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Es wurden 17 Kniegelenke mit dem klinischen Bild einer Gonarthrose bezüglich ihrer propriozeptiven Leistungsfähgkeit untersucht. Dazu wurden ihre Ergebnisse mit denen einer Kontrollgruppe von 30 klinisch und anamnestisch ge- sunden Probanden verglichen. Das Testverfahren beruhte auf ei- nem Winkelreproduktionstest. Zu- sätzlich wurde der Effekt einer ela- stischen Kniebandage auf die Pro- priozeption der Gonarthrosepati- enten untersucht. Die Patienten mit Gonarthrose wiesen eine durchschnittliche Abweichung vom eingestellten Winkel von 13,3°±5,2° auf. Diese Ergebnisse waren signifikant schlechter als die der gesunden Kontrollgruppe (7,8°±2,8°). Durch die Benutzung einer Kniebandage verbesserten sich die Winkelabweichungen der Patientengruppe signifikant auf 9,5°±6,1°. Die Ergebnisse der kli- nisch gesunden kontralateralen Kniegelenke der Patienten mit Ar- throse zeigten mit 11,0°±4,2° ebenfalls schlechtere Propriozep- tionswerte im Vergleich zur Kon- trollgruppe. Durch die Knieban- dage konnte eine signifikante Beeinflussung der gesunden Knie- gelenke der Patientengruppe (7,9°±6,0°) erreicht werden. Schlüsselwörter Propriozeption – Gonarthrose 219 O R I G I N A L I E N Die primäre Arthrose ist eine Volks- krankheit, die mit zunehmender Le- benserwartung in den Industrieländern ein erhebliches Ausmaß erreicht. Das Kniegelenk ist dabei relativ und abso- lut die häufigste Lokalisation der Ar- throse. Außerdem besteht bei der Ar- throse eine eindeutige altersabhängige Erkrankungsdispostion. Die Arbeiten von Brocklehust et al. [6], Dornan et al. [10] und Horch et al. [14] zeigten, daß ältere Menschen län- gere Zeit brauchen, um bestimmte Be- wegungen auszuführen und fehler- hafte Bewegungsabläufe zu korrigie- ren. Dieses Phänomen führten die Au- toren auf den Verlust der propriozep- tiven Leistungsfähigkeit und stati- schen Empfindung für die Gelenkpo- sition zurück. Um die pathophysiologischen Vor- gänge zwischen der Beeinflussung der Propriozeption und deren Ursachen besser beurteilen zu können, wurden bereits Studien am Knie-, Schulter- und Sprunggelenk durchgeführt [15 – 18]. Bei der Ruptur des vorderen Kreuzbands konnte eine Verschlechte- rung der Propriozeption nachgewiesen werden [4, 5, 12]. Aber auch bei chro- nisch degenerativen Kniegelenker- krankungen, wie z. B. der Gonar- throse, konnte dieser Effekt beobach- tet werden [24]. Wenn aber die Pro- priozeption durch den Einfluß einer Gelenkerkrankung verändert werden kann, muß überlegt werden, ob sie nicht auch durch therapeutische Maß- nahmen beeinflußt werden kann. In der hier vorgestellten Studie wurden die propriozeptiven Fähigkei- ten des Kniegelenks bei Patienten, die unter dem klinischen Bild einer primären Gonarthrose leiden, mit der eines gesunden Vergleichskollektivs verglichen. Zusätzlich zur Untersu- chung über die Beeinflussung der pro- priozeptiven Leistungsfähigkeit durch die Gonarthrose wurde der Effekt ei- ner elastischen Kniebandage bei die- sen Patienten überprüft. Material und Methode Kontrollgruppe Die Kontrollgruppe setzte sich aus 30 kli- nisch gesunden Probanden (10 Frauen und 20 Männern) zusammen. Das Durchschnitt- salter betrug 33,6 Jahre. Durch eine Anam- neseerhebung und eine standardisierte klini- sche Untersuchung wurden Probanden mit ei- ner Traumatisierung oder chronisch degene- rativen Veränderungen des Kniegelenks aus der Kontrollgruppe ausgeschlossen. Zusätzlich zu den Erkrankungen und Ver- letzungen, die zum Ausschluß aus der Kon- trollgruppe führten, wurden zusätzlich fol- gende Ausschlußkriterien definiert: Neuro- logische Erkrankungen (Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer, Polyneuropathie, De- menz), metabolische Gefäßerkrankungen mit neurologischer Komponente (Diabetes mel- litus, Arteriolosklerose), Alkoholismus und eine Vorbehandlung mit Chemotherapeutika. Auf diese Art konnte gewährleistet wer- den, daß in die Kontrollgruppe tatsächlich Unfallchirurg (1997) 100: 219 – 224 © Springer-Verlag 1997 Beeinflussung der propriozeptiven Fähigkeit von Kniegelenken mit einer primären Gonarthrose J. Jerosch 1, 2 , K. Schmidt 2 und M. Prymka 2 1 Orthopädisches Klinikum München Harlaching 2 Institut für Sportmedizin, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Priv.-Doz. Dr. J. Jerosch, Orthopädisches Klinikum München Harlaching, Harlachin- ger Straße 51, D-81547 München

Beeinflussung der propriozeptiven Fähigkeit von Kniegelenken mit einer primären Gonarthrose

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Page 1: Beeinflussung der propriozeptiven Fähigkeit von Kniegelenken mit einer primären Gonarthrose

Es wurden 17 Kniegelenke mit demklinischen Bild einer Gonarthrosebezüglich ihrer propriozeptivenLeistungsfähgkeit untersucht.Dazu wurden ihre Ergebnisse mitdenen einer Kontrollgruppe von30 klinisch und anamnestisch ge-sunden Probanden verglichen.Das Testverfahren beruhte auf ei-nem Winkelreproduktionstest. Zu-sätzlich wurde der Effekt einer ela-stischen Kniebandage auf die Pro-priozeption der Gonarthrosepati-enten untersucht. Die Patientenmit Gonarthrose wiesen einedurchschnittliche Abweichungvom eingestellten Winkel von13,3°±5,2° auf. Diese Ergebnissewaren signifikant schlechter alsdie der gesunden Kontrollgruppe(7,8°±2,8°). Durch die Benutzungeiner Kniebandage verbessertensich die Winkelabweichungen derPatientengruppe signifikant auf9,5°±6,1°. Die Ergebnisse der kli-nisch gesunden kontralateralenKniegelenke der Patienten mit Ar-throse zeigten mit 11,0°±4,2°ebenfalls schlechtere Propriozep-tionswerte im Vergleich zur Kon-trollgruppe. Durch die Knieban-dage konnte eine signifikante Beeinflussung der gesunden Knie-gelenke der Patientengruppe(7,9°±6,0°) erreicht werden.

Schlüsselwörter

Propriozeption – Gonarthrose

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O R I G I N A L I E N

Die primäre Arthrose ist eine Volks-krankheit, die mit zunehmender Le-benserwartung in den Industrieländernein erhebliches Ausmaß erreicht. DasKniegelenk ist dabei relativ und abso-lut die häufigste Lokalisation der Ar-throse. Außerdem besteht bei der Ar-throse eine eindeutige altersabhängigeErkrankungsdispostion.

Die Arbeiten von Brocklehust et al.[6], Dornan et al. [10] und Horch et al.[14] zeigten, daß ältere Menschen län-gere Zeit brauchen, um bestimmte Be-wegungen auszuführen und fehler-hafte Bewegungsabläufe zu korrigie-ren. Dieses Phänomen führten die Au-toren auf den Verlust der propriozep-tiven Leistungsfähigkeit und stati-schen Empfindung für die Gelenkpo-sition zurück.

Um die pathophysiologischen Vor-gänge zwischen der Beeinflussung derPropriozeption und deren Ursachenbesser beurteilen zu können, wurdenbereits Studien am Knie-, Schulter-und Sprunggelenk durchgeführt[15 – 18]. Bei der Ruptur des vorderenKreuzbands konnte eine Verschlechte-rung der Propriozeption nachgewiesenwerden [4, 5, 12]. Aber auch bei chro-nisch degenerativen Kniegelenker-krankungen, wie z. B. der Gonar-throse, konnte dieser Effekt beobach-tet werden [24]. Wenn aber die Pro-

priozeption durch den Einfluß einerGelenkerkrankung verändert werdenkann, muß überlegt werden, ob sienicht auch durch therapeutische Maß-nahmen beeinflußt werden kann.

In der hier vorgestellten Studiewurden die propriozeptiven Fähigkei-ten des Kniegelenks bei Patienten, dieunter dem klinischen Bild einerprimären Gonarthrose leiden, mit dereines gesunden Vergleichskollektivsverglichen. Zusätzlich zur Untersu-chung über die Beeinflussung der pro-priozeptiven Leistungsfähigkeit durchdie Gonarthrose wurde der Effekt ei-ner elastischen Kniebandage bei die-sen Patienten überprüft.

Material und Methode

Kontrollgruppe

Die Kontrollgruppe setzte sich aus 30 kli-nisch gesunden Probanden (10 Frauen und 20 Männern) zusammen. Das Durchschnitt-salter betrug 33,6 Jahre. Durch eine Anam-neseerhebung und eine standardisierte klini-sche Untersuchung wurden Probanden mit ei-ner Traumatisierung oder chronisch degene-rativen Veränderungen des Kniegelenks ausder Kontrollgruppe ausgeschlossen.

Zusätzlich zu den Erkrankungen und Ver-letzungen, die zum Ausschluß aus der Kon-trollgruppe führten, wurden zusätzlich fol-gende Ausschlußkriterien definiert: Neuro-logische Erkrankungen (Morbus Parkinson,Morbus Alzheimer, Polyneuropathie, De-menz), metabolische Gefäßerkrankungen mitneurologischer Komponente (Diabetes mel-litus, Arteriolosklerose), Alkoholismus undeine Vorbehandlung mit Chemotherapeutika.

Auf diese Art konnte gewährleistet wer-den, daß in die Kontrollgruppe tatsächlich

Unfallchirurg (1997) 100:219–224 © Springer-Verlag 1997

Beeinflussung der propriozeptiven Fähigkeit von Kniegelenken mit einerprimären Gonarthrose

J. Jerosch 1, 2, K. Schmidt 2 und M. Prymka 2

1 Orthopädisches Klinikum München Harlaching 2 Institut für Sportmedizin, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Priv.-Doz. Dr. J. Jerosch, OrthopädischesKlinikum München Harlaching, Harlachin-ger Straße 51, D-81547 München

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nur Probanden mit eindeutig gesunden Knie-gelenken aufgenommen wurden.

Untersuchungsgruppe

In der Untersuchungsgruppe wurden 13 Pa-tienten (10 Männer und 3 Frauen) mit einerklinisch manifesten primären Gonarthroseuntersucht. Insgesamt wurden 17 arthrotischveränderte Kniegelenke in die Untersuchungeinbezogen. Das Alter der hierbei getestetenPatienten betrug durchschnittlich 42,7 Jahre.Auch bei der Untersuchungsgruppe erfolgtedie standardisierte klinische Untersuchung.Ebenso wurden die oben beschriebenen all-gemeinen Ausschlußkriterien bei der Unter-suchungsgruppe angewendet.

Versuchsaufbau

Wir verwendeten einen modifizierten Win-kelreproduktionstest nach Barrett et al. [3].

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Während der Untersuchung lag der Probandin Rückenlage und das zu untersuchendeBein wurde in einer speziell für diesen Ver-suchsaufbau konstruierten Schiene gelagert(Abb. 1). Durch die Schiene war die Stabi-lität, Rotationssicherung und Verhinderungvon Seitwärtsbewegungen des Kniegelenksgegeben. Da die Winkeleinstellung durch denUntersucher vorgenommen wurde, mußte derPatient keine Muskelkräfte aufwenden, umdie entsprechenden Gelenkpositionen einzu-nehmen. Durch diesen Versuchsaufbau wareine möglichst geringfügige Beeinflussungvon Muskel- und Sehnenrezeptoren währendder Untersuchung gewährleistet. Zusätzlichminimierte und standardisierte die Polste-rung der Auflagenflächen der Schiene mitweichem Schaumstoff die Irritationen vonHautrezeptoren. Die Schiene ermöglichte einfür die Untersuchungen ausreichendes Be-wegungsausmaß von 0° – 100°. Eine Beein-flussung des Versuches durch eine visuelle

Kontrollmöglichkeit des Probanden wurdemit Hilfe eines Sichtschutzes verhindert.

Bei den Messungen wurden jeweils vierfestgelegte Winkel an jedem Bein des Pro-banden durch den Untersucher eingestellt.Vor jeder Winkeleinstellung wurde das Kniein die 0°-Stellung gebracht und für 5 s so be-lassen. Die Winkelvorgaben betrugen 10°,35°, 60° und 80° für das linke Kniegelenk.Rechts wurden Winkel von 15°, 30°, 50° und75° eingestellt. Bei allen Probanden erfolgtedie Messung an beiden Beinen jeweils ein-mal mit und einmal ohne elastischer Knie-bandage. Hierbei wurde ganz bewußt auf einemarktgängige Bandage zurückgegriffen. Umdie entsprechenden Winkeleinstellungenvornehmen zu können, wurde ein Elektrogo-niometer (Penny & Giles ADU 301) benutzt.Mit Hilfe dieses Geräts war die Winkelein-stellung mit einer Genauigkeit von 0,5° mög-lich. Das Gerät besteht aus einem Meßele-ment und einer Anzeigeneinheit. Bei demMeßelement sind zwei Endblöcke vorhan-den, die auf der Haut des Ober- und Unter-schenkels lateralseitig angebracht werden(Abb. 2). Durch einen Nullabgleich in der 0°-Position der Neutral-0-Methode nach demAufkleben der Endblöcke kommt es zu kei-nem systematischen Fehler, wenn sie nicht ingenau 180° Position angebracht werden. Deroptimale Abstand zwischen den Blöckenkann durch eine Federwaage kontrolliertwerden. Die Genauigkeit und Reproduzier-barkeit dieses Versuchsaufbaus wurde bereitsin einer vorausgegangenen Studie nachge-wiesen [17].

Der Proband schätzte die eingestellteWinkelstellung des Kniegelenks, indem ermit Hilfe eines Handgoniometers die ent-sprechende Gelenkstellung nachstellte. DieDifferenz zwischen dem so geschätzten Win-kel und dem tatsächlich vorgegebenen Win-kel diente dazu, die propriozeptive Lei-stungsfähigkeit des Kniegelenks zu ermit-teln. Systematische Fehler wurden vermie-den, indem die Reihenfolge der Winkelein-stellung, der Beginn mit dem rechten oder lin-ken Bein bzw. mit oder ohne Bandage ran-domisiert festgelegt wurde. Die Auswertungder Meßwerte erfolgte mit dem t-Test.

Unfallchirurg (1997) 100:219–224 © Springer-Verlag 1997

Influence of proprioceptive capacity of knees with primary gonarthrosis

J. Jerosch, K. Schmidt and M. Prymka

Summary

In the study presented, knee joint pro-prioception of 17 patients with pri-mary degenerative joint disease ofthe knee joint was evaluated. As acontrol group, the proprioception of30 healthy volunteers with clinicaland anamnestically inconspicuousknee joints was examined. We testedthe proprioceptive capability of thesubjects with an angle reproductiontest. Additionally, all knee jointswere measured with and without anelastic knee bandage. The study

showed significantly more deteriora-tion in knee joint proprioception inpatients with gonarthrosis than in thecontrol group. Even the propriocep-tion of the contralateral, healthy kneejoint was worse than the results of thecontrol group. However, after usingan elastic knee bandage, significantimprovement in the proprioceptiveabilities of the injured knee joint wasdocumented.

Key words

Proprioception – Gonarthrosis

Abb. 1. Schiene zur Winkelein-stellung des Kniegelenks (Mod.Konstruktion nach dem Thomas-Splint von Barrett et al. [3])

Abb. 2. Anbringung der Meßelemente desGoniometers am Kniegelenk

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Ergebnisse

Ergebnisse der Kontrollgruppe

Bei den gesunden Probanden stelltesich eine durchschnittliche Abwei-chung vom vorgegebenen Winkel beider Messung ohne Kniebandage von7,8°±2,8° ein. Zwischen dem Ergebnisder rechten (7,8°±3,3°) und der linkenSeite (7,8°±4,3°) konnte kein signifi-kanter Unterschied festgestellt werden(Abb. 3).

Mit der Hilfe einer Kniebandagewurde die durchschnittliche Winkel-abweichung auf 6,1°±2,5° gesenkt.Diese Verbesserung stellte sich als si-gnifikant (p<0,02) dar. Auch bei die-ser Messung fiel kein signifikanterUnterschied zwischen dem rechten(6,4°±3,5°) und dem linken Knie

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(5,8°±3,0°) auf. Bei der Auswertungder Ergebnisse wurden keine signifi-kanten Unterschiede zwischen denWerten der Frauen und Männer gefun-den (Abb. 4). Während des weiterenStudienverlaufs wurde nicht mehrzwischen dem linken oder rechtemKniegelenk und Frauen und Männernunterschieden.

Meßergebnisse der Patienten mit Gonarthrose

Bei den Patienten trat bei der Messungohne Kniebandage durchschnittlichein mittlerer Schätzfehler von13,3°±5,2° auf (Abb. 5). Unter demEinfluß einer elastischen Kniebandageverbesserte sich die durchschnittlicheAbweichung vom vorgegebenen Win-kel auf 9,5°±6,1°. Diese Verbesserung

des mittleren Schätzfehlers durch dieBandage stellte sich mit einer Irrtums-wahrscheinlichkeit von p<0,01 als signifikant heraus. Auch die Ergeb-nisse der Patienten- und der Kontroll-gruppe zeigten einen signifikantenUnterschied (p<0,01). Bei den Patien-ten wurde zusätzlich noch die Abwei-chung vom vorgegebenen Winkel amgesunden Bein gemessen. Hierbeiwurde mit einem mittleren Schätzfeh-ler von 11,0°±4,2° für das gesundeBein kein signifikanter Unterschiedgegenüber der klinisch erkranktenSeite herausgefunden. Für die Mes-sung mit Bandage wiesen sie einedurchschnittliche Winkelabweichungvon 7,9°±6,0° auf. Der Vergleich zwi-schen den Ergebnissen der gesundenBeine der Arthrosepatienten und derKontrollgruppe zeigte einen signifi-kanten Unterschied (p<0,01) (Abb. 6).Der Unterschied zwischen den Wertender erkrankten und klinisch gesundenKniegelenke bei den Patienten stelltesich als nicht signifikant heraus.

Diskussion

Im Bereich des Kniegelenks gibt esspezielle Rezeptoren, die es ermögli-chen, die Gelenkstellung zu erfassen.

3 4

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Abb. 3. Winkelabweichungen der Kontrollgruppe gesamt und während der Unterscheidungvon linkem und rechtem Bein

Abb. 4. Vergleich der Ergebnisse von Männern und Frauen in der Kontrollgruppe

Abb. 5. Vergleich der mittleren Winkelabweichung der Gonarthrosepatienten im Vergleichzur Kontrollgruppe

Abb. 6. Vergleich der gesunden und erkrankten Kniegelenke bei den Gonarthrosepatientenmit der Kontrollgruppe

Page 4: Beeinflussung der propriozeptiven Fähigkeit von Kniegelenken mit einer primären Gonarthrose

Bei diesen Rezeptoren handelt es sichum freie Nervenendigungen und Me-chanorezeptoren, die im periarti-kulären Gewebe vorkommen. DurchFreeman [11] wurde eine Klassifika-tion dieser Rezeptoren anhand vonTierversuchen an Katzen aufgestellt(Tabelle 1). Das Vorkommen dieserRezeptoren konnte sowohl im Kreuz-band [19, 27], in den Menisken [23],in der Kniegelenkkapsel [11], im M. vastus medialis, im Lig. patellae[13], als auch im infrapatellaren Fett-körper [20] gezeigt werden. Auch imBereich anderer Gelenke konnten Re-zeptoren nachgewiesen werden, dieder Erfassung der Gelenkstellung die-nen. Am Schultergelenk wurden Typ-II (Pacini-)Rezeptoren in den gleno-humeralen Ligamenten und der Ge-lenkkapsel dokumentiert [18]. Weiter-hin wurden auch Ruffini-Endorgane inden Bandstrukturen des Schulterge-lenks durch Vangsness et al. [26] ge-funden. Michelson und Hitchins [22]konnten in den Bandstrukturen desSprunggelenks alle von Freeman undWyke [11] klassifizierten Mechanore-zeptoren dokumentieren.

In der vorliegenden Studie fandsich kein Unterschied in der proprio-zeptiven Leistungsfähigkeit vonFrauen und Männern. Des weiterenwurden auch keine Unterschiede zwi-schen den Winkelreproduktionswer-ten des dominanten gegenüber denendes nicht dominanten Beins gefunden.Diese Ergebnisse werden durch die

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Studien zahlreicher Autoren gestützt[1 – 3, 7, 17].

Die propriozeptive Leistungsfähig-keit der Patienten mit Gonarthrose wargegenüber der Kontrollgruppe signifi-kant herabgesetzt. Auch bei Sell et al.[24], Barrett et al. [3] und Skinneret al. [25] zeigen sich bei Patienen mitArthrose deutlich gestörte propriozep-tive Fähigkeiten gegenüber einem ge-sunden Vergleichskollektiv. Die Un-tersuchungen von Marks [21] ergabeneine signifikante Korrelation zwi-schen der Treppengehzeit und demdurch die Osteoarthrose verändertenStellungssinn. Für die gesunden Knie-gelenke der Patientengruppe wurdeebenfalls eine signifikant herabge-setzte Propriozeption aufgedeckt. DerVergleich von gesunden und erkrank-ten Kniegelenken bei den Arthrosepa-tienten konnte keinen signifikantenUnterschied der Propriozeptionswertenachweisen. Diese verminderte pro-priozeptive Fähigkeit auch der kon-tralateralen Kniegelenke könnte evtl.auf einen generell reduzierten Trai-ningszustand von Arthrosepatientenzurückzuführen sein.

Bei der Arthrose handelt es sich umeine Degeneration des Gelenkknorpel-gewebes mit sekundärer Knochenlä-sion und entzündlich bedingterSchrumpfung der Gelenkkapsel. Dadie morphologischen Veränderungennicht immer mit einer entsprechendenSymptomatik einhergehen, können ar-throtische Veränderungen über Jahre

langsam zunehmen, ohne wesentlichefunktionelle Behinderungen zu verur-sachen.

Analog zu anderen Organsystemenerweist sich die Trennung von zweiFunktionskategorien auch beim dege-nerativen Gelenkschaden als notwen-dig. Hiervon bezieht sich eine auf dieAufgaben im Organismus (extrinsi-sche oder Zweckfunktion im Diensteder Bewegung). Die andere Kategorie(intrinsische Funktion) steht im Dien-ste der Knorpelerhaltung.

Um der extrinsischen Funktion derBewegung nachkommen zu können,besteht für den Knorpel die Notwen-digkeit zur Aufrechterhaltung biologi-scher und mechanischer Existenzbe-dingungen. Die biologische Seite um-faßt die Homöostasierung des syno-vialen Milieus, im besonderen mit sei-nen trophischen Belangen. Zur me-chanischen Seite gehört die Knorpel-protektion im statisch-dynamischenMilieu.

Primäre Veränderungen der Tro-phik und der humoralen Parameterkommen kaum in Betracht, weilNormabweichungen der zirkulieren-den oder extravasalen Körperflüssig-keiten sich vorab systemisch auswir-ken und zu gravierenden Störungen le-benswichtiger Organe führen dürften,längst bevor sich Qualitätsänderungendes Gelenkknorpels in irgendeinerWeise manifestieren können. Selbstwenn es sich um selektiv knorpel-wirksame und sonst indifferente Sy-

Tabelle 1Klassifikation der Mechanorezeptoren modifiziert nach Freeman & Wyk [11]

Rezeptortyp Beschreibung Funktion Bezeichnung

I Kugelförmig bis oval Afferente Ruffini-Endorganeine dünne Kapsel umgibt langsam adaptierende Mechano-die sich fein verzweigenden rezeptoren mit tiefer ReizschwelleNervenenden

II Zylindrisch oder konische Afferente, Vater-Pacini-Körpervon einer laminären schnell adaptierende Mechano-Kapsel umgeben rezeptoren mit tiefer Reizschwelle

III Fusiform Afferente sehr langsam adaptierende Golgi-Endigungvon einer dünnen Kapsel Mechanorezeptoren mit hoher umgeben Reizschwelle

IVa Unmyelenisierte freie Afferente Schmerzrezeptoren Freie NervenendigungenNervenendigungen

IVb Myelenisierte freie Efferent vasomotorischNervenendigung

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stemfaktoren handelte, wären nur ge-neralisierte Gelenkveränderungen zuerwarten. Im Gegensatz zu den hoch-gradig stabilisierten Voraussetzungender Homöostase im synovialen Milieuunterliegt das statisch-dynamischeMilieu vielfältigen Möglichkeiten fürein Defizit der intrinsischen Organlei-stung eines Gelenks.

Das Prinzip der Knorpelprotektionbei der extrinsischen Gelenkfunktionbesteht aus der Tendenzen der Scho-nung durch Maximierung des Knor-pelkontakts, so daß die als Beanspru-chung definierte Belastung/cm2 mög-lichst niedrig gehalten werden kann.Inkongruenzen der Gelenkflächen,Wachstumsstörungen und Gelenkvor-erkrankungen sind daher klassischepräarthrotische Deformitäten. Nebenden schon geläufigen anatomischenBedingungen der Kongruenz spielendie neuromuskulären Beiträge zurKnorpelprotektion eine sehr großeRolle.

Durch die regressiven Veränderun-gen im neuromuskulären Sektor derKnorpelprotektion bekommen die dasLebensalter besonders bewertendenepidemiologischen Ansätze der Ar-throse zusätzliche, über die Altersab-hängigkeit biochemischer Variantenhinausreichende, Aspekte. Die Bedeu-tung der neuromuskulären Knorpel-protektion zeigt sich besonders durchdie Arthroseentstehung nach Aus-schaltung der muskulär-elastischenStoßdämpfung [8]. Des weiteren bele-gen histologische Untersuchungenvon Ziegan und Dippold [28] charak-teristische morphologische Verände-rungen des M. vastus medialis bei Ar-throsepatienten. Diese bestehen ausneurogenen und myopathischen Ver-änderungen. Auch konnten muskuläreFunktionsstörungen bei Arthrosen desKniegelenks durch Messung muskulä-rer Belastungsuntersuchungen (Mes-sung der biologischen Oberflächenak-tivität, isometrischen Maximalkraft)objektiviert werden [9]. In diesem Zu-sammenhang spielt auch die Proprio-zeption des Kniegelenks eine ent-scheidende Rolle, da sie einen erheb-lichen Beitrag zur Stellungskontrolleund Bewegungskoordination und da-mit zur Knorpelprotektion des Knie-gelenks beiträgt.

Nun ist die Frage offen, ob die ko-ordinativen Funktionsdefizite die Fol-

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gen oder evtl. die Ursachen der Gon-arthrose darstellen. So stellt sich si-cherlich ein Circulus vitiosus ein, indem die Propriozeptionsverschlechte-rung zu einer fortschreitenden Ge-lenkveränderung führt, die ihrerseitswieder die Propriozeption negativ be-einflussen kann. Welches der auslö-sende Faktor ist, die Propriozeptions-verschlechterung oder eine initiale Ge-lenkveränderung durch eine Erkran-kung oder Verletzung, kann man heutenicht eindeutig beantworten. Rück-schlüsse können aber aus der Tatsachegezogen werden, daß die Propriozep-tion der Arthrosepatienten auch anihrem klinisch gesunden Kniegelenksignifikant herabgesetzt ist. So scheintes momentan eher wahrscheinlicher,daß eine Verschlechterung der neuro-muskulären Knorpelprotektion als In-itialläsion für die Gonarthrose angese-hen werden kann. Durch welche Fak-toren diese neuromuskulären Defizitehervorgerufen werden, ist bislangnicht geklärt und noch Gegenstand derForschung.

Durch eine elastische Kniebandagekonnten in unserer Untersuchung diepropriozeptiven Fähigkeiten von Pati-enten mit einer Gonarthrose verbessertwerden. Da die Bandage zu keiner odernur geringfügigen mechanischen Sta-bilisierung des Kniegelenks beitragenkann, muß der Effekt der Bandage an-ders erklärt werden. Unsere Ergeb-nisse lassen vermuten, daß es sich hier-bei um einen zusätzlichen koordinati-ven Informationsgewinn handelt. Esist anzunehmen, daß durch das Tragender Kniebandage zusätzlich zu denMechanorezeptoren der Gelenkstruk-turen auch oberflächliche Hautrezep-toren gereizt werden, so daß ein ge-nauerer Positionseindruck für den Pa-tienten entstehen kann. Inwieweit dievorliegenden Ergebnisse auch auf an-dere Bandagen zu übertragen sind,kann anhand dieser Untersuchung je-doch nicht sicher gesagt werden.

Zweifellos sind bei der Behandlungder Gonarthrose physikalische An-wendungen sinnvoll. Dazu zählen diebekannten hyperämisierenden Thera-pien, die aus elektrotherapeutischenund balneophysikalischen Maßnah-men bestehen. Zusätzlich sollte jedochunbedingt die Gelenkbewegung unterdem besonderen Aspekt der Koordi-nationsschulung gefördert werden,

ohne eine zusätzliche Belastung desGelenks zu forcieren. Sell et al. [24]konnten eine positive Beeinflussungder Propriozeption durch konservativekrankengymnastische Maßnahmennachweisen. Anhand unserer Ergeb-nisse kann zusätzlich ein positiver Ein-fluß einer elastischen Kniebandage aufdie propriozeptiven Fähigkeiten beiPatienten mit einer Gonarthrose ver-mutet werden. Aus diesem Grundesollte die therapeutische Anwendungeiner Kniebandage bei diesem Patien-tengut als unterstützende Maßnahmezur konservativen Therapie befürwor-tet werden, insbesondere unter Abwä-gung der Kosten-Nutzen-Relation imVergleich zu anderen therapeutischenVerfahren.

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