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www.ssoar.info Stadtstruktureller Wandel in Albanien: der Transformationsprozeß im konsumorientierten Dienstleistungssektor Tiranas Becker, Hans; Göler, Daniel Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Becker, H., & Göler, D. (2000). Stadtstruktureller Wandel in Albanien: der Transformationsprozeß im konsumorientierten Dienstleistungssektor Tiranas. Europa Regional, 8.2000(1), 2-21. https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0168-ssoar-48260-2 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an. Terms of use: This document is made available under Deposit Licence (No Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, non- transferable, individual and limited right to using this document. This document is solely intended for your personal, non- commercial use. All of the copies of this documents must retain all copyright information and other information regarding legal protection. You are not allowed to alter this document in any way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the document in public, to perform, distribute or otherwise use the document in public. By using this particular document, you accept the above-stated conditions of use.

Becker, Hans; Göler, Daniel Dienstleistungssektor Tiranas

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Stadtstruktureller Wandel in Albanien: derTransformationsprozeß im konsumorientiertenDienstleistungssektor TiranasBecker, Hans; Göler, Daniel

Veröffentlichungsversion / Published VersionZeitschriftenartikel / journal article

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:Becker, H., & Göler, D. (2000). Stadtstruktureller Wandel in Albanien: der Transformationsprozeß imkonsumorientierten Dienstleistungssektor Tiranas. Europa Regional, 8.2000(1), 2-21. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-48260-2

Nutzungsbedingungen:Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (KeineWeiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt.Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares,persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung diesesDokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich fürden persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt.Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alleUrheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichenSchutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokumentnicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Siedieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zweckevervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oderanderweitig nutzen.Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie dieNutzungsbedingungen an.

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Der Übergang von der Plan- zur Markt-wirtschaft bzw. von diktatorisch-zentra-listisch zu demokratisch-liberal be-stimmten Rahmenbedingungen desLebens in ehemals kommunistischenLändern wird bekanntlich als Trans-formationsprozess bezeichnet. ImZuge seiner wissenschaftlichen Auf-arbeitung erwuchs der Geographie inder regionalen Transformationsfor-schung ein neues Aufgabenfeld (FASS-MANN 1999, S. 11). Dessen bisherigeBearbeitung zeigt allerdings erhebli-che räumliche Ungleichgewichte. Zuden regionalen Desiderata der For-schung zählt u. a. Südosteuropa (WAR-DENGA 1999). Der vorliegende Beitragüber Albanien soll beitragen, die be-stehenden Kenntnislücken zu schlie-ßen.1

Wie in allen betroffenen Ländernmanifestiert sich die zu untersuchendeEntwicklung auch in Albanien amdeutlichsten in den großen Städten. Inder Landeshauptstadt Tirana findetsie physiognomisch ihren auffälligstenNiederschlag in den konsumorientier-ten Dienstleistungsbereichen.

Zur Zeit der kommunistischen Plan-wirtschaft war die Versorgungssituati-on in Albanien durch ein unzureichen-des Angebot bestimmt. Manche Wa-rengruppen gab es im regulären Han-del überhaupt nicht, fast alle übrigenin zu geringer Quantität und häufignur in minderer Qualität. Allgemei-ner Mangel, selbst bei Grundnahrungs-mitteln, war verbreitet. Ähnlich standes mit dem Angebot im Dienstleis-tungssektor. Viele der bei uns übli-chen Dienstleistungen wurden nichtangeboten, bei anderen war der Stan-dard niedrig. Die gesamte Warenver-sorgung und alle Dienstleistungen la-gen in staatlicher Hand bzw. waren inzwangsgenossenschaftlicher Form un-ter staatlicher Aufsicht organisiert. Alseinziges bescheidenes Rudiment einesprivaten Warenhandels konnten in al-banischen Städten vor 1990/91 hin undwieder einige Kolchosbäuerinnen am

Straßenrand beobachtet werden, diekleine Mengen von Gartengemüse feil-boten. 2

Der allgemeinen Unterversorgungmit Waren und Dienstleistungen ent-sprach ein verbreitetes Defizit an Ver-sorgungsmöglichkeiten. Geschäfte,Büros und Werkstätten waren zahlen-mäßig auf ein Minimum beschränkt;zudem erschien deren Verteilung imStadtraum nicht immer leicht verständ-lich.

Nach dem Ende der planwirtschaftli-chen Ordnung wurde die vorherigeUnterausstattung mit Geschäften undBüros sehr schnell von einer offen-sichtlichen Überversorgung mit der-artigen Einrichtungen abgelöst. DieZahlen entsprechender Gründungensind ein Indikator dieser Entwicklung(Tab. 1). Dabei ist in Rechnung zustellen, dass die Angaben der offiziel-len Statistik vermutlich zu niedrig sind.Allein in Tirana wurde 1996 die Zahlvon Kiosken und Verkaufsständen aufmindestens 5 000 geschätzt3.

Für die große Zahl von Geschäfts-neugründungen, die im Zuge des alba-nischen Transformationsprozesses ent-standen, gibt es eine Reihe von Grün-den. So drängte nach dem Zusammen-bruch des kommunistischen Regimesin Albanien und der damit einherge-henden Öffnung des Landes sehrschnell ein stark vermehrtes Waren-angebot auf den Markt. Es wurde vorallem durch Lieferungen aus dem

Ausland gespeist. Dem entsprach eineerheblich gesteigerte Nachfrage der zu-vor unterversorgten Bevölkerung. Dienötige Kaufkraft – wenn auch im Ver-gleich zu den Nachbarländern von rela-tiv bescheidenem Maß – resultierte ausverschiedenen Quellen (u. a. Löhne vonGastarbeitern im Ausland, Erlöse ausdem Schmuggel, internationale Hilfen).Das gestiegene Einzelhandelsvolumenhatte eine deutliche Zunahme von Ge-schäftslokalen zur Folge, wobei zunächstallerlei Provisorien eine beachtlicheRolle spielten.

Stadtstruktureller Wandel in AlbanienDer Transformationsprozess im konsumorientierten Dienstleistungssektor Tiranas

HANS BECKER und DANIEL GÖLER

Jahr Handels- Dienstleistungsunternehmen

betriebe (ohne Transportbetriebe)

1990 10 15

1991 1.613 570

1992 4.411 1.686

1993 7.095 2.157

1994 11.898 3.430

1995 4.984 1.342

Gesamtzahl Ende 1995 30.011 9.200

1 Wesentliche Ergebnisse des vorliegenden Beitragswurden 1996 im Rahmen eines Projektseminarsunter Leitung der Verfasser erarbeitet. Teilnehmerwaren cand. phil. M. BEYERLE, cand. phil. M. DIET-RICH, Dipl.-Geogr. H. HÖPCKE, cand. phil. T. JANZER,cand. phil. B. KÖPPEN, Dipl.-Rom. B. KRAUS, cand.phil. A. LEITZ, cand. phil. R. MAI (alle Bamberg)sowie Dipl.-Kfm. R. SCHMIDT (Budapest). Bei denBefragungen wurden wir von einer Gruppe von Stu-dentinnen und Studenten des Geographischen Ins-tituts der Universität Tirana unterstützt. Für guteZusammenarbeit danken wir insbesondere HerrnDozenten Dr. D. DOKA (Universität Tirana) sehr herz-lich.2 Die im früheren Ostblock weit verbreitete privateHoflandwirtschaft, die es LPG- bzw. Kolchosange-hörigen erlaubte, geringe Flächen (häufig 2 Morgen)privat und individuell zu bewirtschaften, hatte inAlbanien besonders enge Dimensionen. Als privatzu nutzende Fläche war lediglich ein Garten vonmaximal 1 000 qm Größe erlaubt. Dementsprechendfehlte ein umfangreiches Angebot landwirtschaftli-cher Produkte aus einer derartigen individuellenLandwirtschaft.3 HÖHLER, G.: In Albanien blühen die Marktwirtschaftund alle ihre Auswüchse. Frankfurter RundschauNr. 129 vom 5./6. 6., 1996 S. 16.

Tab. 1: Anzahl privater Handels- und Dienstleistungsunternehmen in Albaniennach dem Jahr ihrer GründungQuelle: INSTAT 1996, S. 15

3

Hinzu kam die hohe Arbeitslosigkeitim Lande. Fehlende Möglichkeitenanderer Art bewogen manchen Er-werbslosen zum Versuch, durch Auf-nahme einer Handelstätigkeit – in derRegel ein bescheidener Kleinhandel –ein Einkommen zu erzielen. So wirdberichtet, dass beispielsweise viele il-legal aufgestellte Kioske in Tirana vonden Behörden (zunächst) toleriertworden sind, um die ohnehin großeZahl der Arbeitslosen nicht weiter zuerhöhen.

In Anbetracht der angedeutetenRahmenbedingungen erstaunt es nicht,dass während des Transformationspro-zesses im Einzelhandelssektor vor al-lem Kleinbetriebe entstanden. Dem-

entsprechend weist die Statistik von1995 für Einzelhandelsunternehmendurchschnittlich 1,6 Angestellte jeGeschäft aus (INSTAT 1996, S. 25).Ganz ähnliche Resultate ergaben sichbei einer Befragung von 153 entspre-chenden Betrieben in Tirana im Mai

1996. Abbildung 1 zeigt die Lage derBefragungs- und Kartierungsgebieteinnerhalb der Stadt. Zwei Drittel derAngesprochenen hatten ein bis dreiBeschäftigte (incl. des Inhabers) undfast alle waren Einbetriebsunterneh-men; lediglich 18,3 % der befragten

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Art der Finanzierung Anzahl in %

Eigenmittel/Mittel der Familie 130 85,0

Bankkredit 6 3,9

Privatkredit 2 1,3

sonst. 7 4,6

keine Angabe/weiß nicht 8 5,2

insgesamt 153 100,0

Abb. 1: Lage der Untersuchungs- und Befragungsgebiete in Tirana

Tab. 2: Finanzierung der GeschäftsgründungQuelle: Befragung im Mai 1996

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Fälle gehörten zu Mehrbetriebsunter-nehmen.

Die für die Gründung derartigerKleinbetriebe erforderlichen Mittelüberstiegen oft die finanziellen Mög-lichkeiten eines Einzelnen. Innerhalbder Familie konnten sie jedoch meistbereitgestellt werden. Bei der Befra-gung von Geschäftsinhabern – aucheinige Café- und Restaurantbesitzerwaren darunter – wurde deutlich, dassdas Startkapital in 85 % der Fälle ausder Familie stammte; Verwandten-kredite sind darin inbegriffen (Tab. 2).Die bei uns üblichen Finanzierungswe-ge (Bankkredite, staatliche Förder-maßnahmen u. ä.) spielen keine nen-nenswerte Rolle, oder es gibt sie nicht.Unklar bleibt, ob bedeutsame Teile

des Gründungskapitals im Ausland ver-dient worden sind. Die Erhebung einervorangehenden beruflichen Tätigkeitvon Geschäftsinhabern im Auslandzeigt, dass nur etwa 30 % der Befragtenjemals im Ausland gearbeitet haben –wobei die größten Anteile auf Italienund Griechenland entfallen (Tab. 3) –,doch das sagt nichts über entsprechendeAuslandsaufenthalte von Familienmit-gliedern aus.

Formen des Transformationsprozes-ses im EinzelhandelDas planwirtschaftliche Erbe an Ge-schäftslokalen in Albaniens Städten wardürftig. Selbst die wenigen kurzenHauptgeschäftsstraßen im Zentrum vonTirana waren in erster Linie Wohn-

quartiere. Lediglich im Erdgeschoss derGebäude gab es ein paar schmucklose,unattraktive Läden, die ganz selten inkurzen Straßenabschnitten zu einer ge-schlossenen Front zusammenrückten.Die in Tabelle 1 angedeutete enormeSteigerung der Betriebszahl zu Beginnder 90er Jahre brachte dann eine starkeVerdichtung von Geschäftsstandortenin der Innenstadt, führte aber auch inden übrigen Stadtteilen zu einem er-höhten Besatz mit Läden und anderenVerkaufsstellen. Im einzelnen erfolgtedie Vermehrung der Einzelhandelsbe-triebe in dieser Zeit, die man mit FASS-MANN (1997) als intermediäre Phase derTransformation bezeichnen kann, aufvielfältige Weise (Abb. 2).

Privatisierung staatlicher Geschäfte

Vormalige staatliche Geschäftslokalewurden seit 1992 durch Verkauf priva-tisiert.4 Eine Möglichkeit zum Erwerberhielten zunächst die jeweiligen Be-schäftigten. Sie konnten das Geschäftsamt Inventar – vorerst allerdings ohneGebäude- und Grundeigentumsanteil –kaufen. Sofern es mehrere Angestelltegab, kam ein gemeinsamer Kauf (alsEigentümergemeinschaft) oder eineTeilung des Geschäftslokals in kleinereEinheiten in Betracht. Falls keiner dervormals staatlichen Angestellten amErwerb interessiert war, was nur seltenvorkam, wurde das Geschäft an andereInteressenten veräußert.5 Erst in einemzweiten Schritt kam es im Jahre 1996zum Verkauf von Eigentumsanteilenan den Geschäftsgebäuden an die neu-en Ladenbesitzer. Aus der von STANDL

(1998, S. 3ff.) skizzierten Bandbreite dersogenannten „kleinen Privatisierung“in osteuropäischen Großstädten fällt dasalbanische Beispiel somit heraus bzw.es erweitert die Palette der Möglichkei-ten. Abbildung 3 zeigt zwei Geschäfts-straßen Tiranas, in deren östlichen zen-trumsnahen Abschnitten der Anteil der-artiger privatisierter Läden besondershoch ist.

Land Nennungen in %

Italien 17 31,5

Griechenland 15 27,8

Deutschland 6 11,1

übrige EU 4 7,4

ehem. Jugoslawien 4 7,4

sonst. 8 14,8

Summe 54 100,0

Tab. 3: Frühere berufliche Tätigkeit von Geschäftsinhabern im Ausland

Abb. 2: Von der Plan- zur Marktwirtschaft – Transformationsformen im EinzelhandelTiranas

4 In der Mehrzahl der Fälle war die Privatisierungetwa 1 Jahr nach Beginn der Aktion abgeschlos-sen. Verzögerungen gab es, wenn Altbesitzer An-sprüche geltend machten.5 Der Kaufpreis soll in allen Fällen gering gewesensein. Die neuen Eigentümer haben die Läden oftverpachtet; es bestand also keine Verpflichtung zureigenen Nutzung.

5

Umwidmung von Wohnraum

Besonders augenfällig – und als Resul-tat im Straßenbild immer wieder zubeobachten – ist eine Umwidmung vonWohnräumen in Geschäftslokale (Foto1). Dabei scheinen dem Einfallsreich-tum kaum Grenzen gesetzt zu sein. DieMöglichkeiten reichen von aufwendi-gen Umbauten bis zur Einrichtung ein-facher Verkaufsfenster. Ermöglichtwurden solche Umwidmungen durch diePrivatisierung des Wohnungsbestandesin Albaniens Städten. Ab 1992 musstendie Wohnungsinhaber ihre vormaligenMietwohnungen zu moderaten Preisenkaufen, konnten dann als Eigentümeraber auch in der skizzierten Weise han-deln, sofern die Lage der Wohnung daserlaubte. Durchaus nicht alle bewirt-schafteten das neue Ladengeschäft fort-an selbst. Die durchgeführten Befra-gungen ergaben immer wieder Hinwei-se auf Fälle von Vermietung nach ei-nem Umbau. Die Eigentümer hattenfür ihren persönlichen Bedarf andereWohnungen gemietet und vereinnah-men die Mietpreisdifferenz – die Miet-einnahme für ein Ladengeschäft liegtüber dem Mietzins einer Wohnung – alsGewinn. Die Zufälligkeit der Woh-nungsvergabe in kommunistischer Zeitführt damit in nachkommunistischer Zeitzu ersten Ansätzen einer sozialen Dif-ferenzierung.

Aufwändige Umgestaltungen vonWohnungen im Erdgeschoss oder imHochparterre zu Ladenlokalen durcheinen nachträglichen Einbau von La-dentür und Schaufenster6 finden sichvorrangig an größeren Straßen mit über-

durchschnittlichem Passantenaufkom-men. Das ist verständlich, erfordernderartige Baumaßnahmen doch einenvergleichsweise hohen Kapitalaufwand,der nur an gewinnträchtigen Standortenlohnend erscheint. Das sind aber durch-aus nicht nur zentrale Lagen; Abbil-dung 4 dokumentiert derartige Beispie-le in besonderer Häufung an der Muha-met-Gjollesha-Straße, die Teil einerzentrumsfernen innerstädtischen Ring-straße ist. Gemeinsam ist solchen Ge-schäften – gleichgültig ob zentrumsnahoder -fern – eine relativ hohe Wertig-keit des Warensortiments.

Die einfachste Form einer Umwid-mung von Wohnraum sind Verkaufs-fenster. Ähnlich wie bei einem Kioskwerden die Waren aus einem Geschäfts-raum, der für Kunden nicht begehbarist, durch ein Fenster abgegeben. In die-sem Fall hat der Inhaber einen Raumseiner Wohnung der gewerblichen Nut-zung geopfert; und gar nicht so seltensind Fälle, in denen der Raum hinterdem Verkaufsfenster sowohl Wohn- alsauch Geschäftszwecken dient. Umbau-ten irgendwelcher Art haben im Regel-fall nicht stattgefunden.

Der mehr improvisierte Umnut-zungstyp des Verkaufsfensters ist vorallem in ausgesprochenen Wohnvier-teln, abseits passantenreicher Straßen,anzutreffen. Abbildung 5 stellt denGeschäftsbesatz in einem solchen Vier-tel der albanischen Hauptstadt dar.Verkaufsfenster finden sich hier ganzvereinzelt in ausgesprochen abseitigerLage (die Lauflagen sind durch dichtenBesatz mit Geschäften anderer Art cha-

rakterisiert). Mit ihrem sehr schmalenMischsortiment – es besteht meist nuraus Zigaretten, Getränken und Süßig-keiten – sind sie vorrangig auf die loka-le Versorgung ausgerichtet. Bei Befra-gungen wurde ein Warenwert von ca. 50bis 100 US $ für die Erstausstattunggenannt; es handelt sich also um einerecht kapitalarme Form. Die Eröffnungeiner derartigen Verkaufsstelle ist wohlweit häufiger der vorherigen Beschäfti-gungslosigkeit des Inhabers als echtemUnternehmergeist zuzuschreiben.

Inbesitznahme öffentlichen Raumes

Zu den auffälligsten, ja spektakulärstenErscheinungen des Transformationspro-zesses in Tirana gehören Kioske allerArt und in enormer Zahl, die illegal auföffentlichem Grund errichtet wordensind. Aus dem vorliegenden Schrifttumist hinlänglich bekannt, dass es so etwasunter ähnlichen Rahmenbedingungenauch in anderen Ländern des früherenOstblocks gibt (AXIONOW, BRADE undPAPADOPOULOS 1996; KNAPPE 1994;WAACK 1996 etc.), und in die von STANDL

(1998) herausgestellte Informalisie-rungsphase fügt sich unser Beispiel naht-los ein (was sogar für die vom Autorvermutete Vorläufigkeit gilt). Doch imVergleich zu anderen Ländern Ost- undSüdosteuropas hat das Okkupieren vor-mals öffentlicher Freiflächen in der In-nenstadt von Tirana ein ganz ungewöhn-liches Ausmaß erreicht. Parkanlagenund Grünflächen sind flächendeckendvon Kiosken bzw. deren Nachfolgebau-ten besetzt (Abb. 6 und 7), auch Bürger-steige werden davon eingenommen, undan den Ufern eines kleinen Flüsschensfügen sich derartige Geschäftsstandor-te zu zwei langen, fast lückenlosen Bän-dern zusammen (Abb. 8 und 9). Um dieoffensichtlich große Nachfrage nach der-artigen Provisorien zu befriedigen, hat-ten sich im Jahre 1994 sogar zwei Her-steller von Fertigkiosken am Stadtrandvon Tirana etabliert.7 Zwei Jahre spä-ter, Ende Mai 1996, war der Bedarf dannoffensichtlich weitgehend befriedigt,denn die restlichen Fertigkioske wur-

Foto 1: Durch Umwidmung von Wohnraum entstandenes Ladengeschäft in TiranaFoto: BECKER, November 1995

6 Die staatliche Kontrolle beim Umbau von Wohnun-gen zu Geschäftslokalen beschränkt sich auf dieAuswirkungen der Baumaßnahmen auf die Gebäu-destatik. Ein Antrag auf Umbaugenehmigung ist inStadtteilbüros zu stellen, die die Anträge an das„Amt für Urbanistik“ weiterleiten. Die Genehmigun-gen werden meist nachträglich erteilt. Unklar bleibtangesichts der Vielzahl derartiger Umbauten die In-tensität der Kontrolle.

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Abb. 3: Einzelhandelsbetriebe an zwei zentrumsnahen Hauptstraßen Tiranas (Juni 1996)

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Abb. 4: Geschäftsstandorte an der innerstädtischen Ringstraße (Mai 1996)

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Abb. 5: Geschäftsbesatz in einem Wohnviertel (Juni 1996)

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Abb. 6: Informelle Umwidmung einer ehemaligen Parkanlage im Zentrum durch neue Geschäftsbauten (Juni 1996)

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Abb. 7: Gewerbenutzung öffentlicher Parkanlagen in Tirana (Mai 1996)

den nun zu Sonderkonditionen angebo-ten.

Das Erscheinungsbild der Kioske inTirana ist ungemein variantenreich.Neben Eigenkonstruktionen und etli-chen überkommenen Exemplaren ei-nes insgesamt geringen Altbestandes

aus kommunistischer Zeit gibt es vorge-fertigte Fabrikate, umgebaute undzweckentfremdete Wohnwagen bzw.Campinganhänger, Container oderAnbauten an Gebäude. Vor allem abersind viele der Provisorien mittlerweiledurch An- und Umbauten vergrößert,

aufwändiger gestaltet oder durch neuemoderne Geschäftsgebäude ersetztworden. Nur zuweilen erinnert die eine

7 Beobachtungen während einer Exkursion mit Geo-graphiestudenten der Universität Bamberg im April1994

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Abb. 8: Informelle Flussuferbebauung – Dienstleistungsbetriebe an derLana (Mai 1996)

oder andere Besonderheit noch immeran die spontane Entstehung – beispiels-weise wenn ein großer lebender Baumvom Gebäude völlig umbaut worden ist,so dass sein Stamm nun inmitten einesRaumes wurzelt.

Abbildung 6 zeigt als besonders ein-drucksvolles Beispiel die Umgestaltungeines zentral gelegenen Parks in Tiranadurch informell errichtete Geschäfts-bauten. Von der ursprünglichen Park-anlage – Grünflächen mit Buschgrup-pen und (lichtem) Baumbestand – istkaum noch etwas vorhanden. Lediglichzwei kleine Restflächen im Zentrumdes Straßenblocks sowie der weitgehenderhaltene, jetzt aber in die Bebauungintegrierte Baumbestand erinnern dar-an. Die Physiognomie der Bauten istheterogen. Im Inneren des einstigenParks zeigen sie teilweise noch dasAussehen von Kiosken. Im Randbereichdagegen, vor allem an der Ostseite, diean die „Flaniermeile“ eines großenBoulevards grenzt8, haben die ursprüng-lichen Kioske aufwendig gestalten Ca-fés und Restaurants Platz gemacht. Et-liche Gebäude sind mittlerweile inmassivem Mauerwerk ausgeführt, eini-ge sogar schon zweistöckig. Großzügi-ge Frontverglasungen prägen das Bild.Jedes Lokal besitzt eine ansprechendgestaltete Terrasse mit Plattenbelagund Installationen für die abendlicheBeleuchtung (Foto 2). Die allenthalbenzu beobachtende rege Bautätigkeit (ver-gl. dazu die entsprechende Signatur inAbb. 6) illustriert eindrucksvoll dieDynamik der Entwicklung in dieser ein-stigen Parkanlage.

Weniger dauerhafte Formen zeigtdie gewerbliche Nutzung des öffentli-chen Raumes in einer anderen Parkflä-che (Abb. 7). Zwar liegt auch sie zentral,doch nicht in der Nähe der „Flaniermei-le“ mit ihrem speziell geprägten Pas-santenstrom. Hier herrscht der einfacheVerkaufsstand vor, dessen Zeltstangen-konstruktionen und Lattengestelle mitStoff bespannt sind oder bestenfalls einWellblechdach tragen. Der praktizier-te Handel hat oft semistationären Cha-rakter. Die Waren werden auf einfa-chen Verkaufstischen feilgeboten,abends fortgeschafft und am nächstenMorgen erneut aufgebaut bzw. ausge-

8 Zu Beginn der illegalen Inbesitznahme der öffent-lichen Parkfläche entstanden hier einst die erstenneuen Kioske.

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legt. Hinzu treten ambulante Angebo-te.

Ein Durchmustern von Abbildung 7lässt deutlich werden, dass die Inan-spruchnahme des öffentlichen Raumesdurch private Dienstleistungsunterneh-men bei weitem nicht so flächendek-kend ist wie beim oben gezeigten Bei-spiel (Abb. 6). Kioske und Verkaufs-stände sind beiderseits von Durchgangs-straßen und -wegen linienhaft aufge-reiht; die übrigen Freiflächen bleibenunbesetzt. Dafür gibt es zwei einanderergänzende Erklärungsansätze: Wäh-rend das oben skizzierte Beispiel in sei-nem Angebot vorrangig freizeitorien-tiert ist (Cafés, Restaurants, Spielhal-

len) – der Besucher hat Zeit und schlen-dert auch in den Innenbereich des Stra-ßenblocks –, ist das Warenangebot inder zweiten Parkanlage (vor allem Tex-tilien) viel stärker auf den eiligen Pas-santen abgestellt, der Seiten- und Um-wege meidet (vgl. dazu auch AXIONOW,BRADE und PAPADOPOULOS 1996, S. 15f.).Diesem Kundenverhalten entsprichtauch eine Reihe von Schnellimbiss-An-geboten. Hinzu kommt, dass unmittel-bar westlich an die Parkanlage das Par-lamentsgebäude angrenzt. Aus Sicher-heitsgründen dürfen in unmittelbarerNähe dieses Gebäudes keine Kioskeund Verkaufsstände aufgestellt werden;

damit bleibt ein Teil der Freiflächezwangsläufig unbesetzt.

Die informelle private Nutzung desöffentlichen Raumes durch Kioske oderandere Nachfolgebauten wird von denneuen Besitzern einerseits und denVertretern der öffentlichen Belangeandererseits durchaus unterschiedlichgesehen. Unstreitig ist offensichtlich,dass sich die jeweilige Nutzungsparzel-le im Eigentum der öffentlichen Handbefindet, während der darauf aufgestell-te Kiosk oder das darauf errichteteGeschäftsgebäude Privateigentum sind.Die Gebäudeeigentümer sehen sichdabei – wie die Befragungen aus demJahre 1996 ergaben – als Partner ineinem geordneten Vertragsverhältnismit der Stadt; die einjährigen Pachtver-träge würden sich nach ihrer Auffas-sung jeweils automatisch verlängern,sofern die Pachtsumme bezahlt wird.Vertreter der Öffentlichen Hand be-trachten demgegenüber das bestehen-de Verhältnis als jederzeit widerrufba-res Provisorium, das nur geduldet wird.Dementsprechend sei die Genehmi-gung auch für jeweils nur ein Jahr erteiltund mit der Auflage versehen, dass dieKioske so beschaffen sein müssten, dasssie problemlos wieder beseitigt werdenkönnten. Um das zu gewährleisten, dürf-ten sie nicht fest gemauert sein und kei-ne fest installierten Wasseranschlüssebesitzen.9

Die Realität der Entwicklung schienden Anspruch der Öffentlichen Handauf (jederzeitige) Widerrufbarkeit derGenehmigungen und auf Beseitigungder Nutzungseinrichtungen ad absur-dum geführt zu haben. Viele Kioske undalle auf ähnlich informeller Basis er-richteten aufwendigeren Geschäftsge-bäude sind längst mit dauerhaft verleg-ten Wasseranschlüssen ausgestattet. Einständig zunehmender Anteil ist in Zie-

Foto 2: Informell errichteter Gastronomiebetrieb in einer ehemaligen ParkanlageFoto: GÖLER, Mai 1996

Foto 3: „Dienstleistungszeile“ an der Lana (Tirana); im BauFoto: GÖLER, Mai 1996

9 Freundliche mündliche Mitteilung des stellvertre-tenden Hauptingenieurs des städtischen Amtes fürUrbanistik (Zyra e Urbanistikes) im Mai 1996. Ver-treter des staatlichen Instituts für Urbanistik (Tira-na) erläuterten vor einer Exkursionsgruppe von Bam-berger Geographiestudenten im April 1994, dassimmer wieder – oft sogar über Nacht – Kioskezunächst illegal errichtet, dann aber nach Zahlungvon Gebühren und Abgaben nachträglich legalisiertwürden. Die Genehmigung gelte jeweils für ein Jahrund müsse danach erneut bei der Stadt beantragtwerden. Die von den Kioskbetreibern zu zahlendenAbgaben seien eine von wenigen – und zudem eineder bedeutendsten – Einnahmequellen der Stadt.

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gelmauerwerk oder als eisenbewehrteBetonkonstruktion errichtet. Auch auf-wändige Innenausstattungen mit Flie-sen und Keramikplatten oder andereEinbauten stehen – der eingesetztenfinanziellen Mittel wegen – einer schnel-len Beseitigung eines solchen Gebäu-des scheinbar ebenso entgegen wie ar-chitektonisch anspruchsvolle Glas- undMetallkonstruktionen der Fassaden. Diezahlreichen neuen modernen Ge-schäftsgebäude, die im Zuge einer „wil-den“ Flussuferbebauung an der Lanaentstanden (Abb. 8), sind eindrucksvol-le Belege (Foto 3 und 4). Der Prozesseiner privaten Inbesitznahme öffentli-chen Raumes schien irreversibel ge-worden zu sein.

Jüngste Informationen zeigen nunaber, dass die informelle Inanspruch-nahme des öffentlichen Raumes für pri-vate Geschäftsbauten doch nicht so un-umkehrbar ist.10 Gestützt auf eine ei-gens geschaffene gesetzliche Grundla-ge lässt die albanische Regierung dieentsprechenden Bauten durch die Bau-polizei – und unterstützt durch Militär –wieder beseitigen. Bis Ende Februar1999 waren nach Schätzung unserer Ge-währsperson knapp 10 % der illegalenKioske und Gebäude abgebrochen wor-den, wobei sich die entsprechenden Maß-nahmen vor allem auf das engere Stadt-zentrum um den Skanderbegplatz kon-zentrierten.11 Die in den von uns kar-tierten Parkanlagen (Abb. 6 und 7) so-wie an der Lana (Abb. 8) errichtetenBauten waren zum Berichtszeitpunktnoch nicht betroffen, doch sollte geplant

sein, bis Ende 1999 alle informellenGebäude und Kioske auf öffentlichemGrund zu beseitigen. Nach vorliegen-den Informationen haben nahezu alleBesitzer mittlerweile eine entsprechen-de Ankündigung mit Fristsetzung er-halten.

Die Allgegenwart des ambulantenHandels

Auch der ambulante Handel, in nahezuallen Teilen der Stadt anzutreffen,nimmt öffentlichen Raum in Anspruch(Foto 5). Doch im Gegensatz zu deninformell errichteten Kiosken u. ä. ist eskeine Inanspruchnahme, die auf dauer-hafte Aneignung abzielt. Der ambulan-

te Händler packt am Ende seiner tägli-chen Geschäftszeit Waren und Präsen-tationsutensilien zusammen und lässteinen leeren Platz zurück. Dennoch istbei ambulanten Händlern in Tirana dieGrenze zum semistationären Handeloft nur schwer zu ziehen, denn vielekehren täglich an den gleichen Stand-platz zurück und wechseln ihn allenfallsepisodisch oder periodisch. Ausgeprägtstandortmobiles Händlerverhalten istselten anzutreffen.

Paradebeispiele eines fließendenÜbergangs zwischen ambulantem undsemistationärem Handel stellen ent-sprechende Angebotsformen im zen-tralen Marktviertel der Stadt dar(Abb. 10). Rund um die Markthallen fürFleisch und Käse haben sich auf Trep-penstufen und auf Hof- bzw. Straßenflä-chen Händler niedergelassen, die in ein-fachster Präsentationsform (auf Dek-ken oder Matten, Obstkisten usw.) einhochspezialisiertes Angebot feilhalten.So bieten einige von ihnen gebrauchteFahrradersatzteile an, andere ge-brauchte elektronische Einzelteile (vorallem Platinen) und wieder andere han-deln mit Altmetall, gebrauchten Werk-zeugen usw. In anderen Teilen des Vier-tels, in der Nähe der Fleischhalle, ver-kaufen ambulante (?) Geflügelhändler

Foto 4: Informelles Bauen an der Lana, TiranaFoto: BECKER, Mai 1996

Foto 5: Ambulante Straßenhändler in der Innenstadt von TiranaFoto: BECKER, Mai 1996

10 Freundliche briefliche Mitteilung von Herrn Dr. D.DOKA (Tirana) vom 6. März 1999.11 Nach vorliegenden Informationen sollen die Be-sitzer der abgebrochenen Bauten teilweise entschä-digt worden sein. Über Höhe und Modalitäten sol-cher Entschädigung ist nichts bekannt.

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Abb. 9: Kioske an der östlichen Lana (Mai 1996)

Enten, Hühner, Gänse, Truthähne undPerlhühner, und unter den Gemüsehänd-lern fallen ebenfalls viele durch ihreAngebotsbeschränkung auf wenige Pro-duktarten oder gar -sorten auf (Kartof-felhändler offerieren beispielsweise je-weils nur ganz wenige Kartoffelsortenund die auch noch in kleinsten Mengen).

Für eine Zuordnung dieses Handelszu ambulanten Formen spricht dessenoffensichtlich geringer Umfang. Nach

Beobachtungen des Bearbeiters über-steigt bei rd. 50 % der Händler die zumVerkauf angebotene Warenmengenicht jenes Quantum, das eine einzelnePerson tragen kann. Wenn diese ver-kauft ist, verlässt der Händler den Platz;das ist häufig bereits am späten Vormit-tag, fast immer aber um die Mittagszeitder Fall.12 Eine Klassifizierung als se-mistationäre Form wird gestützt durchdie tägliche Wiederkehr der Händler

an die gleichen Standorte und vor allemdurch ihre Einordnung in eine auffal-lende räumliche Branchengliederunginnerhalb des Marktviertels. Obst undGemüse, Fleischwaren, Gewürze, Me-tallwaren usw. finden sich – getrennt

12 Eine Kartierung solcher Händler konnte daher imzentralen Marktviertel nur zusammenfassend undgeneralisiert erfolgen (Abb.10).

15

Abb. Das Dienstleistungsangebot im zentralen Marktviertel Tiranas (Mai 1996)

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von einander – in verschiedenen Teilen(Abb. 10).

Wenn von der räumlichen Allgegen-wart des ambulanten Handels in Alba-niens Hauptstadt gesprochen wird, soschließt das gewisse innerstädtischeSchwerpunktbildungen dieser Handels-form nicht aus. Die stärksten Konzen-trationen sind in den passantenreichenInnenstadtstraßen zu finden. Hier wer-den beispielsweise breitere Bürgerstei-ge oft in zweifacher, gelegentlich sogardreifacher Reihe mit den ausgebreite-ten Warenangeboten solcher Händlerbesetzt. Sie finden sich – wie bereitsdargestellt – auch im zentralen Markt-viertel der Stadt, und sie ergänzen inden (ehemaligen) Parkanlagen dieAngebote des dort informell ansässiggewordenen stationären Handels.

Natürlich gibt es überall den Klein-händler, der auf seinem Klapptisch oderauf einer halbhohen Begrenzungsmau-er ein schmales Mischsortiment von einpaar Süßigkeiten, Zigaretten, einigenPostkarten, Rasierklingen usw. feilhält;doch viele der ambulanten Händler inden Innenstadtstraßen Tiranas sind aus-gesprochene „Spezialanbieter“ (wennauch im Bereich des untersten Quali-tätssegments). Auf einem exemplarischkartierten kurzen Abschnitt einer In-nenstadtstraße (Abb. 11) finden sichbeispielsweise zehn Händler mit Schu-hen (überwiegend Plastik-Sandalen),vier Anbieter von T-Shirts, und an dreiStellen werden Drogerieartikel bzw.Kosmetika offeriert. Daneben sindArmbanduhren, Werkzeug, Elektro-kleingeräte usw. im Angebot. 13 All daswird auf Plastikfolien, die auf dem Trot-toir ausgebreitet sind, präsentiert. Diestationären Geschäfte in der Häuser-zeile dahinter bieten teilweise ein ver-gleichbares Sortiment, allerdings vonanderer Qualität und zu einem anderenPreis.

Die andere, gleichsam entgegenge-setzte Position in der Bandbreite derErscheinungsformen des ambulantenHandels in Tirana stellen entsprechen-de Beispiele an Standorten in Wohnge-bieten dar. Abbildung 5 bietet dafürBeispiele und belegt zudem, dass hierdas (schmale) Mischsortiment beson-ders stark verbreitet ist. Ähnlich wie diebereits oben angesprochenen Verkaufs-fenster im Wohngebiet sind auch dieambulanten Anbieter dieses Standort-typs auf die Versorgung eines räumlich

eng begrenzten Wohnumfeldes ausge-richtet.

Nachfragen bei den Vertretern die-ser Gruppe zur Motivation, den Handelgerade in dieser Form zu betreiben,zeigen ein weithin recht unreflektiertesund vor allem ökonomisch wenig ein-trägliches Agieren: Der Einkauf wirdauf einem der Großhändler-Märkte amStadtrand vorgenommen, der Transportder Waren erfolgt mit dem Fahrrad odergar mit dem Linienbus (keiner der be-fragten ambulanten Händler war moto-risiert), und die Gewinnspanne ist äu-ßerst gering. Bei fehlender sonstigerBeschäftigungsperspektive spielt derFaktor Arbeitszeit offenbar keine Rol-

le. Fast alle befragten Händler sagtenaus, dass ihnen die notwendigen Mittelzum Errichten eines Kiosks oder zumEröffnen eines Geschäfts fehlen.14 Ausdieser Sicht hat sich die naheliegendeThese, informelle Handelsformen alsEinstieg ins reguläre Geschäftsleben zuinterpretieren (vergl. dazu KNAPPE 1994,S. 24f), in Tirana nicht bestätigt. Ambu-lanter Handel wird hier vielmehr alsMöglichkeit genutzt, eine Zeitspannemit wirtschaftlichen Existenzproblemenzu überbrücken.

Städtische Märkte

An etlichen geeignet erscheinendenStellen – vorrangig, aber durchaus nichtausschließlich am Stadtrand gelegen –wurden von der Stadt Tirana täglichabgehaltene Märkte eingerichtet. Essind Spezialmärkte, deren Angebot klarumgrenzte Warengruppen umfasst,auch wenn zusätzlich stets kleinereRandsortimente anderer Art hinzukom-men. So gibt es einen besonders großenTextilmarkt (Foto 6), einen sog. Le-bensmittelmarkt, einen Elektromarkt,mehrere Gemüsemärkte usw. Der Ver-kauf auf diesen Märkten findet vorran-gig an Endverbraucher statt, doch spieltauf dem sog. Lebensmittelmarkt dieAbgabe an Wiederverkäufer – übli-cherweise Kleinhändler, viele davonambulante Händler – ebenfalls eineRolle.

Auf dem Textilmarkt werden über-wiegend fabrikneue Textilien, danebenaber auch Altkleider angeboten. Zu-sätzlich gibt es Stoffe, Schuhe, Kurzwa-ren, Galanteriewaren, Teppiche, Arm-banduhren, Plastikartikel, Cassetten,Sonnenbrillen usw. Das Qualitätsniveauder angebotenen Waren ist durchwegeinfach; ihr Preisniveau gilt als niedrig.Verkauft wird überwiegend an offenenStänden, die sich zu langen Reihen zu-sammenschließen und mit Dächern ausPlastikfolien gegen Regen geschütztsind. Ein Teil der Stände besitzt festeWarentische aus Beton. Jeder Händlerhat seinen traditionellen Platz. DieStadtverwaltung tritt im Wesentlichennur beim Erheben von Standgebühren

Abb. 11: Ambulante Händler in einerInnenstadtstraße Tiranas (Juni 1996)

13 Die Kartierung erfolgte zur sachlich ungünstigenMittagszeit, da während des starken Passanten-und Käuferstroms in den Vormittagsstunden eineentsprechende Aufnahme nicht durchführbar war.14 Als probater Weg, das notwendige Kapital zurGründung eines Geschäfts zu erwerben, gilt bei-spielsweise ein Auslandsaufenthalt. Bezeichnender-weise hatte sich lediglich einer der befragten 16ambulanten Händler zuvor im Ausland aufgehalten.

17

in Erscheinung. Neben dem Verkauf anStänden ist auch das Ausbreiten derWaren – vor allem bei Altkleidern – aufdem Boden (auf großen Plastikfolien)üblich sowie eine Warenabgabe aus Au-tos (Transportern), die in Reihen ne-beneinander geparkt sind.

In unmittelbarer Umgebung desTextilmarktes hat sich eine bemerkens-werte Konzentration von Möbelhänd-lern auf der vorbeiführenden Straßeetabliert. Neben Kleinmöbeln und ein-fachen Schaumstoffmatratzen fällt vorallem ein reichhaltiges Angebot anPolstermöbeln auf. Auch die Qualitätliegt eher im unteren Bereich; das De-sign ist mit dem Begriff „konventio-nell“ sehr wohlwollend umschrieben.Mangels geeigneter Geschäftsräumewird die Ware im Freien präsentiert.Offensichtlich ist der auf den Textil-markt gerichtete lebhafte Kundenstromder entscheidende Standortfaktor. Da-bei scheinen potenzielle Käufer aus demländlichen Umland der Stadt von be-sonderer Bedeutung zu sein.

Der sogenannte Elektromarkt ist mitca. 40 bis 50 Händlern einer der kleine-ren Märkte der Stadt. Seine Stände sindganz und gar individuell und meist mehroder weniger einfach gestaltet. Manch-mal dienen simple Bretter, über Kistengelegt, als Verkaufstische; daneben ste-hen selbstgezimmerte Konstruktionenmit Eternit- oder Foliendach, und auchauf dem Boden liegende Matten mitausgebreiteten Waren gibt es. Einigeaufgestellte Sonnenschirme vervoll-ständigen das bunte Bild. An anderer

Stelle stehen räderlose Kastenwagen,die als Verkaufsstand genutzt werdenund die zugleich den Vorteil einer ver-schließbaren Warenniederlage für dieNacht bieten. Insgesamt vermittelt derMarkt einen ausgesprochen ungeord-neten Eindruck.

Die angebotenen Sortimente sindmehr oder weniger stark gemischt. EinHändler mit Sanitärausstattungen fürsBad bietet beispielsweise auch Friteu-sen und Videospiele an. So lassen sichfür die einzelnen Anbieter lediglichSchwerpunkte einer Brachenspeziali-sierung festhalten. Vorrangig gehandeltwerden Elektrokleinteile (Schalter,Dimmer, Kabel usw.), Sanitärartikel(Armaturen, Waschbecken etc.), Elek-trogeräte (Herde, Kühlschränke, Ven-tilatoren, Heizgeräte), Lampen, elek-tronische Unterhaltungsgeräte (CD-Spieler, Kassettenrecorder usw.). AlsRandsortimente sind Geschirr, Plas-tikblumen, Werkzeug und Musikkas-setten vertreten. Bemerkenswert er-scheint, dass alle Marktstände, die Elek-trogeräte oder Unterhaltungselektro-nik verkaufen, keinen Stromanschlussbesitzen, so dass die Geräte nicht injedem Fall in ihrer Funktion präsentiertbzw. von Interessenten getestet werdenkönnen.

In ausgesprochener Stadtrandlagefindet sich der sog. Lebensmittelmarktvon Tirana. Es ist ein großer Platz – bisauf eine Kaffeestube ohne weitere In-frastruktur – auf dem Händlerfahrzeu-ge dicht nebeneinander in mehrerenReihen stehen. In den meisten Fällen

findet der Verkauf von bzw. aus denFahrzeugen statt. Nur gelegentlich sindeinzelne Kleinhändler anzutreffen, dielediglich einen Handkarren besitzenund ihre Waren auf dem Boden ausge-breitet haben. Alle Händler bieten aus-schließlich haltbare Lebensmittel an(Konserven, getrocknete Hülsenfrüch-te, ungerösteten Kaffee, Salz, Reis,Mehl, Teigwaren usw.); der Anteil animportierter Fabrikware ist sehr hoch.Als Randsortiment werden Seife undWaschpulver gehandelt.

Gespräche mit Händlern auf den dreiMärkten ergaben immer wieder, dassviele Angehörige solcher Berufsgrup-pen, die ihre Tätigkeit nach dem politi-schen und wirtschaftlichen Umbruchnicht mehr ausüben konnten, nunmehrversuchen, als Marktkaufleute einenErwerb zu finden. Arbeitslos geworde-ne Ingenieure oder Fach- und Vorar-beiter waren darunter, ebenso Veteri-näre und Agronomen, aber auch ehe-malige Luftwaffen- und Armeeoffizie-re. Sie alle haben sich für den Markthan-del entschieden, weil die Aufnahmeeiner derartigen Tätigkeit unproblema-tisch erschien und nur relativ wenig Start-kapital von meist wenigen hundert biseinigen tausend US $ erforderte. DieMittel waren üblicherweise von derFamilie oder von Freunden aufgebrachtworden, hin und wieder hatten Liefe-ranten die Erstausstattung an Warenauf Kommissionsbasis überlassen. DenHändlern auf dem Textil- und auf demElektromarkt bereitet die Niederlagevon nicht verkauften Waren währendder Nachstunden Probleme. Sie müssensie meist in ihre regelmäßig zu kleineWohnung mitnehmen, wobei der Trans-port eine weitere Schwierigkeit mit sichbringt, da viele kein eigenes Fahrzeugbesitzen.

Exkurs: Versorgungsbeziehungen imHandel TiranasEine standardisierte Umfrage unterEinzelhändlern in Tirana machte deut-lich, dass jene ungeordneten Verhält-nisse eines überwiegend individuellenWarenbezugs, wie sie in der Zeit unmit-telbar nach der politischen Wende üb-lich waren, heute weitgehend vorbeisind. Damals soll es gängige Praxis ge-wesen sein, mit dem Kombifahrzeug,einem Kleinlaster o. ä. nach Griechen-land zu fahren und dort ein weitgehendvon Zufälligkeiten der Erwerbsgele-genheiten bestimmtes Sortiment einzu-

Foto 6: Textilmarkt in TiranaFoto: BECKER, Mai 1996

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kaufen. Plastikwaren minderer Quali-tät, Billigtextilien oder einige Lebens-und Genussmitteln wurden importiertund in Tirana angeboten. Mittlerweile15

bezieht die Mehrzahl der befragten Ein-zelhändler ihre Waren von Großhänd-lern, die sich inzwischen etabliert habenund die ihrerseits die Einfuhr bewerk-stelligen (Tab. 4). Geblieben ist aller-dings der nach wie vor hohe Anteil vonimportierten Waren; bei fast drei Vier-teln der Betriebe liegt er über 90 %, undrd. jeder zweite Händler (56 %) gibtsogar zu Protokoll, ausschließlich Im-portwaren zu vertreiben.

Unmittelbar beim Produzenten – alsoohne einen Zwischenhändler – beziehtknapp ein Fünftel aller Händler (18,5%) seine Waren. Dabei handelt es sichvorzugsweise um Angebote des peri-odischen Bedarfs. So beziehen von fünfbefragten Möbelhändlern vier ihreWaren unmittelbar beim Hersteller; undzwei von drei Juwelieren erwerbenSchmuck auf diesem Wege. Der Part-ner ist recht häufig nur ein einziger Pro-duzent, von dem die Ware dann auchmeist selbst abgeholt wird. Das erfor-dert logistischen Aufwand, weil die Pro-duktionsstandorte zum überwiegendenTeil im Ausland liegen (in 20 von 24Fällen = 83 %). Zudem muss üblicher-weise bei Abholung bar gezahlt wer-den, weshalb – schon des Risikos wegen– die Einkaufsreise mindestens zu zweitunternommen werden muss.

Im Fall eines kleinen Möbelgeschäf-tes wird berichtet, dass die Ware –schlichte Gebrauchsmöbel von gerin-ger Qualität – ausschließlich aus demAusland kommt. Dazu werden jeweilsmehrtägige Einkaufsfahrten im eige-nen Lkw nach Italien oder nach Make-donien unternommen. Für einen Lam-penanbieter auf dem Elektromarkt Ti-ranas unternimmt dessen Bruder regel-mäßige Einkaufsreisen in die Türkeiund importiert das Sortiment von dort.

Unter jenen Einzelhändlern, die ihreWaren über den Großhandel beziehen(75 % aller Fälle, vgl. Tab. 4), ist die

Lebensmittel- und Genussmittelbran-che besonders stark vertreten. VieleKleinhändler – darunter auch zahlrei-che ambulante Anbieter mit besondersschmalem Sortiment – decken ihrenBedarf auf dem Lebensmittelmarkt amStadtrand.16 Daneben gibt es in Tiranaetwa ein halbes Dutzend von Großhänd-lern mit Lagern im Stadtgebiet. Sie allehaben sich auf bestimmte Warengrup-pen aus einzelnen Bezugsländern spe-zialisiert.

Das konkrete Beispiel einer derarti-gen Großhandlung mag die Verhältnis-se illustrieren: Das Familienunterneh-men, in dem incl. weiterer Angestellterinsgesamt 13 Personen tätig sind, wurdeim Jahre 1992 gegründet. Es verfügtüber zwei Magazine in der Stadt, dasgrößere davon besitzt einen Kühlraum.Das angebotene Sortiment umfasst 70bis 80 Artikel, die alle dem Lebensmit-telsektor zuzurechnen sind. Der Ein-kauf erfolgt fast ausschließlich bei Her-stellern (Fabriken) in Italien17, von wodie Ware nach vorheriger Vereinba-rung per Fax mit eigenem LKW abge-holt wird. Die Bezahlung erfolgt bar beiAbholung; etwa zweimal pro Monatwerden derartige Einkaufsfahrten un-ternommen.

Der Kundenkreis umfasst rund 200Wiederverkäufer aller Kategorien –vom ambulanten Händler über den Ki-oskbetreiber bis zum Inhaber eines re-gulären Ladengeschäfts – in allen Tei-len Albaniens; etwa die Hälfte davonkommt aus Tirana. Verarbeiter, wiebeispielsweise Restaurants, zählenebenfalls zu den Abnehmern. Üblicher-weise wird die Ware vom Kunden abge-holt; Auslieferungen des Grossisten sinddie Ausnahme und erfolgen allenfallsinnerhalb des Stadtgebietes.

Das skizzierte System eines Waren-imports aus dem Ausland mit Abholungbeim Hersteller und der Verpflichtungzur Barzahlung bei Warenübernahmesetzt eine hinlängliche Versorgung mitDevisen in Form von Bargeld voraus.Dazu hat sich – ein wirklich funktionie-

rendes Bankensystem gab es zum Erhe-bungszeitpunkt noch nicht in Albanien– ein informeller Geldhandel nach Arteiner Devisenbörse etabliert. Auf ei-nem Platz vor dem Postamt in Tiranatreffen sich (Stand Anfang Juni 1996)um die Mittagszeit regelmäßig Anbie-ter und Käufer von Devisen. Währun-gen verschiedenster Provenienz wer-den in umfangreichen Bündeln angebo-ten und von Interessenten mit albani-schen Lek gekauft. Es ist ein eindrucks-volles Bild, wie Geldhändler inmittenallen Trubels in größter Ruhe großeBeträge auf der Motorhaube eines Au-tos zählen. Mit diesem informellenGeldhandel decken sich Interessenten,auch Warenimporteure, mit benötigtenDevisen ein. Die Devisenversorgungdes Marktes erfolgt über Gastarbeiter-einkünfte, die Umtauscheinnahmen in-offizieller Geldwechsler, die ihre Kun-den ganz ungeniert auch vor den Wech-selstuben ansprechen, oder aus den Ein-nahmen von Dienstleistern, die sich be-vorzugt in Fremdwährung bezahlenlassen.

Stadtstrukturelle Folgen des Transfor-mationsprozesses im Einzelhandels-und DienstleistungsbereichDie größeren albanischen Städte – ins-besondere auch Tirana – waren amEnde der sozialistischen Periode durcheine Reihe stadtstruktureller Eigenhei-ten gekennzeichnet (Abb. 12). Dazugehörten u. a.• ein duales Zentrum, in dem der Ver-

waltungs- und Kulturbereich räum-lich deutlich vom Hauptgeschäftszen-trum separiert war,

• nur wenig differenzierte Wohnquar-tiere ohne deutlich erkennbare so-ziale Segregation18,

• ein hierarchisch nur gering geglie-dertes Muster der Versorgungsstruk-tur mit einem kleinen vergleichswei-se bescheidenen Geschäftszentrumin der Stadtmitte und einzelnen iso-lierten Geschäftsstandorten an gro-

Anzahl in %

Groß-/Zwischenhandel 110 75,3

Eigenproduktion 2 1,4

Direktbezug 27 18,5

sonst. 7 4,8

Summe 146 100,0

Tab. 4: Warenbezug des EinzelhandelsQuelle: Befragung im Mai 1996

15 Die im folgenden mitgeteilten Befragungsergeb-nisse, Beobachtungen und Berichte beziehen sichausnahmslos auf den Erhebungszeitraum Mai/Juni1996.16 Vgl. dazu oben. Die auf dem Lebensmittelmarktvertretenen Importeure von haltbaren Lebensmit-teln aus Italien, Makedonien, Griechenland usw.verkaufen aber auch an Endverbraucher.17 Lediglich ein Spezialsortiment kommt aus Frank-reich. Die zweite Ausnahme der Regel ist ein Zwi-schenhändler bei Bologna, der auch nichtitalieni-sche Waren führt.

19

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ßen Straßenkreuzungen sowie inmit-ten der Wohnbereiche.

Im Versorgungsbereich herrschte alsoein punktuelles Verteilungsmuster. ImGeschäftszentrum gab es Kleinlädenmit Branchenspezialisierung; großflä-chiger Einzelhandel fehlte. Außerdemwar das Geschäftszentrum zugleich undüberwiegend Wohnquartier.

Der gesamte Sektor privater Dienst-leister war überhaupt nicht vertreten.Es gab also, von wenigen staatlichenEntsprechungen abgesehen, im Stadt-zentrum keine Praxen, Agenturen,Kanzleien usw.; eine ganze Reihe vonDienstleistern war zudem als Berufs-gruppe in Albanien unbekannt bzw.nicht vorhanden (Rechtsanwälte, Nota-re, individuell praktizierende Ärzte, Im-mobilienmakler etc). HandwerklicheDienstleister wie Schuster, Schneider,Textilfärber, Wäschereien u. ä. warenmeist – allerdings nicht in Tirana – insogenannten Dienstleistungszentren(„kompleks shërbimesh“) konzen-triert.19

Nach der politischen Wende von 1991hat der Transformationsprozess die in-nere Stadtstruktur grundlegend verän-dert (Abb. 13). So ist das ursprünglich

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Abb. 12: Funktionale Gliederung der albanischen Stadt um 1989 – Deskriptives ModellQuelle: BECKER 1991, S. 119

duale Zentrum zu einem einzigen grö-ßeren verschmolzen, dessen innereDichte zugenommen hat. Motor diesesZusammenwachsens war der Handel,dessen Verkaufsflächen – z. T. in deroben geschilderten informellen Weise– sowohl den Zwischenraum zwischenden beiden einst getrennten Teilen desZentrums in Anspruch nahmen als auchin den repräsentativen Verwaltungs- undKulturbereich vordrangen. In jenemTeilbereich, der schon zuvor Geschäfts-standort war, treten als Neuerung – aberimmer noch als Ausnahme – erste Bei-spiele eines großflächigen Einzelhan-dels in Form von Supermärkten in Er-scheinung. Gleichzeitig sind Ansätzejenes Citybildungsprozesses zu beob-achten, den bereits ENYEDI (1994, S. 63)als stadtgeographische Regelerschei-nung des postsozialistischen Wandels inOsteuropa anspricht. In zentraler Lageentstanden in moderner architektoni-scher Gestalt erste mehrstöckige Büro-gebäude (Foto 7), die ältere Bauten mit

Abb. 13: Funktionale Gliederung der albanischen Stadt im Übergang von der Plan-zur Marktwirtschaft (1996) – Deskriptives Modell

18 Ausnahme war das Wohngebiet der sog. Nomen-klatura (der „Block“) in Tirana.19 Das vorstehende nach BECKER (1991, S. 118ff.).

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Wohnnutzung in Obergeschossen er-setzt haben. An anderer Stelle fand dieUmwandlung von Wohnraum in Bürosoder Ladengeschäfte in bestehendenGebäuden statt (vergl. dazu auch FASS-MANN 1997, S. 34).

In den Wohngebieten der Stadt wur-de die einst punktuelle Verteilung derGeschäftsstandorte durch die Aneinan-derreihung in Geschäftsstraßen – alsodurch ein linienhaftes Muster – abge-löst. Dabei spielte die oben beschriebe-ne Umwidmung von Wohnungen inLadengeschäfte eine bedeutsame Rol-le. Es kam allerdings auch zur Aufgabeeiniger Geschäftsstandorte in abseiti-

ger Lage inmitten von Baublöcken. Sowerden in einem konkreten Fall dieGeschäftsräume einer vormaligenMetzgerei heute als Näherei genutzt, inder Frauen an Nähmaschinen Auftrags-arbeiten für ausländische Unternehmerausführen.

Bei neuen Geschäfts- und Dienstlei-stungsstandorten fallen etliche Bran-chenkonzentrationen auf. So hat sich inehemaligen Parkanlagen entlang derabendlichen „Flaniermeile“ zwischenSkanderbegplatz und Universitäts-hauptgebäude eine auffallende Ver-dichtung von Cafés, Spielhallen, Res-taurants, Schnellimbissanbietern etc.

Foto 7: Modernes Geschäftsgebäude im Zentrum von TiranaFoto: GÖLER, Mai 1996

entwickelt. Abbildung 6 zeigt den wohlbemerkenswertesten Ausschnitt ausdiesem freizeitorientierten Angebot.Von anderen Beispielen einer räumli-chen Spezialisierung des Angebots warebenfalls schon die Rede; dazu zählendie städtischen Märkte oder das domi-nierende Textilangebot beim semista-tionären Handel in der Parkanlage beimParlamentsgebäude (Abb. 7). Hinzuwei-sen ist noch auf eine Häufung vonRechtsanwälten und Notaren im Um-feld des neu begründeten Gerichtsge-bäudes an der Zhana d’Ark unweit derRr. Muhamet Gjollesha20. Der neu eta-blierte Berufsstand fand seine Büros-tandorte nicht nur in umgewidmetenWohnungen, sondern auch in informellaufgestellten Kiosken bzw. Bürocontai-nern (Foto 8). Abbildung 8 erfasst eini-ge davon.21

Welche der zahlreichen formell undinformell geschaffenen neuen Stadt-strukturelemente Tiranas auf DauerBestand haben werden, lässt sich wohlerst in einigen Jahren beurteilen, wenndie intermediäre Phase i. S. FASSMANNS

(1997) durchlaufen und zudem im Landpolitische Ruhe eingekehrt ist, die eineungestörte Stadtentwicklung unter ge-regelten marktwirtschaftlichen Bedin-gungen ermöglicht.

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Foto 8: Kanzleikiosk eines Anwalts und Notars in einer Parkanlage TiranasFoto: BECKER, Mai 1996

20 Der Berufsstand des Notars und Rechtsanwaltsist neu im modernen Albanien; im sozialistischen„Vorgängerstaat“ waren beide unbekannt. Die der-zeitigen Vertreter des Berufsstandes wurden inSchnellkursen auf ihre Tätigkeit vorbereitet.21 Der Vollständigkeit halber – sie gehören aller-dings sachlich nicht zum Thema des vorliegendenBeitrags – sei noch auf zwei weitere neue Elemen-te der heutigen Stadtstruktur Tiranas hingewiesen:Am Stadtrand haben sich Leichtindustriebetriebe (vorallem der Lebensmittelverarbeitung) niedergelassen,und gleichfalls am Stadtrand haben sich informellemporwachsende Quartiere von Zuwanderern ausanderen Landesteilen etabliert.

21

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Manuskript abgeschlossen: April 1999

Prof. Dr. HANS BECKER,Dr. DANIEL GÖLER,Universität Bamberg,Lehrstuhl 1 für Geographie,Am Kranen 12,96045 Bamberg.