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Bediirfnis, Wert und Vorzug Von Emil Sax Aus dem Nac.hlal~ herausgegeben und mit Anmerkungen versehen yon Oskar Kraus 1) {Deutsche Universitht, Prag) I Die in dem 5konomisehen Grundverhi~Itnis, der Abh/ingigkeit unserer Lebenszweeke (Erhaltung und Entfaltung) yon den in beschr/~nkten Mengen gegebenen Naturdingen, vorliegende Beziehung der Bestand- teile der /~uBeren Natur zu den Mensehen verursacht Seelent/itigkeiten, die in ihrer Auswirkung die Wirtsehaftshandlungen ergeben. Diese psychisehen Akte erfahren ihre Bestimmung nach zwei Riehtungen, je naeh "der Seite, yon weleher aus die gedachte Beziehung ins Auge gefaBt wird, Das kann geschehen und gesehieht entweder im Hinblick auf die Zwecke oder im Hinblick auf die aus der Umwelt zu sehSpfenden Mittel ihrer Erreichung. Darauf beruhen zwei Er- 1) S ax hatte fiber weft- und wirt~ehaftspsychologische Fragen wieder- holt mit mir korrespondiert und den nachstehenden Aufsatz noch kurz vor seinem 1927 erfolgten Ted an reich gesendet. Den AnlaB hierzu bot ihm meine Schrift ,,Zur Theorie des Wertes", eine Bentham-Studie, Halle a. S. 1901, in der ich S axens Grundlegung der theoretischen Staatswirtschaft als ein Werk hervorgehoben hatte, das sich der grundlegenden Wiehtigkeif des Vorzugsbegriffes fiir die Wirtsehaftstheorie bewuBt geworden ist, and in der ieh den wirtsehaftliehen Wertbegriff als Vorzugsbegriff analy- siert hube. Dieser Analyse hat sich wie Englander so auch 8ax ange- sch.lossen. Ieh habe daher die Redaktion des vorliegenden Aufsatzes um so bereitwilliger fibernommen, als Sax, durch meine Kritik angeregt, schwer zu entr~tsetnde stenographische ~nderungen vorgenommen hat. Der Aufsatz zeigt das beharrliche Ringen des Achtzigj/~hrigen um Klarheit in den Grund. problemen seiner Wissenschaft. Ieh sehe den Vorzug dieser kleinen Ab- handlung in dem ~qachdrueke, mit dem eben der Begriff des Vorzuges in den Vor(tergrund gerfiekt wird, in der Ablehnung der Wieserschen Zureehnungslehre und einigen Punkten, die ich anmerkungsweise hervor- hebe. Doch mSehte ieh reich den Ausfiihrungen Saxens nieht in allen Punkten anschlieBen. Wenn ich mir gestatte, hie und da auch meine ab- weichende Ansicht anzumerken, so sehe ieh reich dureh eine Briefstelle, die ich der Sehriftleitung tier ,,Zeitsehrift fiir NationalSkonomie" vorgelegt habe, aueh hierzu erm~ehtigt. In einer beabsichtigten neuen Auflage des ,,Kapitalzinses", Berlin 1916, wollte Sax das Elaborat als Einsehiebung aufnehmen.

Bedürfnis, Wert und Vorzug

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Page 1: Bedürfnis, Wert und Vorzug

Bediirfnis, Wert und Vorzug Von

Emil Sax

Aus dem Nac.hlal~ herausgegeben und mit Anmerkungen versehen yon Oskar K r a u s 1) {Deutsche Universitht, Prag)

I

Die in dem 5konomisehen Grundverhi~Itnis, der Abh/ingigkeit unserer Lebenszweeke (Erhaltung und Entfaltung) yon den in beschr/~nkten Mengen gegebenen Naturdingen, vorliegende Beziehung der Bestand- teile der /~uBeren Natur zu den Mensehen verursacht Seelent/itigkeiten, die in ihrer Auswirkung die Wirtsehaftshandlungen ergeben.

Diese psychisehen Akte erfahren ihre Bestimmung nach zwei Riehtungen, je naeh "der Seite, yon weleher aus die gedachte Beziehung ins Auge gefaBt wird, Das kann geschehen und gesehieht entweder im Hinblick auf die Z w e c k e oder im Hinblick auf die aus der Umwelt zu sehSpfenden M i t t e l ihrer Erreichung. Darauf beruhen zwei Er-

1) S ax hatte fiber weft- und wirt~ehaftspsychologische Fragen wieder- holt mit mir korrespondiert und den nachstehenden Aufsatz noch kurz vor seinem 1927 erfolgten Ted an reich gesendet. Den AnlaB hierzu bot ihm meine Schrift ,,Zur Theorie des Wertes", eine Bentham-Studie, Halle a. S. 1901, in der ich S axens Grundlegung der theoretischen Staatswirtschaft als ein Werk hervorgehoben hatte, das sich der grundlegenden Wiehtigkeif des Vorzugs beg r i f f e s fiir die Wirtsehaftstheorie bewuBt geworden ist, and in der ieh den wirtsehaftliehen Wertbegriff als V o r z u g s b e g r i f f analy- siert hube. Dieser Analyse hat sich wie E n g l a n d e r so auch 8ax ange- sch.lossen. Ieh habe daher die Redaktion des vorliegenden Aufsatzes um so bereitwilliger fibernommen, als Sax, durch meine Kritik angeregt, schwer zu entr~tsetnde stenographische ~nderungen vorgenommen hat. Der Aufsatz zeigt das beharrliche Ringen des Achtzigj/~hrigen um Klarheit in den Grund. problemen seiner Wissenschaft. Ieh sehe den Vorzug dieser kleinen Ab- handlung in dem ~qachdrueke, mit dem eben der Begriff des Vorzuges in den Vor(tergrund gerfiekt wird, in der Ablehnung der Wieserschen Zureehnungslehre und einigen Punkten, die ich anmerkungsweise hervor- hebe. Doch mSehte ieh reich den Ausfiihrungen Saxens nieht in allen Punkten anschlieBen. Wenn ich mir gestatte, hie und da auch meine ab- weichende Ansicht anzumerken, so sehe ieh reich dureh eine Briefstelle, die ich der Sehriftleitung tier ,,Zeitsehrift fiir NationalSkonomie" vorgelegt habe, aueh hierzu erm~ehtigt. In einer beabsichtigten neuen Auflage des ,,Kapitalzinses", Berlin 1916, wollte Sax das Elaborat als Einsehiebung aufnehmen.

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scheinungsgruppen, die in ihrer gedanklichen Erfassung Ms die obersten Ausgangspunkte der Wirtsehaftstheorie zu bezeichnen sind. Die Analyse hat sie gesondert zu untersuchen.

I I Die Gruppe der Seelent~tigkeiten, welche durch die Erfassung der

erw~hnten Beziehung zwischen Mensch und Natur nach der Riehtung auf die Lebenszwecke angeregt werden, hat als Voraussetzung das Be- wu~tsein des Menschen yon jenem Abh~ngigkeitsverh~ltnisse aller einzelnen Zweeke, die er zu setzen sich veranlaBt sieht. Die Lebens- zweeke, auf Grund dieses BewuBtseins ins Auge gefaBt, nennen wir B e d i i r f n i s s e . Der einzelne bestimmte Zweek, in dieser Weise dem Geiste gegenw~rtig, ist ein Bediirfnis. ,,Bediirfnis" als Begriff ist das Abstraktum der einschl£gigen Seelenvorg~nge. Die Tatsache des be- zeiehneten BewuBtseinszustandes mit Bezug auf einen bestimmten Zweck oder eine Anzahl solcher nennen wit das B e d f i r f n i s im o b j e k t i v e n Sinne oder den B e d a r f ; die Seelenti~tigkeit, welche durch das objektive Bediirfnis angeregt wird, B e d f i r f n i s im s u b j e k t i v e n S inne . Es bedarf wohl keiner ausdrficklichen Darlegung, dai~ wit es hier mit dem w i r t s c h a f t l i c h e n Bedfirfnisbegriffe zu tun haben, der die Be- sehr~nktheit der ~ul~eren Mittel gegeniiber der Unbeschr~nktheit des mensehlichen Zweckstrebens zur Voraussetzung hat und wohl zu unter- scheiden ist yon dem biologisehenl), bei dem die Besehr~nktheit oder Unbeschr~nktheit der Mittel nicht in Frage steht.

I I I Die einzelnen Bestandteile der AuBenwelt, als konkrete Mittel

zur Erreiehung bestimmter Zweeke ins Auge geraint, werden bekanntlieh G i i t e r genannt, auch wieder im wirtsehaftliehen Sinne verstanden, also als korrelativer Begriff zum Bediirfnis.

Es gilt nun zu efforsehen, worin die unter dem subjektiven Be- diirfnis begriffene Seelent~tigkeit besteht.

IV Die Folge der im wirtschaftlichen Grundverhi~ltnisse gegebenen

Verbindung zwischen Bedfirfnis und Gut ist, dai~ die Realisierung des einen Zweckes durch ein bestimmtes Gut die Erreichung anderer Zwecke dutch dasselbe Gut ausschlieBt, und das legt dem Mensehen die l~Stigung auf, sich fiir die E1Teichung des einen Zweckes mit Verzicht auf andere zu entscheiden. Der Mensch steht mithin unter dem Zwange, jeweils

1) Unter ,,biologischem Bedtixfnis" wKre demnaeh ein Begehren zu verstehen, das etwas verlangt, ohne weitere Reflexionen tiber Erreichbarkeit usw. anzustellen. Unter ,,wirtschaftlichem Bedfirfnis" dagegen scheint S ax ein Begehren zu verstehen, das bereits auf die BeschrKnktheit der Mittel Rticksicht nimmt, demnach mit bestimmten intellektuellen Elementen verkniipft ist.

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den einen Lebenszweck einem anderen hinsichtlich der Erreichbarkeit vorzuziehen. ])as Wort ,,vorziehen" ist also bier im Sinne yon ,,w~hlen" gebraucht, und jedes praktische vorziehen schlieBt ein verziehten in sieh.

Dabei zeigt sieh hinsiehtlieh des Verzichtes ein Unterschied der F~lle: handelt es sieh um die Auswahl yon Zwecken, so berfihrt der Verzicht das Gemiit nicht. Wenn es sich abet um einen neu hinzutretenden Zweek handelt, dem der Vorzug einger~umt werden soil, so wird der Verzicht als Entgang empfundenl).

V Es entsteht sofort die Frage, welchen Zweek der wirtsehaftende

Menseh praktiseh vorzieht. Die Antwort kann nieht zweifelhafg sein: denjenigen, der ihm den h6ehsten Weft in Aussieht stellt.

1) Sax sehrieb mir in seinem Briefe vom 6. Februar ]927: ,,Der Ent- wurf ist knapp im Ausdruck gehalten; in der Ausfiihrung wiirden Erl/~ute- rungen anzubringen sein, die ieh mirfiir den Fall vorbehalte, als der Gedanken- gang im wesentliehen beibehalten wird."

Gerade an dem Punkte des Textes, der yon einer doppelten Art des ,,Verzichtes" sprieht, h/~tte sieh eine solche Erl/~uterung Ms n6tig erwiesen. Tats/~chlich spricht der erw/~hnte Brief sogleich davon, auch Anmerkungen betreffend den Kostenbegriff hinzufiigen zu wollen. ,,Da~ betrifft insbesondere den Kostenbegriff, wobei es mir natfirlich von Wichtigkeig w/ire zu wissen, ob meine Vermutung (,,Kapitalzins" S. 46) beziiglieh Ihrer Auffassung des Begriffes die richtige ist. Es wird sieh da um ech te oder u n e c h t e Kosten handeln."

So der Brief. Ieh bemerke hierzu: Worin meine Lehre sich yon der Grenznutzenlehre vor allem unterschied, war der Umstand, dab ieh zeigte, dab es unm6glieh ist, den Begriff des sogenannten ,,wirtschaftliehen Wertes" auf den Begriff des Nutzens, ,,der vom Bediirfniswert abgeleitet" sei, zu- riiekzufiihren, dab vielmehr ohne die emotionellen Bewul]tseinszust/~nde des Vorz iehens eine Kt/~rung nieht zu erzielen ist. ,,H6herwerten" und ,,Vorziehen" sind verschiedene Ausdl~icke fiir denselben Vorgang, der dadurch eharakterisiert ist, dab er kein intellektueller, sondern ein emotioneller Vorgang, ein Gemii~szus~and, ist. Ein rein intellektuelles Wesen wiiBte wohl, dab zwei Erkenntnisse mehr sind als eine; aber es k6nnte nicht wissen, dab sie mehr weft , 4. h. besser, vorziiglicher, vorteilhafter sind als eine. ,,Wirtschaftlich wertvoll" (mehr oder minder kostbar) ist ein bestimmtes Ding, dessen Besitz dem Verlust vorzuziehen ist.

Was nun die ,,Kosten" anlangt, so habe ich bald ,,Opfer", bald ,,Ver- zichte" darunter verstanden (Theorie des Wertes, S. 92f.). Engl/~nder hat die beiden Begriffe strenger geschieden, als ,,echte" und als ,,unechte" Kosten. Ieh sehe darin eine fSrderliche Kl~ung. Bei jeder W a h l (praktischem Vorziehen) miissen wit auf etwas verziehten (uneehte Kosten). Aber ,,echte Kosten" scheinen nur vorzuliegen, wenn man ein prim/~res Ubel (z. B. Opfer der Arbeitsunlust) oder einen Verlust an verwendungsbereiten Genufl- giitern, an Konsumtion, in Kauf nimmt, wobei man allerdings hofft, dab diese Nachtefle (O10fer) dutch den Erfolg aufgewogen werden.

Jede 6konomisehe W e r t l e h r e ist daher eine l~ehrwer t lehre , wenn- gleich nieht im marxis~ischen Sinne. Man vergleiche Engl~.nclers Ab- handlungen in dieser Zeitschrift, XLIII , 3, 4; XLIV, 2, 3, und seine ,,Weft-

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l~ach welchen Gesichtspunkten die Wertung erfolgt, ist ein Frage- punkt, welcher der Philosophie angeh6rt. Die Wertung der Lebenszwecke wird daher wohl als ein Moment des Bediirfnisbegriffes anerkannt, die nghere Analyse dieses Momentes aber der Psychologic iiberlassen.

Daher sind auch die differierenden Lehrmeinungen der Fach- psyehologen, ob der Wertungsakt ein Gefiihl oder ein Begehren (WoUen) sei odor ein psychiseher Akt, der ein dem Fiihlen und Begehren Ge- meinsames darsgelle (Kr aus : ,,Die Orundlagen der Werttheorie" 1)), f/Jr den National6konomen gleichgtiltig, zumal diesem zu einer Entseheidung fiir die eine odor die andere der Ansichten die Kompetenz mangelt. Das Bekennen zu einer derselben w/ire eine rein subjektive Stellung- nahme, nicht geeignet, seinen Lehren auf seinem Faehgebiege Autoritgt zu verleihen. Dagegen wird es unerlgBlieh, zu einer bes$immCen Ansieht dariiber zu gelangen, was den BestJmmungsgrund oder MaBstab der Wertung abgebe, und hier wird die Verbindung der Lebensfunktionen, des auf ErhaJtung und Entfal tung des L~bens geriehtegen Zweek- strebens, mit den Gefiihlsqualitgten, Lust und Unlust, bedeutsam~).

lehre" in ~Iayers ,,Wirtschaftstheorie der Gegenwart", § 3, we die Formu- lierung am sehgrfsten vorgenommen seheint; ieh glaube nieht, dal] die Be- merkung yon F. X. W ei B im Handw6rterbuch der Staatswissensehaft, 4. Aufl., Bd. VIII, S. 1010, jene Unterscheidung mit Recht fiir unwiehtig h~lt, WeiB glaubt dies datum, weil ,,der Abstand zwisehen echten Kosten (z. B. Arbeits- leid) und Produktionseftolg die Tendenz hat, so gering zu werden, dai] das Eftordernis einer Differenz vernaehl~ssigt werden daft". ~bersieht dieser Einwand nioht - - unter dem Einflug Wieserseher Lehren - - , dab eine Produktion, die ein Produkt erzeug~, dessen ,,wirtschaftlicher Weft" die ,,Kosten" n i e h t iiberstoigt, unwirtsehaftlich, d. h. im wahren Sinne des Wor~es, unproduktiv ist

1) Jahrbiieher der Philosophie, II. Bd. 1914; dazu ,,Theorie des Wertes", 1901.

~) Sax erklgrt einerseits den Wirtsehaftstheoretiker als solehen ftir inkompetent, psychologisehe Fragen zu entscheiden, anderseits geht er bier selbst in psychologisehe Einzelheiten ein.

Meiner ~berzeugung naeh handelt es sieh bei der allgemeinen Wirt- schaftstheorie, insbesondere bei der ErSrterung der Grundbegriffe ,,Wirt- schaft, Bedlirfnis, Wert, Kosten usw.", um Grenzbegriffe, d .h . um solehe, die ohne psychologisehe Forsehung nicht zu kl/~ren sind. Es ist ganz und gar unm6glieh, mit der ,,Allgags- oder Jedermannpsychologie" diese Fragen zu 16sen. Hier berfihren sieh zwei Forsehungsgebiete, und der Wlrtschafts- theoretiker mull sieh eben bemfihen, sieh die nStigen psyehognostisehen Kenntnisse ebenso anzueignen, wie or die spezffiseh 6konomisehen Kenntnisse erworben hat.

Gerade die yon Sax im Texte berfthrte t~rage, ob tier Wertungsakt dem Geffthle odor dem Begehren zuzuordnen ist, diiffte jedoeh heute yon den meisten Psyehologen dahin beantworget werden, dab eben Wertungen und Bevorzugungen dem emotionellen Gebiete, d. h. einer Klasse angeh6ren, die gleiehmgBig Ffihlen und Wollen umspannt, wie dies B r e n t a n o s Psycho- ~ogie (ed. K r a u s in Meiners Philos. Bibliothek, Bd. 192, 193, 207) seit 1874 lehrt.

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360 E. Sax:

DaB eine solche Verbindung bestehe, is~ eine aUgemeine Annahme, niedergelegt in Religionen (,,Im SchweiBe deines Angesiehtes sollst du dein Brot essen", der GenuB der Frfiehte der Erde ist mit der Arbeitsplage verknfipft) und philosophisehen Systemen. Betreffend die Art der Verbindung aber ist eine auf den Grund gehende Verschiedenheit der Ansehauungen festzusteUen. Die eine ist die bekannte, so verbreitete hedonistische Anschauung, die aUe Bet~tigung des Lebens auf das Streben nach Lust und Vermeidung yon Unlust zuriickfiihrt - - eine Ansicht, deren Vertretung und Bek~mpfung in der Literatur groBen Raum einnimmt. Eine andere Ansicht geht dahin, dab Lustgefiihle zwar nicht das Ziel unseres Zweekstrebens sind, wohl abet eine Begleit- erseheinung, die mit dem Begehren der Zweekerreichung in irgendeiner kausalen Beziehung steht. Se]bstverst~ndlich fragt es sich: in weteher ? Man kann darauf verweisen, dab die Erffillung unserer Lebenszweeke eigenttieh die Lebensfreude ausmaeht, den Lebensgenug (der sp~rlich genug zugemessen ist und sieh zuletzt mit der bloBen Erhaltung be- seheidet !). Das ist jedoch nur die Feststellung der Tatsache jener Ver- bindung, gesehSpft aus der Beobachtung. Eine Erkl~rung wiirde die Erkenntnis bieten, dab das Streben naeh BewuBtseinszust~nden, die mit lustvollen Gefiihlen verbunden sind, nur der Mechanismus ist, mittels dessen die Erhaltung und Entfaltung des Individuums und der Art bewirkt wird, indem alle psychisehen Erseheinungen, welche der Art- erhaltung dienen, angenehme Geffihle und ein Begehren verursaehen, w~hrend diejenigen Erseheinungen, welehe die Arterhaltung beein- tr~ch~igen, unangenehme Gefiihle und ein Widerstreben erweeken. Es dr~ngt sieh freilieh der Einwand auf, dab Geniisse unter bestimmten Umst~nden auch Sch~digung bewirken, der GenuB auf Kosten der Arterhaltung geht (Alkoholismus!). Indes, dem wirkt w~eder naeh Er- kenntnis ihrer Folgen entgegen, die Vermeidung soleher Geniisse, welehe dureh die Rficksieht auf die Arterhaltung den Mensehen auferlegt wird, und diese Riicksicht muB ihre Begriindung in dem Widerstande des ]eibtiehen Organismus gegen Zerfall haben, also dem geheimnisvollen lqaturvorgange, den wir ,,Leben" nennen. Hier stehen wir allerdings vor dem Ignoramus, vielleicht dem Ignorabimus, und k6nnen uns nur damit bescheiden, dab sehon das Tier in natiirlieher ~reiheit die Ver- meidung yon Sch~dlichkeiten instinktiv iibt. Es mag noch eine andere Deutung der in Rede stehenden Tatsaehe zu finden sein. Mag man sich nun flit die teleologisehe Erkl~rung, die des I-ledonismus, entseheiden oder fiir die kausale : jedenfalls sind damit Gefiihlsregungen in die Wirkung der Lebensgiiter einbezogen, und das Konklusum ist, dab der Vergleich der Geffihle, der sich im BewuBtsein automatisch vollzieht, fiir den Vorzugsakt den Ausschlag gibtl).

~) Diese Betrachtungen iiber die Beziehung yon Lust und Unlus~ zum Vorzugsakt halte ich nieh~ fiir so wiehtig fiir die ~¥irtsehaftstheorie, wie Sa x dies zu meinen scheint. Gewisse Beziehungen sind gewiB zu beachten: die Arbeitsunlust, da sic als ,,eehte Kosten" eine Rolle spielt, und die Arbeits- lust, sofern sie produktionsf5rdernd und bei gewissen Berufen preisdriickend

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VI Mit der Wertung der Lebenszwecke und dem darauf beruhenden

Vorzugsakte ist gem~l~ § 9 die Seelenti~tigkeit des subjektiven Bedfirf- nisses noch nieht erschSpft. Der praktische Vorzugsakt ist ja nieht lediglich eine Besch~ftigung in Gedanken, sondern soll die tats~ehliche Erreichung des Zweckes bewirken. Daher schliei~t er eine Willensregung ein, ein Wollen, das ja freilieh bei gewissen Lebenszweeken, mindestens allen, die auf die Erhaltung des individuellen Organismus Bezug haben, schon in unserer leiblichen Natur gegeben ist. In dem Verhk'ltnis zwischen 5~ttel und Zweck ist da dem Wi~en ein bestimmter Inhal t vorgezeiehnet. Der Wille kann nur darauf geriehtet sein, fiber das betreffende Gut die Verftigungsmach~ zu erlangen und diese im Sinne der tats~ehliehen Verwendung des Gutes zur Zweckerreichung (durch Gebrauch) auszu- iiben.

Ein Schriftsteller, der den Bedfirfnisbegriff einer in gewisser Hin- sicht ~ngeniigenden, in anderer Hinsicht zu welt gehenden Analyse unterzogen hat1), formuliert den Begriff als die Verbindung eines Wohl- fahrtsbegehrens mit einem Verffigungs- und einem Verwendungsbe- gehren. In Anlehnung an diejenige psyehologische Lehrmeinung, welche das Begehren als Gefiihlsi~u~erung charakterisiert, ist hier dem Sinne nach das n~mliche gesagt, was soeben vorgetragen wurde. In der Geltend- maehung des bezeichneten Willens finder die in Rede stehende Wirt- schaftshandlung ihren AbschluB.

Zu der geschilderten Wirtschaftshandlung ist immer wieder AnlaB, so da~ sich ein Vorzugsakt an den anderen schlie~t. Derjenige Zweek, auf den beim ersten verziehtet wurde, wird mm einem dri t ten vorge- zogen usw., stets der frfiher zurfiekgestellte einem n~chsten, bis die zur Verfiigung stehende Gfitermenge ersehSpft ist. Dadureh bfldet sich eine Reihe, die in der ,,Grundlegung" als die 5konomisehe Ordnung der Bediirfnisse bezeiehnet, yon anderen Bedfirfnisskala oder Rang- ordnung genann~ wird. Die Verwendung der Gfiter erfolgt im Sinne dieser Reihenfolge oder Abstufung. Das ist darunter zu verstehen, wenn man sagt, das fiber die Befriedigung "der Bedfirfnisse ihr St~rke- grad entseheide; in der Befriedig~mg der Bediirfnisse das st~rkere dem sehw~cheren vorgehe.

(Einschaltung. Anstatt des eigensprachlichen Ausdrucks wurde in tier ,, Grundlegung" der fremdsprachliche ,,i n t e n s i v" gebraucht, ohne besondere Absieht, nur einer gewohnten Schreibweise folgend - - ebenso sei~ens anderer Autoren. Damit sollte keineswegs eine Aussage in dem

wirkt. E ng l~nder : ,,Die Erkenntnis des sittlieh Richtigen in der National. 5konomie", Sehmollers Jahrb., XXXVIII, 3, 4;. dazu Kraus : ,,Theorie des Wertes", ,,Grundlagen der Werttheorie" (sowie B S h m - B a w e r k , Kapital und Kapitalzins, II. Abtlg., 2. Italbband, Innsbruek 1912): ,,Psycho- logisehes Nachwort zur Werttheorie", S. 310~. und die Exkurse.

1) Cuhel: Zur Lehre yon den Bediirfnissen, Innbruck 1907; dazu die Kritik yon K r a u s in Zeitschr. f. Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Ver- waltung, XVIII. Bd. S. 499f.

Zeitschr. f. NationalSkonomie, I. Bd., 3. It. 24

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362 E. Sax:

Sinne gemeint sein, in welchem das Wort yon der Faehpsyehologie gebraucht wird, n/~mlieh [wenn ieh reeht verstehe] als Steigerung einer Empfindung oder eines Gefiihls, die auf eine mitspielende Ursaehe, auf Reizsteigerung, zuriiekzufiihren ist. Ein ,,intensiveres" Bediirfnis in d i e s e m Sinn ist sonach ein Gefiihl best immter Art, das einen hSheren St/~rkegrad aufweis'~ als ein g l e i e h e s Gefiihl unter anderen Umstgnden. In unserem Sinne ist ein intensiveres Bedfirfnis einVorzugsakt, betreffend einen best immten Zweek gegeniiber a n d e r e n ) l ) .

V I I

Wenn alle Gfiter als gleich geeignet anzusehen wgren, so w~re mit dem B e d i i r f n i s i m s u b j e k t i v e n Sinne der Leitstern des W/rtsehaftens gegeben~). Wir kSnnen uns auch einfache Wirtsehaftszust/~nde denken, in welchen eine solche Gteichheit der Giiter in besehr/~nktem Umfange, wenngleieh nieht jeweils vorhandener, sondern erst der dutch Arbeit zu gewinnenden Gfiter wahrzunehmen w/~re. Unter solehen ein~achen Verh/~ltnissen w/£re mi~ dem Bediirfnisbegrif~ das theoretisehe Auslangen zu finden. Allein so einfach liegen eben die Dinge nieht!

Die Grundlagen der Wirtsehaft sind hSehst verwickelt. Den Lebens- zwecken steht ein Reich von Mit~eln gegeniiber, das innerhalb seiner umf/~nglichen Beschr/~nk~heit grol~e Mannigfaltigkeit im einzelnen auf- weist. Die Naturdinge zeigen grebe Versehiedenheiten hinsichtlieh ihrer teehn/schen Verwendbaxkelt und sind in allerlei Kombinat ionen ineinander iiberzufiihren, von denen je eine fiir einen best immten Zweck aloe tibrigen, die anderen Zweeken dientich w/iren, aussehliel3t. Diese Verbindungen erfordern teehniseh verschiedene Mal~verh~ltnisse. Diese Buntheit in den Erseheinungen des Gfiterreiches f~llt zusammen mit der Tatsache der zeitliehen Andauer der Bediirfnisse in steter Wieder- kehr oder ohne Unterbreehung, eine Tatsaehe, deren sieh die Menschheit sieherlieh sehon in den alterersten Stadien ihrer Entwieldung bewuBt geworden ist. Hierzu komm~ der Wandel in den Bediirfnissen, welchen die fortsehreitende Kul~ur mi~ sich bringt, und die Vergnderungen

1) Diese Einschaltung tiber den Sinn des Wortes ,,In~ensitSt" ist auf meine Erinnerungen gegen den Gebrauch dieses Terminus zuriickzufiihrem D al~ die Intensit~t im psyehologischen Sinne ,, S t/~ r k e g r a d einer Empfindung oder eines sinnlichen Lust- oder Untustgeftihles durchaus nicht immer die Wahl (den praktischen Vorzugsakt) bestimmt and keinesfalls mit ihm zu verwechseln ist, hat F r a n z B r e n t a n o in seiner Schrift ,,Veto Ursprung sittlicher Erkenntnis", 2. Aufl., ed. K r a u s in der Philos. Bibliothek, Bd. 55 ausftihrlieh gezeigt. Auf dieser epochemachenden Abhandlung fuf3en meine werttheoretisehen Schriften. Dieselbe Lehre vertritt Engl /~nder 1. c. Was ,,Intensit/~t" im psychologisehen Sinn ist, dariiber handelt F. B r e n t ~ n o kurz in seiner ,,Psychologie", insbesondere in dem Bd. I I I , 1 (1928) ,,Veto sinnliehen un4 noetischen Bewuf3tsein", Bd. 207 tier Philos. Biblio~hek, S. 66f. In dem demn/~chst erscheinenden II . ttalbband ,,Untersuchungen zur Sinnespsyehologie" ist die Lehre yon der IntensitAt ausffihrlich dargestellt.

2) Doeh wohl nur, wenn alle Gfiter ,,freie" Giiter wiiren!

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in der Verwendung der Giiter, welche dureh die Fortschri t te der Technik herbeigefiihrt werden. VernunftgemgBe Voraussetzung ist, dab yon mehreren Giitern unter gleichen Umstgnden stets das bestgeeignete zur Verwendung gelangt.

Diese Tatsaehe war fiir den Menschen bestimmend, die im 5kono- misehen Grundverh/~ltnis gelegene Beziehung zwisehen der Au$enwelt und den Lebenszweeken yon Seite der Giiter her ins Auge zu fassen.

Das Verlangen nach dem Zweeke motiviert eine (~bertragung der Zweeksetzung auf die Giiter als Mitre]. Es bew/~hrt sich hier eine aristo- telisehe Unterseheidungl). Zwischen der Wertung eines Dinges als in s i eh g u t und der Wertung als n i i t z l i e h , d. h. der Wertung als Nfitz- lichkeit und naeh MaB der Nii~zliehkeit oder, wie es die neueren Psycho- logen ausdriieken, die Unterseheidung zwischen E i g e n w e r t und W i r k u n g s w e r t , p r i m / i r e n und s e k u n d / ~ r e n Werten. Der Ausdruek , W e r t ''2) wird bald ~ls das grammatisehe Abs t rak tum fiir die beziig-

1) Vgl. O. K r a u s: ,,Die aristotelische Werttheorie in ihren Beziehungen zu den Lehren der modernen Psychologenschule" in der Zeitschr. fiir die ges. Staatsw., Jahrg. 61, 1905, S. 573, auf welche Abhandlung Sax sich bezieht.

2) Sax faflt, wie dies sehr allgemein gesehieht, die ,,Ntitzliehkeit" als eine ,,Eigenschaf~" der nftzlichen Dinge auf. Allein die o~enauere Analyse zeigt, dab diese Auffassung nicht zutreffend ist. ]~igenschaften der Nahrungs- mittel z. B. sind ihre chemiseh-physikalischen Eigentiimlichkeiten, die sie bef~higen, dem Organismus KaIorien zuzufiihren und ihn am Leben zu er- halten. N e b e n so l chen E i g e n s c h a f t e n is t k e i n e a n d e r e an i h n e n zu e n t d e e k e n , besonders keine, die man als Nftzlichkeit oder Nfitzlieh. keitsbeziehung bezeichnen kSnnte. Wir w e r t e n jene Nahrungsmittel um ihrer lebenserhaltenden l~igenschaften willen, und diese Wertung um eines anderen ,,prim/~ren Wertes" willen ist die Wertung als niitzlich. In die Wert- und Kostentheorie kann erst dann vSllige Klarheit gebraeht werden, wenn man sich stets vor Augen h/~lt, dab ,,Weft", ,,Nutzen", ,,Vorzug", ,,Rente", ,,Preis" usw. niemals anders als vom w e r t e n d e n und v o r z i e h e n d e n Snbjekt aus verstanden werden kann (auch der sogenannte objektive, absolute Weft). Zu diesem Punkte meiner ,,Grundlagen der Werttheorie" (Jahrb. d. Philos., II , 1914, S. 3f.) vgl. meine Neuausgabe des ,,Ursprunges sittl. Erk.", Einleitung und Anmerkungen. Sodann ,,Psyehologie und Geisteswissen- sehaft" im Euphorion, 1927, 4. Heft. Auch das ,,Quantit/~tsverh/~ltnis der Gfter" Wird in den Wert- und Kostensehatzungen berfeksiehtigt, und insofern dies geschieht, pflegt man zu sagen, dab aueh ,,objektive Bestim. mungsgriinde" bei der wirtsehaftliehen Wertsehatzung eine Rolle spielen. Man bedenke aber eben, dab diese ,,objektiven" Faktoren yore 8ubjekt irgendwie erfaBt werden mfissen und nur, insofern sie erfaBt werden, fiir die w i r t s e h a f t l i c h e Bewer~ung, die stets eine Bevorzugung ist, in Betraeht kommen.

Daher ist jede Wert-, Kosten. und Preislehre psyehologiseh zu fundieren. Ieh glaube, dab aueh F. X. Weil3 in seinem sehr beaehtenswerten Naehtrag zum Artikel ,,Weft'" yon B S h m - B a w e r k nieht anders zu verstehen ist. Vgl. aueh E n g l a n d e r in Sehmollers Jahrb., Jahrg. 91, Heft 8, fiber ,,Karl Mengers Grundsatze der Volkswirtsehaftslehre".

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lichen Wertungsvorg/~nge verwendet, bald aber aueh als Bezeiehnung fiir etwas, was man als Ergebnis der Wertung oder Bevorzugung ansieht, n/~mlich fiir die einem Gute zuerkannte ,,Vorztigliehkeit" in bezug auf die Bedfirfnisbefriedigung gegeniiber anderen Gtitern. Auch die abge- leitete Wertung der Gfiter ist ein emotioneller Akt, der das Gemiit be- rtihrt. Die betreffenden Bestandteile der AuBenwelt sind dem Menschen for tab nicht mehr gleichgiiltig, sie gewinnen fiir ihn Bedeutung, ihr Besitz bereitet ihm Freude, ihr Verlust Leid; die Psychologie Franz B r e n t a n o s charakterisiert sie als Objekte der Liebe und des ttasses.

Die Vorzugsakte, die sich in Gem~Bheit der tibertragenen Wertung auf die Gtiter beziehen, werden in den Wirtschaftshandlungen siehtbar. Die yon uns erfaBten Ntitzlichkeitsbeziehungen, d. i. die Eigensehaft der Giiter als Mittel zu best immten Zwecken, werden von dem Gediichtnis aufbewahrt . Wenn die Vorstellung eines best immten Gutes in uns rege wird, wird auch die Vorstellung des betreffenden unter den kon- kreten Umst~nden dutch derartige Giiter zu erreichenden Zweekes in uns lebendig, und dies kann auf lange Zeit hinausreiehen, wie z. B. bei dauerbaren Giitern, wie H/~user usw. Das gleiche gilt vom Quantit~ts- verh/iltnis der Giiter; und daran kniipft die Reflexion an. In wieder- kehrenden F/illen bietet sich dadureh das 6konomische Resuttat dem Geiste yon selbst dar. Zuerst best~rkt die Reflexion die Entseheidung des Wertgefiihls dureh Erw.~guug der Folgen, welehe die nach seiner Anzeige vorgenommenen Wirtsehaftshandlungen gehabt haben. Weiter- hin gewinnt sie durch Erziehung und Unterrieht tiber die Gefiihlsimpulse fortschreitend die Oberhand, indem sie letztere allm~ihlieh in das Unter- bewuBtsein zuriiekdr/~ngt, aus dem die im regelm/~Bigen Verlaufe des Wirtsehaftens nut Wieder hervortreten, wenn eine neue Situation, die im bisher gesammelten Erfahrungsmaterial nicht inbegriffen ist, Platz greift. A'xf diese Art gewinnt es sehlieBlieh den Ansehein, als ob .das gedaehte Quantit/~tsverh~ltnis im Mensehen direkt durch den er- w~genden Verstand angezeigt worden wfirel).

1) Dies ist so zu verstehen: Die Absch~tzungen, Vergleiehe 6konomischer Art, die Kalkulation von Gewinn und Verlust, scheinen rein verstandes- gem/~i], d. h. intellektuell, urteilsm~Big zu verlaufen. Dennoch w/~ren diese Akte ganz und gar unm6glieh bei einem Wesen, das nicht emotionelle Akte, Gem~tsakte, also da~% was B r e n t a n o Lieben, H~ssen und Vorziehen, M a r t y ,,Ph/inomene des Interesses" nennt, in sieh erfahren h/itte.

Die 6konomische und die Werttheorie iiberhaupt wird bier, wie iiberall, (lurch die Volksspraehe irregefiihrt, die sehr komplizierte Gedanken dureh ein einziges Wort, wie z. B. ,,Gut", bezeichnet. Indem ieh etwas ein wirt- schaftliches Gut nenne, gebe ich dem Gedanken Ausdruck, dab es ein Ding sei, und dab dieses Ding unter gewissen Umst/~nden gewisse Wirkungen entfaltet und dab mir diese Wirkungen lieb sind, d. h. dab ich sie werte, und daft endlich der Verlust dieses individuellen Dinges einen Nachteil bedeutet. Hinzu kommen W a h r s c h e i n l i e h k e i t s u r t e i l e , die in dem vorliegenden Artikel ganz aul]er Betracht bteiben!

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In den Zeiten primitiver Naturalwirtschaft mag der eine ein Rind fiinf Hammeln vorziehen, ein anderer schon vier Stiick einem Rinde gleichhalten. In der Geldwirtsehaft, in der dureh den Tausehverkehr alle Giiter gegeneinander umsetzbar geworden sind, werden sie im Geld auf eine Einheit zuriickgeftihrt, derart, dab alle solehe Quant i t~s- verh~ltnisse dutch Zahlen dieser Einheit ausgedrfickt werden kSnnen. In den Verh~ltn/ssen dieser Zahlen ist hier der Gfiterwert unserem Geiste gegenw~rtig, und dieses Verh~ltnis mag mit Bezug auf bestimmte Gfiter bei dem einen und dem anderen ein verschiedenes sein, je naeh den individuellen Umst~nden seiner Wirtsehaftl}.

Durch die Wertungs- und Bevorzugungsakte werden in der Regel gerade jene Wirtsehaftshandlungen angereg~, welche unter den augen- blicklich vorliegenden Umst~nden das hSchste MaB der Z~eckerreichung bewilligen. Jede Ver~nderung der Umst~nde gelangt in dem Wertwechsel, den sie bewirkt, zum Ausdruck in Umwertungen, die insbesondere in den vorgeschrittenen Stadien der Kulturentwicklung h~ufiger werden. Insbesondere erf~hrt die Wertung eine Erweiterung dadurch, dab sie sich auf z u k f i n f t i g e Gfiter erstreeklb, und zwar in immer weiterer Aus- dehnung der Vorsorge, wobei unter den zukfinftigen Gfitern die Kapital- gfiter eine besondere Rolle spielen2), da die Wertung der Zwecke auf sie nicht direkt iibertragen werden kann, sondern eine mittelbare ~ber- tragung erforderl/eh wird.

Die Vielf~ltigkeit der Umst~nde in den Grundlagen der Wirtschaft, auf welche die Aufmerksamkeit zu lenken war, ist ersiehtlieh geeignet, den mensehliehen Geist in hohem Ma~ in Anspruch zu nehmen. Es kommt indes ein Umstand in Betracht, der der mensehliehen Psyche eine wesentliche Erleichterung bietet. Es zeigt sich n~m]/eh bei Gfitern, welche in gleiehartige Teile oder Teilmengen zerlegt werden kSnnen bzw. sieh aus solchen zusammensetzen, dab n/cht jedes einzelne konkrete Stiiek auf ein bestimmtes Bediirfnis bezogen zu werden braueht, viel, mehr wegen der Vertretbarkeit der einzelnen Teile es genfigt, nur die

1) Hier ist auf die vorige Anmerkung zu verweisen. Die Geldrechnung ist eine rein intellektuelle Bewu~tseinsfunktion. S ax deutet bier in seiner knappen Weise an, dal3 diese Geldrechnungen nun dureh die individuellen wirtschaftlichen Geldwertungen wieder riiekl~ufig yon dem rein In t e l l ek - t u e l l e n ins E m o t i o n e l l e tibersetzt werden miissen. Hier greifen die Gedanken der Grenznutzentheoretiker ein, die allerdings bis auf Aristoteles zurtickreichem Vgl. aueh B e rnou i l l i s , ,specimen theariae novae de mensura sortis", iibersetzt yon P r i n g s h e i m in der Sammlung B r e n t a n o und Leser , insbesondere meine Bentham-Studie ,,Zur Theorie des Wertes" und den Artikel Gossen in der Allg. Deutschen Biogr., Bd. 50. Vgl. auch E n g l a n d e r ,,Das Geld ohne Eigenwert und die Preislehre", Jahrb. f. NationalSkonomie und Statistik, Bd. 119, S. 97f.

~) Der nrsprtinglichste und eigen~lichste wirtschaftliche Kapitalbegriff ist n ach meiner Auffassung auch ein Wertbegriff: j ene ,,Gtiter" (Verwertbar- keiten), die yon wir~schaftenden Subjekten als wieder Su ersetzende und womSglieh zu vermehrende wirtschaftlich ~ r tvo l l e Produktivmittel behandelt werden, wobei unter Produktion stets Vorzugsproduktion zu verstehen isto

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Beziehung auf dasjenige Bediirfnis ins Auge zu fassen, das, wenn die Bedfirfnisse der betreffenden Reihe yon ihrer Spitze an durch einzelne Stficke zur Bef~edigung gelangen wfirden, als l e t z t e s befriedbar w~re. Geschieht dieses, so ist es gleichgiiltig, welches der einzetnen Stiicke dem einen oder dem anderen Bediirfnisse oberhalb dieses Grenzpunktes zugewendet wird, wenn nur das letzte der Stiicke keiner Verwendung unterhalb dieses Grenzpunktes zugefiihrt wird. Es ist mithin das Maximum der Zweckerreiehung gesiehert, wenn in diesem Sinne vorge- gangen wird, und es braueht nur eine einzige Wertung fiir alle Stiicke, jedoeh d i s j u n k t i v , zu eriolgenl).

Der aufgezeigte Saehverhalt ist gleichzeitig yon mehrcren Seiten erkannt und von den Autoren ohne gegenseitige Beeinflussung dar- gelegt worden. Die der fremdspraehliehen Literatur angeh6renden Schrift- steller spreehen von utilit~ finale, marginal utility, die der wirtschaftende Menseh beachte. DaB ein Wertungsakt vorliege, haben auch die Deutsehen erkannt und sie haben dem Saehverhalte den ~qamen gegeben. In der lqaturalwirtschaft kann der geschilderte Vorgang nur in beschr~nktem MaB Anwendung finden. Er wurde an den Teilmengen eines gewissen Wasservorrates, an den MaBeinheiten des gewerteten Getreides ex- emplifiziert. Erst nachdem eine allgemeine Vergleichbarkeit aller Giiter gegenfiber allen Bediirfnissen der vollst~ndigen Reihe Platz greift, das heiBt in der Wirtschaft der Wirklichkeit, in der im Zusammenwirken alle Giiter weehselweise besehafft werden, kann die Erscheinung uni- verseUe Geltung erlangen. W i e s e r wird das Verdienst zuerkannt werden mfissen, fiir sie nicht nur den bezeichnenden Terminus technicus im Deutsehen gefunden zu haben, sondern sie aueh im richtigen psycho- logisehen Lichte geseJaen zu haben, wenngleieh er freilich sp~terhin seine Theorie durch das Ausgehen yon einer unhaltbaren Rechnung mit Nutzeinheiten selbst verunstaltet und um Wirklichkeitsgeltung gebraeht hat. (Einschaltung: Hier w~re such auf Theoretiker der mathe- matisehen Schule zu reflektieren, die mit imagin~ren Werteinheiten reehnen.)

X

Das eben Dargestellte ist jedoch noah nicht das Ganze der Wertung. Der gesehilderte Wertvorgang t r i t t nieht in die Erscheinung, wenn die Teile oder Stiieke einer Giitermenge k o n j u n k t i v zu bewerten sind (als Vorrat), sowie selbstverstandlieh dann niche, wenn es sich um Gfiter handelt, die nur in einem Stfieke vorhanden sind2). In solehen F~Ilen mul~ die Wertiibertraguug von dem spezietlen Zweek erfolgen. Es sind ferner eigenartige F~lle zu untersuchen, wie die der alternativen

1) Vgl. Kraus , 0.: ,,Zur Theorie des Wertes", S. 112, und B6hm- B a w e r k : a. a. 0., S. 215, wo B S h m . B a w e r k meiner Kritik die Priorit~t gegen S c h u m p e t e r wahrt.

2) Das kann wohl nut bedeu~en, wenn der Vorrat als Ganzes gewertet wird, so ist es so, als ob nur ein Stiiek vorhanden w~re, und wenn nur ein Stflek vorhanden ist, haben wit keinen Anlal3, d i s j u n k t i v zu werden.

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Wertung, die dureh das Verhgltnis der Komplementarit~t in Nutz- komplexen veranlaBt w/rdl).

SehlieBlich kommt die Entwicklungserseheinung hinzu, darin be- stehend, dab dureh das Zusammentreffen der individuellen Wertungen in der Tausehwirtsehaft in der Marktpreisbildung eine gesellschaftliche Wertform entsteht, die fiir jeden in den Tausehbeziehungen Inbegriffenen verbindlich wird und die Folge hat, die Bediirfnisbefriedigung in Ge- m~Bheit des Individualwertes in die Form zu kleiden, dab jeder sich die Gfiter seines Bedaffes in der 5konomisehen Reihenfolge seiner Be- dfirfnisse zu den Marktpreisen besehafft, bis dahin, we die ErsehSpfung seiner Giitermenge (Geldvorrat)weiterem Kauf ein Ende bereitet. Die E r f a s s u n g der W e r t u n g der Giiter als Vorz iehen ze ig t h ier ihre F r u e h t b a r k e i t . Indem wir die Voraussetzung des Tausches darin erkennen, dab jeder wechselseitig bestimmte Giiter des anderen den in seinem eigenen Besitze befindliehen vorzieht, ist ffir eine kon- kludente Entwieklung der Preisvorg~nge die Basis gegeben~).

XI In dem Dargastellten zeigt sieh, dab die Wirtsehaftstheorie in

den beiden Begriffen des Bedf i r fn isses und des Wer te s uns das all- gemeine Wesan dar Wirtsehaftshandlungen besehreibt und erkl~trt und wir sehen zugleieh, dab die beiden Begriffe zusammengah6ren. Wir erkennen, dab das bewuBte Handeln dureh die in den beiden Begriffen beschriebenan psychisehen Akte~), ausgehend einerseits yon der Viel- fitltigkeit der Zweeke, anderseits yon der Vielfaltigkeit der l~fitte], das Maximum der unter den gegebenen tats~ehliehen Umst~nde der Wirtschaft mSgliehen Wohlfahrt erreieht. Die baiden Begriffe bedingen einander nieht nur in der theoretisehen Konstruktion, sondern auch in der Wirk- lichkeit des Wirtsehaftslebens, da die Bedfirfnisregung dis pr im~re Wertung voraussetzt, die Giiterwertung ihrerseits dan Bediirfnisbegriff voraussetzt. Damit ist das Verh~ltnis der beiden Begriffe zueinander, fiber das bisher Unklarheit herrsehte, festgestellt: sie sind Zwillings- begriffe, dem Boden des wirtschaftliehen Grundverh~ltnisses entsprossen.

1) Siehe Kraus, 0.: Bentham-Studie und iibereinstimmend Sax ,,Kapita~z/ns", S. 230.

2) Indem der Tausch als praktisches Bevorzugen erkannt ist, ist der gesamte 5konomische HandlungsprozeB unter diesen Begriff subsummiert.

3) S ax nennt hier ,,Bed~irfnis" und ,,Wert" gleichermaBen psyehische Akte; es w~tre daher wohl statt ,,~Vert" ,,*Wertung" zu setzen. In dem ,,w/rtsehaftlichen Bediirfnis" ist, wie oben bemerkt, ein ,,wirtsehaftliehes Warten" enthalten, was Sax gleieh welter untan selbst sagt.

Die endgiiltige Ausarbeitung seiner Gedanken blieb dem Verfasser jedoch versagt, und so ist gewiB mit dem interessanten Torso das letzte Wort in diesen Fragen nieht gesprochen. Es l~iBt sich jedoch erkennen, dab ihn die weitere Entwicktung dazu gedr&ngt h~tte, nieht so sehr den Bediirfnisbegriff als den Begriff des praktischen Bevorzugens, W~hlens als Grundbegriff zu behandeln bzw. dam Terminus ,,Bediirfnis" diesen Sinn zu verleihen. Es handalt sich um Vorz~ge ubd Vorteile.