der Société Nautique de Genève (SNG) zusammenschloss. Faszinierend am Bol d’Or ist, dass die Strecke – ausser im Zweiten Weltkrieg, als die deutschen Truppen Frankreich besetzten und auch das französische Ufer des Genfersees kontrollierten – immer gleich geblieben ist: von Genf nach Le Bouveret und zurück. Die etwa 70 Seemeilen verlangen den Teilnehmenden alles ab und ber-gen viel Potenzial für gefährliche Situationen: Der See ist ge-nügend gross, um ganz unterschiedlichen Wetterphänomenen Platz zu machen. Die Boote können also von einer ausgepräg-ten Flaute ohne Vorwarnung und rasendschnell in einen regel-rechten Sturm geraten. Zudem sind vor allem die Einrümpfer

auch heute noch bis spät nachts unterwegs. Die Dunkelheit birgt bekanntlich ebenfalls Gefahren.

Zu Beginn benötigten die schnellsten Segelyachten weit über 20 Stunden, um ins Ziel zu gelangen. Heute liegt der Rekord bei 5 Stunden, 1 Minute und 51 Sekunden, aufgestellt von Peter Leuenbergers Trimaran Triga IV im Jahr 1994 durch Gérard Gautier und Edouard Kessi in einem packenden Finale gegen Philippe Cardis und Marc-Edouard Landolt auf der Happy-calopse. Leuenberger verkaufte später die Triga IV für einen symbolischen Franken an den Schweizer Stève Ravussin und ermöglichte somit dem damaligen Nachwuchstalent den Start in eine Profikarriere.

Anziehungspunkt für ExzentrikerIn den ersten Jahrzehnten prägte ein Hitzkopf das Gesche-hen am Bol d’Or: Louis Noverraz. Er gewann – genau wie Ernesto Bertarelli – insgesamt sechs Mal. Auch die allererste Austragung der Regatta entschied er für sich. Der 1902 ge-borene Noverraz gehört zu den talentiertesten und erfolg-reichsten Schweizer Skippern überhaupt. Vierzig Jahre vor Bertarelli war er der erste Schweizer, der eine Yacht am America’s Cup steuern durfte. Er war Weltmeister und mehr-facher Europameister auf 5.5m-JI-Booten. Und 1936 wäre ihm fast gelungen, was bis heute noch kein Schweizer geschafft hat: eine Segel-Goldmedaille an Olympischen Spielen zu ho-len. Mit André und Robert Firmenich und Alexandre Gelbert hätte er als Führender ins Medal Race der 6-Meter-Klasse steigen können. Doch es kam anders: Noverraz wurde mit-samt seiner Crew disqualifiziert, da er als Profiskipper denun-ziert worden war und dies dem damaligen Reglement der Olympischen Spiele, das nur Amateure zuliess, widersprach. Über dreissig Jahre später kam er am Ende seiner Karriere doch noch in den Genuss einer olympischen Medaille: An den Spie-len 1968 in Mexiko gewann er schliesslich Silber.

Noverraz galt als unbesiegbar am Bol d’Or. «Mein Onkel wollte alles selber machen, Skipper und Steuermann gleich-zeitig sein. Er wollte entscheiden und auch ausführen», so Pierre Noverraz im Buch von Bernard Schopfer «La légende du Léman». Louis Noverraz segelte nach Gefühl. Er spürte, was andere nicht spüren. Und obwohl er eigentlich ein sympathischer Mann gewesen war, verhielt er sich während Regatten unausstehlich gegenüber seiner Crew. Er war ein Exzentriker und ein ganz spezieller Typ.

Ebenfalls ein Mann der etwas anderen Art war André Mercier. Vor allem in den 1950ern nahm er am Bol d’Or teil. Zwar kam er nicht annähernd an den Erfolg von Noverraz heran. Aber seine Eigenheit, vor jeder Austragung auf dem Dach des Klub-hauses der SNG zu übernachten, ist eine schöne Anekdote. Er stellte sich in regelmässigen Abständen den Wecker und be-obachtete den See und die Wetterlage.

Lacustre – ein Genfer OriginalEine weitere amüsante Geschichte ist diejenige von Philippe Durr und seiner Crew. Am Bol d’Or 1971 lancierten sie die erste Toucan. Einen Tag vor der Regatta schafften sie es, das Schiff einzuwassern. Sie setzten den Mast und schliefen dann ein paar Stunden. «Ich verbrachte den ersten Teil der Strecke nach dem Start am unteren Ende des engen Cockpits, um an den letzten Details herumzubasteln», erinnert sich Philippe Durr im Buch von Bernard Schopfer. Etwa nach der Hälfte, beim

01 Henri Copponex (links) mit seiner Crew an den Olympischen Spielen in London, 1948.

02 André Mercier zeichnete detaillierte Seekarten zur Vorbereitung auf den Bol d’Or. Das Beispiel hier stammt aus dem Jahr 1980.

03 Philippe Stern und Philippe Durr.

04 Der Exzentriker Louis Noverraz gewann den Bol d’Or sechs Mal.

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Beaufort | Bol d’Or

Wendepunkt in Le Bouveret, war das Schiff fertig. Unglaublich aber wahr: Die Crew gewann den Bol d’Or.

Überhaupt folgten danach weitere Siege von Crews, die auf einer Toucan segelten. Auch am Genfersee entstand die Lacustre. Am Bol d’Or zwar nie ganz oben auf dem Podest, stiess die kleine Rennyacht aber auf viel Sympathie in ganz Europa. Henri Copponex hatte sie 1938 ursprünglich für einen Arzt entworfen, der mit ihr den Bol d’Or gewinnen wollte. Der Genfer prägte den Segelsport auf dem Lac Léman zwischen den 30er und 70er Jahren, denn er war nicht nur beim Desig-nen von Schiffen aussergewöhnlich gut, er brillierte auch als Skipper. Dreimal brachte er den Bol d’Or nach Hause. Zudem war er der erste Schweizer, der eine olympische Medaille holte. 1960 gewann er in Rom Bronze – und zwar auf einer von ihm designten Yacht der 5-Meter-Klasse. Speziell ist, dass vier seiner Konkurrenten ebenfalls mit Booten antraten, die aus sei-ner Feder stammten.

JubiläumsaustragungDer Bol d’Or ist mittlerweile zu einem Volksfest avanciert. Es wird 2018 auch Konzerte und eine Party in Zusammenarbeit mit dem Montreux Jazz Festival geben. Loïck Peyron, der fran-zösische Ausnahmesegler, wird bei der 80. Austragung dabei sein. Und Dona Bertarelli hat mit ihrem Katamaran Ladycat die Chance, nach 2014 und 2016 die Trophäe erneut in die Luft zu stemmen. Da es das dritte Mal in fünf Jahren wäre, dürfte sie den Pokal sogar behalten. Es wäre ein schöner Erfolg, 74 Jahre nach dem ersten – und bis 2010 einzigen – Sieg einer Frau beim Bol d’Or. «Riquette» Thévand sprang damals für ih-ren Mann ein, der 1944 in den Militärdienst einrücken musste und deshalb nicht teilnehmen konnte.

Egal, wer die Jubiläumsregatta gewinnt: Es wird bestimmt auch 2018 wieder Geschichten geben, von denen man noch lange spricht.

www.boldormirabaud.ch

Zu Beginn benötigten die schnellsten Yachten über 20 Stunden.

01–04 Der Genfersee ist berüchtigt für seine unterschiedlichen Wetter systeme. Seglerinnen und Segler werden auch am Bol d’Or immer wieder von einem Wetterumschwung überrascht. Da kann es auch schon einmal einen Mastbruch geben.

05 Duell der Geschwister bei der D35-Klasse: Ladycat von Dona Bertarelli (vorne) ganz nahe bei Ernesto Bertarellis Alinghi.

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