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Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung Hintergründe und Beispiele Silja Graupe FGW-Studie Neues ökonomisches Denken 05

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Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen BildungHintergründe und Beispiele

Silja Graupe

FGW-Studie Neues ökonomisches Denken 05

Herausgeber

FGW – Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung e.V.

Kronenstraße 62

40217 Düsseldorf

Telefon: 0211 99450080

E-Mail: [email protected]

www.fgw-nrw.de

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Prof. Dr. Till van Treeck

Themenbereich

Neues ökonomisches Denken

Themenverantwortliches Vorstandsmitglied

Prof. Dr. Till van Treeck

Förderung

Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen

ISSN

2510-4497

Erscheinungsdatum

Düsseldorf, Mai 2017

i

Silja Graupe

Beeinflussung und Manipulation in der

ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

Auf einen Blick

Gegenstand dieser Studie ist, systematisch dem Vorwurf der Indoktrination, d. h.

der Vermittlung einer unkritischen Übernahme von Weltanschauungen oder sogar

Glaubenssätzen im Rahmen ökonomischer Standardlehrbücher nachzugehen.

Zur Anwendung kommen sprach- und textbasierte Analysen, die sich wesentlich auf

die Kognitionswissenschaften stützen.

Der Vorwurf, eine Orientierung an der neoklassischen Theorie trage zur Indoktrina-

tion bei, lässt sich nicht erhärten.

Am Beispiel zweier Standardlehrbücher – Economics von Samuelson und Nordhaus

sowie Mankiws Economics – werden dennoch explizit Formen der für Studierende

unbewusst bleibenden Beeinflussung nachgewiesen.

Die Beeinflussung zielt dabei auf Veränderungen gedanklicher Deutungsrahmen

(Frames), die das generelle Verständnis der Studierenden von sich selbst und der

Welt im Unbewussten umstrukturieren können.

Methoden der Beeinflussung sind etwa ideologisches und selektives Framing, Me-

taphorisches Mapping, Förderung peripherer (d. h. oberflächlicher und unkriti-

scher) Routen der Informationsverarbeitung und Appelle an die Autorität der

(Wirtschafts-)Wissenschaft.

Die Studie zeigt Wege des kritisch-reflexiven Umgangs mit solchen Beeinflussungs-

formen auf und diskutiert Formen einer manipulationsfreien ökonomischen Bil-

dung.

ii

Abstracts

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung – Hintergründe und

Beispiele

Gegenwärtig steht die ökonomische Standardlehre an Hochschulen vermehrt in der Kritik. Die

Vorwürfe reichen dabei von Einseitigkeit über Weltferne bis hin zur Indoktrination. Die vorlie-

gende Studie unternimmt es, insbesondere die Frage nach Formen möglicher Indoktrination zu

systematisieren und zu vertiefen. Am Beispiel von zwei Standardlehrbüchern – Economics von

Samuelson und Nordhaus sowie Mankiws Economics – werden durch sprach- und textbasierte

Analysen, die sich methodisch wesentlich auf die Kognitionsforschung stützen, detailliert For-

men der für Studierende unbewusst bleibenden Beeinflussung nachgewiesen, die sich nicht

durch eine Orientierung am neoklassischen Wissenschaftsideal der Objektivität erklären las-

sen. Zudem wird diskutiert, inwieweit dabei tatsächlich von Manipulation im Sinne von ver-

deckter und zielgerichteter Einflussnahme auf Denk- und Wahrnehmungsprozesse von Studie-

renden gesprochen werden kann, und es werden zukünftige Forschungsfelder ebenso aufge-

zeigt wie neue Wege der ökonomischen Bildung.

Schlagwörter: Ökonomische Bildung, ökonomische Standardlehrbücher, Paul A. Samuelson, N.

Gregory Mankiw, Vorwurf der Indoktrination, Neoklassische Theorie, Wirkungsforschung, Wis-

senschafts- und Erkenntnistheorie, Kognitions- und Beeinflussungsforschung.

Persuasion and Propaganda in Economic Education – Background Knowledge and

Examples

Standard economics teaching has been subject to increasing scholarly critique claiming it to be

either one-sided, detached from reality or an instrument of indoctrination. The following study

attempts to systematically address and analyze possible forms of indoctrination. Drawing from

two standard textbooks – Economics by Samuelson and Nordhaus as well as Mankiw’s Eco-

nomics – a language and text-based analysis, based primarily on cognitive research methodol-

ogy, provides a detailed elucidation of examples of unconscious forms of persuasion students

are subjected to which do not match the neoclassical ideal of scientific objectivity. In addition,

the following discusses whether a manipulation of students, in the sense of deliberate and

covert influence of thought and perception processes is in fact taking place, while identifying

future fields of research as well as possible new directions in economics education.

Key words: Economics education, standard textbooks, Paul. A. Samuelson, N. Gregory

Mankiw, indoctrination claims, neo-classical theory, impact research, theory of science, epis-

temology, cognitive research.

iii

Inhalt

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................................. iv

1 Einleitung ......................................................................................................................................... 1

2 Wissenschaftliche Objektivität und neoklassische Theorie .......................................................... 11

2.1 Objektivität als Ideal der ‚reinen Wissenschaften‘ ................................................................ 12

2.2 Objektivität in der neoklassischen Theorie ........................................................................... 16

3 Die Rolle des Unbewussten für die neoklassische Theorie ........................................................... 22

3.1 Geschultes Urteil in der Wissenschaft................................................................................... 23

3.2 Geschultes Urteil in der neoklassischen Theorie .................................................................. 26

3.2.1 Selektives Framing ......................................................................................................... 29

3.2.2 Analogien ....................................................................................................................... 35

4 Beeinflussung in der ökonomischen Bildung ................................................................................ 39

4.1 Hintergründe ......................................................................................................................... 41

4.2 I, Pencil: ein Beispiel zum Vergleich ...................................................................................... 47

4.3 Beispiele der Beeinflussung in ökonomischen Standardlehrbüchern ................................... 54

4.3.1 Ideologisches Framing ................................................................................................... 54

4.3.2 DER MARKT als Entitätsmetapher ................................................................................... 59

4.3.3 Appell an die Autorität der Wissenschaft ..................................................................... 60

4.3.4 Die Maschinenmetapher DES MARKTES ........................................................................... 62

4.3.5 Erweiterung der Framesemantik DES MARKTES: Preise ................................................... 69

4.3.6 Erweiterung der Framesemantik DES MARKTES: Angebot und Nachfrage ...................... 75

4.3.7 Die Orientierungsmetaphern DES MARKTES .................................................................... 81

4.3.8 Klassische Konditionierung ............................................................................................ 85

4.3.9 Verschweigen ................................................................................................................ 86

4.4 Zusammenfassung des Kapitels ............................................................................................ 88

5 Manipulation in ökonomischen Standardlehrbüchern ................................................................. 93

5.1 „Waging the War of Ideas“ .................................................................................................... 95

5.2 Ökonomische Standardlehrbücher als politischer Prozess ................................................... 98

6 Ausblick: Alternativen ökonomischer Bildung ............................................................................ 100

Literatur ............................................................................................................................................... 108

iv

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Mechanische Analogien ................................................................................................... 37

Abbildung 2: Wissenschaftliche Erkenntnisprozesse: Objektivität und geschultes Urteil .................... 39

Abbildung 3: Black and White Fallacy in Mankiws Economics .............................................................. 54

Abbildung 4: Black and White Fallacy und Demonization in Samuelsons Economics........................... 55

Abbildung 5: „Catherine’s Demand Schedule“ - Table .......................................................................... 81

Abbildung 6: „Catherine’s Demand Curve“ -Figure ............................................................................... 82

Abbildung 7: Beeinflusste Erkenntnisprozesse ..................................................................................... 91

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

1

1 Einleitung

„The main influence of science on modern man has not been, as it is often supposed, through

the advancement of technology; it has come, rather, through the imaginative effects of sci-

ence on our world view“ (Polanyi/Prosch 1977, S. 104).

Es ist mittlerweile fast zum Allgemeinplatz geworden: Spätestens seit Ausbruch der Finanz-

und Wirtschaftskrisen um das Jahr 2008 wird auch der Wissenschaft von der Wirtschaft, also

der Ökonomik, eine Krise bescheinigt. Dabei geraten nicht nur ihre Grundannahmen, Theorien

und Modellierungen, wie sie die Forschung prägen, ins Visier, sondern auch die Formen ihrer

Bildung. Insbesondere Studierende und ihre nationalen wie internationalen Netzwerke stellen

eine wesentliche treibende Kraft des Protests dar. Gerade auch ihrem Engagement ist es zu

verdanken, dass in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern die innerwissenschaftliche wie

öffentliche Aufmerksamkeit zunehmend auf folgende Probleme der ökonomischen Bildung

gelenkt wird: eine starke methodische Einseitigkeit, die stillschweigende Vermittlung politi-

scher oder gar ideologischer Weltanschauungen sowie die starke Weltferne der vermittelten

Inhalte (vgl. Harvard Political Review 2011; ISIPE 2014; Netzwerk Plurale Ökonomik 2012).

Warum aber steht ausgerechnet die ökonomische Bildung im Fokus? Viel ist in den letzten

Jahren über die Frage geschrieben worden, warum eine so abstrakte Theorie, wie sie der öko-

nomische Mainstream überwiegend darstellt, so starke Auswirkungen auf die Praxis haben

kann. Eine Antwort, die etwa im Hinblick auf Preisbildungstheorien für Optionen (Stichwort:

Black-Scholes-Modell) entwickelt wurde, lautet, dass die ökonomische Theoriebildung selbst zu

jenen Institutionalisierungsprozessen von Märkten (in diesem Falle Optionsmärkten) beitragen

kann, die sie eigentlich nur beschreiben sollte (vgl. MacKenzie 2006). Hier geht es, allgemein

gesagt, um die Einsicht, dass ökonomische Theorien Entwicklungen in der Wirtschaft begünsti-

gen und dadurch Wirkungen auf die Gesellschaft ausüben können:

„Die sozialen Theorien können jetzt durch Vermittlung gewisser Apparaturen eine neue Art von Wirksamkeit in der Hinsicht beanspruchen, dass sie in einigen Mechanismen (wie z. B. die

auf den Finanzmärkten eingesetzten Programmierungshilfen, welche die von MacKenzie be-

schriebenen Black-Scholes Formeln benutzten, oder Computerprogramme für Simulation)

gleichsam ‚verkörpert‘ werden“ (Boldyrev 2012, S. 78).

Es ist in den gegenwärtigen Debatten aber noch von einer anderen Wirkung der Wirtschafts-

wissenschaft die Rede, die sich analog zu dem obigen Zitat von Polanyi und Prosch formulieren

lässt: Die Wirkung der Wirtschaftswissenschaft soll nicht allein von jenen technologischen In-

strumentarien ausgehen, die sich aus ihr gewinnen lassen, sondern auch von jenem Einfluss,

den sie auf die Art und Weise nehmen kann, wie Menschen denken, ja die Welt, in der sie le-

ben, imaginieren. Sie soll Denk- und Wahrnehmungsweisen so grundlegend prägen können,

dass Menschen fortan mit bestimmten weltanschaulichen Mustern über die Probleme ihrer

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

2

Zeit nachdenken, ohne diese Muster umgekehrt selbst je zu reflektieren.1 So schreiben etwa

Earle, Moran und Ward-Perkins in ihrer neuen und viel beachteten Studie:

„Academic economics, through its widely accepted claim that it explains how the economy

works, now provides a logic that shapes how to think about and make decisions in vast areas

of political and social life“ (Earle et al. 2017, S. 34; Hervorhebung: S. G.).

Es ist mittlerweile auch fast zum Allgemeinplatz geworden, in diesem Zusammenhang John

Maynard Keynes zu zitieren, der bereits 1936 schrieb:

„The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they

are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed the world is ruled by lit-

tle else. Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual in-

fluences, are usually the slave of some defunct economist“ (Keynes 1936, S. 383).

Weniger bekannt ist, dass Keynes in diesem wichtigen Punkt mit seinem großen Gegenspieler,

Friedrich August Hayek, übereinstimmt. So spricht auch Hayek von einer „beherrschenden Kraft von Ideen“ und führt genauer aus:

„Die Macht abstrakter Ideen beruht in hohem Maße auf eben der Tatsache, daß sie nicht be-

wußt als Theorien aufgefaßt, sondern von den meisten Menschen als unmittelbar einleuch-

tende Wahrheiten angesehen werden, die als stillschweigend angenommene Voraussetzun-

gen fungieren“ (Hayek 1980, S. 100).

Wenn aber hierin – also im grundlegenden Einfluss der Wirtschaftswissenschaft auf die (indivi-

duelle wie kollektive) Vorstellungskraft von Menschen – ein wesentlicher Kern ihrer Wirkungen

auf die Gesellschaft gesehen werden kann, dann scheint es dringend geboten, zu verstehen,

wie Menschen dazu kommen können, abstrakte Theorien als unmittelbar einleuchtende

Wahrheiten anzusehen. Es reicht nicht hin, dies zu postulieren. Es ist die Art und Weise einer

solchen Umbildung menschlicher Erkenntnis zu verstehen. Dabei wird es, wie die vorliegende

Studie argumentieren wird, darauf ankommen, dem Hinweis von Hayek, die Frage des Unbe-

wussten spiele dabei eine besondere Rolle, eingehend nachzugehen.

An dieser Stelle nun kommt der Untersuchung der ökonomischen Bildung eine entscheidende

und systematische Bedeutung zu. Denn Ideen, um es salopp zu formulieren, können nicht ein-

fach von selbst regieren. Sie müssen sich gleichsam erst in den Köpfen von Menschen einnisten

– und dies können sie nicht von sich aus tun. Menschen eignen sich Ideen an, und diese Aneig-

nung findet normalerweise im Rahmen von Lernprozessen statt, die Zeit und Raum brauchen.

Sie ist grundsätzlich Aufgabe und Gegenstand der Bildung, und geht es um ökonomische Ideen,

ist sie eben Aufgabe und Gegenstand der ökonomischen Bildung.

Zunächst ist festzustellen, dass diese Bildung in ihrer institutionalisierten Form heutzutage

große Ausmaße erreicht hat. Andernorts habe ich bereits ausführlich darauf hingewiesen (vgl.

etwa Graupe 2015a, 2016a), wie die ökonomische Bildung dabei mittlerweile weltweit in ei-

nem Ausmaße standardisiert worden ist, das zumindest für eine Sozialwissenschaft einmalig ist.

1 Im Laufe der Studie werde ich im Sinne der Kognitionswissenschaften präziser von gedanklichen Deutungsrahmen,

in der Fachsprache Frames genannt, sprechen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

3

Dies betrifft die Auswahl der vermittelten Themen ebenso wie die der Methoden. Kurz gesagt

geht es darum, eine einheitliche Sicht auf die Welt zu vermitteln (vgl. auch Treeck/Urban 2016;

Earle et al. 2017, S. 1ff.). Allein in Großbritannien absolvieren jährlich 10.000 Studierende der

Economics diese standardisierten ökonomischen Bildungsprozesse (vgl. Earle et al., S. 3).2 In

den USA waren es bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts weit über eine

Million Collegestudierende, die pro Jahr die einführenden Lehrveranstaltungen der Economics

verpflichtend belegen mussten (vgl. Nasar 1997).3 Da in Deutschland nicht nur angehende

Volks-, sondern auch die meisten Betriebswirte sowie Studierende anderer Fächer (wie Wirt-

schaftsmathematik, Wirtschaftsingenieurwesen etc.) die Einführungen in die VWL als Pflicht-

fach hören müssen, lässt sich schätzen, dass hierzulande die Zahl bei ca. 100.000 Studierenden

pro Jahr liegt (eigene Berechnung auf der Grundlage von: Statistisches Bundesamt 2016).

Doch was mich in der vorliegenden Studie beschäftigen wird, ist nicht das schiere Ausmaß der

standardisierten ökonomischen Bildung. Vielmehr geht es mir um die Frage, wie genau diese

Einfluss auf die grundlegenden Denk- und Handlungsweisen von Studierenden nehmen kann.

Earle et al. postulieren, dass die ökonomische Bildung in ihrer heutigen standardisierten Fas-

sung einer Indoktrination gleichkommt, die sie wie folgt definieren: „indoctrinate, v., teach (a

person or group) to accept a set of beliefs uncritically“ (Earle et al. 2017, S. 35). Zur Begrün-

dung schreiben sie, dass Studierende in eine „alternative Realität“ abstrakter Modelle trans-portiert würden, wie sie die neoklassische Theorie begründet, und, da diese alternative Reali-

tät als Monopol gelehrt würde, kein kritisches Potential entfalten könnten:

„Economics education mass-produces graduates by teaching them a set of standardised core

topics that form the heart of the neoclassical approach. The feeling for students of being

transported into an alternative neoclassical reality […] is the process all economics students must go through to become experts” (Earle et al. 2017, S. 40).

Dieser Befund, das Problem liege in der (alleinigen) Vermittlung der neoklassischen Theorie,

findet sich in der Literatur weithin – so auch in meinen bisherigen Publikationen (vgl. etwa

Graupe 2015a, 2016a).

Es ist die Hauptthese der vorliegenden Studie, dass der Verdacht, die ökonomische Standard-

bildung suche zu indoktrinieren, begründet ist. Zugleich aber bedarf es hierfür genauerer Erklä-

rungen, als sie meines Wissens bislang in der einschlägigen Literatur vorliegen. Hierzu sollen

die folgenden Kapitel einen Beitrag leisten.

Eine Fragestellung, die ich dafür behandeln werde, betrifft die Rolle der Wissenschaft: Kann

eine dezidiert wissenschaftlich-objektive Strömung der Ökonomie, eben die Neoklassik, tat-

sächlich für eine Indoktrination in der ökonomischen Bildung verantwortlich sein? Diese Frage

ist aus meiner Sicht in Zeiten des Postfaktischen, in der heutigen post-truth era, nicht nur für

die Wirtschaftswissenschaften relevant. Darf Wissenschaft tatsächlich für die Indoktrination

der Bevölkerung verantwortlich gemacht werden? Lässt sie sich hierfür instrumentalisieren

2 Studierende anderer wirtschaftswissenschaftlicher Fächer sind hier nicht mitgezählt. 3 Aktuellere Daten liegen mir leider nicht vor.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

4

oder ist es gar ihre eigentliche Bestimmung? Gerät sie berechtigterweise zunehmend in Ver-

ruf?

Im Folgenden werde ich diese Fragen am Beispiel der Neoklassik mit Nein beantworten und

damit etwa den Befunden von Earle et al., aber auch meinen früheren eigenen Darstellungen

zumindest teilweise widersprechen. Dabei werde auch ich argumentieren, dass diese Theo-

rieströmung eine „alternative Realität“ begründet. Zudem ist sie tatsächlich „universally

abstract and mathematical“ (Earle et al. 2017, S. 41). Aber diese Abstraktheit ist, zumindest in

den Ursprüngen der Neoklassik im 19. Jahrhundert, Teil einer bewusst zu übenden Erkennt-

nisweise:4 Sie ist Kernbestandteil des Strebens nach wissenschaftlicher Objektivität, wie es im

Sinne einer tugendhaft gepflegten Weltferne explizit zu kultivieren ist.5 Selbst wenn sich in

dieser Studie zeigen wird, wie sehr selbst diese Kultivierung die Übernahme stillschweigender

und damit unbewusster Vorannahmen impliziert, so lässt sich dieser Prozess doch von einer

tatsächlichen Indoktrination deutlich unterscheiden: Er zielt gerade nicht auf eine rein unkriti-

sche Übernahme von Glaubenssätzen ohne jede Möglichkeit zur bewussten Überprüfung ab.

Deswegen bewegt mich als weitere und entscheidende Frage: Wie lässt sich die Einsicht, die

ökonomische Standardbildung indoktriniere, genauer begründen, wenn sie sich eben nicht

einfach durch den Hinweis auf die ‚alternativen Realitäten‘ einer wissenschaftlichen Theo-

rieströmung wie der Neoklassik erhärten lässt? Hier stellt sich aus meiner Sicht eingangs fol-

gendes Rätsel: Häufig wird mehr oder weniger fraglos davon ausgegangen, die ökonomische

Standardbildung könne Studierende zur Übernahme bestimmter Wissensformen oder gar

Weltanschauungen gleichsam zwingen. Dies wird etwa an dem Gebrauch passiver Wortwen-

dungen (vgl. etwa „being transported into this alternative reality“, Earle et al 2017, S. 36; Her-

vorhebung: S. G.) oder aber an der Wahl von Metaphern deutlich (vgl. Keynes Rede von Skla-

ven). Exemplarisch zeigt dies auch das folgende Zitat von John Kenneth Galbraith:

„Part of the service [of economics] consists in instructing several hundred thousand students

each year. Although gravely inefficient this instruction implants an imprecise but still service-

able set of ideas in the minds of many and perhaps most of those who are exposed to it. They

are led to accept what they might otherwise criticize; critical inclinations which might be

brought to bear on economic life are diverted to other and more benign fields. […] Although

the accepted image of economic society is not the reality, it is what is available. As such it

serves as a surrogate for the reality for legislators, civil servants, journalists, television com-

4 Hier wird folgender Unterschied deutlich: Earle et al. etwa führen eine andere Definition für die neoklassische

Theorie an, die diese als „breites und flexibles Label“ erscheinen lässt (vgl. Earle et al. 2017, S. 37ff.): Als „neoklas-sisch“ soll zählen, was sich auf die folgenden drei Annahmen (die Autoren sprechen vage von „three prongs“) stützt: Individualismus, Optimierung, Gleichgewichte Earle et al. 2017, S. 38). Ich wähle, etwa in Übereinstimmung mit

Mirowski (1989), eine andere Herangehensweise, indem ich die neoklassische Theorie epistemologisch zu definie-

ren suche: Als eine Theorie, die nach objektiver Erkenntnis nach den Vorbildern reiner Naturwissenschaften und

reiner Mathematik strebt. 5 Um dies zu zeigen, werde ich in dieser Studie dezidiert auf die Entwicklungen der neoklassischen Theorie im 19.

Jahrhundert eingehen, d. h. ihre Ursprünge beleuchten. Auf die theoretischen (Weiter-)Entwicklungen dieser öko-

nomischen Schule im 20. Jahrhundert gehe ich aus Platzgründen nicht ein. Dass sich auch hier, also in der Forschung,

maßgebliche Verschiebungen weg von einem dezidiert objektiven Wissenschaftsideal ergeben haben können,

schließe ich nicht aus, versuche ich aber nicht zu belegen. Vgl. hierzu etwa die von Paul Romer (2015) initiierte

Diskussion um die Mathiness heutiger Argumentationen in der ökonomischen Forschung, die auch hier auf eine

Aufgabe des objektiven Erkenntnisideals zugunsten etwa von politischer Beeinflussung schließen lassen kann.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

5

mentators, professional prophets – all, indeed, who must speak, write, or act on economic

questions“ (Galbraith 1973, S. 7; Hervorhebung: S. G.).

Wie aber soll ausgerechnet die Bildung, um erneut den Duktus von Keynes aufzugreifen, Men-

schen zu willfährigen Sklaven von Ideen machen können? Ist sie nicht grundsätzlich ein Akt der

Freiheit? Sind Menschen nicht frei, darüber zu entscheiden, was sie lernen wollen? Können sie

nicht selbst befinden, welche grundlegenden weltanschaulichen Sichtweisen sie übernehmen

und zu ihren eigenen machen wollen? Sollten sie nicht selbst entscheiden können, wie sie in

Bildungsprozessen ihre eigene Persönlichkeit gestalten können? Machen es sich kritische

Stimmen nicht zu leicht, wenn sie wie selbstverständlich von einer passiven Rolle der Lernen-

den ausgehen?

Diese Fragen bezüglich der Freiheit des Menschen in der Bildung scheinen zunächst nur eine

Alternative zu implizieren: Entweder geschieht die Übernahme ökonomischer Ideen im Rah-

men der Bildung freiwillig. Oder aber die grundsätzliche Freiheit des Menschen, sich selbst

bilden zu können und zu dürfen, lässt sich vollständig außer Kraft setzen. Aus meiner Sicht

verkürzt diese Form des Entweder-oder die Problematik so stark, dass ihr kaum wirklich auf

den Grund gegangen werden kann. Theodore Schultz, Begründer der Humankapitaltheorie und

Mitglied der Chicago School of Economics, weist darauf hin, dass Menschen zur Bildung nur

gezwungen werden könnten, wenn sich Eigentumsrechte an ihnen veräußern ließen und so

Menschen bis in ihr Innerstes tatsächlich versklavt würden (vgl. Schultz 1961, S. 2). Doch

schließt unsere heutige Rechtsordnung, wie Schultz treffend feststellt, dies konsequent aus.

Niemand darf und kann Menschen zu Sklaven machen, schon gar nicht in der Bildung. Auch

und gerade bei der Entscheidung zur Übernahme von Ideen besteht eine Freiheit, die unver-

äußerlich ist: Die Gedanken sind frei.

Wenn sich aber nun ökonomische Ideen in den Köpfen von Menschen dennoch quasiautoma-

tisch einnisten sollen, dann muss mit dieser Freiheit etwas Merkwürdiges geschehen. Jene, die

sich da bilden, müssen gleichsam freiwillig von ihrer Freiheit zur Selbstbildung nicht Gebrauch

machen wollen oder nicht von dieser Freiheit Gebrauch machen können. Sie müssen ihre Frei-

heit leugnen können:

„Wenn [...] jemand die Freiheit für sich leugnet, so können wir ihm eigentlich nicht widerspre-

chen; möglich, daß er nicht frei, daß er kein moralisches Wesen ist. Denn die Freiheit ist kein

ruhender Zustand, so wenig wie das Selbstbewußtsein, sondern fortwährende Befreiungsthat.

Der Mensch ist nicht frei geboren, sondern zur Freiheit berufen; er ist freiheitsfähig, aber er

muß auch hier durch eigene That seine Anlage entwickeln“ (Carrière 1891, S. 153).

Wenn Studierende zur Freiheit als „Befreiungsthat“ nicht fähig sein sollen, so ist dies ihnen

beileibe nicht einfach selbst anzulasten. Vielmehr müsste der Kontext der Bildung dergestalt

sein, dass Studierende zur Leugnung ihrer Freiheit ermuntert werden. Wie aber ist dies mög-

lich?

Um diese Frage zu beantworten, ist aus meiner Sicht wesentlich genauer zu erklären, wie öko-

nomische Bildungsprozesse tatsächlich zur unkritischen Übernahme von Lerninhalten verleiten

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

6

können, als dies meines Wissens in der jetzigen Forschungslandschaft bislang geschehen ist. Zu

einer solchen Erklärung soll die vorliegende Studie einen Beitrag liefern. Sie geht hierfür, ich

deutete dies bereits an, intensiv dem Hinweis Hayeks nach, es müsse sich dabei um Bildungs-

prozesse handeln, die auf der Ebene des Unbewussten und der stillschweigend angenomme-

nen Voraussetzungen operieren. Anders gesagt werde ich untersuchen, ob die ökonomische

Standardbildung von Formen der Beeinflussung Gebrauch macht. Dabei verstehe ich unter

‚Beeinflussung‘ dezidiert all jene Ausdrucksformen, die eine Veränderung des Denkens der

Lernenden auf der Ebene gedanklicher Deutungsrahmen (in der Fachsprache Frames genannt)

bewirken, d. h. auf einen Bereich einwirken können, der selbst außerhalb der bewussten

Wahrnehmung zu stehen pflegt, zugleich aber die Basis für alles bewusste Denken und Verste-

hen bildet.6

Den Begriff des Unbewussten übernehme ich dabei weitgehend aus der Kognitionsforschung:

„Unbewusstes Denken im Sinne der kognitiven Wissenschaft bezeichnet denjenigen Teil unse-

res Denkens, den wir einfach nicht bewusst wahrnehmen, nicht reflektieren und daher nicht

kontrollieren. […] [W]enn wir denken, dann benutzen wir dazu ein höchst komplexes System

von mentalen Konzepten – und zwar ohne zu kontrollieren, wie sie unser Begreifen von Din-

gen steuern“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 22).

Dem Unbewussten wird damit ein kognitiver Aspekt zugeschrieben. Kognitionsforscher_innen

sprechen daher explizit vom kognitiv Unbewussten, das dezidiert Aspekte des Denkens und der

Sprache umfasst, die sich selbst jenseits bewusster Reflexion vollziehen sollen.7 Vereinfacht

könnte man sagen, dass die Kognitionsforschung davon ausgeht, dass wir mit verschiedenen

mentalen Strukturen und Operationen denken, ohne über diese nachzudenken – und diese

Prozesse werden eben dem kognitiv Unbewussten zugeschrieben: „The term cognitive un-

conscious accurately describes all unconscious mental operations concerned with conceptual

systems, meaning, inference, and language“ (Lakoff/Johnson 1999, S. 12).

Wesentliche weitere Kennzeichen des kognitiv Unbewussten sollen sein, dass es schnell, au-

tomatisch und assoziativ arbeitet und schwierig zu kontrollieren ist (vgl. Kahneman 2002). Eine

für diese Studie wichtige Untergruppe des kognitiv Unbewussten stellt dabei das implizite Ler-

nen dar, das einer Aneignung von Wissen jenseits bewusster Aufmerksamkeit entspricht (vgl.

Reber 1992, 1996).8

Um es an dieser Stelle vorwegzunehmen, wird die Studie detailliert an Beispielen aufzeigen,

wie die ökonomische Standardbildung versucht, eine neue Form von Denk- und Wahrneh-

mungsweisen auf dieser Ebene des kognitiv Unbewussten zu prägen, die mit denen mathema-

6 Mir ist bewusst, dass der Begriff ‚Beeinflussung‘ oftmals sehr vage gebraucht wird, sodass ich gleich an dieser

Stelle eine Definition gebe, die für diese Studie tragend sein wird. Vgl. ausführlicher zur Begriffsdefinition und auch

zu seiner Abgrenzung vom Begriff der Manipulation im 5. Kapitel. 7 Zur Entwicklung des Konzeptes des Unbewussten in der Kognitionsforschung und seinen Vorläufern in sowie Un-

terschieden zu Philosophie und Psychologie vgl. Mies 2005. 8 Im Rahmen dieser Studie werde ich vornehmlich bei der einfachen Unterscheidung der Kognitionsforschung zwi-

schen ‚bewusst‘ und ‚unbewusst‘ bleiben und folglich nicht auf Verständnisse etwa des Vorbewusssten oder des

Überbewussten eingehen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

7

tisch-naturwissenschaftlicher Objektivität, wie sie die Neoklassik im 19. Jahrhundert auf die

Sozialwissenschaften zu übertragen versuchte, kaum etwas zu tun hat. Denn sie lässt Studie-

rende nicht nach bewusster Urteilsbildung in einem Bereich klar markierter Regeln wissen-

schaftlichen Denkens streben, sondern zielt stattdessen darauf ab, dass sie Bereiche ihres kog-

nitiv Unbewussten umbilden. Es geht darum, unterhalb der Schwelle bewusster Aufmerksam-

keit (und damit auch jeglicher bewussten Ausübung von Freiheit)

die Art und Weise, wie Studierende Wörter und Sprache (und hier insbesondere abs-

trakte Konzepte) erfassen, ebenso grundlegend umzustrukturieren wie

deren generelles Verständnis von Welt, etwa ihre Annahmen von der Welt (und sich

selbst), aufgrund von moralischen und politischen Prinzipien.9

Dabei stellt das Verschweigen alternativer wissenschaftlicher (sowie alltäglicher Denkweisen)

nur ein, wenngleich auch wesentliches, Instrument dar. Es lassen sich, wie ich in dieser Studie

ausführlich darlegen werde, noch weitere Instrumente identifizieren. So werde ich an Beispie-

len zeigen, wie die ökonomische Standardlehre etwa auch an die Autorität der Wirtschaftswis-

senschaft appelliert. Doch sie tut dies nicht, um deren Sicht- und Argumentationsweisen tat-

sächlich zu schulen, sondern eher um zur ungeprüften Übernahme bestimmter, dezidiert

nichtwissenschaftlich untermauerter Vorstellungen zu verleiten. Sie nutzt diesen Appell, um

sich in eine bloße „Aura der Objektivität“ (Hill/Myatt 2010, S. 3) zu kleiden.

Insgesamt wird sich auf den nächsten Seiten exemplarisch zeigen, wie sehr die ökonomische

Standardlehre Kriterien einer Beeinflussung auf der Ebene des Unbewussten erfüllen kann, wie

sie aus theoretischen bzw. experimentellen Erkenntnissen der Kognitionswissenschaften eben-

so bekannt sind wie aus den Bereichen der Werbung, der politischen Propaganda und der

Public Relations. Und es ist genau diese unbewusste Beeinflussung, so mein Argument, welche

die Freiheitsmöglichkeiten der Lernenden zwar nicht gänzlich negieren, wohl aber bei denjeni-

gen, die nicht um diese Beeinflussung wissen, deutlich reduzieren kann: Wer nicht weiß, dass

und wie er beeinflusst wird, kann sich nicht aus freien Stücken für oder gegen diesen Prozess

und seine Folgen entscheiden.

Ich bin mir bewusst, wie brisant die Thesen sind, die ich in dieser Studie vorstelle. Umso be-

deutender scheint es mir, sie im Rahmen eines breiten interdisziplinären Dialogs zu entwickeln

und zu begründen. Deswegen suche ich im ersten Teil der Studie das Gespräch mit der Wissen-

schaftsgeschichte, -theorie und -soziologie ebenso wie mit der Erkenntnistheorie, um jenen

Ansprüchen, welche die neoklassische Theorie an die Formung des bewussten und unbewuss-

ten Denkens von Ökonom_innen stellt, auf die Spur zu kommen, sie zu explizieren und so eine

fundierte Basis des Vergleichs für meine darauf folgenden Untersuchungen der ökonomischen

Standardlehre zu entwickeln.

9 Die Kognitionswissenschaft spricht hier von surface frames und deep seated frames. Hierauf werde ich im Laufe

der Studie intensiv eingehen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

8

Sodann wende ich mich den Kognitionswissenschaften zu, in denen etwa die Linguistik, die

Psychologie, die Neurowissenschaft und die Philosophie fachübergreifend kooperieren. Dabei

werde ich mich speziell auf die kognitive Linguistik (insbesondere die Arbeiten George Lakoffs

und Elisabeth Wehlings10) und die Psychologie (insbesondere die Arbeiten Daniel Kahnemans)

sowie teilweise auf die experimentellen Neurowissenschaften beziehen. Ebenso werde ich

Erkenntnisse der theoretischen wie praktisch orientierten Beeinflussungsforschung im Rahmen

des Marketing, der Propaganda und der Public Relations in die folgenden Untersuchungen

einfließen lassen.

Im Rahmen eines auf diese Weise konstituierten interdisziplinären Dialoges werde ich vor-

nehmlich text- und sprachbasiert analysieren, wie stark die heutige Standardlehre auf eine

Umstrukturierung tiefsitzender Wahrnehmungs- und Bedeutungsrahmen abzielt und auf diese

Weise tatsächlich Formen der Indoktrination zu schaffen vermag, die als der Reflexion des

Lernenden weitgehend entzogen gelten können.11 An vielen konkreten Beispielen werde ich

zeigen, wie Bereiche der ökonomischen Standardlehre tatsächlich abstrakte Ideen als ‚unmit-

telbar einleuchtende Wahrheiten‘ zu vermitteln und so Menschen nicht nur zum Nichtge-

brauch ihrer Freiheit, sondern noch grundlegender zum Nichtgebrauch ihres Verstandes und

ihrer Vernunft insgesamt anzuleiten versuchen.

Bei einer solchen text- und sprachbasierten Zugangsweise stellt sich die Frage nach der geeig-

neten Wahl der zu untersuchenden Beispiele. Welche Texte sind genau zu wählen? Welche

können als repräsentativ gelten? Diese Fragen hängen mit einer weiteren zusammen: Was

kann überhaupt als Standard der standardisierten ökonomischen Bildung gelten? Was sorgt für

eine vergleichsweise einheitliche oder vereinheitlichte, weithin anerkannte und meist ange-

wandte (oder zumindest angestrebte) Art und Weise, Studierende ökonomisch zu bilden? Es

besteht mittlerweile weitgehend Konsens darüber, dass die Standardisierung der ökonomi-

schen Bildung an Hochschulen maßgeblich über die Vereinheitlichung des verwendeten Lehr-

materials, genauer gesagt der ökonomischen Lehrbücher erfolgt. Dies betrifft vor allem die

einführenden Lehrveranstaltungen (vgl. Watts/Schaur 2011, S. 304; Earle et al. 2017, S. 37).

Auch ist weitgehend Konsens, dass dabei dem Lehrbuch Economics von Paul A. Samuelson (seit

1985 mit William D. Nordhaus) eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Treeck/Urban 2016,

S. 8-9; Smith 2001). Insgesamt neunzehn Auflagen existieren von diesem Werk (die erste Auf-

lage erschien 1948), die zusammen millionenfach verkauft und zumindest in 41 Sprachen über-

setzt wurden (vgl. Skousen 1997). Nicht nur wegen dieses immensen Verkaufserfolges und weil

es selbst über Jahrzehnte als das ökonomische Standardlehrwerk an Universitäten weltweit

diente, gilt Samuelsons Lehrbuch mittlerweile als kanonisch (vgl. Pearce/Hoover 1995). Auch

wird es weithin als inhaltliches wie didaktisches Vorbild für die meisten anderen ökonomi-

10 Die im Deutschen verfassten Arbeiten von Elisabeth Wehling und George werde ich in dieser Studie insbesondere

aufgrund ihres zusammenfassenden Charakters und ihrer auch für Fachfremde gut verständlichen Darstellungswei-

se häufig zitieren. Ergänzend dazu verweise ich auf entsprechende Primärliteratur. 11 Eine andere Forschungsrichtung, welche sich explizit der Sprache der Wirtschaftswissenschaften und ihrer Bedeu-

tungen widmet, existiert in den Literaturwissenschaften (vgl. etwa Vogl 2015) bzw. im Dialog von Ökonomie, Litera-

turwissenschaft und Rhetorik (vgl. etwa McCloskey 1994). Diese berücksichtige ich in dieser Studie allerdings nicht.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

9

schen Lehrbücher genannt (vgl. Walstad et al. 1998). Vor diesem Hintergrund scheint es mir

gerechtfertigt, meine Untersuchungen im Rahmen dieser Studie exemplarisch über weite Stre-

cken auf dieses Standardlehrbuch zu beziehen, wobei ich mich wesentlich auf seine neueren

Ausgaben im Deutschen und Englischen stützte. Damit versuche ich gleichsam, mehr Licht auf

einen wesentlichen Ausgangs- und Vergleichspunkt von Standardisierungsprozessen in der

ökonomischen Bildung zu werfen. Zudem ziehe ich das Lehrbuch Economics von N. Gregory

Mankiw heran, das international als neuer Beststeller der ökonomischen Lehrbuchliteratur gilt

(vgl. Treeck/Urban 2016, S. 9). Laut der Universität Harvard wurde dieses Buch bislang mehr

als zwei Millionen Mal verkauft und in zwanzig Sprachen übersetzt.12 An ihm suche ich exemp-

larisch zu zeigen, ob und wie sich der Ausgangs- und Vergleichspunkt, der in Samuelsons Lehr-

buch zu finden ist, tatsächlich in anderen Lehrbüchern widerzuspiegeln vermag.

Bislang bezieht sich in der Forschung die Aussage, die ökonomische Bildung sei weltweit stan-

dardisiert, weitgehend auf den Inhalt und die Struktur der einführenden mikroökonomischen

Lehrveranstaltungen und der dort verwendeten Lehrmaterialien. Wesentliches Kennzeichen

sollen hier Konzepte und Modelle des Marktes einerseits und des rationalen Entscheidungs-

verhaltens von Individuen (insbesondere als Konsument_innen) andererseits sein (vgl. etwa

Earle at al. 2017, S. 41). Vor diesem Hintergrund habe ich mich entschieden, mich innerhalb

der beiden Standardlehrbücher von Samuelson/Nordhaus und Mankiw wiederum hauptsäch-

lich auf die Frage zu konzentrieren, wie genau die Konzepte und Modelle des Marktes einfüh-

rend vermittelt werden. Eine weitergehende Untersuchung des vermittelten Verständnisses

wirtschaftlicher Akteur_innen (Stichworte Homo oeconomicus und Nutzenmaximierer) hinge-

gen unterlasse ich aus Platzgründen. Ich werde sie an anderer Stelle nachtragen.13

Selbstverständlich wird das von mir gewählte Forschungsdesign keinen automatischen Schluss

auf andere Lehrbücher zulassen. Erst nachfolgende Untersuchungen werden zeigen können,

inwieweit die Formen der Beeinflussungen, wie sie in den Lehrbüchern von Samuel-

son/Nordhaus und Mankiw vorliegen, tatsächlich selbst als standardsetzend für die ökonomi-

schen Lehrbücher insgesamt angesehen werden können. Wichtig ist mir deshalb, gleich zu

Beginn auf den Sinn und Zweck der in dieser Studie durchgeführten beispielhaften Textanaly-

sen hinzuweisen: David Snowden, der auf dem Feld des Wissensmanagements forscht, führt

einen meines Erachtens bedeutenden Unterschied zwischen categorization frameworks und

sense-making frameworks ein (vgl. etwa Kurtz/Snowden 2003): Erstere dienen dazu, Katego-

rien festzulegen und sodann bestimmte Dinge oder Prozesse in diese feststehenden Katego-

rien einzuordnen. In meinem Falle hieße dies, danach zu streben, von den Beispielen Samuel-

sons und Mankiws auf eine allgemeine Kategorie ‚Lehrbücher‘ zu schließen und sodann andere

Lehrbücher (im Extremfall ohne weitere Überprüfung) in diese Kategorie einordnen zu wollen.

Sense-making frameworks verfolgen hingegen ein anderes Ziel: Sie dienen dazu, Beispiele der-

gestalt zu geben, dass Menschen sich mit ihrer Hilfe selbst ein Urteil bilden und von Fall zu Fall

12 Vgl. http://scholar.harvard.edu/mankiw/biocv (Zugriff: 08. April 2017). 13 Es ist geplant, auf der Grundlage dieser Studie eine nochmals überarbeitete und ergänzte Monographie zu erstel-

len, die ebenfalls 2017 erscheinen soll.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

10

eigenständig entscheiden lernen können, was genau sie unter einem bestimmten allgemeinen

Konzept und seinen spezifischen Ausprägungen verstehen wollen. Genau im Sinne dieser sen-

se-making frameworks versuche ich in der vorliegenden Studie vorzugehen: Es kommt mir

weniger auf einen empirischen oder theoretischen Beweis gleichsam einer bestimmten ‚Na-

tur‘ ökonomischer Lehrbücher an, der fortan pauschal Bestand haben könnte. Stattdessen

möchte ich Sie als Leserinnen und Leser durch detaillierte Einzelstudien befähigen, sich zukünf-

tig selbst Urteile gerade auch von anderen Beispielen der ökonomischen Lehrbuchliteratur zu

bilden und so von Ihrer eigenen kritischen Vernunft Gebrauch zu machen.

Samuelson wird mittlerweile oft mit dem folgenden Ausspruch zitiert: „My interest was not so

much in dollars as in influencing minds“ (etwa in Gottesman et al. 2005, S. 98). Mir geht es in

dieser Studie weniger darum, ein für alle Mal zu zeigen, dass Samuelson dieses Interesse in

seinem Lehrbuch um- und durchzusetzen verstand, und dies sodann pauschal als repräsentativ

für eine ganze Zunft an Lehrbuchautor_innen zu deklarieren. Insgesamt kommt es mir nicht so

sehr auf ein neues Faktenwissen an, sondern darauf, ein genaueres Verständnis dafür zu we-

cken, wie eine Beeinflussung im Rahmen der ökonomischen Bildung geschehen kann. Dies hat

einen einfachen Grund: Verstehen wir nämlich dieses Wie, so ist der erste Schritt getan, um

einer Manipulation unseres Denkens, ja unserer gesamten Wahrnehmung entgegenzutreten.

Denn eine solche Manipulation ist nur möglich, solange sie verdeckt verläuft.

Jeder von uns vermag Licht ins Dunkel möglicher Beeinflussung zu bringen, und genau hierfür

möchte ich einige wichtige Werkzeuge des Denkens bereitstellen. Alle diese Werkzeuge, so

meine Hoffnung, zeichnet die gemeinsame Eigenheit aus, (wieder) zu einer Reflexion des eige-

nen Denkens, also einem Denken des Denkens selbst zu befähigen – auch und gerade in jenen

Bereichen, die ansonsten oftmals im Unbewussten verborgen bleiben. So können sie vielleicht

helfen, der oben zitierten Absicht von Samuelson („influencing minds“) etwas entgegenzuset-

zen und von der unabdingbaren Freiheit, kritisch denken zu wollen und zu können, (wieder)

Gebrauch zu machen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

11

2 Wissenschaftliche Objektivität und neoklassische Theorie

Die neoklassische Theorie wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet. Bis

heute gilt sie als den ökonomischen Mainstream prägende theoretische Strömung – auch und

gerade unter Kritiker_innen, worauf ich einleitend bereits verwiesen habe. Im Verlaufe dieser

Studie wird sich zeigen, dass dieser prägende Einfluss zumindest für die ökonomische Stan-

dardbildung nicht nachgewiesen werden kann, insofern man unter der Neoklassik eine theore-

tische Strömung versteht, die sich dezidiert an den mathematisch-mechanischen Wissenschaf-

ten und deren Anspruch an Objektivität orientiert. Richtig ist, so wird mein Argument lauten,

dass die heutige ökonomische Standardlehre an die Objektivität der Neoklassik als ihre ver-

meintliche Autorität appelliert (ohne dabei zugleich die Neoklassik als solche explizit zu be-

nennen), um gleichsam unter dem Deckmantel fortschrittlicher Wissenschaftlichkeit eine Be-

einflussung der Meinungsbildung von Studierenden vorzunehmen. Doch haben die erkenntnis-

theoretischen Standards, die sie vermittelt, mit denen wissenschaftlicher Objektivität nichts

oder doch kaum mehr etwas zu tun.

Um diese Thesen zu untermauern, werde ich in diesem Kapitel zunächst die Objektivität als

Wissenschaftsideal der Neoklassik explizit offenlegen und sodann im folgenden Kapitel 3 disku-

tieren, welche Formen weitgehend unbewusster gedanklicher Deutungsrahmen diese Objekti-

vität impliziert. Sodann werde ich in den nachfolgenden Kapiteln 4 und 5 die wesentlichen

Unterschiede zur ökonomischen Standardbildung, wie sie in den einführenden Lehrbüchern

der Volkswirtschaftslehre vermittelt wird, schrittweise sichtbar machen.

Wichtig scheint mir eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisideal der neoklas-

sischen Theorie, da ein wirkliches Wissen um den eigentlichen Inhalt und Sinn sowie um For-

men und Grenzen wissenschaftlicher Objektivität in der ökonomischen Standardbildung zu-

meist nicht mehr vermittelt wird. Auch scheint mir in der Forschung eine ausdrückliche Ausei-

nandersetzung mit der Objektivität als Ideal des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, wie

sie sich in neueren wissenschaftshistorischen Studien (so etwa das Werk Objektivität von Das-

ton und Galison aus dem Jahre 2007) für den Bereich der Naturwissenschaften findet, im Hin-

blick auf die Neoklassik nicht im ausreichenden Maße vorzuliegen (vgl. aber etwa Mirowski

1989). Die dadurch entstehende Lücke suche ich im Folgenden skizzenartig zu schließen. Dabei

geht es mir insbesondere darum zu zeigen, wie Objektivität beansprucht, das Wie des Denkens

(und nicht allein dessen Gegenstand) und, nochmals grundlegender, die gesamte Haltung der

Wissenschaftler_innen im Sinne einer epistemischen Tugend (vgl. Daston/Galison 2007) umzu-

formen. Vor diesem Hintergrund wird sichtbar werden, dass eine starke Welt- und Wirklich-

keitsferne dezidiert Bestandteil des Ideals wissenschaftlicher Objektivität ist. Dies trifft auf die

reinen Naturwissenschaften und die reine Mathematik ebenso zu wie auf die Neoklassik, die

sich explizit an ersteren orientiert. Dabei stellt diese Ferne allerdings eine bewusst gepflegte

und gewollte Tugend dar, und diese Bewusstheit wiederum sollte jeglicher unkritischen, weil

quasiautomatischen, unwillkürlichen Anwendung oder Übertragung wissenschaftlicher Er-

kenntnisse auf die Realität Einhalt gebieten können. Deshalb lässt sich die Weltfremdheit, wie

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

12

sie die wissenschaftliche Objektivität verlangt, nicht als einziges Argument dafür verwenden,

den in der Einleitung genannten Vorwurf einer Indoktrination von Studierenden zu rechtferti-

gen. Hierfür muss stattdessen, so soll in den nächsten Kapiteln gezeigt werden, die Rolle des

Unbewussten in der und für die ökonomische Wissenschaft insgesamt und dessen Umbildung

im Rahmen der ökonomischen Bildung insbesondere herausgearbeitet werden.

2.1 Objektivität als Ideal der ‚reinen Wissenschaften‘

Blickt man auf die verschiedenen Begründer der neoklassischen Theorie im 19. Jahrhundert, so

fällt eine Gemeinsamkeit unmittelbar auf: ihr Ziel, die Wirtschaftswissenschaft (oder Politische

Ökonomie, wie sie damals noch hieß) trotz ihrer Eigenschaft, Sozialwissenschaft zu sein, nach

dem Vorbild der reinen Naturwissenschaft und reinen Mathematik umzugestalten. Besondere

Bedeutung kommt dabei der reinen Mechanik zu: Léon Walras, französischer Mitbegründer

der neoklassischen Theorie, ist etwa überzeugt: „The pure theory of economics is a science which resembles the physico-mathematical sciences in every respect“ (Walras 1954, S. 71).

William Stanley Jevons, englischer Mitbegründer, meint: „If a science at all, it [political econo-

my] must be mathematical because it deals with quantities of commodities“ (Jevons 1913, S.

759). Vilfredo Pareto, italienischer Mitbegründer, konstatiert, dass die ökonomische Theorie

sich durch den intensiven Gebrauch mathematischer Formeln „die Strenge rationaler Mecha-nik aneignen könne“ (zitiert in Mirowski 1989, S. 221). Auf der Suche nach dem Erkenntnisideal

der neoklassischen Theorie sollte man sich also zunächst jenem der reinen Naturwissenschaft

und Mathematik zuwenden, wie sie im 19. Jahrhundert vorherrschte. Dieses aber ist jenes der

Objektivität.

Richtig ist, dass Objektivität häufig mit einem simplen Realismus gleichgesetzt wird. Man gibt

sich überzeugt, dass die ‚objektiven Gesetze‘, welche etwa die reine Mechanik erfasst, an und

für sich in der Natur vorlägen, also in einem ontologischen Sinne existierten.14 Doch ist eine

solche Position erkenntnistheoretisch bestenfalls naiv.15 Denn der wissenschaftlichen Objekti-

vität geht es keineswegs darum, die Dinge zu sehen, ‚wie sie (wirklich) sind‘.16 Es gilt stattdes-

sen:

„Objektiv sein heißt, auf ein Wissen auszusein, das keine Spuren des Wissenden trägt – ein

von Vorurteil oder Geschicklichkeit, Phantasievorstellungen oder Urteil, Wünschen oder Am-

bitionen unberührtes Wissen. Objektivität ist Blindsehen“ (Daston/Galison 2007, S. 17).17

Objektivität bezieht sich damit weniger auf ontologische denn auf epistemologische Dimensio-

nen:

14 Ich werde dies in den nachfolgenden Kapiteln an Beispielen aus den ökonomischen Lehrbüchern zeigen. 15 Vgl. zum Begriff des ‚naiven Realismus‘ ausführlich Döring 1890. 16 Daston und Galison unterscheiden genauer zwischen ‚mechanischer Objektivität‘ und ‚struktureller Objektivität‘; ein Unterschied, auf den ich aus Platzgründen hier nicht eingehe. Es sei hier nur darauf verwiesen, dass es sich bei

der neoklassischen Theorie um eine Form struktureller Objektivität handelt. Zu den beiden Konzepten vgl. Das-

ton/Galison 2007. 17 Vgl. zum Blindsehen auch Zeyer 2016.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

13

„Die Objektivität ist ein Verfahren des Verstandes. Es sind Überzeugungen und Einstellungen, die im primären Sinne objektiv sind; die Wahrheiten, die man auf diesem Wege gewinnt,

nennen wir nur in einem derivativen Sinne objektiv“ (Nagel 2015, S. 12).

Dieses Verfahren des Verstandes stellt an die menschliche Erkenntnis einen Anspruch, den

Thomas Nagel mit dem Oxymoron „Der Blick von nirgendwo“ auf den Punkt bringt (vgl. Nagel

2015). Das Kernelement der Objektivität, wie sie insbesondere seit dem 19. Jahrhundert als

Wissenschaftsideal ausgebildet, gepflegt und gegenüber anderen Idealen verteidigt wird, be-

steht darin, im Erkennen eine größtmögliche Distanz zu jeglicher Form menschlicher Erfahrung

aufzubauen. Am ehesten lässt sich diese Distanzierung nicht von ihrem Ziel oder Endpunkt her

verstehen, sondern von dem, was sie zu bekämpfen, also hinter sich zu lassen versucht. Objek-

tivität, so zeigen Daston und Galison umfassend in ihrer gleichnamigen Studie, fordert eine

Erkenntnispraxis, bei der Wissenschaftler_innen allen Formen subjektiver Wahrnehmung zu

entsagen haben – und dies in immer weiter gehenden Schritten (vgl. Daston/Galison 2007).

Nagel formuliert es so:

„Eine Auffassungs- oder Denkweise ist objektiver als eine andere, wenn sie in geringerem

Maße von Besonderheiten der konstitutionellen Ausstattung eines Individuums und seiner

Stellung in der Welt abhängig ist oder von Besonderheiten der Gattung, der dieses Wesen an-

gehört: Je umfangreicher das Spektrum der Typen von Subjektivität, die zu einer bestimmten

Art des Verstehens fähig sind, je weniger ein solches Verstehen auf besondere subjektive Er-

kenntnisvermögen angewiesen ist, um so objektiver ist es auch; und ein Standpunkt, der im

Verhältnis zur persönlichen Auffassung eines Individuums objektiv ist, kann im Verhältnis zu

einem entlegeneren theoretischen Standpunkt subjektiv sein“ (Nagel 2015, S. 13-14).

Dies bedeutet, dass Begriffe, in denen und mit denen wir denken, mit (möglichst) keiner

Wahrnehmung in Beziehung stehen sollen, die wir aus Erfahrung bilden: Sie sollen nicht aus

dieser Wahrnehmung gebildet werden und, was mindestens genauso wichtig ist, sie sollen

auch nicht durch diese Wahrnehmung verändert oder revidiert werden können. Unser Ver-

stand hat sich einer Begrifflichkeit zu bedienen, „welche nicht an spezifisch menschliche Wahrnehmungsformen gebunden ist“ (Nagel 2015, S. 29). Er kann umso besser tätig werden,

je formaler und, was für die Ökonomie als Wissenschaft heutzutage entscheidend ist, mathe-

matischer er wird. Der Fluchtpunkt objektiver Erkenntnisleistung liegt gewissermaßen darin,

jenseits aller Erfahrung rein mit Begriffen zu argumentieren, die ihrerseits durch nichts defi-

niert und miteinander verbunden sind als durch rein logische Operationen, oder aber – eben-

falls jenseits aller Erfahrung – mit rein mathematischen Formeln zu hantieren, also mit Variab-

len und Funktionen zu rechnen. Hinsichtlich der Mathematik macht dies Carl B. Boyer in seiner

Studie über die Geschichte der Differential- und Integralrechnung deutlich, wie sie auch und

gerade den Grundstein der neoklassischen Theorie darstellt:

„There was [in the eighteenth century] rapidly developing a very successful algebraic formal-

ism, vigorously fostered by Euler and Lagrange. This led, in the nineteenth century, to a view

of mathematics which non-Euclidean geometry had strongly suggested – a postulation system

independent alike of the world of sense experience and of any dictates resulting from intro-

spection. The calculus became free to adopt its own premises and to frame its own definitions,

subject only to the requirement of an inner consistency. The existence of a concept depended

only upon a freedom of contradiction in the relations into which it entered. The bases of the

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

14

calculus were then defined formally in terms only of number and infinite aggregates, with no

corroboration through an appeal to the world of experience either possible or neces-

sary“ (Boyer 1949, S. 305).

Wichtig ist, dass das Bewusstsein in der objektiven Erkenntnis trotz aller Erfahrungsferne nicht

ausgeschaltet ist. Für rein logische und mathematische Operationen braucht es im Gegenteil

ein hohes Maß an Aufmerksamkeit des rational arbeitenden Verstandes. Nur soll dieser, so-

weit es irgend möglich ist, auf alle (subjektiven) Wahrnehmungsaspekte verzichten bzw. diese

selbst in die Dimension eines gewissermaßen reinen Bewusstseins verlagern:

„Eine kontinuierliche Progression unserer Objektivität kann uns zu einer Auffassung der Rea-lität führen, die sich von der bloß persönlichen oder von der bloß menschlichen Perspektive

immer weiter entfernt“ (Nagel 2015, S. 15).

Oder wie Albert Einstein formuliert: „Der ‚objektive Faktor‘ ist die Gesamtheit derjenigen Be-griffe und Begriffsbeziehungen, die im Gegensatz zu Wahrnehmungen als unabhängig von der

Erfahrung gedacht werden“ (zitiert in Daston/Galison 2007, S. 323).

„Es liegt das Kriterium für Objektivität in der Struktur der Theorie selbst […], das heißt, in einer formalen Eigenschaft des idealen Schemas, die Korrespondenz mit der Realität vorgibt“ (Das-ton/Galison 2007, S. 322). Dieses Kriterium einzulösen, ist nicht einfach, es erfordert kompli-

zierte rationale Vorgänge. Diese Kompliziertheit ist aber nicht mit jener Aufgabe zu verwech-

seln, komplexe Interrelationen von Mensch und Welt (einschließlich des wissenschaftlich Be-

obachtenden) in ihrer Alltäglichkeit und Erfahrungsabhängigkeit reflexiv zu erfassen. Sie be-

zieht sich ausschließlich auf Aufgaben, wie sie nur der reine, von der Welt weitestgehend ab-

getrennte (logische oder mathematische) Verstand bewältigen kann. Einer objektiven Wissen-

schaft muss also daran gelegen sein, diesen Verstand fortwährend genauer zu schulen, damit

dieser immer ausgefeilter rechnen und die Gegenstände seines Denkens in einer eigenen,

weltunabhängigen Vorstellungswelt schaffen kann. Alle anderen menschlichen (Wahrneh-

mungs-)Fähigkeiten sind hingegen zu negieren und auszuschließen. Sie haben in einer Schu-

lung wissenschaftlicher Objektivität nichts zu suchen:

„Nur auf den kleinen Splitter des denkenden Wesens kam es an, der übrig blieb, wenn alle Er-innerungen, Sinneseindrücke, alle Überlegenheit, alle Mängel, Individualität tout court weg-

gestrichen waren – alles außer die Fähigkeit, ‚ein Argument vorzubringen, das für jeden indi-

viduellen Geist so wahr ist wie für den eigenen‘“ (Daston/Galison 2007, S. 319).

Wissenschaftliche Objektivität stellt also nicht einfach eine neutrale Perspektive auf die Welt

dar. Sie ist, durchaus im moralischen Sinn, ein Ideal, an dem sich Wissenschaftler_innen auszu-

richten, ja in dem sie sich einzurichten haben. Objektivität ist, um einen Begriff von Daston und

Galison aufzugreifen, epistemische Tugend. Als solche entscheidet sie nicht nur darüber, was

Wissenschaftler_innen als legitimes Erkenntnisobjekt gelten darf. Auch bestimmt sie, wie sich

der bzw. die Erkennende gegenüber dem bzw. der Erkennenden positionieren und welche

Eigenschaften er oder sie dafür in sich selbst kultivieren oder gar erst erzeugen muss:

„Der Beherrschung wissenschaftlicher Praktiken wird unvermeidlich mit Selbstbeherrschung verknüpft, mit der gewissenhaften Arbeit an einer bestimmten Ausprägung des Selbst. Und

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

15

wo das Selbst als Bildner und Bildwerk zugleich gesehen wird, kommt die Ethik ins Spiel, ob

man will oder nicht (…) Epistemische Tugenden werden mit Recht so genannt: Sie sind Nor-men, die ebenso durch Berufung auf ethische Werte wie auf ihre pragmatische Wirksamkeit

beim Wissensgewinn verinnerlicht und verstärkt werden“ (Daston/Galison 2007, S. 42-43).

Die vielleicht wichtigste epistemische Tugend im Rahmen wissenschaftlicher Objektivität lau-

tet: Verzicht. Verzicht auf alles Wissen um die Welt, in der wir leben, und Verzicht auf alles

Wissen um uns selbst als lebendige Wesen. Kurz: „Verzicht auf alles außer dem Denken“ (Das-

ton/Galison 2007, S. 318). Es geht, mit dem Statistiker Karl Pearson gesprochen, um nicht we-

niger als „Selbstauslöschung“ (zitiert in Daston/Galison 2007, S. 318). Damit geht insbesondere

ein Verlust an Mitgefühl einher, sowohl in einem moralischen als auch in einem erkenntnis-

theoretischen Sinne. Bei Adam Smith bezeichnete die sympathy etwa noch die Fähigkeit, sich

„in die Situation und den Charakter eines anderen hineinversetzen, um mit Rückgriff auf unse-

re eigenen emotionalen Erfahrungen seine Gefühle nachzuempfinden“ (Ronge 2015, S. 180-81).

Aus ihr sollten sodann die wesentlichen Erkenntnisse über die (soziale) Welt gewonnen wer-

den. Im Zeitalter wissenschaftlicher Objektivität vermag eine solche sympathy keine Rolle

mehr zu spielen.18 Im Gegenzug lockt, gleichsam als Belohnung, eine Art „Paradies“; ein Para-dies „voller Freunde, die nicht verlorengehen“, mit „Menschen meiner Art, weitgehend losge-löst vom Momentanen und rein Persönlichen, die sich dem Verstehen der Dinge durch Denken

verschrieben haben“, wie Einstein es ausdrückt (zitiert in Daston/Galison 2007, S. 318). Ziel ist,

kurz gesagt, eine gemeinsame Vorstellungswelt, die, gerade weil sie jenseits alles konkret Er-

fahrbaren liegt, jedem reinen Verstand als mitteilbar gilt und damit eine „kosmische Gemein-schaft“ mit „universeller Harmonie“ ermöglichen soll, ohne auf menschliche Belange in der

Alltagswelt Rücksicht nehmen zu müssen (Daston/Galison 2007, S. 319).

Noch ein wenig anders gesagt fordert Objektivität also vom menschlichen Geist eine Welt-

fremdheit, die nicht einfach einen Zufall oder einen Unfall darstellt, sondern bewusst als Tu-

gend zu kultivieren ist. Diese Fremdheit betrifft wesentlich die Quellen des Erkenntnisgewinns:

Wissenschaftler_innen können versuchen, die Welt etwa mechanisch mit Hilfe mathemati-

scher Formeln zu erklären, „jedoch erst nachdem man die Prinzipien der Mechanik selbst aner-

kannt oder vorausgesetzt hat“, wie Leibniz herausstellt (zitiert in Brodbeck 2009a, S. 35; Her-

vorhebung: S. G.). Erfahrung darf nicht als Ursprung menschlicher Erkenntnis dienen, weil die-

se allem Weltbezug zu entsagen hat. Diese Entsagung aber geschieht als bewusst kultivierter

Akt: „Selbstverleugnung und eine aktiv gewollte Passivität waren dem Wesen nach bewußte Verhaltensweisen; darin lag ihr moralischer Wert“, schreiben Daston und Galison über die

Objektivität im 19. Jahrhundert (Daston/Galison 2007, S. 329).

Richtig ist allerdings, wie etwa Nagel zeigt, dass selbst diese Bewusstheit des eigenen Tuns und

Denkens dem Streben nach Objektivität zum Opfer fallen kann. Dies geschieht, wo immer sie

selbst unter den Verdacht des bloß Subjektiven zu geraten droht. Unter diesen Umständen

kommt es gleichsam zu einer Extremform der Objektivität, bei der die Negation aller erkennt-

18 Zum Begriff der sympathy bei Adam Smith und ihrem Verlust in den Wirtschaftswissenschaften vgl. genauer Ötsch

2016.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

16

nisrelevanten Erfahrungsbezüge so groß wird, dass Wissenschaftler_innen um ihre eigene

(subjektive) Verneinung aller Erfahrungsbezüge nicht einmal mehr wissen, sondern ohne wei-

tere Selbstreflexion (da diese ja subjektiv wäre) annehmen, die Objektivität „könne von sich

aus zu einer vollständigen Weltbeschreibung führen, welche die subjektiven Auffassungen zu

ersetzen vermag, aus denen sie sich ergeben hat“ (Nagel 2015, S. 14; Hervorhebung im Origi-

nal). Ich schlage vor, diese Form als reine Objektivität zu bezeichnen, insofern sie von einer

totalen Negation aller Subjektivität des Erkennenden und des Erkannten sowie einer totalen

kognitiven Blindheit gegenüber dieser Negation geprägt ist, d. h. selbst die historischen und

kulturellen (und damit immer auch ‚subjektiven‘) Kontexte ihrer eigenen Position leugnet und

aus dem Bewusstsein verbannt. Unter diesen Umständen bleiben die rationalen Operationen

des Verstandes bewusste Leistungen der Erkenntnis; andere Bestandteile der epistemischen

Tugend der Objektivität (wie die Distanziertheit zur Welt und die Selbstverleugnung) hingegen

werden zu Eigenschaften von Wissenschaftler_innen, die diese zumindest ihrer Genese nach

nicht mehr vollständig reflektieren.

2.2 Objektivität in der neoklassischen Theorie

„Economists try to address their subject with a scientist’s objectivity“ (Mankiw 2014, S. 17). In

diesem Abschnitt suche ich zu skizzieren, wie das Wissenschaftsideal der Objektivität die ne-

oklassische Theorie prägt. Hierfür beziehe ich mich exemplarisch insbesondere auf den franzö-

sischen Ingenieur und Ökonomen Léon Walras, einer der wichtigen Begründer der neoklassi-

schen Theorie, und sein Werk Elemente der reinen Politischen Ökonomie (Éléments d’économie politique pure) aus dem Jahre 1874 (englische Übersetzung aus dem Jahr 1954).

Walras teilt mit weiteren Begründern der neoklassischen Theorie (etwa Irving Fisher, Vilfredo

Pareto und William Stanley Jevons) die Überzeugung, dass die Wirtschaftswissenschaften (o-

der die Politische Ökonomie, wie sie im 19. Jahrhundert noch hieß) zwar Teil der Sozialwissen-

schaften sind, sich aber erkenntnistheoretisch am Ideal der Naturwissenschaften, genauer

gesagt den reinen Naturwissenschaften zu orientieren haben: Die reine Theorie der Wirtschaft,

so zitierte ich Walras bereits, soll eine sein, „die den physikalisch-mathematischen Theorien in

jedem Aspekt entspricht“ (Walras 1954, S. 71). Kurz gesagt erhält so das Ideal wissenschaftli-

cher Objektivität, von dem eben die Rede war, Einzug in die ökonomische Wissenschaft – und

damit auch die Forderung nach einer vollständigen Unabhängigkeit ökonomischer Erkenntnis

von allen Erfahrungsbezügen. Sprachliche Vielfalt und das permanente Ringen um den richti-

gen Ausdruck des Wandels und der Ordnung sozialer Erfahrungswelten, so fordern es die Ne-

oklassiker, sollen zugunsten eines klaren, gegenüber jeder Erfahrung invarianten mathemati-

schen Formelinstrumentariums abgeschafft werden. Walras teilt dieses Ziel etwa mit Irving

Fisher:

„The truth is, most persons, not excepting professional economists, are satisfied with very ha-

zy notions. How few scholars of the literary and historical type retain from their study of me-

chanics an adequate notion of force!“ (Fisher 1892, S. 3)

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

17

Auch Vilfredo Pareto, italienischer Mitbegründer der Neoklassik, greift alle verbalen und erfah-

rungsbezogenen Wissensvollzüge frontal an:

„Strange disputes about predestination, about the efficacy of grace, etc., and in our day inco-

herent ramblings on solidarity show that men have not freed themselves from these day-

dreams which people have got rid of in the physical sciences, but which still burden the social

sciences. … Thanks to the use of mathematics, this entire theory […] rests on no more than

one fact of experience, that is on the determination of the quantities of goods which consti-

tute combinations between which the individual is indifferent. The theory thus acquires the

rigor of rational mechanics“ (zitiert in Mirowski 1989, S. 221).19

Doch was bedeutet es tatsächlich, objektiv über wirtschaftliche und damit soziale Phänomene

zu denken? Wie muss sich die menschliche Erkenntnis und Haltung entsprechend formen? Wie

lässt sich das Ideal wissenschaftlicher Objektivität in der Ökonomie erreichen?

Die Elemente der reinen Politischen Ökonomie von Walras machen deutlich, wie die neoklassi-

sche Theorie versucht, alltägliche Erscheinungsformen der Wirtschaft unmittelbar in mathe-

matische Phänomene umzudeuten. Dabei ist sich Walras klar, dass der Ausgangspunkt hierfür

in jenem Element wirtschaftlicher Erfahrung zu suchen ist, das seinerseits bereits quantitativer

Natur ist: dem Verhältnis von Gütermengen und Preisen.

„Wheat is worth 24 francs a hectoliter. We observe, now, that this phenomenon is mathemat-

ical in character as well. […] This phenomenon is so clearly mathematical in character that I

shall proceed immediately to state it in terms of an equation and thereby give it its true ex-

pression“ (Walras 1954, S. 69-70; Hervorhebung: S. G.).

„Wheat is worth 24 francs a hectoliter“: Diese Aussage weist noch unmittelbare Bezüge zur

Erfahrungswelt wirtschaftlichen (genauer gesagt: kaufmännischen) Handelns auf. Diesen letz-

ten Rest sucht Walras – und die gesamte Neoklassik folgt ihm darin – auch noch zu tilgen, in-

dem er sie in die Sprache der Mathematik übersetzt: „vb=24 francs“ (Walras 1954, S. 69). Da-

mit werden nun selbst Gütermengen weitestgehend aus ihren geschichtlichen und lebenswelt-

lichen Bezügen gerissen. Ohne nach ihren sinnstiftenden Ursprüngen zu fragen, wird ihre Be-

ziehung in mathematische Gleichungen überführt, deren Struktur ausdrücklich nicht aus der

Welt der Wirtschaft stammt, sondern aus der Welt der reinen Mathematik:

„Walras insists that there exists a limited subset of economic phenomena that are capable of

passing muster as the objects of pure scientific inquiry: They were the configurations of prices

in a regime of perfect competition. It is the existence of these pure relationships that justifies,

and indeed, for Walras, demands, the application of the same mathematical techniques as

those deployed in mid-nineteenth-century physics […] The assertion was made that the physi-

co-mathematical science of the Elements uses precisely the identical mathematical formu-

las“ (Mirowski 1989, S. 220).

19 Man beachte hier die klar (ab)wertende Sprache. Sie deutet darauf hin, dass innerhalb des Ideals wissenschaftli-

cher Objektivität zwar ‚neutral‘ und allein den Regeln der reinen Logik oder des rein rechnenden Verstandes gemäß

argumentiert werden mag, dieses Ideal aber selbst eine epistemische Tugend darstellt, die gegen andere Tugenden

wertend abgegrenzt und ins positive Licht gerückt wird. ‚Wertfreiheit‘ gilt also allenfalls gegenüber den Objekten

der Erkenntnis, nicht aber bezüglich der Erkenntnisform selbst.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

18

Auf diese Weise soll es die Ökonomie der reinen Naturwissenschaft gleichtun, die ihrerseits

vollständig mathematisch formuliert ist. Dabei geht es Walras und den anderen Begründern

der Neoklassik um die Forderung, auf exakt gleiche Weise, d. h. mit ein und demselben Forme-

linstrumentarium zu rechnen wie die reine Mathematik. Den Aktivitäten des rechnenden Ver-

standes wird damit absoluter Vorrang sowohl vor jeder Beobachtung konkreter Realitätsbezü-

ge als auch vor jedem (handlungspraktischen) Umgang mit diesen Bezügen eingeräumt:

„Pure mechanics surely ought to precede applied mechanics. Similarly, given the pure theory

of economics, it must precede applied economics; and this pure theory of economics is a sci-

ence which resembles the physico-mathematical sciences in every respect. This assertion is

new and will seem strange; but I have just proved it to be true, and I shall elaborate the proof

in what follows“ (Walras 1954, S. 71).

Folgen wir der Neoklassik, so suche ich hier am Beispiel Walras‘ deutlich zu machen, so muss

uns alles entweder als Funktion oder als Variable erscheinen. Alles, was unseren bewussten

Verstand beschäftigt, sollen gesetzmäßige Zusammenhänge (eben Funktionen) oder inhaltslo-

se Quantitäten (eben Variablen) sein, die sich diesem Zusammenhang widerstandslos fügen.

Aussagen wie „vb=24 francs“ stellen eine bereits weitestgehend von allen subjektiven Erfah-

rungen bereinigte Grundlage dar, bei der allein noch die Währungseinheit (franc) einen le-

bensweltlichen Bezug aufweist. Sodann wird auf der Grundlage solcher Aussagen im Bereich

der rein abstrakten, erfahrungsunabhängigen Erkenntnis gleichsam eine neue, objektive Welt

geschaffen, deren funktionale Gesetzmäßigkeiten nichts mit realen Erscheinungen zu tun ha-

ben, sondern der reinen Mathematik entlehnt sind. So entstehen gleichsam mathematische

Scheinwelten, die etwa von Angebotsfunktionen besiedelt sind, welche auf ‚vollkommenen Märkten‘ – ebenfalls reine Gleichungssysteme – auf Nachfragefunktionen treffen, sodass ein

‚Gleichgewicht‘ – ebenfalls ein streng mathematisch definierter Begriff ‒ entsteht.

Kurz gesagt vermag die reine Theorie der Ökonomik so tatsächlich weitestgehend objektiv zu

werden. Denn hier entscheidet allein die mathematische Logik über Richtig und Falsch, und

dies gänzlich a priori. Den Gesetzen dieser Logik hat sich alles zu Erkennende zu fügen, zugleich

aber sind diese Gesetze auch nur in der menschlichen Erkenntnis. Oder anders: Der rechnende

Verstand kann alles in den Grenzen dieser Gesetze erfassen, nichts aber über die Existenz die-

ser Gesetzmäßigkeiten außerhalb der Welt reinen Denkens aussagen. Alfred Schütz etwa hat

dies sehr klar erkannt (und dies nicht in kritischer Absicht):

„Der Sozialwissenschaftler löst sich aber von seiner biographischen Situation in der Sozialwelt

mit dem Entschluss, die desinteressierte Einstellung des wissenschaftlichen Beobachters an-

zunehmen […] Der Wissenschaftler hat sich entschieden, einen Plan wissenschaftlicher Arbeit

zu verfolgen, geleitet durch ein desinteressiertes Suchen nach der Wahrheit in Übereinstim-

mung mit vorgegebenen Regeln, wissenschaftliche Methode genannt: so betritt der Wissen-

schaftler ein Gebiet vor-geordneten Wissens, den Corpus seiner Wissenschaften“ (Schütz

1971, S. 42-43).

Was dies etwa für das ökonomische Menschenbild (den viel zitierten Homo oeconomicus) be-

deutet, vermag ein weiteres Zitat von Schütz deutlich zu machen:

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

19

„Diese Modelle von Handelnden sind jedoch keine menschlichen Wesen, die in ihrer biogra-phischen Situation in ihrer alltäglichen Sozialwelt leben. Genau genommen haben sie über-

haupt keine Biographie oder Geschichte; sie sind in eine Situation gesetzt worden, die nicht

von ihnen, sondern von ihrem Schöpfer, dem Sozialwissenschaftler definiert wurde. Er hat

diese Figuren, diese Homunculi, geschaffen, um sie nach seinen Vorstellungen manipulieren

zu können“ (Schütz 1971, S. 46-47).

Wie in der Einleitung zu dieser Studie skizziert, wird spätestens seit Ausbruch der anhaltenden

Finanz- und Währungskrisen in den Jahren 2008/2009 von vielen Seiten immer wieder die

Weltfremdheit der ökonomischen Lehre beklagt. Hier wird deutlich, dass diese Weltfremdheit

zwar tatsächlich problematisch sein mag, aber aus geistesgeschichtlicher Perspektive jedenfalls

keinen Zufall oder Unfall darstellt. Sie ist ausdrückliches wissenschaftliches Programm einer

Wirtschaftswissenschaft, die für sich den Anspruch erhebt, es in Sachen Objektivität der Ma-

thematik und den reinen Naturwissenschaften gleichzutun. Wo immer die Neoklassik verlangt,

abstrakt zu rechnen, müssen die Kriterien über Richtig und Falsch vollständig unabhängig von

allen Lebensbezügen und von unserem Wissen um diese Bezüge werden. Denn die rein ma-

thematische Theorie soll eine Welt begründen, die unser bewusster Verstand an und für sich

schaffen kann – und zugleich schaffen muss. Nochmals Schütz:

„Die Figur existiert und handelt nur durch die Gnade des Wissenschaftlers; sie kann nicht an-

ders als zu dem Zwecke handeln, die ihr die Weisheit des Wissenschaftlers vorgezeichnet hat.

[…] Eine totale Harmonie ist im voraus zwischen dem determinierten Bewußtsein der Figur

und der vorkonstruierten Umwelt, in der sie frei handeln soll, festgelegt und gestattet ratio-

nale Auswahl durch rationale Entscheidungen Diese Harmonie ist nur möglich, da sowohl die

Figur als auch ihre reduzierte Umwelt eine Schöpfung des Wissenschaftlers sind. Und hält er

sich an die Prinzipien, die in bisher geleitet haben, so wird der Wissenschaftler in der Tat in

dem so geschaffenen Universum die perfekte Harmonie finden, die er selbst begründet

hat“ (Schütz 1971, S. 53-54).

In ökonomischen Lehrbüchern ist häufig zu lesen, ökonomische Modelle seien wie Landkarten,

welche die wesentlichen Aspekte der Realität hervorhöben und die unwichtigen ausblendeten

(vgl. etwa Varian 1991, S. 1). Das ist zumindest in Bezug auf die neoklassische Theorie und ih-

ren eigenen Anspruch, objektive Wissenschaft nach dem Vorbild der reinen Mathematik zu

betreiben, irreführend. Denn diese Theorie schafft kein Abbild der Realität, sondern sucht ein

neues, eigenes Reich des Denkens zu begründen, in dem sich der logische Verstand frei von

jedem Bezug zur Realität neue Welten schaffen und in diesen bewegen soll. Es gilt hier analog,

was Boyer über die Mathematik schreibt:

„Mathematics is neither a description of nature nor an explanation of its operations; it is not

concerned with physical motion or with metaphysical generation of quantities. It is merely

symbolic logic of possible relations, and as such is concerned with neither approximate nor

absolute truth, but only with hypothetical truth. That is, mathematics determines what con-

clusions will follow logically from given premises“ (Boyer 1949, S. 308).

Um diese Welt jenseits der Erfahrung zu betreten und in ihr erfolgreich agieren zu können,

müssen angehende Ökonom_innen sich von jeglicher spezifischen, erfahrungsabhängigen

Kenntnis wirtschaftlicher Objekte ebenso reinigen wie von jeder persönlichen Eigenheit ihres

Ichs, d. h. des erkennenden Subjekts selbst. Sie müssen, wie es Mankiw formuliert, leiden-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

20

schaftslos werden (vgl. Mankiw 2014, S. 17). Insbesondere müssen sie, um ein letztes Mal

Schütz zu zitieren, gleichgültig, ja kühl und distanziert gegenüber ihren eigenen Erfahrungswel-

ten (und ebenso den Welten anderer) werden:20

„Diese Einstellung des Sozialwissenschaftlers ist die eines bloß desinteressierten Beobachters

der Sozialwelt. Er ist nicht in die beobachtete Situation einbezogen, die ihn nicht praktisch,

sondern nur kognitiv interessiert. Sie ist nicht Schauplatz seiner Tätigkeiten, sondern nur der

Gegenstand seiner Kontemplation. Er handelt in ihr nicht und hat kein vitales Interesse am Er-

gebnis seines Handelns; keine Hoffnungen und Befürchtungen verknüpfen sich mit den Kon-

sequenzen seines Handelns. Er schaut auf die Sozialwelt mit demselben kühlen Gleichmut,

mit dem der Naturwissenschaftler die Ereignisse in seinem Laboratorium verfolgt“ (Schütz

1971, S. 41-42).

In seiner Studie More Heat than Light zeigt Philip Mirowski auf, dass sich die Begründer der

neoklassischen Theorie zwar sehr bewusst die reine Mathematik und die reine Mechanik zu

ihren Leitwissenschaften erwählten, sich aber der epistemologischen Implikationen dieser

Entscheidung eher nicht vollständig bewusst waren (vgl. Mirowski 1989, S. 193-275).21 Stimmte

diese Einschätzung, so ließe sich das erkenntnistheoretische Ideal neoklassischer Theorie als

eines der reinen Objektivität im vorgenannten Sinne bezeichnen: Sie wäre geprägt von einer

Negation aller Subjektivität und zugleich von einer kognitiven Blindheit gegenüber dieser Ne-

gation und ihren historischen wie erkenntnistheoretischen Wurzeln.

Diese Blindheit aber besagt – und dies wird im weiteren Verlauf der Studie entscheidend sein –

nicht, dass sich die Begründer der Neoklassik der Regeln, durch welche sie die totale Welt-

fremdheit ihrer Theorien konstituierten, nicht bewusst gewesen wären. Im Gegenteil mussten

sie sich die Regeln (reinen) mathematischen Denkens explizit aneignen, um innerhalb der

Grenzen derselben die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Ein rechnender Verstand, so trivial

es klingen mag, muss über die Fähigkeit zur mathematischen Analyse verfügen, ja er muss

allein durch diese explizit konstituiert sein. Dies aber ist ihm nur auf bewusste Art und Weise

möglich. Daraus ergibt sich unmittelbar ein zentrales Aufgabenfeld für die ökonomische Bil-

dung, wollte sie (reine) Objektivität lehren: Ihre Schulung auf dem Feld rein rationaler Argu-

mentation, insbesondere im Bereich der Mathematik, müsste möglichst umfassend und voll-

ständig sein. Dazu gehörte insbesondere, die wesentlichen Voraussetzungen der Modellierung,

d. h. der Konstruktion von Modellwelten – etwa der Differentialrechnung im Bereich der Nut-

zen- und Gewinnmaximierung – explizit anzugeben, um damit den Raum reinen mathemati-

schen Denkens korrekt zu umgrenzen und von aller Erfahrungswelt sorgfältig abzugrenzen. So

weisen die Grundlagenwerke der Neoklassiker selbst etwa auf die Voraussetzungen der Stetig-

keit und Integrierbarkeit von Funktionen ebenso hin wie auf die Tatsache, dass die Variablen

20 Wie sehr eine objektive Wirtschaftswissenschaft auch und gerade eine Leidenschaftslosigkeit und eine Mitleidlo-

sigkeit erfordert, diskutiere ich ausführlicher in: Graupe 2014. 21 „Indeed, none of the conventional triumvirate of Jevons, Walras, and Menger understood the energy concept

with any degree of subtlety or depth, but this need not have stopped them from the appropriation of some part of

physics, only later to discover that its implications stretched far beyond anything they might have imag-

ined“ (Mirowski 1989, S. 222).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

21

dem Zahlenbereich der reellen Zahlen (welche die rationalen und irrationalen Zahlen umfas-

sen) entstammen müssen.

Wie ich im übernächsten Kapitel argumentieren werde, vermag gerade das Fehlen dieser ex-

pliziten Schulung des bewussten rechnenden Verstandes in ökonomischen Standardlehrbü-

chern als ein Hinweis darauf dienen, dass diese auf eine andere Form der Erkenntnisbildung

abzielen, die im Gegensatz zur Neoklassik eben nicht dem Ideal wissenschaftlicher Objektivität

dient.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

22

3 Die Rolle des Unbewussten für die neoklassische Theorie

„Der ‚objektive Faktor‘ ist die Gesamtheit derjenigen Begriffe und Begriffsbeziehungen, die im Gegensatz zu Wahrnehmungen als unabhängig von Erfahrungen konstituiert werden“, schreibt Einstein (zitiert in Daston/Galison 2007, S. 323). „To go beyond experience“, so bringt Walras

den wesentlichen Anspruch der neoklassischen Theorie auf den Punkt (Walras 1954, S. 71).

Nimmt man diesen Anspruch ernst, so folgt daraus, dass diese Theorie tatsächlich eine Welt-

ferne schult, und dies, wie gesagt, nicht als Zufall oder Unfall, sondern als dezidiertes wissen-

schaftliches Programm. Lässt sich dann aber aus dieser Ferne je wieder ein Bezug zur Welt

menschlicher Erfahrungen herstellen? Oder ist, wer einmal im wissenschaftlichen Ideal der

Neoklassik geschult ist, für immer gleichsam zum Leben im Elfenbeinturm verdammt?

Viel ist über die bewusste Anwendung mathematischer Theorien auf die Welt der Wirtschaft

geschrieben und gemutmaßt worden – über die willkürliche Rückkehr in die Welt der politi-

schen und alltäglichen Entscheidungen also. Im Folgenden aber wird es mir um einen anderen

Punkt gehen: So zeigt die Forschungsarbeit der österreichischen Schule der Nationalökonomie

ebenso wie die moderne Kognitionsforschung, dass sich das Ideal der Objektivität zumindest in

einer Sozialwissenschaft wie der Ökonomie von vornherein nicht ‚rein‘ realisieren lässt: Bevor

sich explizit über Anwendungen abstrakter Modelle auf die Wirklichkeit nachdenken und strei-

ten lässt, stellen diese Modelle auf der Ebene des Unbewussten immer schon Bezüge zu dieser

Wirklichkeit her, d. h. zu unseren persönlichen wie kulturellen Erfahrungen, dem unreflektier-

ten Common Sense – selbst wenn sie diese ausdrücklich zu negieren versuchen.

Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie dies auch auf die neoklassische Theorie selbst zutrifft, wie sie

also gleichsam unterhalb der Bewusstheit des rationalen Verstandes unser kognitives Unbe-

wusstes insbesondere im Sinne der Selektion gedanklicher Deutungsrahmen umformt.22 Im

nachfolgenden Kapitel wird dann sichtbar werden, wie sich diese Umformung im Rahmen der

heutigen ökonomischen Standardlehre nochmals bedeutsam intensiviert und vertieft, sodass

hier von einer Beeinflussung des Unbewussten gesprochen werden kann, welche sich einer

Überprüfung durch den rationalen Verstand in starkem Maße entzieht.

Ist wissenschaftliche Erkenntnis rein im Reich der Objektivität möglich? Trotz allem Anspruch

auf wissenschaftliche Objektivität zweifelt selbst Walras:

„The mathematical method is not an experimental method; it is a rational method. Are the

sciences which are strictly speaking natural sciences restricted to a pure and simple descrip-

tion of nature, or do they transcend the bounds of experience? I leave it to the natural scien-

tist to answer this question. This much is certain, however, that the physico-mathematical

sciences, like the mathematical sciences, in the narrow sense, do go beyond experience as

soon as they have drawn their type concepts from it“ (Walras 1954, S. 71).

22 Es sei hier nochmals darauf verwiesen, dass ich den Begriff des kognitiv Unbewussten hier dezidiert aus der Kog-

nitionsforschung übernehme, wo er überwiegend unbewusste mentale Operationen beschreibt, denen kognitive

Funktionen zugeschrieben werden können. Vgl. dazu nochmals meine Bemerkungen in der Einleitung.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

23

Walras ist bewusst, dass sich die objektive Wirtschaftswissenschaft trotz aller Bemühungen um

Objektivität dennoch auf alltägliche Begriffe beziehen muss. Wie aber stehen diese genau im

Zusammenhang mit jenen der objektiven Wissenschaft? Hier wird ein erkenntnistheoretisches

Problem deutlich, das aus meiner Sicht ins Bewusstsein zu heben ist, damit die Frage, wie eine

dezidiert weltfremde Wissenschaft dennoch in unauflöslichem Zusammenhang mit menschli-

chen Erfahrungen steht und damit weltwirksam ist, geklärt werden kann. Diese Frage wiede-

rum ist aufs Engste mit einer weiteren verknüpft: jener nach den wechselseitig prägenden

Einflüssen von wissenschaftlichem und alltäglichem Denken. Im Folgenden werde ich mich mit

diesen Fragen in einigem Detail auseinandersetzen. Dabei wird deutlich werden, dass die ne-

oklassische Theorie trotz ihres Anspruchs auf Objektivität Bezüge zu wirtschaftlichen Erfahrun-

gen voraussetzen muss. Diese Bezüge aber siedeln sich im Bereich des Unbewussten an: Ob-

jektives ökonomisches Denken bedarf, kognitionswissenschaftlich gewendet, gedanklicher

Deutungsrahmen, Frames, die seiner bewussten Aktivität vorgelagert sind und sich gleichsam

in mentalen Tiefen ansiedeln, die dem bewussten Verstand normalerweise nicht zugänglich

sind. Erst ein Verständnis dieser Deutungsrahmen kann, so wird mein Argument lauten, ein Tor

dahingehend aufstoßen, dass der eigentliche Ort, an dem die Beeinflussungspraktiken der

heutigen ökonomischen Standardbildung ansetzen, sichtbar wird.

3.1 Geschultes Urteil in der Wissenschaft

Wie Daston und Galison zeigen, setzt sich spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts in den

objektiven Wissenschaften die Einsicht durch, dass der rein rationale Verstand durch unbe-

wusste Wahrnehmungsformen zumindest zu ergänzen ist (vgl. Daston/Galison 2007, S. 385-

441). Wissenschaftler_innen setzen zunehmend nicht mehr (allein) auf den bewusst tätigen

Verstand im Reich objektiver Strukturen, sondern auf eine Wahrnehmung, die im Wesentli-

chen vom Unbewussten geleistet wird. Man hält „das intuitive Begreifen in immer stärkerem

Maß für ein entscheidendes Element der Wissenschaft“ (Daston/Galison 2007, S. 379) – und

dieses Begreifen ist nicht einfach dem Zufall zu überlassen, sondern umfassend zu schulen.

Daston und Galison sprechen deswegen auch vom geschulten Urteil, das die epistemische Tu-

gend der Objektivität in den Naturwissenschaften im 20. Jahrhundert zunehmend abzulösen

beginnt (vgl. Daston/Galison 2007, S. 327-383).

Was genau bedeutet das geschulte Urteil? Die Erkenntnis soll hier im Wesentlichen aus fach-

kundigen, geschulten Intuitionen bestehen, denen Menschen auf merkwürdige Weise passiv

gegenüberstehen (vgl. Daston/Galison 2007, S. 331): Sie sollen aus der Tiefe ihres Inneren auf-

steigen, doch ohne dass sie darüber bewusste Kontrolle ausüben könnten. In dieser Tiefe gibt

es, wie es Ludwig von Wieser, ein Begründer der österreichischen Schule der Nationalökono-

mie, formuliert, keine verstandesmäßige Erkenntnis, sondern lediglich eine „vollkommene Vertrautheit mit dem gesamten Stoffe“ (von Wieser 1929, S. 4). Diese Vertrautheit wird als

Bedingung aller Erkenntnis angesehen, ohne selbst je erkannt werden zu können. All unser

Denken und Wissen, so könnte man sagen, soll uns zu nahe sein, als dass wir es vor uns hin-

stellen und verstandesgemäß begreifen könnten. „Wir wissen mehr, als wir ausdrücken kön-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

24

nen“, schreibt Polanyi in seiner Studie The Tacit Dimension (Polanyi 1966, S. 4). Dieses Mehr

besteht im Wesentlichen aus nicht weiter artikulierbaren Bestandteilen, die nicht nur körperli-

cher Natur sind, sondern auch als dem menschlichen Geist zugehörig betrachtet werden müs-

sen, sich dabei aber gerade nicht dem bewusst arbeitenden, rationalen Verstand zuordnen

lassen (vgl. Mirowski 1998, S. 35). Polanyi bezeichnet diese Bestandteile als implizites oder

stillschweigendes Wissen (tacit knowledge) und postuliert zugleich, dass es grundlegend nicht

nur für alle alltägliche, sondern gerade auch für alle wissenschaftliche Erkenntnis sei (vgl. Po-

lanyi 1958, 1966).

Dieses stillschweigende Wissen ist dabei keineswegs bloß individueller, sondern stets auch

sozialer Natur. In jedem individuellen Bewusstsein soll ein „Schatz an allgemeiner Erfah-rung“ aufgesammelt sein,

„d. h. jener Erfahrung, die jeder Praktiker besitzt und die daher auch jeder Theoretiker in sich

bereit findet, ohne daß er sie erst mit besonderen wissenschaftlichen Methoden zu sammeln

brauchte“ (von Wieser 1929, S. 16).

Objektivität setzt auf universell gültige Verstandesformen, die gerade in Absehung aller indivi-

duellen und gemeinschaftlichen Erfahrung entstehen sollen; das geschulte Urteil hingegen

erkennt die Bedeutung von Erfahrung für die menschliche Wahrnehmung an, sucht sie dabei

aber zugleich als etwas Kollektives festzuschreiben, das in den Tiefen jedes Einzelnen sedimen-

tiert ist und dem sich jeder zugleich passiv gegenüber zu verhalten hat. Es geht um nicht-

selbst-bewusste und zugleich unbewusst holistische Erkenntnisakte (vgl. Daston/Galison 2007,

S. 351).

Diese grundlegende Charakterisierung menschlicher Erkenntnis teilen viele Formen der Psy-

chologie, der Neurowissenschaften und der Verhaltensökonomie. Der Psychologe Daniel

Kahneman, Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften im Jahre 2002, etwa fokussiert

seine Forschung „auf die Psychologie intuitiver Annahmen und Wahl (Beliefs and

Choices)“ (Kahneman 2002, S. 449) sowie auf deren Bedeutung gerade auch für wissenschaftli-

ches und wirtschaftliches Denken. Dabei spricht er von einem „intuitive mode in which judge-

ments and decisions are made automatically and rapidly“ (Kahneman 2002, S. 449), dem er

eine eigene Identität zuspricht, insofern er ihn als eigenes System („System 1“) bezeichnet:

„The operations of System 1 are fast, automatic, effortless, associative and difficult to control or modify. […] In the model that will be presented here, the perceptual system and the intui-

tive operations of System 1 generate impressions of the attributes and objects of perception

and thought. These impressions are not voluntary and need not be verbally explicit“ (Kahne-

man 2002, S. 450-51).

Kahneman erkennt so an, dass sich ein Großteil menschlicher Wahrnehmung jenseits rein rati-

onaler Überlegung vollzieht. Diesen Teil sollen Menschen stets nur als einen ihnen vorgegebe-

nen nutzen können; weder ist er durch sie zu reflektieren noch gar schöpferisch zu verändern.

Die Werkzeuge der Wahrnehmung sind hier gewiss andere und sogar umfangreichere, als es

jene des rein rational arbeitenden Verstandes sind. Auch liegen sie nicht mehr jenseits aller

menschlichen Erfahrungen, sondern gründen in einem gleichsam sedimentierten, also über

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

25

lange Zeiträume angereicherten und abgelagerten Schatz allgemeiner Erfahrung. Doch sollen

Menschen ihnen auf merkwürdige Weise passiv gegenüber bleiben, eben weil sie als aller be-

wussten Reflexion und aktiven Gestaltung entzogen gelten. Kein Individuum soll sie in der Ge-

genwart tätig verändern können, sondern umgekehrt sollen alle Individuen ihre geistigen und

körperlichen Tätigkeiten (einschließlich der wissenschaftlichen) auf ihnen unwillkürlich auf-

bauen. Sie ‚passieren‘ uns gewissermaßen, sie ‚fallen uns zu‘. Walter B. Cannons, der Neurolo-

ge und Physiologe an der Universität Harvard war, wählt hierfür im Jahre 1954 folgende Meta-

pher:

„Die Arbeit in einer Fabrik unter der unmittelbaren Aufsicht des Direktors ist wie der zerebra-

le Prozess, auf den wir achten; aber unterdessen geht in anderen Teilen des Werks Arbeit vor

sich, die der Direktor im Moment nicht sehen kann. Dasselbe geschieht mit außerbewussten

Prozessen“ (zitiert in Daston/Galison 2007, S. 330).

Wahrnehmung und Begriff fallen hier zusammen, und dies auf eine sehr spezifische Weise: Die

Bildung von und der Umgang mit Begriffen stellt keine bewusste Erkenntnisleistung dar; Begrif-

fe üben vielmehr nur noch eine Art Signalfunktion aus, die Menschen veranlassen, automatisch

Deutungsprozesse in Gang zu setzen. Begriffe werden also gleichsam wie Anreize aufgefasst,

die unwillkürlich Reaktionen menschlicher Wahrnehmung auslösen sollen.

Besonders deutlich wird diese Vorstellung in den Kognitionswissenschaften. Diese sprechen

von gedanklichen Deutungsrahmen, Frames, die im Unbewussten existieren und uns dazu

bringen sollen, quasiautomatisch auf Begriffe und sprachliche Muster zu reagieren:

„Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst Bedeutung

verleihen, und zwar, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfah-

rungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Dabei sind Frames

immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter

den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Und sind sie erst einmal über

Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unseren Köpfen aktiviert, so leiten sie un-

ser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten“ (Wehling 2016, S. 17-18).

Der Ursprungsort aller Frames liegt dabei in der Erfahrung, und dies gilt in einem umfassenden

Sinne:

„Wenn es gilt, Worte oder Ideen zu begreifen, so aktiviert das Gehirn einen Deutungsrahmen,

in der kognitiven Wissenschaft Frame genannt. Inhalt und Strukturen eines Frames, also die

jeweilige Frame-Semantik, speisen sich aus unseren Erfahrungen mit der Welt. Dazu gehört

körperliche Erfahrung – wie etwa mit Bewegungsabläufen, Raum, Zeit und Emotionen – eben-

so wie etwa Erfahrungen mit Sprache und Kultur“ (Wehling 2016, S. 28).

Wichtig ist, dass dieser Erfahrungsbezug auch für jene Wahrnehmungen grundlegend sein soll,

die durch den Gebrauch abstrakter Konzepte stimuliert werden:

„Abstrakte Konzepte des gesellschaftlichen und politischen Miteinanders werden über eine

Anbindung an Konzepte des direkt Erfahrbaren geframet. Und zwar immer. […] Abstrakte Ideen werden von uns über Metaphern an körperliche Erfahrung angebunden und damit

‚denkbar‘ gemacht“ (Wehling 2016, S. 68).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

26

Hierbei gilt, dass diese Anbindung an Erfahrung allen bewussten Erkenntnisprozessen voraus-

liegen soll und deswegen nicht von ihnen eingeholt werden kann. Sie dient als Voraussetzung

dieser Prozesse, nicht aber als deren Gegenstand. Neurowissenschaftlichen Forschungen zu-

folge soll ein Großteil Prozent unseres gesamten Erkenntnisvermögens auf diese Weise durch

unbewusste kognitive Prozesse geprägt sein: Prozesse, die – im Sinne einer inneren, autono-

men und in sich abgeschlossenen Entität wirkend – quasiautomatisch unser Denken und Han-

deln bestimmen und als solche jenseits der reflektierenden Kontrolle liegen sollen:

„Conscious thought is the tip of an enormous iceberg. It is the rule of thumb among cognitive scientists that unconscious thought is 95 percent of all thought – and that may be a serious

underestimate. Moreover, the 95 percent below the surface of conscious awareness shapes

and structures all conscious thought. If the cognitive unconscious were not there doing its

shaping, there could be no conscious thought. […] Our unconscious conceptual system func-tions like a ‘hidden hand’ that shapes how we conceptualize all aspects of our experience. This hidden hand gives form to the metaphysics that is built into our ordinary conceptual sys-

tems. It creates the entities that inhabit the cognitive unconscious – abstract entities like

friendships, bargains, failures, and lies – that we use in ordinary unconscious reasoning. It

thus shapes how we automatically and unconsciously comprehend what we experience. It

constitutes our unreflective common sense“ (Lakoff/Johnson 1999, S. 13).23

Die moderne Kognitionsforschung macht für Wissenschaftler_innen keine Ausnahme. Auch ihr

Denken soll größtenteils unbewusst verlaufen (vgl. etwa für die Spieltheorie und die Theorie

rationaler Erwartungen Lakoff/Johnson 1999, S. 516ff. sowie Lakoff 2009, S. 209ff.). Wie bei

der Vorstellung des geschulten Urteils geht man auch hier davon aus, dass wissenschaftliche

Erkenntnis von unbewusst ablaufenden kognitiven Prozessen geprägt ist, die nicht durch den

Verstand zu kontrollieren sind. Wohl aber sollen sich diese Prozesse gleichsam unterhalb der

Schwelle des Bewusstseins verändern lassen, auch wenn dies nur langsam und allmählich mög-

lich sein soll (vgl. Kahneman 2002, S. 450). Diese Veränderung, so formuliert es Selye, muss

zwar notwendig im Unbewussten automatisch ablaufen, kann aber dennoch gezielt in Gang

gesetzt werden: „Even a process that must go on automatically in the unconscious can be set in motion by a conscious, calculated effort” (Selye 1964, S. 61). Diese Anstrengung zu unter-

nehmen, kann als Aufgabe der Bildung gesehen werden, wie gleich noch deutlich werden wird.

3.2 Geschultes Urteil in der neoklassischen Theorie

Zunächst ist zu klären, wie der Anspruch auf Objektivität in Beziehung zur unbewussten Intui-

tion stehen kann. Ich werde mich im Folgenden diesen Fragen unmittelbar am Beispiel der

Wirtschaftswissenschaft widmen und dabei erneut ausdrücklich die neoklassische Theorie in

den Blick nehmen.24

23 In neueren Veröffentlichungen spricht Lakoff lediglich von 80 % (Lakoff/Wehling 2016, S. 13). Da sich in keiner der

Quellen eine Bezugsgröße findet (95 % oder 80 % von was?), lässt sich hier insgesamt nur darauf schließen, dass es

sich eben um große Bereiche handeln muss. 24 Für die Naturwissenschaften vgl. Daston/Galison 2007, S. 327-383.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

27

Wie bereits skizziert fordert die neoklassische Theorie den bewussten Verstand heraus, sich so

vollkommen wie möglich auf die Welt rein mathematischer Strukturen zu fokussieren. In

diesem Sinne hat etwa Mankiw Recht, wenn er in seinem Lehrbuch schreibt: „The challenge […] is to set aside that everyday understanding and think of the terms as economists

do“ (Mankiw 2014, S. 17). So interpretiert die neoklassische Theorie beispielsweise den Begriff

‚Angebot‘ als Funktion: x=F(p). Würde diese Funktion in unserer Erkenntnis alle anderen (Vor-

)Verständnisse von ‚Angebot‘ verdrängen können, würden wir also bei ‚Angebot‘ tatsächlich an

nichts anderes mehr denken können als an einen funktionalen Zusammenhang der Mathema-

tik, so wäre das Ideal der Objektivität wohl bestmöglich erreicht. Denn aus der Kognitionswis-

senschaft stammt eine wesentliche Einsicht: Wenn überhaupt, dann vermag allein die reine

Mathematik, Deutungsrahmen zu schaffen, die von auf Erfahrung beruhenden Erkenntnispro-

zessen weitestgehend unabhängig sind: Nur „die mathematische Theorie […] ist rein abstrakte

Mathematik“ (Lakoff/Johnson 1999, S. 515). So sehr sich eine Wissenschaft wie die Ökonomie

aber an diesem Ideal zu orientieren versucht: Sie bleibt dennoch von Begriffen abhängig, die

ihrerseits ohne ihre Bezüge auf gedankliche Deutungsrahmen, Frames, schlechthin in einem

ökonomischen Sinne unverständlich wären. Lakoff schreibt für das Beispiel der Theorie ra-

tionaler Erwartungen:

„Once you get the formal axioms, you notice that they are just formal math and, in them-

selves say nothing about rational action. The axioms, like all axioms, have to be interpreted –

there needs to be a mapping from the symbols constituting the axioms to something

else“ (Lakoff 2009, S. 213).

Betrachten wir nochmals die gerade genannte Formel: x=F(p). Diese steht mit unseren im All-

tag verwendeten gedanklichen Bedeutungsrahmen kaum in einem Verhältnis. Vielmehr stellen

ihre Variablen ausdrücklich reine Quantitäten dar, die gerade dadurch gekennzeichnet sind,

dass sie keinerlei qualitativen Bezug zu alltäglichen Bedeutungsmustern herstellen können.

Wenn Ihnen eine solche Formel beim Lesen nichts über die Wirtschaft zu sagen scheint, dann

liegt dies also weniger an Ihnen oder Ihrer mangelnden Vernunft. Es liegt daran, dass es ge-

danklicher Deutungsrahmen, Frames, bedarf, damit Ihnen die Formel irgendetwas über wirt-

schaftliche Zusammenhänge sagt. Erst Begriffe, die wir mit diesen Formeln assoziieren und die

zugleich mit unserer Alltagserfahrung verbunden sind, verleihen mathematischen Formeln

ihren spezifisch ökonomischen Sinn. Ohne diese Begriffe gäbe es, kurz gesagt, nur die reine

Mathematik, aber eben keine ökonomische Mathematik. Nimmt man aber den Bezug der Be-

griffe zur Welt menschlicher Erfahrungen ernst (ohne beide dabei einfach gleichzusetzen), so

kann die Ökonomie als Wissenschaft nicht mehr streng objektiv (d. h. ‚jenseits aller Erfahrung‘) konstituiert sein.

Richtig ist, dass ökonomische Begriffe wie ‚Angebot‘ selbst wiederum zunächst nur abstrakter

Natur sind, worauf Mankiw ebenfalls aufmerksam macht:

„Many of the concepts you will come across in this book are abstract. Abstract concepts are ones which are not concrete or real – they have no tangible qualities. We will talk about mar-

kets, efficiencies, comparative advantage and equilibrium, for example, but it is not easy to

physically see these concepts“ (Mankiw 2014, S. 17).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

28

Doch die Vorstellung, es gäbe einerseits unmittelbar durch Sinnesdaten erfassbare reale Be-

griffe und andererseits nicht greifbare, rein abstrakte (objektive) Begriffe, führt nicht weit ge-

nug. Denn wie die Kognitionsforschung zeigt, aktivieren Begriffe immer gedankliche Deutungs-

rahmen, wenngleich auch zumeist unbewusst:

„In Worten steckt vielmehr, als wir in der Regel glauben. Um Worte zu begreifen, aktiviert un-

ser Gehirn ganze Vorratslager abgespeicherten Wissens – zum Beispiel Bewegungsabläufe,

Gefühle, Gerüche oder visuelle Erinnerungen – und simuliert diese gedanklich, um linguisti-

schen Konzepten eine Bedeutung zuschreiben zu können. Außerdem stecken in einzelnen

Worten viel mehr Informationen, aktivieren einzelne Worte viel mehr Wissen und Ideen in

unserem Kopf, als die meisten von uns meinen“ (Wehling 2016, S. 20).

Wenn wir die Formel x=F(p) lesen, mag unser Gehirn tatsächlich allein abgespeichertes ma-

thematisches und damit objektives Wissen aktivieren. Sobald wir aber lesen, dass diese Formel

eine Definition des Angebots sein soll, passiert etwas anderes: Es ist der Kognitionsforschung

nach kaum möglich, einen solchen Begriff zu hören, ohne zugleich Wissen und Sinnzusammen-

hänge aus vorangegangenen Erfahrungen zu aktivieren.

Insbesondere die österreichische Schule der Nationalökonomie hat diesen für ein tieferes Ver-

ständnis ökonomischer Erkenntnisprozesse zentralen Punkt bemerkt und näher ausgearbeitet.

So formuliert etwa Ludwig von Wieser in einer Kontroverse mit Joseph Schumpeter:

„Kein Theoretiker kann sich seines praktischen Bewusstseins entäußern, immer wird ihn bei seinen Spekulationen die Rücksicht auf den praktisch vertrauten Sinn mitleiten; sie wird ihm

die Richtung seiner Forschung eingeben, sie wird ihn dort, wo er dem praktisch vertrauten

Sinne nahe kommt, durch die Vorstellung ermuntern, daß er auf dem richtigen Wege sei, sie

wird ihn dort zur Vorsicht mahnen, wo er in die Gefahr gerät, sinnlos oder widersinnig zu

werden“ (Wieser 1929, S. 25-26).

Auch objektive ökonomische Erkenntnis bedarf, modern gesprochen, eines Frames. Wieser

spricht von einem

„Schatz an allgemeiner Erfahrung, d. h. jener Erfahrung, die jeder Praktiker besitzt und die da-

her auch jeder Theoretiker als Praktiker in sich bereit findet, ohne daß er sie erst mit beson-

deren wissenschaftlichen Methoden zu sammeln brauchte (Wieser 1929, S. 16).

Genauer gesagt geht es um die Erfahrungen jedes wirtschaftlich tätigen Menschen:

„A fund of experiences that are the common possessions of all who practice economy. These

are experiences that every theorist already finds within himself without first having to resort

to special scientific procedures“ (von Wieser zitiert in Mises 2003, S. 23).

Als Individuen sollen wir also unsere bewussten rationalen Vorstellungen stets auf einer Art

gemeinschaftlichem Boden bilden, der uns selbst aber unbewusst sein soll. Die wissenschaftli-

che Methode (Wieser nennt sie die „psychologische Methode“ (1929, S. 17)

„findet im Schatze der gemeinen wirtschaftlichen Erfahrung alle wichtigen Tatsachen der Wirtschaft aufgesammelt, und warum sollte sie dieses nicht hier an der Quelle fassen? Sie

findet, daß gewisse Akte im Bewußtsein mit dem Gefühle der Notwendigkeit vollzogen wer-

den, und warum sollte sie sich erst bemühen, durch lange Induktionsreihen ein Gesetz festzu-

stellen, während jeder in sich selbst die Stimme des Gesetzes deutlich vernimmt? [...] Auf die

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

29

Frage nach dem letzten Warum, auf die Frage, wie es kommt, daß ich denke und nach gewis-

sen Regeln denke, werde ich mir im letzten Grunde mit Lichtenberg antworten müssen, ‚es denkt‘. Das Bewußtsein arbeitet unbewußt und kann sich keine Rechenschaft darüber geben,

warum die Tatsachen in ihm hervortreten und verschwinden, es gibt noch ein Etwas unter der

Schwelle des Bewußtseins, wovon dieses abhängig ist, das wir nicht beherrschen und das un-

serem Sinn so fremd ist wie die äußere Natur“ (Wieser 1929, S. 17).

Es ist, so wird hier deutlich, nicht so, dass, wenn wir den Begriff ‚Markt‘ hören, unser Denken erst in dem Moment einsetzte, in dem wir diesem Begriff eine mathematische Funktion zuord-

nen und rechnend mit dieser zu hantieren beginnen. Richtig ist, dass im Rahmen der neoklassi-

schen Theorie die Tätigkeit unseres bewussten Verstands hier ihren Anfang nimmt. Doch

gleichsam unterhalb der Schwelle desselben soll unser kognitives Unbewusstes zuvor bereits

eine ganz bestimmte Erkenntnisarbeit leisten. Es führt verschiedenste Formen des Denkens

und der Wahrnehmung aus – und dies automatisch und ohne jeden merklichen Aufwand (vgl.

Lakoff/Johnson 1999, S. 10).

Nehmen wir als weiteres Beispiel den Begriff ‚Marktgleichgewicht‘. Mankiw weist darauf hin,

dass es eine Herausforderung für Studierende sei, dass viele ökonomische Begriffe auch in der

alltäglichen Sprache verwendet würden (Mankiw 2014, S. 17). Doch liegt diese Herausforde-

rung nicht so sehr darin begründet, dass Studierende diese alltägliche Sprache schlicht verges-

sen und durch die Sprache der reinen Mathematik zu ersetzen lernen müssten. Es geht nicht

allein darum, bei ‚Marktgleichgewicht‘ fortan nur noch S(p)=D(p) zu denken. Eher besteht die

Schwierigkeit darin, dass Studierenden anfänglich zwar ein gedanklicher Deutungsrahmen für

‚Markt‘ zur Verfügung stehen mag und ebenso für ‚Gleichgewicht‘. Aber beide Begriffe zu-sammen bilden wahrscheinlich keinen Frame, der sich automatisch in irgendeiner sinnvollen, d.

h. die objektive Erkenntnis unterstützenden Art aktivieren ließe. Die Herausforderung liegt

folglich darin, das kognitive Unbewusste nicht vollständig außer Kraft zu setzen, sondern viel-

mehr umzubilden. Es geht darum, unterhalb der Schwelle des bewussten Verstandes einen

Prozess des Framings zu vollziehen: Es muss ein neuer, zumindest aber veränderter gedankli-

cher Deutungsrahmen geschaffen werden, damit der rechnende Verstand auf dieser Grundla-

ge seine Arbeit tun kann. Ich möchte in den folgenden zwei Unterabschnitten zumindest zwei

Aspekte dieses Prozesses herausarbeiten: einerseits das selektive Framing, andererseits das

metaphorische Framing.

3.2.1 Selektives Framing

Wehling hebt allgemein den selektiven Charakter von Frames hervor:

„Frames haben einen selektiven Charakter. Sie heben immer bestimmte Gegebenheiten her-vor, indem sie ihnen eine kognitive Bühne bereiten, und blenden andere Gegebenheiten aus,

indem sie ihnen keine Rolle in dem Stück zuweisen, das auf dieser Bühne gespielt wird“ (Weh-ling 2016, S. 43).

Framing bedeutet folglich, Einfluss auf den selektiven Charakter des kognitiv Unbewussten zu

nehmen. Welcher Teil des „Schatze[s] der gemeinen wirtschaftlichen Erfahrung[en]“ (von Wie-

ser 1929, S. 17) soll etwa beim Hören oder Lesen des Begriffes ‚Markt‘ aktiviert werden? Wel-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

30

che kognitive Bühne, um bei Wehlings Metapher zu bleiben, braucht dieser Begriff? Ein erneu-

ter Blick zu Walras kann den entscheidenden Hinweis liefern. Die Formel vb=24 vermögen wir

bewusst als mathematische Gleichung zu erfassen; sie sagt aber nichts über wirtschaftliche

Zusammenhänge aus. Wenn Walras aber schreibt: v=24 francs, dann aktiviert er damit – über-

trägt man den Gedanken Wehlings auf die Wirtschaftswissenschaft – automatisch den Frame

des Geldes und der Geldrechnung (vorausgesetzt, man weiß in Zeiten des Euros noch, was ein

Franc ist). Die Gleichung gibt unserem Gehirn gleichsam den Auftrag, seine Worte und Ideen so

zu verarbeiten, dass wir unser Wissen und alle Sinnzusammenhänge aus vorangegangenen

Erfahrungen im Umgang mit Geld aktivieren. Und indem Walras daraus ein ‚natürliches Phä-nomen‘ macht, gibt er uns weitergehend die Anweisung, diesen Frame nicht weiter zu hinter-fragen, sondern lediglich unkritisch abzurufen – und zwar nur diesen Frame. Was wir sonst

noch an wirtschaftlichen Erfahrungen (aus sozialen Beziehungen, Kommunikation, Gebrauch

der Dinge, Rechtsfragen, Machtbeziehungen etc.) haben, muss uns hingegen bedeutungslos

erscheinen. Wir müssen lernen, ökonomische Belange nicht mit ihnen zu assoziieren, sondern

sie im Gegenteil kognitiv auszublenden.

Deutlich wird bereits bei Walras, dass selbst eine Sozialwissenschaft, die Anspruch auf rein

objektive Erkenntnis erheben möchte, ihren Ausgangspunkt zunächst im alltäglichen Handeln

nehmen muss. Diesen findet sie, wie gesagt, im bloß geldförmigen Austausch von Waren:

„All of us in our daily life make exchanges by a series of special acts known as purchases and

sales. Some of us sell land or the use of land, or the fruits thereof; some sell houses, or the

use of houses, some sell at retail industries products or merchandise previously bought at

wholesale. […] All receive money in return. With this money, we buy now bread, wine and meat; now clothes; now shelter […]“ (Walras 1954, S. 68).

Doch geht mit diesem Ausgangspunkt keinerlei Verwunderung einher. Keine Rätsel oder Para-

doxa gilt es aufzuspüren, sondern lediglich eine bestimmte, in der Welt des marktförmigen

Austauschs alltägliche, also gewöhnliche Erscheinung hervorzuheben (und alle anderen Er-

scheinungen im Gegenzug auszublenden): die Eigenschaften von Waren, über einen Preis zu

verfügen. „‚Wheat is worth 24 francs a hectoliter.’ This is how the phenomenon of value in

exchange makes its appearance“ (Walras 1954, S. 69).

Preise und Mengen: Diese alltäglichen Vorstellungen soll das ökonomische Denken zu seinem

(alleinigen) Ausgangspunkt machen und unhinterfragt als natürliche (gegebene) Phänomene

ansehen: „Thus any value in exchange, once established, partakes the character of a natural

phenomenon, natural in its origins, natural in its manifestations and natural in essence“ (Wal-

ras 1954, S. 69). Woher sie aus unserer alltäglichen Erfahrung stammen, soll uns hingegen ver-

borgen bleiben. Unser Denken soll auf dieser Grundlage arbeiten, nicht aber über sie reflektie-

ren, wie schon an der Formulierung „once established“ sichtbar wird.

Allgemeiner gesagt lautet mein Argument hier, dass die neoklassische Theorie von uns verlangt,

dass wir uns selektiv auf ein kognitiv Unbewusstes stützen, das selbst wiederum unserem all-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

31

täglichen Umgang mit Geld entstammt.25 Sie setzt voraus, dass wir Begriffe wie ‚Markt‘, ‚Angebot‘, ‚Nachfrage‘ automatisch mit diesem Umgang assoziieren und damit in einen spezifischen Be-

deutungszusammenhang setzen. Diese Überlegung lässt sich noch weiter anhand der Argu-

mentation von Walras konkretisieren:

„The value of wheat in terms of money, or the price of wheat, was 22 or 23 francs yesterday.

A short while before it was 23 francs 50 centimes or 23 francs 75 centimes. Soon it will be 24

francs 25 centimes or 24 francs 50 centimes. Tomorrow it will be 25 or 26 francs. But at this

present moment, today, it is 24 francs, neither more or less. This phenomenon is so clearly

mathematical in character that I shall proceed immediately to state it in terms of an equation

and thereby give it its true expression“ (Walras 1954, S. 70).

Hier wird deutlich: Der Schatz an allgemeinen Erfahrungen, den wir mit den sprachlichen Aus-

drücken der Neoklassik eher unbewusst assoziieren, soll allein in unserer alltäglichen Fähigkeit

bestehen, Preise von Moment zu Moment wahrzunehmen: Jetzt sind es für einen Regenschirm

10 Euro, morgen 11 Euro, übermorgen 9 Euro. Das selektive Framing lässt davon nur Ware=10,

Ware=11, Ware=9 übrig. Unsere Erfahrungen konkreter Zeitlichkeit (heute-morgen-

übermorgen) etwa spielt ebenso wenig eine Rolle wie unsere Erfahrung im Umgang mit Re-

genschirmen, also etwa die Frage, zu was ein Regenschirm eigentlich zu gebrauchen sei. Es ist

hier, um einen Begriff von Alfred Sohn-Rethel zu verwenden, lediglich die Realabstraktion des

Geldes von Bedeutung: die tätig vollzogene und zugleich unbemerkte Abstraktion im ökonomi-

schen Geldverkehr, die von jedem tatsächlichen Gebrauch von Dingen unbewusst absehen, sie

also unbewusst kognitiv auszublenden lehrt (vgl. Sohn-Rethel 1972, S. 38ff).26 Was im

wahrsten Wortsinne zählt, ist allein die Eigenschaft gegebener Quantitäten, käuflich bzw. ver-

käuflich zu sein. Alles andere ist bereits auf der Ebene des Unbewussten aus unserer Erkennt-

nis auszublenden, also zu selektieren (vgl. Graupe 2016b).

Vielleicht mögen Sie sich fragen, wo an dieser Stelle genau das Problem liegen soll. Warum

sollte sich die Wirtschaftswissenschaft nicht auf die Erklärung der Geldwirtschaft fokussieren?

Die Antwort lautet: Auf der Ebene des selektiven Framings geht es nicht darum, was eine Wis-

senschaft erklärt, sondern um die Frage, was sie zur Erklärung wirtschaftlicher Phänomene an

gedanklichen Assoziationen voraussetzt, die alle Wissenschaftler_innen in ihrem Unbewussten

immer schon vollziehen müssen, bevor ihr bewusster Verstand auf dieser Grundlage zu arbei-

ten beginnt. Weder wird hier das Geld erklärt, noch können oder sollen wir uns über unseren

alltäglichen Umgang mit ihm (also etwa die Art und Weise, wie er unser gesellschaftliches Mit-

einander prägt) aufklären. Stattdessen wird, geht es tatsächlich um ein Framing, von uns er-

wartet, dass wir unser bewusstes Denken einzig und allein an diese Form des direkt erfahrba-

ren gesellschaftlichen Miteinanders anbinden, ohne diese Form umgekehrt je konkret bedacht

zu haben.

25 Vgl. als Grundlage dieses Arguments genauer Brodbeck 2009a, insbesondere 716ff. 26 Vgl. auch Sohn-Rethel 1990. Zu einer kritischen Explikation des Arguments Sohn-Rethels vgl. Brodbeck 2009a, S.

586ff.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

32

Anders gesagt muss auf der Ebene des Unbewussten eine Selektion stattfinden. In unserem

Denken verfügen wir über ein Vorratslager abgespeicherten Wissens, wie es der alltäglichen

Geldrechnung und unserer Erfahrung vereinzelter Käufe und Verkäufe von Waren entspringt.

Dieses Lager gilt es zu aktivieren und gedanklich zu simulieren, um ökonomischen Konzepten

wie ‚Markt‘, ‚Angebot‘ und ‚Nachfrage‘ eine adäquate Bedeutung zuschreiben zu können. An-dere Wissensvorräte hingegen werden nicht aktiviert; sie drohen in der Folge zu verküm-

mern.27

Mit einiger Berechtigung ließe sich hier zum ersten Mal von so etwas wie Indoktrination spre-

chen, nicht allerdings im Sinne einer Verleitung zur unkritischen Übernahme von Glaubenssät-

zen (vgl. etwa Earle et al. 2017, S. 35), sondern im Sinne der unkritischen Selektion gedankli-

cher Deutungsrahmen, d. h. von Assoziations- und Interpretationsmustern. Wichtig ist dabei

allerdings – und dies stellt, wie ich nachfolgend zeigen werde, einen wesentlichen Unterschied

zu den Beeinflussungsformen der ökonomischen Standardlehrbücher dar –, dass diese Vorge-

hensweise kein anderes Ziel verfolgt, als dem rationalen Verstand ein so weit wie möglich ob-

jektives Urteil zu ermöglichen. Nicht um politische oder gar ideologische Zielsetzungen geht es

hier etwa, sondern allein darum, den unbewussten Teil des menschlichen Urteilsvermögens so

zu schulen, dass er dem wissenschaftlich-objektiven Verstand auf bestmögliche Weise zuarbei-

ten kann. Wissenschaftler_innen müssen fähig sein, ihr Wissen auf gelenkte Erfahrung zurück-

zuführen, nicht auf einen speziellen Zugang zur Realität (vgl. Daston/Galison 2007, S. 381). Sie

sollen dies aber allein eines wissenschaftlichen Anspruchs wegen tun können. Nicht weil die

marktwirtschaftliche Erfahrung etwa in einem moralischen Sinne gut wäre, wird sie als Frame

genutzt, oder weil sie als Frame ideologischen Zwecken dienen könnte, sondern weil allein sie

dem rechnenden Verstand eine adäquate Basis für die abstrakten gedanklichen Prozesse der

Neoklassik zu schaffen vermag.

Auch in der Wirtschaftswissenschaft, so lautet mein Argument hier, lässt sich also von einem

geschulten Urteil sprechen, das sich in den Dienst des rationalen Verstandes stellt. Dieses Ur-

teil ersetzt das Streben nach Objektivität nicht, sondern ergänzt es. Diese Art der Ergänzung ist

dabei nicht einfach gegeben; sie ist umfassend zu schulen. Es handelt sich wohl auch hier um

„eine Kalibrierung von Kopf, Hand und Auge, wie sie es in vergleichbarer Strenge und Spann-weite noch nie gegeben hatte,“ wie Daston und Galison es allgemein für die Naturwissenschaf-

ten des 20. Jahrhunderts beschreiben (Daston/Galison 2007, S. 345). Wie sich diese Kalibrie-

rung tatsächlich vollzieht, bleibt dabei allerdings dem Bewusstsein des Lernenden verborgen;

Geht es doch eher um eine allmähliche, unterschwellige Zurichtung des Denkens und der

Wahrnehmung, wie sie einerseits Daston und Galison und andererseits Thomas Kuhn am Bei-

spiel der naturwissenschaftlichen Ausbildung beschreiben:

„Zukünftige Wissenschaftler übten ihre Fähigkeiten zuerst in der Wiederholung von Übungen, die schon zum Repertoire des Fachs gehörten. […] Disziplin und Pflichtbewusstsein spielten in diesen Übungen eine Hauptrolle, ganz gleich ob die Studenten in Neumanns Physikseminar

lernten, wie man eine Präzisionsmessung macht, oder die Medizinstudenten in Edinburgh

27 Auf dieses Phänomen der Hypokognition werde ich später noch ausführlicher eingehen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

33

beim Mikroskopieren gedrillt wurden, bis jeder sein Instrument so genau kannte wie ein ge-

lernter Soldat sein Gewehr und bis er in der Handhabung (des Mikroskops) so perfekt war wie

der Veteran in der Gebrauchsanweisung für Waffen“ (Daston/Galison 2007, S. 346).

„Wenn beispielsweise der Student der Newtonschen Dynamik jemals die Bedeutung von Be-griffen wie ‚Kraft‘, ‚Masse‘, ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ erfaßt, so tut er dies weniger dank der vollstän-

digen, wenn auch manchmal hilfreichen Definitionen in seinem Lehrbuch, als vielmehr durch

die Beobachtung und Teilnahme an der Anwendung dieser Begriffe bei Problemlösun-

gen“ (Kuhn 1976, S. 61).

Wissenschaftler_innen müssen lernen, „Normen für das Sehen, Urteilen und Evaluieren“ (Das-

ton/Galison 2007, S. 347) zu verinnerlichen und unwillkürlich als erkenntnisleitende Maßstäbe

zu benutzen. Es bedarf der Schulung von „geistigen und leiblichen Verhaltensweisen“ (Das-

ton/Galison 2007, S. 347), damit das geschulte Urteil gleichsam dem bewussten (rechnenden)

Verstand adäquat zuspielen kann. Diese Verhaltensweisen selbst können dabei vom Lernenden

niemals vollständig reflektiert werden, wohl aber ist ihm die Aufgabe der Verinnerlichung

selbst bewusst. Er muss nach dieser Verinnerlichung ausdrücklich streben. So gesehen ist auch

das geschulte Urteil eine epistemische Tugend.

Ein Beispiel

Daston und Galison beschreiben, wie Atlantenmacher im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr

allein versuchten, durch rein mechanische (meist photographische) Abbildungen die Natur

gleichsam für sich sprechen zu lassen, sondern die Abbildungen durch Anleitungen so zu er-

gänzen, dass es den angehenden Wissenschaftler_innen möglich wurde, ein subjektives und

zugleich intuitives Urteil auf der Ebene des Unbewussten dergestalt zu treffen, dass das We-

sentliche auch tatsächlich erkennbar wurde:

„Wir hoffen, dass dieses Buch dem Leser helfen kann, auf einen Blick zu sehen, was andere

erst nach vielen Stunden gefunden haben; daß es ihm hilft, sein Auge so zu schulen, daß er

aufgrund subjektiver Kriterien Diagnosen stellen kann“ (Gibbs und Gibbs [1941], zitiert in Das-

ton/Galison 2007, S. 340).

„Aber ein vollkommenes und deshalb ‚sehendes Auge‘ ist das wertvollste Instrument […]; oh-ne dieses Instrument ist niemand wirklich kompetent“ (Gibbs und Gibbs [1941], zitiert in Das-

ton/Galison 2007, S. 341).

Wissenschaftler_innen, so wird hier exemplarisch deutlich, sollen sich weiterhin auf objektive

Darstellungen verlassen. Doch hierfür benötigen sie auf der Ebene des Unbewussten bestimm-

te vorgängige Fähigkeiten, etwa das intuitive, unmittelbare Begreifen komplexer Zusammen-

hänge. Es geht um die Herausbildung eines wissenschaftlich Unbewussten, das sowohl urtei-

lend-unbewusst als auch intuitiv-wissenschaftlich ist. Dieses Unbewusste ist aber nicht einfach

gegeben; es ist umfassend zu schulen (vgl. Daston/Galison 2007, S. 327-383). Die wissenschaft-

liche (Aus-)Bildung muss folglich nicht nur den bewusst-objektiven Verstand der Lernenden,

sondern auch ihre unbewusste Intuition schulen: Ihr Blick ist immer wieder zu richten und zu

lenken, bis sie wissen, wie sie zu schauen haben, doch ohne die Regeln dieses Schauens jemals

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

34

vollkommen explizieren zu können.28 Denn eine solche Explikation braucht es für das geschulte

Urteil nicht; sie könnte sogar schädlich sein, weil sie das Mühelose und Blitzartige unbewusster

Vorgänge außer Kraft setzen könnte.

In der neoklassischen Theorie nun lässt sich im Gegensatz zu den Atlantenmacher_innen das

physische Auge nicht schulen, da es keine wie auch immer geformte Realität zu schauen, son-

dern für den bewussten Verstand lediglich im Reich der Objektivität (mathematische) Struktu-

ren zu erkennen gibt. Dennoch aber findet auch hier wohl eine Schulung zwischen dem (unre-

flektierten) Common Sense wirtschaftlicher (Geld-)Erfahrung einerseits und rein mathemati-

schem Denken andererseits statt, ohne dass dabei die Art dieses Zusammenspiels jemals voll-

ständig bewusst würde. Dabei spielen aus meiner Sicht gerade die Annahmen der ökonomi-

schen Theorie eine entscheidende Rolle. So lauten etwa die Annahmen der sog. ‚vollständigen

Konkurrenz‘ u. a.:

„(1) Der Preisbildungsprozess wird auch durch traditionelle Verhaltensweisen nicht gehemmt

(Preisbildung).

(2) Es bestehen keine sachlichen, persönlichen, räumlichen oder zeitlichen Präferen-

zen der Anbieter oder Nachfrager; die Güter sind daher homogen.

(3) Es bestehen keine Friktionen auf dem Markt, d. h. völlige Transparenz des Marktes, völlige

Voraussicht der Marktteilnehmer, volle Teilbarkeit und Beweglichkeit der

Produktionsfaktoren und produzierten Güter.

(4) Es fehlen rechtliche oder tatsächliche Zutrittsbeschränkungen für Anbieter und Nachfrager.

(5) Die Reaktionsgeschwindigkeit der Verhaltensänderung von Anbietern und Nachfragern

auf Änderung der Marktdaten ist unendlich groß.

(6) Es erfolgen keine Eingriffe in den freien Preisbildungsprozess durch den Staat (z. B. Preis-

kontrollen) oder die Wirtschaftssubjekte (z. B. Kartelle).“29

Diese Annahmen genügen offensichtlich nicht den Standards wissenschaftlicher Objektivität.

Denn im Gegensatz zu mathematischen Voraussetzungen wie der Stetigkeit oder Integrierbar-

keit von Funktionen basieren sie auf Vorstellungen, die ihrerseits auf lebensweltlichen Erfah-

rungen gründen und damit – aus Sicht des reinen Wissenschaftsideals der Objektivität – un-

weigerlich ‚subjektiv‘ sind. Doch vermögen sie gerade deswegen gleichsam den ‚inneren Blick‘ der angehenden Wissenschaftlers bzw. der angehenden Wissenschaftlerin zu lenken. Sie

lassen ihn bzw. sie intuitiv erfassen, worauf es ankommt: auf eine Extremform lebensweltli-

cher Abstraktion, wie sie durch immer mehr Negationen von Bestandteilen wirtschaftlicher

Erfahrungen geleistet werden kann. Das geschulte Urteil siedelt sich hier gleichsam zwischen

wirtschaftlichem Common Sense einerseits und rein mathematisch begründetem objektiven

Urteil andererseits an. Es schafft einen Zwischenraum zwischen beiden, und diesen Raum ge-

danklich zu durchdringen, ist immer auch eine Aufgabe des kognitiv Unbewussten und seiner

Schulung.

28 Die Bedeutung fehlender Explikation der Regeln betont auch Kuhn für seinen Paradigmenbegriff. Vgl. Kuhn 1996,

S. 59. 29 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/vollkommene-konkurrenz.html (Zugriff: 27. März 2017).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

35

3.2.2 Analogien

Zum selektiven Framing tritt im Rahmen der neoklassischen Theorie der Gebrauch von Analo-

gien aus der Mechanik hinzu, der, so mein Argument in diesem Abschnitt, auch nicht vollstän-

dig objektiv erfolgen kann, sondern eher einem geschulten Urteil entspricht, das sich zumin-

dest teilweise auf unbewusste Intuition und Erfahrung stützen muss. Dabei geht es mir an die-

ser Stelle ausdrücklich nicht darum, einen umfassenden Einblick in die Materie zu geben, son-

dern lediglich einige kurze Überlegungen anzustellen, die im nachfolgenden Kapitel eine Ver-

gleichsbasis zu heutigen Lehrbuchtexten herzustellen vermögen.30

In seiner Theory of Political Economy macht Jevons deutlich, dass es bei dem Gebrauch der

Mathematik in der neoklassischen Theorie nicht um eine Analogie geht, d. h. nicht um eine „In-

Beziehung-Setzung zweier ganz verschiedener semantischer Felder“ (Hentschel 2010, S. 19).

Für Jevons ist klar: Es gibt nicht die Mathematik auf der einen und die Wirtschaftswissenschaft

auf der anderen Seite, sodass ihre Bezüge untereinander selbst eines semantischen Aufschlus-

ses bedürfen. Wirtschaftswissenschaft zu betreiben, heißt für ihn stattdessen, unmittelbar

Mathematik zu betreiben: Wirtschaftswissenschaft ist Mathematik. Jevons macht dies an ei-

nem Vergleich zu John Stuart Mill deutlich:

„Thus, J. S. Mill has said: ‚The idea of a ratio, as between demand and supply, is out of place,

and has no concern in the matter: the proper mathematical analogy is that of an equation.

Demand and supply, the quantity demanded and the quantity supplied, will be made equal.’ Mill here speaks of an equation as only a proper mathematical analogy. But if Economics is to

be a real science at all, it must not deal merely with analogies; it must reason by real equa-

tions, like all the other sciences which have reached at all a systematic character“ (Jevons 1871, S. 101).

Hier wird der Anspruch auf Objektivität nochmals deutlich: Ökonom_innen sollen vernünftig

urteilen, und dies ist ihnen nur unmittelbar auf dem Feld der Mathematik möglich.

Dennoch kennt Jevons zugleich ein Feld der Argumentation, das tatsächlich durch Analogien

bestimmt ist: Dieses wird durch Bezüge des ökonomischen Denkens nicht zur Mathematik,

sondern zur Mechanik geschaffen. So spricht Jevons gleich im Anschluss an die eben zitierte

Passage ausdrücklich von einer „Analogie des Hebels“ (Jevons 1871, S. 202-203): Beide – die

mechanischen ‚Hebelgesetze‘ und die ökonomische ‚Theorie des Austauschs‘ – benutzen die

gleichen mathematischen Formeln; hierin ist ihre Argumentation identisch. Verbal werden die

beiden Felder allerdings unterschiedlich beschrieben: etwa Hebelarme hier und der Nutzen

von Gütern dort. In beiden Fällen spricht Jevons von einem ‚Gleichgewicht‘, aber was diese

gleichlautende Bezeichnung letztlich rechtfertigt, ist die Tatsache, dass beide mit exakt der

gleichen mathematischen Formel beschreibbar sind. Direkte semantische Bezüge stellt Jevons

ansonsten zwischen den beiden Feldern nicht her.

30 Vgl. für die Bedeutung der Mechanik für die Wirtschaftswissenschaft etwa grundlegend Brodbeck 2009b, Mirow-

ski 1989.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

36

Fisher etwa geht in der Bildung von Analogien hingegen deutlich weiter, indem er einzelne

Begriffe aus Mechanik und Ökonomie unmittelbar aufeinander bezieht. So gibt er beispielswei-

se an, dass der Raum in der Mechanik wie der Güterraum in der Ökonomie und Energie wie

Nutzen zu denken sei (vgl. Fisher 1892, S. 85). Abbildung 1 gibt einen Auszug aus seinen Ma-

thematical Investigations in the Theory of Value and Prices wieder. Hier wird deutlich, wie sehr

die neoklassische Theorie nicht nur Analogien zwischen einzelnen mechanischen und ökono-

mischen Begriffen, sondern auch zwischen mechanischen und ökonomischen Relationen und

Prozessen zu begründen sucht: Wie das Wasser immer einen horizontalen Ausgleich sucht, so

soll es exakt auch in der ökonomischen Welt zugehen: Es sollen auf ‚exakt‘ identische Weise

Güter zwischen Individuen so verteilt werden, dass die marginalen Grenznutzen, in Geld ge-

messen, gleich sind. Eine solche Analogie setzt die beiden Felder – Mechanik und Ökonomie –

ausdrücklich in Beziehung, aber wie genau diese Beziehung zu denken ist, bleibt offen. Wie ist

ein Individuum ‚exakt‘ als Zisterne vorstellbar? Ist es die Vorstellung eines ‚leeren Bauchs‘, wie

Fisher wenig später vermutet (vgl. Fisher 1892, S. 30)? Für was aber stünde dann das ‚Was-

ser‘ in diesem ‚Bauch‘? Allein schon diese Fragen machen deutlich: Eine vollständig objektive

Erklärung ist nicht möglich, stattdessen kommen hier unbewusste Intuition und Imagination

ins Spiel: Fisher leitet uns relativ genau an, wie wir diese Intuition und Imagination zu vollzie-

hen haben. Er unternimmt explizite Anstrengungen sprachlicher und visueller Art, damit wird

uns darin schulen können, zwischen Ökonomie und Mechanik semantische Beziehungen her-

zustellen und dabei sowohl bewusste als auch eher unbewusste Erkenntnisprozesse fruchtbar

zu machen. Dabei sind – und dies ist, wie ich im nachfolgenden Kapitel argumentieren werde,

ein wesentlicher Unterschied zu heutigen Lehrbuchtexten – explizite Kenntnisse sowohl des

Ursprungsbereiches der Analogie (d. h. der Mechanik) als auch des Zielbereichs (also der Öko-

nomie) vonnöten.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

37

Abbildung 1: Mechanische Analogien

Quelle: Fisher 1892, S. 28-29.

Mirowski macht zwar zu Recht darauf aufmerksam, dass weder Fisher noch andere Begründer

der neoklassischen Theorie sich je vollständig darüber bewusst waren, wie ihre Analogien tat-

sächlich zu denken sind (vgl. Mirowski 1989, S. 193-275). Viele ihrer Versuche waren diesbe-

züglich entweder falsch31 oder unvollständig32. Doch dies deutet aus meiner Sicht weder darauf

31 So kann etwa ein Massepunkt (a particle) nicht der Vorstellung des Individuums in der Ökonomie entsprechen;

vielmehr könnte es sich allenfalls um ein Güterbündel in einem Nutzenfeld handeln, wogegen das Feld selbst das

Individuum repräsentiert (vgl. Graupe 2005, S. 48ff.; Mirowski 1989, S. 229).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

38

hin, dass diese Analogien nicht existieren, noch darauf, dass sie nicht funktionieren. Eher wür-

de ich argumentieren, dass es eben auch Aufgabe des kognitiv Unbewussten ist, Analogien

zwischen Mechanik und Ökonomie trotz ihrer Problematik zu vollziehen. Dies hat dabei aller-

dings nicht vollständig abgetrennt vom objektiv-rechnenden Verstand zu geschehen. Denn die

beständigen Versuche, Analogien herzustellen, dienen letztlich dem Zweck, das eigene Urteil

so zu schulen, dass der Gebrauch mathematischer Formeln in einer vormals rein verbalen Sozi-

alwissenschaft nicht nur möglich, sondern auch plausibel wird.

Ysidro Edgeworth schreibt: „The conception of Man as a pleasure machine may justify and

facilitate the employment of mechanical terms and Mathematical reasoning in social sci-

ence“ (Edgeworth 1881, S. 15; Hervorhebung: S. G.). Dies bringt den Punkt, den ich hier ma-

chen möchte, gut zum Ausdruck: Die Schulung eines eher kognitiv Unbewussten auf der Ebene

von Analogien dient, so wird hier exemplarisch deutlich, einem Zweck, und dieser Zweck lautet

(ebenso wie beim selektiven Framing) die Ökonomie in eine Wissenschaft nach physikalisch-

mathematischem Vorbild umzugestalten.

Die Neoklassik fordert also einerseits, den bewussten Verstand als mathematischen zu schulen.

Andererseits zielt sie auch auf das kognitiv Unbewusste ab, das zur Selektion ebenso wie zur

Knüpfung neuer, für das ökonomische Denken bis dahin unbekannter Verbindungen zwischen

mechanischen und wirtschaftlichen Begriffen anzuregen ist. In ihrer Kombination aus Mathe-

matik und mechanischen Analogien siedelt sie sich damit nicht nur im Reich der Objektivität an,

zugleich dringt sie ein Stück weit in den Bereich des kognitiv Unbewussten vor. Dieser aber

erstreckt sich – im Verhältnis zur heutigen ökonomischen Standardlehre (siehe das nachfol-

gende Kapitel) – lediglich auf recht oberflächliche Schichten. Richtig ist zwar, dass bereits diese

Schichten vom rationalen Verstand nicht mehr vollständig erreicht werden können. Gleichwohl

aber stehen sie noch in enger Beziehung zu diesem Verstand. Dabei gilt vor allem, dass zumin-

dest die Ergebnisse der Denkleistungen, wie sie innerhalb dieser Schichten vollzogen werden,

sich noch weitgehend durch diesen Verstand kontrollieren lassen: Jeder neoklassisch Gebildete

muss dergestalt sein Unbewusstes selektiv und mit Hilfe von Analogien zur Mechanik schulen,

dass seine Aktivitäten dem bewussten mathematischen Denken nicht zuwiderlaufen, sondern

es umgekehrt stützen und ermöglichen. Notfalls, wie es Pareto deutlich macht, sind diese Ana-

logien aufzugeben, sollten sie diesen Zweck nicht erfüllen:

„This is why pure economics is a sort of mechanics or akin to mechanics. . . mechanics can be

studies leaving aside the concept of forces. In reality this does not all matter much. If there is

anyone who does not care to have mechanics mentioned, very well, let us disregard the simi-

larity and let us talk directly about our equations“ (Pareto [1953], zitiert in Mirowski 1989, S.

222-23).

32 So setzt etwa Fishers Tabelle auf der Seite der Mechanik unweigerlich voraus, dass der Energieerhaltungssatz gilt,

hierfür wird aber keine Analogie aufgeführt. Vgl. Mirowski 1989, Kapitel 5.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

39

4 Beeinflussung in der ökonomischen Bildung

Ich möchte hier zunächst kurz ein paar wesentliche Ergebnisse der letzten beiden Kapitel zu-

sammenfassen und grafisch veranschaulichen, wobei ich mich erneut auf die Arbeit

Kahnemans stütze. Im vorherigen Kapitel war bereits von dessen Konzeption des kognitiv Un-

bewussten als ‚System 1‘ die Rede. Zudem kennt Kahneman auch ein ‚System 2‘, sodass sich

zwei unterschiedliche kognitive Prozesse voneinander unterscheiden und abgrenzen lassen.

Grundsätzlich charakterisiert er diese Prozesse als intuition (System 1) und reasoning (System

2). Von ihren Prozessen her lassen sich diese wie folgt trennen:

„The operations of System 1 are fast, automatic, effortless, associative, and difficult to control

or modify. The operations of System 2 are slower, serial, effortful, and deliberately controlled;

they are also relatively flexible und potentially rule-governed“ (Kahneman 2002, S. 450).

Abbildung 2 soll den epistemologischen Anspruch der reinen Objektivität, wie ihn die neoklas-

sische Theorie erhebt (vgl. nochmals meine Argumentation in Kapitel 2), grafisch veranschauli-

chen:

Abbildung 2: Wissenschaftliche Erkenntnisprozesse: Objektivität und geschultes Urteil

(eigene Darstellung)

Das wissenschaftliche Denken soll sich hier allein auf der Ebene des Systems 2 bewegen, also

vollständig bewusst sein. Dabei vermag es nur einen kleineren Teil dieses Systems 2 in dessen

unterem Bereich (also an der Schwelle zum Unbewussten) auszufüllen, da es im Sinne der rei-

nen Objektivität eben von einer totalen Negation aller Subjektivität des Erkennenden und des

Erkannten sowie einer totalen kognitiven Blindheit gegenüber dieser Negation geprägt ist. Es

vermag so etwa einen Bereich bewusster Reflexion auf die eigene historische und kulturelle

Bedingtheit nicht zu umfassen. Vielmehr beziehen sich die Operationen des logischen Denkens

lediglich aufeinander; und diese Bezüge haben dabei dem Anspruch mathematischer Klarheit

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

40

zu genügen (in der Abbildung symbolisiert durch die beiden um den Begriff der Objektivität

kreisförmig angeordneten Pfeile).

Die Vorstellung des geschulten Urteils von Wissenschaftler_innen ergänzt dieses Bild (vgl.

ebenfalls Abbildung 2): Relevante kognitive Prozesse verlaufen hier gleichzeitig auch auf tiefe-

rer Ebene, d. h. im Bereich des Unbewussten, wobei es sich hier bis hin zum unreflektierten

Common Sense erstreckt: Das selektive Framing fokussiert den unreflektierten Common Sense

der (vor allem wirtschaftlichen) Erfahrung so um, dass er gleichsam bestmöglich dem System 2

zuarbeiten kann (symbolisiert durch den aufsteigenden Pfeil). Ähnliches gilt für das Denken in

mechanischen Analogien: Dieses siedelt sich gleichsam oberhalb und unterhalb der Bewusst-

seinsschwelle an, um ebenfalls dem rein bewussten logischen Denken eine adäquate Grundla-

ge bieten zu können. Beide, selektives Framing und mechanische Analogien, setzen die objek-

tiven Verstandesoperationen also nicht außer Kraft, sondern ergänzen sie.

Insgesamt operieren System 1 und System 2 nicht getrennt voneinander, sondern stehen im

ständigen Austausch: Das System 1 bildet die kontinuierliche Grundlage für System 2, d. h. für

alle bewussten und reflektierten objektiven Urteile. Doch übernimmt das System 2 diese

Grundlage nicht einfach blind, sondern überprüft gleichsam dessen Vorschläge. Dabei ent-

scheidet es nach seinen eigenen Regeln, ob es diese befürwortet oder ablehnt: Das System 1,

so könnte man sagen, wird von ihm dergestalt in Gebrauch genommen, dass es seine eigenen

rechnenden Operationen und von der Erfahrungswelt distanzierte Urteilsbildung bestmöglich

unterstützt.

Kahneman merkt zwar an, dass die Kontrolle von System 2 über System 1 oftmals recht

schwach ausfällt: „People are not accustomed to thinking hard, and are often content to trust

a plausible judgment that quickly comes to mind“ (Kahneman 2002, S. 451-52). Doch vermag

diese Skepsis gegenüber dem neoklassisch Gebildeten kaum zuzutreffen. Denn da die neoklas-

sische Theorie dezidiert das Ziel verfolgt, rein objektiv nach dem Vorbild der reinen Mathema-

tik und der reinen Naturwissenschaften zu urteilen, muss sie zwar, wie ich im vorherigen Kapi-

tel argumentiert habe, ein geschultes Urteil auf der Ebene des kognitiv Unbewussten ausbilden.

Doch besteht hier der Versuch, diesen Bereich so klein wie möglich und zugleich unter Kontrol-

le zu halten. Das System 1 ist hier, wie gesagt, nur insoweit von Belang, als dass es dem be-

wussten, rational arbeitenden Verstand eine adäquate Basis bieten soll. Diese Adäquatheit

wird durch den weit größeren Teil der Erkenntnisleistung, wie sie sich auf der Ebene von Sys-

tem 2 ansiedelt, beständig überprüft. So kontrolliert der bewusste Verstand etwa, ob sich das

Framing des Marktbegriffes auf der Ebene des Systems 1 korrekt vollzogen hat, und das ent-

scheidende Kriterium lautet dabei, ob sich mit diesem Begriff letztlich rechnen, d. h. objektiv

argumentieren lässt.

Noch anders gesagt wird im Rahmen der neoklassischen Theorie zwar das System 1 geschult

und in diesem Rahmen durchaus selektiv wie metaphorisch umgeformt. Doch stellt diese Um-

formung auf der Ebene des Unbewussten nicht das eigentliche Ziel von Bildung und Wissen-

schaft dar, sondern lediglich Mittel zum Zweck einer bestmöglichen Erreichung objektiver Ur-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

41

teilskraft auf der Ebene des Systems 2. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es im Wesentlichen

einer (Um)Formung unbewusster begrifflicher Repräsentationen, wobei diese Umformung teils

antrainiert ist, teils aber auch bewusst einzuüben ist. In tiefere Gebiete des Unbewussten muss

die ökonomische Bildung nicht vordringen, und sie sollte es auch nicht tun. Sie verbleibt, wie

es die Kognitionswissenschaften nennen, auf der Ebene der surface frames, wo die Bedeutung

einzelner Wörter oder Begriffe erfasst wird (vgl. Lakoff/Wehling 2016, S. 73).

Im Folgenden werde ich argumentieren, dass die ökonomische Lehre, wie sie durch die heuti-

gen Standardlehrbücher geprägt wird, diese Schwelle wesentlich unterschreitet. Weit davon

entfernt, objektives Denken zu schulen, zielt sie in weit bedeutenderem Ausmaß und in erheb-

lich tieferen Schichten darauf ab, das System 1 umzubilden – und dies auf eine Weise, so wer-

de ich argumentieren, die den bewussten Verstand als Kontrollinstrument nicht stärkt, son-

dern im Gegenteil weitgehend umgeht oder sogar gänzlich ausschaltet.

4.1 Hintergründe

Viel ist in den letzten Jahren über die Problematik der Wirkung ökonomischer Konzepte auf die

Realität geschrieben und geforscht worden, so etwa im Bereich der Performativität der Öko-

nomik (vgl. für einen Überblick etwa Hirte 2010). Ich möchte diese Diskussion aus interdiszipli-

närer Sicht ein wenig weiter beleben. Meine Kernfrage lautet dabei: Wie kann eine dezidiert

weltfremde Theorie, wie sie die neoklassische Theorie aufgrund ihres Anspruches auf Objekti-

vität darstellt, Auswirkungen auf die Realität haben? Oder metaphorisch gewendet: Wie kann

eine Wissenschaft im Elfenbeinturm auf die Welt ‚da draußen‘ Einfluss nehmen? Wie vermag

ein „Blick von nirgendwo“ (nochmals Nagel 2015) irgendwo auf der Welt zu wirken? Ich möch-

te hier weniger auf die internen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen zu diesen Fragen

verweisen, sondern weiterhin im Wesentlichen vor dem Hintergrund der Kognitionswissen-

schaften argumentieren. Dabei werde ich zunächst den Zusammenhang von der Vermittlung

der Wirtschaftswissenschaft im Rahmen der ökonomischen Standardbildung einerseits und

dem alltäglichen (unbewussten) Denken andererseits herauszuarbeiten suchen.

Mankiw argumentiert in seinem Lehrbuch, Studierende würden durch die ökonomische Stan-

dardlehre befähigt, ihre theoretischen Erkenntnisse sorgfältig an der Realität zu testen, bevor

diese zur Anwendung gebracht würden:

„Economists try to address their subject with a scientist’s objectivity. They approach the study of the economy in much the same way as a physicist approaches the study of matter and a

biologist approaches the study of life: they devise theories, collect data and then analyze

these data in an attempt to verify or refute their theories“ (Mankiw 2014, S. 17).

Mir geht es hier nicht darum, grundsätzlich zu bezweifeln, dass dieser Erkenntnisweg, zumal in

den Naturwissenschaften, gangbar ist. Hier ist mir vielmehr daran gelegen, auf eine alternative

Verbindung von theoretischer Erkenntnis und Alltagsverstand aufmerksam zu machen, die

bereits Walras auf folgende prägnante Formel gebracht hat:

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

42

„On the basis of these [objective, S.G.] definitions they [the economists, S.G.] construct a pri-

ori the whole framework of their theorems and proofs. After that they go back to experience not to confirm but to apply their conclusions“ (Walras 1954, S. 71; Hervorhebung: S. G.).

Wie aber soll eine Anwendung ökonomischen Wissens auf die Realität ohne dessen (sorgfälti-

ge) Überprüfung an dieser Realität möglich sein? Mit Hilfe der modernen Kognitionsforschung

lässt sich darauf eine Antwort finden: Objektiv zu forschen meint, theoretische Erkenntnis so

weit wie möglich entfernt von allen spezifischen Erfahrungen anzusiedeln. Wissenschaft-

ler_innen sollen eben jenen „Blick von nirgendwo“ (erneut Nagel 2005) entwickeln, der im

Extremfall reiner Objektivität nur noch mathematische Strukturen erblickt und eine Scheinwelt

nach Regeln erschafft, die der Realität selbst notwendig fremd sind. Die neoklassische Theorie

geht aufgrund ihrer mathematischen Gestalt diesen Weg. Zugleich aber nimmt sie, da sie eben

nicht nur reine Mathematik sein kann, Bezug auf sprachliche Erfahrungen, etwa indem sie von

Begriffen wie ‚Markt‘, ‚Angebot‘ und ‚Nachfrage‘ Gebrauch macht. Damit aber wird durch sie

nicht nur der rationale Verstand, sondern auch das kognitiv Unbewusste aktiviert. Auf dessen

Ebene regt sie an, ökonomisches Wissen selektiv in einem unbewussten Vorverständnis geld-

wirtschaftlicher Erfahrung zu verankern. Zugleich leitet sie – ebenfalls auf der Ebene des Un-

bewussten – dazu an, diesen Frame in eine erweiterte Framesemantik einzubetten, die über

den Bereich wirtschaftlicher Erfahrung hinaus auf Vorverständnisse etwa der Mechanik zu-

greift.

Gelingt es, diese neue Framesemantik im Rahmen wissenschaftlicher Bildung im kognitiv Un-

bewussten zu verankern, so wäre es, wie die Kognitionsforschung zeigt, naiv anzunehmen, es

existierten ‚da draußen‘ in der Welt gleichsam noch jungfräuliche Fakten, die bloß darauf war-

teten, gesammelt und mit Hilfe von Theorien an der ‚Wirklichkeit‘ getestet zu werden:

„Denken ist, entgegen landläufigen Meinungen und Mythen, nicht faktenbezogen und ratio-

nal im klassischen Sinne. Wir treffen nie Entscheidungen, indem wir ‚rein sachlich und objek-tiv‘ Fakten gegeneinander abwägen. Nie. […] Frames, nicht Fakten, bedingen unser Entschei-dungsverhalten“ (Wehling 2016, S. 45).

Im Reich der Objektivität lässt sich über Richtig und Falsch im Rahmen der reinen Logik bzw.

der reinen Mathematik entscheiden. ‚Richtigkeit‘ ist hier eindeutig, aber sie vermag zugleich

nichts über die Welt, in der wir leben, auszusagen; und sie soll es auch nicht tun. Im Bereich

des kognitiv Unbewussten hingegen erscheint uns die Art, wie wir Sinnesdaten aus der Welt

bewerten, immer schon als vorgegeben. Auch das geschulte Urteil von Wissenschaftler_innen

kann jene Frames, auf die es sich stützt, nicht an der Wirklichkeit überprüfen, denn es setzt

diese bereits für die Erfassung der Welt stets schon voraus. Frames können folglich nicht an

der Wirklichkeit ‚getestet‘ und schon gar nicht ‚widerlegt‘ werden. Auf ihrer Ebene geschieht

die ‚Anwendung‘ ökonomischen Wissens gleichsam blind, eben weil sie sich unter der Schwelle

bewusster Aufmerksamkeit vollzieht. Sie bildet die Basis dieser ‚Anwendung‘, nicht aber deren

Gegenstand.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

43

Darüber hinaus besteht, folgt man der Kognitionsforschung, die Wahrscheinlichkeit, dass In-

formationen aus der Umwelt, die nicht in einen existierenden Frame passen, noch nicht einmal

mehr als Realität erkannt werden können:

„Ist ein bestimmter Deutungsrahmen über Sprache aufgerufen, die nicht in diesen Frame passt, so reagiert unser Gehirn zunächst wie ein bockiges Pferd: Es weigert sich, die abwei-

chenden Informationen als Teil der Realität aufzunehmen“ (Wehling 2016, S. 34).

Um ihre Metapher des bockigen Pferdes zu erläutern, wählt Wehling folgendes Beispiel aus

der experimentellen Forschung der Kognitionswissenschaft:

„Die Teilnehmer lasen Sätze, die wahlweise schlechte oder gute Sicht implizierten. Während eine Gruppe las ‚Der Skifahrer sah den Elch nur schwer durch die beschlagene Brille‘, las die andere: ‚Der Skifahrer sah den Elch gut durch die saubere Brille.‘ Danach zeigte man den Teil-nehmern Bilder eines Elches. Diese waren entweder stark verschwommen oder klar erkenn-

bar abgebildet“ (Wehling 2016, S. 34).

Man mag annehmen, alle Teilnehmer_innen der Studie identifizierten den Elch auf den klar

erkennbaren Bildern leichter. Doch traf im Experiment dies nur auf die zweite Gruppe zu, also

jene Teilnehmer_innen, die zuvor den Satz gelesen hatten, der klare Sicht implizierte. Die an-

dere Gruppe aber erkannte das verschwommen sichtbare Tier signifikant schneller (vgl. Yax-

ley/Zwaan 2007). Die Kognitionsforschung interpretiert dieses und ähnliche Testergebnisse so

(vgl. etwa Stanfield/Zwaan 2001, auch Bergen 2012, S. 69-72), dass durch Sprache Deutungs-

rahmen im menschlichen Gehirn aufgerufen werden, in die nachfolgende Informationen nahe-

zu automatisch eingeordnet werden. Diese Einordnung passiert schnell, wenn Frame und In-

formationen übereinstimmen; fehlt diese Übereinstimmung, wird sie verzögert oder sogar

gänzlich behindert.

„Also, Frames bestimmen, mit welcher Leichtigkeit wir Fakten und Informationen begreifen, unabhängig davon, wie ‚objektiv‘ gut oder schlecht begreifbar diese Fakten vermeintlich sind. Tatsächlich gibt es keine ‚objektiv‘ leichter zugänglichen Fakten, sobald Frames ins Spiel

kommen. Es gibt nur solche Fakten, die gut in den Frame passen und solche, die schlecht oder

gar nicht in den Frame passen“ (Wehling 2016, S. 36).

Überträgt man diese Erkenntnis auf die neoklassische Theorie, so bedeutet dies, dass das vor-

genannte selektive Framing dafür sorgen kann, dass Ökonom_innen quantitative Informatio-

nen einer geldförmigen Tauschwirtschaft (reale Preise, Mengen etc.) signifikant besser auf-

nehmen und verarbeiten können müssten, während ihnen etwa qualitative Informationen nur

schwer zugänglich sein dürften. Im Extremfall würden sie letztere sogar überhaupt nicht als

Fakten wahrnehmen können.

Gewiss wird es zum Beleg einer solchen Hypothese in Zukunft empirischer Forschung bedürfen.

Hier aber möchte ich das theoretische Argument weiter schärfen und dabei nun dezidiert auf

die Art und Weise eingehen, wie ökonomische Standardlehrbücher das Denken von Studieren-

den prägen können. Dabei suche ich deutlich zu machen, wie diese Lehrbücher gleichsam ver-

suchen, die ‚Bockigkeit‘ des menschlichen Geistes im Vergleich zum geschulten Urteil des Ne-

oklassikers nochmals deutlich zu erhöhen. Sie tun dies, so meine These, indem sie einerseits

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

44

die Aktivitäten des Framings auf der Ebene des Systems 1 intensivieren und zugleich systema-

tisch vertiefen, sodass sie nochmals deutlich grundlegendere Schichten des Unbewussten er-

reichen. Andererseits setzen sie die Schulung des bewussten Verstandes auf der Ebene des

Systems 2 wesentlich herab, sodass dessen kritische Kontrollfunktion, wie sie ihm im Rahmen

der neoklassischen Theorie zuzusprechen ist, deutlich reduziert wird.

Mankiw spricht ausdrücklich von der Aufgabe der ökonomischen Bildung, die Wahrnehmungs-

fähigkeiten von Studierenden systematisch und unwiederbringlich zu verändern:

„One of the challenges facing students of economics is that many terms used are also used in

everyday language. In economics, however, these terms mean specific things. The challenge,

therefore, is to set aside that everyday understanding and think of the term or concept as economists do.

Many of the concepts you will come across this book are abstract. Abstract concepts are ones

which are not concrete or real – they have no tangible qualities. We will talk about markets,

efficiency, comparative advantage and equilibrium, for example, but it is not easily to physi-

cally see these concepts. There are also some concepts that are fundamental to the subject –

if you master these concepts they act as a portal which enables you to think like an economist.

Once you have mastered these concepts you will never think in the same way again and you will never look at an issue in the same way. These concepts are referred to as threshold con-

cepts“ (Mankiw 2014, S. 17; Hervorhebung: S. G.).

Deutlich wird hier, wie Mankiw explizit einen Prozess des Reframings anstrebt: Das alltägliche

(und damit eher unbewusst-selbstverständliche) Verständnis der Studierenden soll im Laufe

des ökonomischen Bildungsprozesses verwandelt werden. Mankiw beschreibt diesen Prozess

dabei als unumkehrbar: Es soll sich ein und für allemal das Denken und die Wahrnehmung der

Welt verwandeln, gerade weil es sich um fundamentale, also alle anderen mitprägende Begrif-

fe handelt – auf die threshold concepts werde ich gleich noch eingehen.

Dies aber ist immer nur dann möglich, wenn sich gedankliche Deutungsrahmen auf der Ebene

des Systems 1 fundamental ändern – und zwar ohne dass sie a) durch willkürliche Reflexions-

prozesse auf der Ebene des Systems 2 revidiert oder überprüft werden könnten und b) ohne

dass sie auf der Ebene des Systems 1 noch durch alternative Frames ergänzt würden. Es müs-

sen, anders gesagt, Ideen zu neuen sprachlichen Zusammenhängen verwoben werden, und

diese Zusammenhänge wiederum müssen zum Bestandteil des unreflektierten Common Sense

werden. Zudem sollten alternative Frames, die zuvor im alltäglichen Denken existierten, nicht

oder zunehmend weniger über die Sprache der ökonomischen Lehrbücher aktiviert werden,

sodass sie langfristig nicht mehr als gedankliche Alternativen bestehen bleiben können. Wie

Wehling betont, ist ein solcher Prozess des Umformens und Verkümmern-Lassens nicht

zwangsläufig (vgl. Wehling 2016, S. 59-60); eine ‚wissenschaftliche Sicht‘ auf die Welt könnte sehr wohl neben ‚alltäglichen Sichtweisen‘ existieren. Interessanterweise aber schließt Mankiw

eine solche Koexistenz gedanklicher Vielfalt aus, wie das obige Zitat deutlich macht.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

45

Besonders deutlich wird dieser Ausschluss durch Mankiws explizite Bezugnahme auf das Kon-

zept der threshold concepts, wie es in Studien von Meyer und Land (2003 und 2005) bespro-

chen wird:33

„A threshold concept can be considered as akin to a portal, opening up a new and previously inaccessible way of thinking about something. It represents a transformed way of understand-

ing, or interpreting, or viewing something without which the learner cannot progress. […] It might, of course, be argued, in a critical sense, that such transformed understanding leads to

a privileged or dominant view and therefore a contestable way of understanding some-

thing“ (Meyer/Land 2003, S. 1).

Meyer und Land grenzen threshold concepts von core concepts ab: Letztere betrachten sie

lediglich als ‚Bausteine‘, die das Verständnis eines Themas befördern. Threshold concepts hin-

gegen sollen zu einem ‚qualitativ andersartigen Blick auf die Lehrinhalte‘ führen (vgl. Mey-

er/Land 2003, S. 3). Sie gelten den Autoren als

„‚conceptual gateways‘ or ‚portals‘ that lead to a previously inaccessible, and initially perhaps ‚troublesome‘, way of thinking about something. A new way of understanding, interpreting,

or viewing something may thus emerge – a transformed internal view of subject matter, sub-

ject landscape, or even world view. In attempting to characterize such conceptual gateways it

was suggested in the earlier work, that they may be transformative (occasioning a significant

shift in the perception of a subject), irreversible (unlikely to be forgotten, or unlearned only

through considerable effort), and integrative (exposing the previously hidden interrelatedness

of something“ (Meyer/Land 2005, S. 373).

Der Gebrauch von threshold concepts in der Lehre bedeutet also nicht einfach nur, den Blick

auf die Welt zu verändern, also die Perspektive oder den Standpunkt der Wahrnehmung einzu-

schränken (etwa auf den Common Sense geldförmigen Tauschs wie in der neoklassischen The-

orie), sondern zudem die Subjektivität des Menschen, der auf diesem Standpunkt steht, mits-

amt seinen Emotionen, Wertungen etc. umzuformen. Meyer und Land, auf die Mankiw sich

bezieht, machen unmissverständlich deutlich, dass die threshold concepts in Bildungsprozessen

auf eine solche Umformung abzielen können. Diese Konzepte können gar im Zusammenhang

mit einer Transformation der gesamten Persönlichkeit stehen, und dies in einem Bereich, der

vom geschulten Urteil des Wissenschaftlers bzw. der Wissenschaftlerin nicht, oder doch we-

nigstens kaum, berührt wird:

„The shift in perspective may lead to a transformation of personal identity, a reconstruction of subjectivity. In such instances a transformed perspective is likely to involve an affective

component – a shift in values, feeling or attitude“ (Meyer/Land 2003, S. 4; Hervorhebung: S.

G.).

Meyer und Land vergleichen einen solchen Transformationsprozess mit Initiationsriten, in de-

nen einzelne Personen oder aber Gruppen von einem in einen anderen Zustand gebracht wer-

den und auf diesem Weg gleichsam eine Schwelle überschreiten müssen:

„This transition however is often problematic, troublesome, and frequently involves the

humbling of the participant. In order to do so, he or she must strip away, or have stripped

33 Der Bezug findet sich in Mankiw 2014, S. 17.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

46

from them, the old identity. The period in which the individual is naked of self – neither fully

in one category of another – is the liminal state“ (Meyer/Land 2005, S. 376).

In einem wesentlichen Punkt aber unterscheiden die beiden Autoren zwischen der Liminalität

von Initiationsriten auf der einen und threshold concepts, auf die Mankiw sich bezieht, auf der

anderen Seite: Die Liminalität, d. h. die Übergangsphase in Ritualen, in denen der Betreffende

weder eine klare Identität noch einen eindeutigen sozialen Status hat, beschreiben Meyer und

Land als eine Art ‚liquiden Raum‘, der relativ offen ist, kaum Vorhersehbarkeit ermöglicht und

der sich mit den Lernenden ebenso mitverändert, wie sich diese in ihm verändern. Threshold

concepts hingegen kennen Meyer und Land zufolge diese Offenheit und wechselseitige Dyna-

mik nicht. Sie bilden ein Lernumfeld fest vorgegebener Form, um gezielt einen vorgegebenen

Lerneffekt im Lernenden zu erzielen:

„A constructively aligned trip through a scheduled sequence of threshold concepts might well

be seen as teleological, a doctrine of final causes, in which developments en route are primar-

ily due to the ultimate purpose or design that is served by them, in this case the achievement

of the final learning outcomes of the programme. In this way threshold concepts might be

seen as driven by persuasion and consensus. […] Thresholds may be seen in this way as lead-ing the learner through a transformational landscape in a kind of epistemological steeple-

chase, towards a pre-ordained end“ (Meyer/Land 2005, S. 379).

Neben die threshold concepts tritt zudem das Konzept des troublesome knowledge. Auch bei

diesem geht es um eine Transformation des Menschen tief in seinem Inneren im Rahmen von

Bildungsprozessen. Dabei bezieht es sich auf „Wissen, das fremd, kontraintuitiv oder sogar intellektuell absurd ist, wenn man es für bare Münze nähme“ (Meyer/Land 2003, S. 4). Trou-

blesome knowledge ist „subversiv, insofern es bisherige Meinungen und Überzeugungen un-tergräbt“, und es kann „persönlich aufwühlend und desorientierend sein“ (Meyer/Land 2003, S.

4). Obwohl Mankiw um diese Deutung des troublesome knowledge im Sinne einer starken Ein-

flussnahme auf die Persönlichkeit wissen muss (bei der Studie von Meyer und Land handelt es

sich um eine der wenigen von ihm explizit zitierten Quellen), behauptet er in seinem Lehrbuch

schlicht, es handele sich um einen völlig normalen Vorgang:

„As you work through your modules you will find that it is not always easy to think like an economist and that there will be times when you are confused, find some of the ideas and

concepts being presented to you running contrary to common sense (i.e. they are counter-

intuitive). What you will be experiencing is what is called troublesome knowledge. Don’t wor-ry about this – what you are experiencing is perfectly normal and a part of the learning jour-

ney“ (Mankiw 2014, S. 17).

Damit gibt Mankiw seinen Leser_innen (und damit den zukünftigen Generationen von Öko-

nom_innen) von sich aus keine Chance, wenigstens zu Beginn ihres Studium auf die potentiell

persönlichkeitsverändernden Prozesse aufmerksam zu werden, die sich gleichsam unterhalb

des Radars ihrer bewussten Aufmerksamkeit im Laufe des Studiums vollziehen sollen. Ge-

schieht diese Persönlichkeitsveränderung aber sodann tatsächlich, so lässt sie sich nicht oder

kaum mehr von einem Standpunkt außerhalb dieses Veränderungsprozesses bewerten, eben

weil es sich auch um eine Transformation aller moralischen Maßstäbe sowie der eigenen

Selbstbilder handeln soll.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

47

Im Folgenden kann ich diesen Gedanken, gleichwohl er mir zentral erscheint, nicht weiter ver-

folgen. Vielmehr wende ich mich der Frage zu, über welche Mittel die ökonomische Standard-

lehre, genauer gesagt ihre Lehrbücher, verfügen kann, um tatsächlich persönlichkeitsverän-

dernd im gerade skizzierten Sinne wirken zu können. Dabei geht es mir nicht darum, diese

Wirkung empirisch nachzuweisen, sondern um eine Analyse jener sprachlichen und bildlichen

Mittel, die eine solche transformative Wirkung potentiell erzielen können. Dabei gehe ich

exemplarisch vor, indem ich mich vornehmlich den Lehrbüchern von Samuelson und Nordhaus

sowie Mankiw zuwende. Für die Analyse ziehe ich im Folgenden weiterhin die Kognitionswis-

senschaft zurate. Zudem beziehe ich mich auf Studien über Formen und Möglichkeiten der

Beeinflussung unbewusster Wahrnehmungen, wie sie in der politischen Propaganda, den

Public Relations und im Marketing zum Einsatz kommen. Denn gerade in diesen Forschungsbe-

reichen hat sich in den letzten Jahrzehnten das Wissen über die Formen und Möglichkeiten der

Beeinflussung von Denken und Wahrnehmung unterhalb der Schwelle bewusster Aufmerk-

samkeit in besonderem Ausmaße vertieft.34

4.2 I, Pencil: ein Beispiel zum Vergleich

In diesem Abschnitt analysiere ich zunächst die Studie I, Pencil von Leonard E. Read aus dem

Jahre 1958. Read war Gründer der US-amerikanischen Foundation for Economic Education, die

1947 als einer der ersten neoliberalen Think-Tanks entstand. Die Studie erschien im Freeman,

einem libertären Magazin in den Vereinigten Staaten; sie basiert wesentlich auf Hayeks Wis-

senschafts- und Gesellschaftsverständnis (vgl. etwa Hayek 1945) und wurde insbesondere von

Milton Friedman (Träger des Nobelpreises der Wirtschaftswissenschaften von 1976) verbrei-

tet.35 Ich beziehe mich auf diese Studie, nicht weil sie selbst ein Beispiel ökonomischer Lehr-

buchliteratur darstellt, sondern weil ich sie später im Kapitel als Hintergrundfolie nutzen werde,

um vergleichend auf wesentliche Entwicklungslinien innerhalb dieser Literatur aufmerksam zu

machen.

Lawrence W. Reed, heutiger Präsident der Foundation for Economic Education, schreibt im

Vorwort einer Neuauflage von I, Pencil im Jahre 2015:

„While ‚I, Pencil’ shoots down the baseless expectations for central planning, it provides a su-

premely uplifting perspective of the individual. Guided by Adam Smith’s ‚invisible hand‘ of

prices, property, profits, and incentives, free people accomplish economic miracles of which

socialist theoreticians can only dream. As the interests of countless individuals from around

the world converge to produce pencils without a single ‚master mind’, so do they also come

together in free markets to feed, clothe, house, educate, and entertain hundreds of millions

of people at ever higher levels. […] This essay is truly one for the ages“ (Reed einleitend in

Read 2016, S. 3).

Im Folgenden kommt es mir darauf an, die Vermittlungsweise dieser zeitlosen Botschaft in

einigem Detail zu analysieren.

34 Vgl. etwa grundlegend Petty/Cacioppo 1986. 35 Vgl. etwa folgendes Video von Friedman: https://www.youtube.com/watch?v=67tHtpac5ws (Zugriff: 05. April

2017).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

48

Die Studie ist aus der Perspektive eines Bleistifts erzählt – „the ordinary wooden pencil familiar to all boys and girls and adults who can read and write“ (Read 2016, S. 4). Auf diese Weise

kann Read vom sog. bizareness effect Gebrauch machen: Bizarre Geschichten (ein Bleistift

spricht zu einem Menschen!) werden unter bestimmten Umständen leichter erinnert, und dies

auf der Ebene des Unbewussten (vgl. MacDaniel et al. 1995). Zudem wird hier ein naturally

occuring prime gesetzt: Die Aussagen des Textes werden in Verbindung mit einem einfachen

Gebrauchsgegenstand gebracht. Auf unbewusster Ebene, so weiß man aus der Beeinflussungs-

forschung, besteht dadurch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, die Geschichte bei jedem nächs-

ten alltäglichen Gebrauch eines (Blei-)Stiftes zu erinnern, was wiederum dazu führen kann,

dass sich ihre Aussagen im Gedächtnis leichter verfestigen (vgl. etwa Berger/Fitzsimons 2008).

Darüber hinaus wird wahrscheinlich von einer conceptual and perceptual fluency Gebrauch

gemacht: Die Leichtigkeit, mit der ein Bleistift als Begriff verstanden und erinnert wird, kann

vom menschlichen Gehirn als Plausibilität der Aussagen des Textes über die Wirtschaft fehlin-

terpretiert und damit deren Attraktivität und Glaubwürdigkeit erhöht werden (grundlegend im

Kontext des Marketing: vgl. Lee/Labroo 2004). Dies geschieht dabei vornehmlich auf der Ebene

des Unbewussten.

In Reads Geschichte stellt sich der Bleistift also als gewöhnlicher Gebrauchsgegenstand vor,

zugleich repräsentiert er aber auch ein Ehrfurcht einflößendes Geheimnis und Rätsel. Wird sich

der Leser dieses Rätsels bewusst (und zwar als Rätsel, das ein Rätsel bleibt und niemals gelöst

werden kann), soll er damit nicht weniger als die Freiheit der Menschen retten:

„I, Pencil, simple though I appear to be, merit your wonder and awe; a claim I shall attempt to prove. In fact, if you can become aware of the miraculousness which I symbolize, you can help

save the freedom mankind is so unhappily loosing“ (Read 2016, S. 4).

Entscheidend ist hier, dass Verwunderung und Nichtwissen nicht, wie es in Philosophie und

Wissenschaft seit Jahrtausenden üblich war und ist, als Ausgangspunkt eines Strebens nach

mehr Wissen oder nach Aufklärung über den unbekannten oder verwunderlichen Sachstand

gesetzt wird, sondern zugleich als Anfangs- und Endpunkt allen möglichen Wissens: Wir sollen

wissen, dass wir nichts wissen – und mehr nicht.36 Dieses Nichtwissen wird sogleich emotional

und wertend aufgeladen und mit einer Aktivität verbunden, die einen zur Gemeinschaft der

Guten (wer wollte nicht die Freiheit der Menschheit retten!) zugehörig erscheinen lässt. Diese

Aktivität selbst bleibt dabei in hohem Maße abstrakt, zugleich bietet ihre begriffliche Beschrei-

bung nichts, das vom bewussten Verstand überprüft werden könnte: Was vermag ‚die Freiheit

der Menschheit‘ genau zu bedeuten? Wie wäre sie konkret zu ‚retten‘? Der Text gibt nicht nur

keine Antworten; auch leitet er nicht dazu an, diese Fragen überhaupt zu stellen. Stattdessen

wird eher versucht, im Sinne des Hebbian learning ein neues semantisches Netzwerk zu knüp-

fen, in dem der Alltagsgegenstand ‚Bleistift‘ mit abstrakten und zugleich positiv besetzten Be-

griffen wie ‚Wunder‘ und ‚Freiheit‘ verknüpft wird.

36 Vgl. hierzu die Welträtsel-Diskussion Ende des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Position Emil Du Bois-

Reymonds (1872). Vgl. allgemein hierzu Bayertz et al. 2007. Read selbst stellt keine Bezüge zu dieser Diskussion her.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

49

Die Geschichte setzt sich nun über ein paar Seiten dahingehend fort, dass der Bleistift berich-

tet, woher seine Einzelteile stammen, wie viele Menschen sich für ihre Produktion einsetzen –

und wie wenig wir dabei über all diese Aktivitäten wissen können. In einer bildreichen Sprache

erzeugt Read damit im Leser den Eindruck von verwirrender Vielfalt in sich immer weiter ver-

zweigendem Detail. Er bestärkt und veranschaulicht so den vorgenannten Eindruck, dass es

vieles auf der Welt gibt, von dem unser Alltagsverstand nichts weiß, von dem wir in unserem

Alltag aber zugleich abhängig sind. Ein Beispiel:

„My family tree begins with what in fact is a tree, a cedar of straight grain that grows in Northern California and Oregon. Now contemplate all the saws and trucks and rope and the

countless other gear used in harvesting and carting the cedar logs to the railroad siding. Think

of all the persons and the numberless skills that went into the fabrication: the mining of ore,

the making of steel and its refinement into saws, axes, motors […]“ (Read 2016, S. 5).

Insgesamt wird auf mehreren Seiten eine sehr große Vielfalt solcher Beispiele angegeben. Zu-

gleich wird den Leser_innen keinerlei Hilfe geboten, diese Vielfalt zu überprüfen oder daraus

selbst Schlussfolgerungen zu ziehen. Eher findet hier ein information overload statt, von dem

man aus der Beeinflussungsforschung weiß, dass er die bewusste Reflexion ausschalten und

stattdessen einen blinden Glauben an die Richtigkeit der Informationen fördern kann.37

Nach den vielzähligen Beispielen dessen, was Leser_innen zwar irgendwie erahnen, nicht aber

wirklich wissen können, lässt Read den Bleistift jenen Schluss ziehen, den er bereits auf der

ersten Seite seines Textes andeutete. Dieser wird dabei als rhetorische Frage formuliert, was

Leser_innen dazu animieren kann, ihn selbst unwillkürlich zu ziehen:

„Does anyone wish to challenge my earlier assertion that no single person on the face of this earth knows how to make me? […] I shall stand by my claim. There isn’t a single person in all these millions, including the president of the pencil company, who contributes more than a

tiny, infinitesimal bit of know-how“ (Read 2016, S. 7-8).

Das Grundgefühl des Nichtwissens wird im weiteren Verlauf nun durch Assoziation38 an

marktwirtschaftliche Fragen angebunden: Kein Individuum kann vollständig wissen, wie ein

Bleistift hergestellt wird. Wissen, so würde Hayek es formulieren, ist radikal verteilt (vgl. Hayek

1945). Doch um diese wissenschaftliche Einsicht und ihre Implikationen geht es Read eher

nicht. Stattdessen sucht er, die Einsicht der Leser_innen in ihr (offensichtliches) Nichtwissen

um die komplexen Prozesse der Produktion eines Gutes zu nutzen, um die implizite Zustim-

mung zu einem weiteren, inhaltlich allerdings gänzlich anders gelagerten Punkt zu erzeugen:

„Their motivation [of all those involved in the making of a pencil, S.G.] is other than me. Per-haps it is something like this: Each of these millions sees that he can thus exchange his tiny

37 „Consistent with the lazy nature of heuristic processing [activities on the level of System 1, S.G.], we can easily be influenced by the sheer amount of supporting information that a message contains. Generally, people using heuris-

tic processing will be more persuaded if you include more information in your message because they blindly assume

that your message contains more support“ (Kolenda 2013, S. 152). Vgl. grundlegend: Petty/Cacioppo 1984. 38 „Association connects an idea, belief, cause, or action to a credible idea, belief, or action. […] False association connects genuine needs and desires, such as concern for the traditional values of home, marriage, and family with

false or irrelevant ends“ (Hill 2015, S. 275).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

50

know-how for the goods and services he needs or wants. I may or may not be among these

items“ (Read 2016, S. 8).

Hier findet unvermittelt ein Reframing statt: Die Frage der sozialen Koordination von Handlun-

gen wird unmittelbar auf die Frage der Motivation einzelner Akteur_innen reduziert, und diese

Frage wiederum wird – ohne Angaben empirischer oder sonstiger Belege – auf mögliche

Tauschgewinne im marktwirtschaftlichen Sinne eingegrenzt. Es sei an dieser Stelle zum Ver-

gleich an Walras erinnert: Dieser lässt seine wissenschaftliche Reflexion im Bereich des Com-

mon Sense des marktwirtschaftlichen Austauschs (Ware gegen Geld) ansetzen, um auf der

Basis eines darauf gegründeten, geschulten Urteils eine möglichst reine, d. h. objektive Wis-

senschaft zu errichten. Read tut etwas gänzlich anderes: Seine Argumentation schafft eine

Framesemantik, die (Vor-)Verständnisse von Nichtwissen und Verwunderung implizit an

marktwirtschaftliche Erfahrungen ankoppelt, nicht um daraus die Basis für objektive Urteile zu

schaffen, sondern gerade um jegliche Form bewusster Reflexion dieser Erfahrung (in welcher

Form auch immer) systematisch auszuschließen.

Was die einzelnen Tauschakte zusammenbindet, vermag auch Walras auf der Ebene menschli-

cher Erfahrungen nicht zu beantworten; ihre gesetzmäßige Koordination aber sucht er auf der

Ebene der Mathematik und damit rational zu fassen. Bei Read hingegen findet sich keine Ant-

wort, die einer bewussten Überprüfung zugänglich wäre. Seine Argumentation zielt stattdes-

sen eher darauf ab, Leser_innen auf der Ebene ihres Unbewussten zu überreden, seiner Argu-

mentation unwillkürlich zu folgen. Dafür werden diese unvermittelt in ihrem Alltagsverständnis

als Konsument_innen angesprochen – und nur in diesem Verständnis. Als Käuferin eines Blei-

stifts, wenn ich ihn im Supermarkt an der Kasse bezahle, weiß ich nicht, woher er stammt und

wie er hergestellt wurde. Mein Common Sense, sofern er sich nur aus dieser abstrakten Tau-

scherfahrung speist, kann es nicht wissen, und er braucht es auch nicht zu wissen. Ihm (und

wohl nur ihm) muss also das vollständige Nichtwissen, an das Read appelliert, vollkommen

plausibel erscheinen. Zugleich ist ihm auch intuitiv klar, dass die Koordination der dahinterlie-

genden Handlungen irgendwie ‚funktioniert‘ haben muss. Aus der Tatsache, dass ich den Blei-

stift, nachdem ich ihn bezahlt habe, in den Händen halte und nach Hause tragen kann, vermag

ich dieses Funktionieren unwillkürlich zu schließen. Erklären aber kann ich es nicht.

Read zielt nun auch nicht darauf ab, dass uns die Bedeutung marktwirtschaftlicher Prozesse als

solche ins Bewusstsein träte. Im gesamten Text findet sich der Begriff des Marktes oder der

Marktwirtschaft nicht. Die gerade zitierte Passage gibt den einzigen Hinweis auf die grundsätz-

liche Bedeutung des Preismechanismus für die Koordination sozialer Handlungen oder, um in

Hayeks Diktion zu bleiben, gesellschaftlich verteilten Wissens. Statt diese bloße Andeutung

oder Ahnung weiter zu explizieren, unternimmt Read es, sie allein durch negative Abgrenzun-

gen weiterhin im Unbewussten zu verankern und zu stärken: Die Ahnung hinsichtlich der Be-

deutung preisvermittelter Koordination wird zu einem bloß ‚Unsichtbaren‘, das nicht weiter

definiert oder beschrieben, sondern allein durch Abgrenzung von einem rein negativ assoziier-

ten Bereich geframet wird. So schreibt Read unmittelbar im Anschluss an die eben zitierte Pas-

sage:

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

51

„There is a fact still more astounding: The absence of a master mind, of anyone dictating or

forcibly directing these countless actions which bring me into being. No trace of such a person

can be found. Instead we find the Invisible Hand at work. This is the mystery to which I earlier

referred“ (Read 2016, S. 8).

Weder Read noch seine Leser_innen können wissen, ob bei der Herstellung eines Bleistifts im

Konkreten oder im wirtschaftlichen Handeln allgemein etwa Druck, Zwang, Macht oder Kor-

ruption im Spiel sind, ob alle Handlungen also in einem empirischen Sinne freiwillig sind. Was

der Alltagsverstand des einzelnen Konsumenten weiß, ist, dass er im Supermarkt normaler-

weise von niemandem gezwungen wird, einen Bleistift zu kaufen. Was sonst noch entlang der

Wertschöpfungskette geschieht, kann er in diesem Frame nicht zur Kenntnis nehmen. Die ne-

oklassische Theorie stützt sich auf diesen Alltagsverstand – auf die Kenntnis unzähliger einzel-

ner, momentaner Kaufakte –, um sodann im Reich reiner Mathematik eigenständig Gesetzmä-

ßigkeiten (funktionale Zusammenhänge) zu bestimmen, die innerhalb dieses Reiches, d. h. in

den Grenzen seiner Definitionen und Annahmen (und nur dort) ihre strikte Gültigkeit besitzen.

Read aber formuliert kein solches Reich, er schafft keinen definitorischen Rahmen. Sein Text

berührt an dieser Stelle unseren bewussten Verstand nicht, er fordert ihn nicht heraus, er gibt

ihm nichts konkret zu tun. Folglich gibt es für diesen Verstand nichts zu erklären und nichts zu

verstehen.

Stattdessen sollen Leser_innen eher unwillkürlich Schlussfolgerungen in einem Bereich ziehen,

die in politische und ideologische Motivationen hineinragen und emotional aufgeladen sind.

Read bewerkstelligt dies, indem er ein Schwarz-Weiß-Denken fördert, das die Beeinflussungs-

techniken der Black and White Fallacy,39 der Glittering Generalities40 und der Demonization41

verbindet: Er konstruiert gleichsam zwei Containerbegriffe, die er gegeneinander stellt – „Mas-

ter Mind“ gegen „Invisible Hand“. Diese Container füllt er sodann nicht mit definitorischem

Gehalt, sondern belässt sie entleert von jeder konkreten, rational nachvollziehbaren Bedeu-

tung: Was sich in oder hinter diesen Begriffen verbirgt, soll eben ein ‚Rätsel‘, also ‚wunder-

sam‘ bleiben. Zugleich aber füllt er die Containerbegriffe mit Wertungen und Emotionen

(Technik der Emotionally Laden Words42). So wird der ‚Master Mind‘ mit Begriffen wie

‚zwangsweise‘ und ‚unglücklich‘ assoziiert, die ‚Unsichtbare Hand‘ hingegen mit Begriffen wie

‚Freiheit‘, ‚natürlich‘, ‚kreativ‘, ‚produktiv‘ und ‚automatisch‘. Einmal so aufgeladen wird der

eine Containerbegriff dann – erneut ohne jede rationale Begründung, definitorische Klärung

oder empirische Bezugnahme – mit politischen Begriffen belegt: Der ‚Master Mind‘ wird zur

‚Regierung‘: 39„Black and White Fallacy is a way to manipulate ‚either-or’ dualisms. This type of propaganda gives us an either-or

choice, but the desired message is positioned as the better choice“ (Hill 2015, S. 276). Ötsch etwa spricht auch von

einem „dualen Code“ (vgl. Ötsch 2009, S. 20-22).

40 „Glittering Generalities are words designed to arouse emotions and to stimulate us to accept an idea without

probing beneath the surface. These words often appeal to our strong convictions, but aren’t really related to those

beliefs“ (Hill 2015, S. 280). 41 „Demonization is a technique that makes a political enemy or an opposing issue or philosophy appear evil, repul-

sive or even subhuman“ (Hill 2015, S. 277). 42 „Emotionally Laden Words is the use of highly charged, emotional words to discredit a person, group, issue,

statement, or belief. Conservatives calling a liberal a Socialist or a Communist is a simple example. Calling someone

a terrorist is another“ (Hill 2015, S. 279).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

52

„For, if one is aware of the miraculousness which I symbolize, you can help save the freedom mankind is so unhappily losing. For, if one is aware that these know-hows will naturally, yes,

automatically, arrange themselves into creative and productive patterns in response to hu-

man necessity and demand – that is, in the absence of governmental or any other coercive master-minding – then one will possess an absolutely essential ingredient for freedom: a faith

in free people. Freedom is impossible without this faith“ (Read 2016, S. 9; Hervorhebung: S.

G.).

In diesem Zitat wird besonders deutlich, wie der Text nicht auf den bewussten Verstand abzielt,

sondern an einen bloßen Glauben appelliert, der selbst nicht zu reflektieren, sondern alleine

durch Aktivitäten zu bezeugen und zu festigen ist. In der Beeinflussungsforschung ist eine sol-

che Vorgehensweise als Technik des Appells an Autoritäten bekannt.43 Als Autorität zieht Read

dabei keinen geringeren als Gott heran:

„It has been said that ‘only God’ could make a tree.’ Why do we agree with this? Isn’t it be-cause we realize that we ourselves could not make one? Indeed, can we even describe a tree?

We cannot, except in superficial terms. […] Since only God can make a tree, I insist that only God could make me. Man can no more direct these millions of know-hows to bring me into

being than he can put molecules together to create a tree“ (Read 2016, S. 8-9).

In der neoklassischen Theorie bezeichnet der ‚Markt‘ ein objektives, definierbares Modell, das

seine Gesetzmäßigkeiten den Regeln der Mathematik verdankt. Zugleich aktiviert dieser Be-

griff auf unbewusster Ebene eher neutral einen Frame, der unsere Erfahrungen des geldförmi-

gen Tausches sowie Analogien aus der Mechanik umfasst. Read aktiviert ursprünglich den glei-

chen Frame, schafft aber keine Verbindungen mehr zum bewussten Verstand. Stattdessen

wird der Frame unterhalb der Schwelle der bewussten Wahrnehmung erweitert und ideolo-

gisch aufgeladen.

Interessanterweise nennt Read den Marktbegriff dabei nicht explizit. Stattdessen schafft er die

Vorstellung eines rein Unsichtbaren („Invisible Hand“), für dessen Verständnis es weder eines objektiven Denkens in einem formalen Modell bedarf noch eines geschulten Urteils gleichsam

an der Schwelle von bewusstem und unbewusstem Denken. Vielmehr lässt er den geldförmi-

gen Austausch in eine Framesemantik ein, die diesen ohne weitere Überprüfung als gut und

richtig, natürlich und darüber hinaus auch noch als ‚wundersam‘ erscheinen lässt. Dies ge-

schieht dabei rein sprachlich: Der „Schatze der gemeine[n] Erfahrung[en]“ (nochmals von Wie-ser 1929, S. 16) des marktwirtschaftlichen Austauschs wird unterhalb der Schwelle bewusster

Reflexion mit Begriffen assoziiert, die allesamt mit hoher Wahrscheinlichkeit von den meisten

Leser_innen fraglos als positiv wahrgenommen werden. Zugleich wird er von einem Begriffs-

feld abgegrenzt, das die meisten Leser_innen ebenso fraglos negativ konnotieren dürften.

Wie gesagt erwähnt Read in seinem ursprünglichen Text aus dem Jahre 1954 den Begriff des

Marktes nicht. Doch in der Neuausgabe dieses Textes von der Foundation for Economic Educa-

tion von 2016 wird unmissverständlich deutlich, dass die heutige Framesemantik eines neoli-

beralen Think-Tanks wie der Foundation of Economic Education nicht nur um den Marktbegriff

43 „Appeal to Authority is a propaganda technique in which people of authority are used as sources to give credibil-

ity to positions or potential courses of action“ (Hill 2015, S. 275).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

53

erweitert ist, sondern diesen als zentralen Containerbegriff etabliert, um nun ihn – statt allein

die ‚Unsichtbare Hand‘ – ‚dem Staat‘ oder ‚der Regierung‘ gegenüber zu stellen. Mehrere Tes-

timonials, die der Neuausgabe des Textes vorangestellt sind, machen dies ebenso deutlich wie

die Einleitung von Lawrence W. Reed, dem heutigen Präsidenten der Foundation:

„‚I, Pencil’ is a superb case study of free markets in action. Half of the world’s economic prob-lems would vanish if everyone could read ‘I, Pencil’” (Burton W. Folsom, zitiert in Read 2016, S.

i).

„‚I, Pencil’ proves remarkable insights into the complexity generated by market mecha-

nisms“ (Michael Strong, zitiert in Read 2016, S. i).

„As the interests of countless individuals from around the world converge to produce pencils

without a single ‘Master Mind’, so do they also come together in free markets to feed, clothe, house, educate, and entertain hundreds of millions of people at every higher levels“ (Law-

rence W. Reed, Introduction to Read 2015, S. 3).

Meines Erachtens lässt sich die Wichtigkeit dieser Umdeutung des Marktbegriffs von einem

mathematischen Modell der Neoklassik zu einem politisch aufgeladenen Containerbegriff

kaum hoch genug einschätzen. Wie ich gerade am Beispiel von Reed anzudeuten versucht ha-

be, vermag diese Umdeutung durch eine weitgehende Aufgabe objektiver Argumentationswei-

sen einerseits und den Gebrauch von Beeinflussungstechniken andererseits zu geschehen, wie

sie im Marketing, in den Public Relations und der Propaganda bekannt und erforscht sind.

Insgesamt vermittelt das Beispiel von Read, so meine ich, einen ersten Eindruck davon, welche

gravierenden Veränderungen im Vergleich zur neoklassischen Theorie sich seit den fünfziger

Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur in Darstellung und Rhetorik vollziehen können, son-

dern, damit einhergehend, auch auf tieferer kognitiver Ebene. Insbesondere wird der Common

Sense geldförmigen Austausches nicht mehr mit der Fähigkeit zur abstrakten Modellbildung

verbunden, sondern in eine Framesemantik eingelassen, die wertend-ideologische Züge auf-

weist und selbst normalerweise nicht reflexiv zugänglich ist. Zunächst die ‚Unsichtbare

Hand‘ und später dann ‚der Markt‘ vermögen so unter Umständen zu threshold concepts zu

avancieren, die tief im Unbewussten Denken und Wahrnehmung verändern können. Sie kön-

nen als Teil eines Frames etabliert werden, mit dem Menschen die Welt betrachten lernen

sollen, bevor sie irgendwelche Fakten oder objektiven Daten zur reflektierten Überlegung her-

anziehen. Dieser Frame ist dabei, wie das Beispiel Reads deutlich macht, keineswegs neutral,

sondern ragt bis in Emotionen, Werte sowie grundlegende Weltanschauungen hinein. Nicht

mehr allein um die gedankliche Selektion der alltäglichen Erfahrung geldförmigen Tausches

geht es hier, sondern darum, diese Erfahrung mit positiven Emotionen, mit Glauben und zu-

gleich Kampfesgeist aufzuladen und dafür in ein entsprechendes semantisches Netzwerk ein-

zulassen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

54

4.3 Beispiele der Beeinflussung in ökonomischen Standardlehrbüchern

4.3.1 Ideologisches Framing

Mir geht es nicht darum, die Wirksamkeit des Textes von Read und der darin befindlichen Be-

einflussungstechniken weiter zu analysieren. Stattdessen möchte ich darauf aufmerksam ma-

chen, dass die grundsätzliche Verschiebung der Argumentation, wie sie Read vornimmt, auch

Eingang in heutige ökonomische Standardlehrbücher gefunden hat. Hierfür wende ich mich

exemplarisch den Standardlehrbüchern von Mankiw sowie von Samuelson und Nordhaus zu.

Für einen ersten Überblick sei auf die Abbildungen 3 und 4 verwiesen. Sie zeigen für beide

Lehrbücher (jeweils in den neuesten Auflagen) eine Übersicht über zentrale Signalwörter, die

in den einleitenden Abschnitten zu ‚Märkten‘ vorkommen.

Abbildung 3: Black and White Fallacy in Mankiws Economics

Communism

Collapse

Central planners

Central planning

Government

Guidance

Abandoned system

Markets

Good way

Market economy

Decisions of millions

Prices

Self-Interest

Decentralized

Success

Own well-being

Remarkably successful

Promoting overall well-being

Adam Smith

Enlightenment

Working well

Left to their own device

Quelle: eigene Darstellung. Wortauswahl aus „Principle 6: Markets Are Usually a Good Way to Organize Economic Activity“ (Mankiw 2014, S. 6-7).

Während offensichtlich ist, dass I, Pencil Produkt eines neoliberalen Think-Tanks ist, handelt es

sich hier um dem eigenen Anspruch nach wissenschaftliche Einführungen in die Volkswirt-

schaftslehre, die Millionenauflagen erzielen und in vielen Modulhandbüchern auch und gerade

deutscher Hochschulen als Pflichtliteratur angegeben werden. Wie aus den Abbildungen er-

sichtlich wird, gehen die Standardlehrbücher dennoch ähnlich wie Read vor, wenn auch im

Hinblick auf die zum Einsatz kommenden Beeinflussungstechniken in abgeschwächter Form:

Wie die Abbildungen zeigen, wird der Bereich der Wirtschaft auch hier im Rahmen einer Black

and White Fallacy sprachlich von dem eher politisch geframeten Bereich zentraler Planwirt-

schaften abgegrenzt und durch diese Abgrenzung wesentlich definiert. Insbesondere bei Sa-

muelson und Nordhaus geschieht dies auf eine Weise, die wie bei Read an eine Dämonisierung

erinnert. Nicht nur wird die Gegenseite wie bei Mankiw als Versager dargestellt (vgl. etwa die

Begriffe „Collapse“ und „Abandoned System“: Mankiw 2014, S. 6-7), sondern auch mit absto-

ßenden Begriffen assoziiert (wie „Verge of Starvation“, „Mortal Terror of a Breakdown“: Nord-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

55

haus/Samuelson 2010, S. 26). Im Gegenzug wird die andere Seite eindeutig positiv konnotiert,

wie beispielsweise die Begriffe „Good Way“ und „Success“ bei Mankiw (2014, S. 6-7) und „High

Income“, „Voluntary Trade“ und „Sleep Easily“ bei Samuelson und Nordhaus (2010, S. 26) deut-

lich machen. Im Gegensatz zu Read ist dabei der Marktbegriff sowohl bei Mankiw als auch bei

Samuelson und Nordhaus von Anfang an wie selbstverständlich dieser Seite des Guten und

Positiven zugeordnet. Explizite empirische oder historische Belege finden sich hierfür nicht.

Abbildung 4: Black and White Fallacy und Demonization in Samuelsons Economics

Verge of starvation

Mortal terror of a breakdown

Coercion

Centralized direction

Government

Control of economic activity

Government intervention

Central intelligence

High-Income countries

Private markets

Market mechanism

Voluntary trade

Improve own economic situation

Invisibly coordinated

Doing very well economically

Sleep easily

Elaborate economic processes

Coordinated through the market

Willingly

Elaborate mechanism

Communication device

Functioning remarkably well

Quelle: eigene Darstellung. Wortauswahl aus „The Market Mechanism“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 26).

Insbesondere fällt auf, wie auch die heutigen Lehrbuchautor_innen (insbesondere Samuelson

und Nordhaus) wirtschaftliche Konzepte unmittelbar sowohl mit politischen als auch mit wer-

tenden Konzepten sprachlich koppeln. Dies nennt man in der Fachsprache ideologisches Fra-

ming und meint die Etablierung oder Aktivierung von Frames, die nicht nur eine Sache benen-

nen, sondern auch moralisch bewerten (Wehling 2016, S. 61-62). Diese Bewertung geschieht

dabei nicht auf der Ebene des rationalen Verstandes, sondern erfolgt beim Hören oder Lesen

im Wesentlichen unbewusst.44

Um dem ideologischen Framing in der ökonomischen Standardlehre genauer auf die Spur zu

kommen, möchte ich hier kurz zwei unterschiedliche Antworten präsentieren, wie sie auf die

Frage gegeben werden können, wozu man sich eigentlich mit Wirtschaftswissenschaft beschäf-

44 Ein Beispiel abseits der ökonomischen Lehrbücher, aber im Kontext der Wirtschaft: Der Begriff Steuererleichte-

rung lässt sich im Kontext eines ideologischen Framings ansiedeln. Dabei erfolgt die moralische Bewertung beim

Hören oder Lesen des Begriffes nicht bewusst, sondern durch die quasiautomatische Assoziation, dass man von

einer schweren Last erleichtert wird, die man vorher zu tragen hatte.44 „Lasten sind etwas Negatives. Man kann von ihnen befreit werden. Wenn dies geschieht, stellt sich Erleichterung ein“ (Wehling 2016, S. 62). Ob dies tatsächlich

der Fall ist, oder ob Steuern auch dazu da sein könnten, etwas zur Gesellschaft beizutragen (was ein Frame wie

‚Steuerbeitrag‘ deutlich machen würde), droht hier vom bewussten Verstand nicht überprüft, sondern als gegeben

hingenommen zu werden.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

56

tigen solle. Die erste stammt von Ysidro Edgeworth aus dem Jahre 1881, also aus den Frühzei-

ten der Neoklassik, die zweite von Samuelson und Nordhaus. Zunächst zu Edgeworth:

„‚Mécanique Sociale‘ may one day take her place along with ‚Mécanique Celeste‘, throned each upon the double-sided height of one maximum principle, the supreme pinnacle of moral

as of physical science. As the movements of each particle, constrained or loose, in a material

cosmos are continually subordinated to one maximum sum-total of accumulated energy, so

the movements of each soul, whether selfishly isolated or sympathetically, may continually be

realising the maximum energy of pleasure, the Divine love of the universe. […] At least the conception of Man as a pleasure machine may justify and facilitate the employment of me-

chanical terms and Mathematical reasoning in social science“ (Edgeworth 1881, S. 12, 15).

Hier wird mit einigem Pathos ein neues Wissenschaftsideal in den und für die Sozialwissen-

schaften beschworen: Die Politische Ökonomie soll zu einer sozialen Mechanik werden und als

solche nach einer Form der Objektivität streben, die mit jener der (reinen) Mechanik identisch

ist. Dieses Streben veranlasst etwa dazu, ich zitierte dies bereits, den Menschen in eine ‚Nut-

zenmaschine‘ umzudeuten, weil nur so die mathematische Argumentation Einzug in die Sozi-

alwissenschaften erhalten kann. Um dieses Wissenschaftsideal zu erreichen, müssen die be-

grifflichen (Vor-)Verständnisse etwa über den Menschen umgeformt werden – allerdings auch

nur für dieses Ideal.

Zum Vergleich sei hier aus dem Vorwort der Economics von Samuelson und Nordhaus aus dem

Jahre 2010 zitiert:

„Ein Wort an den selbstständigen Studenten: Sie haben in Ihren Geschichtslehrbüchern über Revolutionen gelesen, die Zivilisationen bis in ihre Grundfesten erschüttert haben – religiöse

Konflikte, Kriege um politische Befreiung, Kämpfe gegen Kolonialismus und Imperialismus.

Noch vor zwei Jahrzehnten schienen wirtschaftliche Revolutionen in Osteuropa, in der frühe-

ren Sowjetunion, in China und anderswo die Gesellschaften dieser Länder zu spalten. Junge

Menschen haben Mauern niedergerissen, etablierte Mächte aus dem Sattel gehoben und sind

für Demokratie und Marktwirtschaft auf die Straße gegangen, weil sie mit ihren zentralistisch

geführten sozialistischen Regierungen unzufrieden waren.

Studenten wie Sie selbst haben agitiert, demonstriert und sind in vielen Ländern sogar ins Ge-

fängnis gegangen, um radikale Ideen studieren und aus westlichen Lehrbüchern wie diesem

lernen zu dürfen – in der Hoffnung, irgendwann die Freiheit und den wirtschaftlichen Wohl-

stand demokratischer Marktwirtschaften zu genießen“ (Nordhaus/Samuelson 2010, S. 16).

Hier wird kein Wissenschaftsideal vertreten. Es geht nicht um die Frage, welche Art der Wis-

senschaft angehende Ökonom_innen betreiben und welchem Wissenschaftsideal sie folgen

wollen oder sollen. Wissenschaft wird hier nicht als Selbstzweck angesehen, wie es bei Edge-

worth der Fall ist, sondern als Mittel zum Zweck deklariert. Wissenschaft soll einem Ziel dienen.

Sie muss nützlich sein, und ihre Nützlichkeit ist dabei klar der politischen Sphäre zugeordnet:

Man lernt aus ökonomischen Lehrbüchern, um Position in einem politischen Kampf zu bezie-

hen, der seinerseits ideologisch aufgeladen ist. Das politische Framing, welches Samuelson und

Nordhaus in der zitierten Passage aktivieren, mag in etwa so aussehen: Es gibt einen Feind, der

Mauern errichtet und damit Freiheit einschränkt; bei ihm sitzen etablierte Mächte im Sattel.

Dieser Feind sind Sozialist_innen und Zentralist_innen, die Studierende ins Gefängnis werfen.

Er macht junge Menschen unzufrieden. Auf der anderen Seite hingegen herrscht Freiheit,

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

57

Wohlstand und Demokratie. Damit liegt der Argumentation klar ein ideologisches Muster zu-

grunde: das (absolut) Böse gegen das (absolut) Gute (vgl. Ötsch 2009, S. 40-41). Zu diesem

Muster schreibt etwa Walter Lippmann in seinem Werk Public Opinion:

„Generally it all culminates in the fabrication of a system of all evil, and of another which is

the system of all good. Then our love of the absolute shows itself. For we do not like qualify-

ing adverbs. They clutter up sentences, and interfere with irresistible feeling. We prefer most

to more, least to less, we dislike the words rather, perhaps, if, or, but, toward, not quite, al-

most temporarily, partly. Yet nearly every opinion about public affairs needs to be deflated by

some word of this sort. But in our free moments everything tends to behave absolutely, – one

hundred percent, everywhere, forever“ (Lippmann 1922, Kapitel X, S. 10).

Innerhalb dieses Musters wird mit ‚dem Guten‘ stets die eigene Seite assoziiert: Es entsteht die

Vorstellung einer „zweigeteilten Welt, in der DIE WIR und DIE ANDEREN einander bekämp-

fen“ (Ötsch 2002, S. 16-17).45 Nochmals Lippmann:

“It is not enough to say that our side is more right than the enemy’s, that our victory will help democracy more than his. One must insist that our victory will end war forever, and make the

world safe for democracy“ (Lippmann 22, Kapitel X, S. 10).

Die kaum ins Bewusstsein tretende Botschaft lautet damit: Dieses Lehrbuch, das Sie in den

Händen haben, dient dazu, das Gute zu erreichen. Wenn Sie es lesen, gehören Sie zu den Gu-

ten, zu DEN WIR. Zugleich werden Sie unmittelbar in einen Kampf ‚des Guten‘ gegen ‚das Bö-se‘ hingezogen. Wenn andere für ‚das Gute‘ sogar ‚auf die Straße‘ oder gar ‚ins Gefängnis‘ ge-

hen, wer wollte sich schon mit DEN ANDEREN, den Schlechten gemein machen, indem er das

bloße Studieren eines ökonomischen Lehrbuchs verweigerte, für dessen Lektüremöglichkeit DIE

WIR ja gekämpft haben?

Kurz gesagt aktiviert Samuelson gleich in seinem Vorwort einen ideologischen Frame, der bei

vielen westlichen Leser_innen bereits im Unbewussten zumindest ansatzweise etabliert sein

dürfte – und dies nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus politisch-ideologischen Debatten.

In diesen Frame versucht Samuelson nun, eine neue Idee einzulassen: Er erweitert die Frame-

semantik ‚Ost gegen West‘, ‚Kapitalismus gegen Sozialismus‘ um den Aspekt des Marktes bzw.

der Marktwirtschaft. Ohne zu beschreiben, was ein Markt oder eine Marktwirtschaft eigentlich

ist, werden diese Begriffe in die Framesemantik des zweigeteilten Weltbildes eingelassen. Dies

geschieht dabei dergestalt, dass sie wie automatisch stets auf der ‚richtigen‘ und ‚guten Sei-

te‘ stehen:

„Die zweigeteilte (duale) Welt wird durch eine zweigeteilte Sprache (ein dualer Code) trans-portiert. DER MARKT wird nur mit positiven Eigenschaften ausgestattet. Er wird als gut, wün-

schenswert, erstrebenswert, … beschrieben. […] Dem NICHT-MARKT hingegen wird alles Üble

zugeschrieben. […] Dazu müssen beide Teile sprachlich klar gekennzeichnet werden. Die

45 Ötsch bezeichnet dieses Schema DIE WIR gegen DIE ANDEREN als Kern eines demagogischen Weltbilds. Vgl. Ötsch

2002, S. 15.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

58

zweigeteilte Sprache ist das Vehikel zum Transport der zweigeteilten Welt“ (Ötsch 2009, S.

21).46

Zudem geschieht noch etwas Weiteres: Auch das Studium der Wirtschaftswissenschaft wird in

das sprachlich gewobene Netz positiv besetzter Begriffe – Freiheit, Wohlstand, Demokratie,

Marktwirtschaft – eingelassen. Das Lehrbuch von Samuelson und Nordhaus scheint damit auf

der Seite DER WIR, also der ‚Guten‘ zu stehen. Entscheidend dabei ist, dass diese Frontstellung

im Kampf ‚der Freiheit‘ gegen ‚die Unfreiheit‘ in keiner Weise faktenbasiert ist: Es wird etwa

kein Beweis dafür angeführt, dass junge Menschen in der Sowjetunion und anderswo tatsäch-

lich agitiert und sogar Gefängnisaufenthalte riskiert haben, um Lehrbücher wie das von Sa-

muelson zu lesen. Es finden sich weder konkrete historische Orte oder Personen noch Hinwei-

se auf einschlägige Literatur. Stattdessen gilt eher:

„Real space, real time, real numbers, real connections, real weights are lost. The perspective and the background and the dimensions of action are clipped and frozen in the stereo-

type“ (Lippmann 1922, S. 110).

Und auch insgesamt spricht die Story weniger den Verstand an als Gefühl und Intuition. Sie

stürzt uns unvermittelt in ein Kampfgetümmel, und wer wollte sich da schon Zeit nehmen und

lange überlegen, auf welcher Seite er stehen will?

Ebenso wie Read setzen auch Samuelson und Nordhaus zur Vermittlung ihrer ideologisch ge-

färbten Botschaft auf den Überraschungseffekt: „Vielleicht überrascht es Sie, dass in einer

Marktwirtschaft kein einzelner Mensch, auch keine Organisation oder Regierung, für die Lö-

sung wirtschaftlicher Probleme zuständig ist“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56). Im Laufe des

Lehrbuchtextes wird dieser Effekt sodann immer wieder wiederholt. So heißt es etwa: „Die überraschende Antwort lautet, dass dieses Wirtschaftssystem ohne Zwang oder zentrale Len-

kung allein durch den Markt koordiniert wird“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56).47 Zugleich

wird der Text emotional aufgeladen und die Botschaft mit grundsätzlichen, lebensweltlichen

Erfahrungen gekoppelt: Ohne konstanten Fluss an Wirtschaftsgütern, so heißt es, würden

Menschen in New York „praktisch verhungern“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56; Hervorhe-

bung: S. G.). „Doch wie können 10 Millionen Menschen nachts ruhig schlafen, ohne sich pa-

nisch vor einem Zusammenbruch dieses überaus komplexen wirtschaftliches Austauschs fürch-

ten zu müssen?“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56; Hervorhebung: S. G.) Auf diese Weise

werden wirtschaftliche Fragen in einen Frame eingebettet, der unmittelbar Assoziationen im

Bereich lebensweltlicher (Grund-)Erfahrungen von Tod und Leben, Risiko und Sicherheit weckt.

In diesen Frame wird sodann ein Schwarz-Weiß-Muster eingelassen: Staat, Zwang, Lenkung,

Regulierung, Steuern, Truppen stehen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite findet sich

der Markt, der „ohne Zwang“, „freiwillig“ und „ohne Befehl“ funktioniert (Samuel-

son/Nordhaus 2010, S. 56). Diese Lager werden – ähnlich wie bei Read – dabei nicht sorgfältig

voneinander abgegrenzt; es werden keinerlei Quellen angegeben oder andere Versuche un- 46 Im Folgenden übernehme ich die Anregung von Ötsch, die abstrakte und/oder ideologisch aufgeladene Rede vom

Markt durch eine Schreibweise in Kapitälchen anzuzeigen (DER MARKT, DIE MÄRKTE etc.). 47 Oder auch: „Der Markt erscheint als ein enormes Durcheinander“ und „Ist es da nicht ein echtes Wunder

(…)?“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

59

ternommen, den bewussten Verstand zu einer kritischen Prüfung des entstehenden Schwarz-

Weiß-Denkens anzuregen.

4.3.2 DER MARKT als Entitätsmetapher

Der Marktmechanismus, so lautet eine Überschrift im Lehrbuch von Samuelson und Nordhaus.

Ich möchte in diesem und den folgenden Unterkapiteln den entsprechenden Abschnitt in eini-

gem Detail analysieren (vgl. Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56-57). Im Gegensatz zu dem Text

von Read ist hier der Gebrauch des Marktbegriffs selbstverständlich. So heißt es:

„Der Markt erscheint als ein enormes Durcheinander von Verkäufern und Käufern. Ist es da

nicht ein echtes Wunder, dass Nahrung in ausreichender Menge produziert und an den richti-

gen Ort transportiert wird und schließlich in genießbarer Form auf unserem Teller landet?

Doch ein genauerer Blick auf New York oder einen anderen Wirtschaftsraum zeigt uns deut-

lich, dass einem Marktsystem nichts Chaotisches oder Wunderbares anhaftet. Es handelt sich

einfach um ein System mit einer inneren Logik. Und das funktioniert“ (Samuelson/Nordhaus

2010, S. 56).

Wie bei Read wird auch hier – prima vista – zunächst das Wundersame betont. Im Gegensatz

zu Read aber suggerieren Samuelson und Nordhaus, das Wunder des Marktes ließe sich „ge-

nauer“ in den Blick nehmen. Wer hier „genauer“ blickt, wie man „genauer“ blicken kann und

was „genauer“ überhaupt bedeutet, bleibt dabei allerdings unklar. Die Überzeugungskraft des

Textes beruht hier nicht auf Informationen oder Erklärungen und auch nicht auf einer Theorie-

oder Modellbildung. Stattdessen wird das „enorme Durcheinander“ rein auf sprachlicher Ebe-

ne in ein „System mit einer inneren Logik“ umgedeutet und dieses mit ‚dem Markt‘ assoziiert.

Ein konkreter Inhalt wird dabei nicht transportiert; Beweise oder Argumentationen werden

nicht angeführt. Die Aufgabe, soziale Prozesse zu verstehen, wird unter der Hand allenfalls in

jene umgedeutet, auf ein funktionierendes System zu schauen, also etwa eine Maschine zu

betrachten. Eine Modellbildung wird hierfür im Gegensatz zur neoklassischen Theorie nicht

vorgenommen. Stattdessen wird der Markt – ursprünglich ein sozialer Ort des Austauschs –

durch ein metaphorisches Framing in ein Objekt mit klaren Grenzen, in eine Entität (eben ein

„System“) verwandelt, die einem wie ein Auto oder eine Maschine gegenüberstehen könnte. 48

Lakoff merkt zu Entitätsmetaphern allgemein an:

„Our experience of physical objects and substances provides a further basis for our under-

standing […]. Understanding our experiences in terms of objects and substances allows us to pick out parts of our experience and treat them as discrete entities or substances of a uniform

kind. Once we can identify our experiences as entities or substances, we can refer to them,

categorize them, group them, and quantify them – and, by this means, reason about

them“ (Lakoff 1980, S. 25).

48 Auch im Folgenden beziehe ich mich wieder explizit auf die Kognitionswissenschaften, um den Gebrauch von

Metaphern in ökonomischen Lehrbüchern zu explizieren. Um philosophische Verständnisse abseits der Kognitions-

wissenschaften geht es mir hier hingegen nicht (vgl. aber etwa Konersmann 2008 für einen Überblick). Vgl. grundle-

gend für die Analyse von Metaphern in den Kognitionswissenschaften Lakoff/Johnson 1980. Für ein Beispiel der

Analyse von Metaphern im Kontext der Wirtschaftswissenschaften vgl. etwa Pühringer/Hirte 2015.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

60

Wirtschaft zu verstehen bedeutet überwiegend, soziale Prozesse – Bedeutungs- ebenso wie

Handlungsprozesse – zu verstehen, die sich wechselseitig durchdringen und aufeinander be-

ziehen, ebenso wie jene Institutionen, die diese Prozesse formen, stabilisieren und lenken.

Samuelson und Nordhaus nehmen auf ein solches Verständnis auch zunächst Bezug, indem sie

Prozesse der Produktion, des Transports und des Konsums beispielhaft benennen (vgl. noch-

mals das vorherige Zitat aus ihrem Lehrbuch). Doch suchen sie sodann unmittelbar, diese

Komplexität deutlich zu reduzieren. Lakoff macht darauf aufmerksam, dass wir es in unserer

Sprache gewohnt sind, Dinge, die nicht klar begrenzt oder abgeschlossen sind, als Entitäten zu

beschreiben. Wir tun dies normalerweise, um damit einen bestimmten Zweck zu erfüllen: Wir

beschreiben eine städtische Situation etwa als eine bestimmte Straßenecke, damit wir uns an

dieser Ecke mit anderen Menschen verabreden und treffen können. Entitätsmetaphern dienen

als sprachliches Mittel, um durch Kommunikation Handlungen zu koordinieren (vgl. Lakoff

1980, S. 25).

Die Metapher ‚Der Markt ist ein System‘ taugt allerdings nicht, um metaphorisch auf einen Ort

zu verweisen, an dem man sich physisch treffen könnte. Dennoch wird er durch die Systemme-

tapher in eine Entität mit klaren Umgrenzungen gewandelt. Ein Grund für diese sprachliche

Vereinfachung wird dabei nicht angegeben, weder in handlungspraktischer noch in wissen-

schaftlicher Hinsicht. Der Zweck der Metaphernbildung bleibt vielmehr ebenso im Dunkeln,

wie diese Bildung insgesamt so nebenbei und selbstverständlich geschieht, dass sie wohl eher

unkritisch übernommen zu werden droht:

„Ontological metaphors [of which entity metaphors are a part, S.G.] are so natural and so

pervasive in our thought that they are usually taken as self-evident, direct descriptions of

mental phenomena. The fact that they are metaphorical never occurs to most of us“ (Lakoff

1980, S. 28-29).

4.3.3 Appell an die Autorität der Wissenschaft

Am Beispiel von Samuelson und Nordhaus lässt sich studieren, wie ökonomische Stan-

dardlehrbücher der Vorstellung des Marktes als Entität weiterhin Überzeugungskraft verleihen,

indem sie ebenso wie Read an Autoritäten appellieren. Read bemüht den Appell an die ‚Un-

sichtbare Hand‘, die er wiederum mit Gott assoziiert. Samuelson und Nordhaus sprechen

ebenfalls von einer „Unsichtbaren Hand“, doch appellieren sie dabei nicht direkt an einen Got-

tesglauben, sondern bemühen als Autorität vielmehr die Tradition der Wirtschaftswissenschaf-

ten. Genauer gesagt verweisen sie auf Adam Smith. Dies geschieht dabei auf eine Weise, die

kaum eine geistes- und ideengeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Werk des berühmten

schottischen Moralphilosophen erlaubt, sondern – durchaus in Ähnlichkeit zu Reads Gottes-

vorstellung – lediglich einen Autoritätsglauben auf der Ebene des Unbewussten zu vermitteln

vermag:

„Adam Smith erkannte als Erster, wie der Markt die komplexen Kräfte von Angebot und Nach-

frage organisiert. In einer der berühmtesten Textpassagen der gesamten Volkswirtschaftsleh-

re, die zu Beginn dieses Kapitels aus seinem Werk Der Reichtum der Nationen zitiert ist, er-

kennt Smith die Harmonie zwischen privaten und öffentlichen Interessen: Blättern Sie zurück

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

61

und lesen Sie dieses Paradoxon noch einmal. Beachten Sie dabei besonders die scharfsinnige

Aussage über die unsichtbare Hand – dass aus eigennützigen wirtschaftlichen Aktivitäten ge-

samtwirtschaftlicher Nutzen erwachsen kann, wenn diese in einen gut funktionierenden Marktmechanismus eingebettet sind.

Smith schrieb diese Worte im Jahr 1776 – übrigens in dem Jahr, in dem die amerikanische Un-

abhängigkeitserklärung veröffentlicht wurde. Es ist wohl kein Zufall, dass diese beiden Ideen

zur selben Zeit entstanden. Während die Amerikaner ihre Freiheit von der Tyrannei prokla-

mierten, predigte Adam Smith eine revolutionäre Doktrin, die Handel und Industrie den Fän-

gen einer feudalen Aristokratie entriss“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 60-61; Hervorhebung

im Original).49

Das Zitat von Smith ist hier aus seinem ursprünglichen Argumentationszusammenhang geris-

sen. So wird etwa nicht erwähnt, dass Smith die „unsichtbare Hand“ in seinem gesamten Grundlagenwerk nur einmal (eben an der zitierten Stelle) erwähnt, und hier eher metaphorisch

denn als „scharfsinnige Aussage“. Auch findet keine Beachtung, dass Smith die „unsichtbare Hand“ gerade nicht mit der Idee eines „gut funktionierenden Marktmechanismus“ koppelt. Selbst als Textfragment wird es von den Lehrbuchautoren in seinen ursprünglichen Aussagen

nicht diskutiert. Vielmehr sucht der gerade zitierte Textausschnitt von Samuelson und Nord-

haus auf einer ganz anderen Ebene zu überzeugen: Er sucht die Vorstellung einer unsichtbaren

(und damit nicht weiter hinterfragbaren) Koordination wirtschaftlicher Handlungen nicht durch

bewusst nachvollziehbare, sachliche und ideengeschichtlich fundierte Argumente zu unter-

mauern, sondern plausibel erscheinen zu lassen, indem er den Glauben an bzw. das Vertrauen

in die vermeintliche Quelle dieser Vorstellung stärkt. Dies geschieht auf rein sprachlicher Ebe-

ne etwa durch die Verwendung von Begriffen wie „Erster“, „berühmteste“ und „scharfsinnig“. Die großen Denker der Ökonomie, so wird hier am Beispiel von Smith deutlich, werden so zu

Autoritäten, an die man rhetorisch appelliert, um den eigenen Ansichten implizit Überzeu-

gungskraft zu verleihen, ohne aber je in einen wirklichen Austausch mit ihrem Werk zu treten

und eine tatsächliche geistes- und ideengeschichtliche Auseinandersetzung zu suchen.

Die Kunst der Überredung durch den Appell an (vermeintliche) Autoritäten findet zudem noch

eine andere Form: Der Frame der „unsichtbare[n] Hand“ wird mit jenem der amerikanischen

„Unabhängigkeit“ unmittelbar gekoppelt, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund angegeben

würde (allenfalls eine zeitliche Koinzidenz).50 So vermag die „unsichtbare Hand“ ihre Autorität dadurch zu beziehen, dass sie mit „Freiheit“, „Unabhängigkeit“ und „revolutionäre[r] Dokt-

rin“ positiv assoziiert wird51 und sich zudem von einem negativ konnotierten Bereich abgren-

49 Samuelson und Nordhaus zitieren Smith wie folgt: „Jeder Mensch ist bemüht, sein Kapital so einzusetzen, dass er

daraus den größtmöglichen Wert bezieht. Er möchte damit im Allgemeinen nicht dem öffentlichen Interesse dienen

und weiß auch nicht, wie sehr er diesem dient. Er hat ausschließlich seine eigene Sicherheit, seinen eigenen Nutzen

im Sinn. Und er wird dabei von einer unsichtbaren Hand geleitet, letztlich doch ein Ziel zu verfolgen, das nicht in

seiner Absicht lag. Indem der Mensch seinen eigenen Nutzen anstrebt, fördert er häufig den Nutzen der Gesell-

schaft wirksamer, als hätte er dies beabsichtigt.“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 55) In dieser Übersetzung fehlen

Passagen, ohne dass dies kenntlich gemacht würde. 50 Ein inhaltlicher Zusammenhang zur Unabhängigkeitserklärung lässt sich im Falle John Lockes nachweisen, dessen

Ideen diese Erklärung nachweislich inspirierten, nicht aber für Adam Smith. Vgl. Becker 1922. 51 In der Beeinflussungsforschung spricht man in solchen Fällen von der Technik der Virtue Words (Wörtern also, die

mit einem positiven Image verbunden sind). Vgl. etwa Hill 2015, S. 287.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

62

zen lässt – jenem der „Tyrannei“ und der „Fänge einer feudalen Aristokratie“.52 Zudem wird

die Framesemantik hier – ebenso wie bei Read – durch religiöse Konnotationen erweitert, al-

lerdings eher indirekt durch die Verwendung des Verbs ‚predigen‘.

4.3.4 Die Maschinenmetapher DES MARKTES

Samuelson und Nordhaus framen DEN MARKT nicht nur als System, sondern auch explizit als

Mechanismus. Insbesondere in dem Abschnitt The Market Mechanism fällt der ubiquitäre Ge-

brauch mechanischer Konzepte auf: „Mechanism“, „Balance Wheel“, „Market Equilibrium“, „Balance“, „Elaborate Mechanism“, „Supercomputer“, „Signal“, „Functioning“ (Samuel-son/Nordhaus 2010, S. 26-27). Allgemein soll der „genauere Blick“ (Samuelson/Nordhaus 2010,

S. 56) nicht nur die Sicht auf ein „System“ freigeben, sondern auch auf einen „Mechanismus“:

„Eine Marktwirtschaft ist ein überaus komplexer Mechanismus zur Koordinierung von Men-

schen, Handlungen und Geschäftsbeziehungen durch ein System von Preisen und Märkten.

Zugleich stellt der Marktmechanismus ein Kommunikationsmedium für das Wissen und die

Aktivitäten von Milliarden unterschiedlicher Akteure dar“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56-

57).

„Markt“, „[Markts]ystem“, „Marktwirtschaft“ und „Marktmechanismus“: All diese Begriffe werden hier sprachlich verarbeitet, als ob sie synonym wären.53 Auch wird zwischen „Mecha-nismus“ und „System“ nicht unterschieden. Stattdessen werden mechanische Konzepte über-

wiegend rein metaphorisch gebraucht.

Zu einem solchen metaphorischen Gebrauch ist zunächst einiges grundlegend zu bemerken,

wobei ich mich hier erneut auf die kognitionswissenschaftliche Forschung beziehe. Laut der

Conceptual Metaphor Theory der Kognitionswissenschaften strukturieren Metaphern unser

Denken, indem Teile der Framesemantik (also Inhalte und Strukturen eines Frames) einer

Quelldomäne gedanklich auf die – in der Regel abstraktere – Zieldomäne übertragen werden

(ein Vorgang, der als metaphorisches Mapping bezeichnet wird, vgl. etwa Gibbs 1996, Cit-

ron/Goldberg 2014 und grundlegend Lakoff/Johnson 1980). Insbesondere die kognitive Lingu-

istik und die Psycholinguistik legen nahe, Metaphern dabei nicht rein als Floskeln oder Redefi-

guren zu betrachten, sondern als eine besondere Form des Mental Mapping, das die Art und

Weise, wie Menschen im Alltag denken, argumentieren und imaginieren, grundlegend beein-

flusst. Dies soll insbesondere für abstrakte Konzepte gelten, die in Form von Metaphern struk-

turiert und mental repräsentiert werden (vgl. Gibbs 1996, S. 309).

Überträgt man diese grundlegende Überlegung auf die ökonomischen Lehrbücher, so bedeutet

dies, die Mechanik als Quelldomäne so zu nutzen, dass unser Denken in der (abstrakteren)

Zieldomäne der Wirtschaft durch sie wesentlich strukturiert wird. Doch wie soll dies konkret

möglich sein? Wichtig scheint mir hier zunächst der Vergleich mit der neoklassischen Theorie.

52 Dies ließe sich etwa als Technik der Polar Words oder der Black and White Fallacy identifizieren. Vgl. etwa Hill

2015, S. 282 und 276. 53 Vgl. auch „In Ländern mit hohem Einkommen findet der Großteil aller ökonomischen Aktivitäten auf privaten

Märkten – also durch den Marktmechanismus statt“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

63

Wie gesagt nimmt auch diese Bezug auf die Mechanik, aber in einer klar zu unterscheidenden

Weise: Wie im letzten Kapitel erläutert handelt es sich hier überwiegend um die Verwendung

von Analogien, d. h. um komplexe Vergleiche mit mehrstufigen, belastbaren Ähnlichkeitsrela-

tionen, bei denen sowohl in der Quell- als auch in der Zieldomäne umfangreiche Ausführungen

und Erläuterungen vorgenommen werden, um die Urteilsbildung im Bereich eines geschulten

Urteils dezidiert anzuregen.54 Bei Samuelson und Nordhaus hingegen wird etwas anderes

sichtbar, und zwar ein rein metaphorischer Gebrauch mechanischer Begriffe. Dies meint, dass

diese Begriffe in keinerlei explizite Reflexion über Ähnlichkeiten und mögliche Formen des

Vergleichs eingebettet sind. Ihre Verwendung mag zwar von den Autoren gezielt und bewusst

sein, aber in deutlichem Unterschied zur neoklassischen Theorie werden die Rezipient_innen

über diesen Gebrauch nicht aufgeklärt. Stattdessen werden Begriffe wie ‚Mechanismus‘, ‚Gleichgewicht‘ etc. wie beiläufig und selbstverständlich eingeführt – und dies, obwohl sie, wie

wir gleich sehen werden, eine zentrale Rolle sowohl im Argumentationsverlauf als auch in der

Definition des Marktbegriffes spielen.

Studierende finden in dem Text von Samuelson und Nordhaus keine Anleitung, wie das Mental

Mapping zwischen Quelldomäne (Mechanik) und Zieldomäne (Ökonomie) zu erfolgen hat. In

der Neoklassik erfordern die mechanischen Analogien ein genaues Verständnis der Ziel- und

der Quelldomäne, und die Bildung dieses Verständnisses leiten Autor_innen wie etwa Jevons

und Fisher klar an. Beide, Autor_innen und Leser_innen, müssen sich dabei in beiden Domä-

nen auskennen und bewusst argumentativ bewegen können. Dies gilt auch und gerade für die

Seite der Mechanik. Wie ich im letzten Kapitel am Beispiel Fishers und Jevons‘ gezeigt habe,

verfügten die frühen Neoklassiker dafür über eine weitgehende Kenntnis der Natur- und Inge-

nieurswissenschaften. Richtig ist zwar, dass auch sie ihre mechanischen Analogien nicht voll-

ständig bewusst vollziehen konnten, sondern auf ein geschultes Urteil setzen mussten, das

seinerseits auf unbewusster Intuition fußt. Aber dieser Bereich des kognitiv Unbewussten

bleibt klar begrenzt und ebenso klar an die bewusste Urteilsbildung angebunden (durch das in

Mechanik und Ökonomik gleichermaßen zum Einsatz kommende mathematische Forme-

linstrumentarium). Samuelson und Nordhaus hingegen sprechen zwar von einem „genauere[n]

Blick“ (vgl. nochmals Samuelson/Nordhaus 2010, S. 56), doch wird dieser nicht qualifiziert.

Stattdessen werden mechanische Begriffe in wirtschaftswissenschaftliche Argumentationen

eingelassen, ohne je einen expliziten Bezug zur Mechanik und ihrer theoretischen Erfassung

durch die Natur- und Ingenieurwissenschaft herzustellen. So wird DER MARKT beispielsweise

unmittelbar als „Marktmechanismus“ bezeichnet, aber eine Explikation des Begriffes ‚Mecha-nismus‘ findet in seiner ursprünglichen Domäne (eben der Mechanik) ebenso wenig statt, wie

die Übertragung dieses Begriffes auf die Zieldomäne in irgendeiner Weise angeleitet würde.

Auch werden mögliche Konsequenzen dieser Übertragung (was heißt es konkret für unser

Wirtschaftsverständnis, wenn wir Märkte wie Mechanismen denken?) und die Ziele der Ver-

wendung mechanischer Metaphern nicht diskutiert.

54 Vgl. für den Unterschied zwischen Metapher und Analogie, den ich hier stark zu machen suche, Hentschel 2010, S.

19-20.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

64

Vor diesem Hintergrund ist aus meiner Sicht näher zu erforschen, ob und wie mechanistische

Metaphern als „nicht-hinterfragbare, Denkform-bestimmende Elemente des Diskurses“ (Hent-

schel 2010, S. 22) angesehen werden können. Auch in dieser Frage kann ich hier wieder nur

einige, aber für diese Studie zentrale theoretische Überlegungen anstellen. Aus Sicht der Kog-

nitionsforschung ist obiges der Fall, wenn die Quelldomäne weitgehend unreflektiert und wie-

derholt auf die Zieldomäne (hier: die Wirtschaft) übertragen wird. Eine solche Art der (auf der

Seite der Rezipient_innen eher unbewussten) Verknüpfung nennt man in den Kognitionswis-

senschaften Hebbian learning. Vereinfacht ausgedrückt besagt dieses Konzept, dass neuronale

Zellen, die immer wieder gleichzeitig stimuliert werden, sich mit der Zeit so verbinden, dass sie

fortan gemeinsam aktiviert werden, selbst wenn nur eine stimuliert wird.55 Dies lässt sich da-

hingehend verallgemeinern, dass das Hebbian learning eine Art assoziativen Lernens impliziert,

bei der verschiedene Gruppen von Neuronen simultan aktiviert und dadurch die synaptischen

Verbindungen, die zwischen den Gruppen bestehen, mit der Zeit gefestigt werden (vgl. Hebb

1949). Eher alltagssprachlich gewendet meint dies:

„Wenn wir also mehrere Dinge gleichzeitig wahrnehmen – wie Bilder, Bewegungen, Emotio-

nen, Gerüche, Geschmäcke oder Geräusche – festigt sich die neuronale Vernetzung der ent-

sprechenden Neuronen-Gruppen untereinander. Und je häufiger wir dieselben Dinge gleich-

zeitig wahrnehmen, desto stärker entwickelt sich ein – irgendwann dann automatischer und

leicht aktivierbarer – Schaltkreis im Gehirn. Nur diejenigen Verbindungen, die auf diese Weise

über Erfahrung gestärkt werden, werden zur Grundlage unseres Denkens“ (Wehling 2016, S.

57).

Wichtig ist dabei, dass das Hebbian learning rein über sprachliche Erfahrung funktionieren

kann. Wenn wir durch Sprache angeleitet werden, immer wieder bestimmte Begriffe gleichzei-

tig wahrzunehmen, so lernen wir laut den Kognitionswissenschaften auch allmählich, deren

unterschiedliche gedankliche Deutungsrahmen gleichzeitig zu aktivieren und damit miteinan-

der zu verbinden. Hebbian learning besagt, dass sich, wenn diese gleichzeitige Aktivierung

immer wieder stattfindet, sozusagen ein neuer Schaltkreis von Assoziationen entwickelt, der

immer leichter und automatischer unser Denken bestimmt. Nochmals Wehling:

„Auch sprachliche Erfahrung verändert also unser Gehirn im Zuge des Hebbian Learning. Je öf-

ter wir Worte oder Sätze hören, die bestimmte Ideen miteinander assoziieren, desto selbst-

verständlicher wird diese Assoziation Teil unseres alltäglichen Denkens und formt langfristig

unsere Wahrnehmung“ (Wehling 2016, S. 58).

Begriffe wie ‚Mechanismus‘, ‚Gesetz‘ oder ‚Gleichgewicht‘ verweisen nicht auf genuin wirt-schaftliche Erfahrungen. Doch überträgt man die Erkenntnisse des Hebbian learning auf den

Bereich der Wirtschaftswissenschaft, so lässt sich annehmen, dass allein die beständige

sprachliche Verwendung mechanischer Metaphern gleichsam ein neues neuronales Netz zwi-

schen wirtschaftlichem und mechanistischem Denken auszubilden vermag. Wäre dies tatsäch-

lich der Fall, dann käme es dabei nicht mehr auf ein explizites Wissen im natur- und ingenieur-

55 „The general idea is an old one, that any two cells or systems of cells that are repeatedly active at the same time

will tend to become 'associated', so that activity in one facilitates activity in the other“ (Hebb 1949, S. 70). Und:

"When one cell repeatedly assists in firing another, the axon of the first cell develops synaptic knobs (or enlarges

them if they already exist) in contact with the soma of the second cell“ (Hebb 1949, S. 63).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

65

wissenschaftlichen Bereich an, sondern auf die Kopplung des wirtschaftlichen Denkens gleich-

sam mit einem mechanistischen Common Sense.

Mechanische Begriffe könnten also als wirtschaftliche Begriffe plausibel werden, sobald wir

gelernt haben, sie in unseren ökonomischen Sprachgebrauch einzubetten. Dies könnte etwa

wie folgt aussehen: Wenn in der Mechanik etwas ‚im Gleichgewicht‘ ist, dann mögen wir damit

zumindest grob assoziieren, dass zwei ‚gleiche Kräfte‘ in ‚entgegengesetzte Richtungen wir-

ken‘ müssen. Zugleich werden wir wahrscheinlich so etwas wie ein ‚Pendel‘ oder einen ‚He-bel‘ imaginieren, der in ‚Ruhelage‘ ist. Soll uns dieses Metaphoric Mapping gelingen, so müssen

wir diese Vorstellungen und Assoziationen, so vage sie auch sein mögen, auf den Bereich der

Wirtschaft übertragen. Etwa so: Wir imaginieren ‚Angebot‘ und ‚Nachfrage‘, als seien sie ‚Kräf-te‘, die an einem Punkt zur ‚Ruhe‘ finden. Doch Metaphern müssen nicht einfach nur die kogni-

tive Simulation einzelner Wortassoziationen fördern. Empirische kognitionswissenschaftliche

Studien zeigen, dass einzelne Wörter auf der Ebene unbewussten Denkens zumeist in eine

ganze Framesemantik eingebunden sind. So assoziieren Menschen etwa mit einem Satz wie

„Er schlug den Nagel ein“ deutlich häufiger den Begriff „Hammer“, als wenn sie den Satz „Er suchte den Nagel“ lesen (Johnson et al. 1973). Die Kognitionswissenschaften schließen aus

solchen Untersuchungen, dass einzelne Wörter (in diesem Fall „schlagen“) einen ganzen Frame aktivieren, der eine Menge gewöhnlichen Wissens und Erfahrungen beinhaltet, der diese Wör-

ter in einem Kontext begreifbar macht (vgl. Wehling 2016, S. 26ff.). Im Bereich der Metaphern

kann dies bedeuten, dass eine ganze Framesemantik, wie sie in der Quelldomäne gleichsam

automatisch aufgerufen wird, unbewusst zur Deutung von Begriffen in der Zieldomäne zur

Hilfe genommen wird.

Ob und wie das im Kontext der Wirtschaftswissenschaften und – weitergehend – im alltägli-

chen wirtschaftlichen Sprachgebrauch tatsächlich der Fall ist, wird zukünftig wohl nur eine

empirische Forschung zeigen können. Hier wäre etwa konkret zu analysieren, ob und wie me-

chanische Metaphern in der Ökonomie ein Mental Mapping begünstigen, welche das weitge-

hend entleerte, inhaltsleere Konzepte DES MARKTES auf eine für Studierende neue Weise an

Konzepte des konkret Erfahrbaren anbindet, aber nicht mehr des konkret wirtschaftlich Er-

fahrbaren, sondern eher an den alltäglichen Umgang mit Maschinen – etwa angefangen bei

der einfachen Wasserspülung von WCs über Mobiltelefone und Automatikgetriebe bei Autos

bis hin zu Belichtungsautomatiken bei Kameras. In diesem alltäglichen Umgang mögen wir

tatsächlich meist unbewusst darauf vertrauen, dass Maschinen funktionieren, ohne zu wissen,

wie sie funktionieren, und ihnen deswegen eine gewisse Selbsttätigkeit zusprechen, die im

wahrsten Wortsinn nicht weiter frag-würdig erscheint. Es wäre dies allerdings ein der Wirt-

schaft (und auch unserem sozialen Miteinander insgesamt) genuin fremdes Vertrauen, das

allein durch den ‚neuronalen Superkleber‘ der Sprache tief in wirtschaftliche gedankliche Deu-

tungsrahmen einzulassen wäre. Könnte damit, um nochmals die Worte von Mankiw zu ver-

wenden, das „abstrakte“, „nicht dinghafte“ Konzept des Marktes (Mankiw 2014, 17; Überset-

zung: S. G.) auf der Ebene des Unbewussten tatsächlich auf eine Weise denkbar werden, die

nicht mehr der Kontrolle des bewussten Verstandes unterliegt?

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

66

Hier kann ich diese Erforschung der möglichen Wirkungen mechanischer Metaphern nicht

weiter verfolgen. Stattdessen gehe ich näher der Frage nach, wie mechanische Metaphern in

den Lehrbuchkontext eingeführt werden. Hierfür kehre ich zu meiner exemplarischen Analyse

des Abschnitts Der Marktmechanismus im Lehrbuch von Samuelson und Nordhaus zurück. DER

MARKT ist, wie bereits skizziert, vor diesem Abschnitt bereits in einen politischen und ideologi-

schen Frame eingebettet, der nicht rational verstanden, sondern allenfalls stillschweigend als

Glaube vorausgesetzt werden kann. Hier nun wird er an Konzepte, die aus der Mechanik

stammen, angebunden. Dies geschieht, wie gesagt, nicht durch (bewusst gemachte) Analogien

aus der Physik und nicht unter Zuhilfenahme mathematischer Sprache. Stattdessen machen

Samuelson und Nordhaus von einer Strukturmetapher Gebrauch (vgl. Lakoff 1980, S. 14): DER

MARKT oder DIE MÄRKTE werden schlicht als Mechanismus bzw. als Mechanismen bezeichnet,

sodass erstere Konzepte unmittelbar metaphorisch durch die letzteren strukturiert werden:

„Ein Markt ist ein Mechanismus“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 57; Hervorhebung: S. G.).

Weitergehend werden dann DER MARKT oder DIE MÄRKTE sprachlich so gefasst, als wären sie

nicht einfach nur Dinge, sondern selbständig handelnde Akteure: maschinengleiche Subjekte,

die für sich und aus sich selbst heraus autonom handeln, Vorgänge steuern sowie regeln und

dabei nach festgelegten Plänen oder in Bezug auf festgelegte Zustände vorgehen können. Hier-

für stellen Samuelson und Nordhaus explizit Bezüge zwischen DEM MARKT und Maschinen sowie

Mechanismen her, die klar von jenen der neoklassischen Theorie unterscheidbar sind. Denn

ihnen geht es nicht darum, ein Modell des Marktes analog zu einem Maschinenmodell (etwa

eines Hebels oder eines Systems kommunizierender Röhren) bewusst zu konstruieren;56 eher

regen sie unterhalb der Schwelle des Bewusstseins im Sinne eines Hebbian learnings die Knüp-

fung neuer Assoziationen an, die rein sprachlicher Natur sind. Es seien hier zwei Beispiele ge-

nannt:

„Weil sie einen Ausgleich zwischen allen in der Wirtschaft wirkenden Kräften herstellen, be-

wirken die Märkte ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage“ (Samuel-

son/Nordhaus 2010, S. 58).

„Der Markt ermittelt den Gleichgewichtspreis“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 58).

Hier werden DER MARKT und DIE MÄRKTE so dargestellt, als handelten sie wie maschinelle Sub-

jekte. Zunächst wurden sie im Sinne einer ontologischen Metapher von jeglichem konkreten

sozialen Bezug einerseits und jedem Bezug zu objektiven Theorievorstellungen andererseits

entblößt. Nun wandeln sie sich zudem gleichsam unter der Hand in aktive Apparate. Dieser

Wandel vollzieht sich dabei gerade nicht durch bewusste Kopplung wirtschaftlicher Konzepte

mit mechanischen im Kontext von Analogien. Stattdessen wird das weitgehend inhaltsleere

Konzept DES MARKTES unmittelbar an alltäglich-selbstverständliche Erfahrung etwa im Umgang

mit Computern angebunden und diese Erfahrung dabei zugleich ins Groteske übersteigert:

56 An anderer Stelle außerhalb seines Lehrbuchs lehnt Samuelson es sogar explizit ab, Analogien zur Mechanik her-

zustellen: „There is really nothing more pathetic than to have an economist or a retired engineer try to force analo-gies between the concepts of physics and the concepts of economics. How many dreary papers have I had to refer-

ee in which the author is looking for something that corresponds to entropy or to one or another form of energy.

Nonsensical laws, such as the law of conservation of purchasing power, represent spurious social science imitations

of the important law of the conservation of energy“ (Samuelson 1973, S. 8-9).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

67

„Ohne jede zentrale ‚Intelligenz‘ und ohne Vorausberechnung löst er [der Marktmechanismus,

S.G.] die Probleme der Produktion und Verteilung mit ihren Milliarden unbekannter Variablen

und Beziehungen, die jeden der schnellsten Supercomputer bei Weitem überfordern wür-

de“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 57).

In einem nächsten Schritt erweitern Samuelson und Nordhaus nun die Framesemantik der

Maschine nochmals um einen weiteren Aspekt – und dies erneut, ohne es im Rahmen bewuss-

ter Argumentation zu begründen: Die Grundvorstellungen von Maschine als ‚automatisch‘ und ‚regelhaft‘ werden mit Vorstellungen von Aktionen gekoppelt, die normalerweise nur Men-

schen ausführen können. Es findet damit unmittelbar eine Personifikation DES MARKTES (bzw.

der synonym verwendeten Begriffe) statt.57 Ein Beispiel:

„Und dabei, mitten in all diesem Trubel, lösen die Märkte selbsttätig die Probleme des Was,

Wie und Für wen. Weil sie einen Ausgleich zwischen allen in der Wirtschaft wirkenden Kräften

herstellen, bewirken die Märkte ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage“ (Sa-

muelson/Nordhaus 2010, S. 58; Hervorhebung: S. G.).

Hier werden mechanistische Metaphern („Gleichgewicht“, „Ausgleich“) mit einem Anthropo-morphismus gekoppelt, insofern Märkten menschliche Fähigkeiten des Problemlösens zuge-

schrieben werden, die normalerweise gerade nicht Eigenschaften von Maschinen sind, son-

dern eher intelligentes Handeln und bewusste Denkprozesse implizieren. DIE MÄRKTE avancie-

ren damit gleichsam zu Superakteuren, die kreative menschliche Eigenschaften mit dem Re-

gelhaften und Automatischen von Maschinen verbinden.

Doch wie bestimmen Märkte nun tatsächlich Preise, Löhne und Produktion? Diese Frage stel-

len Samuelson und Nordhaus, um sie sodann zunächst an alltägliche Erfahrungen anzubinden:

„Doch wie bestimmen die Märkte Preise, Löhne und Produktion? Ursprünglich war ein Markt

einfach ein Ort, an dem Käufer und Verkäufer physisch, von Angesicht zu Angesicht gegen-

übertraten. Der Marktplatz – man stelle sich ruhig Butterberge, Käsepyramiden, frische Fische

und Kisten voller Gemüse vor – war in vielen Dörfern und Städten ein gewohnter An-

blick“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 57).

Ist DER MARKT tatsächlich als Maschine, als Supercomputer zu begreifen? Hierüber ließe sich

trefflich streiten, dränge diese Metaphernwahl tatsächlich ins Bewusstsein. Doch Samuelson

und Nordhaus umgehen in der gerade zitierten Passage diese Auseinandersetzung, indem sie

den Marktbegriff unvermittelt (wieder) an seine (wahrscheinlich) unbestrittene Kernbedeu-

tung im Rahmen des unreflektierten Common Sense rückkoppeln, wie er in der alltäglichen

Erfahrung des (geldförmigen) Austauschs von Waren begründet liegt. Damit erklären sie aber

gerade nicht, wie Märkte als Mechanismen funktionieren sollen, sondern verschaffen dieser

Vorstellung eher eine Art Scheinlegitimation auf der Ebene unbewusster Zustimmung.

Im Anschluss an die alltäglichen Beispiele werden sodann unmittelbar nicht weniger als neun

verschiedene Märkte in nur zwei Absätzen aufgezählt, vom Weizenmarkt über Auktionshäuser,

Emissionsmärkte und Aktienmärkte bis hin zu E-Commerce und Finanzmärkten. Zudem findet

sich der Hinweis: „Es gibt Märkte für fast alles“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 57). Auch diese

57 Vgl. zum Konzept der Personifikation etwa Lakoff 1980, S. 33ff.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

68

Beispiele klären die Grundfrage, wie Märkte nun tatsächlich Preise, Löhne und Produktion

bestimmen, nicht. Stattdessen passiert hier eher etwas anderes: Die Kognitionswissenschaften

sprechen von zwei unterschiedlichen kognitiven Prozessen, durch die Menschen normaler-

weise Informationen verarbeiten können: entlang einer sog. zentralen Route, bei der eine kriti-

sche gedankliche Auseinandersetzung stattfindet, und entlang einer sog. peripheren Route, bei

der sich Menschen an oberflächlichen Hinweisen ohne weiteres kritisches Nachdenken orien-

tieren (vgl. das Elaboration Likelihood Model of Persuasion, dabei grundlegend: Petty/Cacioppo

1986). Auch wenn experimentelle Forschungsergebnisse nicht eindeutig sind, so geht die Be-

einflussungsforschung dennoch überwiegend davon aus, dass eine schiere Fülle von Informati-

onen die Wahrscheinlichkeit einer Informationsverarbeitung entlang der peripheren Route

erhöht und somit ein heuristic processing, d. h. eine einfache und schnelle (und dadurch unkri-

tische) Beurteilung durch das System 1, zumindest wahrscheinlich macht (zum heuristic pro-

cessing allgemein vgl. Chaiken 1980). Auch mag hier wie bei Read eine conceptual fluency zum

Tragen kommen: Weitere Arbeiten der Kognitionsforschung weisen darauf hin, dass schiere

Aufzählungen oder Wiederholungen die Leichtigkeit der Informationsverarbeitung erhöhen

und dies wiederum die Wahrscheinlichkeit steigert, dass Menschen die Informationen insge-

samt positiv einschätzen und damit leichter glauben (vgl. Lee/Labroo 2004). Dies liegt daran,

dass Menschen aus der Art der Informationsverarbeitung oftmals unbewusst auf den Informa-

tionsgehalt selbst schließen. So kann sich hier die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Studieren-

den zwar keine Antwort auf die Frage, wie Märkte Preise, Löhne und Produktion bestimmen,

gegeben wird, in ihrem Unbewussten aber dennoch der Eindruck entsteht, dies sei irgendwie

glaubhaft geschehen.

Im Anschluss an die Aufzählungen unterschiedlicher Marktformen geben Samuelson und

Nordhaus folgende Definition des Marktbegriffs:

„Ein Markt ist ein Mechanismus, mit dessen Hilfe Käufer und Verkäufer miteinander in Bezie-hung treten, um Preise und Mengen einer Ware, einer Dienstleistung oder eines Vermögens-

wertes zu ermitteln“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 57).

Auch dies klärt die Grundfrage nach der Bestimmung von Preisen, Löhnen und Produktionen

nicht. Stattdessen ist der Kopulasatz „Ein Markt ist ein Mechanismus“ syntaktisch simpel und

semantisch leer, da „ist“ lediglich eine Kopula ohne weitere inhaltliche Bestimmung darstellt.

Es besagt definitiv nicht, wie ein Markt als Mechanismus funktionieren könnte und wie dies

wiederum mit seiner Aufgabe in Verbindung stehen könnte, Preise, Löhne und Produktion zu

bestimmen. Doch statt eine Reflexion über die Sinnhaftigkeit der Maschinenmetapher (und

damit eine Informationsverarbeitung entlang der zentralen Route) anzuregen, wird diese Form

semantisch armer Definition im weiteren Verlaufe des Textes schlicht wiederholt, so etwa auf

folgende Weise:

„All das klingt sehr kompliziert. Aber es vermittelt uns ein Gesamtbild des eng verwobenen

Netzes abhängiger Angebote und Nachfragen, die durch den Marktmechanismus so mitei-

nander verbunden sind, dass die volkswirtschaftlichen Grundfragen des Was, Wie und Für

wen gelöst sind“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 60).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

69

Damit wird die Maschinenmetapher durch immer neue Wiederholungen weiter gefestigt, ohne

dass sie substantiell erläutert oder in eine tatsächliche Analogie gewandelt würde.

4.3.5 Erweiterung der Framesemantik DES MARKTES: Preise

In diesem und dem folgenden Abschnitt möchte ich nun, erneut exemplarisch, aufzeigen, wie

sich das semantische Netzwerk, das die ökonomischen Standardlehrbücher um DEN MARKT

knüpfen, durch die Einführung weiterer Konzepte, wie etwa jener der Preise, des Angebots

und der Nachfrage, ausweiten und zugleich immer tiefer im Unbewussten verankern lässt.

Bei Samuelson und Nordhaus wird deutlich, wie die ökonomische Standardlehre anleiten kann,

um DEN MARKT herum ein zunehmend komplexeres semantisches Netzwerk zu knüpfen, in das

schrittweise immer mehr ökonomische Grundbegriffe eingelassen werden, ohne dabei je die

vorreflexive Vorstellung von der Wirtschaft als gesetzmäßig handelndem Akteur in Frage zu

stellen. Im Gegenteil wird diese Vorstellung immer weiter verfestigt. Ein erster Schritt besteht

dabei darin, zu fokussieren, was Studierende in Sachen Wirtschaft überhaupt als relevante

Fakten oder Fragen betrachten können. In der Kognitionsforschung spricht man von der Etab-

lierung der issue defining frames: Diese legen fest, welche Fragen überhaupt gestellt werden

können, welche Themen behandelt und in welchen Rahmen Argumente und Fakten gesetzt

werden (vgl. Lakoff/Wehling 2016, S. 81). Im Rahmen des Standardlehrbuchs von Samuelson

und Nordhaus geschieht dies wie folgt: Was Studierende auch immer für Fragen zu Beginn

ihres Studiums mitbringen und als wesentlich erachten mögen, innerhalb von wenigen einfüh-

renden Seiten wird allein noch die Frage der Preisbildung behandelt; erst vor deren Hinter-

grund bzw. mit ihrer Hilfe werden dann in späteren Abschnitten des Lehrbuchs weitere öko-

nomische Themen aufgegriffen. Ein Grund, warum sich Studierende ausgerechnet für die

Preisbildung interessieren sollten, wird dabei nicht mitgeteilt. Dieser Frame wird zwar etabliert,

selbst aber nicht begründet.

Am Beispiel von Walras sahen wir bezüglich der neoklassischen Theorie, dass sich allein aus

der ursprünglichen Erfahrung, Waren gegen Geld zu tauschen, ein adäquater Frame speisen

kann, um im Bereich der Wirtschaft mathematisch denken und (weitestgehend) objektiv ar-

gumentieren zu können. Die Fokussierung auf die Preise geschieht also, weil sich dieser Pro-

zess als gedanklicher Deutungsrahmen für eine wissenschaftliche Modellbildung am ehesten

anbietet. Sie passiert dezidiert nicht, weil die (reale) Wirtschaft hauptsächlich von preisförmi-

gen Phänomenen dominiert wäre, sondern weil nur sie ein mathematisches Denken aus der

Perspektive des Blicks von nirgendwo (Nagel 2005) ermöglicht. In der ökonomischen Standard-

lehre, insofern sie von Samuelson und Nordhaus geprägt ist, findet sich von dieser grundle-

gend wissenschaftsbasierten Argumentation wenig. Statt einen im unreflektierten wirtschaftli-

chen Common Sense vorhandenen Frame zu nutzen, um darauf eine wissenschaftliche Argu-

mentation aufzubauen, wird dieser Common Sense unterschwellig umgedeutet. Dies gilt es im

Folgenden detaillierter zu zeigen. Hierbei beziehe ich mich auf die 18. Auflage der Economics

von Samuelson und Nordhaus, in der der in der 19. Auflage genannte Abschnitt Der Marktme-

chanismus in der internationalen Ausgabe noch mit What is a Market? überschrieben ist.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

70

Zunächst wird hier eine allgemeine, erfahrungsbezogene Aussage getroffen, die trivial ist (so-

fern man bereits akzeptiert hat, dass wirtschaftliche Erfahrung mit marktwirtschaftlicher Er-

fahrung, d. h. dem geldförmigen Warentausch, gleichzusetzen ist): „In a market system, every-thing has a price, which is the value of the good in terms of money“ (Samuelson/Nordhaus

2005, S. 27). Hierbei handelt es sich zunächst um eine Verankerung der Argumentation in ei-

nem unreflektierten Common Sense, der im „Schatz [der] allgemeine[n] Erfahrung“, um noch-mals den Begriff von Wiesers (1929, S. 16) aufzugreifen, weitgehend unbestritten sein dürfte.

Doch unmittelbar im Anschluss werden Preise sodann als Repräsentationen menschlicher Ent-

scheidungen klassifiziert und als solche unmittelbar positiv konnotiert: „Prices represent the terms on which people voluntary exchange different commodities“ (Samuelson/Nordhaus

2005, S. 27).

Für beides, Repräsentation und positive Konnotation (vgl. erneut die Technik der Virtue Words),

wird kein Argument angeführt. Stattdessen wird sprachlich so formuliert, als würde hier eine

allgemeine Erfahrung schlicht widergespiegelt. Dies aber weicht von der Vorstellung einer ob-

jektiven Wissenschaft ab: Die neoklassische Theorie nutzt lebensweltliche Vorstellungen von

Preisen und Quantitäten, um sie mittels Abstraktion in eine Idealwelt mathematischer Glei-

chungen zu überführen und sodann in dieser Welt objektiv mit ihnen zu argumentieren. Preise

repräsentieren hier folglich keine Bedingungen tatsächlicher Tauschakte, noch weniger impli-

zieren sie eine (real) vorhandene Freiwilligkeit. Sie bilden vielmehr den Frame einer einheitli-

chen Rechengröße (Numéraire), welche den Weg zur rein mathematischen Abstraktion öffnet.

Samuelson und Nordhaus aber markieren diesen Ausgangspunkt mathematischer Argumenta-

tion nicht als solchen, noch weniger leiten sie dazu an, die damit einhergehende Abstraktions-

leistung bewusst zu vollziehen. Auch geben sie nicht an, welchen Zwecken diese dienen könnte

(eben der objektiven Theoriebildung). Stattdessen koppeln sie die abstrakte Frage nach der

Preisbildung im Allgemeinen unvermittelt an ein einfaches lebensweltliches Beispiel:

„When I agree to buy a used Ford from a dealer for $8050, this agreement indicates that the

Ford is worth at least $8050 to me and that the $8050 is worth as least as much as the Ford to

the dealer“ (Samuelson/Nordhaus 2005, S. 27).

Dieses Beispiel ist kaum geeignet, eine bewusste Theoriebildung anzuregen. Eher wird hier

eine unwillkürliche Zustimmung im Bereich des kognitiven Unbewussten erzeugt, insofern das

Beispiel selbst unmittelbar einleuchtend erscheint. Unmittelbar im Anschluss wird sodann ein

allgemeiner Schluss gezogen:

„The used-car market has determined the price of a used Ford and, through voluntary trading,

has allocated this good to the person for whom it has the highest value“ (Samuel-

son/Nordhaus 2005, S. 27).

Dieser Schluss ist nach den Regeln objektiver Wissenschaft unzulässig: Aus einem singulären,

erfundenen Beispiel eines Tauschakts lässt sich nichts über einen gesamten Tauschmarkt fol-

gern (und schon gar nicht in der Metapher des Marktes als handelnder Akteur). Wenn ich mit

Ihnen einen Ford gegen Geld tauschte, dann wäre dies eine soziale Interaktion, an dessen Ende

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

71

zwei menschliche Entscheidungen für einen Besitzwechsel stünden. Nicht weniger, aber, und

das ist hier entscheidend, auch nicht mehr. Rückschlüsse lassen sich daraus weder für ‚den

Gebrauchtwagenmarkt‘ noch gar für die Märkte im Allgemeinen ziehen. Wissenschaftstheore-

tisch gesehen ist die Aussage schlicht sinnlos, weil das gewählte Beispiel keinen exemplari-

schen Charakter hat.

Doch vermag es womöglich einen anderen Zweck zu erfüllen: Seine Inhalte werden wahr-

scheinlich unkritisch im kognitiv Unbewussten verarbeitet, d. h. ohne die Kontrollfunktion des

Systems 2 einzuschalten. Sodann kann es dafür genutzt werden, um auf dieser heuristischen

Ebene den Schluss zu suggerieren, es existiere DER MARKT gleichsam als handelnder Akteur hin-

ter dem Rücken von Menschen. Rein sprachlich leiten Samuelson und Nordhaus etwa zu der

folgenden unbewussten Assoziation an: Weder Sie noch ich haben uns für den Tausch bewusst

entschieden, sondern DER MARKT hat uns zu diesem Tausch gebracht – und zwar, ohne dass Sie

oder ich dies bemerkt hätten. Und die Zauberwaffe, die er dabei benutzte, waren eben die

Preise. 58 Bei Mankiw wird diese rhetorische Vorgehensweise nochmals deutlicher:

„If a person had never seen a market economy in action, the whole idea might seem

preposterous. Economies are large groups of people engaged in many interdependent activi-

ties. What prevents decentralized decision making from degenerating into chaos? What coor-

dinates the actions of the millions of people with their varying abilities and desires? What en-

sures that what needs to get done does in fact get done? The answer, in a word, is prices. If

market economics are guided by an invisible hand, as Adam Smith famously suggested, then

prices are the baton that the invisible hand uses to conduct the economic orchestra“ (Mankiw

2014, S. 67; Hervorhebung: S. G.).59

Mankiw, so scheint mir, weiß hier unsere alltägliche Ignoranz gegenüber sämtlichen sozialen

Kontexten zu nutzen, die in und um eine jede geldförmige Handlung, also um jede Realabstrak-

tion des Geldes existieren. Er gibt vor, die durch diese Ignoranz entstehenden Wissenslücken

durch den Frame eines allmächtigen, aber letztlich unverständlichen Akteurs, eben DES MARK-

TES, schließen zu können, der sich die Preise zu Hilfe nimmt, um Menschen unter seine Eigen-

gesetzlichkeit zu zwingen. Dieser Akteur existiert (im Gegensatz zum rein geldförmigen, singu-

lären Tauschakt) aber nicht in unserer Erfahrung, er wird lediglich im Zuge eines Metaphoric

Mapping sprachlich mit der Erfahrung des geldförmigen Tausches gekoppelt.

Die Wissenslücke, die in unserer wirtschaftlichen Erfahrung normalerweise klafft, hat der No-

belpreisträger der Wirtschaftswissenschaften James Buchanan einmal drastisch so formuliert:

„In dieser klassischen Bedeutung ist der Tausch vollkommen unpersönlich, was genau dem

Idealtypus von Interaktion entspricht. (...) Der Händler am Obststand verdrischt vielleicht sein

Pferd, erschießt Hunde und verspeist Ratten. Doch keine dieser Eigenschaften braucht mei-

nen Tausch mit ihm, der sich ja nur auf das Ökonomische bezieht, zu beeinflussen“ (Buchanan

1984, S. 25).

58 In der 19. Auflage verläuft die Argumentation ein wenig anders, die Rolle DES MARKTES bleibt aber die gleiche. Es

heißt hier: „At a deeper level, prices represent the terms on which different items can be exchanged. The market price of a bicycle might be $500 while that of a pair of shoes is 50. In essence, the market is saying that shoes and

bicycles trade on a 10-to1-basis“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 27). 59 Vergleiche hier nochmals den Text I, Pencil von Donald Read und die Argumentation Hayeks (1945).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

72

Statt aber dem Alltagsverstand zu helfen, sich über diese Lücke zu verwundern und sie in der

Folge zunehmend zu schließen, fordern Mankiw ebenso wie Samuelson und Nordhaus dazu

auf, sie durch den schlichten Gebrauch von Metaphern so zu schließen, dass jede weitere

Nachfrage überflüssig zu werden scheint. Wie ich mich in ein Konzert begebe im Vertrauen

darauf, dass der Dirigent irgendwie sein Orchester anzuleiten versteht, wie ich mich mit Ma-

schinen umgebe im Vertrauen darauf, dass sie irgendwie funktionieren, so sollen Studierende

der Volkswirtschaftslehre lernen, weiterhin Geld gegen Ware zu tauschen im bloßen Vertrauen

darauf, dass dieser Tausch nicht einfach nur irgendwie, sondern mit der gleichen Präzision und

Zuverlässigkeit wie ein harmonisch dirigiertes Orchester oder ein gut geölte Maschine funktio-

nieren wird – und dies nicht nur auf der Ebene einzelner Tauschakte, sondern auch auf (ge-

samt-)gesellschaftlicher Ebene.

Man mag hier vielleicht einwenden, dass man auch nicht alles präzise wissen könne oder brau-

che. Dies mag richtig sein. Aber das Problem, so scheint mir, liegt an anderer Stelle. Denn

durch ökonomische Standardlehrbücher sollen junge Menschen zu Expert_innen der Wirt-

schaft ausgebildet werden. Es ist also in etwa so, als ob man angehenden Ingenieur_innen in

ihren einführenden Lehrveranstaltungen erklärte, es säße ein deus ex machina in jeder Ma-

schine und mehr müssten sie über dessen Funktionsweise nicht wissen. Es ist, als würde man

angehenden Dirigent_innen erklären, das Orchester würde schon funktionieren, sobald sie nur

ihren Taktstock schwängen. Hier werden keine Laien, sondern angehende Ökonom_innen an-

geleitet, unterschwellig mit allen wirtschaftlichen Handlungen nicht nur die Annahme eines

alles determinierenden, zugleich aber jenseits der bewussten Erkenntnis liegenden Akteurs zu

verbinden, sondern auch, auf diesen blind zu vertrauen.

Ich wende mich wieder dem Text von Samuelson und Nordhaus zu. In dessen weiterem Verlauf

kommt nun die sog. Signalfunktion von Preisen zu Sprache.60 Damit wird erneut eine Metapher

aus dem Bereich der Technik (vgl. etwa das Funksignal in der Nachrichtentechnik) in die öko-

nomische Framesemantik eingelagert. Dies geschieht dabei auf eine Weise, die den Eindruck

erweckt, es handele sich gerade nicht um ein theoretisches Konstrukt, sondern eine weitge-

hend ‚unmittelbare‘ Beschreibung von Wirklichkeit:

„In addition, prices serve as signals to producers and consumers. If consumers want more of

any good, the price will rise, sending a signal to producers that more supply is needed. When

a terrible disease reduces beef production, the supply of beef decreases and raises the price

of hamburgers. The higher price encourages farmers to increase their production of beef and,

at the same time, encourages consumers to substitute other foods for hamburgers and beef

products“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 2761).

Das Bild der Wirtschaft, das hier eher mehr als weniger implizit vermittelt wird, ist das eines

harmonischen und zugleich mit der Präzision einer Maschine ablaufenden Vorgangs, der zu-

dem in der Lebenswelt existentiell notwendig erscheint: Preise helfen dem Konsumenten bzw.

der Konsumentin, dass er oder sie mehr bekommt. Sie gleichen natürliche und zugleich fürch-

60 Auch diese Idee geht wesentlich auf Hayek (1945) zurück. 61 Ab hier verläuft die Argumentation in der 19. Auflage (2010) wieder identisch.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

73

terliche Vorkommnisse wie bedrohliche Katastrophen aus. Sie bestärken und fördern uns, das

Richtige zu tun. Samuelson und Nordhaus arbeiten hier, bewusst oder unbewusst, mit einer

Rhetorik, die der Beeinflussungstechnik der Halbwahrheit zumindest nahe kommt.62 Denn ihre

Aussagen verfügen einerseits über ein Element unmittelbar lebensweltlicher Plausibilität. Sie

vermögen ein Teil unserer alltäglichen wirtschaftlichen Erfahrung widerzuspiegeln, und dies

verleiht ihnen ihre Überzeugungskraft. Transportiert wird aber zugleich eine weitere, keines-

wegs selbstverständliche Botschaft, auf die sich der Eindruck unmittelbarer Plausibilität gleich-

sam übertragen soll: Die exemplarischen (und ausschließlich positiv konnotierten) Aussagen,

die keine Empirie, sondern lediglich ausgewählte Gedankenexperimente darstellen, werden

unmittelbar an allgemeine Aussagen über Märkte im Allgemeinen gekoppelt, die sogleich als

‚wahr‘ bezeichnet werden:

„What is true of the markets for consumer goods is also true of markets for factors of produc-

tion, such as land and labor. If more computer programmers are needed to run internet busi-

nesses, the price of computer programmers (their hourly wage) will tend to rise. The rise in

relative wages will attract workers into the growing occupation“ (Samuelson/Nordhaus 2010,

S. 27; Hervorhebung: S. G.).

Auch hier finden sich weder Hinweise darauf, dass es sich bei der neoklassischen Preistheorie

originär um ein abstrakt-mathematisches Modell handelt, noch darauf, wie der alltägliche

Common Sense angeregt werden könnte, sich dem Sog der Plausibilität von Halbwahrheiten zu

entziehen (etwa durch Bezugnahme auf einen alternativen Frame, der Preisbildung beispiels-

weise auf Arbeitsmärkten – Stichwort: Löhne – als ein Aushandeln von Machtpositionen be-

schreibt, vgl. etwa Häring 2010, S. 133ff.). Stattdessen wird eine stereotype Vorstellung von

den Preisen gebildet, die Samuelson und Nordhaus in der anschließenden Textpassage sodann

unmittelbar in die Framesemantik des Marktes als Maschine einbinden. Auch hier fungiert die

Sprache als ‚neuronaler Superkleber‘; reflexive Bezüge zu tatsächlich wirtschaftlichen Erfah-

rungen werden nicht hergestellt:

„Prices coordinate the decisions of producers and consumers in a market. High prices tend to

reduce consumer purchases and encourage production. Lower prices encourage consumption

and discourage production. Prices are the balance wheel of the market mechanism“ (Samuel-

son/Nordhaus 2010, S. 27).

Diesen Abschnitt der Studie beschließend sei bemerkt, dass es im Hinblick auf die Erklärung

der Funktionsweise DER PREISE in ökonomischen Standardlehrbüchern beharrlich zu einem ekla-

tanten Widerspruch kommt, der wohl auffallen müsste, fände der Bildungsprozess auf der

Ebene eines logisch geschulten Verstandes statt. Exemplarisch lässt sich dieser Widerspruch

etwa in Mankiws Economics verdeutlichen. Im vorherigen Kapitel erwähnte ich die Annahmen

der ‚vollständigen Konkurrenz‘, die es dem geschulten Urteil erlauben, den alltäglichen Com-

mon Sense des geldförmigen Tausches an der Schwelle zwischen bewusster und unbewusster

Kognition so weit im Sinne von Annahmen zu spezifizieren, dass ein tatsächlich ökonomisches

Verständnis ansonsten rein objektiver mathematischer Formelwelten möglich wird. Unter dem

62 „The Half-Truth technique involves combining a deceptive statement with statements that have some element of

truth“ (Hill 2015, S. 280).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

74

Begriff competitive markets nimmt Mankiw Bezug auf dieses Set von Annahmen, allerdings

ohne auf dessen Rolle im Rahmen objektiver Theoriebildung aufmerksam zu machen. Stattdes-

sen führt er dieses Set einerseits sprachlich so ein, als handele es sich schlicht um ein Abbild

von Realität: „A competitive market is a market in which there are many buyers and many sellers so that each has a negligible impact on the market price“ (Mankiw 2014, S. 42).

Andererseits spricht er von einem ‚Modell von Angebot und Nachfrage‘, das die Eigenschaften

eines Marktes mit vollständiger Konkurrenz aufweise (vgl. Mankiw 2014, S. 42). Sogleich rückt

er den Marktbegriff dann wieder in die Nähe einer (neutralen) Beschreibung von Realität:

„Despite the diversity of market types we find in the world, we begin by studying perfect

competition. Perfectly competitive markets are the easiest to analyze. Moreover, because

some degree of competition is present in most markets, many of these lessons that we learn

by studying supply and demand under perfect competition apply in more complicated mar-

kets as well“ (Mankiw 2014, S. 43).

Auf diese Weise bleibt der eigentliche erkenntnistheoretische Sinn der Annahmen vollständi-

ger Konkurrenz unerhellt. Es wird kein geschultes Urteil gebildet, das zwischen unreflektiertem

Common Sense und objektiver Argumentation vermitteln könnte. Stattdessen kommt es zu

einer Verwirrung über das Verhältnis von Theorie und Praxis. Welche Bedeutung aber kommt

unter diesen Umständen dann den Annahmen der vollständigen Konkurrenz zu? Was ist etwa

mit der Annahme, dass in einem Markt mit vollständiger Konkurrenz alle Akteur_innen verein-

zelt handeln und als solche keinen Einfluss auf die Preisbildung nehmen können (Annahme

aller Akteur_innen als ‚Preisnehmer_innen‘)? Ist sie Teil eines theoretischen Modells? Oder

eine Aussage über Wirklichkeit? Interessanterweise ist weder das eine noch das andere der

Fall. Vielmehr wird etwa bei Mankiw deutlich, wie wenig die in der neoklassischen Theorie

vormals so entscheidenden definitorischen Annahmen in ökonomischen Bildungsprozessen

noch eine Rolle spielen. Sie werden vielmehr systematisch übergangen oder gar in ihr Gegen-

teil verkehrt.

Ich möchte dies kurz exemplarisch zeigen. Nachdem Mankiw über einige Seiten die Konzepte

von Angebot und Nachfrage eingeführt hat (vgl. den nächsten Unterabschnitt), kommt er in

der Frage, wie Märkte sich von Positionen des ‚Ungleichgewichts‘ zu Positionen des ‚Gleichge-wichts‘ bewegen, zu folgender Erklärung:

„When there is a surplus or excess supply of a good, suppliers are unable to sell all they want at the going price. Sellers find stocks of milk increasing so they respond to the surplus by cut-ting their prices“ (Mankiw 2014, S. 57; Hervorhebung: S. G.).

Mankiw gibt hier im Hinblick auf die entscheidende Frage, welche Rolle Preise im Marktge-

schehen spielen, eine Antwort, die sowohl der Annahme der Marktteilnehmer_innen als

‚Preisnehmer_innen‘ als auch der Idee der Preise als ‚Taktstock der unsichtbaren Hand‘ fun-

damental widerspricht. Denn in dem obigen Zitat ist mit einem Male davon die Rede, dass

Menschen den Entschluss fassen können, die Preise zu senken. Damit aber könnten sie die

Höhe der Preise bestimmen. Wie aber soll dies unter den Annahmen vollständigen Wettbe-

werbs möglich sein, wo hier doch jeder nur auf Preise reagieren soll, individuelle Handlungen

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

75

keinen Einfluss auf das Marktergebnis haben können und zugleich alle Akteur_innen nur als

vereinzelte Marktteilnehmer_innen aufeinandertreffen sollen? Mankiw bleibt nicht nur eine

Antwort schuldig. Vielmehr formuliert er so, dass das Problem noch nicht einmal als Problem

ins Bewusstsein treten kann.

Dieses Beispiel kann als ein weiterer Hinweis darauf dienen, wie sehr die zentrale Route der

Informationsverarbeitung, im Sinne des Elaboration Likelihood Models, und damit eine be-

wusste Reflexion von Lehrinhalten im Rahmen von ökonomischen Standardlehrbüchern nicht

nur nicht geschult, sondern tatsächlich blockiert werden kann.

4.3.6 Erweiterung der Framesemantik DES MARKTES: Angebot und Nachfrage

Die Framesemantik DES MARKTES wird nun nicht allein durch die Rede von den Preisen, sondern

auch durch die Rede der Gesetze von Angebot und Nachfrage erweitert. Um dies beispielhaft

zu zeigen, gehe ich im Nachfolgenden nochmals vornehmlich auf Mankiws Economics ein und

hier speziell auf die Einführung des Konzepts der Nachfrage.

Zur Erinnerung: In der Neoklassik benennen die Begriffe ‚Angebot‘ und ‚Nachfrage‘ rein ma-

thematische Funktionen. Walras und andere Begründer dieser Theorieströmung sind sich be-

wusst, dass diese Funktionen durch ihre Benennungen sprachlich an die lebensweltliche Erfah-

rung des marktförmigen Tausches und dem damit einhergehenden alltäglichen Umgang mit

Quantitäten angebunden sind; doch suchen sie diese weitgehend unbewusste Einbettung in

gedankliche Deutungsrahmen auf ein Minimum zu reduzieren. Zugleich wissen sie, dass von

wirklichen Gesetzmäßigkeiten des Zusammenspiels von Preisen und Quantitäten nur im Be-

reich vollkommen erfahrungsunabhängigen Denkens, d. h. im Reich der Mathematik, die Rede

sein kann. Es ist die Aufgabe des rationalen Verstandes, sich ein neues Bild von der Wirtschaft

zu schaffen, und hierfür den „Blick von nirgendwo“ (Nagel 2005) einzunehmen. Diese Aufgabe

macht innerhalb der Neoklassik insgesamt den weitaus größten Teil der notwendigen mensch-

lichen Erkenntnisleistung aus.

Am Beispiel von Mankiw vermag deutlich zu werden, wie sich dieses Verhältnis von bewusster

und unbewusster Erkenntnisleistung in ökonomischen Standardlehrbüchern verkehren kann:

Der Verstand lernt hier nicht mehr, strikt mathematisch zu urteilen. Allenfalls muss er hier und

da das Ablesen von Zahlen in einem Diagramm oder Graph beherrschen oder einfache Glei-

chungen lösen, doch ohne um deren eigentliche Regeln und wiederum deren Sinn und Zweck

wissen zu müssen. Die Mathematik vermag hier allenfalls selbst als Analogie zu dienen. Der

wesentliche Teil kognitiver Prozesse findet stattdessen im Bereich des Unbewussten statt. In

seinen Foundations of Economic Analysis schreibt Samuelson:

„Take a little bad psychology, add a dash of bad philosophy and ethics, and liberal quantities

of bad logic, and any economist can prove that the demand curve for a commodity is nega-

tively declining“ (1983, S. 4).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

76

Koutsoyiannis merkt ebenso an, dass viele Autor_innen in der Ökonomie eher einen ‚pragmati-

schen Ansatz‘ bezüglich der Theorie der Nachfrage pflegten: Sie akzeptierten das ‚Gesetz der

Nachfrage‘ auf der Basis simplen Vertrauens (vgl. Koutsoyiannis 1975, S. 53).

Was aber ändert sich in ökonomischen Lehrbüchern tatsächlich im Vergleich zur neoklassi-

schen Theorie? Letztere formuliert das ‚Gesetz der Nachfrage‘ (ebenso wie das des Angebots)

als mathematische Funktion, etwa in Gestalt einer linearen Funktion:

So wird jedem Element der einen Menge (Funktionsargument, unabhängige Variable, x-Wert)

genau ein Element der anderen Menge (Funktionswert, abhängige Variable, y-Wert) zugeord-

net. Hierfür muss in der mathematischen Welt jeglicher Inhalt (Autos, Milch, Pizza, etc.) zu-

nächst gedanklich auf eine Variable reduziert werden, d. h. „zum ausdehnungslos nicht-

inhaltlichen Punkt, und als dieser lässt er sich beziehen auf jede ebensolche Variable“ (Bo-ckelmann 2012, S. 349). „Keine Bestimmung darf mehr in den Dingen ruhen, kein Merkmal,

keine Qualität, kein Inhalt“ (Bockelmann 2012, S. 353). Alles muss zum reinen Quantum wer-

den. Denn nur so kann die Funktion als vollkommen undinglicher Ausdruck dessen gelten, wo-

nach sich alle Quanta unweigerlich verhalten müssen:

„Abgetrennt von allen Inhalten, sind Naturgesetze gedacht als etwas, das selbst nicht Inhalt ist, sondern sich an Inhalten nur rein vollzieht. Auch die Inhalte, von denen ein solches Gesetz

handelt, vom fallenden Stein bis zum Raketenantrieb, werden dadurch nicht-inhaltlich ge-

dacht: Nur an reinen Bezugspunkten, an Variablen vermag ein solches Gesetz als die Funktion

anzusetzen“ (Bockelmann 2012, S. 352).

Dieses Zusammenspiel von rein Veränderlichem (den Variablen) und dem, wonach es sich rein

verändert (der Funktion), ist kein Teil unserer Erfahrungswelt. Es ist nur dem „Blick von nir-

gendwo“ (Nagel 2005) zugänglich; also durch ein rein objektives Denken fassbar. Der rationale

Verstand muss fähig sein, alle inhaltlich-qualitativen Bestimmungen aufzugeben, wie sie auf

subjektiven Erfahrungen beruhen, und sich den reinen Quantitäten zuwenden. Dies aber ist

ihm nur im Reich der reinen Mathematik möglich, und folglich muss er dieses Reich kennen

und die Regeln, die es konstituieren, beherrschen. Dafür aber muss er zunächst geschult wer-

den. Zumindest müssen ihm die mathematischen Voraussetzungen der in der Neoklassik ver-

wendeten Formeln mitgeteilt werden (so etwa der Stetigkeit und Integrierbarkeit der funktio-

nalen Ausdrücke sowie die Definition der Variablen als reelle Zahlen). Denn nur innerhalb ihrer

Grenzen kann ihm die Vorstellung objektiver ‚Gesetzmäßigkeit‘ tatsächlich gelingen.

Einige ökonomische Lehrbücher vollziehen eine solche Schulung tatsächlich (vgl. etwa Chi-

ang/Wainwright 2005). Doch die ökonomischen Standardwerke von Mankiw sowie von Sa-

muelson und Nordhaus wählen einen anderen Weg. So erwähnt etwa Mankiw zwar gelegent-

lich funktionale Ausdrücke (vgl. etwa Mankiw 2014, S. 49). Ihre mathematischen Vorausset-

zungen aber erwähnt er nicht. In der Folge bleiben auch deren Implikationen für das ökonomi-

sche Denken unsichtbar. Zudem unterbleibt jeglicher Verweis auf die ideen- und geistesge-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

77

schichtlichen Ursprünge eines solchen funktional-gesetzförmigen Denkens in der Volkswirt-

schaftslehre.

Stattdessen passiert etwas anderes, wie an der Einführung des Begriffes des ‚Gesetzes der Nachfrage‘ in der 2. Auflage (2001) exemplarisch deutlich zu werden vermag:

„We begin our study of markets by examining the behavior of buyers. Here we consider what determines the quantity demanded of any good, which is the amount of the good that buyers

are willing and able to purchase. To focus our thinking, let’s keep in mind a particular good –

ice cream“ (Mankiw 2001, S. 67).

Fraglos setzt Mankiw hier zunächst voraus, dass sich die Ökonomie allein mit Quantitäten zu

beschäftigen habe. Doch ist ihm nicht daran gelegen, zu einer bewussten Vorstellung reiner

Quantitäten im Reich der Mathematik zu befähigen. Stattdessen erweckt er erfahrungsabhän-

gige Assoziationen von Gütermengen, die Studierenden aus ihrer Lebenswelt bekannt sind. Mit

anderen Worten knüpft er an vorhandene alltägliche Frames an, die sich aber – im scharfen

Gegensatz zum geschulten Urteil der neoklassischen Theorie – nicht allein auf den nüchternen

Austausch von Waren reduzieren lassen. Mit der Wahl des Beispiels ‚Eiscreme‘ setzt der Text,

zumindest aus kognitionswissenschaftlicher Sicht, eher einen naturally occuring prime: Wer an

Eiscreme denken soll, wird kaum bloß an den kaufmännisch-nüchternen Austausch Ware ge-

gen Geld denken. Stattdessen wird wohl eher ein ganzer Schatz an meist positiv besetzten

Erfahrungen (Sommer, Freizeit, Treffen mit Freunden, guter Geschmack, Abkühlung etc.) un-

bewusst aktiviert. Dies aber kann erneut die Wahrscheinlichkeit einer Informationsverarbei-

tung entlang der (unkritischen) peripheren Route fördern (vgl. erneut Petty/Cacioppo 1986).

Dies wird durch den Text zunächst nochmals verstärkt: „Consider your own demand for ice-

cream. How do you decide how much ice cream to buy each month, and what factors affect

your decision?“ (Mankiw 2001, S. 67).

Sodann aber fokussiert der Text unvermittelt ausschließlich auf die Frage des Preises von Eis-

creme, um daraus ebenso unvermittelt das ‚Gesetz der Nachfrage‘ abzuleiten. Das Ganze ge-

schieht dabei in kaum mehr als neun Zeilen des Textbuchs: Zunächst suggeriert Mankiw den

Leser_innen, die folgenden Ausführungen seien Überlegungen, die sie wahrscheinlich selbst

anstellten: „Here are some of the answers you might give“ (Mankiw 2001, S. 67; Hervorhe-

bung: S. G.). Weiter schreibt er:

„Price If the price of ice cream rose to $ 20 per scoop, you would buy less ice cream. You

might buy frozen yogurt instead. If the price of ice cream fell to $ 0.20 per scoop, you would

buy more. Because the quantity demanded falls as the price rises and rises as the price falls,

we say that the quantity demanded is negatively related to the price“ (Mankiw 2001, S. 68;

Fettdruck im Original63).

63 Die fette Schrift soll anzeigen, dass es sich bei ‚Preis‘ um ein ‚Schlüsselkonzept‘ handelt (vgl. Mankiw 2001, S. XV).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

78

Zugleich setzt Mankiw folgende „Definition“ an den linken Rand des gerade zitierten Textes:64

„Law of demand The claim that, other things being equal, the quantity demanded of a good

falls when the price of the good rises“ (Mankiw 2001, S. 68; Fettdruck im Original).

Erneut ist Mankiws Vorgehensweise aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht nur sinnlos, sie

ist im Rahmen objektiver Argumentation unzulässig: Das ‚Gesetz der Nachfrage‘ beschreibt in

der neoklassischen Theorie einen funktionalen Zusammenhang, der notwendig gewisser ma-

thematischer Voraussetzungen bedarf. Es gilt nur, insofern sich die Dinge eben gerade nicht

wie in unserer Lebenswelt verhalten, sondern immer nur in Absehung aller ihrer qualitativen

und subjektiven Aspekte. Der bloße Appell an eine plausible Überlegung aus unserem Alltag ist

hier fehl am Platz.

Mankiw übergeht diese wissenschaftstheoretische Unzulässigkeit. Weder fördert er eine reine

Objektivität noch ein geschultes Urteil, sondern nimmt stattdessen eher Einfluss auf die unbe-

wusste Vorstellungsbildung. So erhöht sich mit dem naturally occuring prime der ‚Eis-

creme‘ aus kognitionswissenschaftlicher Sicht (ich erwähnte Ähnliches bereits am Beispiel von

I, Pencil von Leonard Read) die Wahrscheinlichkeit, dass erstens die Botschaft nicht nur gut im

Gedächtnis haften bleibt, sondern auch immer wieder erinnert wird, sobald ein lebensweltli-

cher Kontakt mit dem prime (etwa das nächste Eis an der Strandpromenade) erfolgt. Zweitens,

und hier wohl wichtiger, kann die Leichtigkeit, mit der Menschen Erfahrungen mit Alltagsdin-

gen wie Eiscreme erinnern, sowie die positive Grundstimmung, die sie oftmals damit verbin-

den werden, sich auf die Bewertung und Akzeptanz der Aussage insgesamt niederschlagen:

Beide, Leichtigkeit des Erinnerns und positive Grundstimmung, können dazu führen, dass das

gesamte Argument der Textaussage stillschweigend als glaubwürdig und überzeugend akzep-

tiert wird, ohne dass es je einer kritisch-bewussten Überprüfung unterzogen worden wäre (vgl.

für beide Aspekte Kolenda 2013, S. 203 sowie Lee/Laboo 2004 im Kontext der Werbung).

Im Anschluss an das gerade genannte priming arbeitet Mankiw sodann mit einer Übertreibung:

Der erste Preis, den er nennt ($ 20), beträgt das Hundertfache vom zweiten ($ 0.20). Kaum

jemand wird sich der Plausibilität der damit verbundenen Aussage entziehen können, dass er

bei einem Preis von zwanzig US-Dollar pro Kugel weniger Eis kaufen wird als bei einem Preis

von zwanzig US-Cent. Die meisten Leser_innen werden diesen Schluss sehr wahrscheinlich

intuitiv, d. h. ohne weiteres Nachdenken, im Rahmen eines heuristic processing vollziehen. Die

Beeinflussungsforschung spricht in ähnlichen Fällen von der Nutzung eines confirmation bias:

„Confirmation bias connotes a less explicit, less consciously one-sided case-building process.

It refers usually to unwitting selectivity in the acquisition and use of evidence“ (Nickerson

1998, S. 175).

Beim confirmation bias werden Rezipient_innen zunächst meist unterhalb der Schwelle ihres

Bewusstseins Informationen geboten, welche ein nachfolgendes Argument (scheinbar) stützen

können. Damit macht man sich die gewöhnliche Eigenschaft menschlicher Wahrnehmung

64 Vgl. zu dieser Art der Vorgehensweise, die eine Art des priming darstellt, Mankiw 2001, S. XV.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

79

zunutze, eher nach Kohärenz in Aussagen zu streben und eher Informationen zu verarbeiten,

die zueinander nicht widersprüchlich sind (vgl. Nickerson 1998).

Mankiw schließt an die übertriebene und zugleich triviale Aussage sodann unvermittelt mit

einem Kausalsatz an: „Because the quantity demanded falls as the price rises and rises as the

price falls, we say that the quantity demanded is negatively related to the price“ (Mankiw 2010,

S. 68).65 Dieser Satz ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht erneut nicht korrekt: Aus einer

singulären, imaginierten Überlegung bezüglich Eiskugeln und ihrer Preise, die keinerlei nach-

gewiesenen exemplarischen Charakter hat, lässt sich rational keine Aussage über die Bezie-

hung von Gütern und Preisen im Allgemeinen ableiten – und mag diese Überlegung intuitiv

noch so plausibel erscheinen. Aus der Kognitionsforschung ist allerdings bekannt (vgl. grundle-

gend Langer et al. 1978), dass Kausalsätze die Wahrscheinlichkeit einer unbewussten Zustim-

mung zum Gesagten erhöhen, und dies unabhängig davon, ob ein korrekter Grund angegeben

wird:

„When people provide a reason for their request, people who are using heuristic processing will generally assume that the reason is valid. Therefore giving any reason – even a meaning-

less reason […] – can enhance your persuasion because it becomes a heuristic that your target

uses to decide whether he will comply. […] Whenever you present a message or make a re-quest, you should almost always provide some sort of justification, even if it seems trivial. If

people are using heuristic processing, they will mindlessly assume that your reason is valid,

and they will be more likely to accept your message or comply with your request“ (Kolenda

2013, S. 154).

Aus Sicht der Kognitionspsychologie liegt in den zuletzt von Mankiw zitierten Abschnitten wohl

insgesamt ein „anchoring“ (vgl. etwa Kahnemann 2011, S. 119-128) vor. Diese besagt, dass

Menschen von vorhandener Umgebungsinformation in ihren Entscheidungen beeinflusst wer-

den können, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird. Dabei können grundsätzlich auch

falsche Entscheidungen, welche der Verstand eigentlich mühelos als solche entlarven können

müsste, provoziert werden (vgl. grundlegend Tversky/Kahneman 1974). Der Anker läge hier

darin, ein Zahlenbeispiel zu wählen, das eine zu ihm passende Assoziation (‚Selbstverständlich

kaufe ich weniger Eis bei einem Preis von $ 20 als bei einem Preis von $ 0.20‘) weckt, die ihrer-

seits die Urteilsbildung über das ‚Gesetz der Nachfrage‘ beeinflusst, obwohl diese im Grunde

nichts mit dem gewählten Zahlenbeispiel zu tun hat. Die grundlegende Technik der Beeinflus-

sung wäre hier erneut das priming.

Insgesamt zielt auch dieser Textabschnitt also eher auf eine unbewusst-intuitive Verarbeitung

des Gesagten ab, und dies ändert sich auch in seinem weiteren Verlauf nicht. Denn Mankiw

postuliert nun, dass die Einsicht, Preise und Mengen seien negativ korreliert, die er aus einem

rein intuitiven Beispiel und einem Kausalsatz, der nichts konkret zu begründen vermag, zu ge-

winnen sucht, schlicht in einem allgemeinen Sinne wahr und allgegenwärtig sei: so wahr und

allgegenwärtig, dass es die Ökonomen als Gesetz bezeichnen würden:

65 Man beachte hier zusätzlich den Gebrauch des Personalpronomens „We“, das zusätzlich die Wahrscheinlichkeit impliziter Zustimmung und Zugehörigkeit erzeugen kann.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

80

„This relationship between price and quantity demanded is true for most goods in the econ-

omy and, in fact, is so pervasive that economists call it the law of demand: Other things equal,

when the price of a good rises, the quantity of the good falls“ (Mankiw 2001, S. 68).

Auch hier ist Mankiws Aussage aus wissenschaftstheoretischer Sicht ebenso wenig korrekt wie

in ideengeschichtlicher Hinsicht. Die neoklassische Theorie kennt eine Nachfragefunktion, bei

der die Variablen ‚Preis‘ und ‚Menge‘ negativ korreliert sind, und ihre Idee des ‚Gesetzes der Nachfrage‘ bezieht sich exakt auf diese Funktion (und nur auf diese Funktion). Diese Funktion

ist damit dem Reich objektiver Argumentation zuzuordnen; eine Aussage über die Wirklichkeit

kann und soll sie dezidiert nicht treffen. Folglich hätte die Vorstellung, ein ‚Gesetz der Nachfra-ge‘ aus bloß subjektiven Erfahrungen im Umgang mit Eiscreme ableiten zu wollen, etwa einem

Walras oder einem Edgeworth als absurd erscheinen müssen. Doch davon spricht Mankiw

nicht. Stattdessen verleitet er Studierende dazu, aus einer bloß imaginierten Einzelerfahrung

(niemand von uns ist wohl tatsächlich je mit der Tatsache konfrontiert worden, 20 US-Dollar

für eine Kugel Eis zu zahlen) einen allgemeinen Schluss zu ziehen und diesen unmittelbar als

Aussage über die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren. Damit Studierende dieser

Verleitung folgen, macht er sich einen appeal to authority zunutze, indem er (fälschlicher-

weise!) sprachlich so argumentiert, als stünden die Ökonom_innen in ihrer Gesamtheit hinter

seinen Ausführungen.

In der gesamten Textpassage finden sich keine Hinweise oder Regeln, die Leser_innen dazu

dienen könnten, ihren bewussten Verstand einzuschalten, um das Gesagte gleichsam entlang

der zentralen Route der Informationsverarbeitung (vgl. nochmals das Elaboration Likelihood

Modell) zu überprüfen. Auch dies spricht dafür, dass Mankiw sich hier ausschließlich auf For-

men des heuristic processing und damit auf unbewusst ablaufende Prozesse des Systems 1

stützt; der Großteil des Bildungsprozesses scheint auf dieser Ebene abzulaufen. Dadurch kann

sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich das semantische Netzwerk des ‚maschinenglei-chen Marktes‘ um eine weitere Vorstellung des Unabänderlichen und Automatischen erweitert

– eben um das ‚Gesetzhafte‘ der Nachfrage – und damit noch umfangreicher Denken und

Wahrnehmung prägen kann, ohne selbst je bewusst angeeignet worden zu sein.

Der Lernprozess, den Mankiw hier anregt, baut nicht bloß auf einem unreflektierten Common

Sense, der sich aus wirtschaftlichen Erfahrungen speist, auf. Er ist stattdessen geeignet, diesen

Common Sense umzuformen und ihn in neue Vorstellungsmuster einzulagern. So wird der

Appell an Alltagsverständnisse (‚Eiscreme‘) gerade nicht dazu genutzt, um den Verstand zu

objektiven Urteilen zu befähigen. Er wird gebraucht, um diese Alltagsverständnisse so umzu-

deuten, dass gleichsam nochmals in tieferen Schichten des Unbewussten verzerrte und zu-

gleich unreflektierte Vorstellungen von Wirklichkeit entstehen. Wie bereits zitiert (vgl. erneut

Mankiw 2014, S. 17) weiß Mankiw, dass diese neuen Vorstellungen tatsächlich kontraintuitiv

sind; sie laufen dem ursprünglichen Common Sense der Studierenden zuwider, nicht aber in

einem aufklärerischen Sinne, sondern dadurch, dass dieser Common Sense im Sinne des trou-

blesome knowledge selbst verwandelt wird.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

81

4.3.7 Die Orientierungsmetaphern DES MARKTES

Ein wesentliches Merkmal ökonomischer Standardlehrbücher ist die häufige Verwendung gra-

phischer Modelle, allen voran das Marktdiagramm, das auch als Preis-Mengen-Diagramm be-

zeichnet wird. In diesem Diagramm werden die ‚Gesetze‘ von Angebot und Nachfrage durch die steigende Angebotskurve und die fallende Nachfragekurve repräsentiert. Hält damit nun

doch eine mathematische und damit objektive Argumentation Einzug in diese Lehrbücher?

Meine These in diesem Unterabschnitt lautet, dass eher das Gegenteil der Fall ist.

Ich wende mich erneut exemplarisch Mankiws Economics zu. In den Abbildungen 5 und 6 sind

eine Tabelle und eine Abbildung aus diesem Lehrbuch reproduziert.

Abbildung 5: „Catherine’s Demand Schedule“ - Table

Quelle: Mankiw 2001, S. 69.

Bei Catherine’s Demand Schedule handelt es sich um ein frei erfundenes Beispiel von Mankiw,

um ein bloßes Gedankenexperiment. Der Name „Catherine“ erweckt dennoch den Eindruck, es

handele sich um eine Begebenheit, die repräsentativ für den gewöhnlichen Alltag stünde. Doch

existieren hierfür weder statische noch empirische Befunde. Vielmehr ist das Beispiel so kon-

struiert, dass die Werte, einmal in einen Graphen übertragen, sauber eine negativ verlaufende

Linie bilden. Das zu Beweisende (‚das Gesetz der NachfrageÄ) steckt also bereits in den An-

nahmen; die Tabelle ist von vornherein so konstruiert, dass sich zwangsläufig eine negative

Korrelation von Menge und Preis ergibt. Auch hier ist deswegen von einem confirmation bias

auszugehen.

Damit besteht die Möglichkeit, dass das ‚Gesetz der Nachfrage‘ statt im Bereich streng wissen-schaftlicher, objektiver Argumentation im Bereich passiver Intuition unmittelbar einsichtig

gemacht werden kann, ohne dass sich hierfür der bewusst reflektierende Verstand der Studie-

renden einschalten müsste (oder dürfte). Mit ‚einsichtig‘ meine ich dabei gerade nicht irgend-eine Form des Beweises oder empirischen Belegs, sondern die Ausbildung eines Frames, in

dem Aussagen wie ‚die Nachfrage steigt‘ oder ‚die Nachfrage fällt‘ auf der Ebene des kognitiv

Unbewussten so unmittelbar für evident gehalten werden können, dass Menschen fortan mit

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

82

ihnen über wirtschaftliche Prozesse nachdenken, ohne je wirklich über sie nachgedacht zu

haben.

Abbildung 6: „Catherine’s Demand Curve“ - Figure

Quelle: Mankiw 2001, S. 69.

Der Schlüssel zum Verständnis dieser Art von Framing liegt wohl weniger in dem tabellarischen

Überblick, sondern in der Art der graphischen Repräsentation, wie sie die Abbildung 4.1. von

Mankiw (meine Abbildung 6) exemplarisch zur Darstellung bringt. Graphische Repräsentatio-

nen verfügen im Gegensatz zu reinen Funktionen etwa der Differential- und Integralrechnung

über einen Moment (subjektiver) Anschauung: den der räumlichen Ausdehnung (vgl. Boyer

1949). Zugleich ist dies auch ihr einziges subjektives Moment. An und für sich, d. h. ohne die

Zuhilfenahme von Metaphern, lassen sich auf einer zweidimensionalen Fläche, wie sie durch

das cartesianische Koordinatensystem aufgespannt wird, nur ‚oben‘ und ‚unten‘, ‚links‘ und ‚rechts‘ sowie Bewegungen von einer Position zur anderen unterscheiden (von ‚links nach rechts‘, ‚von oben links nach unten rechts‘ etc.). Richtig ist, dass in der Mathematik auf diese Weise ein Raum weitestgehend objektiver Argumentation eröffnet wird, der aller subjektiven

Erfahrungen außer eben jener der räumlichen Ausdehnung (die in der Differential- und Integ-

ralrechnung auch noch getilgt wird) entblößt ist. Doch Mankiw geht es nicht um abstrakt-

mathematische Argumentationen in diesem Raum. Dies wird bereits daran deutlich, dass er

ihn weder definitorisch zu benennen noch zu begrenzen sucht. Stattdessen koppelt er die gra-

phische Repräsentation unmittelbar mit (scheinbar) lebensweltlichen Begriffen, in diesem Falle

mit ‚Eiswaffeln‘. Was aber passiert dabei genau in der Wahrnehmung? 66

Mankiw – und mit ihm alle anderen ökonomischen Standardlehrbücher, die extensiv das An-

gebot-Nachfrage-Diagramm und andere graphische Repräsentationen gebrauchen – macht

sich hier, so meine These, den Gebrauch von Orientierungsmetaphern (orientational meta-

phors) zunutze. Lakoff etwa unterscheidet diese von Strukturmetaphern, bei denen ein Kon-

66 Im Folgenden kann ich lediglich erste Überlegungen zu diesem Thema anstellen, die zukünftig weiterer und ge-

nauerer Ausarbeitungen bedürfen werden.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

83

zept (etwa DER MARKT) metaphorisch im Sinne eines anderen Konzepts (etwa DER MECHANISMUS)

strukturiert wird:

„But there is another kind of metaphorical concept, one that does not structure one concept in terms of another but instead organizes a whole system of concepts with respect to another.

We will call these orientational metaphors, since most of them have to do with spatial orien-

tation: up-down, in-out, front-back, on-off, deep-shallow, central-peripheral. These spatial

orientations arise from the fact that we have bodies of the sort we have and that they func-

tion as they do in our physical environment“ (Lakoff 1980, S. 14).

Orientierungsmetaphern wurzeln grundlegend in unserer physischen Existenz und jenen

Grunderfahrungen, die wir in und mit dieser Existenz machen. Gleichsam aus dieser Tiefe ge-

winnen sie auch ihre selbstverständliche Evidenz, die kaum je vom Bewusstsein reflektiert oder

in Frage gestellt wird. Als Beispiele von Orientierungsmetaphern nennt Lakoff etwa ‚Glücklich

ist oben‘ und ‚Traurig ist unten‘. Beiden liegen leibliche Grunderfahrungen zugrunde: Wenn wir

traurig sind, sinken wir in uns zusammen, wenn wir glücklich sind, stehen wir gerader (vgl.

Lakoff 1980, S. 14). Die Orientierungsmetaphern, auf die es im Falle des Angebot-Nachfrage-

Diagrammes ankommen kann, sind jene von ‚Mehr ist oben‘ und ‚Weniger ist unten‘. Auch

diese basieren auf einer Grunderfahrung des Lebens: „Wenn man mehr von einer Substanz

oder einem physikalischen Objekt in einen Behälter oder auf einen Stapel gibt, dann steigt das

Niveau“ (Lakoff 1980, S. 16; Übersetzung: S.G.). Zudem kann es um die Metapher ‚Eine Bewe-

gung von oben nach unten ist Fallen‘ gehen, die wohl bereits auf leiblichen Grunderfahrungen

des Kleinkindes bei seinen ersten Gehversuchen beruht. Wichtig ist, dass solche Metaphern

uns zumeist so selbstverständlich sind, dass sie quasiautomatisch als wahr oder evident aufge-

fasst werden.

Bei Mankiw wird deutlich, wie sich diese Selbstverständlichkeit auf ökonomische Sachverhalte

übertragen lässt, indem die ökonomische Framesemantik selbst um jene Metaphern wie ‚Mehr

ist oben‘ und ‚Weniger ist unten‘ sowie um ‚Eine Bewegung von oben nach unten ist Fal-

len‘ erweitert wird. Blicken wir genauer auf seine Abbildung 4-1 (meine Abbildung 6). Ein hö-

herer Preis ist hier ‚oben‘, ein niedrigerer ‚unten‘, ein ‚Fallen‘ des Preises löst eine ‚Bewegung nach unten‘ aus. Diese Metaphern dürften den meisten Studierenden aus ihrem alltäglichen

Sprachgebrauch bereits bekannt sein. Doch auch hier sind sie eben nur Metaphern:

„Preise steigen nur in unseren Köpfen. Was ein Preis tatsächlich macht, ist, dass er mehr wird.

Preise sind Phänomene der Quantität. Wir begreifen sie als steigend oder fallend, weil wir in

der Metapher mehr ist oben denken“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 16; Hervorhebung im Original).

Diese Metaphern werden nun einerseits durch das (scheinbar) lebensweltliche Beispiel von

Eiswaffeln und ihrem Kauf durch ein Individuum („Catherine“) weiterhin in ihrem alltäglichen

Gebrauch belassen bzw. an diesen alltäglichen Gebrauch angebunden. Sie werden damit gera-

de nicht in abstrakte Vorstellung überführt, wie es bei einer Modellierung nach mathematisch-

naturwissenschaftlichem Vorbild der Fall zu sein hätte, sondern im Bereich eines heuristic pro-

cessing auf Ebene des Systems 1 belassen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

84

Die Kognitionswissenschaft weist darauf hin, dass im Gehirn nicht nur einzelne Wörter oder

Sätze abgespeichert werden, sondern mit ihnen immer ein ganzes Reservoir weiterer Begriffe:

„Das Gehirn speichert Dinge, die in seiner Erfahrungswelt simultan auftreten, als Teile eines Frames ab. Wenn es dann ein Konzept vorgelegt bekommt […], aktiviert es denjenigen Frame, der aus seiner Sicht zu dieser Information gehört“ (Wehling 2016, S. 28).

Somit können durch Aussagen Informationen transportiert werden, obwohl sie nicht unmittel-

bar sprachlich übermittelt werden. Meines Erachtens lässt sich diese Erkenntnis folgenderma-

ßen auf den Kontext ökonomischer Lehrbücher übertragen: Wahrscheinlich wird mit dem Verb

‚fallen‘ in unserem Gehirn gleichsam ein ganzes Vorratslager abgespeicherten Wissens akti-

viert: einerseits Wissen über Erfahrungen von Unabänderlichkeit (‚Dinge fallen zu Boden‘) und Kontrollverlust (‚ich bin hingefallen‘, ‚er ist abgestürzt‘) und andererseits erlerntes, theoreti-sches Wissen aus den Naturwissenschaften (‚Fallgesetze‘, ‚Gesetze der Schwerkraft‘). Indem nun die ökonomischen Standardlehrbücher den Begriff der Nachfrage sprachlich mit jenem des

‚Fallens‘ koppeln und zugleich durch die ‚fallende‘ Nachfragekurve visualisieren, kann es –

überträgt man Erkenntnisse empirischer Studien der Kognitionswissenschaften (vgl. etwa

Bransford et al. 1972; Zwaan/Pecher 2012; Zwaan/Madden 2005) auf diesen Fall – dazu kom-

men, dass die ‚Nachfrage‘ implizit auch mit Vorstellungen des Gesetzmäßigen, Unweigerlichen

und jenseits der eigenen Kontrolle ablaufenden Geschehnissen verbunden wird. Wäre dies der

Fall, so würde damit die Rede vom ‚Gesetz der Nachfrage‘ eben nicht mehr nur durch Frames

auf sprachlicher Ebene erfasst werden (Lakoff und Wehling sprechen hier von surface frames),

sondern auch auf Ebene der deep seated frames:

„Deep Seated Frames sind in unserem Gehirn tief verankerte Frames, die unser generelles

Verständnis von der Welt strukturieren, unsere Annahmen von der Welt zum Beispiel auf

Grund unserer moralischen und politischen Prinzipien, die für uns schlicht ‚wahr‘ sind – die al-

so unseren eigenen Common Sense ausmachen“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 73).

Dass eine Linie wie die in Mankiws Abbildung 4-1 fällt, wird den meisten Studierenden unmit-

telbar einleuchtend sein. Dass damit etwas über das Unweigerliche und Unabdingbare wirt-

schaftlicher Prozesse ausgesagt sein soll, zunächst wohl eher nicht. Doch entscheidend ist hier

Folgendes: Es wird auch keinerlei Anspruch erhoben, einen Frame zu bilden, mit dessen Hilfe

die Studierenden tatsächlich wirtschaftliche Erfahrungen ausdrücken, geschweige denn diese

Erfahrungen bewusst reflektieren könnten. Das Konzept der Nachfrage ist, wie Mankiw selbst

bemerkt (vgl. erneut Mankiw 2014, S. 17), hochgradig abstrakt, doch ohne – im strikten Ge-

gensatz zur Neoklassik – funktional und damit in einem objektiven Sinne definiert zu sein. ‚Abs-

trakt‘ meint hier, weitgehend von jeglichem konkret wirtschaftlich Erfahrbaren entleert zu sein

(außer der Einsicht etwa, dass ich selbstverständlich weniger Eis kaufe, wenn die Kugel $ 20

kostet, als wenn sie $ 0.20 kostet) und zugleich an quasinaturgesetzliche Grunderfahrungen

des Lebens angebunden zu werden (Erlebnisse und Kenntnisse des Fallens), die selbst nichts

mit genuin wirtschaftlichen Erfahrungen zu tun haben, wohl aber unmittelbar intuitiv erfassbar

sind.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

85

4.3.8 Klassische Konditionierung

Wahrscheinlich wird es Studierenden am Anfang eher schwerfallen, bei einem Begriff wie

‚Nachfrage‘ auf unbewusster Ebene ihr gesamtes alltägliche Wissen, das sie mit ‚Fallen‘ assozi-ieren, zu aktivieren – und nur dieses zu aktivieren. Eher wird es hierfür, wie bei anderen

threshold concepts auch, Zeit brauchen. Es bedarf eines Lerneffektes, und dieser Effekt wird im

Wesentlichen durch Wiederholungen hervorgerufen:

„Wenn wir zum Beispiel ein Wort oder einen Satz immer wieder hören, werden diejenigen

neuronalen Schaltkreise, die seine Bedeutung ‚errechnen‘, entsprechend häufig aktiviert. Und

indem die Neuronen immer wieder in diesen Schaltkreisen feuern, werden die Synapsen stär-

ker, und die Schaltkreise verfestigen sich.

Und in dem Maße, in dem sich ein Frame über eine lange Zeit hinweg auf diese Weise im Ge-

hirn verfestigt, wird die Idee zum festen Bestandteil unseres eben erwähnten Common Sense.

Und wenn Menschen erst einmal in diesen Deep Seated Frames denken, prallen die nicht in

diese Frames passenden Fakten einfach ab“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 74; Hervorhebung: S. G.).

Im Sinne der behavioristischen Lerntheorie der Klassischen Konditionierung lässt sich dieses

Phänomen wie folgt beschreiben: Die zwar nicht angeborene, aber doch zumindest frühkind-

lich erworbene Assoziation von ‚oben/unten‘ mit ‚mehr/weniger‘ lässt sich als unbedingte,

spontane Reaktion bezeichnen. Dieser kann nun im Rahmen von Lernprozessen eine neue,

bedingte Reaktion hinzugefügt werden, etwa wenn sie kontinuierlich mit Ausdrücken wie

‚niedrige Preise‘ und ‚fallende Nachfrage‘ oder ‚fallende Nachfragekurve‘ gekoppelt wird. Diese

Kopplung kann allein durch sprachliche Konditionierung funktionieren, die durch visuelle An-

reize (in Form der Diagramme) verstärkt wird. Auf diese Weise kann das semantische Netzwerk

DES MARKTES gleichsam durch einen weiteren Knotenpunkt verstärkt werden, dessen eigene

Framesemantik gerade nicht auf wirtschaftliche Erfahrung, sondern auf grundlegendere Erfah-

rungen des alltäglichen Lebens rekurriert und aus diesen seine (scheinbare) Selbstverständ-

lichkeit oder gar Natürlichkeit gewinnt. Diese Verstärkung aber braucht nach allem, was man

über die Klassische Konditionierung weiß, Zeit: Der Lernprozess muss durch eine Vielzahl von

Wiederholungen geprägt sein. Laut Mäki etwa ist genau dies in der ökonomischen Standard-

lehre der Fall:

„Indeed, it is no news to a student of economics to be pointed out to the fact that much of

economic theorizing is a matter of invoking the same derivational matters [abstract schemes,

instantiated in specific applications, S.G.] over and over again, irrespective of the special field

of study“ (Mäki 2001, S. 495).

Erneut in der Sprache von Meyer und Land (2003) gesprochen, repräsentiert das Marktdia-

gramm ein troublesome knowledge, das zunächst den meisten Studierenden als fremd und

kontraintuitiv oder gar inkohärent erscheinen wird. Im Lernprozess kann es sodann zu einer

Transformation des Denkens und der Wahrnehmung kommen, ohne dass diese je selbst reflek-

tiert würde. Einmal erlernt vermag das durch dieses Diagramm implizierte Wirtschaftsver-

ständnis sodann schlicht als evident betrachtet zu werden. Dieser gesamte Prozess – Mankiw

nennt ihn schlicht „Learning Journey“ (Mankiw 2014, S. 17) – braucht Zeit, da das unbewusste

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

86

System 1 zwar normalerweise schnell arbeitet, sich aber nur langsam umformen lässt (vgl.

Kahneman 2002, S. 450).

Die schiere Menge des Gebrauchs des Marktdiagramms sowie der Angebots- und Nachfrage-

kurven mag einen wichtigen Hinweis darauf liefern, dass die heutigen Lehrbücher tatsächlich

diese Zeit geben. Nicht nur werden diese Diagramme in den einführenden Abschnitten intensiv

genutzt; sie dienen auch in den meisten nachfolgenden Kapiteln bei Mankiw ebenso wie bei

Samuelson und Nordhaus dazu, um auf ihrer Grundlage über nahezu alles in der Wirtschaft

(Weizen, Öl, Drogen, Apartments, Arbeit, Wohlfahrt, Steuern, Umweltfragen, Wohlfahrt etc.)

zu argumentieren, ohne selbst nochmals reflektiert, geschweige denn problematisiert zu wer-

den. Im Lehrbuch von Samuelson und Nordhaus (2010) kommen Angebots-, Nachfrage- und

Marktdiagramme auf knapp siebzig Seiten (entsprechend 10 % aller Seiten) in den unterschied-

lichsten thematischen Kontexten vor; in Mankiws Economics (2014) auf über hundert Seiten

(entsprechend 13 % aller Seiten). Stets geschieht dies ohne Rückgriff auf die mathematischen

Fundamente der entsprechenden Diagramme und auch ohne Bezug auf konkrete lebensweltli-

che Erfahrungen der Studierenden; die Darstellung erfolgt allein in einer Art Vakuum sprachli-

cher und visueller Erfahrungen, wie sie der Lernkontext selbst vermittelt.67 Damit kann das

genannte semantische Netzwerk immer wieder neu geknüpft werden, womit wiederum die

Wahrscheinlichkeit steigt, dass weder eine genuin wissenschaftliche noch eine genuin wirt-

schaftlich-lebensweltliche Argumentation von Belang ist, sondern eine rein metaphorische

Argumentation schließlich als evident, ja ‚natürlich‘ erscheinen kann. Ist dies aber erst einmal

geschehen, so lässt sich dies wohl nur schwer wieder verlernen. Denn zumindest in der Lern-

psychologie geht man davon aus, dass erfolgreiche Konditionierungen nur schwer wieder auf-

zuheben sind (vgl. nochmals Mayer/Land 2005).

4.3.9 Verschweigen

Der häufige Gebrauch des Marktdiagramms und der mit ihm einhergehenden Argumentati-

onsweise hat in den ökonomischen Standardlehrbüchern die Darstellung vieler anderer Inhalte,

Methoden und Diskussionspunkte verdrängt. Viele Kritiker_innen werfen, wie in der Einleitung

bemerkt, diesen Lehrbüchern deshalb vor, sie wären äußerst einseitig. Ich möchte diese Kritik

hier weder wiederholen noch weiterentwickeln. Stattdessen möchte ich, dieses Kapitel be-

schließend, wenigstens kurz darauf verweisen, dass diese Einseitigkeit nicht nur breiten Raum

dafür eröffnen kann, bestimmte threshold concepts ihre wahrnehmungs- und persönlichkeits-

verändernde Wirkung unterhalb der Schwelle bewusster (Selbst)Wahrnehmung entfalten zu

lassen. Auch kann sie dazu geeignet sein, durch ihren Selektionseffekt alternative Formen des

Denkens im Gegenzug soweit zu verdrängen, dass sie noch nicht einmal als Möglichkeiten in

den Fokus des Wahrnehmbaren geraten.

67 Bei Samuelson und Nordhaus kommt noch ein ‚in-text logo‘ vor, das aus einer stilisierten Darstellung des Markt-

diagramms besteht. Dieses Logo soll Studierende zum Innehalten auffordern, um einen schwierigen Punkt zu ver-

stehen, auf interessante Beispiele hinweisen oder eine Biographie einer „wichtigen ökonomischen Person“ ankün-digen (Samuelson/Nordhaus 2010, S. xx). Das Logo kommt 117-mal im gesamten Text vor, d. h. auf 16 % aller Seiten.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

87

Mehrmals in dieser Studie habe ich bereits auf die Selektivität des Framings, wie es in den

ökonomischen Standardlehrbüchern (und, in schwächerer Form, in der Neoklassik) vorge-

nommen wird, hingewiesen. Ausdrücklich formuliert habe ich aber bislang nicht, dass mit die-

ser ein Phänomen einhergehen kann, welches die Kognitionswissenschaften als Hypokognition

bezeichnen:

„Hypokognition bedeutet die Nicht-Existenz oder den Wegfall von Ideen durch den Mangel an

sprachlicher Umsetzung dieser Ideen. Etwas salopper gesagt: Was in Diskursen nicht gesagt

wird, wird schlicht und ergreifend auch nicht gedacht. Denn wo die Worte fehlen, da können

auch die Gedanken nicht etabliert werden oder langfristig bestehen. Die Schaltkreise in unse-

rem Gehirn werden nicht angeworfen, sie verkümmern!“ (Wehling 2016, S. 64-65)

Grundlegend lassen sich aus meiner Sicht zumindest zwei Formen der Hypokognition unter-

scheiden, die im Hinblick auf die ökonomischen Standardlehrbücher zukünftig noch genauer zu

erforschen sein werden:

Erstens gehen die Kognitionswissenschaften davon aus, dass Menschen über mehrere sinnge-

gebene Frames verfügen, auf deren Basis sie ihre ökonomischen, sozialen und politischen Ent-

scheidungen treffen:

„[Es] kann langfristig kognitive Pluralität nur über sprachliche Pluralität bestehen. Es ist also wichtig, in sozialen und politischen Diskursen diejenigen Frames zu nutzen, die der eigenen

Weltsicht gerecht werden. Nur so können ideologische Vielfalt und transparente, ehrliche

Diskurse langfristig gesichert werden. Bewusstes politisches Framing ist eine Überlebensstra-

tegie für unsere Demokratie“ (Wehling 2016, S. 43).

Doch genau diese plurale Aktivierung und Stärkung unterschiedlicher Frames machen sich

Lehrbücher wie die von Mankiw sowie von Samuelson und Nordhaus nicht zur Aufgabe, son-

dern verhindern diese.68 Es wird Studierenden kein Raum gegeben, eine sprachliche Pluralität

kennenzulernen, mit der sich über wirtschaftliche Phänomene jeweils grundlegend anders

denken lässt. In der Folge muss es Studierenden schwerfallen, anspruchsvolle Argumentations-

formen zu entwickeln, die ihrer eigenen Weltsicht gerecht werden, geschweige denn grundle-

gende Unterschiede auf der Ebene von Weltanschauungen überhaupt als solche zu erkennen.

In der Beeinflussungsforschung spricht man allgemein von einer Propaganda of Silence, die die

Einseitigkeit unbewusster Wahrnehmungen nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern aktiv

befördert, eben weil sie alternative Denkformen gar nicht mehr als mögliche Alternativen er-

scheinen lässt:

„Propaganda of Silence is a technique that is about as clandestine as it gets because its entire

purpose is to keep an idea, action, or person out of public view so that everything about the

concept or person is hidden from view. This gives propagandists a free hand to do just about

anything they want, legal or non-legal. One of the key benefits is that the propagandist can

mold a desired image so we have no idea if that image is accurate or not“ (Hill 2015, S. 282-

83).

68 Es fällt hier schwer, einen genauen Seitenverweis in den Lehrbüchern anzugeben, eben weil hier etwas gerade

nicht genannt, sondern verschwiegen wird. Es bleibt also den Leser_innen dieser Studie kaum etwas anderes übrig,

als dieses Verschweigen selbst zu überprüfen, indem sie diese Bücher in die Hand nehmen und kritisch studieren.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

88

Zweitens lässt sich feststellen, dass Samuelson und Nordhaus genau wie Mankiw die geistes-

und ideengeschichtlichen Hintergründe etwa der verwendeten mechanistischen Konzepte und

Metaphern verschweigen, und ebenso das für eine objektive Wissenschaft notwendige

Denkinstrumentarium. So wird eine Einführung in den für die neoklassische Theorie zentralen

Lagrange-Formalismus nicht gegeben; er wird bei Samuelson/Nordhaus ebenso wenig explizit

benannt wie bei Mankiw. Und selbst eine mathematisch klare Einführung in die Analyse von

Graphen sowie eine Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Verwendung in der

Ökonomie unterbleibt – selbst in jenem Abschnitt, der dem Arbeiten mit Graphen explizit ge-

widmet ist (vgl. Samuelson/Nordhaus 2010, S. 18ff.). Meines Erachtens fehlen auf diese Weise

wesentliche Möglichkeiten, wie jene kognitiven Fähigkeiten, die auf der Ebene des Systems 1

antrainiert werden, einer bewussten Überprüfung oder gar Korrektur auf der Ebene des Sys-

tems 2 unterzogen werden könnten.

Kahneman macht darauf aufmerksam, dass die Zugänglichkeit zu Gedanken, die unbewusste

Meinungsbildung korrigieren können, durch Sprache entweder erhöht oder aber gezielt er-

niedrigt werden kann. Um sie zu erhöhen, müssten die „Wachsamkeit von überwachenden Aktivitäten erhöht, oder aber stärkere Hinweise auf die relevanten Regeln“ (Kahneman 2002, S.

472) gegeben werden. Genau diese Hinweise aber unterbleiben, insofern wichtige methodi-

sche Belange verschwiegen werden. Samuelson und Nordhaus lassen (ebenso wie Mankiw)

nahezu jegliche Hinweise darauf vermissen, wie unbewusste Schlüsse, die im Rahmen jener

ideologischen und mechanistischen Framesemantik, die sie in ihren Ausführungen prägen,

gezogen werden können, durch den bewussten Verstand überhaupt reflektiert und ggf. ange-

zweifelt werden könnten. Weder bieten sie klare Regeln einer Modellbildung noch die Gele-

genheit, die mechanistischen Metaphern auf konkrete Erfahrungsbezüge und die mit ihnen

einhergehenden alternativen gedanklichen Deutungsrahmen zu beziehen und damit wenigs-

tens einer intuitiven lebensweltlichen Überprüfung zugänglich zu machen.

Eher geschieht das genau Gegenteil: Das Lehrbuch von Nordhaus und Samuelson unternimmt

sogar Versuche, jegliche Form der kritisch-bewussten Reflexion seiner wesentlichen Konzepte

zu verhindern, etwa indem es diese von seiner Einleitung an schlicht als Wahrheit tituliert:

„Die Kernthesen der Volkswirtschaftslehre [im amerikanischen Original: The Core Truth of Economics, S.G.]. Häufig erscheint uns die Ökonomie als eine endlose Abfolge immer neuer

Rätsel, Probleme und Dilemmata. Doch es gibt, wie erfahrene Dozenten mittlerweile wissen,

einige wenige Konzepte, die jedem wirtschaftlichen Geschehen zugrunde liegen. Kennt man

sie, scheint man plötzlich schneller zu lernen, und das mit bedeutend mehr Spaß. Wir haben daher beschlossen, uns auf die Kernthesen der Volkswirtschaftslehre zu konzentrieren – auf je-ne dauerhaften Wahrheiten, die im neuen Jahrhundert dieselbe Bedeutung haben werden wie im alten“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 10).

4.4 Zusammenfassung des Kapitels

In den vorangegangenen Abschnitten dieses Kapitels habe ich unterschiedliche Formen der

Beeinflussung und ihre möglichen Formen und Bedeutungen in und für die ökonomischen

Standardlehrbücher diskutiert. Dabei bin ich im Wesentlichen exemplarisch vorgegangen, in-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

89

dem ich mich maßgeblich zwei Lehrbüchern und hier wiederum insbesondere deren einleiten-

den Kapiteln zugewendet habe. Meine Argumentation stützte sich dabei maßgeblich darauf,

Erkenntnisse aus anderen Disziplinen – allen voran den Kognitionswissenschaften, aber etwa

auch der Beeinflussungsforschung und der Lerntheorie – auf den Fall der ökonomischen Stan-

dardlehrbücher zu übertragen. Dabei standen vor allem die sprachliche Analyse (insbesondere

syntax- und wortbezogener rhetorischer Figuren) sowie (anfänglich) die Analyse visueller Ele-

mente im Vordergrund. Empirische Untersuchungen habe ich keine vorgenommen, sondern

hauptsächlich textbasiert argumentiert.

In diesem Rahmen vermögen die Ausführungen dieses Kapitels aus meiner Sicht auf einen

grundlegenden Umbruch wirtschaftswissenschaftlicher Argumentations-, Denk- und Wahr-

nehmungsweisen und ihrer Vermittlung hinzuweisen. Dies gilt sowohl im Vergleich zu einer

sich als objektiv im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne verstehenden Volkswirt-

schaftslehre, für welche die neoklassische Theorie (in ihrem ursprünglichen Gewand aus dem

19. Jahrhundert) steht, als auch im Vergleich zu Wissenschaftsverständnissen des 20. Jahrhun-

derts (etwa der österreichischen Schule der Nationalökonomie), die zwar die Bedeutung un-

bewusster Urteile betonen, diese aber vornehmlich zum Zwecke objektiver Theoriebildung zu

schulen versuchen.

Diesen Umbruch in seinen Strukturen, seiner Genese und seiner Bedeutung noch umfassender

zu erforschen, ist weiteren Forschungsarbeiten vorbehalten. Dieses Kapitel beschließend

möchte ich aber zumindest einen ersten Versuch unternehmen, seine grundlegende Struktur

nochmals zusammenfassend zu skizzieren und grafisch zu veranschaulichen. Damit möchte ich

gerade nicht vorgeben, das Thema sei abschließend behandelt, sondern der weiteren For-

schung einen möglichen Denkraum eröffnen.

Blicken wir nochmals zurück auf die Abbildung 2 (S. 42 dieser Studie). Grundsätzlich zeigt sie,

wie sich der Fokus im Hinblick auf die für die Wissenschaft wesentlichen Erkenntnisformen

systematisch verschiebt: Das Ideal reiner Objektivität nimmt für sich in Anspruch, lediglich auf

bewusste Formen der Erkenntnis zurückzugreifen, wie sie sich in einem Bereich des vollkom-

men erfahrungsunabhängigen Denkens bilden lassen. Das geschulte Urteil hingegen rekurriert

zudem auf Erkenntnisleistungen, wie sie durch bereits vergangene Erfahrungen geframet und

dem Denken in seinem unbewussten Bereich vorgegeben sind. In diesem Bereich nimmt es

dafür eine Selektion vor (in unserem Beispiel selektiert es vor allem die geldwirtschaftliche

Erfahrung). Der selektierte Teil des Common Sense wird sodann mit den bewussten Kogniti-

onsleistungen des Systems 2 verknüpft, wobei dieser Verknüpfungsprozess teils bewusst, teils

unbewusst vonstattengeht und damit selbst nicht vollkommen rational erfassbar ist. Genauer

sind dabei folgende Punkte wesentlich:

Im Rahmen des geschulten Urteils wird lediglich ein kleinerer Ausschnitt des Unbe-

wussten aktiviert. Dabei handelt es sich wesentlich um surface frames, also um Frames

auf sprachlicher Ebene (vgl. Lakoff/Wehling 2016, S. 73); Geht es doch vornehmlich da-

rum, zwischen der alltäglichen Bedeutung einzelner Wörter (‚Angebot‘, ‚Nachfra-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

90

ge‘ etc.) und deren rein funktionaler Ausdrücke im Bereich der reinen Objektivität zu

vermitteln.

Selbst der Gebrauch von Begriffen und Konzepten der Mechanik aktiviert kaum mehr

als diese surface frames, weil er sich überwiegend in Form von Analogien vollzieht.

Das Resultat der Verknüpfung von bewusster und unbewusster Erkenntnisleistung

kann (und muss) vom bewussten Teil der Kognition überprüft werden. Denn das kogni-

tiv Unbewusste hat vornehmlich der Ermöglichung rationaler Urteile zu dienen. Es hat

dafür zu sorgen, dass der Verstand rechnen kann – und mehr nicht.

Andersherum gesagt unterliegt das System 1 der Kontrolle des Systems 2, und diese

Kontrolle kann als streng bezeichnet werden.

Im Vergleich dazu passiert in den heutigen ökonomischen Standardlehrbüchern, sollten sich

die Vorgehensweisen von Samuelson und Nordhaus sowie Mankiw tatsächlich als exempla-

risch erweisen, etwas gänzlich anderes (vgl. Abbildung 7):

Der Großteil der zu erlernenden (vermeintlich wissenschaftlichen) Erkenntnisleistung

rutscht gleichsam ins Unbewusste ab:69 Das Wissen um ökonomische Zusammenhänge

wird kaum mehr in einem tatsächlich objektiven Sinne geschult. Insbesondere fehlt die

Vermittlung grundlegender Kenntnisse über die Voraussetzungen mathematischer Ar-

gumentationsweisen ebenso wie eine intensive Schulung dieser Weisen selbst. Statt-

dessen wird die Mathematik allenfalls in einem analogischen Sinne verwendet (was

etwa Jevons noch explizit ausschloss): Sie dient nun gleichsam als Ursprungsdomäne,

um im Zielbereich des unreflektierten Common Sense gedankliche Veränderungen zu

bewirken. Die Ebene bewusster Verstandesleistung, wie sie für eine objektive Wissen-

schaft kennzeichnend ist, wird auf diese Weise kaum mehr erreicht, sondern allenfalls

für Umformungen des kognitiv Unbewussten genutzt (symbolisiert durch den nach un-

ten gerichteten Pfeil).

69 Man beachte hier, dass auch ich hier von Frames Gebrauch mache, die mit ‚oben‘ und ‚unten‘ assoziiert sind. Dies ist dem üblichen Gebrauch in der Psychologie und den Kognitionswissenschaften geschuldet, die das Unbewusste

zumeist in der ‚Tiefe‘ vermuten, wie allein schon die Fachausdrücke surface frames und deep seated frames zum

Ausdruck bringen. Richtig ist, dass mit dieser ‚Tiefe‘ oder diesem ‚Herabsinken‘ auch eine Unabänderlichkeit und

Unveränderlichkeit assoziiert ist: Was einmal ‚in der Tiefe versunken ist‘, soll nicht oder kaum mehr ‚emporstei-gen‘ können. Wie im Abschlusskapitel deutlich werden wird, stimme ich selbst genau dieser Assoziation nur teilwei-

se zu. Zumindest plädiere ich dafür, sie bewusst zu reflektieren. Dies dürfte ein wesentlicher Unterschied zum weit-

gehend unkritischen Gebrauch in den ökonomischen Standardlehrbüchern und womöglich auch in den Kognitions-

wissenschaften sein.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

91

Abbildung 7: Beeinflusste Erkenntnisprozesse (eigene Darstellung)

Auch das selektive Framing zielt nicht mehr auf die Befähigung zu objektiven Urteilen

ab. So dienen etwa die Annahmen des ‚vollkommenen Marktes‘ eher dazu, den Com-

mon Sense ebenfalls umzubilden (man beachte in der Abbildung den nach unten ge-

richteten Pfeil, der beim geschulten Urteil noch nach oben, also in Richtung System 2,

zeigte).

Es bleibt nicht allein bei der Aktivierung von surface frames. Stattdessen werden Ver-

suche unternommen, den Common Sense zusätzlich durch die Aktivierung von deep

seated frames umzubilden, die genuin nichts mit wirtschaftlicher Erfahrung, sondern

entweder mit politischen oder ideologischen Prinzipien oder aber mit Grundideen über

die Unabänderlichkeit natürlicher Vorgänge (etwa den ‚Gesetzen der Schwerkraft‘) zu tun haben und deswegen tief im Unbewussten schlicht als wahr akzeptiert zu werden

drohen.

Alternativen zu dieser Art der Einlagerung werden nicht geboten, ebenso wenig wie

Formen ihrer Reflexion. Stattdessen wird durch Verschweigen eine Hypokognition und

damit die Festlegung auf einen bestimmten Common Sense gefördert.

Ökonomische Standardlehrbücher appellieren nicht allein an den wirtschaftlichen

Common Sense (wie das geschulte Urteil), sondern formen diesen grundsätzlich um.

Im Sinne der threshold concepts verfügen die Kernkonzepte dieser Lehrbücher (wie

‚Markt‘, ‚Gesetz der Nachfrage‘ etc.) über das Potential, subjektive Einstellungen

(Selbst- und Weltbilder) grundlegend zu verändern. Diese Tatsache selbst wird aber

nicht vermittelt, sodass Studierende nicht befähigt werden, eine reflektierte Entschei-

dung über eine solche Umbildung ihrer eigenen Subjektivität zu treffen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich meines Erachtens tatsächlich mit Recht von einer Indoktrina-

tion sprechen: Finden die vorgenannten Prozesse statt, so kann die ökonomische Standardleh-

re zum Vehikel werden, um Studierenden unkritisch tiefsitzende Glaubenssätze, Weltanschau-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

92

ungen und Werte zu vermitteln. Zugleich ist, so hoffe ich, auch deutlich geworden, dass diese

Indoktrination nicht pauschal der neoklassischen Theorie anzulasten ist. Eher wäre zu überle-

gen, ob und ggf. wie sich ökonomische Lehrbücher etwa in Analogie zur Werbung als eigen-

ständiges Textmedium zwischen fiktionalen und theoretisch-wissenschaftlichen Texten ansie-

deln ließen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

93

5 Manipulation in ökonomischen Standardlehrbüchern

Gerade schrieb ich, dass es dem geschulten Urteil möglich ist, das Resultat der Verknüpfung

von bewusster und unbewusster Erkenntnisleistung auf Ebenen des Bewusstseins zu überprü-

fen. Genauer: Es stehen in diesem Urteil dem Einzelnen in seinem bewusst-reflektierten Ver-

stand Möglichkeiten offen, die Fortschritte der Umbildung seiner unbewussten Denkleistungen

zu kontrollieren. Dies gilt, auch wenn diese Form der Kontrolle im Rahmen der neoklassischen

Theorie eben nur eine rein theoretische im Reich mathematischer Kriterien ist und deshalb

eine Überprüfung an empirischen Kontexten kaum stattfinden kann. Im Falle der Beeinflussung

durch die ökonomischen Lehrbücher droht sich eine andere, weit grundlegendere Umformung

menschlicher Denk-und Wahrnehmungsformen zu vollziehen. Diese findet in jedem Einzelnen

statt, zugleich aber scheint jeder ihr vollkommen passiv gegenüberzustehen. Gewissermaßen

werden Menschen angeleitet, sich selbst umzubilden, aber wie sie dies tun sollen, darüber

sollen sie keine bewusste Kontrolle ausüben können.

Erweist sich diese Beobachtung als richtig, so müssen folglich auch die Kriterien, warum und

wozu diese Umbildung zu geschehen hat, außerhalb des Einzelnen liegen. Das geschulte Urteil

ist ebenso wie die Objektivität eine epistemische Tugend, und diese ist von Wissenschaft-

ler_innen ausdrücklich zu kultivieren: Man hat bewusst nach bestimmten Weltsichten ebenso

wie Selbstbildern zu streben (vgl. erneut Daston/Galison 2007). Doch die Denkweise, welche

Samuelson und Nordhaus sowie Mankiw zu vermitteln versuchen, verfügt kaum über eine

solche Komponente des Bewusstseins. Wie bei jeder anderen Form der Beeinflussung gilt, dass

sich hier die Subjektivität des Menschen umzubilden hat, doch ohne dass dieser selbst die da-

für notwendigen Kriterien benennen könnte. Es sollen sich seine eigenen Wertmaßstäbe und

sein Urteilskriterium grundlegend wandeln, doch warum dies so ist, soll seiner Reflexion ent-

zogen bleiben. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Kriterien über Erfolg und Misserfolg

einerseits und über Sinn und Zweck von Beeinflussungsprozessen in der ökonomischen Bildung

andererseits von anderen gebildet werden müssen, die selbst nicht auf der Seite der Rezipi-

ent_innen, also der Studierenden, stehen.

Diese Beobachtung führt zu einer wichtigen Unterscheidung, die ich bislang übergangen habe:

jener zwischen Beeinflussung im Allgemeinen und Manipulation im Speziellen. Da diese Begrif-

fe in verschiedenen Kontexten unterschiedlich, ja oft widersprüchlich gebraucht werden, ist es

notwendig, deren Bedeutungen, wie sie im Rahmen dieser Studie von Relevanz sein sollen,

zunächst klar zu beschreiben: Mit Beeinflussung meine ich grundsätzlich eine Form zwischen-

menschlicher Kommunikation, die auf die Veränderungen gedanklicher Deutungsrahmen, d. h.

sowohl von surface frames als auch von deep seated frames, des Kommunikationspartners zielt.

Demgegenüber weist die Manipulation zwei weitere Elemente auf, die sie gleichsam als Unter-

klasse der Beeinflussung ausweist:

Erstens lässt sich, ob Manipulation vorliegt oder nicht, am Grad der Transparenz der Beeinflus-

sung entscheiden:

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

94

„Während Steuerung jene Beeinflussungsformen kennzeichnet, bei denen Tatbestand und

Ziel der Beeinflussung den zu Beeinflussenden bewußt und bekannt ist, meint Manipulation

jene Art von Fremdbestimmung, die Absicht und Ziel der Beeinflussung nicht erkennen

läßt“ (Krüger 1977, S. 6).

Manipulation ist verdeckte Einflussnahme (vgl. Ahlfeld 2015, S. 8-9), die gezielt Schwächen der

Rezipient_innen, insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit zur kritischen Reflexion, ausnutzt.

Diese Schwächen können in einem Mangel an strategischem Denken ebenso begründet liegen

wie in einer limitierten Aufmerksamkeit oder der Anfälligkeit für kognitive Voreingenommen-

heit (vgl. Franke/Rooij 2016, S. 255). Nach dem, was ich gerade ausgeführt habe, entspricht die

Vorgehensweise der im vorherigen Kapitel diskutierten Standardlehrbücher klar diesem Krite-

rium der Manipulation, eben weil noch nicht einmal eine Aufklärung über den Tatbestand der

Beeinflussung, wie ich sie im letzten Kapitel dargelegt habe, stattfindet. (Dies steht etwa im

deutlichen Gegensatz zur Werbung, bei der die Rezipient_innen zumindest oftmals wissen,

dass sie beeinflusst werden sollen, auch wenn sie keine genauere Kenntnis davon haben kön-

nen, wie dies vonstattengeht.)

Zweitens, und dies ist der komplexere Aspekt, wird mit dem Begriff der Manipulation zudem

häufig die klare Benennung einer Absicht verbunden. Manipulation ist zielgerichtete Einfluss-

nahme (vgl. Ahlfeld 2015, S. 8-9). Oder noch genauer: „Manipulation ist grundsätzlich eigen-nützig, ausschließlich auf den eigenen Vorteil ausgerichtet, auch dann, wenn sich dieser zum

Nachteil anderer auswirkt“ (Zinn 2013, S. 124). Sie rückt damit in den Bereich der Propaganda:

„Propaganda is the deliberate, systematic attempt to shape perceptions, manipulate cogni-

tions, and direct behavior to achieve a response that furthers the desired intent of the propa-

gandist“ (Jowett, O’Donell 2012, S. 7).

Lässt sich aber wirklich vermuten, dass die Produzenten der Lehrbücher ihrerseits bestimmte

Ziele und Zwecke verfolgen? Bislang habe ich diese Frage bewusst nicht gestellt, sondern ledig-

lich aufgezeigt, wie eine Beeinflussung unbewusster Denk- und Wahrnehmungsweisen im

Rahmen der ökonomischen Standardlehre erfolgen kann. Der Grund, den ich im nachfolgen-

den letzten Kapitel nochmals aufgreifen werde, ist: Beeinflussungsformen funktionieren, un-

abhängig davon, ob sie von den Agent_innen (in unserem Falle den Produzenten der Lehrbü-

cher) intendiert sind oder nicht. Eben weil sie sich auf unbewusster Ebene vollziehen, spielt die

Frage der Intentionen für deren Wirksamkeit auf Seiten der ‚Ziele‘ (der Rezipient_innen, in

unserem Falle der Studierenden) keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle. Für jede

mögliche Form des Widerstands auf dieser Zielseite ist es folglich auch erst einmal nicht von

entscheidender Bedeutung, sich genauestens über die Intentionen der Agentenseite zu infor-

mieren. Es kann stattdessen ausreichen, sich über die Funktionsweisen von Beeinflussungs-

formen aufzuklären, sich diesen zu entziehen und nach alternativen Formen alternativer öko-

nomischer Bildung Ausschau zu halten (bzw. diese zu entwickeln).

Gleichwohl erschiene es mir dennoch verantwortungslos, sich gänzlich aller Frage über die

Agentenseite im Allgemeinen und deren Manipulationsabsichten im Speziellen zu entziehen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

95

Wem nützt die heutige Gestalt ökonomischer Standardlehrbücher? Von wem kann sie gewollt

sein? Hat sie jemand zu verantworten, und wenn ja, wer? In welchen politischen und gesell-

schaftlichen Gesamtkontexten ist sie eingebettet? Welche Ziele können damit von wem ver-

folgt werden? Diese und weitere Fragen müssen aus meiner Sicht nicht nur gestellt, sondern

auch eingehend erforscht werden. Zugleich aber werde ich in dieser Studie keine vorschnellen

Antworten präsentieren. Noch nicht einmal erhebe ich den Anspruch, hier bereits die richtigen

Fragen zu stellen. Stattdessen möchte ich im Folgenden lediglich auf zweierlei aufmerksam

machen: Erstens geht es mir darum, wenigstens kurz auf den weiteren politischen Kontext

aufmerksam zu machen, in denen Fragen nach der Rolle der ökonomischen Bildung in und für

die Gesellschaft meiner Ansicht nach zukünftig eingebettet werden können. Zweitens will ich

meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass die Wechselbeziehungen zwischen diesem poli-

tischen Kontext und der Entstehung der ökonomischen Standardlehrbücher und ihrer Beein-

flussungsformen wahrscheinlich nicht kausal zu erklären sein werden. Eher wird sie sich pro-

zessual und feldhaft analysieren, nicht aber vorschnell auf einzelne Akteur_innen (ob Instituti-

onen oder einzelne Autor_innen) verrechnen lassen. Den beiden Themen sind die beiden

nachfolgenden Unterabschnitte gewidmet, wobei ich mit dem ersten beginne.

5.1 „Waging the War of Ideas“70

In ihrem Buch Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht spre-

chen Lakoff und Wehling explizit vom freien Markt als einem „Mythos“: als einer „Metapher der Konservativen“ (für den deutschen Sprachgebrauch würde ich eher sagen: der Neolibera-len), die den politischen Sprachgebrauch auf der Ebene des Unbewussten zu prägen und damit

ganze Diskurse zu beherrschen versteht (Lakoff/Wehling 2016, S. 45). Dies zeigt, was den meis-

ten Leser_innen dieser Studie wahrscheinlich bereits als selbstverständlich erscheint: die Rede

von DEM MARKT in ökonomischen Standardlehrbüchern ist längst nicht auf diese Bücher be-

grenzt, sondern ist vor allem auch der politischen Sphäre zuzuordnen. Welche Verbindungen

aber sind dann zwischen Bildung und Wirtschaftswissenschaft auf der einen und der Sphäre

des Politischen auf der anderen Seite zu ziehen?

Mir geht es hier nicht darum, solche Verbindungen tatsächlich aufzuzeigen, sondern lediglich

in groben Zügen anzudeuten, welche Formen dieser Verbindungen Akteur_innen aus dem

Bereich des Neoliberalismus selbst gesehen, diskutiert und hergestellt haben. Dabei ist mir

insbesondere daran gelegen, auf fundamentale Verständnisse der Bedeutung unbewusster

Denkmuster für die Herrschaft der Gesellschaft aufmerksam zu machen, wie sie im Neolibera-

lismus etwa durch Friedrich Hayek und Walter Lippmann geprägt wurden.71

Wie in der Einleitung bereits erwähnt war sich Hayek, einer der wichtigsten Vertreter des Libe-

ralismus und Neoliberalismus im 20. Jahrhundert, in einer wesentlichen Frage mit seinem

70 „Waging the War of Ideas“ ist der Titel einer Veröffentlichung des marktfundamentalen Think Tanks Institute of Economic Affairs (Blundell 2015). 71 Die restliche Argumentation in diesem Unterabschnitt übernehme ich im Wesentlichen aus Graupe 2016a.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

96

sonstigen Gegenspieler John Maynard Keynes einig. Dieser sagt: „Die Ideen der Ökonomen und politischen Philosophen, gleich ob sie richtig oder falsch sind, sind mächtiger als allgemein

angenommen wird. In Wirklichkeit wird die Welt von kaum etwas anderem regiert“ (Keynes

1936, S. 383). Auch sei hier nochmals das Zitat Hayeks wiederholt:

„Die Macht abstrakter Ideen beruht in hohem Maße auf eben der Tatsache, daß sie nicht be-wußt als Theorien aufgefaßt, sondern von den meisten Menschen als unmittelbar einleuch-

tende Wahrheiten angesehen werden, die als stillschweigend angenommene Voraussetzun-

gen fungieren“ (Hayek 1980, S. 100).

Ein kurzer Blick in die Theorie und Praxis der Beeinflussung der öffentlichen Meinung (public

opinion im Englischen; ein Begriff, der insbesondere von Walter Lippmann geprägt wurde), wie

sie sich seit Beginn des letzten Jahrhunderts entwickelt hat, hilft, dieses Verständnis zu konkre-

tisieren. In seinem grundlegenden Werk Propaganda aus dem Jahr 1928 schreibt Edward Ber-

nays:

„Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinun-

gen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die unge-

sehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche

die wahre Herrschermacht unseres Landes ist“ (Bernays 1928, S. 37).

Bernays gilt als ein wesentlicher Entdecker der politischer Bedeutung und Nutzbarmachung

des Unbewussten. Er verhalf der Vorstellung, das Unbewusste der Vielen (‚der Masse‘) sei durch einige wenige (‚die Elite‘) zu beeinflussen und zu kontrollieren, zum Durchbruch. Walter

Lippmann, enger Weggefährte Hayeks, baut diese Grundidee in seinem Werk Public Opinion

(1922) aus. Lippmann zufolge geht es um

„das Einfügen einer Scheinwelt (pseudo-environment) zwischen Mensch und seiner Umwelt.

Zu dieser Scheinwelt ist sein Verhalten eine Reaktion. Aber weil es ein Verhalten darstellt,

vollziehen sich seine Konsequenzen, wenn sie Akte darstellen, nicht in der Scheinwelt, in der

sein Verhalten stimuliert wird, sondern in der realen Umwelt, in die seine Tätigkeiten eintre-

ten“ (Lippmann 1922, S. 1572).

Der gewöhnliche Mensch soll nicht inmitten der Welt bewusst leben und aus diesem Engage-

ment seine Wahrnehmung formen. Vielmehr soll er durch vorgegebene Vorstellungsbilder von

dieser Welt getrennt sein. Das Markenzeichen des Stereotyps, wie Lippmann diese Bilder auch

nennt, ist, „dass es dem Gebrauch des Verstandes vorausgeht; es ist eine Form der Wahrneh-mung und zwingt den Sinneseindrücken einen bestimmten Charakter auf, bevor diese Eindrü-

cke den reflektierenden Verstand erreichen“ (Lippmann 1922, S. 70). So errichtet es eine kog-

nitive Barriere zwischen Mensch und Welt. „Der reale Raum, die reale Zeit, reale Zahlen, reale Beziehungen, reale Gewichte gehen verloren. Die Perspektiven und die Hintergründe und die

Dimensionen der Handlung werden abgeschnitten und eingefroren im Stereotyp“ (Lippmann

1922, S. 110). Alle Entscheidungen sollen damit gleichsam automatisch auf der Basis einer be-

stimmten Weltanschauung getroffen werden. „Mentale Gewohnheiten“, schreibt Bernays, „sollen in der gleichen Weise Stereotype hervorbringen, wie physische Gewohnheiten reflexar-

72 Diese und die folgenden Übersetzungen aus dem englischen Original Lippmanns stammen von mir.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

97

tige Handlungen stimulieren“ (Bernays 1961, S. 162). Dieser Auffassung nach soll dem Men-

schen nichts anderes bleiben, als aufgrund von vorgegebenen Bewusstseinsinhalten auf äuße-

re Anreize zu reagieren. Die einfache Tatsache, dass Menschen über die Fähigkeit verfügen,

sich dieser Inhalte bewusst zu werden, diese aktiv zu verändern und in der Folge Entscheidun-

gen anders zu treffen, wird somit übergangen bzw. ausgeschlossen.

Während nach Lippmann die verhaltensleitenden Scheinwelten von ‚der Masse‘ also nicht reflektiert werden können, soll ‚die Elite‘ diese Welten gezielt prägen und damit das Verhalten der Vielen kraft der Erzeugung und Beeinflussung unbewusster Vorstellungsbilder steuern

können. Dabei kommt für ihn der Wissenschaft allgemein und speziell den Wirtschaftswissen-

schaften eine besondere Bedeutung zu. Ob wahr oder falsch, sollen ihre Theorien und Metho-

den helfen können, den menschlichen Verstand zu prägen, ohne dass es den Vielen auffiele.

Wissenschaft soll, so Lippmann, „eine Form des Expertentums zwischen den privaten Bürgern und die unermesslichen Lebensumstände schalten, in die er eingebunden ist“ (Lippmann 1922,

S. 251) und auf diese Weise den Raum des Denk- und Wahrnehmbaren fest umreißen (vgl.

Lippmann 1922, S. 249).

Hierfür bedarf es, so macht wiederum Hayek deutlich, der Herausbildung eines besonderen

Typus des Intellektuellen, der „alle Angelegenheiten nicht aufgrund ihrer spezifischen Ver-dienste und Leistungen, sondern […] allein im Licht bestimmter, modischer allgemeiner Ideen

beschreibt“ (Hayek 1949, S. 12, Übersetzung: S. G.). Hayek nennt diesen einen „Second-Hand

Dealer in Ideas“, den „eine Abwesenheit direkter Verantwortung für praktische Angelegenhei-ten und eine daraus folgende Abwesenheit eines Wissens aus eigener Erfahrung prägt“ (Hayek

1949, S. 13). Der bzw. die Wissenschaftler_in soll sich allein im Bann festgefügter Stereotype

bewegen, auf dem alle seine Aussagen und Entscheidungen basieren. In sozialer Resonanz, d. h.

im Zusammenspiel der vielen Second-Hand Dealers in Ideas, vermag ein bestimmtes „Mei-nungsklima“ zu entstehen – „ein Set sehr allgemeiner vorgefasster Meinungen […], mit deren Hilfe der Intellektuelle die Wichtigkeit neuer Fakten und Meinungen einschätzt (Hayek 1949, S.

17). „Sobald der eher aktive Teil der Intellektuellen zu einer bestimmten Reihe von Glaubenss-ätzen konvertiert wurde, verläuft der Prozess, in dessen Verlauf diese Sätze allgemein akzep-

tiert werden, nahezu automatisch und unaufhaltsam“ (Hayek 1949, S. 13). Anders gesagt sol-

len Wissenschaftler_innen, die auf der Grundlage bestimmter Stereotype denken, aber nie-

mals über sie, im Bereich des politischen und gesellschaftlichen Lebens als ‚Gatekeepers of

Ideas‘ fungieren (vgl. Blundell 2015, S. 56ff.). Sie sollen darüber entscheiden können, „welche Ansichten und Meinungen uns erreichen, welche Fakten so wichtig erscheinen, dass sie uns

mitgeteilt werden und in welcher Form und aus welcher Perspektive sie uns präsentiert wer-

den“ (Hayek 1949, S. 11).

Anders formuliert, kann Wissenschaft die Aufgabe übernehmen, die Wahrnehmungsfähigkeit

des Wissenschaftlers bzw. der Wissenschaftlerin auf wenige Abstraktionen einzuschränken, die

„nicht ein Produkt des Geistes [sind], sondern eher, was den Geist ausmacht“ (Hayek 1949, S.

48). Sie kann für ein blindes Vertrauen in und einen absoluten Gehorsam gegenüber einer be-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

98

stimmten Form der Weltanschauung sorgen – und zwar „nicht durch bewusste Wahl oder ab-sichtliche Selektion, sondern mittels eines Mechanismus, über den wir nicht bewusst Kontrolle

ausüben“ (Hayek, 1949, S. 49). Dieses Vertrauen aber stellt kein natürliches, gegebenes Phä-

nomen dar; es ist durch einen ‚Krieg der Ideen‘ überhaupt erst herzustellen, wie es das von

Hayek mitgegründete Institute of Economic Affairs (IAE) recht martialisch nennt (vgl. Blundell

2015):

„Grundlegend für den Kampf, die individuelle Freiheit zu propagieren, ist die Aufgabe, unsere

Mitmenschen davon zu überzeugen, dass die freie Marktallokation von Waren und Dienstleis-

tungen nicht nur ökonomisch effizient und wohlstandssteigernd ist, sondern auch, und dies ist

wesentlich wichtiger, dass die Marktallokation jeder anderen Form des Austausches moralisch

überlegen ist“ (Williams 2015, S. xiii).

Und in diesem Kampf nun soll eine ‚educational route‘ – entwickelt etwa durch die Foundation

for Economic Education eine wesentliche Rolle spielen und Wissenschaftler_innen zu Second-

Hand Dealers in Ideas erziehen (vgl. Blundell 2015, S. 26).

In einem sehr groben, wahrscheinlich zu groben Schnelldurchgang habe ich in den letzten Ab-

sätzen zu skizzieren versucht, wie nach Ansicht prominenter neoliberaler Denker und instituti-

oneller Vertreter abstrakte und zugleich unbewusste Denkmuster in gesellschaftlichen und

politischen Kontexten Macht ausüben können und welche fundamentale Rolle speziell die

Wirtschaftswissenschaft darin einnehmen kann. Dies besagt nicht, dass aufgrund dieser An-

sicht die heutigen ökonomischen Standardlehrbücher gleichsam automatisch ihre heutige

Form gefunden hätten. Es untergräbt aber meines Erachtens dennoch jegliche Formen eines

naiven Glaubens, Entwicklungen in Wissenschaft und Bildung, wie sie insbesondere nach dem

Zweiten Weltkrieg stattgefunden haben, ließen sich gleichsam nur im akademischen Elfenbein-

turm verorten und begründen. Stattdessen sehe ich deutliche Anzeichen dafür, dass die Frage

nach möglichen Verbindungen zwischen politischer Propaganda auf der einen und tatsächli-

cher Manipulation im Sinne zielgerichteter und verdeckter Einflussnahme innerhalb der öko-

nomischen Standardlehre auf der anderen Seite ein Forschungsdesiderat darstellt, dem in Zu-

kunft verstärkt Beachtung zu schenken sein wird.

5.2 Ökonomische Standardlehrbücher als politischer Prozess

In seinem Blog zitiert Mankiw unter der Rubrik Timeless Words of Wisdom Samuelson mit fol-

genden Worten: „I don't care who writes a nation's laws, or crafts its advanced treaties, if I can

write its economics textbooks“73. Dies zeigt, dass die Lehrbuchautor_innen, deren Texte ich in

dieser Studie exemplarisch analysiert habe, um die potentiell gesellschaftsgestaltende Macht

ökonomischer Lehrbücher wissen bzw. wussten. Dies verweist ebenso wie meine vorangegan-

genen Ausführungen darauf, dass in einem allgemeinen Sinne mit gewissem Recht von einer

Manipulationsabsicht in oben definiertem Sinne gesprochen werden kann. Weit wesentlicher

als eine solche allgemeine Feststellung wird aber meines Erachtens zukünftig sein, die genauen

73 http://gregmankiw.blogspot.de/ (Zugriff: 02. April 2017).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

99

Konstellationen zu erforschen, unter denen diese Absicht (sei es von einzelnen Autor_innen,

Institutionen oder politischen Strömungen) tatsächlich in ökonomischen Standardlehrbüchern

konkrete Formen annehmen konnte. Dabei ist meines Erachtens eher davon Abstand zu neh-

men, diesen oder jenen Autor_innen oder dieser oder jener theoretischen Erkenntnis einfach

kausal Wirkmächtigkeit zuschreiben zu wollen. Nur weil etwa Hayek die Nützlichkeit von Wis-

senschaftler_innen, speziell Ökonom_innen im Sinne von Second-Hand Dealers in Ideas oder

Gatekeepers of Ideas erkennt und offen propagiert, erklärt dies noch nicht, wie die ökonomi-

schen Standardlehrbücher die Gestalt angenommen haben, die sie heute besitzen. Dies bedeu-

tet im Umkehrschluss allerdings auch nicht, keinerlei Zusammenhang sehen zu können oder zu

wollen. Es gilt stattdessen, einen mittleren Weg zwischen stark vereinfachender Darstellungen

einerseits, die klar Schuldige benennen wollen, und einer Verleugnung oder Verharmlosung

der Beziehungen zwischen politischen Zwecksetzungen und ökonomischer Bildung anderer-

seits zu finden.

Yann Giraud spricht davon, die Erstellung von ökonomischen Standardlehrbüchern selbst als

politischen Prozess zu beschreiben:

„By ‚political’ it is not meant the conduct of party politics but the many political elements that a textbook author has to take into account if he wants to be published and favorably re-

ceived“ (Giraud 2013, S. 1).

Im Verlauf dieser Studie habe ich textliche Aussagen stets ihren Autor_innen (vornehmlich

Samuelson/Nordhaus und Mankiw) zugesprochen. Wie aber etwa Girauds Studie am Beispiel

von Samuelsons Economics deutlich macht, kann es sich dabei lediglich um eine grobe Verein-

fachung zum Zwecke besserer Leserlichkeit handeln. Sind diese Aussagen doch tatsächlich

Ergebnisse komplexer Beziehungsgeflechte innerhalb von Macht- und Interessenfeldern, die

nicht nur von den Hauptautor_innen, sondern etwa auch von Verlagen (wie etwa McGraw-Hill),

Universitäten, Kolleg_innen, Aufsichtsbehörden, Think-Tanks und Stiftungen, Überset-

zer_innen, Gutachter_innen, Rezensent_innen etc. besetzt sind und zugleich immer im Kontext

ihrer Zeit (und dabei immer auch in Zusammenhang mit unterschiedlichen wirtschaftlichen,

persönlichen wie politischen Interessen) stehen (vgl. Giraud 2013).

Innerhalb solcher Felder und im Rahmen der Frage, wie diese sich im Laufe der Zeit selbst ge-

wandelt, verschoben und neu konstituiert haben, wird aus meiner Sicht zukünftig zu erfor-

schen sein, wie und warum etwa die neueren Ausgaben der Economics von Samuelson und

Nordhaus jene Beeinflussungsformen aufweisen können, die ich in den vorherigen Kapiteln

dargestellt habe, und inwiefern hier genau von Manipulation im Hinblick auf die Zielgerichtet-

heit dieser Formen die Rede sein kann und auch sein muss. Dabei wird auch und gerade zu

klären sein, warum ausgerechnet jenes Lehrbuch von Samuelson, das in seinen ersten Ausga-

ben eher keynesianistische und interventionistische Standpunkte vermittelte und dessen Autor

in der Forschung als einer der Hauptvertreter einer dezidiert mathematischen Ausrichtung der

Wirtschaftswissenschaft gelten kann, sich zu seiner heutigen Form entwickeln konnte, die klar

den ‚Mythos‘ DES MARKTES befördern, von dem Wehling und Lakoff sprechen (vgl. erneut La-

koff/Wehling 2016, S. 45).

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

100

6 Ausblick: Alternativen ökonomischer Bildung

Abschließend gilt es, im Rahmen dieser kurzen Studie wenigstens noch einen positiven Aus-

blick zu wagen: Welche Alternativen existieren zu ökonomischen Standardlehrbüchern und

welche Alternativen können zukünftig entwickelt werden?

Als erstes ist auf folgenden Umstand hinzuweisen: Da ich in dieser Studie bewusst exempla-

risch vorgegangen bin, lässt sich aus ihr keine Beurteilung oder gar (Vor-)Verurteilung aller in

einführenden volkswirtschaftlichen Lehrveranstaltungen heutzutage gängigen Lehrbüchern

ableiten. Die von mir im Detail untersuchten Einzelfälle lassen nicht pauschal auf eine gesamte

Klasse von Lehrmaterialien schließen. Dies bedeutet nicht, dass ich meinen Ausführungen kei-

nerlei Repräsentativität zugestünde. Doch möchte ich dazu einladen, sie eher als Vorbild und

Inspirationsquelle zu verstehen, damit Sie sich selbst auf die Suche nach Formen der Beeinflus-

sung und Manipulation beispielsweise in jenen Lehrbüchern machen können, die in Ihrem ei-

genen Gebrauch stehen (ob als Studierende oder Lehrende), und sich auf dieser Basis eigene

Urteile zu bilden. Selbstverständlich wird es in Zukunft weiterer und genauerer Hilfestellungen

für die Bildung solcher eigenen Urteile bedürfen, auch und gerade für bildungspolitische Ent-

scheidungsträger_innen. So ließen sich in Zukunft etwa Kriterienkataloge entwickeln, um im

Einzelnen zu prüfen, in welchem Grade einzelne Lehrbücher von unterschiedlichen Formen der

Einflussnahme (wie dem ideologischen Framing oder dem Verschweigen) Gebrauch machen.

Aber auch dies, so meine Überzeugung, wird niemanden, weder Studierende noch Lehrende

noch Entscheidungsträger_innen oder eine breitere Öffentlichkeit, davon entbinden, sich

selbst zur eigenen Urteilsbildung zu befähigen. Es kann eine solche Bildung vielmehr nur weiter

begünstigen.

Friestad und Wright (1994) argumentieren im Rahmen ihres persuasion knowledge models,

dass sich der tatsächliche Erfolg von Beeinflussungsmaßnahmen nicht allein an der Qualität der

Methoden, wie sie seitens der beeinflussenden Akteur_innen eingesetzt werden, messen lässt.

Jede Beeinflussungsepisode sei vielmehr geprägt von einem Zusammenspiel des Beeinflus-

sungsversuchs durch diese Akteur_innen einerseits und der Bewältigungsstrategie der Rezipi-

ent_innen andererseits. Folglich kann jede Stärkung der kritischen Reflexionsfähigkeit der Stu-

dierenden helfen, die tatsächliche Wirkung von Beeinflussungsmaßnahmen durch ökonomi-

sche Standardlehrbücher abzumildern. Wie Friestad und Wright im Kontext des kritischen Um-

gangs mit Werbung zeigen, kann dies durch eine Verbesserung des Wissens

um das eigentliche Thema (in unserem Falle beispielsweise über den eigentlichen Sinn

und Zweck sowie Methoden objektiver Wissenschaften),

um die Formen und Möglichkeiten der Beeinflussung (allgemein und an konkreten Bei-

spielen) sowie

um die Agent_innen der Beeinflussung und ihrer Intentionen (hier: des besagten politi-

schen Prozesses der Entwicklung und Verbreitung ökonomischer Lehrbücher) gesche-

hen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

101

Die Aufgabe von Lehrenden sowie von bildungspolitischen Entscheidungsträger_innen wird

aus meiner Sicht zukünftig sein, adäquate Kontexte zu schaffen, um Studierende zu einer sol-

chen dreifachen, kritischen Urteilsbildung zu befähigen und damit ihr Widerstandspotential zu

stärken. Dies könnte in einem ersten Schritt bedeuten, Lehrbücher mit einem nachweisbaren

Beeinflussungspotential nicht notwendig abzuschaffen, sondern sie dergestalt in Lehrkontexte

einzubinden, dass zumindest deren (vormals) verdeckte Formen der Beeinflussung und damit

ihre möglichen manipulativen Potentiale ausdrücklich in den Fokus der Reflexion und kriti-

schen Beurteilung rücken können. Hierfür werden aus meiner Sicht zukünftig Lehrmaterialien

über die Beeinflussungsformen ökonomischer Standardlehrbücher zu entwickeln sein. Diese

könnten etwa die Form von Begleitheften annehmen, die einzelnen Standardlehrbüchern bei-

gelegt werden könnten. Ein weiterer unkritischer Gebrauch solcher Lehrbücher, zumal unter

dem bloßen Deckmantel objektiver Wissenschaftlichkeit, erscheint mir hingegen kaum zu ver-

antworten zu sein.

Ein weiterer Schritt ließe sich ein wenig salopp so formulieren: Rettet die neoklassische Theo-

rie vor der Beeinflussung! Soll die Wirtschaftswissenschaft weiterhin ihr aus der neoklassi-

schen Theorie des 19. Jahrhundert übernommenes Ideal der Objektivität pflegen, so müssen

hierfür dezidiert geeignete Bildungsformen geschaffen werden. Denn wie in dieser Studie hof-

fentlich deutlich geworden ist, verfolgt eine Lehre, die von Beeinflussungsformen geprägt ist,

definitiv andere erkenntnistheoretische Zielsetzungen. Insbesondere wären hier das mathema-

tische Erkenntnisinstrumentarium sowie das Wissen um seine Voraussetzungen eigens und

dezidiert (wieder) zu schulen – und dies auf der Ebene eines bewussten und reflektierten Um-

gangs mit diesem Instrumentarium.

Doch entpuppte es sich im 21. Jahrhundert meines Erachtens als Sackgasse, bloß zu einer Vor-

stellung reiner Objektivität, die von aller (weil stets subjektiven) Erfahrung abzusehen strebt,

zurückkehren zu wollen. Dies gilt zumindest, wenn ökonomische Bildung einen Anspruch auf

gesellschaftliche Relevanz erheben soll. Denn wie die Kognitionswissenschaften und auch die

österreichische Schule der Nationalökonomie aufweisen, lässt sich nach heutigen wissen-

schaftlichen Erkenntnissen nur schwerlich noch von ‚reinen Fakten‘ sprechen, die auf keinerlei Erfahrungsbezüge rekurrieren:

„Fakten können ohne Frames nicht vermittelt werden. Frames interpretieren Fakten und ha-

ben einen selektiven Charakter. Und überwiegend unbewusst nehmen sie immensen Einfluss

auf unser politisches Handeln“ (Wehling 2016, S. 52).

In dieser Perspektive wird es in der ökonomischen Bildung aus meiner Sicht zukünftig weniger

darauf ankommen, nur eine vermeintlich erfahrungs- und damit auch wertfreie Argumentati-

onsweise zu schulen, wie es im 19. Jahrhundert erkenntnistheoretisch Ziel war. Wie ich vor

allem im zweiten Kapitel diskutiert habe, muss selbst eine objektive Theorie wie die Neoklassik

zumindest implizit auf Erfahrungsbezüge rekurrieren, und gerade dieser Bezug ist hochgradig

selektiv. Eine Abkehr von dieser Art Selektivität bedeutet nun nicht automatisch, einer Belie-

bigkeit das Wort zu reden und jedem Bemühen um Distanz zu subjektiven Erfahrungsbezügen

von vornherein eine Absage zu erteilen. Es bedeutet im Gegenteil, Bildungsorte zu schaffen, in

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

102

denen Menschen sich der Frames, auf denen sich selbst die wissenschaftliche Objektivität sich

unweigerlich stützen muss, bewusst werden und diese wählen, wenn nicht gar bewusst gestal-

ten können.74

Eine solche Öffnung kann aus meiner Sicht auch und gerade für Kritiker_innen des heutigen

ökonomischen Mainstreams bedeuten, neues Terrain zu entdecken. Lakoff und Wehling be-

schreiben für den politischen Kontext, wie progressive politische Kräfte (etwa die Demokraten

in den USA) sich häufig noch auf den Wahlspruch The facts will set you free verließen (vgl. La-

koff/Wehling 2016, S. 78-79). Dagegen gälte für konservative Kräfte:

„Konservative haben schon vor langer Zeit begriffen, durch welche Werte sie vereint sind, und

haben konsequent daran gearbeitet, eine ihren Werten entsprechende Sprache zu schaffen,

und sie über die Medien zu verbreiten. Sie haben herausgefunden, wie politisches Framing

funktioniert, und setzen diese Erkenntnisse stringent um – und das, wohlgemerkt, seit über

30 Jahren. Sie haben immer wieder sprachliche Frames geschaffen, die einem politischen

Denken im Sinne ihrer konservativen Wertordnung entsprechen. Und diese – sprachlichen –

Surface Frames passen genau in die festverankerten Deep Seated Frames konservativer Moral

und konservativer Weltsicht und stärken sie in den Köpfen der Menschen“ (Lakoff/Wehling

2016, S. 78-79).

Auf den Diskurs innerhalb der Wirtschaftswissenschaften übertragen vermag dies etwa Fol-

gendes zu bedeuten: Es scheint mir, als würde sich bislang ein gewichtiger Teil der Kritik am

gegenwärtigen Stand der Wirtschaftswissenschaften oftmals auf eine formale Kritik neoklassi-

scher Modelle und deren logischen Widersprüchlichkeiten sowie Inkompatibilitäten mit der

Realität beschränken. Nimmt man aber die Ergebnisse dieser Studie und allgemein der Kogni-

tionswissenschaften ernst, so wird deutlich, dass hierin nicht die einzigen und vielleicht noch

nicht einmal die erfolgsversprechenden Ansatzpunkte liegen müssen. Denn verfügt die öko-

nomische Bildung tatsächlich über ein Beeinflussungspotential, so droht es zumindest in Fra-

gen der Wirksamkeit dieser Bildungsform überhaupt nicht um wissenschaftliche Argumente zu

gehen. Schafft es diese Bildung tatsächlich, gleichsam unterhalb der Schwelle bewusster

Wahrnehmung und mit Hilfe des bloßen Appells an die Autorität der Wissenschaft alternative

Frames anzutrainieren, die bis tief in die Ebene unbewusster Weltanschauungen, Werte und

Selbstbilder herabreichen, dann mag auch hier stattdessen gelten, was Lakoff und Wehling

über den politischen Diskurs im Allgemeinen schreiben:

„Nun, und wenn Menschen erst einmal in diesen Deep Seated Frames denken, prallen nicht in

diese Frames passende Fakten einfach ab. Die Rechnung der Progressiven ‚The facts will set you free‘ geht nicht auf“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 79).

„Man muss Fakten den richtigen gedanklichen Rahmen geben“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 79) –

so lautet eine wesentliche Einsicht der Kognitionswissenschaften. Dies macht aus meiner Sicht

deutlich, dass selbst Forderungen nach einer reinen Multiperspektivität womöglich zu kurz

greifen werden, solange diese lediglich implizieren, aus verschiedenen Richtungen auf ein und

denselben Gegenstand schauen zu lernen. Insofern es diesen einen, objektiv vorhandenen

74 Genau dies ist ein wesentliches Ziel, das meine Kollegen und ich an der Cusanus Hochschule im Rahmen der von

uns neu entwickelten Studiengänge der Ökonomie (Bachelor und Master) verfolgen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

103

Gegenstand womöglich nicht gibt, scheint es mir eher darum zu gehen, in der ökonomischen

Bildung die Forderung nach der Schulung einer tatsächlichen gedanklichen Pluralität zu erhe-

ben: In der ökonomischen Bildung sind aus meiner Sicht zukünftig Wege und Orte zu schaffen,

auf und in denen Studierende tatsächlich alternative Frames und ihren Einfluss auf das, was für

Menschen überhaupt als ‚Fakten‘ gelten kann, entdecken und verstehen lernen können. Dafür

sind insbesondere Formen der Hypokognition als solche zu entlarven und zu einer tatsächli-

chen Pluralität gedanklicher Deutungsrahmen und deren bewusster Auswahl oder sogar Ge-

staltung zu befähigen.

Hier stellt sich allerdings ein erkenntnistheoretisches Rätsel, das aus meiner Sicht nicht nur die

Wirtschaftswissenschaften, sondern auch die Kognitionswissenschaften zukünftig beschäftigen

sollte. Ich werde dieses Rätsel hier nicht lösen können, wohl aber versuchen, es auf den Punkt

zu bringen. Schauen wir beispielsweise nochmals auf Kahneman und seine Rede von System 1

und System 2. Hier erscheinen Bewusstsein und Unbewusstsein als strikt voneinander getrennt.

Was unbewusst ist, muss folglich auch unbewusst bleiben. Warum aber kann ich (und mit mir

Autor_innen wie Lakoff und Wehling) dann fordern, dass wir uns denk- und handlungsleiten-

der Frames auf der Ebene des Unbewussten bewusst werden oder sogar aktiv gestalten kön-

nen sollten? Wie soll dies möglich sein? Wie sollten Lehrende junge Menschen dazu befähigen

können?

Kahneman selbst vermag einen entscheidenden Hinweis zu geben: In seinem Werk Thinking,

Fast and Slow gesteht er explizit zu, dass es sich bei der Unterscheidung und Trennung der

beiden Systeme selbst nicht um einen objektiven Fakt, sondern einen Frame zwecks besserer

Erklärbarkeit eines großen Teils der kognitiven Leistungen des Menschen handelt:

„System 1 and System 2 are so central to the story I tell […] that I must make it absolutely clear that they are fictitious characters. System 1 and 2 are not systems in the standard sense

of entities with interacting aspects or parts. And there is no part of the brain that either of the

systems would call home. […] The fictitious systems make it easier for me to think about judgement and choice, and will make it easier for you to understand what I say“ (Kahneman

2012, S. 29-30).

Auch die Kognitionswissenschaften arbeiten mit Frames, und auch diese sind (notwendig) se-

lektiv. Hinsichtlich der Fragen, die ich gerade gestellt habe, stoßen diese Frames, so nützlich sie

auch zuvor gewesen sein mögen, nun selbst an ihre Grenzen. Genauer: Bislang ging ich in der

vorliegenden Studie von einem Bewusstsein (System 2) aus, das rational-objektiv und somit

strikt unabhängig von allen menschlichen Erfahrungen zu arbeiten vermag (oder zumindest

danach strebt). Dieses Bewusstsein unterschied ich von einem unbewussten Teil des Denkens

und der Wahrnehmung (System 1), der auf Erfahrungen basiert, die immer schon als vorgege-

ben und damit der Kreativität des Menschen entzogen gelten. Erfahrungsunabhängiges, be-

wusstes Denken hier – erfahrungsabhängiges, aber unbewusstes Denken dort: Verwechselten

wir diese durchaus nützliche Unterscheidung mit einer tatsächlich ontologischen Aussage über

den Menschen, also mit einer Tatsache menschlicher Existenz, so muss uns die bloße Vorstel-

lung, gedanklichen Deutungsrahmen im Kontext des eigenen Lebens und der eigenen Erfah-

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

104

rungen bewusst schöpferisch gestalten zu können, absurd erscheinen. Wir scheinen keine an-

dere Alternative zu haben.

Für das Objektivitätsverständnis des 19. Jahrhunderts reicht die Vorstellung eines isolierten,

rein erfahrungsunabhängigen Bewusstseins aus. Für das geschulte Urteil und die Beeinflussung

des menschlichen Geistes, wie sie sich im 20. Jahrhundert entwickelten, genügt die Hinzunah-

me eines erfahrungsabhängigen Unbewussten. Doch eine wirklich plurale ökonomische Bil-

dung wird aus meiner Sicht zunächst, nun ja, pluralere Vorstellungen des Menschen und seiner

Denk- und Wahrnehmungsfähigkeiten entwickeln müssen. Sie wird verstehen lernen müssen,

wie ein bewusstes und zugleich erfahrungsbezogenes Denken nicht nur möglich ist, sondern

welche Rolle es in und für wissenschaftliche Erkenntnisprozesse zu spielen vermag – nicht um

Objektivität und geschultes Urteil zu ersetzen (und damit gleichsam das Rad wissenschaftlicher

Entwicklung einfach zurückzudrehen), sondern um sie so zu ergänzen, dass ein kritischer wie

schöpferischer Umgang mit gesellschaftlich wie individuell wirkmächtigen Frames möglich wird.

Interessant ist, dass sowohl in der österreichischen Schule der Nationalökonomie als auch in

den Kognitionswissenschaften genau ein solches bewusstes und zugleich erfahrungsbezogenes

Denken nicht nur wenig erwähnt und expliziert, sondern immer wieder auch als bloße Mög-

lichkeit ausgeschlossen wird. Ich möchte hier nochmals zwei Zitate aufgreifen, um diesen aus

meiner Sicht wichtigen Punkt exemplarisch deutlich zu machen. So heißt es bei von Wieser:

Der Mensch „findet im Schatze der gemeinen wirtschaftlichen Erfahrung alle wichtigen Tatsa-chen der Wirtschaft aufgesammelt, und warum sollte sie dieses nicht hier an der Quelle fas-

sen? Sie findet, daß gewisse Akte im Bewußtsein mit dem Gefühle der Notwendigkeit vollzo-

gen werden, und warum sollte sie sich erst bemühen, durch lange Induktionsreihen ein Ge-

setz festzustellen, während jeder in sich selbst die Stimme des Gesetzes deutlich vernimmt?

[...] Auf die Frage nach dem letzten Warum, auf die Frage, wie es kommt, daß ich denke und

nach gewissen Regeln denke, werde ich mir im letzten Grunde mit Lichtenberg antworten

müssen, ‚es denkt‘. Das Bewußtsein arbeitet unbewußt und kann sich keine Rechenschaft

darüber geben, warum die Tatsachen in ihm hervortreten und verschwinden, es gibt noch ein

Etwas unter der Schwelle des Bewußtseins, wovon dieses abhängig ist, das wir nicht beherr-

schen und das unserem Sinn so fremd ist wie die äußere Natur“ (Wieser 1929, S. 17).

Und Lakoff schreibt:

Our unconscious conceptual system functions like a ‘hidden hand’ that shapes how we con-ceptualize all aspects of our experience. This hidden hand gives form to the metaphysics that

is built into our ordinary conceptual systems. It creates the entities that inhabit the cognitive

unconscious – abstract entities like friendships, bargains, failures, and lies – that we use in or-

dinary unconscious reasoning. It thus shapes how we automatically and unconsciously com-

prehend what we experience. It constitutes our unreflective common sense“ (Lakoff/Johnson

1999, S. 13).

Bis hierhin habe ich gerade die Arbeiten Lakoffs herangezogen, um verständlich zu machen,

wie genau eine Beeinflussung menschlicher Denk- und Wahrnehmungsfähigkeiten auf der

Ebene des Unbewussten erfolgen kann. Von dieser Analyse ist aus meiner Sicht an dieser Stelle

nichts zu revidieren, aber es ist deutlich darauf hinzuweisen, dass sie keinesfalls abschließend

sein kann: Ich habe Lakoffs Analysen genutzt, um auf die invisible hand der Ökonomie als einen

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

105

Frame aufmerksam zu machen, der in ökonomischen Lehrbüchern genutzt werden kann, um

durch den bloßen Appell an Autoritäten ein tieferes Nachdenken über die Ökonomie zu ver-

hindern. Hier nun wird deutlich, dass bei Lakoff die Rede von der hidden hand, die angeblich in

unserem tiefsten Inneren herrschen soll, an einer anderen und zugleich tieferen Stelle das

Nachdenken abzuschneiden droht: Sie kann das schöpferische Nachdenken über die Art und

Weise, wie wir selbst denken können und denken wollen, verhindern. Oder anders gesagt: Es

droht hier die Möglichkeit zur Selbstreflexion gleichsam an ihren Wurzeln abgeschnitten zu

werden.

Ich kann hier keinen umfassenden Exkurs in die Philosophie unternehmen, um darauf hinzu-

weisen, dass hier aus Sicht der Geisteswissenschaften keineswegs das letzte Wort gesprochen

sein muss – weder ideengeschichtlich noch systematisch.75 Stattdessen wende ich mich im

letzten Schritt meiner Studie beispielhaft Albert Schweitzer und seinem Werk Die Weltan-

schauung der Ehrfurcht vor dem Leben zu, um zumindest anzudeuten, dass die Rede von einer

hidden hand in der Tiefe unseres Unbewussten selbst auch eher als ein Frame zu deuten ist,

der das Denken zu Selektivität und Hypokognition anzuleiten, nicht aber in tatsächlich ein un-

hintergehbares Faktum geistiger Realität darzustellen vermag.76

Schweitzer spricht einem quasiautomatischen Denken auf Basis (vor)gegebener gedanklicher

Deutungsrahmen nicht seine Realität ab, auch wenn er diese Einsicht in einer anderen, den

Kognitionswissenschaften eher fremden Sprache formuliert:

„Fort und fort sind wir in Versuchung, uns mit einem Denken zufriedengeben zu wollen, das

uns nicht nötigt, mit den eigentlichen und letzten Fragen unseres Daseins beschäftigt zu sein,

sondern uns die Möglichkeiten läßt, innerhalb der Grenzen des gesunden Menschenverstan-

des zu verbleiben. Immer wieder meinen wir damit auskommen zu können, die unsere Art zu

sein und zu verhalten betreffenden Fragen, wie sie das tägliche Leben uns stellt, von Fall zu

Fall uns in einem sich den nächstliegenden Erwägungen zu entscheiden“ (Schweitzer 2000, S.

21).

Doch ist Schweitzer sich zugleich auch bewusst, dass ein solches Denken eben nur eine Mög-

lichkeit darstellt – eben jene, „um in der Bahn des gewöhnlichen Dahinlebens verbleiben zu können“ (Schweitzer 2000, S. 21):

75 Systematisch kann hier auf die Optionen verwiesen werden, die einerseits unter dem Titel intellektuelle Anschau-ung, andererseits Phänomenologie oder intuitiver Verstand gefasst werden. Dazu ist die Literatur natürlich Legion.

Nur einige Hinweise: Für entsprechende Kreativitätstheorien schon in der Antike vgl. Kreuzer 1995; Wulf 2013. Für

die Renaissance: vgl. Bocken 2011; für das späte 19. Jahrhundert: vgl. Schwaetzer 2006; Ziche 2008. Für die ‚Lü-cken‘ in einer rein objektiven Erkenntnistheorie vgl. die Reihe Texte zum frühen Neukantianismus von Harald

Schwaetzer mit den Editionen und Einleitungen zu Johannes Volkelt, Otto Liebmann, Eduard von Hartmann und

Gideon Spicker. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. u. a. die Arbeiten von Heinrich Barth, Hannah Arendt,

Günther Anders oder Hans Jonas. Zur gegenwärtigen Debatte vgl. Schwaetzer 2013, 2014; Graupe/Schwaetzer 2015. 76 Ich behaupte hier selbstverständlich nicht pauschal, dass sich die Kognitionswissenschaften allgemein oder spezi-

ell Lakoff den eigenen Frames nicht bewusst wären. Wie durch das obige Zitat von Kahneman deutlich wird, schei-

nen hier die Frames eher aufgabenadäquat gewählt zu sein. Hier möchte ich lediglich darauf aufmerksam machen,

dass an die Bildung nun eben andere Aufgaben zu stellen sind, welche die Bezugnahme auf einen kognitionswissen-

schaftlichen Frame des durch eigene Vernunfttätigkeit unveränderlichen Unbewussten, für den ich mich in dieser

Studie über weitere Strecken bewusst entschieden habe, keineswegs überflüssig, wohl aber als in weiteren Schrit-

ten hinterfragbar erscheinen lassen müssen.

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

106

„In Wirklichkeit ist der gesunde Menschenverstand, auf den wir uns immer wieder zurückzu-

ziehen versuchen, abgestumpfter Menschenverstand, der uns dazu bringen will, uns, wie es

so viele Menschen um uns herum tun, in geistiger und ethischer Hinsicht schlecht und recht

durchs Leben zu schlagen. … Kiesel zu sein, die sich glattrollen und sich mit den anderen in der Flut dahinschieben lassen. Dieser gesunde Menschenverstand lebt von Zugeständnissen, die

er der Gedankenlosigkeit macht. Er will uns die gefährliche Kunst des Maßhaltens im Denken

lehren. Darum leitet er uns an, nur mit unserem Verhalten gegen die Umwelt beschäftigt zu

sein und uns nicht zu der großen Frage unseres Seines in dem Weltganzen zu versteigen, als

ließe sich die Umwelt gegen das Weltganze abgrenzen und als gehörte unser Sein nicht dem

unendlichen Sein an“ (Schweitzer 2000, S. 21).

Dieser Möglichkeit stellt Schweitzer nun eine andere gegenüber. Diese liegt weder darin, wie

es im Streben nach rein erfahrungsunabhängiger Objektivität der Fall wäre, den gesunden

Menschenverstand mitsamt seinen Erfahrungsbezügen zu negieren, noch darin, die Grenzen

dieses Verstandes, wie sie in vorgegebenen Frames liegen, zu negieren. Stattdessen meint sie,

selbstreflexiv in die Tiefe dieses (normalerweise) unbewusst Allgemeinen hinabzusteigen, um

es dort im Nachvollzug reflexiv zu verändern:

„Um das rechte Verhalten zur Umwelt zu finden, muß ich in ein Verhältnis zur Welt überhaupt

zu gelangen suchen. Den Gang in dieses Entlegene muß ich antreten, ob ich will oder nicht.

Was man so gemeinhin als Verstandesmenschen zu nennen pflegt, sind nicht solche, die sich

wirklich denkend verhalten, sondern solche, die sich mit einem auf halbem Weg stehenblei-

benden und daher als verständig geltenden Denken zufriedengeben. Alle müssen wir darum

besorgt sein, daß wir nicht solche Verstandesmenschen bleiben, sondern wahrhaft denkende

Menschen werden […] Verstandesmenschen in dem Sinne, daß wir in eigenem Denken verstehen wollen, müssen wir

alle sein. Je gesünder der gesunde Menschenverstand ist, um so mehr muß ihm die Unzu-

gänglichkeit der relativen Entscheide, mit denen er die Fragen des Daseins erledigen will, zu

Bewußtsein kommen. Der rechte gesunde Menschenverstand ist derjenige, der über sich sel-

ber hinausführt“ (Schweitzer 2000, S. 21-22).

„In eigenem Denken verstehen wollen“: Hierzu zu befähigen – was immer meint, zugleich zu

individuellem und sozialem Erkenntnisvollzug zu befähigen –, darin scheint mir eine wesentli-

che Aufgabe (nicht nur) der ökonomischen Bildung der Zukunft zu liegen.

Schweitzer merkt an, dass es zu einem wirklich (selbst-)verstehenden Denken, das stets be-

wusster Erkenntnisvollzug ist, nicht nur logischer, sondern auch moralischer Entschlossenheit

bedarf (Schweitzer 2000, S. 22). Auch eine solche Entschlossenheit wird also zu bilden sein.

Genauer: Es werden Räume der Bildung zu öffnen sein, in denen sich Studierende selbst zu

dieser Entschlossenheit entschließen können – und auch dürfen. Denn um was es hier geht,

kann (und darf) immer nur Selbstbildung sein. Es gilt, was Goethe einmal an Hegel schrieb:

„Es ist hier die Rede nicht von einer durchzusetzenden Meinung, sondern von einer mitzuthei-

lenden Methode, deren sich jeder, als eines Werkzeugs, nach seiner Art bedienen möge“ (zi-tiert in Schwaetzer 2013, S. 192).

Schweitzer macht bereits 1943 darauf aufmerksam, wie unsere heutige Gesellschaft gerade

diese Befähigung zur Selbstbildung zu ignorieren, wenn nicht gar außer Kraft zu setzen droht,

indem Formen der Propaganda, das heißt der manipulativen Beeinflussung menschlicher

Denk- und Wahrnehmungsweisen, bis in die Bildung einzudringen drohen:

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung –

Hintergründe und Beispiele

107

„Propaganda bedeutet eine Geringschätzung des Geistigen, wie sie vor unserer Zeit nie be-

stand und unvorstellbar war. […] Die Propaganda ist uns etwas so Geläufiges geworden, daß wir sie im besten Glauben auch in den Dienst des geistig Wertvollen stellen wollen. Hierin

liegt eine große Gefahr. […] In jeder Hinsicht bedeutet die sich ausbildende Empfänglichkeit

für Propaganda eine Verkümmerung der geistigen Persönlichkeit. […] Daß wir durch so starke und stetige Einflüsse gehemmt sind, uns als Denkende zu verhalten und uns auf natürliche

Weise entstehende Überzeugungen anzueignen, hält das Aufkommen der Ideen, durch die

wir fähig werden können, wieder bessere Zustände zu schaffen, auf“ (Schweitzer 2000, S. 189).

In gewisser Weise habe ich in dieser Studie versucht, dieses Eindringen bereits aufzuhalten.

Denn ich habe Sie als Leserinnen und Leser mehr oder weniger ausdrücklich als Personen an-

gesprochen, die zu jener logischen und moralischen Entschlossenheit, ein (selbst)verstehendes

Denken hervorzubringen, fähig sind und sich in dieser eigenen Tiefe im Sinne Schweitzers zu

einer geistigen Persönlichkeit bilden möchten und – was mindestens ebenso wichtig ist – auch

bilden können. Aus meiner Sicht ist diese Form der Ansprache weiterhin zu einer tatsächlich

expliziten Form pluraler ökonomischer Bildung auszuarbeiten.

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Über die Autorin

Prof. Dr. Silja Graupe

Silja Graupe ist Professorin für Ökonomie und Philosophie an der Cusa-

nus Hochschule in Bernkastel-Kues sowie Mitgründerin und Vizepräsi-

dentin dieser Hochschule. Zudem ist sie stellvertretende Sprecherin des

Vorstandes der Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissen-

schaft (GSÖBW). Silja Graupe studierte Wirtschaftsingenieurwesen an

der TU Berlin und der Sophia Universität in Tokio und wurde, ebenfalls

an der TU, in der Volkswirtschaftslehre mit einem philosophischen The-

ma zur erkenntnistheoretischen Kritik der Methodologie der Ökonomie

promoviert. In der Philosophie war sie vier Jahre als Postdoc an der Uni-

versität zu Köln tätig, ebenso forschte sie an der Hitotsubashi Universität,

der Catholic University of America und der University of Hawai'i. Ihre

Forschungsfelder sind u.a. die ökonomische Bildung, der interdisziplinä-

re Bereich von Ökonomie und Philosophie (insbesondere mit Schwer-

punkt auf erkenntnistheoretischen Fragen sowie auf der Begriffs- und

Ideengeschichte der Ökonomie) sowie die Wirkungsforschung. Weitere

Informationen zur Autorin, darunter auch die meisten Veröffentlichun-

gen unter: www.silja-graupe.de. Weitere Informationen zur Cusanus

Hochschule unter www.cusanus-hochschule.de

Das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW)

Das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) wurde mit Unterstützung des Ministe-riums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein- Westfalen im September 2014 als eigenständiger, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Düsseldorf gegründet. Aufgabe und Ziel des FGW ist es, in Zeiten unübersichtlicher sozialer und ökonomischer Veränderungen neue interdisziplinäre Impulse zur gesell-schaftlichen Weiterentwicklung zu geben und politische Gestaltungsoptionen für die Gewährleistung sozialer Teilhabe in einer sozial integrierten Gesellschaft zu entwickeln. Durch die Organisation innovativer Dialogfor-mate und die Förderung zukunftsorientierter Forschungsprojekte will die neue Forschungsstelle die Vernetzung von Wissenschaft, Politik und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen vorantreiben und den zielgruppengerechten Transfer neuer Forschungsergebnisse gewährleisten.

Weitere Informationen zum FGW finden Sie unter: www.fgw-nrw.de

Der Themenbereich „Neues ökonomisches Denken“

Zentrale Aufgabe des Themenbereichs „Neues Ökonomisches Denken“ des FGW ist es, Pluralismus und gesell-schaftliche Relevanz in den Wirtschaftswissenschaften inhaltlich und institutionell zu fördern. Das Zusammen-fallen von Finanzkrise und ökologischer Krise erfordert neue Denkansätze und interdisziplinäre Forschung. Im Bereich der ökonomischen Bildung soll ein Beitrag zur Demokratisierung des ökonomischen Wissens geleistet werden. Zudem soll untersucht werden, inwieweit das für die sozialwissenschaftliche Bildung grundlegende Kontroversitätsgebot im Bereich ökonomischer Lehrmaterialien (universitäre Lehrbücher, Schulmaterialien) besser realisiert werden kann.

Weitere Informationen zum Profil und zu den aktuellen Aktivitäten des Themenbereichs finden Sie unter: www.fgw-nrw.de/oekonomie